OlafKiihne
Aktuelle zentralortliche Entwicklungen imSaarland - erste Ergebnisse einer empirischenStudie'
Current evolutions ofcentrality in the federalstate Saarland - first results ofan empiricalstudy
Keywords: Saarland, Zentralitat, Zentrale Orte, Landesplanung, Strukturwandel
Keywords: Saarland, centrality, central places, regional planning, structural change
Kurzfassung
Die vorliegende Arbeit stellt die Ergebnisse einer Untersuchung der Zentralen Orte imSaarland dar. Hierbei wird sowohl auf die Angebotszentralitat auf Grundlage des Dispersionsfaktors als auch auf die Nachfragezentralitat aufgrund einer quantitativ-empirischenUntersuchung eingegangen. Gegeniiber einer Studie von 1977 haben sich deutliche Veranderungen der Zentralitat im Saarland ergeben. Auch gegeniiber dem aktuellen Landesentwicklungsplan finden sich deutliche Abweichungen: Die Verflechtungsbereiche auf Ebene der Mittelzentren sind undeutlich, Verflechtungsbereiche auf Ebene der Grundzentrenlassen sich nur vereinzelt nachweisen, zahlreiche Grundzentren und Mittelzentren kommen ihrer normativen Funktion nur unzureichend nach. Aufgrund der deutlichen Veranderungen der Zentralitat zahlreicher Orte wird als Instrument der Politikberatung ein standiges Monitoring der Zentralitat vorgeschlagen.
Abstract
This article presents the results of an investigation of the central places in the federal stateSaarland. With this, it is elaborated both on the centrality ofoffers on basis of the dispersionfactor and on the centrality ofdemand due to a quantitative-empirical investigation. Compared to survey conducted in 1977 certain changes concerning centrality have been turnedout in the Saarland. Those changes can also be found in the current regional developmentplan: The interlacing fields on tier of the secondary centres are indistinct, interlacing fieldson tier of the basic centres let to prove, numerous basic centres and secondary centres followtheir normative function only inadequately. Due to the clear modifications of the centralityof numerous places a continuous monitoring of the centrality is suggested as an instrumentof the politics deliberation.
450 RuR5/2008
Olaf Ktihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie
Einleitung
Das Instrument der Zentralen Orte lasst sich in derRaumordnung als planungsrechtlich wie auch planungspolitisch etabliert und prinzipiell akzeptiert beschreiben (Blotevogel 2002). Trotz der in den 1980erund 1990er Jahren am Zentrale-Orte-Konzept geiibten Kritik der Uberholtheit, Starrheit und geringenWirksamkeit (vgl. GiiBefeldt 1997, Hahne/Rohr 1999,Blotevogel 2002) ist es in einer reformulierten und denveranderten gesellschaftlichen Verhaltnissen Rechnung tragenden Form ein nahezu unsubstituierbarerBestandteil der raumordnerischen Praxis. Wird der Anspruch der Raumordnung ernst genommen, in einemrekursiven Prozess mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu stehen, erscheint es hier hinsichtlich desZentrale-Orte-Konzeptes notwendig, die analytischeGrundlage fur die Gliederung normativer zentralortlicher Strukturen - namlich die Untersuchung der faktischen Zentralitat einzelner Orte - auf einem zeitnahenAktualitatsstand zu halten. Dies wurde auch im Saarland notig, nachdem zu erwarten war, dass der fortgeschrittene Strukturwandel van der Altindustrie- zurdiversifizierten Dienstleistungsregion (vgl, Bell 1973),aber auch der soziale Wertewandel (vgl. Inglehart 1977)und der damit sich im Saarland bereits vollziehendedemographische Wandel (vgl. Abb. 1), mit zentralortlichen Nebenfolgen gefuhrt und somit die Untersuchungder Zentralen Orte im Saarland van 1977 als veraltetgelten konnte.
Dieser Arbeit liegt eine analytische Trennung zwischen normativer Zentralitat (im Sinne eines politischadministrativ gesetzten Soll-Zustandes) und der analytischen Zentralitat (im Sinne eines empirisch festgestellten bzw. feststellbaren Ist-Zustandes) zugrunde.Die vorliegende Untersuchung versteht sich dabei alsTeil einer analytischen Basis der zum Iahr 2013 vorgesehenen Fortschreibung des Landesentwicklungsplansdes Saarlandes, wobei eine Zusammenfuhrung derbeiden Teilabschnitte .Siedlung" und .Umwelt" geplant ist. In diesem Landesentwicklungsplan SaarlandsolI dann aus den Ergebnissen der vorliegenden IstZustandserhebung eine Formulierung des Sollzustandes (als normative Zentralitat) erfolgen. In der Laufzeitdes aktuellen Landesentwicklungsplans, Teilabschnitt.Siedlung". wird hingegen politisch kein Anderungsbedarf hinsichtlich der Anpassung der zentralortlichenGliederung in Form einer Teilfortschreibung gesehen.
Im Folgenden werden Uberlegungen zu einer Anwendung des reformulierten Zentrale-Orte-Konzeptes (imSinne van Blotevogel 2002) im Saarland vorgetragen.AnschlieBend werden die Methodik der Untersuchungzu Angebots- und Nachfragzentralitat sowie die Ergebnisse der empirischen Untersuchung erlautert undeiner Diskussion unterzogen. AbschlieBend werdenin einem Fazit Schliisse fur die Bestimmung ZentralerOrte im Saarland fiir die Landesplanung gezogen.
Lepl-Siedlung: Zentrale Orte
. e Bi__e1!~htJd\
St. Wondel
/"- -",
• 0Itw0IIer; .
~ .. -,t<Jein~<!.-.-"\
(\ ,]. ",') NonnwolIei
"C-'-~
4DW....m
Loohoim.
- •. 1'
Mittelzentrum
• Unterzentrum
• Oberzentrum
Abbildung 1Normative zentrale Orte
gemaB dem giiltigenLandesentwicklungsplan,Teilabschnitt "Siedlung",
von 2006
Quelle: Ministerium furUmwelt 2006
RuR5/2008 451
Olaf Kuhne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie
Uberlegungen zu einer Anwendung desreformulierten Zentrale-Orte-Konzeptesim Saarland
Besonderheiten des Planungssystems des Saarlandesin Bezug aufdie Planung Zentraler Orte
Der Landesentwicklungsplan des Saarlandes gliedert sich in zwei Teilabschnitte, den Landesentwicklungsplan, Teilabschnitt "Umwelt (Vorsorge fur FIachennutzung, Umweltschutz und Infrastruktur)" vom13. Iuli 2004 und den Landesentwicklungsplan, Teilabschnitt "Siedlung" (LEP "Siedlung") vom 14. Iuli 2006.Beide haben die Aufgabe, "die Flachenanspruche anden Raum und die raumliche Verteilung der einzelnensiedlungsrelevanten Raumnutzungen unter Abwagungiiberortlicher, raumrelevanter Gesichtspunkte und unter Berucksichtigung der zuvor genannten Rahmenbedingungen zu koordinieren und Vorsorge fur einzelneRaumnutzungen und -funktionen zu treffen" (Ministerium fur Umwelt 2006). Gegentiber den Landentwicklungsplanen anderer Flachenlander weist der Landesentwicklungsplan (hier: Teilabschnitt .Stedlung")einige Besonderheiten auf. Infolge einer (aufgrund dergeringen Landesflache) fehlenden eigenstandigen Regionalplanung umfasst der Landesentwicklungsplanauch regionalplanerische Aussagen. Somit legt der Landesentwicklungsplan, Teilabschnitt .Siedlung". auchGrundzentren fest und weist mit Oberzentrum (Saar
bnicken), Mittel- und Grundzentren drei Zentralitatsstufen aus, deren Ausstattungsumfang exemplarischgefasst ist (vgl. Ministerium fur Umwelt 2006). EineBesonderheit des saarlandischen Landesentwicklungsplanes, Teilabschnitt .Siedlung", liegt darin, dass (mitder Ausnahme des Oberzentrums Saarbrucken) nichtganze Kommunen als Zentrale Orte definiert sind, sondern dass innerhalb der Kommunen in der Regel einZentraler art bestimmt ist (Ministerium fur Umwelt2006; Abb. 1). Die analytische Basis der aktuellen normativen zentralortlichen Gliederung fufst analytischauf der Untersuchung von Ageplan (1977) und wurdein den Folgejahren selektiv aktualisiert (zur Geschichteder Raumplanung im Saarland siehe Jost/Moll2007).
Grundziige der Anwendung des reformuliertenZentrale-Orte-Konzeptes im Saarland
Das Zentrale-Orte-Konzept lasst sich als Steuerungsinstrument zur Erreichung raumordnerischer, an demder Nachhaltigkeit ausgerichteter Ziele beschreiben,indem es als Element einer hoheitlichen und rechtsverbindlichen Rahmenplanung auch als kooperativeund diskursive Entwicklungsplanung verstanden wird(Blotevogel 2002). Neben diesem prozessual-partizipativen Verstandnis von Raumplanung werden von
452
Blotevogel (2002) als den gegenwartigen gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht werdendes Zentrale-OrteKonzept eine starkere Hinwendung zu Standortclustern anstelle einer Kommunenzentrierung sowie dieBeschrankung auf die Hierarchiestufen Metropolregion, Oberzentrum, Mittelzentrum und Grundzentrumbei gleichzeitiger Einhaltung von Tragfahigkeitsschwellen gefordert. Aufgrund der bereits partizipativen Ausrichtung der saarlandischen Landesplanungspolitik(vgl. Hartz/Kuhne 2007) und der bereits bestehendenDreigliederung des zentralortlichen Systems im Saarland, standen bei der hier vorgestellten Untersuchunginsbesondere die infolge der Ermittlung von Standortclustern durch Erhebung der Angebotszentralitat aufOrtsebene und die Ermittlung der Tragfahigkeit durchErmittlung der Verflechtungsbereiche als Nachfragezentralitat vor dem Hintergrund des forcierten Strukturwandels im Saarland im Vordergrund der Untersuchungen.
Die Methodik der Untersuchung
Bei der Ermittlung der Angebotszentralitat wurde aufdie Methodik des vom Boustedt (1962) eingefuhrtenDispersionsfaktors zurtickgegriffen. Demgemals istdavon auszugehen, dass die Zentralitat einer Einrichtung daran zu erkennen ist, wie deutlich sie auf einebestimmte Zahl von Orten konzentriert ist. Als MaBzahl der Konzentration wird der Dispersionsfaktor berechnet, der die Zahl der Einrichtung im Verhaltnis zuallen betrachteten Orten angibt. Im Saarland existiertein internationaler Flughafen, dadurch ist der Dispersionsfaktor 1, die Zahl der Amtsgerichtsstandorte liegtbei 11 (Dispersionsfaktor 0,0909) und der in den Gelben Seiten (Stand 2007) - bei privaten Einrichtungenwurde hierauf zurtickgegriffen - erfassten 733 Backereien (Dispersionsfaktor 0,0014). Insgesamt wurden furdie 352 Ortsteile (Ziel war es, die Zentralitat von Orten,nicht von ganzen Kommunen zu ermitteln) saarlandischer Kommunen 154 Indikatoren in den GruppenHandel, Gesundheit, andere Dienstleistungen, Verkehr,Bildung, Administration und Politik und Freizeit in Anlehnung an Weichhart (1996) erhoben. Die Auswahl derIndikatoren erfolgte nach Prilfung von Relevanz fur dieaktuelle Entwicklung zentraler Orte und Verfugbarkeitvon Standortdaten, die Gewichtung der einzelnen Indikatoren ergab sich aus der Haufigkeit ihres Auftretensgemafs ihren Dispersionsfaktoren. Weitere Gewichtungen wurden - aufgrund von mangelnden allgemeingultigen und -verbildlichen methodisch nachvollziehbaren quantifizierten Bedeutungskoeffizienten (auchwenn es als unbestritten gelten kann, dass ein ICEHaltepunkt eine grofsere zentralortliche Bedeutung hatals ein Ktirschner) - nicht vorgenommen. Aufgrund der
RuR5/2008
Olaf Ktihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie
groBen Zahl der untersuchten Indikatoren ist jedochvon einer Nivellierung von Bedeutungsunterschiedender einzelnen Indikatoren tiber den jeweiligen Dispersionsfaktor hinaus auszugehen.
Die Addition der Dispersionsfaktoren ergab ein differenziertes Bild der Verteilung der Angebotszentralitat im Saarland mit dem Maximalwert von 17,83 furden Saarbrticker Stadtteil St. Iohann und 0,0 fur Wadern, Ortsteil Gehweiler, im nordlichen Saarland. DieSchwellen fur Grund-, Mittel- und Oberzentralitatwurden - in Ermangelung eines allgemein gtiltigenAusstattungskatalogs (vgl. Abschnitt .Besonderheitendes Planungssystems des Saarlandes in Bezug auf diePlanung zentraler Orte") - mittels Clusteranalyse vorgenommen. Zwar lasst sich nach Heinritz (1979) derDispersionsfaktor nicht in alIen Fallen als gtiltiges MaBfur Zentralitat heranziehen, doch ergibt sich aus dergroBen Zahl der Indikatoren - insbesondere bei Ortenmittlerer und hoher Zentralitat - eine hinreichend geringe Fehleinschiitzungswahrscheinlichkeit. Lediglichin Orten mit geringer Zentralitat konnen aufgrund vonEinrichtungen mit hohem Faktor Verzerrungen auftreten, die sich in der Analyse mit Hilfe einer Plausibilitatskontrolle jedoch identifizieren lassen.
Die Erhebung der Nachfragezentralitat erfolgt durchdie Befragung zufallig ausgewahlter saarlandischerHaushalte mittels standardisiertem Fragebogen perPostversand. Der Fragebogen enthielt neben Fragenzum zentralortlichen Verhalten auch Fragen zu soziodemographischen Variablen, urn unter anderem - insbesondere vor dem Hintergrund des demographischenWandels - Unterschiede im zentralortlichen Nachfragehandeln der Alterskohorten bestimmen zu konnen,Das zentralortliche Nachfragehandeln wurde durchdie Frage nach den bevorzugten Nachfrageorten furbestimmte Gtiter und Dienstleistungen (z.B. Brot, Bucher, Bankgeschafte) ermittelt. Insgesamt belief sichder Rticklauf auf 1 179 von 4 559 Fragebogen (= 25,9 %)
und stellt somit eine statistisch hinreichend gesicherte Basis fur die Analyse von Verflechtungsbereichenvor dem Hintergrund von Tragfahigkeitstiberlegungendar. Die Auswertung der Pragebogen erfolgte mit Hilfeder Methoden der beschreibenden sowie der Test- undSchatzstatistik.
Die Untersuchung der zentralen Orteim Saarland
Angebotszen trali tat
Im Vergleich zur (normativ gesetzten) Verteilung zentraler Orte gemaB dem aktuellen Landesentwicklungsplan (LEP), Teilabschnitt .Stedlung", mit mindestens
RuRS/2008
einem zentralen Ort pro Kommune (Ministerium ftirUmwelt 2006; Abb. 1), lassen sich in der aktuellen Untersuchung teilweise erhebliche Unterschiede zur analytischen Zentralitat feststellen (Abb.2):
1. Nicht jede Kommune - insbesondere im wenigerdicht besiedelten Norden und Stidosten des Landes- weist analytisch einen Ort auf, der mindestensGrundzentrumsniveau erreicht. Abbildung 3 dokumentiert die unterschiedlichen Einwohnerdichten im Saarland, Abbildung 4 zeigt die sich aus derunterschiedlichen Besiedlungsdichte ergebendeStrukturraumgliederung gemafs dem gtiltigen Landesentwicklungsplan, Teilabschnitt "Siedlung" ausdem Iahr 2006.
2. Insbesondere im Verdichtungsraum finden sichinnerhalb einer Kommune mehrere Orte mit mindes tens grundzentrumsaquivalenter Ausstattung,teilweise sogar mit unterschiedlichen Ausstattungsniveaus.
3. Insbesondere in Saarbrticken finden sich Standortcluster mit differenzierter Ausstattung. Der OrtsteilSt. Johann mit Handel, Gesundheit, andere Dienstleistungen und Verkehr sowie der Ortsteil Alt-Saarbrticken mit Bildung, Administration und Politik.
4. Ahnlich den normativ gesetzten Grundzentren gemaB LEP finden sich bei den normativ gesetztenMittelzentren gemafs LEP zahlreiche Orte, derenanalytisch ermittelte Zentralitat nicht an die normativ gesetzte Zentralitat heranreicht. Bei diesenTitular-Mittelzentren handelt es sich entweder urnOrte im eher landlichen Kontext (Blieskastel, Wadern), Orte mit starkem Anpassungsdruck durchden Strukturwandel (Volklingen, Lebach) oder Ortein raumlicher und zeitlicher Nahe zu starken Zentren (Dillingen zu Saarlouis, teilweise auch Volklingen zu Saarbrticken und Saarlouis).
Nachfragezentralitdt
Prinzipiell lasst sich hinsichtlich der Nachfrage nachGtitern und Dienstleistungen eine Differenzierungnach zentralen Orten feststellen (Abb. 5). Dabei sindjedoch zwei Entwicklungen der raumlichen Nachfrage nach Gtitern und Dienstleistungen auffallig: Erstens, bei keinem der gewahlten Indikatoren tibertrifftdie Nachfrage nach Gtitern und Dienstleistungen inGrundzentren jene im Nahbereich (gemals LEp, alsoalle nichtzentralen Orte), zweitens, bei hochrangigenGtitern und Dienstleistungen (Bucher, Computer, Reisen) wird die Versorgung zu teilweise erheblichen Anteilen tiber das Internet abgewickelt. Die unterschiedliche Reichweite der Gtiter und Dienstleistungen aulsertsich auch in der durchschnittlichen Entfernung zwischen Wohnung und der Einrichtung, in der Bedtirf-
453
Olaf Kiihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie
Zentrale Orte
• Oberzentrum
.. Mittelzentrum
• Unterzentrum
Einwohnerdichte
Einwohner prokm'_>1000
_ > 750bis1000
_ > 500bis 750
.. > 300bls 500
~ > 150bis 300
~< 150
Entwurf undKartographie: OlafKuhne
Datengrundlage: Saarlandisches LandesamtfOrStatistik
454
Abbildung 2Analytische zentrale Ortegemals der Erhebung derAngebotszentralitiit aus demIahr 2007
Quelle: eigene Erhebungen
Abbildung 3Einwohnerdichtesaarliindischer Kommunen
RuR5/2008
Olaf Kiihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie
Randzone desVerdlchtungsraumes
Raumkategorienl1li KemzonedesVerdichtungsraumes
Utndllcher Raurn
c=:J Landkreise
c::J Gemeinden
Quelle:Landesentwicklungsplan,
Teilabschnitt .Siedlung" vam4. Iuli 2006, Amtsblatt des
Saarlandes Nr. 29
Abbildung 4Strukturriiume gemiiB
Landesentwicklungsplan,Teilabschnitt "Siedlung",
van 2006
Abbildung 5Die Nachfrage nach
zentralen Orten undDienstleistungen, gegliedert
nach Zentralitiitsstufe desOrtes (nach dem giiltigen
LEP) der Einrichtung, in derdie Nachfrage stattfindet
Quelle: eigene Erhebungen
%100
80
60
40
20
o
o Keine Angabe
o Sonstiges
• Katalog
• Interneto nichtzentraler Ort
Grundzentrum
• Miltelzentrum
• Oberzentrum
nisse befriedigt werden (Abb. 6). Lediglich Brot, Apotheke, Hausarzt, Friseur liegen als Nahbereichsgiiterdeutlich unter fiinf Kilometer Entfernung. Die grofstenEntfernungen werden zum Arbeitsplatz (durchschnittlich 18,5 km) und fur Bankgeschafte (im Durchschnitt23,7 km) zuriickgelegt (die Werte beziehen sich auf dieZahl der die Giiter und Dienstleistungen Nachfragenden bzw. der Erwerbstatigen). Bei der Nutzung des Internets weist dabei die Alterskohorte iiber 65 Jahren imDurchschnitt keine signifikanten Unterschiede zu jiin-
geren Bevolkerungsteilen auf. Selektiv, bei Reisen, findet sich in dieser Alterkohorte sogar der groBte Anteilan Internet-Versorgern. So werden 22,1 % der Reisenbei der Kohorte der uber 65-Iahrigen im Internet gebucht, in der Kohorte der 46- bis 65- Iahrigen 21,5 %, inder der 31- bis 45- Iahrigen 20,9 % und der 30-jahrigenund jiingeren sogar lediglich 15,6 % (jeweils bezogenauf die Personenzahl, die angaben auch tatsachlich zureisen).
RuR5/2008 455
Olaf Kiihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie
25
22,5
20
17,5
15
12,5
10
7,5
5
2,5
0<Q'~ ~'b
s;:.~.~'1i
~'bl§.~~
~v
~,'b'\,~
/\..,/ RiChtung5pfaile
Entwurf: Olii KUhneKartog-aphie: Beate-MariaGrossOatengundage:eigeneErhebungen
Die Analyse der Verflechtungsbereiche auf Grundlage der Versorgung mit den in Abbildung 5 dargestellten Giitern und Dienstleistungen bzw. dem Arbeits-/Ausbildungsplatz bestatigt die im Zusammenhang mitder Angebotszentralitat dargestellten Tendenzen: Einegrundzenrralortliche Ausrichtung findet lediglich instarken Grundzentren (gemaB Dispersionsfaktoranalyse) wie Losheim am See oder zu den Titular-Mittelzentrum, gemals LEp, wie Volklingen, Lebach, Blieskastel,Wadern und Dillingen statt (vg!. Abb. 7). Eine deutlicheAusrichtung derVersorgung mit Giitern aller Bedarfsstu-
456
Abbildung6Die durchschnittlich zurBeschaffung von denangegebenen Giiternund Dienstleitungenzuriickgelegte Entfernungin km
Quelle: eigene Erhebungen
Abbildung 7Die Verflechtungsbeziehungen zum Erwerbvon Obst und Gemiiseim Saarland gemalsder Untersuchung derNachfragezentralitat
Die Pfeile stellen dieVerbindung von Wohnortzum bevorzugtenBeschaffungsort von Ost undGemiise dar.
fen (insbesondere des mittelfristigen und langfristigenBedarfs) findet sich dabei auf die aufgrund der Analyseder Angebotzentralitat ermittelten Mittelzentren unddas Oberzentrumscluster S1. Johann/Alt-Saarbrucken(vg!. Abb. 8). Eine Modifikation erhalt dieses Musterlediglich hinsichtlich der Verflechtungsbeziehungenvon Wohnort und Arbeits-/Ausbildungsplatz (Abb.B):Hier sind einige Orte mit hoher Arbeitsplatzdichte, wieDillingen aufgrund des dortigen Stahlwerks, aber auchOrte mit grundzentraler Ausstattung (z.B. Saarwellingen, Heusweiler), Ziel von Erwerbstatigen.
RuR5/2008
Olaf Kilhne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie
Abbildung 8Die Verflechtungs
beziehungen zum Erwerbvon Biichern im SaarlandgemiiB der Untersuchung
der Nachfragezentralitat
Die Pfeile stellen dieVerbindung von Wohnort
zum bevorzugtenBeschaffungsort von
Biichern dar. DieVerflechtungsbereiche von
51. Wendel und insbesonderevon Homburg reichen
bis weit nach RheinlandPfalz hinein, wurden aber
aufgrund der Konzentrationder Analyse auf das Saarland
nicht erfasst. R,chtungspfeile
Entwurf: Ola KUhneKartogaphie: Beate-Maria GrossDatengrunclage: eigeneErhebungen
Der Verlust der grundzentralen Versorgungsstruktur,die Weichart (1996) in ahnlicher Weise bereits fur dasBundesland Salzburg festgestellt hat, aufserhalb dessaarlandischen Verdichtungsraumes ist im Wesentlichen auf drei allgemein mitteleuropaisch-gesellschaftliche Ursachen und eine Saarland-spezifische Ursachezuruckzufuhren (vgl. auch Weichart/Fassmann/Hesina2005):
1. Infolge der Pluralisierung der Lebensweisen und derVerbreitung technischer Haushaltsgerate werdenmonovalente, periodisch kurzfristige Handlungsmuster durch polyvalente, periodisch mittelfristigeersetzt. Dies bedeutet im Versorgungshandeln, dassdie auf Versorgung des traditionellen Haushaltesmit Giitern des kurzfristigen Bedarfs fur die Hausfrau durch die Kopplung der Versorgung von Giitern des kurzfristigen Bedarfs insbesondere an denArbeitsweg bzw. an den wochentlichen Einkauf inEinrichtungen des - in der Regel in Mittelzentrenlokalisierten - grofsflachigen Einzelhandels unter Nutzung des PKWs stattfindet. Fortschritte inder Haushaltstechnik (Kiihl- und Gefrierschranke)und verbesserte Konservierungsmethoden lassenLebensmittel langer haltbar sein, so dass auf einekurzperiodische Neubeschaffung verzichtet werdenkann.
RuR5/2008
2. Die nahezu omniprasente Verbreitung von Lebensmitteldiscountern mit einer Flachengrofse unterhalb der raumordnerischen, auf die Zentrenvertraglichkeit bezogenen Priifschwelle von 1 200 mimpliziert zumindest eine relative Schwachung derGrundzentren, da Giiter des kurzfristigen Bedarfsnahezu flachendeckend aulserhalb der Grundzentren angeboten werden.
3. Aufgrund des hohen Motorisierungsgrades (733 Kfzpro 1 000 Einwohner), dem dichten, auf die Landeshauptstadt Saarbriicken ausgerichteten Autobahnnetz sowie der auch faktisch (nicht allein nach LEP)dichten Ausstattung mit Mittelzentren ist die Erreichbarkeit mittelzentraler Orte (max. 20 Minutenmit dem Motorisierten Individualverkehr) und desOberzentrums Saarbriicken (bzw. im nordlichenSaarland Trier in maximal 40 Minuten) gewahrleistet, so dass die Versorgung grundzentraler Giiterentweder im Nahbereich oder in Kopplung mitder Versorgung mit Giitern des mittelfristigen bzw.langfristigen Bedarf im Mittel- oder Oberzentrumstattfindet.
457
Olaf Kilhne: .. h S d.Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empmsc en tu le
/\/P.i(h(ungtpfelle
IV'·'Petl4ler
N'·"
Fazit und Ausblick
Fur alle erhobenen Indikatoren der zentralortlichenVerflechtung lassen sich zwischen den (mittel- bzw.oberzentralen) Verflechtungsbereichen keine eindeutigen Grenzen ziehen. Die Verflechtungsbereiche sinddurch unterschiedlich breite minder von Mehrfachausrichtungen und Verschrankungen, insbesondere aufgrund der Kopplung von Arbeitplatz- und Versorgungsverkehr, gekennzeichnet. Eine eindeutige Abgrenzungvon Verflechtungsbereichen erscheint somit wenig dersozialen Realitat zu entsprechen.
Daneben erscheint eine Anpassung des Systems derZentralen Orte im Saarland aufgrund geanderter gesellschaftlicher Bedingungen im Sinne des reformulierten Zentrale-Orte-Konzeptes (Blotevogel et. al. 2002)erforderlich. Die gebotene Konzentration auf Zentrenmit Entwicklungspotenzial im Zusammenhang mitdem demographischen Wandel sowie der Energiepreisverteuerung erfordert im Saarland eine Verringerungder Zahl der Mittelzentren, eine Starkung des oberzentralen Clusters Saarbrlicken sowie eine zentralortlicheDifferenzierung innerhalb der Landeshauptstadt undKommunen mit Ortsteilen unterschiedlicher zentralortlicher Ausstattung und Verflechtung (insbesondere dem EntwickIungspol Homburg) sowie eine Neubestimmung der Funktion der Grundzentren. Wie sicheine solche Neubestimmung der Funktion der Grundzentren gestalten kann, obliegt einem fachlichen undpolitischen Diskurs. Mogliche Optionen einer solchenNeubestimmung sind:
458
Abbildung9Die Verflechtungsbeziehungen von Wohnortund Arbeitsplatz
- eine Abschaffung der Kategorie der Grundzentren imSaarland, als Reaktion auf die empirisch kaum nochnachweisbare grundzentrale Ausrichtung der Bevolkerung, Wesentliche Einschnitte in die Daseinsvorsorge waren damit nicht verbunden, schlielslichweist das Saarland aufgrund seiner (auch im Zugedes demographischen Wandels) hohen Besiedlungsdichte (gegenwartig 406 Einwohner/km-) eine hohemittel- und oberzentrale Erreichbarkeit auf;
- eine den zentralortlichen Gegebenheiten Rechnungtragenden Gebiets- und Verwaltungsreform, mitdem Ziel der starkeren Ubereinstimmung von administrativer und funktionaler Gliederung des Landes,beispielsweise durch die Angleichung der Gemeindegebietsstruktur an die mittelzentralen Verflechtungsbereiche;
- eine normative Setzung von Grundzentren und deren konzentriert administrativ-politisch gefOrderteEntwicklung. Eine solche normative Setzung istdabei an den raumplanerischen Soll-Vorstellungeneiner zentralortlichen Gliederung der Grundversorgung orientiert und nicht an analytischen Feststellungen des Ist-Zustandes. Allerdings erfordert einesolche Definition eines Soll-Zustandes eine konzertierte fachplanerische und vor allem politischeDurchsetzung.
AIs weiteres wesentliches Ergebnis der vorliegendenUntersuchung ist die Forderung nach einem dauerndenZentralitatsmonitoring zu formulieren. Insbesondere inRegionen, die einem beschleunigten und teilraumlich
RuR5/2008
Olaf Kiihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie
differenziert ablaufenden gesellschaftlichen Wandelunterworfen sind, wie das Saarland im Zuge der Postindustrialisierung oder die neuen Bundeslander imZuge des Transformationsprozesses, sind auch dieZentralen Orte einem raschen Bedeutungswandel unterworfen. Im Sinne einer effektiven Raumbeobachtung und der daraus resultierenden Politikberatungsind umfassende Kenntnisse uber die Entwicklung derZentralortlichkeit einzelner Orte von erheblicher Bedeutung.
Anmerkung(1)
Der Autor dankt insbesondere Gerd-Rainer Damm, lens Falk,Beate-Maria Grofs, Ulrich Grofs, Or. Tanja Helrnes, Svenja Herrmann, Brigitte Iiilch-Schumann. Prof. Or. Annette Spellerbergund Florian Weber fur Ihre konzeptionelle Unterstiitzung undIhr Engagement bei der Durchfuhrung der vorliegenden Untersuchung.
Literatur
Ageplan (1977): Vorstudie zum Raumordnungsteilplan .Dienstleistung (Zentrale Orte)" im Auftrage des Ministers fiir Umwelt,Raumordnung und Bauwesen. Miilheim a. d. Ruhr.
Bell, D. (1973): The Coming of the Post-Industrial Society. NewYork.
Blotevogel, H. H. (2002): Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzeptes. Hannover. =Forschungs- und Sitzungsberichte der ARL,Bd. 217.
Boustedt, O. (1962): Die zentralen Orte und Ihre Einflussbereiche.Eine empirische Untersuchung iiber die GroEe und Struktur derzentralortlichen Einflussbereiche. In: Proceedings of the IGUSymposium in Urban Geography. Lund, S. 201-226.
RuR5/2008
GiiEefeldt, J. (1997): Zentrale Orte - ein Zukunftskonzept fur dieRaumplanung! In: Raumforschung und Raumordnung 54, H. 4/5,S.327-336.
Hahne, U.; Rohr, G. v. (1999): Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung des Zentralen-Orte-Systems Schleswig-Holstein. In: Raumforschung und Raumordnung 56, H. 2/3, S. 143-154.
Hartz, A.; Kiihne, O. (2007): Der Regionalpark Saar - eine Betrachtung aus postmoderner Perspektive. In: Raumforschung undRaumordnung, 65, H. 1, S. 30-43.
Heinritz, G. (1979): Zentralitat und zentrale Orte. Stuttgart.
Inglehart, R. (1977): The Silent Revolution. Change and PoliticalStyles in Western Publics. Princeton.
lost, P.;Moll, P. (2007): Raumordnung im Saarland. Zur Geschichteder saarlandischen Landesplanung. In: Dorrenbacher, H.; Kiihne,0.; Wagner, M. (Hrsg): 50 Iahre Saarland im Wander. Saarbrticken,S.241-260.
Ministerium fur Umwelt (2004): Landesentwicklungsplan, Teilabschnitt .Llmwelt". Saarbriicken.
Ministerium fur Umwelt (2006): Landesentwicklungsplan, Teilabschnitt .Siedlung". Saarbriicken.
Weichhart, P. (1996): Das System der Zentralen Orte im Bundesland Salzburg und angrenzenden Gebieten Oberosterreichs undBayerns. Salzburg.
Weichhart, P.; Fassmann, H.; Hesina, W. (2005): Zentralitat undRaumentwicklung. Wien.
Prof. Dr. Dr. Olaf KiihneMinisterium fur UmweltReferat C/2 - LandesplanungKeplerstralse 1866117 SaarbriickenE-Mail: [email protected]
459