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Die deutsche Stadt DanzigGisela v. Hoyningen-Huene

Gothiscandza (Land der Goten) ist die Bezeichnung der Landschaft an der Weichselmündung, aus wel-cher sich der Name Danzig herlei-tet. Als die Stadtgemeinde Danzig vor etwa 800 Jahren ins Leben trat, bestand an dieser Stelle schon seit dem Anfang des Jahres 1000 eine Ortschaft, nur ist eben das Bestehen einer städtischen Gemeinschaft als besonderer Organisationsform ur-kundlich erstmals 1224 nachweis-bar. Die durch hanseatische Kauf-leute gegründete Ortschaft war für diese als Handelsstützpunkt auf ihren weiten Schiffahrtswegen von großer Wichtigkeit.

Danzig führt den Nämen einer Han-sestadt wie Lübeck, Bremen und Ham-burg es heute noch tun. Die Anfänge der Hanse lassen sich auf einen Bund wagemutiger Kaufleute zurückführen, die unter dem Schutz Heinrichs des Löwen 1161 die "Genossenschaft der Gotland besuchenden deutschen Kauf-leute" gründeten. Von Pommern über Preußen und Kurland bis ins russische Nowgorad hinauf entstanden Handels-stützpunkte und wuchsen Städte nach deutschem Recht empor. Etwa 80 deut-sche Städte gehörten zu den "aktiven" Städten, die durch einen Delegierten bei den Hansetagen vertreten waren. Eine Besonderheit war die Mitgliedschaft des Hochmeisters des Deutschen Ordens, der als einziger Reichsfürst der Hanse angehörte. Als 1361 König Waldemar von Dänemark seinen Einfluß im Ost-seegebiet verstärken wollte und die Han-sestadt Wisby angriff, mußte die Hanse zu den Waffen greifen. Die Hansestädte schlossen ein engeres Bündnis und rü-steten eine mächtige Flotte aus. Danzig beteiligte sich mit fünf Koggen. Im Frie-den von Stralsund wurden alle Privilegi-en bestätigt. Vertreter Danzigs unter den siegreichen Hansestädten war Nikolaus Godesknecht. Damit war die Macht der Hanse für die nächsten 150 Jahre gesi-chert. Auf die Dauer konnte die Hanse

1000 Jahre deutsche Kulturleistung

ihre Ostseeherrschaft nicht behaupten. Wachsende Konkurrenz der Holländer und Briten, sowie zunehmender Einfluß der süddeutschen Städte machten sich hinderlich bemerkbar. Schließlich lähm-te der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) entscheidend die Handelsaktivität.

Danzigs Flagge, wie wir sie kennen, ist über ein halbes Jahrtausend alt. Schon zur Hansezeit führte Danzig zwei wei-ße Kreuze auf rotem Grund. Nachdem Danzig sich vom Deutschen Ritterorden losgelöst und den polnischen König zum Schutzherrn gewählt hatte (ähnliches war in damaliger Zeit auch anderswo üblich), bedang es sich 1457 neben vie-len anderen Vorrechten auch die seiner Machtstellung entsprechende goldene Krone aus, die aber beileibe keine Kö-nigs- sondern eine Blätterkrone ist. Sie stellt die Krone der Danziger Patrizi-er dar, die sich niemandem unterstellt hatten in ihrer Stadt Danzig, die sie die Königin der Ostsee nannten. Danzigs Wappenspruch:

NEC TEMERE NEC TIMIDE

In Danzig paarte sich hanseatische Weltoffenheit mit preußischer Gesin-nung. Man war in Danzig national, im Sinne eines sich dauernd zu bewähren-den Selbstbehauptungswillens, erprobt in Jahrhunderte langer Abwehr des Sla-wentums. Die Einwohnerschaft hatte das Bewußtsein, einer hervorragenden Kulturgemeinschaft anzugehören; sie fühlte sich als Glied einer europäischen Geistesverwandtschaft, die, nach Osten hin weit geöffnet, aus der Fülle ihres kulturellen Erbes mehr gab als nahm. Ein solcherart aufgeschlossenes Ge-meinwesen gedeiht nicht in der Abge-schlossenheit, es bedarf der anhaltenden Zufuhr frischen Blutes, und daran man-gelte es zu keiner Zeit. Niederdeutsche, Schlesier, Rheinländer und Märker lie-ßen sich immer wieder in Danzigs Mau-ern nieder. Franzosen und Schotten, Niederländer und Süddeutsche bildeten

ein belebendes Element. Um 1000 n. u. Ztr. hatten hansische Kaufleute an der Weichselmündung einen Handelsstütz-punkt angelegt. Um diese Zeit beginnt auch die historische Zeit für das Gebiet von Westpreußen, die dann im Jahr 1200 voll einsetzt. Mit dem Erscheinen des Deutschen Ordens nimmt mit dem Jahr 1230 die deutsche Geschichte West- und Ostpreußens ihren Anfang.

Hermann von Salza, der vierte Hoch-meister des Ordens, darf als der Gründer des Ordensstaates gelten. Der Ordens-staat ist auch ein Werk Kaiser Friedrich II. Am 28. Dezember 1232 verleiht Her-mann von Salza in der Kulmer Handfeste den Städten Thorn und Kulm wichtige Privilegien, welche die Grundlage wer-den für die Deutschen in Preußen. Wie sein Name sagt, war dieser Orden nicht allgemein sondern deutsch. Das gab ihm eine nüchterne und weltliche Farbe. Im Jahre 1237 vereinigte sich der Deutsche Orden mit dem livländischen Schwert-brüderorden, wodurch er nun auch die Hoheit über die baltischen Länder aus-übte. Damit ist ein zusammenhängendes Siedlungsgebiet geschaffen.

So trat der Orden vom Deutschen Hause schließlich gegen die heidnischen Preu-ßen an, berufen und gewillt sie zu bekeh-ren. Diese Mission und der Ordensstaat gehören in das große Ganze der deut-schen Geschichte. Das erste Mittel dazu war die Ordenszucht. Die Ritterschaft bestand aus nachgeborenen Söhnen des deutschen Adels. Als weichende Erben waren sie Hagestolze. Hier nun, im Or-den, schloß sich eine Anzahl Einzelner zur Genossenschaft gemeinsamen Le-bens zusammen. Was sie erfüllte, war die Begeisterung fürs gute Werk, dem sie berufen, dienten. Die Ritterbrüder waren anfangs wenige Dutzend, niemals mehr, als einige Hundertschaften. Die Brüder des Deutschen Ordens trugen als erste die Farbe der zukünftigen Macht: Aus dem weiß des Mantels hob sich das schwarze Kreuz. Aus dem Mantel wird

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einmal ein Banner, das sich trotz aller Angriffe behauptet und erst in unserer Zeit -1945 durch den Akt der gegen Deutschland angetretenen Mächte in den Staub sinkt.

Des Verhältnis der Deutschen und der Preußen war zunächst vom Glaubens-krieg (Rom, Katholizismus) bestimmt, der die Herzen verhärten kann. Aber Haß, Fanatismus, menschenverachten-des Verhalten waren den deutschen Or-densrittern fremd. Langfristig lag dem Verhältnis von Volk zu Volk der Einfluß, die Vertrauensgewinnung, die Näherung aus eineinhalb Jahrtausenden germa-nisch-baltischer Nachbarschaft zugrun-de. Der preußische Kleinfürst war der gegebene Partner der Ordensherren.

Es begann die Kunst der Plansied-lung. Man hatte sie gerufen, die Deut-schen aus dem Rheingebiet, aus Nie-dersachsen, Schleswig, Thüringen und Schlesien. Die Massenwanderung von Deutschen nach Preußen ist es, die dem Landesausbau im ersten Menschenalter den Schwung und die Verbreitung gibt. 54 Städte, 890 Zinsdörfer, darin 19.000 deutsche Bauernhöfe (ohne das Kulmer Land) wurden geschaffen. Eine Mei-sterleistung des Deutschen Ordens. Das Bollwerk gegen die Tartaren stand und hielt Jahrhunderte.

Wer nicht bar war jeden Gefühls für alte deutsche Städteherrlichkeit, der er-lebte in der alten deutschen Hansestadt Danzig den unmittelbaren Abglanz je-nes mächtigen Danzigs, das zu seiner Zeit ganz Europa-Nordost handelspo-litisch beherrscht hat wie Venedig das Mittelalter. Was das Danziger Stadtbild so charakterisierend ausmachte, war die großartige Synthese von mittelalterli-cher Backsteingotik mit niederdeutscher Renaissance, eingefaßt und zusammen-gehalten von einem bis in die Neuzeit vorhandenen Festungsgürtel.

Türmereich war das Panorama der alten Hansestadt. Von Ost nach West erhoben sich sechs herrliche gotische Kirchen, die größte unter ihnen war St. Mari-en, Danzigs ältestes und berühmtestes Wahrzeichen. Die Marienkirche ist die mächtigste und schönste Hallenkirche der Backsteingotik. Das Gewölbe ruht auf 26 gemauerten Pfeilern. Zwei Rei-hen starker Pfeiler erheben sich frei und grenzen die drei gleich hohen Schiffe ge-

geneinander ab, diese gewaltigen Pfeiler tragen die, Spitzbogen und die reichen, hohen Stern- und Zellengewölbe. Die Kirche hatte 37 Fenster-Nischen mit 3722 Fenstern. Der breite und stumpfe, 76 Meter hohe Glockenturm entwuchs dem 105 Meter langen und 35 Meter breiten Kirchenschiff. Die Stimmen der Glocken im Turm waren gewaltig. Zu einer überwältigen Vollkommenheit ge-langten sie, wenn sie zur Weihnachtszeit oder zu einem Neujahrsbeginn in den Chor der anderen vielen Glocken Dan-zigs einfielen. Das südliche Seitenschiff mit Blick nach Osten barg die Astrono-mische Uhr, 1481 von Düringer erbaut. Im Mittelschiff, mit Blick nach Westen, befand sich die große Orgel. Der Ton dieser Orgel war stark und seelenvoll; ihre Wirkung, wenn an hohen Festtagen Trompeten und Posaunen dazu schmet-terten und Pauken wirbelten, wahrhaft erschütternd. Vor der großen Orgel stand ein Taufstein, aus Messing gegos-sen, mit einem zierlichen Messinggitter, alles sehr schwer und mündig gearbeitet. Dieses Kunstwerk wurde in den Nieder-landen gegossen und hatte 10465 Taler gekostet. Der Deckel soll mit einem Schiff untergegangen sein.

Unsere Marienkirche besaß Kunst-schätze ersten Ranges, zu denen auch Hans Memlings Gemälde "Jüngstes Ge-richt" und die aus Kalkstein gearbeitete

Gotische Madonna "Die schöne Maria" (um 1420) gehörten. Die Marienkirche konnte nie bis zum letzten Winkel be-setzt sein, denn dazu wäre - man hat es genau ausgerechnet - eine Menschen-menge von 24.400 Personen erforder-lich.

Unter den Glocken von St. Marien wur-de 1453 als die größte die 130 Zentner schwere Glocke „Gratia Die“ gegossen und im foldenden Jahr aufgehängt. Die-se Glocke führte später den Namen „Ave Maria“.

Achtunggebietend war das herrliche Rechtstädtische Rathaus in der Lang-gasse mit seinem feingliedrigen Turm. 1560 wurde der vier Jahre zuvor abge-brannte Turm durch Dirk Daniels in der uns gewohnten Form wiedererrichtet. Ein Jahr darauf erhielt er das eigens in Brabant gegossene Glockenspiel, des-sen schöner Klang jede Stunde zu hören war. Und das Jahrhunderte lang! Reich und mannigfaltig war die Ornamentik der Innenräume des Rechtstädtischen Rathauses. Die Sommer-Ratsstube er-innerte lebhaft an die inneren Fracht-räume des Dogen-Palastes in Venedig. Reich und kostbar waren die Verzie-rungen dieses Saales. Die ganze obere Hälfte des Saales war Ölmalerei von der Hand des Hans Vredemann de Vries aus Leuwarden. Der „Schöne Kamin“ war in

Danzig: Marienkirche

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Stein von Wilhelm Barth gearbeitet, de Vries hatte ihn naturgemäß bemalt und vergoldet. An den herrlichen Malereien an der Decke war auch der Maler von dem Block beteiligt. Interessanter als die Malerei an der Decke war die geschnitz-te Ornamentik derselben. Sie war mit Figürlichem untermischt, naturgemäß bemalt und vergoldet. Der blaue Grund der Felder zwischen den Einfassungen der Bilder trug sehr dazu bei, die Orna-mentik zu heben.

Die Große Krämergasse und zwei Wohnhäuser trennten den an der Nord-seite des Langenmarktes gelegenen Ar-tushof vom Rechtstädtischen Rathaus. Der Artus-Hof, früher Junker-Hof ge-nannt, war ursprünglich die Trinkhalle der Bürger höheren Standes. Es hatte sich mit der Zeit eine besondere Sitz-ordnung entwickelt, wonach die Gäste sich um bestimmte Bänke gruppierten. Diese Gruppen bildeten sich nach der Zugehörigkeit zu einer Nation oder zu einer Vermögensgruppe. Jede hatte ihren Vogt, ihren Schreiber und Stellvertreter. Zuzeiten wurde im Artushof auch Ge-richt gehalten. Seit 1742 bis in unsere Zeit hinein fand hier die Börse statt.

Einer der berühmtesten Danziger Ma-ler war Anton Möller, Das vorzüglich-ste Kunstwerk dieses Meisters, das man aufzuweisen hat, befand sich im Ar-tushof. Es war die 1602 in-Öl gemalte Darstellung des jüngsten Gerichts. Den Vordergrund bildeten Figuren weit über Lebensgröße, die Welt mit ihren an sie geketteten Lastern und Sünden dar-stellend. Das Bild war ein glückliches Resultat des Studiums italienischer und zugleich niederländischer Schulen des sechszehnten Jahrhunderts. Diesem Bild gegenüber befand sich in gleicher Größe ein Architekturbild von Hans Vredemann de Vries, das als Staffage in Lebensgröße den Orpheus unter den Tieren darstellte. Beachtlich war die in Holz gearbeitete luxuriöse Figur des hl. Reinhold. Die älteste Arbeit war jedoch die dem hohen Kachelofen zunächst be-findliche Darstellung des hl. Georg, der den Lindwurm Bekämpft. Ein wahres Meisterstück war der 1546 errichtete kunstreiche Kachelofen, 12,50 m hoch. Viele der halbrunden Gemälde über den Sitzbänken gehörten der Kranachschen Schule an. Die Vorhalle des Artushofes, die "Danziger Diele", war ausgestattet mit Deckengemälden, Schiffsmodellen,

Blakern, Zunftzei-chen und anderen Erinnerungsstücken aus der Blütezeit der alten Handels-und Hansestadt.

Vor dem Artushof befand sich ein mit sehr viel Ausdauer und Umsicht voll-brachtes Kunstwerk, die Zierde des Lan-gen Marktes. Be-gonnen wurde diese Arbeit etwa 1620, vollendet im Okto-ber 1633. Man hatte einen mit Bildwer-ken aus schwarzem Tuffstein und Mar-mor. geschmückten Springbrunnen ge-schaffen, den ein in Bronze gegossener, von Meerpferden umgebener Mee-resgott, Neptun mit seinem Dreizack, krönte. Mit einem sehr künstlich ge-schmiedeten Eisen-gitter umgab man den Brunnen. Drei-

Das Glockenspiel von 1560

im Rathausturm

hundertundzwölf Jahre (312 Jahre) er-freute dieser kunstvolle Springbrunnen vor dem Artushof die Danziger und alle die vielen Besucher, die zum Teil von weit herkamen und bezaubert waren von dieser herrlichen deutschen Hansestadt an der Ostsee. Dort, wo seit Jahrhun-derten der Springbrunnen plätscherte, der römische Meeresgott Neptun seinen Dreizack schwang, dort auf dem Langen Markt, warteten die Pferdekutschen, die Taxen, suchten Tauben zwischen eiligen Expedienten und plaudernden Haus-frauen auf dem Pflaster umher. Ein Bild der Freude, ein Bild des Friedens.

In Danzig blühte im Laufe der Jahrhun-derte die Kunst, der Handel, das Gewer-be, die Wissenschaft. Auf hohem Niveau befand sich das Gewerk der Zinn-und Rotgießer. Die Gold-und Silberschmie-deerzeugnisse gehörten zu den besten, die Norddeutschland zu bieten hatte.

Eine der schönsten Straßen Danzigs war die Frauengasse. Sie begann an der Ostseite von st. Marien und münde-

te durch das in der Ordenszeit erbau-te "Frauentor" (ein~ der mindestens 13 Tore, die es in Danzig gab) in die Lan-gebrücke (Uferstraße an der Mottlau) ein. Hier befand sich das Haus der Na-turforschenden Gesellschaft und die zu dieser gehörenden berühmten Danziger Sternwarte, Gründungsjahr 1743. Es bot genügend Raum für Sammlungen, darunter auch die berühmten Linsen des Danziger Astronomen und Bierbrauers Johann Hevelius (1611-1687). Er verfaßte 1647 eine berühmt gewordene Mondbe-schreibung (Selenographie). Eines seiner Hauptwerke ist die „Machina Coelestis“. Darin stellte er alle ihm zugänglichen Nachrichten über die bis dahin bekannt gewordenen Kometen zusammen, nebst seinen eigenen Beobachtungen. Hevelius war einer der ersten, die auf die Wahr-scheinlichkeit eines elliptischen Umlaufs aufmerksam machten.

Genügend Raum bot sich im Haus der Naturforschenden Gesellschaft auch für Zusammenkünfte, vor allem eignete sich ein über dreißig Meter hoher Turm vor-

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Das Glockenspiel von 1560

züglich zum Ausbau einer neuen Stern-warte. Am 125. Stiftungsfest war ihr Ausbau vollendet. Die Sternwarte hatte eine drehbare Kuppel und besaß moder-ne astronomische Geräte. Die Naturfor-schende Gesellschaft machte es sich zur Aufgabe, die schon bekannten Gesetze der Natur einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und durch neue Versu-che Eigenschaften und Verhältnisse der Naturkörper genauer zu erforschen, d.h. Physik, Chemie, Astronomie, Botanik, Zoologie und Geologie waren ihre Auf-gabengebiete. Große Verdienste um die Naturforschende Gesellschaft erwarb sich der Arzt Dr. M. v. Wolff, er führte als erster die Blatternimpfung in Danzig ein, die er, Vorurteilen trotzend, zuerst an Johanna Trosiener und ihren Ge-schwistern ausführte. Die spätere Johan-na Schopenhauer wurde am 22. Februar 1788 die Mutter des berühmten Danzi-ger Philosophen Arthur Schopenhauer.

Parallel zur Frauengasse gab es die "Heil.-Geist-Gasse" mit dem "Heil.-Geist-Tor“. Und dann stand man vor dem aller Welt bekannten 1443 erbauten "Krantor“ , wenn man die Uferstraße Langebrücke am Ufer der Mottlau ein wenig weitergegangen war. Das „Kran-tor“ schloß die Breitgasse zur Mottlau hin ab. Im Innern des „Krantores“ be-fanden sich zwei mächtige Treträder, die als Hebevorrichtung zum Einsetzen von Schiffsmasten dienten.

Um 1650 war Danzig Welthandelsstadt und mit seinen damals 77000 Einwoh-nern die volkreichste deutsche Stadt. Da der Handel sich immer mehr zum rei-nen Umschlagverkehr entwickelte, be-schränkten sich die Danziger Kaufleute in der Hauptsache darauf, die Güter zu lagern. Es entstanden in der Folge mäch-tige Lagerhäuser, Speicher genannt, die einen ganzen Stadtteil für sich ausmach-ten, der von zwei Mottlauarmen einge-faßt ist. Auf diese Weise entstand die Speicherinsel.

Schiffe wurden in Danzig gebaut, große Werften entstanden, so die Kla-witterwerft, die Kaiserliche Werft, die Schichauwerft, deren riesiger Hammer-kran zu einem neuen Wahrzeichen Dan-zigs wurde. Hochseeschiffe wurden hier gebaut, so einst für den Norddeutschen Lloyd in Bremen der 32500 BRT große Schnelldampfer "Columbus". Zur Win-terzeit mußten Hochseeschlepper die

Frachter durch das Treibeis des Hafens bugsieren. Das Leben pulsierte.

Bunt und lebendig war das Leben rund um die Mottlau. Die "Lange Brücke" am Mottlauufer, unter diesem Straßen-

am mächtigen „Krantor“ vorbei, machte schließlich am unteren Lauf der Mott-lau einen Bogen und wurde von hier an "Am brausenden Wasser" genannt, und hier, unterhalb des Schwanen-Turms, mündete in die Mottlau die Radaune (gotisch 'Radune'). Hier lagen immer viele Kähne und Kutter, hier wurden seit alten Zeiten auf dem Fischmarkt Fische verkauft. Sehr lebhaft ging es zu auf der "Fischbrücke". Die in Wind und Wetter bei ihrer Ware ausharrenden Fischfrau-en kleideten sich im Winter in mehrere dicke Röcke. Sie waren berühmt wegen ihres Humors, sie konnten aber in ihrer Ausdrucksweise manchmal auch sehr grob werden.

Am Fischmarkt beginnt der "Altstäd-tische Graben". Berühmt war der male-rische Reiz der dahinter liegenden Alt-stadt, der erhöht wurde durch die mit Weiden und alten Bäumen begrünten Radauneinsel. Eine der ersten verdienst-lichsten Leistungen des Deutschen Or-dens war die Ableitung der Radaune vor ihrer Einmündung in die Mottlau, um sie dann als einen Kanal durch die Stadt

Johannes Hevelius

zu führen und diese lange Jahrhunder-te hindurch mit Trinkwasser versorgte, Mühlen betrieb, so auch die schon 1350 vom Deutschen Orden erbaute "Große Mühle", die seither ununterbrochen in Betrieb gewesen ist - bis zur sinnlosen Zerstörung Danzigs Ende März 1945 durch die Siegermächte.

Die Trinkwasserversorgung aus dem Radaune-Kanal hatte anfänglich ge-nügt, später aber, als die Ufer der Radau-ne immer dichter bebaut wurden, trat eine solche Verunreinigung des Wassers ein, daß das Radaunewasser zu Trink-zwecken nicht mehr geeignet erschien. Als im Jahre 1832 die Stadtverordneten von Danzig den Polizeipräsidenten von Berlin, Herrn Leopold von Winter, zum Oberbürgermeister wählten, hatten sie das Glück, einen Mann gefunden zu haben, der wie kein zweiter für die da-maligen Verhältnisse von Danzig paßte. Unvergeßlich ist sein Verdienst an der Erstellung einer hygienischen Was-serversorgung. Danzig wurde die erste Stadt in Deutschland, sogar auf dem eu-ropäischen Kontinent, die eine moderne Kanalisation ihr eigen nannte. Bei der Untersuchung der Umgebung Danzigs entschied man sich zur Wasserentnahme für das ca. 110 Meter über dem Mee-resniveau gelegene Quellengebiet der Taleinschnitte bei Prangenau, etwa 20 km von Danzig entfernt, an der Radau-ne gelegen. Die Quellkapazität betrug 10000 Kubikmeter täglich.

In Eisen- und Tonröhren gelangte das Wasser in den Hoch nach Ohra und von dort durch eine 3 km lange Leitung in die Stadt. Acht Jahre Später, 1840, be-fand sich Danzig in großer Gefahr. Die Weichsel, auf der sich riesige Eisschollen türmten, hatte bei rasender Geschwin-digkeit, ein Sturm war noch hinzuge-kommen, 14 km von Danzig entfernt bei Neufähr einen 70 Fuß hohen natürli-chen Dünenwall durchbrochen und sich einen eigenen Weg zur Ostsee gesucht. Der niedrig gelegene Teil Danzigs und Umgebung standen unter Wasser. Als im März 1888 schwere Eisversetzungen einen Deichbruch bei Jonasdorf an der Nogat verursachten und großes Unheil über die Elbinger Niederung brach-ten, entschloß man sich, die Weichsel in gerader Linie zur Ostseezu führen. Die Vornahme des Weichseldurchstichs erfolgte im März 1895. Der Teil der Weichsel, der eine unmittelbare Gefahr

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der Stadt Danzig sein konnte, wurde durch Schleusen geschützt. Sorgfältig gewartete Deiche schützten das Danzi-ger Werder, ein gesegnetes Land mit sehr fruchtbarem Boden. Groß waren dort die Bauernhäuser, reich ausgestaltete Fach-werkgiebel schmückten die Vorlauben-häuser. Überall im Danziger Werder gab es Windmühlen. Schon seit der Zeit des Deutschen Ordens hatten Windschöpf-werke -es gab auch Roßschöpfwerke -das unter dem Meeresspiegel liegende weite fruchtbare Werderland zu entwässern. Das Danziger Werder erinnerte strek-kenweise an holländische Landschaften.

Nördlich von Oliva schloß sich das Weltbad Zopnot an. Obwohl Zoppot zu Danzig gehörte, bildete es eine selbstän-dige Gemeinde. Es hatte sich zum vor-nehmsten Bädern der Danziger Bucht entwickelt. Berühmt war der Zopoter Seesteg, der eine Länge von 600 m auf-wies. Noch im Krieg war der Seesteg in-ternational beflaggt. Zopnot hatte sich zu einer bedeutenden Sportstätte entwik-kelt. Den Höhepunkt -bis Kriegsbeginn -erreichte die Zoppoter Sportwoche am genannten großen Donnerstag mit sei-nem Blumenkorso und einem glänzen-den Feuerwerk im Monat August. Welt-bekannt war die Zoppoter Waldoper. Im Jahre 1909 wurde dort die erste Oper

aufgeführt. Ihre kulturellen Leistungen schmückte die Kultur- und Theaterge-schichte des Deutschen Ostens.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts war ein Jahrhundert kraftvollen Wiederauf-stiegs vergangen, seitdem Danzig nach dem unglücklichen napoleonischen Zwi-

schenspiel (1807-1814) zu Preußen zu-rückkehrte. Dem Handel, dem Gewerbe und der Industrie galten die günstigsten Prognosen, man lebte in einer festgefüg-ten Ordnung als im Sommer 1914 die Schüsse in Sarajewo fielen.

Danziger Zeughaus (1605)

Danzig: Sternwarte an der Langen Brücke


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