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XXIV. Zur Physiologie und Pathologie der Verdauung. Erste Mittheilung: Die spontane Saftabscheidung des Magens ,,ira Niichternen". u Professor Julius Schreiber in KSnigsberg iIPr. Die neueren, vielfach fruchtbarcn Forschungen auf dem Gebiete der Magenkrankheiten, an die sieh die Iqamen Leube, v. d. Velden, Riegel, Ewald, Jaworski and Gluzinski, Cahn und v. Meh- ring u. A. knUpfen, gehen yon dem seitens der Physiologie allgemein gelehrten Satze aus: Der ntichterne, speisefreie, gesunde Magen scheidet keinen Verdauungssaft ab, seine Sehleimhaut reagirt normal, selbst alkalisch. Eigene Erfahrungen an gesunden Menschen sehienen dem zu widerspreehen. Die Vervollkommnung der Untersuehungsmethoden liess ein bestimmteres Resultat in dleser Beziehung erwarten und damit die Mtiglichkeit, neae Ausblieke zu gewinnen auf das noch in maneher Hinsieht eingehender Forsehung bedlirftige Goblet der Pathologie und Therapie tier genannten Organerkranknngen. In soleher Erw~tgung sind die naehstehenden Untersuehungen entstanden. Ehe ieh die- selben mittheile, midge ein kurzer literarischer RUekbliek darthun, in wie weit der angezogene Lehrsatz yon Physiologen und Patho: logen thats~tchlieh widerspruehslos aeeeptirt ist. In seiner klassisehen Bearbeitung des Kapitels ,Die Verdauung" in R. W a g n e r's HandwSrterbueh der Physiologie ~) sagt F. Th. Frerieh s Folgendes: ,,Die meisten ~tlteren Forscher, zu denen aueh noeh R6aumur and Spallanzani geh~rten, waren der Meinang, dass der Magen- 1) III. Bd. 1. Abth. Braunschweig 1846. Archiv LexlJeriment. Pathol. u. Pharmakol. XXIV. Bd. 25

Zur Physiologie und Pathologie der Verdauung

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X X I V .

Zur Physiologie und Pathologie der Verdauung.

E r s t e M i t t h e i l u n g :

Die spontane Saftabscheidung des Magens ,,ira Niichternen".

u

Professor Jul ius S c h r e i b e r in KSnigsberg iIPr.

Die neueren, vielfach fruchtbarcn Forschungen auf dem Gebiete der Magenkrankheiten, an die sieh die Iqamen L e u b e , v. d. Velden, R i e g e l , E w a l d , J a w o r s k i and G l u z i n s k i , Cahn und v. Meh- r i n g u. A. knUpfen, gehen yon dem seitens der Physiologie allgemein gelehrten Satze aus: Der ntichterne, speisefreie, gesunde Magen scheidet keinen Verdauungssaft ab, seine Sehleimhaut reagirt normal, selbst alkalisch. Eigene Erfahrungen an gesunden Menschen sehienen dem zu widerspreehen. Die Vervollkommnung der Untersuehungsmethoden liess ein bestimmteres Resultat in dleser Beziehung erwarten und damit die Mtiglichkeit, neae Ausblieke zu gewinnen auf das noch in maneher Hinsieht eingehender Forsehung bedlirftige Goblet der Pathologie und Therapie tier genannten Organerkranknngen. In soleher Erw~tgung sind die naehstehenden Untersuehungen entstanden. Ehe ieh die- selben mittheile, midge ein kurzer literarischer RUekbliek darthun, in wie weit der angezogene Lehrsatz yon Physiologen und Patho: logen thats~tchlieh widerspruehslos aeeeptirt ist.

In seiner klassisehen Bearbeitung des Kapitels ,Die Verdauung" in R. W a g n e r's HandwSrterbueh der Physiologie ~) sagt F. Th. F r e r i e h s Folgendes:

,,Die meisten ~tlteren Forscher, zu denen aueh noeh R 6 a u m u r and S p a l l a n z a n i geh~rten, waren der Meinang, dass der Magen-

1) III. Bd. 1. Abth. Braunschweig 1846. A r c h i v LexlJeriment. Pathol. u. Pharmakol. XXIV. Bd. 25

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salt stetig seeernirt werde, dass or also naeh langer Abstinenz in grSsster Menge vorhanden sol. Sp~tere Untersucher erwiosen das Gegentheil; die Beobachter kommen s~mmtlich dariiber iiberein, dass der nttchterne Magen kaum Spuren eines Secrets enthalte. T i e d o - m a n n und G m e l i n , sowie L e u r e t und L a s s a i g n e fanden dies bei allen yon ihnen untersuchten Thieren, B e a u m o n t best~tigte dies ftir den Menschon. St. M a r t i n ' s Fistol lieforte im ntichternen Zustande seines Inhabers keinen Saft. Meine eigenon Erfahrungen an Thieren mit odor ohne Magenfistel lehren dasselbe . . . . " Dem gegenttber geben B i d d e r and S o h m i d t 1) an, boi Thieren, welehe seit 24 und mehr Stunden keine Nahrung erhalten batten, einen allot- dings yon Speiseresten, versohluckten Haaren, Sand und dergleiehen verunreinigten Magensaft erhalten zu haben. Bid d er und S e h m i d t spreehen demgem~ss yon dem Einflusse localer Reize der Magen- sehleimhaut als yon Incitamenten, welche bei n i i c h t e r n e n Thieren die Saftseeretion s t e i g o r n , v e r m e h r e n (nicht erzeugen, hervor- rnfon). Indessen kann diese Beobachtung doeh nicht als Beweis einer s p o n t a n e n Saftsecrotion des ntichternen Magons angesehon werden, da die genannten Yerunreinigungen, wie duroh E. F r e r i oh s' ~) Unter- suehungen best~tigt wird, lodiglieh als dauernde Secretionsreizquelle anzusehen sind, mit deren Beseitigung aueh die Secretion sehwindet. E. F r e r i c h s giebt an: ,,Der Magen des Hundes wird bei geeigneter Wahl der Thiere . . . . nach 24stttndiger Carenz leer und frei yon Salzs~ure gofanden."

Im Widerspruch hiermit befinden sich die Resultate Braun's3), nach welchcn man die Secretion des Magensaftes als eine continuir- liche anzusehen babe, die vielleicht nioht den ganzen Tag ohne Sehwankungen yon Statten gehe, sondern wahrseheinlioh unter dem Einfluss versehiedener Faotoren (Nahrungsaufnahme, Tagoszeit u. s. w.) eine Abnahmo odor Zunahme erfahre. Aber gorade den B r a u n - sohen Angaben ist yon competenter Seite vielfaeh widersprochen worden, so yon v. G o r u p - B e s a n e z 4 ) , der die Secretion des Magen- saftes nur ,,auf Roizung der sensiblen Nerven der Sehleimhaut, soi es dureh Nahrungsstoffo odor Gewtirze, sei kS dureh fremde KSrper

l) Die u und. der StotfwechseI. Mitau und Leipzig 1852. 2} Ueber das zeitliche Auftreten der Salzshure im Magensaft: Centralbl. f. d.

reed. Wissensch. Mr. 40. 1885. 3) Ueber den Modus der Magensaftseeretion. Ekhard's Beitr~ge zur Ana-

tomic und Physiologic; citirt naeh Sehmidt's Jahrbtichern. CLXL Bd. 1871. Ref. Gs cheidlen.

4) Lehrbach der physiologischen Chemic. IV. Aufl. 1878.

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. . . . " , annimmt, so yon Gri i tzner~), naeh dessen Beobachtungen der speisefreie Magen eines normalen Thieres niemals einen Magensaft abscheidet. In vollster Uebereinstimmung hiermit lehren die Phy- siologen: ,,Der ntichterne Magen enthiilt keinen vorrSthigen Salt" (L. He r m a n n ) ; ,bei l e e r e m Magen finder keine Absonderung des Magensaftes statt" (L. L a n d 0 i s) ; ,,die Absonderung des Magensaftes tritt nm" infolge reizender Einwirkungen . . . . ein" (A. Grt inhagen) . Kliniseherseits hat man diese Angaben der Physiologen zum Theil bestatigen zu kSnnen, zum Theil offenbar als feststehendes Faetum einfach aceeptiren zu diirfen geglaubt. So finder F. K r e t s e h y 2) bei einer Magenfistelkranken die Schleimhaut des Magens Morgens (ntichtern) neutral reagirend, and zwar sehon 4--5 Uhr frtih als Ende der Naehtverdauungszeit, and ebenso am Ende der FriihstUcksver- dauung zwischen 10 und 12 Uhr, 7 Uhr Abends als Ende der Mittags- verdauung. U f f e l m a n n 3) bertihrt die in Rede stehende Frage gar nieht, wShrend in einem dritten Fall yon Magenfistel beim Menschen R i c h et 4) gleichfalls nut dureh Reizungen tier Magenschleimhaut Magensaft erlangt zu haben seheint.

Allen diesen Angaben gegentiber ist indessen der doppelte Ein- wand statthaft, dass sis tiberwiegend auf Thierversuche~ vor Allem~ dass sie fast aasnahmslos auf Versuehe an Magenfistelindividuen be- ruben and daher nicht ohne Weiteres auf die gewi~hnliehen Verhiilt- nisse beim Menschen tibertragbar sind.

Indessen aueh die Untersuehungen an gesunden Mensehen mit Htilfe der Magensonde scheinen zu dem tibereinstimmenden Resultat gefUhrt zu haben: ,,Ira niiehternen, nicht gereizten Magen fehlt so- wohl Milch- wie Salzsaure" (C. A. EwaldS) ) . ,Denn der Magen secernirt im gesunden Zustande nur dann Magensaft, wenn er durch Ingesta oder sonstwie gereizt wird. Mit beendeter Verdauung hiirt die Secretion des Magensaftes anf und dementsprechend fin(let man des Morgens im niiehternen Zustande den Magen stets leer" (F. RiegelG)).

1) Neue Untersuchungen fiber die Bildung und Ansscheidung des Pepsins. Breslau 1875; citirt nach Schmidt's Jahrb. CLXXI. Bd. 1876. Ref. Miiller.

2) Beobachtungen und Versuche an einer MagenfisteIkranken. Dtsch. Arch. f. klin. NIed. XVIII. Bd. 1876.

3) Beobaehtungen und Untersuchungen an einem gastrotomirten fiebernden Kranken. Dtsch. Arch. f. klin. Med. XX. Bd. 1877.

4) Recherches sur l'acidit~ da suc gastrique de l'homme etc. Cempt. rend. LXXXIV. Bd. 1877; citirt nach Schmidt's Jahrb. CLXXIX. Bd. 1878. EeL hltiller.

5) Klinik der Yerdauungskrankheiten. II. Aufi. Berlin 1886. 6) Beitr~ge zur Lehre yon den StSrungen der Saftsecretion des Magens. Zeit-

schrift f. klin. Med. XI. Bd. 1886. 25*

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,,Die Reaction (des Ausgeheberten)muss neutral sein und ist es auch fast ausnahmslos, dann niimlich, wenn der Magen bei Beginn des Versuches (ira •Uchternen) keine Speisereste mehr enthiilt" (Leube~)). L. Edinger2) , der dem Verhalten der Saftseeretion im niichternen, speisefreien Magen seine besondere Aufmerksamkeit zugewandt hat, fand in 15 Versuehen 13real keine nachweisbaren Mengen yon Salzsliure, 2real eine Andeutung davon, ,,in keinem dieser Falle jedoeh ganz ausgesproehen, Dei" Magensaft eines anderen gesunden Mannes, Morgens ntiehtern untersueht, gab gleichfaIls keine Trop~iolinreaetion".

Das F acit der vorangestellten kurzen literarisehen Betraehtung ist anscheinend ein sehr einfaches, bestimmtes, dies n~imlieh: Der niichterne, speisefreie gesunde Magen enth~ilt keinen speeifisehen Ver- dauungssaft, enthiilt insbesondere keine freie Salzsiim'e.

Hinter dieser anscheinend vollen Uebereinstimmung vornehmlich der klinischen Forscher verbirgt sich jedoeh die zuvor angedeutete Differenz in der Anschauung einzelner Physiologen um so unvoll- kommener, als die zur Beantwortung der vorgeworfenen Frage ver- wandte Methodik in den Versuchen der Ersteren, wie spiiter gezeigt werden sell, nicht als ganz einwandsfrei gelten kann.

Um so bemerkenswerther ist daher noeh die folgende Aeusserung H e i d e n h a i n ' s ~ ) : ,,Dass im Normalzustande , so lunge der Mageu leer ist, die seeretorisehe Thiitigkeit desselben ruht, wird yon den meisten Physiologen als unbestrittene Thatsaehe angesehen . . . . Nach meinen eigenen Erfahrungen muss ieh annehmen, dass der Zu- stand des leeren Magens sieh mit der Dauer der Nahrungsentziehung ~indert. Naeh Vollendung eines Verdauungsaetes hiirt die saure Ab- sonderung zun~chst auf, eine Thatsache, die aueh fiir den Mensehen vielfach constatirt ist. Wenn aber die Nahrungsentziehung ungewShn- lich lange dauert, scheint in der Regel langsame, sauere Absonderung yon selbst wieder zu beginnen, dcnn einerseits habe ich sehr haufig die 0berfiiiehe der Fundussehleimhaut bei l~ngere Zeit ntiehternen Thieren sauer gefunden . . . . , andererseits nicht selten bei Thiereu (Hunden und Katzen), die im niichternen Zustande get(idtet worden

t) Beitr~ge zur Diagnostik der Magenkrankheiten. Dtsch. Arch. f. klln. Med. XXXIIL Bd. 1883.

2) Zur Physiologie und Pathologie des Magens. Dtsch. Arch. f. klin. Med. XXIX. Bd. 188l.

3) Physiologie der Absonderungsvorg~nge, Handbuch d. Physiologie, herausg. yon L. Hermann. V. Bd. 1. Thl, Leipzig 1883.

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waren, mehr oder weniger grosse Ylengen saurer Fliissigkeit frei im Magen angetroffen . . . . Hiermit in Uebereinstimmung ist die Erfah- rung yon Grf i tzner , dass, wenn Hunde 60--70 Stunden lang fasten, tier Pepsingehalt der Magensehleimhaut unter Eintrltt yon Abson- derung sinkt."

Nimmt man an, was einer Autoritiit wie H ei d e n h a i n gegen- tiber ohne Weiteres gesehehen daft, dass seinen Angaben Beobaeh- tungsfehler, wie die yon E. F r e r i e h s betonten, nieht anhaften, so wtirde man, zumal aueh L e v e n 1) gerade ,ira lffagen h u n g e r n d e r Thiere stets etwas Magensaft" gefianden~ mindestens far die Physio- logie des Thieres ein versehiedenes Verhalten anzuerkennen haben far den ,,ntiehternen" und fur den ,,hungernden" Magen. Halt man das fest, so wird es sieh tiberhaupt empiehlen, die ftir zeitlieh sehr versehiedene Abstinenzgrade haufig gebrauehte Bezeiehnung ,,ntieh- terner", ,,leerer Magen" einzusehrlinken und etwa die gew~hnliehe, allni~ehtliehe Nahrungsabstinenz bis zum FrfihstUek, d .h . zwisehen 6 und 9 Uhr ,tim Ntiehternen", die dartiber hinaus unterhaltene Ab- stinenz ,,im Fasten" zu nennen. In diesem Sinne ist in Folgendem die vorgesehlagene Terminologie festgehalten.

Ueber das Verhalten der Magensehleimhaut , , im F a s t e n" unter sonst normalen Verhaltnissen liegen fur den Mensehen Untersuehungen bisher nieht v o r u n d doeh maehen neuere Forsehungen auf dem Ge- biete der Verdauungskrankheiten niihere Kenntnisse dartiber, soweit ieh sehe, wfinsehenswerth. Ieh habe reich daher der Bearbeitung dieses Gegenstandes zugewandt, zuvor jedoeh die physiologiseh mir noeh keineswegs erledigt ersehienene Vorfrage fiber das Verhalten des s p e i s e f r e i e n Magens ,,ira N t i e h t e r n e n " b e i m M e n s e h e n einer Controle unterzogen.

Ueber diese letzteren Untersuehungen sei in dieser ersten Mit- theilung beriehtet.

Zur Untersuehung des , ,speisefreien" Magens , i r a hTtieh- t e r n e n " oder , i r a F a s t e n " bediente ieh reich fast aussehliesslieh der sogenannten N61aton'sehen Magensonde und nut in den F~tllen, in welehen ihre Einftihrung in den Oesophagus Sehwierigkeiten be- reitete, der steiferen englisehen Sonde. Die Herausbef~rderung des etwa vorhandenen u n v e r d t i n n t e n Magensaftes gesehah dureh die

1) Du suc gastrique dans l'inanition etc. Gaz. de Par. XXII. 1875 ; citirt nach Schmidt's Jahrb. CLXXIX. Bd. 1878. Ref. Rud. Mtiller.

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370 XXIV. Scaa~rB~R

E w al d'sehe, sehr empfehlenswerthe Expressionsmethode. Meistens erhalt man auf diese Weise eine geniigende Menge~ um mit den iibliehen verschiedenen Reagenfien die freie Salzsaure qualitativ, selbst quantitativ feststellen zu k(innen; haufig freilieh befinden sich so in der Sonde nur wenige Tropien~ die eine detaillirte Bestimmung nicht gestatten. Im letzteren Falle begntigte ieh reich, den ,,Sondeninhalt" durch Eintauchen eines Stiiekchen Laekmus- and reap. eines Sttick- chen Kongopapiers in die unteren Oeffnungen der Sonde auf seinen Saure- resp. Salzsauregehalt zu prtifen. Ftir die vorliegende Frage durfte um so mehr diese Probe als ausreiehend angesehen werden, als das Vorhandensein anderer Sauren im niichternen Magen nicht za erwarten und aussersten Falles nut zu befiirchten war~ eine zu sehwache Salzsaureseeretion zu tibersehen. Naeh der Publication der G ti n z b u r g'sehen sehr sch~inen Phlorogluein-Vanillinprobe nahm ich namenflich in den letzteren Fallen noeh diese vet, indem ieh durch d ie aus dem Magen w i e d e r e n t f e r n t e S o n d e wenige T r o p f e n destillirten Wassers hindurehgleiten liess, welehe geniigend Magensaft herausspiilten~ um nunmehr mit absoluter Sicherheit ent- seheiden zu k(innen, ob Salzsi~ure auf der Magenoberflaehe vorhanden gewesen oder nieht.

Nur ein Einwand ist dieser ftir das Studium physiologischer Verhaltnisse der Verdauung beim Menschen meines Eraehtens einzig brauchbaren Methode gegenttber miiglieh~ der, dass die etwa beob- achtete Saftseeretion im Magen eventuell dutch den Sondenreiz her- vorgerufen worden sei. Bekanntlich geben die meisten Forseher diese g(iglichkeit zu, allein sic Alle betonen~ dass alsdann ,nut die gereizte Stelle absondere" (A. H e i d e n h a i n ) und dass erst bei ver- breiteter, resp. f o r t d a u e r n d e r Reizung diinne Labsafttropfen in geringer Menge zusammenfliessen (Leube~ R. H e i d e n h a i n , Gri in- hagen) . In den vorliegenden Versuchen hat (in der Regel die w e i e h e) Sonde nur so lange im Magen gelegen~ als ein kurzer Ex- pressionsversuch erfordert, d. h. wenige S e c u n d e n; der so gewon- nene Saft kann also keinesfalls das Product einer vorangegangenen Sehleimhautreizung dureh die eingefiihrte Sonde~ vielmehr muss er bereits im Magen vorgebildet gewesen sein~ um so mehr, als er zu tifteren galen aus der Sonde herausquoll~ genau in dem Moment, da die letztere die Cardia gerade zu passiren schien. ~ i e m a l s w u r d e v o r o d e r w a h r e n d d e r E i n f i i h r u n g d e r S o n d e W a s s e r in i r g e n d w e l c h e r m i n i m a l e n Q u a n t i t a t in d e n g a g e n des zu U n t e r s u e h e n d e n ge than~ o d e r s p o n t a n zu n e h m e n ge - z t a t t e t . Ich hebe dies hervor gegentiber dem Untersuchungsmodus

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frUherer Forscher als doppelte FehlerqueIle ~); denn ftir einmal be- wirkt die Einfilhrung yon re]ativ geringen Quantit~iten Wassers, wie sie zur ,,Aspiration" oder zur sonstigen bequeineren Entleerung des Mageninhaltes ,,ira Ntiehternen" benutzt worden sind (100--300 ccm), erwiesenermaassen an sieh schon eine Saftabscheidnng des Magens naeh bereits 10 Minuten un~! zweitens ftihrt eine solehe Wassermenge zu einer die spiitere Reaction mit den iiblichen Mitteln im htiehsten Maasse beeintr~ichtigenden Verdtinnung der eventuell vorhandenen, vielleicht zwar geringen, ft tr d ie v o r l i e g e n d e r e i n p h y s i o l o - g i s e h e F r a g e a b e t p r i n c i p i e l l b e d e u t u n g s v o l l e n Menge v o n M a g e n s aft. Hier interessirt eben zun~iehst die Frage: Scheidet der ruhende, speisefreie~ nUchterne oder der speisefreie, fastende Magen jemals Salzsiiure ab oder nicht; wie viel oder wie wenig ist zunachst gleichgtiltig; wichtig ist fiir uns nur: Geschieht die Abschei- dung tiberhaupt, regelmassig und unter welchen zeitlichen oder son- stigen physiologischen oder n o r m a 1 e n Bedingungen ?

Die Saftsecretiou des Magens irn niichternen Zustande.

Zur Beantwortung dieser Frage dienten mir 15 Personen beiderlei Geschlechts im Alter yon 12--41 Jahren. Das Untersuchungsmaterial entnahm ieh bis auf 5 gesunde Studirende, die sich mir bereit- willigst zur Verftigung gestellt batten, dem Krankenmaterial meiner Poliklinik and zwar ganz wie es t ier Z u f a l l des p o l i k l i n i s c h e n V e r k e h r s mir zugeftihrt, lediglich nach dem einen Gesichtspunkte g e w ~ h l t , dass die betreffenden Personen frei yon Verdauungs- beschwerden und auch sonst miigliehst wenig oder gar nicht leidend waren. Die zu Untersuchenden erschienen 8 Uhr Morgens, ohne seit dem Abend zuvor irgend etwas Fltissiges oder Festes genossen, s e l b s t o h n e a u c h nu r des M o r g e n s den M u n d m i t W a s s e r gesptilt zu haben.

Durch die makroskopisehe und mikroskopisehe Besichtigung des aus dem Magen Exprimirten suchte ieh reich zu vergewissern, dass jeder ,,Speiserest" fehlte. Die Details der im Ganzen 37 Unter- suchungen sind in der folgenden tabellarischen Zusammenstellung zu finden.

I) Die Aspirationsmethode yon Jaworski und Gluzinski enth~lt nach ihren eigenen Angaben die Fehlerquelle, dass manche Magen durch sie stark ge- reizt werden.

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Das Resultat der in der voranstehenden Tabelle enthaltenen Untersuchungen lautet: Von 15 Personen zeigten 14 im Niichternen Salzsaurereaction der Magenschleimhaut, 1 nieht, d .h . in 93 Proc. d e r U n t e r s u c h t e n w a r S a l z s ~ i u r e n a c h w e i s b a r . D iesesRe- sultat ~ndert sich nur wenig aach yon d e m Gesichtspunkte aus, dass bei den 14 Personen mit im Ganzen 34 Untersuchungen die Salzs~iure nieht immer ~) nachweisbar gewesen, sondern 30mal j a , 4rea l nein.

Ftige ieh hinzu, dass der eine Fall (G. M, Nr. 11 der Tabelle) mit constant negativem Ergebnisse trotz fehlender Magenbeschwerden als ein abnormer sich erwies (die Expression ergab stets friseh gallige Massen), so wird man hiernaeh, insbesondere wenn weitere Unter- suehungen die obigen Angaben best~tigen, die Salzs~ureausscheidung des gesunden~ speisefreien Magens ,,ira Ntichternen" als d i e R e g e 12) und demgemiiss als ein (physiologisehes) normales Phiinomen beim Menschen anzusehen haben.

Hinsichtlich der vom niichternen Magen gelieferten M e n g e Saftes vermag die vorliegende Untersuchung ein exactes Resultat nieht zu geben; in einzelnen F~llen erhielt ich nur einige Tropfen, in vielen 5 - -6 , (ifter 10--15, iifter noeh 2 5 - - 3 0 - - 5 0 - - 6 0 cem (vgl. Columne I0 in der Tabelle). Allein die Menge des yore gesunden Magen in

1) Wie ftir die klinische Diagnose (Riegel), so ist auch ffir die vorliegende Frage der nach mehffachen Untersuchungen erhobene Befund einzig entschei- dendl das ze i twe i l ige Fehlen ist auch hier durchaus bedeutungslos.

2) Dass die hier mitgetheilte, nahezu constante Erscheinung anderen Unter- suchern entgangen ist, ist auffallend und erkl~rt sich meines Erachtens nur durch die zuvor kritisirte Untersuchungsmethode derselben, insbesondere durch die hhufig benutzte Wassereinftihrung zur Enfleerung des Mageninhalts, was bekanntlich yon einem anderen Gesichtspunkte yon R iegel L eube gegentiber bereits als Fehler- quelle eingewendet worden ist; sie mag auch der Grund far die Unsicherheit und Inconstanz der Angaben einzelner Autoren sein, die bald berichten: ,,Des Morgens im ntiehternen Zustande (finder man) den Magen s te ts leer" , und wiederum an einer anderen Stelle, ,,dass im ntichternen Zustande die freie Salzshure m e i s t e n s fehlt", dass mehrfach Angaben sich finden: ,,Zuweilen" kommen ,Andeutungen" oder ,,Spuren" yon Salzs~ure im ntlchternen Magen vor. Aber auch diese in- constante Secretion daft noch nicht als Beobachtung einer spontanen Secretion gelten, denn Riegel sagt z. B.: , , . . . dass ich bei Gesunden trotz Leerseins des Magens auch im n t ich te rnen Zustand zuweilen Salzs~ure gefunden habe, wohl veranlasst durch den Reiz der Sonde und die geringe Menge des eingegossenen Wassers". Ed inge r hat freilich die eine bier hervorgehobene Fehlerquelle ver- mieden, er ist abet trotzdem zu einem anderen Resultat gekommen, was um so auffallender ist, als er der zu versehluckenden Gelatineschwammkapsel ein mit Butter bestrichenes Brodstiickchen in den Magen der Untersuchten nachschickte, was zuweilen allein ft~r sich gentigt, die Salzs~uresecretion im Magen anzuregen, bezw. zu steigern.

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einer bestimmten Zeit oder Zeiteinheit abgeschiedenen Saftes ist, wenn wit Falle mit Magenfisteln als nieht normale ansehen, tiber- haupt nieht zu bestimmen, denn, ob wit uns der Expressionsmethode oder der der Ausheberung bedienen, in keinem Falle, davon kann man sieh leieht und oft tiberzeugen, darf man darauf reehnen, den Magen v o l l s t i i n d i g zu entleeren. Es ist daher aueh far die voran- stehenden Falle mit wenigen Cubikeentimetern oder Tropfen Magen- salt keineswegs die Annahme erlaubt, dass der Magen in ihnen nur so viel und nieht mehr FlUssigkeit enthalten habe. Ueberdies inter- essirt diese Frage mehr in Beziehung auf bestimmte pathologisehe Yerhaltnisse, z.B. die sogenannte Hypersecretio aeida, die hier abet gar nieht bertihrt werden sollen.

Wiehtiger erseheint das q u a l i t a t i v e Verhalten des vom speise- freien Magen im NUehternen seeernirten Saftes: sein Verdauungs- vermSgen, sein proeentisehes Saute- und sein sonstiges Misehungs- verhaltniss mit anderen Seereten.

In Fallen mit ausreiehenden Mengen exprimirten Saftes wurden einige Matt u angestellt und zwar mit positivtm Ergebniss: in 4--5 Stunden wurden Eiweissseheibehen verdaut. Der ntiehterne Magen seeernirt somit einen wirkliehen, S al z s a u r e u n d P e p s i n enthaltenden Salt.

Der Proeentgehalt des ,,im 51Uehternen" seeernirten Saftes an Salzsaure sehwankte in den untersuehten Fallen (vgl. Columne 9), auf Normalnatronlauge bereehnet, zwisehen 0,5 und 1,8 pro mille, d. h. er war zum Theil erheblieh niedriger, zum Theil annahernd so gross (1,5--2,0 Pros., R iegel ) , als der unter normalen Verhaltnissen beim Mensehen wahrend resp. gegen Ende der Verdauung gewonnene.

In dem einen wie in dem anderen Falle hat man es jedoeh kaum mit einem reinen, unvermisehten, sondern mit einem, wit z.B. in den vorliegenden Untersuehungen, dutch versehluekten Spei- ehel (und eventuell aueh Nasen-Mundsehleim) verdtinnten Magensaft zu thun.

In streng physiologisehen Experimenten am Thiere suehte man daher vielfach diese Speiehelbeimengung (z. B. dureh Drtisenunter- bindung, Durehsehneidung u. s. w.) zu verhindern; ira Falle R ieh e t beim Mtnsehen gelang dies zufallig infolge des Grundleidens, der impermeablen Oesophagusstrictur; L. E d i n g e r aehtete in seinen Versuehen darauf, dass der Speiehel nieht versehluekt wurde.

Anseheinend l iegt somit den mitgetheilten Untersuehungen ein u zu Orunde, der als soleher nicht nut in Rticksieht auf die proeentisehen Verhiiltnisse in Betraeht kommt, sondern~ in

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Zur Physiologic und Pathologic der Verdauung. 377

Rtieksieht auf den folgenden principiell viel gewichtigeren Punkt: Bekanntlich wird yon einzelnen, nicht yon allen Physiologen dem Speiehel die Fiihigkeit der E r r e g u n g der Saftsecretion im Magen zu- gesehrieben. Eine Untersuchung abet, wie die vorliegende, welehe gerade die Frage der s p o n t a n e n (physiologisehen), normalen Salt- secretion der ,,im NUchternen" befindliehen Magenschleimhaut zu beantworten unternimmt, hiitte anscheinend somit vor Allem die Speiehelzufuhr zum Magen als Quelle der Secretionserregung aus- schalten mtissen. Es ist dies jcdoeh absichtlieh nieht geschehen, weil

1. der erw~thnte Einfluss des Speichels auf die Saftsecretion des Magens keineswegs feststeht, ein Punkt, auf den spi~tcr eingegangen werden soll; weil

2. die Speiehelseeretion den ~achweis der Salzsaurereaetion der Magensehleimhaut dureh 51eutralisation (E di ng er) nicht in dem Maasse zu beeintriiehtigen seheint, dass die eventuell spontane Secre- tion dutch die erstere verdeekt wird; und hauptsliehlieh weil

3. die physiologische Saftsecretion im Magen yore Standpunkte dcr Erniihrungsphysiologie aus uns lediglieh in ihrer Gesammtheit interessirt. Es mag den Faehphysiologen die enger begrenzte Frage nach der Fahigkeit tier Magensehleimhaut an and fur sich, nut im Zusammenhang mit dem Blutkreislauf, selbst theilweise losgeliist yon ihm zu funetioniren, besehiiftigen und das so gelieferte Product kennen zu lernen interessiren; allein in Rtieksicht auf die Physiologic d er V e r d a u u n g hat die Beantwortung einer wie zuvor formulirten theoretisehen Frage eine mehr untergeordnete Bedeutung, da der Organismus, der menschliche wie tier thierisehe, so organisirt ist, dass alas Speiehelseeret fortdaaernd naeh dem Magen hin abfliesst. Ob hiernaeh die Mundh~hlenflUssigkeit anregend oder sttirend auf die Saftsecretion des Magens einwirken mag, ihre fortdauernde u einigung mit der Schleimhautoberfliiche des Magens muss als physio- logiseh stets gegeben angesehen werden.

Das Stadium der Verdauungslehre setzt daher die Betrachtung der in ihr Gebiet geh~rigen Se- und Excrete bis zu einem gewissen Grade n u t in der Verbindung voraus, in der sic die Natur selbst wiihrend der ganzen Verdauungsperiode, ja tiberhaupt fast fortdauernd vereinigt erhalt.