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LÜDERITZ www.luderitz-witzenhausen.de 2013 - 2016 Zwei Seiten Deutscher Kolonialgeschichte

Zwei Seiten Deutscher Kolonialgeschichte

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Ende des neunzehnten Jahrhunderts ist Deutschland in das Wettrennen um Kolonien eingestiegen. Ein irrsinniger Versuch, die Welt zu erobern. Ein Jahrhundert später, was bleibt?

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LÜDERITZ

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Ende des neunzehnten Jahrhunderts istDeutschland in das Wettrennen um Kolonieneingestiegen. Ein irrsinniger Versuch, die Welt zuerobern. Ein Jahrhundert später, was bleibt?

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- Radieschen in der Wüste -

Stephan Dietrich

Deutschland wurde innerhalb vondrei Jahrzehnten zur viert größtenKolonialmacht. Dementsprechendgroß ist die Auswahl an kolonialenSchauplätzen, die über den Erdballgesprenkelt von den Großmachtträu-men zeugen. Aber von Anfang an:Die Lüderitzbucht, ganz im Südendes heutigen Namibias, war das ers-te Gebiet, das unter deutschenSchutz gestellt wurde. In der Hoff-nung auf Bodenschätze, Handel mitder Kapregion, aber sicherlich auchvon Abenteuerlust getrieben, hatteder Bremer Tabakhändler Adolf Lü-deritz im Jahr 1883 begonnen Landzu erwerben. Kein sonderlich einla-dender Ort, besonders wenn mandavor die grüne afrikanische West-küste entlang gefahren ist. ÜberallSand, unerträgliche Hitze und keinSüßwasser. Allerdings waren Andereschneller gewesen und EuropasMächte hatten sich bereits einenGroßteil Afrikas gesichert. Währenddes Scramble for Africa wurde einGroßteil des Kontinents innerhalbweniger Jahre von den Kolonial-mächten abgesteckt. Kleine Fähn-chen auf den groben Landkartenwurden mit Linien verbunden, dieGrenzen und später Nationen dar-stellen sollten, die häufig um einvielfaches größer waren als die eige-ne Heimat.Der Südwesten Afrikas bot jedochnoch Platz auf diesen Karten. Adolf

Lüderitz beauftragte seinen erst 21Jahre alten Vertreter Heinrich Vogel-sang, die Bucht zu erwerben, in derdie Portugiesen bereits im 15 Jahr-hundert eine Siedlung errichtet hat-ten. Für 200 Gewehre und 100 PfundSterling kaufte Vogelsang dem Kapi-tän John Fredericks II, der in derdünn besiedelten Region um dieBucht mit seinem Klan lebte, Land ineinem Umkreis von fünf Meilen ab.Schon kurz darauf dürften dem Na-ma Kapitän jedoch erste Zweifel anden Absichten der Neuankömmlingegekommen sein.In Deutschland wurde die Kolonial-pläne mitunter als uneigennützigund fortschrittlich beworben. DieChance auf ein besseres Deutsch-land in der Ferne sahen Befürworterin den Kolonien, in denen dasSchlechte ausgemerzt und Fort-schritt exportiert werden würde. Alsersten Vorgeschmack wurde demKapitän Fredericks II gleich nach derVertragsunterzeichnung mitgeteilt,dass man nicht die englische, son-dern die viermal längere preußischeMeile im Vertrag festgelegt hätte.Damit wurde die erworbene Flächevervielfacht, was später als großerMeilenschwindel in Erinnerung blieb.Der Anfang der gemeinsamen Ge-schichte, die mit Fredericks II Tod indem später errichteten Konzentrati-onslager in der Bucht endete.

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Lüderitz war klar, dass er keine Mög-lichkeit hatte, seine Investition zuverteidigen. Er besaß kein Militär undnur bedingt politische Macht. Wieviele andere Grundbesitzer, Lobbyis-ten und Kolonialvereine bat auch erReichskanzler Bismarck, seinen Neu-erwerbungen staatlichen Schutz zugewähren. Auch wenn Bismarck Ko-lonien im Grunde skeptisch gegen-überstand, willigte er 1884 doch ein,auch Gebieten außerhalb der Staats-grenzen Sicherheit zu garantieren.Ein gedämpfter Startschuss für deut-sche Kolonien, die vorerst alsSchutzgebiete bezeichnet wurden.Die Lüderitzbucht war das erste Ge-biet, dem dieser Schutz zugespro-chen wurde.Um Gebietsansprüchen der Englän-der zuvorzukommen, machte sichder neu eingesetzte Reichskom-missar Gustav Nachtigal kurzer Handauf den Weg in die Lüderitzbucht,um auf der Durchfahrt noch Togound Kamerun in Besitz zu nehmen.Nur wenige Tage später, im August1884, versammelte er sich mit einerkleinen Gruppe aus Angestellten vonLüderitz, der Besatzung von zweiKriegsschiffen sowie dem KapitänJohn Fredericks II in der Bucht undhisste offiziell die deutsche Flagge.Allerdings blieben die erhofften Ge-winne aus und die enormen Kostenfür den Aufbau und die Instandhal-tung der Siedlung verschlungen das

Vermögen von Adolf Lüderitz. Untergroßem Verlust musste er das Landan die Deutsche Kolonialgesellschaftfür Südwestafrika verkaufen, dieweiter expandierte. Ein Jahr späterwurde Lüderitz sein kolonialesAbenteuer endgültig zum Verhäng-nis, als er auf einer Erkundungstouram Oranje Fluss unter unbekanntenUmständen verunglückte.Deutsch-Südwestafrika, wie das Ge-biet nun genannt wurde, zog sichüber fast 1.200 Kilometer Länge vonder südafrikanischen Grenze bis zumportugiesischen Angola im Norden.Im Gegensatz zu den anderen deut-schen Kolonien wurde Deutsch-Süd-westafrika zu einer Siedlerkolonie, inder die Auswanderer eine Art Außen-stelle Deutschlands bildeten. Sosollten sie dem Reich nicht vollkom-men verloren gehen, wie das ingroßer Zahl während der Auswande-rungswelle in die USA passierte.Auf die zirka 200.000 Bewohnern ka-men später etwa 12.500 Deutsche.Allerdings hielt sich die Kolonie nichtlange. Der erste Weltkrieg breitetesich bis in den Süden Afrikas aus, wodie Deutschen militärisch klar unter-legen waren. Vor einem Jahrhundert,im Herbst 1914, wurde Lüderitz nach30 Jahren unter deutscher Herrschaftkampflos an südafrikanische Trup-pen aufgegeben.

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Als ersten offiziellen Verwalter derKolonie entsandte das DeutscheReich Ernst Göring, den Vater desNazi Reichsfeldmarschalls. Späterausgestattet mit zwei Dutzend Sol-daten hatte er die Aufgabe, ein Ge-biet größer als das Kaiserreich zuverwalten.Durch so genannte Schutzverträgewurden die meisten Kapitäne undderen Gefolgsleute praktisch unter-worfen. Der Expansionsdrang wurdeauch durch die ständigen Auseinan-dersetzungen der zwei größtenVolksgruppen in der Region begüns-tigt. Das verdeutlichen die Tagebü-cher von Hendrik Witbooi, dem An-führer eines der mächtigsten NamaStämme und heutigen Nationalhel-den. Seine Abhängigkeit von GöringsWaffenlieferungen für den Kampfgegen die verfeindeten Herero stiegstetig, was seine Verhandlungsposi-tion gengenüber der Deutschen im-mer weiter schwächte.Die Bodenschätze blieben vorerstunendeckt und das harsche Klimamachte den Auswanderern das Le-ben schwer. Fast alles musste müh-sam importiert werden und selbstSüßwasser wurde lange Zeit ausKapstadt angeschifft. Die gewaltsa-me Unterdrückung der Bevölkerungdurch die Deutschen sorgte zuneh-mend für Unruhen. Nach Aufständenmusste Göring in englisches Gebietflüchten, von wo er nicht mehr nach

Deutsch-Südwestafrika zurückkehr-te.Im Jahr 1904 entlud sich die Wut mitvoller Wucht. Erst erhoben sich dieHerero und später auch die Namagegen die Deutschen. ErbitterteKämpfe mit immer weiter aufgerüs-teten Kolonialtruppen zogen sichüber mehrere Jahre und mündetenin dem Vernichtungsbefehls desGenerals von Trotha, der sicherlichder gnadenloseste unter den deut-schen Führern in Deutsch-Südwest-afrika war. Die Mitteilung an die Her-eros beginnt er mit den Worten „Ich,der große General der deutschenSoldaten, sende diesen Brief an dasVolk der Herero. Die Hereros sindnicht mehr deutsche Untertanen.“Ohne Rücksicht wurden die zurück-weichenden Herero einschließlichKindern und Frauen nach einerSchlacht in die Omaheke Wüste ge-trieben, in der einen Großteil ver-durstete. Gefangene wurden in Kon-zentrationslager gesperrt, von deneneines auf Shark Island, einer Halbin-sel bei Lüderitz, errichtet wurde.Mehrere tausend Inhaftierte warenweitestgehend auf sich alleine ge-stellt und verendeten an den kata-strophalen hygienischen Bedingun-gen, Unterernährung und demschwierigen Klima. Von den ur-sprünglich 100.000 Herero und Na-ma überlebte schätzungsweise nurein Viertel den Völkermord.

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In Lüderitz blieb es nach den Auf-ständen bis zum Ausbruch desersten Weltkriegs ruhig. Eine vonZwangsarbeitern aufgebaute Ei-senbahnlinie, sowie Diamanten-funde sorgten nochmal für einenAufschwung in der Bucht. Das än-derte aber auch nichts daran, dassdie Luedritzbucht, wie fast alleKolonien, auch wirtschaftlich einFiasko war.Während des ersten Weltkriegsbesetzten Truppen aus Südafrikadas Land und annektierten espraktisch bis zur Unabhängigkeit1990. Offiziell wurden Deutsch-land die Kolonien 1919 mit denVersailler Verträgen wegen unzivi-lisierter Herrschaft entzogen. DerGroßteil der Deutschen kehrtevorläufig in die alte Heimat zu-rück, wobei es später viele überSüdafrika mit neuer Staatsange-hörigkeit zurück nach Namibiazog. Noch heute leben etwa20.000 deutschstämige Namibierim Land.Mit der Unabhängigkeitsbewe-gung in Afrika, wurde auch inDeutschland die Kolonialge-schichte zunehmend kritisch be-leuchtet. Heute ist Deutschlanddas wichtigste bilaterale Geber-land Namibias und versucht sodurch verstärkte Entwicklungszu-sammenarbeit der Kolonialge-

schichte Rechnung zu tragen. Dasschließt allerdings direkte Zah-lungen an die Herero und Namaaus.Auf eine deutsche Entschuldigungfür die Verbrechen wartete man inNamibia jedoch lange. Als sich dieHerreoaufstände im Jahr 2004zum einhunderten Mal jährten,sprach die damalige Entwick-lungsministerien Wiecorek-Zeulüber die moralische Verantwor-tung der Deutschen. Entgegen deroffiziellen Haltung Deutschlandsbat sie etwas umständlich „imSinne des gemeinsamen Vaterunser um Vergebung unsererSchuld“. Mehr war nicht drin,schließlich sollten Entschädi-gungszahlungen für den Genozidvermieden werden.Noch heute kämpft die Vertretungder Herero vor einem amerikani-schen Gericht um Wiedergutma-chung für die beinahe Ausrottungihrer Vorfahren. Bisher vergeblich.

IV.

FürdieKolonialschulewurdeeinehe-maligesKlosterfüranfangs40Schülerumgebaut.DieJugendlichenlebtenineinemInternatundarbeitetenaufei-nemMusterhof.Zusätzlichzurprakti-schenArbeitgabeseinetheoretischeAusbildunginderFächerwieKisuahelioderTropengesundheitinvierSemes-ternunterrichtetwurden.DasLeitmot-toderSchule:MitGottfürDeutsch-landsEhr,DaheimundübermMeer!AußerdemwurdedieSchulezueinerArtSchaltzentraleimkolonialenAr-beitsmarkt.DerSchulleiterbliebgutvernetztmitseinenehemaligenSchü-lernundwareineArtVermittlerzwi-schenPlantagenbetreibernundAbsol-venten.ImKulturpionier,derZeitschriftderKolonialschule,gabesinregelmä-ßigenAbständenBerichteüberEreig-nisseausdenKolonienundNeuigkei-tenausderKolonialschule.AlsverzweifelteAntwortaufdenüber-wältigendenÜberschussanMännernindenKolonien,wurdeab1908zudemdieFrauenkolonialschuleeingerichtet.AufbiszuzehndeutscheSiedlerkambisweilennureineFrau,waszuinter-nenKonfliktenundletztendlichzurAnnulierungallerMischehenindenKolonienführte.DieHauptaufgabederKolonialschülerinnensollteeswerden,dasFrauenvakuumzufüllenunddeut-scheSiedlerzuheiraten.ÄhnlichwiebeidenMännern,zieltedieSchuleaufbürgerlicheSchichtenab.LautFabari-

us,weilsieambestenbefähigtwärendieMänner„vordemHerabsinkenaufeineEingeborenennaheStufe“zube-wahren.EsliefjedochnichtgutmitderFrauenkolonialschule,wasauchdaranlag,dassderSchulleiterFabariusnichtvielVerständnisfürdieFrauenzeigte.ProtesteunterdenSchülerinnenbe-siegeltenletztendlichdasEndederFrauenkolonialschuleinWitzenhausen.InsgesamtabsolviertennursechsSchülerinnendieeinjährigeAusbil-dung,diespäterinBadWeilbachwei-tergeführtwurde.BeidenMännernwarenesdeutlichmehrAbsolventen.BiszumEndehat-tenfast2.000SchülerdieAusbildungdurchlaufenundihreWanderungenbegonnen,wobeivielenochlangeüberihreSchulzeithinausmitWitzen-hausenverbundenblieben.TrotzdesVerlustsderKoloniendurchdenerstenWeltkriegwurdenachdemKriegdieAusbildungwiederaufge-nommen,schließlichhofftemanaufeineRückgewinnungderverlorenenGebiete.Erst1956gingdieDeutscheKolonialschuleindasDeutscheInstitutfürTropischeundSubtropischeLand-wirtschaftüberundwurdezueinemAußenstandortderUniversitätKassel.SeitdenneunzigerJahrenwerdeninderehemaligenKolonialschuleStu-denteninökologischerLandwirtschaftunterrichtet.

II.

AuchinDeutschlandhatdieKoloni-algeschichteihreSpurenhinterlas-sen.SiesindvielleichtnichtaufdenerstenBlicksichtbar,aberkeines-wegsausgelöscht.EineFolgewardieAusbreitungvonRassismus.UmdieUnterdrückungmoralichzurechtfertigen,wurdenRassentheo-rienverbreitet,umsichvonden"Anderen"abzugrenzen.AberwowarendieSchauplätze?EinOrtandemderKolonialismusaktivgeprägtwurde,wardieKolo-nialschuleWitzenhausen.Hierwur-denauswanderungswilligeMännerausgebildet,diespäterinlandwirt-schaftlichenBetriebenindenKolo-nienarbeiteten.JedesJahrwurdendieWanderungenderSchüleraufWeltkartenfestgehalten.Witzen-hausenalsZentrumdieserWeltmitVerbindungennachAmerika,Aus-tralien,AsienundAfrika,vorallemDeutsch-Südwestafrika.GegründetwurdedieSchuleausdemKreisIn-dustriellerunddesevangelischenAfrikaVereins,derspäterwegenBedenkenamSiedlungskolonialis-musvondemVorhabenabsprang.ImJahr1898wurdedieSchuleer-öffnetunddurchdenDivisionspfar-rerErnstAlbertFabariusbisüberdenerstenWeltkrieghinausgelei-tet.EinnationalistischerDirektor,dermitäußersterStrengeüberdieSchuleherrschte.AlleineinFünftel

derSchülerwurdebis1904wegenmangelndercharakterlicherEig-nungsuspendiert.ErselbstlehrteKolonialwirtschaft,GeschichteundVölkerkunde,obwohlerbis1910nochkeineKoloniebereisthatte.FinanziertwurdedieSchuledurchSpendenundeinemjährlichenSchulgeldvonanfangs800Mark.DadurchzogdieKolonialschuleeherKinderdesBürgertumsan.ZumBeispieldiezweitenSöhnevonLandbesitzern,beidenenderErstgeborenedenheimischenHofübernahm.DieAbsolventenunter-schiedensichdahermeistvondenGlücksjägern,diesichaufdenWegindieKolonienmachten,umetwainDeutsch-SüdwestafrikanachDiamantenzusuchen.DasselbsternannteZielderDeut-schenKolonialSchulGmbHwares,denStromplanloserAuswanderungzuverhindern.LautFabariusumzuvermeiden,dassdieAuswandererzu„KulturdüngerinfremdenVolks-tum“werden.DieIndustriellenhin-gegenzieltenaufgutausgebildeteFachkräfteab,dieaufdengroßenPlantageneingesetztwerdenkonn-ten.DerVereinstießeherzufälligaufWitzenhausen,einerKleinstadtmitknapp3.000EinwohnerninNordhessen,imZentrum,aberdochweitabvomGeschehen.

I.

-DaheimundübermMeer!-

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StephanDietrich

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EndedesneunzehntenJahrhundertsistDeutschlandindasWettrennenumKolonieneingestiegen.EinirrsinnigerVersuch,dieWeltzuerobern.EinJahrhundertspäter,wasbleibt?

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