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Zur Kontinuität des Reichsgedankens im Spätmittelalter. Von Friedrich H e e r . Das alte Österreich, die „Monarchie der Gegensätze", war faktisch und ideologisch der letzte Träger der Idee des Sacrum Imperium, der gott-weltlichen Union des Abendlandes. Kein Zufall, sondern tiefste historische Sinnfügung ist es, daß unser Barock in der Anlage seiner Stifte nochmals jene alte Einheit von regnum und sacerdotium zu erstellen sucht^), die bereits im Investiturstreit des 11. Jahrhunderts an der wichtig- sten Nahtstelle zerrissen worden war. Daß die Kontinuität dieses alten karoüngisch-ottonischen, dann staufischen Reichsgedankens dennoch ge- wahrt wurde, ist das Verdienst einer Reihe von Männern, die in der großen Krisis der mittelalterlichen Welt zäh und beharrlich die alte religiös- politische Ideologie des „heiligen Reiches" der e i n e n Christenheit mit ihrer Doppelspitze Kaiser-Papst vertraten: sie sind die wahren Ahnherren unserer Barock-Ideologie, jener Systeme, die in den Schaubildern Daniel Grans in Klosterneuburg und in der Wiener Nationalbibliothek letzte leuchtende Sinn-Bild-WirkUchkeit wurden. Die Reichstheoretiker, die großen Verteidiger des Reichsgedankens im Spätmittelalter^), haben die alten frühmittelalterlichen Vorstellungen von Werden, Sinn und Aufgabe des Imperium und des Kaisers treu auf- bewahrt und gegen die immer mächtiger werdenden Angriffe besonders der Kuriahsten und der ideologischen Vertreter des französischen Natio- nalismus verteidigt; nicht ganz mit Unrecht ist von ihnen gesagt worden: ,,Ein besorgter Konservativismus kennzeichnet . .. die ganze Gruppe"®). Ihre Reichsidee bleibt im Grunde stets die alte ,,ottonisch-mittelalter- liche": das Imperium ist der Schirmherr der g a n z e n Ecclesia, des großen unteilbaren Christkörpers, der Laien und Klerus zu gleichen Teilen umfaßt, eine Aufspaltung desselben erscheint als folgenschwerstes Ver- gehen. In der Verteidigung dieser alten Reichs- und Kirchenidee stützen sie sich auf jene Argumente — die sie dann den Humanisten (die oft ihre ersten Herausgeber wurden) überlieferten: das Imperium erscheint als 1) Vgl. meinen Aufsatz in „Wort und Wahrheit", 2. Jg., H. 7, S. 44 ff., und „Aufgang Europas", 2 Teile, Wien-Zürich 1949. ') Zusammenfassend vgl. Alois Dempf, Sacrum Imperium, München 1929, S. 494 ff. 3) Vgl. Dempf, ebenda 494. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/22/14 2:21 AM

Zur Kontinuität des Reichsgedankens im Spätmittelalter

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Zur Kontinuität des Reichsgedankens im Spätmittelalter.

Von Friedrich H e e r .

Das alte Österreich, die „Monarchie der Gegensätze", war faktisch und ideologisch der letzte Träger der Idee des Sacrum Imperium, der gott-weltlichen Union des Abendlandes. Kein Zufall, sondern tiefste historische Sinnfügung ist es, daß unser Barock in der Anlage seiner Stifte nochmals jene alte Einheit von regnum und sacerdotium zu erstellen sucht^), die bereits im Investiturstreit des 11. Jahrhunderts an der wichtig-sten Nahtstelle zerrissen worden war. Daß die Kontinuität dieses alten karoüngisch-ottonischen, dann staufischen Reichsgedankens dennoch ge-wahrt wurde, ist das Verdienst einer Reihe von Männern, die in der großen Krisis der mittelalterlichen Welt zäh und beharrlich die alte religiös-politische Ideologie des „heiligen Reiches" der e i n e n Christenheit mit ihrer Doppelspitze Kaiser-Papst vertraten: sie sind die wahren Ahnherren unserer Barock-Ideologie, jener Systeme, die in den Schaubildern Daniel Grans in Klosterneuburg und in der Wiener Nationalbibliothek letzte leuchtende Sinn-Bild-WirkUchkeit wurden.

Die Reichstheoretiker, die großen Verteidiger des Reichsgedankens im Spätmittelalter^), haben die alten frühmittelalterlichen Vorstellungen von Werden, Sinn und Aufgabe des Imperium und des Kaisers treu auf-bewahrt und gegen die immer mächtiger werdenden Angriffe besonders der Kuriahsten und der ideologischen Vertreter des französischen Natio-nalismus verteidigt; nicht ganz mit Unrecht ist von ihnen gesagt worden: ,,Ein besorgter Konservativismus kennzeichnet . . . die ganze Gruppe"®). Ihre Reichsidee bleibt im Grunde stets die alte ,,ottonisch-mittelalter-liche": das Imperium ist der Schirmherr der g a n z e n Ecclesia, des großen unteilbaren Christkörpers, der Laien und Klerus zu gleichen Teilen umfaßt, eine Aufspaltung desselben erscheint als folgenschwerstes Ver-gehen. In der Verteidigung dieser alten Reichs- und Kirchenidee stützen sie sich auf jene Argumente — die sie dann den Humanisten (die oft ihre ersten Herausgeber wurden) überlieferten: das Imperium erscheint als

1) Vgl. meinen Aufsatz in „Wort und Wahrheit", 2. Jg., H. 7, S. 44 ff., und „Aufgang Europas", 2 Teile, Wien-Zürich 1949.

') Zusammenfassend vgl. Alois Dempf, Sacrum Imperium, München 1929, S. 494 ff.

3) Vgl. Dempf, ebenda 494.

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direkte Fortsetzung des römischen Weltreichs, des vierten großen regnum, es ist das Endreich, dessen Bestand allein das Erscheinen des Antichrist und der letzten Tage hinausschiebt^). Reformatio, Erneuerung des Reichs und der gesamten Ecclesia (die als ein Korrelatbegriff zum Reich er-scheint) tut not, um diese einzige Stütze des Weltenbaues zu erhalten. Rechtmäßige Inhaber des Reichs sind die Deutschen, sie sind es kraft der Translation des Reichs von den Griechen auf Karl den Großen, dessen Deutschtum als ein wichtiger Stützpunkt dieser Ideologie erscheint; kraft ihres Blutes: sie stammen ebenso wie die Römer, ihre Brüder, von den Trojanern ab, und kraft ihrer Verdienste um das Reich: immer wieder werden Karl der Große und die Ottonen als rechtskräftige „Beispiele" dafür angeführt! — Wenden wir uns nun diesen Männern im einzelnen zu. Der in der Zeit des Interregnum wirkende Domherr Jordanes von Osna-brück^) verteidigt das Vor-Recht des Reichs mit der alten gelasianischen Theorie der zwei von Gott gesetzten Gewalten®); Gott ehrt das Imperium dadurch, daß der Antichrist nicht erscheint, solange es besteht. Die karo-lingische, Walafrid Strabo zugeschriebene glossa ordinaria hatte diese patristische Auslegung von 2, Thess. 2, 7 dem Mittelalter überliefert — sie wurde der passendste Ausdruck für diese mittelalterHche Grund-auffassung von der Heilsmission des Reichs®). Gott hat den Deutschen, den Brüdern der Römer, in Karl dem Großen das Reich übertragen — Jordanes' Herzenswunsch ist: utinam Germani, ad quos mundi regnum est translatum et quibus ecclesiae Romane regnum est commissum, saperent et intelligerent ac novissima providerent'): Die Deutschen als Hüter des Gottesstaates sind die Wächter vor den apokalyptischen Dingen! — Das Werk des Jordanes wird von Alexander von Roes fortgesetzt; in seiner Widmung zu Jordanes bezeugt dieser bereits seine religiös-politische Reichsgesinnung: erschreckt stellt er, so schreibt der hohe Kleriker, in Viterbo beim Messelesen fest, daß im Missale das Gebet für den König getilgt war®): das enge Zusammenwirken von regnum und sacerdotium, die ohne einander nicht bestehen können, und das in der Liturgie seinen erhabensten Ausdruck fand, erscheint als zerstört! Alexanders Haupt-anhegen ist nun ganz der Verteidigung dieser alten „ottonischen" Reichs-einheit und der Abwehr der französischen Ansprüche gewidmet. In Karl

*) Zu den antiken Grundlagen dieser mittelalterlichen Reichsidee vgl. W. Rehm, Der Untergang Roms im abendländischen Denken, Leipzig 1930, S. 19 f; 27 f. u. 143 f; das römische Reich ist das vierte der großen Regna, in Daniels Traum, es geht nicht unter bis zum Weltende, muß daher immer wieder translatiert werden.

Alex, von Roes, De translatione imperii, und Jordanes von Osnabrück, De prerogativa Romani imperii, herausgegeben von H. Grundmann, Leipzig-Berlin 1930, S. 13.

«) Grundmann 14; vgl. ebenda über Reich und Kirche: Hae sunt potestates principales, per quas deus discernuit et distribuit jura humane generi, ut genus humanum per iuris regulas ad vitandum mala et faciendum bona salubriter informetur.

') Ebenda 15 f. ») ed. Grundmann, 11 f. und 32.

22 MIÖG., Bd. 58. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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wurde das Reich auf die Deutschen, nicht, wie die Franzosen wollen, auf jene übertragen*); die Deutschen sind die echten Franken, die Franzosen nur leichtsinnige Francigenae — Alexander nimmt diese von Gottfried von Viterbo herausgearbeitete Unterscheidung wieder auf ") — die Deutschen stammen von den Trojanern ab ) und Julius Cäsar, der in Deutschland viele Städte baute, der Köln und Mainz mit Römern bevölkerte, hat die alte Brüderschaft zwischen Römern und Deutschen wieder erneuert^"). Hiermit tritt zum erstenmal der „edle erste deutsche Kaiser" Caesar ins deutsche BUckfeld! — Der heilige Kaiser Karl setzt fest, daß das Römische Reich für ewig bei den deutschen Fürsten bleiben soll ®). Zur Entschädi-gung für das entgangene Kaisertum erhält Frankreich von Karl das Stu-dium verMehen^*). (Alexander zeigt sich schon stark vom französischen Ideenkreis beeinflußt — so auch weiterhin, wenn er neben der deutschen Friedrichssage eine rein französische Karlssage — einen französischen Karlsendkaiser, der Reich und Kirche reformieren wird ®) — ausführhch erwähnt, ohne selbst Stellung zu nehmen — um so entscheidender fällt ins Gewicht, daß er streng am alten Reichsbegriff festhält: ex predictis igitur omnibus manifestum est, quod sicut ecclesia Romana est ecclesia dei, sie utique regnum Romanum est simiUter regnum dei")). Scharf wendet er sich gegen die Ausmerzimg des Karfreitag-Gebets für das Reich in den Htiu-gischen Büchern: das Imperium ist nach wie vor da ad supri-mendas gentes et omnes barbaras nationes, zur Stützung der Kirche im „Kulturkampf" gegen die barbarisch-heidnischen Völker")! Alexander schließt sein Werk mit dem Wunsche"): Deus autem, omnipotens, huius Providentia t o t u m c o r p u s e c c l e s i a e disponitur et regitur, dignetur secundum suam voluntatem regnum et sacerdotium reformare — (es ist dieselbe Aufgabe, welche die Reformatio-ideologie der Ottonen, Salier und Staufer erstellte) — et reformata concordare, ut pacem (die pax ist das Ergebnis jeder großen reformatio: die Übereinstimmung des

») Ebenda 18 f. und 36; Jordanes 17. ") Ebenda 22. ") Ebenda 20f.; vgl. Jordanes v. Osnabrück: Et Mi populi dicuntur Germani

quasi de eodem germine ortum habentes cum Romanis, videlicet de Troianis, Enea seilicet et Priamo juniore; vel dicunter Germani quasi de Bomanorum gennine germinati. Ebenda 16.

Ebenda 21; zur Entwicklung des deutschen Gaesarbildes vgl. H. Rall, Zeit-geschichtliche Züge im Vergangenheitsbild mittelalterlicher, namentlich mittel-lateinischer Schriftsteller, Berlin 1937, 206 und 224; Caesar als Ahnherr der habs-burgischen Monarchie usw.

") Ebenda 26. ") Ebenda 27; die bekannte Sage von der Translation der Universität aus Rom

nach Paris durch Karl den Großen, geht über Martin von Troppau auf Vinzenz von Beauvais zurück; vgl. Ball a. a. O. S. 219 und 248.

Ebenda 31; vgl. die Anmerkung Grundmanns. ") Ebenda Grundmann 31. ") Ebenda 32; zum liturg. Gebet vgl. H. Hirsch, MIÖG. 44. Bd., 1 ff. 1») Ebenda 36.

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Kosmos in sich und in Gott) habeamns in diebus nostris et sancta ecclesia et fides catholica dUatetur et crescat . . .

Einen ganz ähnlichen Aufbau wie dieses Werk Alexanders von Roes weist Lupolts von Bebenburg Schrift de iuribus et translatione imperii ®) auf; auch er widmet breiten Raum der Darstellung der Reichstranslation in der Person Karls des Großen ®) von den Griechen auf die Deutschen; die Franzosen werden wieder im Anschluß an Gottfried von Viterbo als Francigenae abgehandelt, die „ d e u t s c h e n Pranken"^) stammen gemeinsam mit den Römern von den Trojanern ab; Karl des Großen Verdienste werden ausführlich gewürdigt® ) und nun scheinen neben ihm auch die Ottonen — die bei Alexander nicht gut weggekommen waren^) — als Verteidiger des Kaisertums auf^). Karl der Große und Otto I., Carolus et Otto, werden öfters zusammengestellt®®). Otto III. erläßt die Ordmmg der Kaiserwahl durch die Kurfürsten^«). Das besondere Augenmerk Lupolts ist der Betonung und Herausarbeitung der Kontinuität des Reichs, wie sie sich in den Translationen darstellt, gewidmet! Dieselbe Grundkonzep-tion nun wird mit Aufbietung des ganzen scholastischen Wissens der Zeit von Engelbert von Admont in seinem Werk de ortu et fine Romani imperii®') verfochten; das Imperium Romanum ist das von Gott bestimmte letzte Weltreich^®), sein Bestand allein schiebt die Ankunft des Antichrist hin-aus. Engelbert befaßt sich eingehend mit der Frage, ob das Reich recht-mäßig imd gut sei; wie Dante, so erschließt auch er aus der Ordnung der Natur, daß es am besten ist, wenn die ganze Welt Einem gehorch^®). In durchaus frühmittelalterlicher Weise vergleicht er das regnum coelorum mit dem irdischen Regnum®"); wobei er sich oft auf Augustins „Gottes-staat" beruft — man könnte ihn geschichtsphilosophisch einen Otto von Freising des 14. Jahrhunderts nennen: wie Otto in seiner Weltgeschichte, so sieht auch Engelbert die Geschichte des Reichs als einen einzigen großen Verfallsgang an! Die großen Reformatio-Versuche sieht aber

") Ich benütze die Ausgabe von J. Wimpfeling, Straßburg 1508; die Pagi-nierung ist von mir.

Ebenda 3 und 7 ff,. 13 ff. Lupoid schrieb sein Werk zur Verherrlichung Deutschlands, des wahren

Landes der Franken (vgl. s. Schlußwidmung: Zelus tarnen fervidus patriae Germaniae ac praecipue Grermaniae Franciae... ad faciendam compilationem huiusmodi me induxit; fol. 72); sein f r ä n k i s c h gefärbter deutscher Patriotismus wird von Trithemius (auf den auch Wimpfeling in der Einleitung, 2' verweist) dann auf das höchste gesteigert.

") Ebenda, bes. S. 18 ff. ") ed. Grundmann 29/30. ") ed. WimpfeHng 12.

Ebenda 29 u. 30, 55'. 2«) Ebenda 12' u. 23', 49 f. ") Ich benütze den Druck von 1603, nach der Ausgabe von 1553. '") Ebenda 37 f., 69, 94. ») Ebenda, z. B. 62 ff. '») Ebenda 91.

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Engelbert bezeichnenderweise nicht mehr in naher Vergangenheit oder in der Gegenwart realisiert, sie Hegen ihm, dem Zeitgenossen vieler Reichs-wirren, schon allzu weit zurück: Nach der Vertreibung der Könige begannen die Konsuln im alten Rom, gemeinsam mit Senat und Volk, Romanam rempublicam quasi ad primum ortum suum reducere, et a corruptis regnum moribus de novo in meUus reformare®^), dann folgt noch eine Wiederher-stellung des Reichs durch Augustus, nach ihm aber, in der langen Zeiten-folge bis zur Gegenwart, ist das Reich immer tiefer herabgekommen®): . . . Semper plus ac plus in hodiernum usque tempus est collapsum, iter quod ei non restet amodo quicquam aliud, nisi finis quotidianae consumptionis et defectionis, usque dum sie totaliter consumetur ac deficiet, quod amodo iam non amplius erit. Der Epigone des 14. Jahrhunderts vermag sich nicht mehr zu innerweltlicher Renovatio-Hoffnung aufzuschwingen: während Otto von Preising selbst im düstersten Pessimismus seiner Prüh-zeit, nachdem er lange vergeblich nach Trägern einer renovatio ausgeblickt hatte, sein Werk harmonisch mit der Schilderung des anbrechenden jen-seitigen Gottesreichs als d e r V o l l e n d u n g d e s i r d i s c h e n R e i c h s schließt, endigt Engelbert mit der Erzählimg vom Unter-gang dieses Reichs und der Welt, die beide in seinen Tagen ihrem Ende entgegengehen®®) . . . — Wenn man diese zumal in deutschen Volkskreisen stark erlebte ideologische und praktisch-pohtische Verbindung von „Reich" und „Welt" — die „Reichsgeschichte" ist die „Weltgeschichte" im emi-nentesten Sinne — bedenkt, wird man verstehen, daß trotz allen Wirren und Zusammenbrüchen, aller Schwäche und Ohnmacht der Kaiser, immer wieder aufs neue der Ruf nach einer großen reformatio des Reichs, das den einzigen Damm gegen das Hereinbrechen der antichristlichen Gewalten bilden soll, erhoben wird.

Einer der bedeutendsten Vertreter dieses renovatio-Gedankens ist Dietrich von Niem, der päpstliche Kanzleibeamte in der Epoche der großen Konzilien (1340—1418). Seine Vorstellungen, wie sie sich in seinen Schriften finden® ), beweisen die starke Lebendigkeit des alten karolingisch-ottonischen Reichs- und Kaisergedankens! Der gott-unmittelbare Kaiser hat die Obergewalt über die Ecclesia, den irdischen Gottesstaat, in seinen Ausgliederungen regnum und sacerdotium; wer ihm nicht gehorsam ist, ist Rebell gegen Gott; dem Kaiser ist zu gehorchen als dem „in der Zeit gegenwärtigen körperlichen Gott"®®): Die alten religiös-politischen Begriffe

«) Ebenda 18. " ) Ebenda 107 f. " ) Ebenda 108 ff; das Reichsende wird ganz nach Ps.-Methodius geschildert;

ebenda 124. " ) Vgl. bes. De modis uniendi et reformandi ecclesiam in conciUo universali:

Dialog über Union und Reform der Kirche, 1410, herausgegeben von H. Heimpel, Leipzig-Berlin 1933, u. Heimpels, Dietrich v. Niem, Münster 1932 (ich kürze nach Heimpel obiges Werk mit „de modis" ab). Neue Forschungen über Dietrich v. Niem: A. Lhotsky und K. Pivec, vgl. dessen Beitrag in diesem Band.

« ) Vgl. Heimpel 170.

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gratia-hulde und fides (als rechtlich bindende „treue" gegen Gott und König), der Gegensatz Meies dei — fideles imperii gegen die perversi inimici Gottes und des Reichs •— alle diese alten Fundamentalbegriffe der Reichstheologie werden in ihrer totalen Spannweite hier noch einmal erlebt! Höchste Pflicht des Kaisers ist es, das durch die desidia der reguli — jetzt sind dies die früheren unfähigen schlaffen Könige und Kaiser®®), in der Stauferzeit waren es noch die außer-reichischen Fürsten! — ver-stümmelte Reich wiederherzustellen im vollen Umfange seiner alten Grenzen und in der restitutio der allgemeinen pax®'). Dietrich fordert demgemäß die Wiederherstellung der Reichsmacht in Burgund und in ItaUen®®). Diese reformatio des Reichs allein genügt aber nicht mehr, ihr muß die reformatio des sacerdotium zur Seite treten®®): Die Ecclesia muß in ihrem ganzen totalen Umfange erneuert, zurückgeführt werden in den alten richtigen ordo^®). Der Kaiser hat als defensor der Kirche, als ihr Vogt, die Verpflichtung, sie an Haupt und Gliedern zu reinigen und zu reformieren^^), vor allem muß er die schwärenste Wimde, das Schisma, durch Einberufung und persönhche Leitung eines Konzils^^) heilen. Diese Grundüberzeugungen, die Dietrich zum Teil mit d e n W o r t e n d e r k a i s e r l i c h e n M a n i f e s t e d e r S t a u f e r z e i t kundgibt — er hat Friedrichs II . Briefe genau studiert^®) — mußten ihn zum Studium der deutschen Vergangenheit, der Kaisergeschichte vor allem, antreiben, jener Epoche, aus der er alle seine Ideen und Konzeptionen bezieht^). Dietrichs Sehnsucht gilt der Wiederherstellung der Ecclesia primitiva^^) — italienische spirituale Anschauungen mögen ihn hier beeinflußt haben — im „religiösen" Bereiche und der Wiederherstellung des „ottonischen" Reichs im „politischen" Raum der Ecclesia! Die imteilbare Einheit des Gottesstaates zur Zeit der Ottonen, der Verwandten und Nachfolger

Vgl. Heimpel 66 und 165. ") Zu seinem Reichsgedanken vgl. Heimpel 161 ff., der ihn als „konservativ"

bezeichnet. '») Vgl. Heimpel 160. ") Vgl. z. B. de modis 88: Necnon ad reformandum eciam et ad unionem re-

ducendum dictum Bomanum imperium, quo non vigente non florebit ecclesia, ordo dabitur, et sie fides catholica contra infideles resumet vires, et multi eorum con-vertentur; vgl. Heimpel 163.

*") Grundlage der allgemeinen Reformatio muß die religiös-sittliche sein: ut fiat morum proborum antiquorum reformacio (de modis 13); sein Schlußwunsch (in: de modis 118): quod.. . ecclesia universalis sancta pacificetur.

") Wenn der Papst schlecht ist, soll der Kaiser tamquam precipuus princeps et advocatus ecclesia® diesen durch ein allgemeines Konzil absetzen lassen können (de modis 58); vgl. ebenda 90 und Heimpel 47 ff.

") Dietrich ist Anhänger der konziliarischen Theorie, vgl. de modis 13 u. oft a. a. 0 . ; Heimpel 124 ff.

") Vgl. Heimpel 170, 228 und 250 ff. ") Zu Dietrich als Historiker vgl. Heimpel 217 ff. ") Vgl. den vierten Punkt seines Reformprogrammes (in de modis 118): Quarto

autem iurium antiquorum et decretorum ac consuetudinem antiquarum primitivae ecclesiae fiat reformacio et innovatio. Vgl. Heimpel 218.

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Karls, der das Reich von den Griechen auf die Deutschen übertrugt), schwebt ihm bei den Reformplänen vor, die er für das Konstanzer Konzil entwirft. Otto der Große, der kraftvoll das Reich regiert und zugleich die Kirche leitet und führt, worauf Dietrich besonderes Gewicht legt [so erzählt er zehnmal in seinen Schriften die Geschichte von der Absetzung Johanns XII. durch ein von Otto einberufenes Konzil*')] — ist Deutsch-lands imvergleichhchster Held: Dietrich überträgt seine Verehrung aber auch auf die anderen Ottonen, die er als Wohltäter der Kirche und als Kulturträger^) — er rühmt zumal ihre Kenntnisse in den schönen Wissen-schaften und ihre „philosophische" Haltung in Glück imd Unglück (das alte antik-frühmittelalterhche Ideal des rex philosophus, der vor allem sich selbst zu regieren weiß!). „Dieser Ottonenkult, der in immer neuen Wiederholungen Otto I. preisen läßt, auch Otto II. rühmt und in unver-minderter Bewunderung auch Otto III. als kraftvollen Herrn Roms feiert (wir erinnern uns an Benzo von Alba), ist etwas ganz Charakteristisches in Dietrichs Geschichtsromantik — Nikolaus von Kues hat diese Konzen-tration des Interesses auf die Ottonen mit ihm gemein und wohl von ihm übernommen*®)." Dietrich ruft zur „ottonischen Renaissance" auf, zur Erneuerimg des ottonischen Reichs in seiner weltlich-überweltlichen Einheit! Als würdige Nachfolger der Ottonen erscheinen ihm die Stauf er®"), deren Ausdrucksstil ihm so vertraut ist, daß er ihn ab gültige Manifestation seiner eigenen Theorien verwendet; man vergleiche z. B. in Dietrichs Schrift de modis uniendi et reformandi ecclesiam in concilio universaH® ) die Begründung der Notwendigkeit einer Einberufung des Konzils durch den Kaiser (zur Beseitigimg des Schismas) mit den AufruJen Friedrichs I. und seinen Einladungen zum Konzil von Pavia bei Otto von Preising®^)! — Die staufischen Kaiser erfüllen die höchste Pflicht ihres officium — sie sind Kreuzfahrer®®). Der Kreuzzug nach Jerusalem erscheint Dietrich

«) Vgl. Heimpel 222 f. und 225. " ) Vgl. de modis 58 f ; wozu Dietrich bemerkt: Otto primus, illo catholicus,

magnificus et devotus princeps, hätte es nicht getan, nisi sancte et lioite sie facere potuisset: ebenda 91; vgl. das Fragment aus der Chronik, MIÖG. 6. Bd., S. 591 f; vgl. Heimpel 85 und 219 und 265 f.

" ) Heimpel 240 f; Heimpel vermutet hier Einflüsse stoischer Gredankengänge, es ist aber nur das alte mittelalterliche Ideal des Königs, der sich selbst zu regieren weiß (vgl. „Aufgang Europas" I, das Kapitel über „Johannes von Salisbury").

" ) Vgl. Heimpel 225, vgl. ebenda 174. ">) Dietrich betont die Verwandtschaft der Staufer mit den Ottonen, vgl.

Heimpel 224 und 227. »1) Über diese Schrift vgl. Heimpel 77 ff.

De modis, 90: Numquid omnium u n u s Christus est? Ergo patet ex pre-dictis (da drei Päpste da sind) quod ad imperatorem, si est, qui defensor et adVocatuB ecclesie universalis est, et post eum secundario ad reges et principes seculares pertineat in casu presenti et concilio Interesse, et facta concilü executioni demandare et quos-cumque de papatu contendentes ibidem ad unionem integram faciendam cogere aut alias vias invenire, quibus unus pastor et unum ovile possint esse. . .

" ) Heimpel 227.

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wie Benzo von Alba und auch noch den Humanisten®*) als die Vollendung d e s großen Reformatio-Werks®®). Den Nachfolgern der staufischen Kaiser wirft Dietrich vor, durch ihre negligencia et desidia das Reich dem Verfall überantwortet zu haben®®); in seiner Chronik® ) erzählt Dietrich von der angebhchen Weissagung eines Sehers an Heinrich VI. über den Ablauf der Reichsgeschichte. Die Geschichte des deutschen Reichs er-scheint hier im Bilde eines großen Dekadenzganges, entsprechend dem Verfallsgang der vier Weltreiche: Das goldene Zeitalter des Reiches begann unter Heinrich I., das silberne unter Friedrich I. (Dietrich unterschlägt, wie fast alle diese Reichstheoretiker, die Geschichte der Saüer als Geschichte des Geschlechts des Investitiustreites: der große Bruch soll nicht Wirk-üchkeit, die alte vorreformatorische Reichseinheit soll in unimterbrochener Kontinuität geschichthch gewahrt erscheinen!), unter Heinrich VI. selbst folgt das eherne und unter seinem Sohn Friedrich II. das eiserne Säkulum: unter ihm wird das Reich zugrunde gehen! Und, höchst bedeutsam für sein Denken wie für den ganzen Renovatio-Glauben des Mittelalters, wie Dietrich im Anschluß an diese Erzählung fortfährt: gerade wenn dies wahr und göttlich verordnet worden ist, daß nämlich mit Friedrich II. der Ruhm des Reichs untergehen mußte, gerade dann erscheint die Schuld der Nachfolger der staufischen Kaiser um so unentschuldbarer: ihre Pflicht wäre es gewesen, mit allen Mitteln darauf hinzuarbeiten, den alten Glanz des Reichs wiederherzustellen, seine Größe w i e d e r z u b e l e b e n (reviviscere)®®).

Diesen Gedanken der „Wiederbelebung" des „Reichs", den größten imd im Grtmde einzigen deutschen historischen „Renaissance"-gedanken (auch die Humanisten des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, Lessing mit seinem dritten Reich der Humanität, Hegel, Schelling und die Roman-tiker basieren auf ihm!) hat der geistige Nachfolger Dietrichs, Nikolaus von Kues®'), in seine größte mittelalterhche Ausprägung gebracht. Nikolaus faßt in der Harmonie seiner Persönlichkeit zwei der mächtigsten mittelalter-lichen Geistesströme zusammen, einen geklärten religiösen Humanismus®®)

") Mit den Humanisten und Reformatoren verbindet Dietrich vor allem sein Glaube, daß die Erneuerung der Kirche durch die Reform der Bildung, der Erziehung und des Unterrichtes begründet werden muß; die Unwissenheit und Unbildung ist der Wurzelherd aller Häresien und Verderbnisse des Glaubens (vgl. de modis 48); ebenda Dietrichs Eintreten für bessere Bildung der Priester: 117 und 118; zu Diet-richs Beziehungen zum italienischen Humanismus vgl. Heimpel 159.

») De modis 89; vgl. Heimpel 162 und 241. ») Vgl. Fragmente und Chronik, MIÖG. 6. Bd., S. 608. ") Vgl. Heimpel 232 ff. ") MIÖG. 6; S. 609. ") Allgemein vgl. Dempf a. a. O. S. 567 ff.; ich zitiere nach der Gesamtausgabe,

Opera, Basel 1565, die mit seiner Vita von Trithem eingeleitet wird. Für unsere Zwecke vgl. auch K. Borinski, Die Weltwiedergeburtsidee in den neueren Zeiten (Sitz.-Bericht der Bayr. Akad. d. Wiss. 1919), S. 108 ff.

•") Über seine Stellung zum italienischen Humanismus seiner Zeit vgl. sein Vorwort zur Concord. Cathol., op. 683 f.

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und ein lebendiges religiös-politisches „Reichsdenken". In seinem meta-physischen Denken fußt er auf Augustin®i), Dionysius Areopagita®^), auf dem deutschen Symbolismus des Hochmittelalters und auf Eckhart®®); sein Reichsdenken wächst aus der lebendigen Tradition seiner Zeit, es er-weist sich zudem als eine verklärte Wiedergabe des Volksempfindens, mit dem er, wie z. B. sein Einsatz für das deutsche Reich zeigt®*), aufs stärkste verbunden war. Zum ersten: Die Vorstellungen des Kusaners von den „Geisteswissenschaften" und von der „Kultur" bedeuten die höchstmögliche Erhöhung des so dürftigen mittelalterlichen Schemas der artes hberales, eine einzigartige religiöse Überbauung der mittelalter-lichen Schulkultur! Gott, der Schöpfer der Welt, ist der höchste Artifex®®) und Meister aller Künste (ein patristisch-antiker Begriff, der sich oft in der Hymnendichtung findet), er bedient sich bei der Schöpfung der Welt derselben Künste, die auch wir lernen und benützen®®). Ihre Regelhaftig-keit, derer sich der Mensch, der Mikrokosmos®'), zur Meisterung seiner kleinen Welt bedient, ist ein Abbild der himmlischen kosmischen Mächtig-keit. Alle menschlichen artes sind letzten Endes ein Abbild der unend-lichen göttlichen ars®®). Gott hat nun den Menschen einen großen Lehr-meister gesandt, der den Menschen die wahre cultura (die „Pflege" Gottes im Lebensdienst), die er selbst pflegt, lehren sollte, Christus®'): magister Christus est vitam praestans sicut magister qui in aliqua arte dociles instruit™). Wer gelehrig dem Lehrer gehorcht, wird selbst Lehrer und

") Z. B. op. 8. Z. B. op. 11 (maximus ille divinorum scrutator Dionysius Ariopagita),

361 (sanctissimus Dionysius ad Hierarchias ascendit). " ) Zit. z. B. op. 658. " ) Vgl. den Aufsatz von M. Liermann, N. v. C. und das deutsche Recht, Zsohr.

f. dte. Geisteswiss., Jena 1938. «5) Z. B. op. 502; vgl. op. 487: Et sicut artifex diligit suum artif icium.. . , sie

deus diligit hominem, quia opus suum, et quedam similitudo boni divini. Est autem Deus Arithmetica, Geometria, atque Musica, simul et Astronomia

usus in mundi creatione, quibus artibus et nos utimur, dum proportiones rerum, et elementorum, atque motuum investigamus. (Op. 42); dabei lebt Nikolaus noch immer in der echt mittelalterlichen Scheu, daß die artes liberales durch allzu große Hingabe den Menschen von Gott abziehen können (op. 640).

") Vgl. z. B. op. 109. Et primo volo scias, me absque haesitatione asserere, omnes humanas artes

imagines quosdam esse infinitae et divinae artis (op. 149, vgl. 169). «') Venit Jesus in mundum ut magister docens.. . (op. 517, vgl. 578 u. unten),

ferner op. 599: Vide nunc Christiane, qualem doctorem magistrum illuminatorem atque mediatorem habeas . . .

'") Op. 380 f.; Nikolaus fährt fort: Et tunc qui docilis ad magistrum accedit, ut ex s a p i e n t i a magistri fiat sapiens et magister; . . . Sed non possumus ad magisterium pertingere in hoc mundo, quia sumus in scholis et discipuli. Et ideo quando eximus scholas istas, transferemur in magisterium, et erimus similes ei, Christiformes, et magistri atque sapientes. Et haec est resuscitatio. — Die s a p i e n t i a — es ist der alte, seit der karol. Epoche das Abendland bestimmende Begriff — bedeutet für den Menschen die Teilnahme an der göttUchen Weisheit — die Welt schlägt sich ihm wie ein Buch derselben auf — Mundus est ut über artis aeternae, seu sapientia«

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Zur Kontinuität des Reichsgedankens im Spätmittelalter 345

Meister — aber, ach, wir Menschen können in dieser Welt nicht zum Magi-sterium, zum Lehramt selbst, aufsteigen, weil wir stets Schüler in der Schule des Lebens bleiben . . . (das stete Minderwertigkeitsgefühl der mittelalterlichen Schulkultur hat hier eine metaphysische Ausprägung hohen Ranges erhalten; die vielen, meist monastischen Klagen um die Gebrechlichkeit der „Studien", die Schwachheit des „Wissens" und den Mangel an „Quellen" erhalten hier metaphysische Grundierung!). — Wir Menschen vermögen nicht die wahre „Kultur" zu erlangen, weil wir die Wurzelkunst, die Grundlage aller übrigen artes, nicht kennen und nicht besitzen, die fides, den Glauben"). Diese „Kunst" —• im Sinne einer formenden und bildenden Gestaltungskraft — die allein das Leben zu spenden vermag, hat Christus ge- und „e r funden" und damit die „Kultur" gegründet: indem er sie den Seinen übergibt (der Kusaner vergleicht Christus mit einem menschlichen inventor einer ars), werden diese zu Kindern Gottes neugeboren: renascentia'^), „Renaissance", Wiedergeburt des ganzen Menschen aus der Bildungs- und „Kultur"kraft Gottes, dies ist das Ziel des kusanischen Humanismus'®)! Gott hat die tempora igno-rantiae, die Zeitalter in den Finsternissen der Sünde, verachtet und seinen Sohn gesandt, in dem er den Kosmos wiederherstellte, an den glaubend wir Menschen im heiligen Geiste wiedergeboren werden (. . . despexit tempora ignorantiae . . . misit filium suum, in quo restauravit universa, in quo credentes renascimur spiritu sancto)'^). Renovari oportet mente et spiritu, et renasci. Et haec renascentia seu renovatio interioris hominis

(op. 482) — das tiefe Erlebnis des deutschen Symbolismus des 12. Jahrhunderts erneuert sich in Nikolaus — in tiefem Staunen wird die Welt als Gotteswerk er-forscht, geschaut; vgl. die großen Worte über den Sinn des menschlichen Forschens, op. 641: Qui rerum causas in natura inquirunt, non nisi ad amorem illius sapientiae, quae omnia ordinat et disponit, perveniunt, quam non comprehendunt, sed admi-rantur. F i n i s P h i l o s o p h i a e a d m i r a t i o .

") Vgl. zum folgenden op. 470: Christus erfand die Künste aller Künste, den Glauben. In ratione est vis intellectiva: illa vis est, ex qua homo acquirere potest artes mechanicas et liberales. Vis iUa Semper fuit in anima, ignorabat tamen anima potentiam suam, quod scilicet posset habere artem seminandi. Venit unus, qui hano artem primo ex se habuit, et aliis t r a d i d i t et aiebat populus: benedictus deus, qui dedit hanc potestatem hominibus, sie de arte medendi, sie de arte scribendi. Sic venit Jesus, qui ex se habuit omnem scientiam et artem omnium scibilium, inter quas artes est ars vivificandi: nam omnes aliae artes, mechanicae et liberales, ad vitam ordinantur. Ars igitur vivificandi omnes includit. Diese Kunst hatte Christus aus sich heraus, et quicumque receperunt eum in eius doctrina, facti sunt ut ipse erat filius Dei, etiam et ipsi filii Dei. — Et haec ars est f ides . . . (ich exzerpiere dieses längere Stück, weil es sehr charakteristisch für den religiösen Humanismus an der Wende des Mittelalters ist).

" ) Diesen Begriff verwendet Nikolaus gerne, um die christliche Wiedergeburt auszudrücken, vgl. op. 453, 455, 510, 520 u. a.

") Die Wiedergeburt des Menschen aus Gott steht im Zentrum der kusanischen Gedankenwelt; hier einige Stellen: op. 346, 349 (Christus est omnium regenerator et ita pater regenerationis), 439, 510 ff., 576, 580, 629.

") Op. 439.

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346 Friedrich Heer

fide: per lotionem exterioris hominis in sacramento'®). Christus stellt das verdorbene Gottesbild im Menschen wieder her und schafft so die Wieder-geburt™). Diese renascentia kann aber nur stattfinden in der großen Gemeinschaft des Leibes Christi, in der Ecclesia; durch die fides nimmt uns die Kirche in den corpus Christi auF'), in quo corpore est unus spiritus Christi, cui se noster spiritus subjicit et successive per charitatem unit: ut sie in ipsum plus et plus transformemur (verdruckt: transformetur), quo usque exuti hoc mundo corruptibih, regeneremur in spiritu, in Christum transformato, qui ubi ad renascentiam concepti fuerimus, fUiationem dei assequemur'®). Die Ecclesia ist der Heilsleib, der alle umschließt, die in der „Kultur" Christi wiedergeboren werden wollen — alles muß daher ein-gesetzt werden, um sie zu erhalten. Wir stehen nun vor der entscheidenden Tatsache, daß Nikolaus die Ecclesia (wir wollen lieber Ecclesia sagen als „Kirche", weil letzteres Wort in unserer Sprache seine Prägung durch die nachreformatorischen Kanonisten als einseitige Kleruskirche erhalten hat) ganz in den frühmittelalterlichen") karolingischen und besonders „otto-nischen" Formen religiös-poUtisch erlebt. Christus ist der Gottkönig, der Herr aller Könige (rex noster Christus est inter reges sicut sol inter stellas, unde nominatur sol iustitiae®®)), er herrscht im Kosmos wie ein König in seinem Königreich®^), er ist der Himmelskaiser, dem vor allen anderen Mächten zu gehorsamen ist® ): die fides, die ars, durch welche Christus den Menschen die Wiedergeburt zugänglich macht, bedeutet die enge Bindung an den Gottkönig in seinem Reiche, in der E c c l e s i a -c i v i t a s d e i ! In hulde-gratia neigt sich der Christkönig seinen Getreuen zu: deest servitori ahcuius regis nobilitas generis, fortitudo virum, pru-dentia in agendis et plura alia ei desunt, quae in regio ministerio requirun-tur: s e d o b f i d e l i t a t e m e s t i n g r a t i a r e g i s . Sufficit regis gratia, quae omnia supplet, facit eum nobilem, fortem, et prudentem in oculis regis, et hoc sufficit ei, scilicet esse in oculis regis, per gratiam sine defectu. Gratia facit hominem dignum, ut sit filius adoptivus dei, ut sit supreme felix tamquam haeres regni dei®®). So erhebt der Gottkönig durch seine „genade" den Menschen zum Erben seines „riches"! In Ver-

" ) Op. 510. " ) Christus igitur reparator est imaginis offuscatae, qui dooet nos quomodo

imago de offuscatione possit denuo renasci: et coepit faoere et docere, ut visibili experimento pertingeremus ad renascentiam... (op. 520).

" ) Z. B. op. 454: Ita habemus, quomodo per fidem Christi renascimur in spiri-tum vivificantem Christi. E t ita nos per matrem Ecclesiam regeneramur, ut simus Corpus Christi... (vgl. op. 480).

" ) Op. 453. " ) Liermann weist darauf hin, daß Nikolaus in seiner Stellung zu Reich und

Kirche auf dem alten deutschen sakral verwurzelten Recht fußt (a. a. O. 394). »») Op. 502. " ) Sic Deus rex regum, cuius imperio omnia subjiciuntur per potentiam, qua

omnia gubemat, est in universo sicut rex in regno... (op. 503). " ) Op. 608. " ) Op. 645.

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Zur Kontinuität des Beichsgedankens im Spätmittelalter 347

folgxmg seiner trinitarischen Spekulation®*) gelangt Nikolaus nun dazu, die Trinität (man vgl. Dante) als drei Reiche aufzufassen®®); die platonische Dreiseelenlehre, der augustinische Voluntasbegriff (als die große Einheit des ganzen Menschen im Ausgerichtetsein in Gott hinein), die Lehren des deutschen SymboUsmus des 12. Jahrhunderts (Anselm von Havelberg) und joachimitisch-spirituale Ideen verbinden sich harmonisch in dieser seiner Lehre von den drei Reichen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das „dritte Reich" ist das vollkommenste: in tertio regno, quod est regnum in spirito sancto, sunt omnia ut amplexa cum gaudio et chari-tate, quasi avida quaesita et laeta inventa, et est regnum laetitiae et felici-tatis®®). Diese reügiös-politische Auffassung des Himmelreiches entspricht ganz der frühmittelalterlichen Vorstellung vom „riche" Gottes mit seinem nach Engelsständen soziologisch wohlgeordneten Aufbau. Der Christ-könig überträgt den Menschen aus dem regnum servitutis, aus der Bann-gewalt der Sünde, in sein Reich®'). Der Mensch dient dafür Christus auf Erden, in der mihtia Christiana, in treuem Dienste®®). Die Kirche ist das Heer, dessen gewaltiger Herzog Christus ist — wie Hugo von St. Viktor und Bernhard von Clairvaux sieht Nikolaus sie im Kampfe für ihren Führer stehen: unde ait Christus: confidite, quia ego vici, ex c o n f i-d e n t i a illa omnes vincunt qui vincunt ex confidentia Christi regis prae consortibus uncti, qui est dux exercitus, sub quo tantum omnes victores miUtant, ipse campi ductor et imperator leges victoriae tradidit, quas mih-tantes teuere necesse est, si volunt vincere: et tunc sub eo militant, quia eius verbo et imperio obediunt®®). Die Ecclesia, das wahrhafte Reich des Christuskönigs, steht so im Mittelpunkt des kusanischen Denkens — es ist die alte, ottonisch-vorreformatorische, in weltlich-überweltlicher Ein-heit geschlossene civitas dei — und nun unternimmt Nikolaus den letzten, ganz großen Versuch, diese alte Einheit zu retten®"). Er weiß nur einen Weg, d e n alten heiUgen Weg, den Versuch einer reformatio von regnum u n d sacerdotium, der Reich und Kirche wieder zurückführen soll in ihre „alte, richtige Ordnimg", welche den Menschen das Heil im Diesseits und Jenseits sichern soll! Diesem hohen Zwecke ist sein Hauptwerk de concordantia catholica® ) gewidmet. In drei Teilen, der heiügen Trinitas entsprechend, handelt hier Nikolaus zuerst über die Ecclesia als Gesamt-heit, dann über ihre Seele (das Priestertum) und zum dritten über ihren

" ) Vgl. op. 11 ff.; 89ff. 85) Zum folgenden op. 582 f. ••) Ebenda 583; dieses dritte Reich des hl. (Jeistes ist das Reich der (august.)

voluntas und der memoria. — Nikolaus kennt bedeutsamerweise auch TertuUian, den er z. B. zit.: op. 667.

" ) Transtulit nos de hoc regno servitutis peccati ad regnum suum, ut simus haeredes de i . . . (op. 609).

»') Vgl. op. 649. •») Op. 626. •») Vgl. auch Liermann a. a. 0 . 394 ff.

Op. 683 ff.

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3 4 8 Friedrich H e e r

Körper (das Imperium). Eines der heißesten Anliegen des Kusaners ist die Betonung der Eigenständigkeit des Imperium i n der Ecclesia, seine Unabhängigkeit von jeder päpstlichen Gewalt® ). Nikolaus, in der Tradition der Reiehsdenker des Mittelalters stehend, macht aufs neue den Versuch, den Investiturstreit auszulöschen aus der Weltgeschichte! Zu diesem Zwecke zeigt er zum erstenmal, daß die konstantinische Schenkung unecht ist'®) — außerdem wurde das Reich von den Griechen her nicht durch die Päpste auf die Franken oder Deutschen übertragen®*). Otto I. ist der erste ganz rechtmäßig gewählte Kaiser®®) — Nikolaus überschweigt Karl den Großen, weil dieser sowohl von französischer wie auch von päpstlicher Seite her allzu sehr beansprucht wurde und geht auf Otto I. über: im richtigen Erfühlen jener geistesgeschichtlichen und religiös-politischen Situation sieht er im ottonischen Reich den Idealzustand, den er für seine Zeit wiedererwecken möchte! Seine Reichsauffassung entspricht dem-gemäß ganz jener alten, vorreformatorischen: Nikolaus schildert die Ein-heit des corpus Christi mysticum in Kaiser und Papst®®); die Kirche, die militans ecclesia, gleicht in ihrem Siege, den sie durch die fides erringt, einem Heere, das Christus als rex et imperator führt*'). Vertreter dieses Himmelskaisers auf Erden ist der irdische Kaiser®®), das Imperium ver-tritt die civitas dei im irdischen Kampfe; ecce quod imperator Christiano-rum in sua presidentia Christi vicarius, qui rex regum et dominus dominan-tium existit®®). Jeder Kaiser und König ist Statthalter Gottes auf Erden; seine Aufgaben sind die alten „augustinischen": Sicherung des Friedens, der pax, durch die iustitia und durch „gerechte" Kriege, iusta praelia ®®). Dieses Offizium der Wahrung des Friedens, der dulcis concordia, der duicis harmonia — wie gerne hört Nikolaus dieses Wort! — verpflichtet den Kaiser, auch auf die Ordnung im sacerdotium zu sehen — im Falle eines Schismas ist er zur Einberufung und Leitung eines Konzils^»!) verpflich-tet^®). Im gegenwärtigen tiefen Verfall der Ecclesia (die Kirche ist in Schismen zerrissen, das Reich ist schwach) sieht Nikolaus keinen anderen Ausweg, als zurückzukehren zu den alten Quellen der Größe des Reichs

•2) Vgl. op. 689 ff.; 780 ff.; 810 ff.; 821 ff. »») Op. 689 und 782. " ) Vgl. bes. Kap. 2 des dritten Buches der Concord. Cath. (op. 680 ff).

Nikolaus will zeigen, quod Otto primus fuerit inter omnes Imperatores primus pleno iure, recto ordine per populum et elerum Romanum et synodum cum euccessoribus creatus Imperator... (op. 689, vgl. 784).

••) Op. 692 und 780. •') Op. 697 f.; vgl. 699, Unde militans Ecclesia est exercitui similis, qui Signatur

signo crucis, Antichristo qui Christo adversatus, cuius Christi vexUlum exercitus gestat . . . : man hört hier Augustin, Hugo v. S. Viktor und Otto v. Freising durch!

*') Op. 690; (der Kaiser) est princeps et dominus mundi, in cuius potestate omnia sunt (op. 786).

•») Op. 787. "») Op. 788.

Dieses steht über dem Papste (op. 770). 1") Op. 788 ff.

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Zur Kontinuität des Eeichsgedankens im Spätmittelalter 349

und der Kirche — und bei diesem seinem Suchen fällt sein Blick auf die Epoche der Ottonen, in der er d i e große Harmonie zwischen regnum und sacerdotium verwirklicht sieht^"®). Post haec oportet remedia sanativa ex ingenii discursu adiutorio principali ex priscis gestis sumpto elicere et ipsa aperire . . . Primum membrum est iis notum, qui actus studiosos imperatorum, qui ex hac inclyta Germania gubernaculorum initia traxere, noverunt. E t ne ad remotissimos primos maxime imperatores orbis necesse habeamus recurrere — aber auch diese ersten großen römischen Kaiser stehen für Nikolaus noch in Kontinuität und lebendiger Beziehung zum Reich der Gegenwart; er selbst bezeichnet Kaiser Sigismund, von dem er die große renovatio des Reichs und der Kirche erwartet^®^), bedeutsam als ipse ille alter Augustus — quoniam reductio reformativa non poterit pro nunc ad talem statum pertingere: missos eos faciamus, et ab Othone primo initium sumentes cui inter cunctos unquam imperatores primum Vera suprema absque diminutione et conditione imperialis potestas quo se et suis successoribus, tam a senatu Romano et toto populo, quam a papa cum sua synodo tradita legitur. — Nikolaus schildert dann Otto des Großen große Verdienste um die Ausbreitung des Glaubens, der Kultur Christi: Ungarn, Böhmen, Dänen, Norwegen, Preußen werden dem katho-Hschen Glauben unterworfen; summa enim omnium imperantium cura in custodia fidei fuit et eius augmento. Regebatur autem imperium impera-tive quoniam vox imperahs potentia et vigore armabatur: non erat lex, quam impune etiam maximus transire posset nisi enim lex censuram et punitivam acutiem retineat, optundit et in dissuetudinem abit. Scharf stellt der Kusaner dem glänzenden Reiche der Ottonen die Schwachheit und den Verfall der Gegenwart gegenüber^"®). Die alten Kaiser haben die temporalia nicht der Kirche verhehen, damit diese das Reich ausraube. Non fuit ista imperatorum i n t e n t i o : n o n v o l e b a n t s p i r i t u a l i a a t e m p o r a l i b u s a b s o r b e r i , quae pro eorum augmento ecclesiis dedere, et haec omnia pro dolor ex p e r v e r s o o r d i n e eveniunt^®'). Totale Verwirrung, Zerfall von Reich und Kirche bedeutete diese Zer-reißung der Ecclesia, die im Investiturstreit begann und die noch immer ärger wird. Et ubi non est ordo, ibi est confusio^®®): Diese herrscht heute in allen weltlichen und geistlichen Belangen; wenn nicht bald Abhilfe geschaffen wird, gehen Reich und Kirche zugrunde, denn beide können nicht ohne einander leben. Da gibt es nach Nikolaus von Kues nur e i n Mittel: reformatio von sacerdotium und imperium. Non potest autem melius provideri quam per iam tritas et expertas et antiquas vias, ad quas per reformationem accedere necesse habe-

Zum folgenden op. 810 ff. Op. 808 und 825. Op. 689. Op. 812.

"') Op. 812. "•) Op. 813.

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350 F. Heer — Zur Kontinuität des Reichsgedankens im Spätmittelalter

mus ®'). Nikolaus schlägt dann eine Reihe ganz n e u e r Maßnahmen vor, wie jährliche Reichstage, Neubestünmungen zur Kaiserwahl, ein stehendes Reichsheer"®) — aber all diese Ratschläge sollen niu- der Wiederherstellung des a l t e n ordo dienen — und diesen sieht er aufs schönste in der Ottonenzeit verwirklicht.

Nikolaus von Kues baut in einer Epoche stärkster Diskrepanzen sein System von der Vereinigung der Gegensätze — die erste Ideologie des Barock — sein wahrer Schüler und Fortsetzer wird jener Mann sein, der auf der Höhe desselben gleichermaßen von der Herrlichkeit des „otto-nischen" gottweltlichen Zeitalters träumen wird, der zugleich die um-fassendste Restitution der „alten Welt" in allen ihren religiösen, politischen, kulturellen Bereichen versuchen wird: G. W. Leibniz.

"») Op. 814. "") Nikolaus beruft sich hierbei charakteristischerweise auf Hugo v. S. Viktor

(Hugo noster excellentissimus Saxo, qui de sancto Victore nominatur), den großen Führer des deutschen Symbolismus im 12. Jahrhundert (op. 819); zu diesem vgl. das erste Kapitel des „Aufgang Europas", 1. Teil.

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