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Zur Kritik an der Wissensproduktion um
“Ethnizität” im Himalaya
Regarding criticism on the production of
knowledge on “Ethnicity” in the Himalaya
Humboldt Universität zu Berlin
Institut für Asien- & Afrikawissenschaften
B.A. Regionalstudien Asien & Afrika
SS 2012
Prof. Dr. Nadja-Christina Schneider
Dr. Melitta Waligora
Bachelorarbeit
Stefan Lüder3. September 2012
1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung..............................................................................................................................................................2
1. “Ethnizität”: Ursprung, Theorien, Methoden und der Diskurs im Himalaya und Nepal...................................5
1.1 “Ethnizität” im wissenschaftlichen Diskurs..............................................................................................5
1.1.1. Premordialismus und Essentialismus...............................................................................................6
1.1.2. Instrumentalismus und Konstruktivismus........................................................................................7
1.1.3. Der 'Activist Research' Ansatz.........................................................................................................8
1.2 “Ethnizität” im Himalaya und Nepal:........................................................................................................9
1.2.1 Die 1. Generation: Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre.............................................9
1.2.2. Die 2. Generation: 1950er-2000er..................................................................................................11
1.3. Zwischenfazit und Ausgangspunkt für Analyse:.....................................................................................13
2. Analyse und kritische Reflexion der aktuellen Fachliteratur zu “Ethnizität” im Himalaya und Nepal..........14
2.1. Nationalism and Ethnicity in a Hindu Kingdom: The Politics of Culture in Contemporary Nepal
([1997] 2005):................................................................................................................................................14
2.1.1. Ein kurzer Überblick .....................................................................................................................14
2.1.2. Kernthesen zu Theorie und Empirie:.............................................................................................15
2.1.3. Kritische Reflexion........................................................................................................................16
2.2. Ethnic Revival and Religious Turmoil: Identities and Representations in the Himalayas (2003) .........17
2.2.1. Ein kurzer Überblick......................................................................................................................18
2.2.2. Kernthesen zu Theorie und Empirie...............................................................................................18
2.2.3. Kritische Reflexion........................................................................................................................19
2.3. The Rise of Ethnic Politics in Nepal: Democracy in the margins (2010)..............................................20
2.3.1. Ein kurzer Überblick......................................................................................................................21
2.3.2. Kernthesen zu Theorie und Empirie...............................................................................................21
2.3.3. Kritische Reflexion........................................................................................................................22
2.4. Zusammenfassung und Ergebnisse der Analyse.....................................................................................23
3. Kritische Reflexion der Empirie: Fallbeispiel “Thami-Thani-Thangmi: mediating identity in the margins” 25
3.1. Kontext der Forschung und Projektidee.................................................................................................25
3.2. Theoretischer und empirischer Rahmen der Feldforschung...................................................................27
3.3. Kritische Reflexion generierter Quellen und Verarbeitung im »Ethnographischen Dokumentarfilm«...29
3.3.1. “Zugang zum Feld” und die eigene Rolle als Analytiker “im Feld”..............................................29
3.3.2. Analyse und Verarbeitung: Die Sprachenproblematik und Frage der Repräsentation ...................31
3.3.3. Kritische Reflexion des »Ethnographischen Dokumentarfilms« als Wissensprodukt....................32
Fazit:...................................................................................................................................................................34
Anhang
Bibliographie
2
Einleitung
...there is no discipline, no structure of knowledge, no institutions or
epistemology that can or has ever stood free of the various sociocultural,
historical, and political formations that give epochs their particular
individuality. (Said 1989: 211)
Am 27. Mai 2012 wurde die verfassungsgebende Versammlung Nepals ohne Ergebnis
aufgelöst und für November 2012 Neuwahlen angekündigt. Im Streit um den sogenannten
“Ethnicity based Federalism” konnten die 601 Mitglieder der Versammlung keinen Kom-
promiss finden1. In einem aktuellen Artikel in der Economic & Political Weekly, kritisiert
Jeevan Raj Sharma, dass die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften nur wenig konstruk-
tives zu den aktuellen Entwicklungen in Nepal beigetragen hätten. Abgesehen von einigen
journalistischen Artikeln und Berichten, die von internationalen Hilfsorganisationen geför-
dert werden, in denen Nepal entweder als failed state dargestellt oder die Rückkehr von re-
ligiösen und “ethnischen” Identitäten als Demokratisierungsprozess romantisiert würden,
hätte die akademische Welt den Diskurs um “Ethnizität” den Populisten im öffentlichen und
politischen Diskurs überlassen. Stattdessen fordert Sharma den Diskurs wieder aktiv mitzu-
gestalten und sich als Geistes- oder Gesellschaftswissenschaftler zentralen Fragen wie
“How should social scientists engage on issues such as ethnicity […] ?” und “What is the
role of anthropologists and historians when the knowledge that they produce is used for the
purpose of making claims on ethnic federalism?”, aber auch “Should the social scientists
accept the fixed ethnic categories used by activists, private donors and consultants or
should they adopt a more critical perspective on the construction of identities and fluidity of
boundaries?” (Sharma 2012: 45).
Daran anknüpfend möchte ich mich in dieser Bachelorarbeit mit der Wissensproduktion
um “Ethnizität” auseinandersetzen, um die Rolle der Geistes- und Gesellschaftswissen-
schaftler kritisch zu reflektieren. Der Begriff “Ethnizität” selbst ist mehr als undeutlich,
dennoch wird er in zahlreichen Publikation unterschiedlicher wissenschaftlicher Diszipli-
1 Zur Entstehung, Entwicklung und zum Ende der Verfassungsversammlung s. Kanak Mani Dixit (2012)
3
nen und in verschiedensten Kontexten verwendet und definiert. Auch in der Fachliteratur
über Nepal ist der Begriff heute sehr populär und zugleich umstritten. Besonders anthropo-
logische und zunehmend auch soziologische, politologische und historische Arbeiten bedie-
nen sich dieses Begriffs. Vor dem Hintergrund des Eingangszitats von Said (1989: 211)
werde ich zeigen, wie problematisch akademische Forschung und die damit angestrebte
Produktion von Wissen zu diesem Themengebiet in der Himalaya Region ist.
Martin Fuchs (1999) bietet dafür einen geeigneten Ansatz. Wie er unterscheide ich in
dieser Bachelorarbeit nicht kategorial zwischen den Fähigkeiten der Handelnden und denen
der wissenschaftlichen Analytiker. Das Thema “Ethnizität” in der Himalaya Region und
speziell in Nepal verlangt “eine Selbstreflexion der Analytiker auf die Beziehung zu ihrem
Anderen, zu denen, die »Objekte« ihrer Analyse sind (subjects im doppelten Wortsinne).”
(Fuchs 1999: 14). Ich vertrete wie Fuchs die Annahme, dass “die Selbstreflexion der Wis-
senschaft auf ihre Interaktion mit Anderen auch gesellschaftliche Konfrontations- und Inter-
aktionsprozesse erhellt, wie umgekehrt ein Blick auf solche Prozesse die intellektuelle In-
terpretation als soziale Praxis sichtbar macht” (Fuchs 1999: 14). Wissensproduktion meint
also eine intellektuelle Interpretation eines Untersuchungsgegenstands und wird als soziale
Praxis verstanden. Deshalb konzentriere ich mich auf zwei Aspekte: (1) die Repräsentation
der »Anderen«, speziell in “westlichen”2 wissenschaftlichen Texten, in denen “Ethnizität”
im Himalaya und Nepal zentraler Untersuchungsgegenstand bzw. analytisches Werkzeug ist
und (2) die Reflexion der Interaktion im “Dialog mit den Anderen” in der Feldforschung 3,
in denen mit Kategorien gearbeitet wird, die als “ethnisch” verstanden werden.
Basierend auf diesem Ansatz erläutere einleitend im ersten Kapitel die Begriffsherkunft
und stelle kurz die zentralen Theorieströmungen und -entwicklungen im akademischen Dis-
kurs um “Ethnizität” im Allgemeinen und anschließend im spezifischen Kontext der Hima-
laya Region und speziell in Nepal zusammenfassend vor. Aufbauend auf diesem Kontext
2 Mit “westlich” wird im Folgenden nicht als eine geographische Region, sondern als diskursiver Raum ver-standen. In diesem diskursiven Raum entstand auch das Konzept von “Ethnizität” und soll deshalb hier im Fokus stehen (Banks 1996). Andererseits soll der “nicht-westliche” diskursive Raum nicht vernachlässigt werden und Bestandteil der folgenden Untersuchung sein.
3 Der Begriff “Feldforschung” wird mit dem Begriff “Ethnographie” häufig synonym verwendet. Der damit eingehende Methodenkomplex hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert und wurde zunehmend systematisiert. Mehr zur Wissenschaftsgeschichte und Entwicklung der Feldforschung in der Anthropolo-gie und Ethnologie s. Kashuba ([1999] 2003: 196-211).
4
untersuche ich im zweiten Kapitel einige ausgewählte wissenschaftliche Publikationen zu
“Ethnizität” in der Himalaya Region, um herauszufinden, wie gegenwärtig mit der eigenen
Rolle als Analytiker umgegangen wird und wie bisher Wissen zu “Ethnizität” generiert
wurde bzw. welche möglicherweise neue Tendenzen sich aktuell abzeichnen. Vor diesem
Hintergrund kann ich mich im dritten Kapitel kritisch mit den generierten Materialien einer
eigenen kleinen Feldforschung zum Thema “Ethnizität”, die ich im Rahmen eines einjähri-
gen Auslandsstudiums in Kathmandu durchführte, auseinandersetzen.
Auf Basis der Annahmen von Said (1989) und dem theoretisch und methodischen An-
satz von Fuchs (1999) komme ich in Bezug auf Wissensproduktion zur “Ethnizität” im Hi-
malaya zu der Annahme, dass es unmöglich ist, so etwas wie 'unpolitisches' oder 'objekti-
ves' Wissen zu produzieren. Jeder Akademiker, Autor, Poet, Journalist oder auch Student
produziert Wissen unter gewissen Voraussetzungen und beeinflusst durch seine Wissenspro-
duktion den Untersuchungsgegenstand, seinen Kontext und diskursinterne Dynamiken. Es
ist nicht das Ziel dieser Bachelorarbeit eine neue Definition von “Ethnizität” im Kontext
der Himalaya Region zu erarbeiten, sondern vielmehr mit Hilfe der kritischen Selbstreflexi-
on die theoretische und methodische Grundlage für weitergehende Forschungen zu schaf-
fen. Zentrales Erkenntnisinteresse dieser kritischen Analyse ist herauszufinden, wie weiter-
hin Wissen zu “Ethnizität” produziert werden könnte und welche Probleme und Konse-
quenzen damit einhergehen. Letztlich geht es darum, sich über seine Rolle als Analytiker
durch kritische Reflexion in diesem spezifischem Kontext bewusst zu werden. Abschlie-
ßend strebe ich an zur Kritik Sharmas Stellung zu beziehen und mich selbst innerhalb die-
ses komplexen theoretischen und methodischen Diskurses positionieren zu können.
5
1. “Ethnizität”: Ursprung, Theorien, Methoden und der Diskurs im Himalaya und Nepal
Bevor eine Analyse der wissenschaftlichen Fachliteratur und eine kritische Reflexion
der durchgeführten empirischen Forschung möglich ist, erachte ich es als notwendig, zu-
nächst einen Schritt zurück zu gehen und sich den Fragen zu stellen: Woher kommt das
Wort “Ethnizität” und was ist dessen Bedeutung? Daher werde ich im ersten Kapitel zu-
nächst den etymologischen Ursprung des Wortes erläutern und einige Kernthesen und Defi-
nitionen wichtiger Autoren einführend vorstellen. Überleitend zum analytischen Teil werde
ich kurz zusammenfassen, wie “Ethnizität” Teil des akademischen Diskurses und der Wis-
sensproduktion im Himalaya und speziell in Nepal wurde.
1.1 “Ethnizität” im wissenschaftlichen Diskurs
Etymologischer Ursprung für “Ethnizität”, das Adjektiv “ethnisch” oder dessen substan-
tivierte Form “Ethnie” ist der griechische Begriff Ethnos (ἔθνος), welcher verschiedenste
Bedeutungen, wie “Gruppe”, “Volk”, “Gemeinschaft”, “Menschen” (etc.) hat. Der wissen-
schaftliche Diskurs und die damit einhergehende Wissensproduktion nahm seinen Anfang
mit Max Webers Definition und Verwendung des Begriffs “Ethnizität” bzw. der adjektivi-
schen Form “ethnisch” in seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft 1922:
Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkei-ten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerung und Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Ab-stammungsgemeinsamkeit hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird … 'ethnische' Gruppe nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht. (Weber (1922) 2001: 174)
Seitdem haben viele Akademiker diesen Begriff in unterschiedlichsten Kontexten und
in zahlreichen Disziplinen wie der Anthropologie, Soziologie, Sozialgeographie, aber auch
Sozialbiologie, Sozialpsychologie und Literaturwissenschaften definiert und angewandt.
Die Anzahl von Publikationen mit “Ethnizität” oder “ethnisch” im Titel scheint kaum noch
überschaubar (Banks 1996: 1). Dabei gibt es besonders häufig Überschneidungen mit ande-
6
ren Themenkomplexen und Begriffen, wie “Rasse”, “Nationalität” oder “Klasse”4, was die
Thematik noch komplexer macht. Seitdem haben sich zwei zentrale theoretische Strömun-
gen im wissenschaftlichen Diskurs entwickelt, die miteinander in Beziehung stehen und im
Folgenden zusammenfassend vorgestellt und problematisiert werden.
1.1.1. Premordialismus und Essentialismus
Als Premordialismus bzw. Essentialismus werden die Theorien eingeordnet, die “Ethni-
zität” als natürliche Kategorie behandeln. Dabei geht man davon aus, dass “Ethnizität” ein
permanenter und fundamentaler Aspekt menschlicher Identität sei und bereits über einen
langen Zeitraum existiere. Daher beschäftigen sich Akademiker aus dieser Theorieströmung
mit der Analyse von einzelnen Elementen und Aspekten, wie Sprache, Kleidung oder religi-
öse Praxen einer Gruppe, um zu definieren, was deren “Ethnizität” konstituiert. Vertreter ar-
gumentieren, dass es besser sei den “native point of view”, d.h. eine emische Perspektive
einzunehmen, anstatt externe Erklärungen und Definitionen auf eine Gruppe zu projizieren.
Besonders in der Anthropologie war ein premordialistisches bzw. essentialistisches Ver-
ständnis von “Ethnizität” sehr verbreitet, welches dieses Zitat verdeutlicht:
...a group of people, speaking one and the same language and admitting common origin, characterized by a set of customs and a life style, which are preserved and sanctified by tradition, which distinguishes it from oth-ers of the same kind. (Shirokogorov 1923: 122)
Kritik wurde ab den späten 1960er Jahren an der unproblematisierenden Darstellung
von “Ethnizität” als zu vereinfacht und fixiert beschriebenes Phänomen geübt. Zu den wohl
bekanntesten Kritikern dieser Theorien gehört Fredrik Barth. In seinem Artikel Ethnic
Groups and boundaries – The social organization of culture difference (1969) argumentiert
er, dass eine “ethnische Gruppe” als zugeschriebene und sozial konstruierte Einheit verstan-
den werden solle. Anstatt den “kulturellen Inhalt” dieser Einheit, sollten die Grenzen dieser
in den Fokus rücken. Daran anknüpfend entwickelte sich ein neuer Ansatz, der im folgen-
den Abschnitt vorgestellt werden soll.
4 Siehe Banks (1996) und Holst (2012) für mehr Details zur Abgrenzungen und Überschneidungen zwi-schen den Begriffen.
7
1.1.2. Instrumentalismus und Konstruktivismus
Der instrumentalistische bzw. konstruktivistische Ansatz steht im direkten Kontrast zum
Premordialismus bzw. Essentialismus. Dabei wird “Ethnizität” heute meist als ein “moder-
nes Phänomen” betrachtet (Glazer & Moynihan 1975: 1) und als diskursiv hergestelltes
Konstrukt verstanden. Basierend auf dieser Annahme kann “Ethnizität” auch als Ressource
verstanden werden, die als Instrument eingesetzt wird, um die politischen, sozialen und
ökonomischen Forderungen einer Gruppe zu rechtfertigen (Gellner [1997] 2005: 7-9).
Demzufolge sei “Ethnizität” also relational, durch die Dynamik im Wettbewerb um Res-
sourcen von “ethnischen Eliten” kreiert und durch politische und ökonomische Realität ein-
gegrenzt (Brass 1985). Das Verhältnis zwischen Machtzentren (wie z.B. Staaten) und “eth-
nischen Gruppen” gewinnt in wissenschaftlichen Arbeiten an Bedeutung (Levine 1987;
Holmberg 1989; Hangen 2010). Deshalb analysieren Instrumentalisten und Konstruktivis-
ten, wie bestimmte Elemente und Aspekte einer Gruppenidentität durch ihre Eliten betont,
als Repräsentation verwendet und Grenzen zwischen verschiedenen Gruppen verändert
werden, um politische und ökonomische Teilhabe zu erringen. Daher untersucht man nicht
mehr konstituierende Elemente “ethnischer Gruppen”, sondern versucht zu dekonstruieren,
wie sich “ethnische Kategorien” entwickelt haben. Häufig werden diese Theorien als einzi-
ge Möglichkeit dargestellt, bestimmte soziale und kulturelle Gruppierungen nicht-essentia-
lisiert, nicht-unproblematisiert und politisch korrekt zu repräsentieren.
Zum Ende des 20. Jahrhunderts nimmt die Kritik an dieser dominanten Theorieströ-
mung zu und es werden neue Wege gesucht. Marcus Banks (1996) schlussfolgert in seiner
Monographie Ethnicity – Anthropological Construction “Ethnizität” sei:
...a collection of rather simplistic and obvious statements about boundar-ies, otherness, goals and achievements, being and identity, descent and classification, that has been constructed as much by the anthropologist as by the subject. (Banks 1996: 189-190)
Banks kommt zu dem Schluss, dass “Ethnizität” zu Beginn ein Analyseinstrument meist
akademischer Forschung ist, welches dann vom wissenschaftlichen in den politischen und
öffentlichen Diskurs vorgedrungen ist. Auf die Frage, wie mit dieser Situation als Wissen-
schaftler folglich umgegangen werden kann, wie also noch geforscht und Wissen zu „Ethni-
8
zität“ unter diesen Voraussetzungen generiert werden kann, gibt er keine Antwort. Mit ei-
nem vergleichbaren Phänomen sah sich Said (1985) im Zusammenhang mit dem akademi-
schen Konstrukt des “Orientalismus” konfrontiert: “...there is some reason for alarm in the
fact that [Orientalism's] influence has spread to the “Orient” itself ...” (Said 1985: 322).
Diesem Problem stellen sich seit einigen Jahren vor allem Anthropologen, die mit Gruppen
arbeiten, die sich der von außen zugeschriebenen Kategorien bemächtigt haben. Charles
Hale (2006) formulierte seine Kritik am instrumentalistischen bzw. konstruktivistischen
Ansatz wie folgt:
As long as the heavy weapons of deconstruction are aimed at the powerful, the proposal remains on high ground. But what about the other 'sites' of a multisited ethnography? How do we responsibly address situations in which the relatively powerless are using the same vexed categories to ad-vance their struggles? (Hale 2006: 102)
1.1.3. Der 'Activist Research' Ansatz
Neuere wissenschaftliche Publikationen, speziell aus den Latein Amerika Studien (Fi-
scher 1999; Warren & Jackson 2002; Hale 2006) und Australien (Myers 2002; Povinelli
2002), aber auch zum Himalaya (Shneiderman & Turin 2006) kritisieren die dominanten
Theorien der Instrumentalisten und Konstruktivisten. Dabei wird besonders die angenom-
mene dichotome Beziehung zwischen Premordialismus/Essentialismus und Instrumentalis-
mus/Konstruktivismus in Frage gestellt. Zumeist entscheiden sich die Autoren für einen der
beiden Ansätze. Der von dem Anthropologen Charles Hale formulierte 'Activist Research'
Ansatz sieht dazu keine Notwendigkeit. Stattdessen entstehe durch die Mediation zwischen
diesen beiden Positionen ein breiterer produktiver Raum. Anstatt die Wissenschaft getrennt
vom Aktivismus für subalterne, indigene oder als “ethnisch” bezeichnete Gruppen zu be-
treiben, wie es Vertreter der Instrumentalisten/ Konstruktivisten häufig postulieren, positio-
nieren sich die Wissenschaftler, die mit dem 'Activist Research' Ansatz arbeiten, bewusst
politisch:
9
Activist research, in contrast [to instrumentalism/constructivism, d.V.], af-firms dual political commitments from the start. Activist anthropologists attempt to be loyal both to the space of critical scholarly production and to the principles and practices of people who struggle outside the academic setting. These dual political commitments transform our research methods directly […]. Dual loyalties to an organized group in struggle and to rigor-ous academic analysis often are not fully compatible with one another. They stand in tension, and at times, the tension turns to outright contradic-tion. At the same time, such tension is often highly productive. It not only yields research outcomes that are potentially useful to the political with which one is aligned; but it can also generate new insight and knowledge that challenge and transform conventional academic wisdom.(Hale 2006: 105-105)
1.2 “Ethnizität” im Himalaya und Nepal:
In diesem kurzen wissenschaftshistorischen Überblick unterscheide ich zwischen einer
ersten und zweiten Generation von Wissensproduzenten. Erstere generierte Wissen zu “Eth-
nizität” Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre, wobei ein premordialistisches
Verständnis von “Ethnizität” dominierte. Danach entwickelte sich eine zweite Generation
von Wissensproduzenten, die vor allem den konstruierten und instrumentellen Charakter
von “Ethnizität“ betonen.
1.2.1 Die 1. Generation: Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre
Seit der Entstehung des heutigen Nepals Mitte des 18. Jahrhunderts und die territoriale
Ausdehnung des Gorkha Kleinstaates durch Prithvi Narayan Shah und seine Nachkommen,
gab es Versuche sich gegen äußere Einflüsse abzuschirmen, besonders gegen das sich aus-
breitende British Empire bzw. die British East India Company (BEIC). Die Shah Dynastie
wollte im eigenen Territorium ein Asal Hindusthan errichten (Whelpton 2005). Der Muluki
Ain des 1846 gewaltsam an die Macht gelangten Rana Regimes griff dieses Vorhaben auf
und versuchte die soziokulturell extrem heterogenen Gruppen innerhalb des 1816 im Ab-
kommen von Sugauli festgelegten Territoriums der “Gorkha Könige”5 unter einer “Hindu-
5 Bis in die 1930er Jahre war das heutige Nepal als “Gorkha” und die Landessprache als “Gorkhali” bekannt (Burghart 1984: 118-119). Bis heute assoziieren einige ländliche Bewohner “Nepal” nur mit dem Kath-mandu Tal.
10
Hierarchie“ zusammenzufassen. Basierend auf dem Prinzip “hinduistischer Reinheit” als
Varna6 und Jāt7 kategorisierte und hierarchisierte der 1854 in Kraft getretene Gesetzestext
auf mehr als 700 Seiten die einzelnen Gruppen, legte ihre Rechte und Pflichten, sowie Stra-
fen detailliert schriftlich fest (Höfer 1979)8.
Erst die zweite Generation wissenschaftlicher Arbeiten seit Ende der 1970er Jahre ha-
ben zu unserem Verständnis der Kategorisierungsprozesse durch den Muluki Ain und dem
sich entwickelnden Nationalstaat Nepals substanziell beigetragen, u.a. Höfer (1979), Burg-
hart (1984), Levine (1987) und Gellner, Pfaff-Czarnecka und Whelpton ([1997] 2005). Aus
der Zeit selbst gibt es neben den Aufzeichnungen christlicher Missionare nur die Berichte
von Colonel William Kirkpatrick (1811)9 und Francis Buchanan Hamilton (1819)10, der den
Begriff “military tribes” als Kategorie erstmals verwendete. Diese Schriften bildete die
Wissensgrundlage für Brian Houghton Hodgson, der Anfang der 1820er Jahre als British
Resident nach dem Krieg zwischen den Gorkha Herrschern und der BEIC (1814-1816)
nach Kathmandu kam11. Neben seinen offiziellen Aufgaben widmete sich Hodgson intensi-
ven wissenschaftlichen Forschungen zur Ornithologie, Zoologie, Sprachen, Religion und
den “military tribes” (Hodgons 1833) im Himalaya und insofern auch zu “Ethnizität”. Er
entwickelte auf Basis der Berichte von Kirkpatrick und Hamilton, sowie seinen eigenen
Forschungen erste linguistische und „tribale“ Kategorien für die einzelnen „military
tribes“. Während seines Aufenthalts war es ihm selbst nicht gestattet, das Kathmandu Tal
zu verlassen und er war damit auf die vor – interpretierten Informationen seiner Mitarbeiter,
meist aus der hinduistischen Elite, angewiesen (Gaenszle 2004; Waterhouse 2004).
Trotz der begrenzten methodischen Möglichkeiten und theoretischem Wissen bildeten
seine linguistischen und “tribalen” Kategorien zusammen mit den Kategorien des nepalesi-
6 Mit der Kategorie Varna werden die vier Stände Brahman, Kshatriya, Vaishya und Sudra beschrieben. Dieses ”hinduistische” Konzept wird auch häufig in der Literatur als “Kastensystem” bezeichnet. Auf-grund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit und der Komplexität der Thematik, soll diese Diskussion nicht weiter vertieft werden.
7 Jāt lässt sich aus dem Sanskrit Wort Jan herleiten und kann u.a. “Herkunft” oder “Geburt”, aber auch “Typ”, “Art” oder sogar “Spezies” bedeuten (Höfer 1979: 46; Burghart 1984; Gellner [1997] 2005: 13)
8 Siehe Anhang (a) für kategorische Hierarchisierung im Muluki Ain von 1854.9 W. Kirkpatrick (1811)10 F. Buchanan Hamilton (1819)11 B.H. Hodgson war 1825-1833 als Assistant Resident und von 1833-1843 als Resident in Kathmandu statio-
niert.
11
schen Staates12, angelehnt an den Muluki Ain, die Grundlage wissenschaftlicher Forschung
im Himalaya noch in den 1950er Jahren (Holmberg 1988). Es dominierte zunächst ein pre-
mordialistisches Verständnis von “Ethnizität”. Daher lag der Schwerpunkt der ersten Gene-
ration von “Himalayaisten” darauf, die bisher unentdeckte “Kultur” bzw. später “Ethnizität”
der Menschen in den unzugänglichen Regionen des Himalaya zu dokumentieren13. Zu den
ersten solcher Arbeiten gehört die des Österreichers Christoph von Fürer-Haimendorf zu
den Sherpa (1964), des Franzosen Bernard Pignède zu den Gurung (1966) und John Hitch-
cock aus den USA zu den Magar (1966) (Shneiderman & Turin 2006: 99).
1.2.2. Die 2. Generation: 1950er-2000er
Als das Rana Regime im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung Indiens 1951 endete, er-
öffneten sich neue Möglichkeiten zur Partizipation in der Staatsgestaltung und somit an Ka-
tegorisierungsprozessen. Bis König Mahendra 1960 das gerade erst eingeführte Mehrpartei-
en-System wieder abschaffte, politische Parteien verbot und die gewählte Regierung ab-
setzte, gründeten gut ausgebildete Eliten einiger größerer Gruppen die ersten Organisatio-
nen, die die von Staat und Wissenschaft etablierten Kategorien für sich beanspruchten und
begannen, als Aktivisten für ihre jeweiligen Gruppen zu agieren. Diese Organisationen kon-
zentrierten in der Zeit des Panchayat Systems darauf die “Kultur ihrer Ethnie zu revitalisie-
ren” und ihre “Sprache wiederzuentdecken”. Politischer Aktivismus auf Basis von “Ethnizi-
tät” war verboten.
Die daraus entstandene, heute als Jana Andolan bekannt gewordene, soziale Bewegung,
der sich auch Frauen und Dalits anschlossen, konnte bis 1990 genügend Unterstützer mobi-
lisieren und den Monarchen Birendra dazu bringen, eine neue Verfassung zu promulgieren,
in der Nepal als “multiethnische, multilinguale, demokratische, unabhängige, unteilbare,
souveräne, hinduistische und konstitutionelle Monarchie” (Artikel 4, Übersetzung d.V.) de-
finiert wird. Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, die nach 1990 entstanden, haben sich
detailliert mit der Entwicklung des heute als “ethnischer Aktivismus” bezeichneten Phäno-
mens und der sozialen Bewegung der Adivasi Janajātï auseinandergesetzt, u.a. Gellner
12 Nach 1911 wurden die Kategorien auch im National Census reproduziert.13 Ronald Cohen hat gezeigt, dass der Begriff “Ethnizität” Ende der 1980er ersetzt hatte, was zuvor als “Kul-
tur” oder “Stamm” bezeichnet wurde (1978: 379).
12
(2008), Hangen (2010) und Kukuzcka (2011).
Zwischen den 1970er Jahren und den 1990er Jahren entwickelte sich der Begriff “Eth-
nizität” nicht nur mehr zum festen Bestandteil des akademischen, sondern auch des politi-
schen und öffentlichen Diskurses. In der zweiten Generation von Wissensproduzenten lässt
sich zudem eine Verschiebung vom premordialistischen und essentialistischen hin zu einem
instrumentalistischen und konstruktivistischem Ansatz bei der Erforschung von “Ethnizität”
feststellen. Außerdem ist die Wissensproduktion zu “Ethnizität” nicht mehr auf Analytiker
aus westlichen Regionen (wie Großbritannien, Frankreich, USA und Deutschland) be-
grenzt, sondern eine zunehmende Anzahl von Wissenschaftlern aus der Region selbst setzen
sich mit der Thematik auseinander bzw. verwenden “Ethnizität” in ihren Analysen. Dabei
steht vor allem das premordialistische Verständnis in Analysen der ersten Generation von
Wissensproduzenten und die im vorherigen Abschnitt dargelegten Mängel dieser theoreti-
schen Strömung im Zentrum der Kritik (Shneiderman & Turin 2006: 101).
Trotz einiger Zugeständnisse der Regierungen gegenüber den Forderungen der Frauen,
Dalit und Janajātī, konnten die sozioökonomischen, politischen und kulturellen Disparitä-
ten zwischen dominanten und marginalisierten Gruppen nicht überwunden werden. Im Fe-
bruar 1996 erklärte eine Splittergruppe der Communist Party of Nepal (CPN) der konstitu-
tionellen Monarchie den Krieg. Eine zweite Jana Andolan im April 2006 ermöglichte im
November 2006 das Friedensabkommen (CPA) zwischen der 'Sieben Parteien Allianz', den
maoistischen Rebellen und dem Monarchen Gyanendra und das Ende den zehnjährigen
Jana Yuddha ('People's War'). Im Friedensabkommen und der Übergangsverfassung (2007)
wurde vereinbart, im April 2008 die Wahlen zu einer Verfassungsversammlung abzuhalten.
Die Monarchie wurde beendet und das ehemalige “Hindu Königreich” zu einer säkularen
Republik erklärt. Wie einleitend erwähnt, wurde die Verfassungsversammlung am 27. Mai
2012 ohne Ergebnis wieder aufgelöst und Neuwahlen angekündigt.
In der Zeit zwischen 1990 bis heute hat die Wissensproduktion um “Ethnizität” einen
erneuten Wandel durchlebt. Den aktuellen Kontext zur Wissensproduktion von “Ethnizität”
bilden: die sich wandelnden politischen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen
auf lokaler, regionaler und globaler Ebene, die wachsende Diaspora Gemeinschaft, der zu-
nehmende Organisationsgrad zahlreicher neuer Interessensgruppen, die Politisierung ver-
13
schiedenster Identitätskonstruktionen vor allem durch die Maoisten, die Entwicklung und
Verbreitung neuer Technologien (speziell die Kommunikationstechnologie), die „Internatio-
nalisierung“ (Kukuzcka 2011) und „Indigenisierung“ (Gellner 2012) des öffentlichen und
politischen Diskurses um “Ethnizität” durch die Unterzeichnung der ILO No. 169 (“Con-
vention on Indigenous and Tribal People”) der UN. Im Rahmen dieser Ereignisse wurde die
Kategorie Janajātī um den Zusatz Adivasi (der allgemein mit “indigen” übersetzt wird) er-
weitert und die neue Kategorie Madhesi tauchte nach den Unruhen im Terai, die kurz nach
der Verkündung der Übergangsverfassung aufflammten, zunächst im politischen und öffent-
lichen und kurz danach auch im akademischen Diskurs auf (Lawoti & Pahari 2010: Kapitel
8). Diese beiden Kategorien, Adivasi Janajātī und Madhesi, sind es auch, die im aktuellen
akademischen, politischen und öffentlichen Diskurs mit Hilfe des Begriffs “Ethnizität” ver-
standen und interpretiert werden.
1.3. Zwischenfazit und Ausgangspunkt für Analyse:
Der akademischen Diskurs um “Ethnizität” erlebte im Kontext der Wissensproduktion
im Himalaya und speziell Nepal selbst einen Wandel, vom premordialistischen und essen-
tialistischen hin zu instrumentalistischen und konstruktivistischen Ansätzen. Einzig die Me-
thodik der Feldforschung bleibt weiterhin, bis auf einige Ausnahmen, die dominante und
bevorzugte Methode aller Wissensproduzenten.
Nach 1990 haben sich besonders „westliche“ Akademiker kritisch mit der Wissenspro-
duktion um “Ethnizität” der ersten Generation, den meist essentialisierten Darstellungen
auseinandergesetzt. Daran anknüpfend, werde ich im folgenden Kapitel einige häufig rezi-
pierte Fachliteratur zur Himalaya Region untersuchen, um den aktuellen Stand der For-
schung und die jeweiligen Positionen in der Debatte um den theoretischen und empirischen
Ansatz herauszuarbeiten.
14
2. Analyse und kritische Reflexion der aktuellen Fachliteratur zu “Ethnizität” im Himalaya und Nepal
Die Autoren bzw. Herausgeber der hier analysierten Fachliteratur kommen sowohl aus
Europa, Nordamerika, aber auch aus der Himalaya Region selbst. In allen zu untersuchen-
den Arbeiten ist “Ethnizität” zentraler Bestandteil der intellektuellen Interpretation sozialer
und kultureller sowie politischer Phänomene bzw. Transformationsprozesse. Zentrales Er-
kenntnisinteresse der Analyse ist das Verhältnis zwischen »Analytiker« und »Analysierten«.
Daher untersuche ich zunächst die Kernthesen zur theoretischen Position und dessen Um-
setzung in die empirische Forschung der einzelnen Autoren, um damit zum einen den aktu-
ellen Stand des akademischen Diskurses herauszuarbeiten und zum anderen den Kontext
für eine kritische Selbstreflexion der eigenen Forschung herzustellen. Auswahlkriterien bei
der Fachliteratur waren Aktualität und Relevanz im akademischen, aber auch politischen
und öffentlichen Diskurs der jeweiligen Position, sowie disziplinäre Vielfalt.
2.1. Nationalism and Ethnicity in a Hindu Kingdom: The Politics of Culture in Contemporary Nepal ([1997] 2005):
Der Sammelband wurde 1997 von David N. Gellner, Joanna Pfaff-Czarnecka und John
Whelpton herausgegeben und gehört bis heute zur Standardfachliteratur zu “Ethnizität” im
Himalaya und speziell in Nepal. Sowohl Forscher aus Europa, Nordamerika, aber auch aus
Nepal haben daran mitgewirkt und sich selbst zum Teil kritisch mit den Thesen des Sam-
melbands auseinandergesetzt. Bis heute beeinflusst es den akademischen Diskurs um “Eth-
nizität” und darüber hinaus. Eine überarbeitete und erweiterte zweite Auflage wurde 2005
veröffentlicht, auf die ich mich in der Analyse beziehe.
2.1.1. Ein kurzer Überblick
Auf mehr als 500 Seiten (der 2. Auflage 2005), setzen sich Analytiker aus Perspektive
verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen mit dem Thema in insgesamt 12 Beiträgen
auseinander. Die Herausgeber unterteilen die 12 Beiträge in fünf Kapitel. Die übrigen drei
Beiträge bilden gemeinsam das Fazit als sechstes und abschließendes Kapitel. Der Einlei-
15
tung, in der der theoretische und empirische Rahmen für die nachfolgenden Analysen abge-
steckt wird, folgt im ersten der fünf Kapitel des Hauptteils die Darstellung, Analyse und
Diskussion der dominanten und Diaspora Identitätskonstruktionen in drei Beiträgen. Im
zweiten Kapitel analysieren und dokumentieren die Autoren als “ethnische Kategorien”
verstandene Identitätskonstruktionen und deren Wandel im “zentralen Nepal”. In den drei
Beiträgen werden die”ethnischen Kategorien” der Newar, Gurung und Tamang und dessen
spezifischer Wandel als Beispiel angeführt. Im dritten Kapitel “The Terai” konzentrieren
sich die Analytiker auch hier auf Identitätskonstrukte und dessen Wandel der Maithil und
Tharu in zwei Beiträgen. Im vierten Kapitel demonstrieren die Autoren am Beispiel der Ka-
tegorien Thulung Rai, Yakha und Mehawang Rai, wie “ethnische Identität” im Laufe der
Zeit im sich ständig ändernden Kontext in “Ost Nepal” immer wieder neu verhandelt wird.
Das fünfte Kapitel “The Northern Fringe” umfasst nur einen Beitrag, in dem der Autor ver-
sucht herauszuarbeiten, weshalb Bhotiyas keine “ethnische Gruppe” seien. Die Schlussbe-
merkung ist dagegen wieder sehr umfangreich und besteht aus drei Beiträgen von einem
der Herausgeber und zweier aus Nepal kommender, aber in Indien ausgebildeter Akademi-
ker.
2.1.2. Kernthesen zu Theorie und Empirie:
Schon im Vorwort beziehen die Herausgeber Stellung zum Verständnis der eigenen
Position:
The matters dealt with in this book are inevitably controversial and extremely serious for Nepalis themselves. It should be borne in mind that to describe events and movements does not in any sense indicate approval or support for any specific political position. As foreign academics our job is simply to pro-vide a record and analysis. It is for the Nepali people themselves to determine their own political destiny (Gellner et. al. [1997] 2005: xvii).
Daran wird deutlich, dass die Herausgeber sich als Wissenschaftler aus den aktuellen sozia-
len, politischen und kulturellen Transformationsprozess heraushalten wollen und es anstre-
ben, eine Zentralperspektive einzunehmen. Darauf aufbauend diskutiert Gellner in der Ein-
leitung den theoretischen und empirischen Rahmen des Sammelbands. Er stellt dabei den
premordialistischen Ansatz dem Instrumentalismus in dichotomer Weise gegenüber, fasst
16
die Kritik am Premodialismus zusammen, bevor er den eigenen theoretischen und
empirischen Rahmen des Sammelbands definiert.
Auf der theoretischen Ebene diskutiert Gellner zunächst einige zentrale Theorien zu
“Ethnizität” und kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass nur ein modernistischer Ansatz
als geeignet in Frage kommt. Darin vereint er instrumentalistische und premordialistische
Annahmen, indem er zwischen “Ethnizität” und “ethnischer Identität” unterscheidet. Erste-
res sei ein politisches Phänomen, werde von Aktivisten als Instrument eingesetzt, um sich
politische und ökonomische Vorteile zu verschaffen und sei erst seit kurzem in Nepal zu be-
obachten. „Ethnische Identität“ dagegen ist Gellner zufolge ein kulturelles Phänomen und
knüpft dabei an die sechs “Dimensionen ethnischer Identität” von Smith (1986: 22-31) an:
”I would prefer to say that when a given population shares a common language, a common
culture, and a common attachment to a given territory, or at least a historical link to these
shared features, it thereby constitutes an ethnic group.” (Gellner 2005: 16).
Im Anschluss argumentiert Gellner in Bezug auf die Empirie dahingehend, dass der
“view from below” (2005: 18) in Form von Feldforschung als geeigneter und notwendiger
Methodenkomplex eingesetzt werden müsse. Diese theoretischen und empirischen Rah-
menbedingungen seien auch Grundlage der Beiträge der anderen Autoren. Auf einer Karte
von Nepal sind die Orte, an denen die jeweiligen Feldforschungen durchgeführt wurden,
markiert.
2.1.3. Kritische Reflexion
Im theoretischen Rahmen dieser Bachelorarbeit sind sowohl Struktur und Aufbau, so-
wie theoretischer und empirischer Rahmen des Sammelbands als problematisch einzuord-
nen. Erstens vertrete ich, angelehnt an Fuchs (1999: 14) die Auffassung, dass man als Wis-
senschaftler keine Zentralperspektive einnehmen kann, von der aus man repräsentative
Aussagen macht und sich einer politischen Positionierung im Diskurs entziehen kann. Der
Sammelband ist als intellektuelle Interpretation, als Beteiligung am Diskurs um
“Ethnizität” in Nepal und somit als soziale Praxis, die politische Konsequenzen haben
kann, zu verstehen. Stattdessen suggeriert die Arbeit, dass beispielsweise die Erkenntnisse
der Analyse der Newar, Tamang oder Gurung auch auf andere Gruppen und Kategorien im
17
“zentralen Nepal” usw. übertragbar seien. Dies ist klar anzuzweifeln, da die Kategorien an
sich sehr heterogen sind und der spezifische Kontext für andere Gruppen und Kategorien
von Region zu Region stark variieren kann. Zweitens fällt bei Struktur und Aufbau des
Sammelbands auf, das Gruppen und Kategorien, die in den geographischen Grenzregionen
(z.B. zwischen nördlichem Hochland und dem zentralen Hügelland) leben und die erst seit
Kurzem oder noch nie Gegenstand wissenschaftlicher Analyse waren bzw. durch den Staat
postuliert wurden (z.B. Thami), vernachlässigt werden.
Der Sammelband löste eine kritische Debatte über die Wissensproduktion zu „Ethnizi-
tät“ im Himalaya aus, die weiterhin andauert. Die Kritikpunkte der meist „nepalesischen“
Autoren lassen sich wie folgt zusammenfassen: (1) die meisten Autoren kommen aus Euro-
pa; (2) die Gruppen, die im Sammelband Gegenstand der Untersuchung sind, repräsentieren
die Vielfalt und Diversität der „nepalesischen Gesellschaft“ inadäquat; (3) der Sammelband
sollte in mehrere Sprachen, sowohl Nepali als auch in die Sprachen der jeweiligen Gruppen
übersetzt werden; (4) alle Theorie und Wissensproduktion sollte von Mitgliedern der jewei-
ligen Gruppen ausgehen, während der „westliche“ Forscher reflektieren soll, weil er keine
Legitimation zur Repräsentation habe14. Als Reaktion darauf formulierte Gellner in einem
Artikel in der Fachzeitschrift Contribution to Nepalese Studies fünf Regeln zum Studium
von “Ethnizität” und “Nationalismus”15.
2.2. Ethnic Revival and Religious Turmoil: Identities and Representations in the Himalayas (2003)
Die Herausgeber Marie Lecomte-Tilouine und Pascale Dollfus vereinen in diesem Sam-
melband die Beiträge eines Workshops, der 1998 unter dem Titel: Representation of the
Self, Representation of the Other in the Himalayas: Space, History, Culture in Frankreich
stattfand. Schon in der Einleitung nehmen die Herausgeber Bezug zur Kritik an der
Wissensproduktion im Himalaya, die sich nach der Veröffentlichung von Nationalism and
14 Mehr zur Kritik am Sammelband siehe Battachan (1998).15 Er fordert, dass: (1)“Ethnizität” und “Nationalismus” nicht als “natürlich” oder “inhärent” verstanden wer-
den; (2) nach dem “Bottom-up” Prinzip untersucht werden sollten; (3) Wissenschaftler nicht annehmen, dass “ethnische Aktivisten” und “ordinary people” dieselbe Agenda teilen; (4) Forscher sich über die “Fluidität von Grenzen” bewusst sind und (5) “Ethnizität” immer im historischen Kontext untersucht wer-den sollen (2001: 1-10).
18
Ethnicity in a Hindu Kingdom (1997) entwickelt hatte. Insofern eignet sich der Sammel-
band, um die Weiterentwicklung des Diskurses um “Ethnizität” zu illustrieren.
2.2.1. Ein kurzer Überblick
Abgesehen von der Einleitung sind die insgesamt zwölf Kapitel so aufgebaut, dass der
Beitrag eines Autors durch einen anderen Autor kommentiert wird. Dadurch beteiligten sich
insgesamt 23 Akademiker an den insgesamt 340 Seiten an der Untersuchung von Artikulati-
on, Konstruktion und Instrumentalisierung religiöser und “ethnische Identitäten” aus ver-
schiedenen Perspektiven. Die Herausgeber stellen die Beziehung zwischen den “ethnischen
Gruppen” im Himalaya und weniger deren Beziehung zu Machtzentren ins Zentrum des Er-
kenntnisinteresses. Außerdem wird der geographische Rahmen erweitert, indem nun auch
Regionen im Himalaya untersucht werden, die im heutigen Indien bzw. Pakistan liegen. Ei-
nige der Autoren hatten auch schon an Gellner et.al. ([1997] 2005) mitgewirkt. Trotz der
Kritik nepalesischer Akademiker (allen voran Dr. Krishna B. Battachan) trugen ausschließ-
lich “westliche” Akademiker, die meisten Anthropologen, zu diesem Sammelband bei.
2.2.2. Kernthesen zu Theorie und Empirie
Die erste Hälfte der Einleitung des Sammelbands ist der theoretischen und empirischen
Verortung innerhalb verschiedener Diskurse gewidmet, während in der zweiten Hälfte die
einzelnen Beiträge kurz vorgestellt werden. Der theoretische Rahmen in Bezug auf “Ethni-
zität“ wird gleich zu Beginn in die instrumentalistische und konstruktivistische Theorieströ-
mung eingeordnet (Lecomte-Tilouine & Dollfus 2003: 1). Als “ethnische Gruppe” ist dage-
gen eine Gruppe von Menschen, die das gleiche Ethnonym anerkennen und teilen (2003: 6).
Anschließend widmet man sich ausführlich einer Stellungnahme zu folgenden Kritikpunk-
ten an der Wissensproduktion über den »Anderen« mit dem ziel, sie zu entkräften: zur
Kritik an der Legitimität der Anthropologie, wie sie von Said in Orientalism (1978) formu-
liert wurde; zur Kritik des weiter wachsenden akademischen Diskurses in Nepal um “Ethni-
zität” und die Rolle ”westlicher” und “nepalesischer” Akademiker (2003: 1-12) und kommt
zu dem Schluss:
19
Although we do not deny that a specific focus on a group may have im-portant consequences because it will benefit from this publicity via tour-ism, foreign aid, and more generally via the interest it will raise, these are side-effects of the social sciences which are not directly under the control of individuals. (Lecomte-Tilouine & Dollfus 2003: 11)
Die Herausgeber schenken der Theoriedebatte um “Ethnizität” weniger Aufmerksam-
keit und verweisen diesbezüglich auf Gellner et.al. ([1997] 2005). Stattdessen fokussieren
Lecomte-Tilouine und Dollfus das Verhältnis von »Analytiker« zum »Analysierten« und
fordern letztendlich, dass die intellektuelle Interpretation, d.h. die Wissensproduktion im-
mer Distanz zum untersuchten »Objekt« wahrt. Sei dies nicht der Fall, laufe man Gefahr,
Wissen für anstatt über eine bestimmte Gruppe zu produzieren, was zur Entstehung neuer
Typen von Wissenschaftlern führe: “...whose task is not to understand reality but to judge it,
as part of ethnic tradition or not, as authentic or not, as good or not” (Lecomte-Tilouine &
Dollfus 2003: 9).
Auf der Grundlage dieser theoretischen Annahmen verwenden die Autoren in diesem
Sammelband neben verschiedenen Feldforschungsmethoden auch andere empirische Ansät-
ze, z.B. aus den Literatur- oder Geschichtswissenschaften. Die Kommentare zu jedem Bei-
trag stellen insofern eine Bereicherung dar, als das eine weitere Analyse und somit eine
weitere Perspektive auf generierte Materialien aufgetan wird. Inwiefern die Umsetzung des
theoretischen Standpunkts zur Wahrung der kritischen Distanz zwischen »Analytiker « und
»Analysiertem« in der Empirie gelang, soll in der folgenden kritischen Reflexion genauer
untersucht werden.
2.2.3. Kritische Reflexion
In diesem Sammelband versuchen die Herausgeber und die einzelnen Autoren, eine
Antwort auf die Kritik zu ihren theoretischen und empirischen Annahmen und Vorgehens-
weisen zu entwickeln. Der instrumentalistische und konstruktivistische theoretische Rah-
men wird leider vernachlässigt, während der Kritik an der Legitimität der Wissensprodukti-
on “westlicher” Akademiker über den »Anderen«, speziell an der Anthropologie sehr viel
Raum und Aufmerksamkeit geschenkt wird. Insofern stellt der Sammelband eine Ergän-
zung des theoretischen Rahmens dar, wie der in Gellner et.al. ([1997] 2005) entworfen wur-
20
de. In Struktur und Aufbau spiegelt sich dieser theoretische Rahmen, besonders in der Idee
jeden Beitrag zu kommentieren, wieder.
Für problematisch halte ich den erneuten Anspruch, eine Zentralperspektive einnehmen
zu können, indem man sich in der (mentalen) Distanzierung gegenüber seines zu analysie-
renden »Objektes« übt. In Struktur und Aufbau des Sammelbands lässt sich zudem eine
Trennung zwischen “westlichem” und “nepalesischem” bzw. regionalen Diskurs um „Eth-
nizität“ ausmachen. Da an der Konferenz scheinbar nur Akademiker aus Nordamerika und
Europa teilnahmen und einen Beitrag zum Sammelband leisteten, klammerte man den Dis-
kurs in der Himalaya Region selbst aus. Die Perspektive und Kritik der Akademiker aus der
Region selbst wird dabei zu entkräften versucht, um die eigene Wissensproduktion zu legi-
timieren.
Fraglich bleibt, weshalb die Herausgeber sich entschlossen haben ihre theoretischen
Annahmen nicht erneut zu überprüfen und sich der gewaltigen Herausforderung anzuneh-
men, eine gleich verteilte Repräsentation aller Gruppen und Kategorien in einer Art Enzy-
klopädie als ein größer angelegtes Projekt, mit Hilfe der neuen Kommunikationstechnologi-
en, zu erarbeiten.
2.3. The Rise of Ethnic Politics in Nepal: Democracy in the margins (2010)
In der 2010 publizierten Monographie der Anthropologin Susan I. Hangen versucht sie
zu zeigen, dass “ethnische Parteien” eine demokratisch politische Ordnung eher stärken als
destabilisieren. Auf Grundlage der zehnjährigen “Feldforschung” in Ost-Nepal möchte sie
Demokratisierungsprozesse in marginalisierten geographischen Regionen am Beispiel der
Mongol National Organization (MNO) aufzeigen. Die Monographie widmet sich intensiv
der Analyse des um 1990 entstandenen Phänomens “ethnischer Parteien” und stellt dadurch
die Fortsetzung des akademischen Diskurses um “Ethnizität” im Himalaya dar. Deshalb
und wegen ihrer Aktualität muss auch diese Arbeit in einer kritischen Reflexion berücksich-
tigt werden.
21
2.3.1. Ein kurzer Überblick
Auf den 170 Seiten arbeitet Susan I. Hangen die sozialen, politischen und kulturellen
Transformationsprozesse in Nepal seit 1990 detailliert auf. Dafür verortet sie die Analyse in
der Einleitung im wissenschaftlichen Diskurs um “Demokratie” und “ethnische Politik” und
damit indirekt im Diskurs um “Ethnizität”. Im anschließenden ersten von insgesamt sechs
Kapiteln schafft sie zunächst den historischen Kontext zur Demokratie in Nepal, bevor sie
sich der Beschreibung der “ethnischen Vielfalt” und “Ungleichheit” zwischen den Gruppen
und Kategorien widmet. Im zweiten Kapitel fokussiert sie die Entwicklung der Bewegung
der Adivasi Janajātī16 und arbeitet dabei verschiedene Organisationsformen dieser Gruppen
heraus. Der Spezialfall “ethnische Parteien” als eine der zuvor identifizierten neuen Organi-
sationsformen wird am Beispiel der MNO im dritten Kapitel detailliert untersucht. Hangen
argumentiert, dass diese eine Hybridform aus politischer Partei und institutionalisierter so-
zialer Bewegung sei. In Kapitel vier und fünf beschreibt Hangen die Funktionsweise der
MNO in einem village government, also auf lokal-politischer Ebene und das Phänomen der
“Politics of Culture”, also die Politisierung von Identitätskonstrukten am Beispiel der als
“ethnisch” interpretierten Kategorie “Mongol”. Das sechste Kapitel analysiert den als
religiös und politisch verstandenen Transformationsprozess vom “Hindu” zum “Nicht-Hin-
du”. In der Schlussbemerkung gibt Hangen einen Ausblick auf die zukünftige Rolle und Be-
deutung “ethnischer Parteien” in einem “neuen Nepal” und bezieht sich dabei konkret auf
die Wahl zur Verfassungsversammlung 2008.
2.3.2. Kernthesen zu Theorie und Empirie
Auf theoretischer Ebene schließt sich Hangen in Bezug zur Definition von “Ethnizität”
dem Großteil “westlicher” Akademiker an, distanziert sich von premordialistischen Ansät-
zen und betont den konstruierten Aspekt von “Ethnizität”:
As anthropologists and other social scientists have argued for several decades, ethnic identities are not primordial or fixed but, rather, are constructed in par-ticular social contexts. Ethnic identification is a highly fluid process. Power relations structure the formations and definition of ethnic identities, including
16 Hangen (2010) bezieht sich hier auf die englische Übersetzung Indigenous Nationalities und verwendet diesen Begriff bevorzugt.
22
relationships between different groups, and the relationships between ethnic group and the state. (Hangen 2010: 15)
Sie knüpft also an den Standpunkt von Gellner et.al. ([2997] 2005) und Lecomte-Tilouine
& Dollfus (2003) an und begrenzt das Verständnis von “Ethnizität” auf ein relationales
Konstrukt, das aus der Beziehung zwischen einzelnen “ethnischen Gruppen” oder der Be-
ziehung von Gruppen zum Staat entsteht. Dabei unterscheidet sie im Gegensatz zu Gellner
et. al. ([1997] 2005), genau wie Lecomte-Tilouine & Dollfus (2003) nicht zwischen “Ethni-
zität” als einem modernen Phänomen und “ethnischer Identität” als einem Phänomen, wel-
ches schon vor der Entstehung von Nationalstaaten aufgetreten war, sondern verwendet sie
synonym.
Ihren Fokus auf die MNO begründet sie damit, dass den anderen Organisationsformen
“ethnischen Aktivismus” bereits sehr viel Aufmerksamkeit in der Fachliteratur geschenkt
worden sei. “Ethnische Parteien” dagegen seien unterrepräsentiert und müssten detaillierter
untersucht werden. Sie argumentiert “ethnische Parteien” trügen letztlich positiv zu Demo-
kratisierungsprozessen bei und sollten daher nicht mehr ausschließlich als Bedrohung für
eine demokratische politische Ordnung wahrgenommen werden.
Empirisch setzt sie auf qualitative Feldforschung im Osten Nepals und bezieht sich auf
eine Vielzahl verschiedener Quellen, die sie in mehr als zehn Jahren Forschungsarbeit zu-
sammengetragen hat. Sie setzt verschiedene Formen von Interviews ein und führte teilneh-
mende Beobachtungen bei verschiedenen Veranstaltungen durch. Auch informelle Gesprä-
che bekommen neben der gängigen Fachliteratur und Publikationen aus Nepal und der
MNO viel Aufmerksamkeit. Sie schilderten einleitend die Schwierigkeiten bei ihren For-
schungen im Osten Nepals. So wurde sie u.a. verdächtigt, von der CIA oder der nepalesi-
schen Regierung zu Spionagezwecken zur MNO geschickt worden zu sein. Auch ihre Posi-
tion als Frau in der männlich dominierten Domäne politischen Aktivismus stellte sie häufig
vor große Herausforderungen.
2.3.3. Kritische Reflexion
Die Monographie von Susan I. Hangen ist der momentan aktuellste Beitrag, der als in-
tellektuelle Interpretation von “Ethnizität” verstanden werden kann. Sie fokussiert dabei das
23
Phänomen “ethnische Parteien” als eine Ausdrucksform “ethnischer Identität” und hält das
für eine Möglichkeit, gegenüber den marginalisierten Teilen der Population, zu denen auch
die “ethnischen Gruppen” gehören, in ihrer Rolle und Verantwortung als Analytikerin ge-
recht zu werden. Klammert man die Theoriedebatte um “Ethnizität” aus und betrachtet die
Entwicklungen in Nepal aus einer rein instrumentalistischen bzw. konstruktivistischen Per-
spektive, so erscheint die Argumentation schlüssig. Aus der Perspektive des theoretischen
Rahmens dieser Bachelorarbeit ist diese Monographie allerdings als sehr problematisch ein-
zuordnen.
Zwar füllt die Arbeit eine wichtige Lücke in der Wissensproduktion über politische, so-
ziale und kulturelle Transformationsprozesse, aber umgeht eine Diskussion über die Konse-
quenzen, beispielsweise der Verwendung von bestimmten Kategorien oder der Aufmerk-
samkeit, die das Buch erzeugen könnte. Diese generierte Wissen könnte zum Beispiel dazu
beitragen, dass die MNO mehr Anhänger gewinnen und sie beispielsweise zu Wahlen mobi-
lisieren kann.
Davon abgesehen, halte ich es für problematisch, sich nicht mit der Kritik an der Wis-
sensproduktion “westlicher” Wissenschaftler über die »Anderen« speziell in Nepal und Hi-
malaya einerseits und der theoretischen Debatte um “Ethnizität” andererseits auseinander-
zusetzen. Dadurch entstehen Unklarheiten, wie beispielsweise bei der Definition der Kate-
gorie “Mongol”, die von den Akteuren selbst meist als “rassische Kategorie” (Unterschei-
dung aufgrund physischer Charakteristika) verstanden wird. Hangen definiert sie wie folgt:
“Mongol is an ethnic category that emerged in a particular political history and context, and
for particular political purposes; its use and meaning may change or fade over time as the
political context changes” (Hangen 2010: 16).
2.4. Zusammenfassung und Ergebnisse der Analyse
Zusammenfassend ist in dieser Analyse die Tendenz des “westlichen” akademischen
Diskurses, sich vom “nepalesischen” Diskurs auf theoretischer Ebene zu distanzieren,
deutlich geworden. Wurde in Nationalism and Ethnicity von den Autoren noch betont, kein
rein instrumentalistischen Ansatz werde verwendet ([1997] 2005: 7), so haben sich der
24
Großteil der “westlichen” Experten zu “Ethnizität” in Ethnic Revival and Religious Turmoil
sehr deutlich als Instrumentalisten positioniert.
Die Kritik aus den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, wie die Saids in
Orientalism (1978), wurde zwar aufgegriffen aber als paradox abgetan, da diese
Argumentation zu Ende gedacht zum Ende aller wissenschaftlichen Produktion führe
(Lecomte-Tilouine & Dollfus 2003: 2). Stattdessen vertreten Wissenschaftler des
“westlichen” Diskurs mittlerweile häufig den Standpunkt, ein instrumentalistischer bzw.
konstruktivistischer Ansatz sei der einzig richtige und wissenschaftlich korrekte Ansatz, mit
dem man Wissen über “Ethnizität” im Himalaya generieren könne. Daran wird der von
schon von Said kritisierte, dominante Konsens -'wahres' Wissen müsse fundamental
unpolitisch sein und im Umkehrschluss könne politisches Wissen kein 'wahres' Wissen sein
– deutlich (1978: 27).
Dieser Trend hat sich bis jetzt fortgesetzt, wie sich am Beispiel der Monographie von
Hangen (2010) erkennen lässt. Hatten sich die vorherigen Arbeiten auf die Rolle des
Staates, später auf die der “ethnischen Aktivisten” und der Maoisten konzentriert, rückten
nun die Rolle neuer Organisationsformen wie “ethnische Parteien” bei Identitäts- und
Konstruktionsprozessen ins Zentrum des Erkenntnisinteresses der “westlichen”
Akademiker. Damit entzog man sich einerseits immer mehr der Diskussion um “Ethnizität”
auf theoretischer Ebene und andererseits rückte die Diskussion um die Rolle der
Akademiker selbst und ihrer sozialen Praxis, der intellektuellen Interpretation, weiter in den
Hintergrund.
Nachdem bislang speziell die theoretische Ebene der Wissensproduktion im Zentrum
der kritischen Reflexion stand, ist im zweiten Teil die Empirie im Fokus der Analyse. Dazu
werde ich meine eigene Feldforschung zum Thema vorstellen, theoretische Annahmen und
empirische Methoden darstellen und sowohl den Prozess der Wissensproduktion und die
Ergebnisse kritisch reflektieren.
25
3. Kritische Reflexion der Empirie: Fallbeispiel “Thami-Thani-Thangmi: mediating identity in the margins”
Wie aus der Analyse und kritischen Reflexion aktueller Fachliteratur zu “Ethnizität”
hervorgegangen ist, sind die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf theoretischen Annah-
men kritisch zu bewerten. Im zweiten Teil der Analyse dieser Bachelorarbeit möchte ich
mich der Problematik aus der empirischen Perspektive annähern. Da es den Rahmen dieser
Bachelorarbeit sprengen würde, sich mit der Problematik in der Empirie anhand einer kriti-
schen Reflexion einiger ausgewählter Arbeiten zuvor vorgestellter Experten auseinanderzu-
setzen, erscheint es mir sinnvoller, im Folgenden meine kleine Feldforschung und deren Er-
gebnisse kritisch zu reflektieren.
3.1. Kontext der Forschung und Projektidee
Diese Feldforschung führte ich im Rahmen eines einjährigen Auslandsstudium zwi-
schen Februar 2011 und Februar 2012 durch. Gespräche mit Freunden und Kommilitonen
in Kathmandu, sowie Situationen im Alltag und auch in der Universität hatten mein Interes-
se an den Adivasi Janajātī und Madhesi und damit an “Ethnizität” geweckt. Die Planungen
und Vorbereitungen begannen Anfang Juli 2011, nachdem ich über einen Kommilitonen
dem Journalisten und Adivasi Janajātī Aktivisten Tahal Thami vorgestellt wurde. Er berich-
tete, zu einer der vom Staat mittlerweile 59 anerkannten Gruppen zu gehören, die unter die
Kategorie Adivasi Janajātī17 fallen. Bis dahin war ich schon mit anderen Gruppen, wie den
Newar, Tamang, Magar, Sherpa, Gurung, Limbu, Rai, Tharu und Thakali vertraut gewesen,
weil sie sowohl in jedem Touristenführer und zahlreichen literarischen Arbeiten auftauchen,
als auch in der Fachliteratur im Zusammenhang mit “Ethnizität” immer wieder als analyti-
sche Kategorien eingesetzt werden. Die Gruppe oder Kategorie Thami war dagegen völlig
neu für mich und ich wollte mehr darüber in Erfahrung bringen.
In der anschließenden Fachliteraturrecherche stieß ich erstmals auf die Arbeiten der An-
thropologen Sara Shneiderman und Mark Turin. Sie hatten ihre Forschungen zu den Thami
17 Für mehr Informationen über Definition und Klassifikation dieser 59 anerkannten Gruppen siehe: www. nefin.org.np
26
bereits 1998 begonnen und sich bis 2006 zu Vertreter des 'Activist Research' Ansatzes von
Hale (2006) entwickelt. Sie stellten fest, dass einige Gruppen im Himalaya besonders viel
Aufmerksamkeit, vor allem durch Anthropologen erfahren18, während andere von der Wis-
senschaft bisher entweder kaum oder gar nicht wahrgenommen worden waren. Diese feh-
lende Wahrnehmung durch die Wissenschaft habe konkrete Konsequenzen für betroffene
Gruppen und deren Mitglieder, da es für sie schwieriger sei, ihre Ansprüche mit Hilfe wis-
senschaftliche Forschung zu rechtfertigen und Unterstützung von Regierungen oder interna-
tionalen Hilfsorganisationen daher schwer erhältlich sind19. Dies trifft im Fall der Thami zu,
wie am folgenden Zitat deutlich wird:
There is no idea about the origins of the Thami community or the term “Thami”. Their history is indeed obscure. Neither the scanty literature that is available on them nor their own traditions speak enough about their history and culture. (Subbha 1993: 184)
Bis Februar 2012 entstand der 30 minütige »Ethnographische Dokumentarfilm«20
Thami-Thani-Thangmi: mediating identity in the margins” als Ergebnis der durchgeführten
Feldforschung. In der folgenden Analyse werde ich zuerst den theoretischen und konzeptio-
nellen Rahmen des Films und der Feldforschung umreißen, bevor ich die angewandten em-
pirischen Methoden vorstelle und diskutiere. Anschließend unterziehe ich die Feldfor-
schung und der dabei generierten Materialien, in erster Linie den Film selbst, einer kriti-
schen Reflexion. Ziel ist es, die Problematik bei der Wissensproduktion deutlicher im Be-
zug zur Empirie herauszuarbeiten.
18 Turin bezieht sich konkret auf das Beispiel der Thakali. Die Population der Gruppe umfasste 1985 nur ca. 15000 Mitglieder, war aber bereits in mehr als 50 wissenschaftlichen Arbeiten von fünfzehn verschiedenen Akademikern aus unterschiedlichen Disziplinen Bestandteil wissenschaftlicher Forschung (Turin 1997: 187)
19 Dieses Problem illustrieren Shneiderman & Turin detaillierter am Beispiel der Thami in Indien 20 Ich habe mich für diese Bezeichnung entschlossen, da sie am besten das Konzept des Films zum Ausdruck
bringt. “Ethnographisch” wird synonym für “Feldforschung” verwendet und bezieht sich sowohl auf Pro-zess- und Produktcharakter des Begriffs, d.h. dieser Dokumentarfilm ist das Produkt der Feldforschung zeigt aber den Prozess des Forschens als Ergebnis.
27
3.2. Theoretischer und empirischer Rahmen der Feldforschung
Während meines Auslandsstudiums hatte ich mich bereits mit einigen zentralen Thesen
zu “Ethnizität” auseinandergesetzt und war zumindest in Ansätzen vertraut mit den
theoretischen Annahmen von Premordialisten und Instrumentalisten. Während der
Fachliteraturrecherche war ich dann auf die Arbeiten Shneiderman & Turins zu den Thami
gestoßen und ihre Argumentation erschien mir schlüssig, weshalb ich den Ansatz bei der
Feldforschung berücksichtigen wollte. Die Fragen, die sich mir stellten waren: Was
bedeutet Thami? Wie könnte erforscht werden, was Thami bedeutet? Welcher Ansatz ist
der richtige? Sind die Ergebnisse Shneiderman und Turins zu überprüfen? Damit machten
ich Thami zum Untersuchungsgegenstand, was sich später als problematisch erweisen
sollte. Eigentlich wollte ich es vermeiden, mit einer vorgefertigten theoretischen Annahme
eine Forschung durchzuführen, die dadurch Gefahr liefe, die empirischen Materialien schon
im Prozess der Forschung zu verfälschen. Stattdessen sollte es das Ziel der Feldforschung
sein, theoretische Annahmen, die aus den empirischen Beobachtungen abgeleitet worden
waren, in der anschließenden Analyse und kritische Reflexion des generierten Materials zu
entwickeln. Gemeinsam mit Kommilitonen erarbeitete ich ein methodisch vielfältiges
Konzept aus, um die höchstmögliche »Dichte« an Material während der Feldforschung
generieren zu können. Dieses Konzept möchte ich im Folgenden erläutern.
An erster Stelle war ein “Feld” einzugrenzen, in dem zu diesem Thema geforschen wer-
den konnte. Tahal Thami schlug vor nach Lapilang, einem kleinen Dorf ca. 150 Kilometer
nordöstlich von Kathmandu, zu reisen, weil das Dorf relativ gut erreichbar wäre, die Mehr-
heit der Bewohner sich als Thami bezeichne und er über Kontakte verfüge, um vor Ort Un-
terbringung und Verpflegung zu organisieren. Nachdem damit das “Feld” geographisch ein-
gegrenzt und der Zugang gesichert war, entwickelten ich das methodische Vorgehen.
Ich entschied mich für eine Kombination verschiedener qualitativer Methoden. Zu-
nächst sollte eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt werden. Diese Methode ist aller-
dings sehr umstritten und kann häufig auch Prozesse des Othering, also die kulturelle Di-
stanzierung und Verfremdung vom »Anderen« zur Folge haben (Kaschuba [1999] 2006:
198). Deshalb entstand die Idee, eine hochwertige Kamera als Hilfsmittel einzusetzen, um
die eigenen begrenzten kognitiven Wahrnehmungsfilter zu erweitern und im Nachhinein au-
28
diovisuelle Aufzeichnung unserer Beobachtungen zu haben. Damit würde ich bei der späte-
ren Analyse nicht ausschließlich auf eigene Erinnerungen und schriftlichen Aufzeichnungen
angewiesen sein, sondern konnte diese in größerem Umfang immer wieder überprüfen. Ziel
war es vor allem, die Anreise, die Umgebung, das Dorf sowie Infrastruktur und Alltagssi-
tuationen mit der Kamera einzufangen.
Auch bei der zweiten Methode, den Interviews, sollte die Kamera zum Einsatz gebracht
werden, um einer höhere Materialdichte generieren zu können. Für die Interviews hielt ich
es für sinnvoll zwei verschiedene Typen zu konzipieren. »Komparativ – dynamische Inter-
views« einerseits und »Experteninterviews« andererseits. Ersteres baute auf der eigenen
Fragestellung auf: “Was bedeutet Thami?”. Wir wollten Menschen, die sich als Thami be-
zeichnen und zu einem Interview bereit sind, in Lapilang genau diese Frage stellen und da-
durch ein dynamisches Gespräch erzeugen, d.h. auf die jeweiligen Antworten eingehen und
individuell weitere Fragen entwickeln. Ziel dabei war es, die Interviewpartner möglichst
viel selbst reden zu lassen und dadurch viele subjektive Perspektiven einzufangen. Deshalb
hielt ich es für wichtig, die Interviewpartner nach Möglichkeit unter Berücksichtigung von
Alters- und Berufsgruppen und sowohl Männer als auch Frauen auszuwählen. Die Anzahl
der Interviews war daher nicht im Vorhinein begrenzt, sondern es sollten so viele dieser In-
terviews wie möglich geführt werden. Die »Experteninterviews« waren dagegen auf zwei
begrenzt. Eines mit Tahal Thami, da er selber Aktivist ist und als Experte bei einer NGO
rund ums Thema Adivasi Janajātī arbeitet. Er war es, der den Kontakt zu unserem zweiten
Interviewpartner, Chun Bahadur Thami, herstellte. Dieser war eines der 601 Mitglieder der
zu dieser Zeit noch existierenden Verfassungsversammlung, als Kandidat der UCPN-Mao-
ist21 gewählt und allererster politischer Repräsentant der Thami auf nationaler Entschei-
dungsebene. Die Interviews fanden nach unserer Rückkehr aus Lapilang, am 06. Dezember
2011 in Kathmandu statt. Diesmal verwendeten wir als Grundlage eine Katalog, bestehend
aus Fragen, die während der Forschung zwischen den 01. und 05 Dezember 2011 in Lapi-
lang aufgekommen waren.
Ergänzend hielt ich es für sinnvoll, ein “Feldtagebuch” vom 01. bis zum 06. Dezember
2011 anzulegen, indem ich im narrativen und deskriptiven Stil meine Erfahrungen, Ein-
21 Unified Communist Party of Nepal – Maoist
29
drücke, Gedanken und Ideen schriftlich festhalten konnte. Dieses diente einerseits dazu,
mich im Nachhinein selbst im Prozess der Forschung reflektieren und zurück versetzen zu
können und andererseits um auch Ereignisse, wie informelle Gespräche und Diskussionen
innerhalb des Teams, die nicht aufgezeichnet worden waren, nicht zu vernachlässigen und
wieder in Erinnerung rufen zu können.
Zur Umsetzung des Vorhabens gründete ich ein Team, dass sich wie folgt zusammen-
setzte: ein professioneller Kameramann (Lokchandra Thapa), jeweils ein Kommilitone als
Interviewer für die zwei verschiedenen Typen von Interviews (Umesh Acharya, Bishes
Aryal), ein Freund als Übersetzer (Sujan Subedi) und ich. Das durch die beschriebenen Me-
thoden generierte Material und dessen Verarbeitung im Format eines 30 minütigen Films
soll im folgenden Abschnitt kritisch reflektiert werden. Dabei kann ich mich nicht auf das
ganze Material im Detail beziehen, sondern werde anhand einiger ausgewählter Beispiele
die Problematik bei der Wissensproduktion zu “Ethnizität” bzw. zu Gruppen und Kategori-
en wie den Thami herausarbeiten.
3.3. Kritische Reflexion generierter Quellen und Verarbeitung im »Ethnographischen Dokumentarfilm«
Sowohl während der Feldforschung, bei der Analyse und Verarbeitung, als auch nach
der Fertigstellung des Films war ich mit zahlreichen Problemen konfrontiert, von denen ich
im folgenden Abschnitt die wichtigsten im Zusammenhang mit der Wissensproduktion zu
“Ethnizität” darstellen werde. Diese vielen Probleme in den einzelnen Phasen des Prozesses
haben mich letztlich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit meiner eigenen Rolle als
Analytiker in diesem spezifischen thematischen Kontext und auch darüber hinaus geführt.
3.3.1. “Zugang zum Feld” und die eigene Rolle als Analytiker “im Feld”
Schon der “Zugang zum Feld” ist im Nachhinein als kritisch einzuordnen, da Tahal Tha-
mi offen sein Anliegen uns gegenüber artikulierte. Er erhoffte sich durch den Film Anerken-
nung, Aufmerksamkeit und Verständnis von außen für die Situation der Thami. Als Aus-
tauschstudent aus Deutschland stellte ich für ihn möglicherweise eine indirekte Verbindung
zu einem überregionalen Kontext her. So könnte der Film womöglich das Interesse anderer
30
Studenten wecken, vielleicht sogar westlicher Hilfsorganisationen. Natürlich hat er das mir
gegenüber so nie formuliert und war eine große Hilfe bei dem Projekt.
Auch meine als Rolle Analytiker “im Feld”, d.h. während der Forschung in Lapilang, ist
problematisch zu sehen. Es gab mehrere Situationen, in denen wir direkt oder indirekt dazu
aufgefordert worden sind, einen Film, repräsentativ für alle “Thami”, in eindeutig premor-
dialistischer und essentialisierender Weise zu erarbeiten. Damit man die Anliegen der
Gruppe vor anderen Handelnden, z.B. vor politischen Entscheidungsträgern legitimieren
kann. Sehr konkret wurde dieser Wunsch von Chun Bahadur Thami, dem Mitglied der Ver-
fassungsversammlung geäußert. Er sieht die Thami gegenüber anderen Gruppen benachtei-
ligt, weil seiner Gruppe eine »literarische Tradition« (er nennt es vedh) fehlt und erhofft
sich, das unser Film diesen Nachteil ausgleicht22. Ansonsten äußerte sich keiner der Inter-
viewpartner so direkt im Gespräch, sondern eher indirekt oder später, wenn die Kamera be-
reits ausgeschaltet war. So berichtete mir ein alter Mann davon, dass in seinem Dorf immer
noch kein sauberes Trinkwasser erhältlich wäre und fragte, ob ich ihm nicht bei der Lösung
dieses Problems behilflich sein könne. Nach dem Interview mit Hom Bahadur Thami, ein
Farmer in Lapilang, fragte er uns in einem informellen Gespräche, was er sich von dem
Film erwarten könne, welchen Vorteil es ihm bringen würde. Während unseres Aufenthalts
wurde uns sehr viel Respekt, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegengebracht und in
der gemeinsamen Zeit entwickelte sich eine soziale Bindung mit den Menschen in Lapi-
lang.
Diese Beispiele sollen illustrieren, dass sowohl der “Zugang zum Feld”, als auch die ei-
gene Rolle als Analytiker “im Feld” äußerst problematisch ist. Es ist in solchen Situationen
sehr schwer, die kritische Distanz des Analytikers aufrechtzuerhalten und man läuft Gefahr
instrumentalisiert zu werden, um politische Interessen zu vertreten. Unser eigentliches An-
liegen, eine Forschung im Format eines Film über die Thami zu machen, wurde mehrfach
versucht zu einer Forschung für sie zu machen. Wir wurden zum Teil des Konstruktionspro-
zesses einer »Thami Identität«. Bei der anschließenden Verarbeitung und Analyse der gene-
rierten Materialien wurde diese Problematik noch deutlicher.
22 Siehe Anhang (b) für Auszug aus dem Interview vom 06.12.2011
31
3.3.2. Analyse und Verarbeitung: Die Sprachenproblematik und Frage der Repräsentation
Von den insgesamt 14 Interviews, die wir in Lapilang und Kathmandu geführt und auf-
gezeichnet hatten, konnten letztlich 10 Interviews in den Film in Teilen aufgenommen wer-
den. Doch dafür mussten sie zunächst transkribiert und anschließend übersetzt werden. Da-
bei war ich auf die Unterstützung weiterer Kommilitonen und auch Tahal Thami angewie-
sen, denn die Interviews wurden in Nepali und Thangmi23 geführt. Dabei ergaben sich, wie
zu erwarten war, Probleme bei der Übersetzung. Zum Einen, weil einige Vokabeln aus dem
Nepali und Thangmi nicht immer in eine bestimmte englische Vokabel übersetzt werden
können und entweder mehrere oder gar keine Optionen zur Verfügung stand. Einige dieser
Vokabeln wurden dann in der Übersetzung in der Originalsprache übernommen und mit ei-
ner Erklärung versehen. Zum Anderen war Englisch zwar unser Kommunikationsmittel un-
tereinander und sollte auch im Film verwendet werden, aber keiner in unserem Team sprach
Englisch als Muttersprache. Es muss folglich davon ausgegangen werden, dass während der
Transkription und Translation bereits eine Interpretation der gesammelten Informationen
stattfand und die spätere Auswahl der Szenen dadurch beeinflusste.
Der zweite kritische Aspekt bei der Analyse und Verarbeitung des generierten Materials
war die sich aufdrängende Frage der Repräsentation. Da das Ziel ein 30 minütiger Film war,
musste nun selektiert werden, welche Ausschnitte aus den Interviews und dem übrigen Vi-
deo- bzw. Tonmaterial im Film verarbeitet werden sollten. Welche sollten das sein? Sollten
die Interviews ausschließlich im Untertitel übersetzt oder auch von einem »Erzähler« zu-
sammengefasst werden? Wenn ja, wie und in welchem Umfang sollte dieses Stilmittel ein-
gesetzt werden? Gelingt dann der Spagat sowohl den Anforderungen an wissenschaftliche
Standards als auch den Vorstellungen der Involvierten gerecht zu werden? Alles Fragen, die
uns im Prozess der Analyse und Verarbeitung und zum Teil noch immer begleiten.
Letztlich entschieden wir uns nach ausführlichen Diskussionen untereinander für den
theoretischen Ansatz des 'Activist Research' als Grundlage für den Film. Ziel war es also,
eine rein essentialisierte Darstellung der Gruppe zu vermeiden, aber zugleich ihre Identität
anzuerkennen und die Wirkungsmacht von Kategorien, in diesem Fall „Thami“, zu beden-
23 Das Wort Thangmi wird sowohl als Ethnonym von Mitgliedern der Gruppe im Gespräch untereinander ge-nutzt und kann aber auch die Sprache der Gruppe bezeichnen. Hier ist die Sprache der Gruppe gemeint.
32
ken. Der »Ethnographische Dokumentarfilm«: Thami-Thani-Thangmi: mediating identity
in the margins ist die Symbiose von empirisch generierten Materialien und theoretischem
Fachwissen und somit eine intellektuelle Interpretation. Insofern kann man also von einem
Wissensprodukt sprechen. Im nachfolgenden Teil der Analyse soll nun dieses Wissenspro-
dukt kurz im Ergebnis dargestellt und kritisch reflektiert werden.
3.3.3. Kritische Reflexion des »Ethnographischen Dokumentarfilms« als Wissensprodukt
Basierend auf den Annahmen des 'Activist Research' ist der Film in zwei Teile unterteilt.
Das erste Viertel fokussiert den spezifischen geographischen, historischen, ökonomischen,
politischen und soziokulturellen Kontext der Gruppe aus einer »Erzähler-Perspektive«. Die-
ser Teil bezieht sich fast vollständig auf die Forschungen und Erkenntnisse von Shneider-
man & Turin (1998-2006), sowie Phillip da Patoul (1998), dessen Dissertation über die
Thami nie veröffentlicht wurde und eine quantitative Forschung von Robert C. Peet (1978).
Die restlichen drei Viertel bestehen aus Ausschnitten aus zehn der insgesamt vierzehn
geführten Interviews. Nach der Analyse verwarf ich die vorherige konzeptionelle Unter-
scheidung zwischen »komparativ-dynamisches Interview« und »Experteninterview«, da die
Unterscheidung nicht aufrecht erhalten werden konnte, um sie im Film in irgendeiner Form
verwenden zu können. Stattdessen teilte ich die Interviews danach ein, ob klar eine aktivis-
tische Position des Interviewpartners zu erkennen war oder nicht. Aber auch diese Unter-
scheidung zwischen „Aktivisten“ und „normalen Leuten“, wie sie Gellner in seinen fünf
Regeln (2001: 1-10) fordert, war auch nur sehr schwierig zu machen, da wir keine Kriterien
entwickeln konnten, die eine klare Unterscheidung ermöglichten. Anschließend verglich ich
die einzelnen Aussagen mit den Forschungsergebnissen von Shneiderman & Turin. Ich
wählte die einzelnen Ausschnitte der Interviews so aus, dass die Aussagen aller Interview-
partner in der Gesamtheit möglichst viele Aspekte ihres jeweils subjektiven Identitätsver-
ständnisses wiedergaben.
Ziel war es, dass die Thami sich selbst repräsentieren sollten, weshalb die meiste Zeit
für die Interviews eingeräumt wurde und der »Erzähler« nicht mehr vorkommt. Darüber
hinaus war es das Ziel, die Identität der Thami als Diskurs darzustellen, was neben der
Struktur auch im Untertitel des Films zum Ausdruck kommt. Mediating Identity bezieht
33
sich einerseits auf die theoretischen Diskurs um “Ethnizität”, da der Begriff immer wieder
kontextspezifisch zwischen den jeweiligen Akteuren, d.h. den Teilnehmern am Diskurs aus-
gehandelt wird. Andererseits bezieht es sich auf die Identität der Gruppe, dessen Bedeutung
in einem ständig verändernden Kontext selbst Gegenstand kontinuierlicher Veränderung
und Aushandlung zwischen den Teilnehmern am Diskurs um »Thami Identität« ist. Der Ti-
tel Thami-Thani-Thangmi knüpft an die drei bekannten Ethnonyme der Gruppe an, dessen
Bedeutung je nach Kontext variiert und selbst Gegenstand aktueller Diskussionen sind
(Shneiderman & Turin 2006: 97).
In der kritischen Reflexion lässt sich folglich feststellen, dass der Film selbst Teil des
Konstruktions- bzw. Transformationsprozesses von »Thami Identität« ist. Dies ist einerseits
kritisch zu sehen, da dieser Film möglicherweise dazu genutzt werden könnte, um mediale
Aufmerksamkeit zu erzeugen und vielleicht sogar politische Ziele zu erreichen. Anderer-
seits ist das vielleicht nicht von Nachteil, da dadurch ein Beitrag zum Ausgleich der Diskre-
panz zwischen den größeren und quantitativ besser erforschte Gruppen und kleineren Grup-
pen, die bisher selten Gegenstand wissenschaftlicher Analysen waren, geleistet wird.
Die nun aufkommenden Fragen der Veröffentlichung, Verbreitung, Rezeption und Inter-
pretation des Films bieten einen interessanten Ansatz weiterführender Untersuchungen.
Nachzuvollziehen, wie sich der Film verbreitet und von der Gruppe selbst und speziell den
Interviewpartnern rezipiert und interpretiert wird und welchen Einfluss er womöglich auf
den Diskurs um “Thami Identität” hat, wäre ein reizvolles und wahrscheinlich sehr auf-
schlussreiches Projekt. Eine geeignete Plattform dafür wäre vielleicht das Projekt Digital
Himalaya. Ein Projekt, dass 2000 unter Beteiligung von Sara Shneiderman und Mark Turin
gegründet wurde, um ein digitales Archiv zu allen vorstellbaren Wissensgebieten der Hima-
laya Region aufzubauen.
34
Fazit:
Aus dieser Bachelorarbeit ist hervorgegangen, dass die Wissensproduktion zu “Ethnizi-
tät” im Himalaya und speziell in Nepal aktuell in einem extrem komplexen Kontext statt-
findet. Eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als Analytiker ist entschei-
dend, um für diesen sehr speziellen Kontext sensibilisiert zu werden.
Aus der Analyse und kritischen Reflexion der Fachliteratur ging hervor, dass ein instru-
mentalistischer bzw. konstruktivistischer Ansatz gegenwärtig im akademischen Diskurs do-
miniert, aber die eigene Rolle als Analytiker zunehmend vernachlässigt wird. Die eingangs
zitierte Kritik Sharmas ist insofern ein wenig zu generalisiert formuliert, da speziell in an-
thropologischen Beiträgen zum Diskurs um “Ethnizität” Kategorien nicht einfach un-
kritisch übernommen werden. Vielmehr lag der theoretische Schwerpunkt der Wissen-
schaftler darin zu zeigen, wie sich die Kategorien vor allem in Beziehung zu Machtzentren,
wie dem Staat, und in Beziehung zueinander entwickelt und etabliert haben. Die meisten
Autoren haben die Position der kritischen Distanz eingenommen und kritisieren essentiali-
sierte Darstellungen von Gruppen und Kategorien. Problematisch daran ist eher, dass in-
strumentalistische und konstruktivistische Ansätze dazu tendieren, den konstruierten Cha-
rakter der untersuchten und verwendeten Kategorien besonders zu betonen, damit aber
gleichzeitig deren Wirkmacht in der „realen Welt“ vernachlässigen. Das kann zur Folge ha-
ben, dass man sich zum Teil Fragen der eigenen Repräsentationsmacht und -legitimität ent-
zieht.
Die Kritik Sharmas trifft allerdings auf neuere Publikationen, vor allem für die politolo-
gische und historischen Analysen der aktuellen Transformationsprozesse in der Region zu.
In einigen der wissenschaftlichen Analysen werden gegebene Kategorien zum Teil unre-
flektiert und in essentialisierter Art und Weise als analytisches Instrument verwendet
(Thami 2011; Lawoti 2010: Kapitel 7; Boquerat 2009: Kapitel 2).
Auch eher kritisch zu betrachten ist die entstandene quantitative Diskrepanz zwischen
den einzelnen Sub-Kategorien (Gurung, Magar, Tamang, Rai, Limbu, Sherpa, Tharu, Ne-
war etc.), die unter „Ethnizität” bzw. unter den lokalen Kategorien Adivasi Janajātī und
Madhesi zusammengefasst werden. Hier gibt es eine ungleiche Repräsentation der einzel-
35
nen Gruppen in der „westlichen“ Wissensproduktion. So wurden Gruppen und Kategorien,
die schon früh Untersuchungsgegenstand, besonders der Anthropologen in den 1950er Jah-
ren waren, auch viel häufiger in den aktuellen Arbeiten untersucht und als analytisches In-
strument verwendet. Andere, wie die Gruppe bzw. Kategorie der Thami wiederum waren
aber bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, was in diesem spezifischen
Kontext durchaus ein Nachteil sein kann.
Aus der Analyse und kritischen Reflexion der eigenen Feldforschung und ihrer Ergeb-
nisse ging zunächst hervor, wie problematisch die Methodik der Feldforschung an sich ist.
In seiner Rolle als Analytiker wird man, unabhängig von seiner theoretischen Prädispositi-
on, Teil des Konstruktionsprozesses der in der Analyse verwendeten Kategorien. Durch die
intellektuelle Interpretation, verstanden als soziale Praxis, verändert man selbst das “Feld”
und den Untersuchungsgegenstand. Durch die Beachtung, die man als Wissenschaftler, egal
welcher Disziplin, einer bestimmten Thematik schenkt, konstruiert man zugleich einen Dis-
kurs um den Untersuchungsgegenstand und knüpft gleichzeitig an bereits bestehende Dis-
kurse an. Man muss also folglich davon ausgehen, dass das generierte Wissen rezipiert und
interpretiert wird. Der Einsatz der Feldforschung als empirische Methode bringt darüber
hinaus mit sich, dass man möglicherweise eine soziale Beziehung zu den Menschen, über
die man forscht, aufbaut. Daraus kann unter anderem auch ein Verantwortungsbewusstsein
des Wissenschaftlers für die Menschen mit denen er arbeitet erwachsen. Inwiefern die Feld-
forschung als Methode überhaupt noch einsetzbar ist im Zusammenhang mit der Wissens-
produktion um „Ethnizität“ sollte Bestandteil weiterer Diskussionen sein.
Das Beispiel des Films zeigte, dass ein Wissensprodukt durchaus interne Diskursdyna-
miken auf mehreren Ebenen beeinflussen kann. Der Film könnte möglicher-weise von Akti-
visten der Gruppe als Instrument eingesetzt werden, um politische oder ökonomischen In-
teressen zu legitimieren. Der Film könnte vielleicht sogar mediale oder mehr wissenschaft-
liche Aufmerksamkeit erzeugen. Für weiterführende Untersuchungen wäre es interessant zu
verfolgen, wie der Film rezipiert und interpretiert wird, aber auch wie er sich verbreitet und
ob er als Instrument eingesetzt wird. Der Film warf darüber hinaus Fragen der Repräsentati-
on und der Repräsentationsmacht auf. Damit einher geht auch die Frage nach dem eigenen
Selbstverständnis als Wissenschaftler: Wozu und weshalb betreiben wir überhaupt For-
36
schung und versuchen Wissen zu generieren?
Aufgrund sowohl meiner Beschäftigung mit dem Thema als auch meiner Erfahrungen
im Feld, halte ich den Ansatz des 'Activist Research' und dessen Weiterentwicklung im Pro-
jekt Digital Himalaya24 für eine sehr interessante und sinnvolle Alternative. In diesem An-
satz werden sowohl Kritikpunkte, wie die von Said (1979; 1989), aber auch aus dem Dis-
kurs aus der Region selbst aufgegriffen und zu einem neuen Konzept verarbeitet. Das Pro-
jekt Digital Himalaya ist ein digitales Archiv, dass bereits im Jahr 2000 von Sara Shneider-
man und Mark Turin mitbegründet wurde und heute von der Yale und Cambridge Univer-
sität aus geleitet wird. Auf der Webseite des Projekts sind Texte und Dokumente, Filme und
Musik kostenlos für jeden frei zugänglich. Ein spezieller Fokus gilt Sprachen von Gruppen
in der Himalaya Region, die bisher sehr wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. Darüber
hinaus sind auf der Webseite seltene Dokumente, wie beispielsweise alle bisherigen Verfas-
sungen des Staates Nepal, zu erhalten. Ich erachte dies als wichtigen Schritt in die richtige
Richtung. Damit könnten beispielsweise die Diskrepanz in der quantitativen Repräsentation
der einzelnen Gruppen und Kategorien ausgeglichen und diskursinternen Dominanz- und
Marginalisierungsdynamiken möglicherweise positiv entgegenwirkt werden.
Die Kritik Sharmas, dass die Akademiker den Diskurs um “Ethnizität” den Populisten
im öffentlichen und politischen Diskurs überlassen hätten, sollte also differenzierter formu-
liert werden. Das Projekt Digital Himalaya und Vertreter des 'Activist Research' setzen sich
intensiv mit den aufgeworfenen Fragen und speziell mit ihrer eigenen Rolle als Wissen-
schaftler und der damit einhergehenden Probleme und Konsequenzen auseinander. Leider
hat das Projekt bisher insgesamt wenig Aufmerksamkeit erfahren und die Frage, weshalb
die wenigsten Autoren der analysierten Fachliteratur an dem Projekt mitwirken, bleibt zu
beantworten.
24 Siehe: www.digitalhimalaya.com
37
Anhang:
(a) kategorische Hierarchisierung im Muluki Ain von 1854:
1. Tāgādhāri („Träger der heiligen Schnur“):
Upādhyaya Brāhman
Rajput (Thakuri) („Krieger“)
Jaisi Brāhman
Chetri (Kshatriya) („Krieger“)
Dew Bhāju (Newar Brāhman) E
Indian Brāhman
Ascetic Sects (Sannyāsi, etc.)
„niedere“ Jaisi
verschiedene Newār Gruppen * E
2. Namāsinyā Matwāli („nicht zu versklavende Alkoholtrinker“)
Magar * E
Gurung * E
Sunuwār * E
einige andere Newār Gruppen * E
3. Māsinyā Matwāli („zu versklavende Alkoholtrinker“)
Bhote * E („Tibetanids“ und einige „Tibetanoids“)
Cepāng * E
Kumāl * (Töpfer)
Hāyu * E
Thāru * E
Gharti * E (Nachkommen befreiter Sklaven)
4. Pāni nacalnyā choi chito hālnunaparnyā („Unreine, aber 'berührbare“ Gruppen)
Kasāi (Newār Metzger) E
Kusle (Newār Musiker) E
Hindu Dhobi (Newār Wäscher)
Kulu (Newār Gerber) E
Musulmān *
Mleech * (European)
38
5. Pāni nacalnyā choi chito hālnuparnyā („Unreine und 'unberührbare“ Gruppen“)
Kāmi (Schmied)
Sārki (Gerber, Schumacher)
Kadārā (Aus Vereinigung von Kāmi und Sārki)
Damāi (Schneider und Musiker)
Gāine (Musiker)
Bādi (Musiker)
Pore (Newār Fischer) E
Cyāme (Newār Lumpensammler) E
* = Die Position (Status) der Gruppe ist innerhalb der Hierarchie nicht präzise determiniert.
E = „ethnische“ Gruppe
(Quelle: Höfer 1979: 45)
(b) Auszug aus dem Interview vom 06.12.2011 mit Chun Bahadur Thami:
„The work that you are doing is very helpful to preserve our religion, history and culture. Making a documentary movie is a very good medium to preserve and it might replace a vedh [hier: literarische Tradition, d.V.]. […]. This could help us in reality.“
39
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