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Zwischen Chaosund Ordnung Heimat finden Prof. Dr. Annelie Keifreferiertebei GELB über den brüchigenBodendes Lebens Steinhausen. ,,Was GELB hier in Bockhornaufgebaut hat, ist großartig!" löbte Prof. Dr. Annelie Keil jüngst im voll be- setzten Saal der Altdeutschen Diele in Steinhausen das Enga- gement des Gesprächskreises für Gesunde Ernährung und Le- bensführung Bockhorn.Die mit 73 Jahren noch immer viel be- schäftigte charismatische So- zial- und Gesundheitswissen- schaftlerin aus Bremenreistzur Teilnahme an Radio- und Fern- sehsendungen durch die Repu- blik, füllt bei ihren Vortragsver- anstaltungenSäle, ist Autorin mehrerer Bücher und engagiert sich ehrenamtlich in der Hospiz- arbeit: ,,Doch zu GELB komme ich immer wieder gern!" ,,Auf brüchigem Boden Land gewinnen: Biografische Anwor- ten auf Krankheit und Krisen" - so heißtein Buch von Annelie Keil,das sie als Grundlage für ihren Vortragnutzte. Um dem Leben - bestehend aus einemewigen Wechsel zwi- schen Chaos und Ordnung standhalten zu können, sei es unabdingbar, darin eine Heimat zu finden, sagt Annelie Keil. Doch wie stellenwir es an, uns in uns selbstzu beheimaten? ,,Heimat finden ist ebenso wie das ganze Leben ein Pro- zess: Es passiert etwas und bleibt nicht", so die Referentin. Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, seinen Gefüh- len und Handlungen auf den Grund zu gehen, aufzuschrei- ben, was und wer im eigenen Leben wichtig sei, die Wunden des Lebensin den Prozess ein- bauen, das helfe: ,,Das Leben ist eine große Erfinderreise und immer wieder unterwegs, he- rauszufinden, was heutewichtig ist. Und wir müssenauf diesem brüchigen Boden Halt finden." Wie das gelingen kann, zeigt die persönliche Biografie von Annelie Keil: Mit 40 erlitt sie ei- nen Herzinfarkt, mehrmals hatte sie sich mit Krebserkrankungen auseinanderzusetzen - und mit 70 flatterte ihr eine Enteignung in ihr altes Bauernhaus auf dem Land, das sie über Jahre mit viel Liebe ausgebaut hatte. Es Die GELB-Gästekonnten auf dem Vortragsabend nicht nur die charismatische Referentin persönlich kennenlernen,sondern Foto: Jutta Fink tige Punkte in der Biografie, wie wir uns an jemand erinnern oder was uns Appetit macht." Es gebe keine Generation seit Menschengedenken, die keine Krisen meistern musste, machte Annelie Keil in ihren Ausfüh- rungendeutlich - und verstand es bei allem Ernstdes Themas, humorvolle Pointen einzuwer- fen: ,,Heute rollen wir als demo- grafische Welledement auf die Jugend zu!" Womit sie bei einemweiteren gesellschaftlichen Problem der heutigen Zeit angekommen war: ,,Die Menschen vereinsamen. Alte und Demente werdenin Al- tersheimen kaserniert - sie zie- hen sich zurückund bekommen Angstvor der Umwelt. Undwann sehen Kindervor lauterAnpas- sung noch etwas'vom wilden Leben? Sie müssenrausgehen, die Welterforschen, dann endet auch die Pisa-Katastrophe!" Persönliches soziales Umden- ken sei gefordert: ,,Nicht jede Krise wirkt vernichtend,auch wenn man manchmal nicht wei- terkommt. Ubergänge im Leben wie die Wechseljahre oder die erste Periodemachendas deut- lich." Annelie Keil schlug hier den Bogenzur Natur: ,,Wenn der Boden im Frühjahr nach dem Frost brüchig wird, ist es Zeit ihn umzuwühlen. Erst dann ist er bereitfür neue Pflanzen." Wer nur auf alten Trampel- pfaden durch das Leben gehe, schade damit sich und ande- ren: ,,Auch der seelische Boden kann verhärten. lch muss mich fragen, wo mussich nachgeben, damitich in Schwingung bleibe. Dasmit dem Müssen und Sollen müssen wir üben; biografisch ist das Wollen wichtig.Und die stolze Erkenntnis, dass ich et- was kann." Allerdings: ,,Keiner hat das was er hat oder ist, allein ge- schafft. Auch die höchste Lei- stung ,ist nicht allein auf un- serem Mist gewachsen - immer sind andere Menschen und un- ser Umfeld daran beteiligt." Das Leben bestehe wie die Evolution aus sterben, verge- hen,anpassen und auferstehen: ,,Und wir müssen lernen, diesen Prozess zu verstehen. Das Le- ben hat keinen Ewigkeitscha- rakter, wir kommen ungefragt zur Welt. Wir haben unsereFa- milie nicht ausgesucht, nicht den Zeitpunkt und den Ort un- serer Geburtund Wir bekommen einen Auftrag, den wir nicht ken- nen - das ist die spirituelle He- rausforderung des Lebens." Annelie Keil abschließend: ,,Wenn ich die schwangere Frau sehe, die in Nairobi auf den Müllbergen lebt, dann spüre ich, wie verhältnismäßig sicher der Boden ist, auf dem ich hier stehe, und ich weiß, Leben hat auch viel mit Glück zutun." (jf) auch ihre Bücher. musste einer Deicherhöhung weichen. ,,lch fühle mich jetzt wohl in einem Einfamilienhaus in der Stadt, ich bin näher bei meinen Freunden. Zwei alte Ei- chenbalken, deren Alter und In- schriften mich immer fasziniert hatten, habe ich aus meinem alten Haus mitgeschleppt. Einer ziert meineWohnungund einer liegt als Krokodilauf dem Kin- derspielplatz in der Nachbar- schaft." Mut aufbringen und den Erfin- dergeist wecken, heißt also das Motto: ,,Befreien Sie sich von dem lebenslangen Terroreines gemeinsamen Schlafzimmers, wenn das Schnarchenin lhrer Beziehung ein Thema ist", riet sie, ,,wenn die Kinder ausgezo- gen sind, beleben Sie die leer- stehenden Zimmer." Leben, Biografieund Heimat seienäußerst komplex: ,,Erinne- rungen, Hörerlebnisse und Ge- rüche manifestieren sich in der Biografie. Dicke Federbetten und der Geruchvon Mottenku- geln erinnern an die Großmutter in den 50-er Jahren, der Duft von Gänsebraten und Rotkohl an Weihnachten. 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Zwischen Chaos und Ordnung Heimat finden · Zwischen Chaos und Ordnung Heimat finden Prof. Dr. Annelie Keif referierte bei GELB über den brüchigen Boden des Lebens Steinhausen

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Page 1: Zwischen Chaos und Ordnung Heimat finden · Zwischen Chaos und Ordnung Heimat finden Prof. Dr. Annelie Keif referierte bei GELB über den brüchigen Boden des Lebens Steinhausen

Zwischen Chaos und Ordnung Heimat findenProf. Dr. Annelie Keif referierte bei GELB über den brüchigen Boden des Lebens

Steinhausen. ,,Was GELBhier in Bockhorn aufgebaut hat,ist großartig!" löbte Prof. Dr.Annelie Keil jüngst im voll be-setzten Saal der AltdeutschenDiele in Steinhausen das Enga-gement des Gesprächskreisesfür Gesunde Ernährung und Le-bensführung Bockhorn. Die mit73 Jahren noch immer viel be-schäftigte charismatische So-zial- und Gesundheitswissen-schaftlerin aus Bremen reist zurTeilnahme an Radio- und Fern-sehsendungen durch die Repu-blik, füllt bei ihren Vortragsver-anstaltungen Säle, ist Autorinmehrerer Bücher und engagiertsich ehrenamtlich in der Hospiz-arbeit: ,,Doch zu GELB kommeich immer wieder gern!"

,,Auf brüchigem Boden Landgewinnen: Biografische Anwor-ten auf Krankheit und Krisen"- so heißt ein Buch von AnnelieKeil, das sie als Grundlage fürihren Vortrag nutzte.

Um dem Leben - bestehendaus einem ewigen Wechsel zwi-schen Chaos und Ordnungstandhalten zu können, sei esunabdingbar, darin eine Heimatzu finden, sagt Annelie Keil.Doch wie stellen wir es an, unsin uns selbst zu beheimaten?

,,Heimat finden ist ebensowie das ganze Leben ein Pro-zess: Es passiert etwas undbleibt nicht", so die Referentin.Verantwortung für sich selbstzu übernehmen, seinen Gefüh-len und Handlungen auf denGrund zu gehen, aufzuschrei-ben, was und wer im eigenenLeben wichtig sei, die Wundendes Lebens in den Prozess ein-bauen, das helfe: ,,Das Lebenist eine große Erfinderreise undimmer wieder unterwegs, he-rauszufinden, was heute wichtigist. Und wir müssen auf diesembrüchigen Boden Halt finden."Wie das gelingen kann, zeigtdie persönliche Biografie vonAnnelie Keil: Mit 40 erlitt sie ei-nen Herzinfarkt, mehrmals hattesie sich mit Krebserkrankungenauseinanderzusetzen - und mit70 flatterte ihr eine Enteignungin ihr altes Bauernhaus auf demLand, das sie über Jahre mitviel Liebe ausgebaut hatte. Es

Die GELB-Gäste konnten auf dem Vortragsabend nicht nur diecharismatische Referentin persönlich kennenlernen, sondern

Foto: Jutta Fink

tige Punkte in der Biografie, wiewir uns an jemand erinnern oderwas uns Appetit macht."

Es gebe keine Generation seitMenschengedenken, die keineKrisen meistern musste, machteAnnelie Keil in ihren Ausfüh-rungen deutlich - und verstandes bei allem Ernst des Themas,humorvolle Pointen einzuwer-fen: ,,Heute rollen wir als demo-grafische Welle dement auf dieJugend zu!"

Womit sie bei einem weiterengesellschaftlichen Problem derheutigen Zeit angekommen war:,,Die Menschen vereinsamen.Alte und Demente werden in Al-tersheimen kaserniert - sie zie-hen sich zurück und bekommenAngst vor der Umwelt. Und wannsehen Kinder vor lauter Anpas-sung noch etwas'vom wildenLeben? Sie müssen rausgehen,die Welt erforschen, dann endetauch die Pisa-Katastrophe!"

Persönliches soziales Umden-ken sei gefordert: ,,Nicht jedeKrise wirkt vernichtend, auchwenn man manchmal nicht wei-

terkommt. Ubergänge im Lebenwie die Wechseljahre oder dieerste Periode machen das deut-l ich." Annelie Keil schlug hierden Bogen zur Natur: ,,Wenn derBoden im Frühjahr nach demFrost brüchig wird, ist es Zeitihn umzuwühlen. Erst dann ister bereit für neue Pflanzen."

Wer nur auf alten Trampel-pfaden durch das Leben gehe,schade damit sich und ande-ren: ,,Auch der seelische Bodenkann verhärten. lch muss michfragen, wo muss ich nachgeben,damit ich in Schwingung bleibe.Das mit dem Müssen und Sollenmüssen wir üben; biografischist das Wollen wichtig. Und diestolze Erkenntnis, dass ich et-was kann."

Allerdings: ,,Keiner hat daswas er hat oder ist, allein ge-schafft. Auch die höchste Lei-stung ,ist nicht allein auf un-serem Mist gewachsen - immersind andere Menschen und un-ser Umfeld daran beteiligt."

Das Leben bestehe wie dieEvolution aus sterben, verge-hen, anpassen und auferstehen:,,Und wir müssen lernen, diesenProzess zu verstehen. Das Le-ben hat keinen Ewigkeitscha-rakter, wir kommen ungefragtzur Welt. Wir haben unsere Fa-milie nicht ausgesucht, nichtden Zeitpunkt und den Ort un-serer Geburt und Wir bekommeneinen Auftrag, den wir nicht ken-nen - das ist die spirituelle He-rausforderung des Lebens."

Annelie Keil abschließend:,,Wenn ich die schwangere Frausehe, die in Nairobi auf denMüllbergen lebt, dann spüreich, wie verhältnismäßig sicherder Boden ist, auf dem ich hierstehe, und ich weiß, Leben hatauch viel mit Glück zutun." (jf)

auch ihre Bücher.

musste einer Deicherhöhungweichen. ,,lch fühle mich jetztwohl in einem Einfamilienhausin der Stadt, ich bin näher beimeinen Freunden. Zwei alte Ei-chenbalken, deren Alter und In-schriften mich immer faszinierthatten, habe ich aus meinemalten Haus mitgeschleppt. Einerziert meine Wohnung und einerliegt als Krokodil auf dem Kin-derspielplatz in der Nachbar-schaft."

Mut aufbringen und den Erfin-dergeist wecken, heißt also dasMotto: ,,Befreien Sie sich vondem lebenslangen Terror einesgemeinsamen Schlafzimmers,wenn das Schnarchen in lhrerBeziehung ein Thema ist", rietsie, ,,wenn die Kinder ausgezo-gen sind, beleben Sie die leer-stehenden Zimmer."

Leben, Biografie und Heimatseien äußerst komplex: ,,Erinne-rungen, Hörerlebnisse und Ge-rüche manifestieren sich in derBiografie. Dicke Federbettenund der Geruch von Mottenku-geln erinnern an die Großmutterin den 50-er Jahren, der Duftvon Gänsebraten und Rotkohlan Weihnachten. Es sind wich-

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