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architheseSakralität: was sie ist und ausmacht
Das Sakrale im Profanen – und umgekehrt
Zeitgenössischer Kirchenbau in Deutschland
SOM: Cathedral of Christ the Light
Venturi, Scott Brown: Episcopal Academy Chapel
Daniele Marques: St. Franziskus, Uetikon am See
Kirchenbau und Moderne
Aktuelle Umnutzungskonzepte für Kirchen
Sakraler Raum als Ort sozialer Interaktion
Synagogenarchitektur in Europa, Israel und den USA
Manuel Herz: Mainzer Synagoge
Moscheen in der Diaspora
KSP Engel und Zimmermann: Mosquée d`Algérie
Grabmal von F.C. Gundlach, Hamburg
Bucher Bründler Wohnhaus Sevogelstrasse, Basel
Valerio Olgiati Nationalparkzentrum, Zernez
2.2009
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
International thematic review for architecture
Sakrale RäumeSacral Spaces
Leserdienst 153
2 archithese 2.2009
E d i t o r i a l
Sakrale Räume
Der Andachtsraum im Flughafen Zürich ist dunkel, irgendwo in der Tiefe des
Terminals verborgen. Embleme der Weltreligionen lassen sich projizieren, sodass
der Raum der Konfession der Besucher entsprechend erhellt werden kann. Rei-
sen, Fliegen vor allem, ist – bei aller Alltäglichkeit – mit religiösen Vorstellungen
verbunden. Vor einigen Jahren legten MVRDV den Vorschlag vor, einen neuen
Friedhof mit dem Bild einer Startbahn zu strukturieren – als zeitgemässes Symbol
für die Ewigkeit.
Der unspektakuläre Raum in Kloten aber zeigt vor allem, dass es für einen sak-
ralen Raum eigentlich weniger raumbestimmender Dinge bedarf. In der Diaspora
oder in ihren frühen Phasen haben die monotheistischen Religionen mit völlig
unspektakulären Räumen leben können. Dennoch haben wohl die meisten Men-
schen andere Vorstellungen, wenn es um sakrale Räume geht. Der Kölner Dom,
die Altneuschul-Synagoge in Prag oder die Hagia Sophia in Istanbul können als
Inbegriffe sakraler Architektur gelten.
Räume, die sakrale Stimmungen evozieren, müssen offenkundig keine religiös
genutzten Räume sein. Man spricht von Musen-, gar Konsumtempeln, man pilgert
in die Felsentherme Vals, und alles, was zeitgeistig und trendig ist, gilt als «Kult».
Nicht mehr konfessionell gebundene Spiritualität findet neue Orte für die Liturgie
des Alltags.
Im kirchlichen Kontext zeigt sich diese Tendenz in zwei gegenläufigen Rich-
tungen: Während in Mitteleuropa die traditionellen kirchlichen Institutionen
an Mitgliederschwund leiden – was erhebliche Folgen für den Umgang mit den
Liegenschaften hat –, können Freikirchen Zuwächse verbuchen. Insofern ist die
Orientierung von Papst Benedikt XVI., der eine Annäherung an die Ostkirche sucht
und Entscheidungen des Zweiten Vatikanums zumindest zur Diskussion stellt, als
Reaktion durchaus verständlich: Selbst dezidierte Atheisten vermögen der Zele-
bration einer lateinischen Messe durchaus etwas abzugewinnen. Und im Bereich
der evangelischen Kirche stossen genau jene Kirchenbauten am stärksten auf
Ablehnung, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts
nach dem Vorbild des multifunktionalen Gemeindezentrums die Schwellenangst
aufheben sollten.
Am Ende geht es um Symbolik, und Profanes und Sakrales finden nicht unbe-
dingt in Harmonie zueinander. Die Debatte um die Gerhard-Richter-Fenster im
Kölner Dom ist dafür ebenso ein Beispiel wie der Moscheen-Streit in Deutschland
oder die Minarett-Initiative in der Schweiz.
Redaktion
Gerhard Richter: Entwurfsdetail für Kirchenfenster im Kölner Dom
46 archithese 2.2009
Sakraler Raum als Ort sozialer Interaktion
Frei von Möblierung bietet die spätgotische Kirche
St. Peter zu Köln seit dem Umbau von 1997 bis 2000
viel Raum für Ausstellungen der Gegenwartskunst,
Konzerte Neuer Musik und Lesungen zeitgenössischer
Literatur. Diese Sakralität der Leere wird durch ihre
theologische und ästhetische Konzeption bis heute als
wegweisendes Modell wahrgenommen. Künstler
wie Rosemarie Trockel, Jannis Kounellis und Barbara
Kruger haben für die dreischiffige Pfeilerbasilika In-
terventionen geschaffen und damit das internationale
Renommee dieser Kulturkirche geformt.
Die Leere Text: Bettina Schürkamp
Kunst und Religion bilden in der Kirche St. Peter zwei Kraft-
pole, zwischen denen sich sehr differenzierte und zuweilen
riskante Spannungen entladen. Friedhelm Mennekes grün-
dete 1987 als Pfarrer der Jesuitenkirche die Kunst-Station
Sankt Peter als Zentrum für zeitgenössische Kunst. Bereits
Mitte der Achtzigerjahre entfachte der Jesuitenpater mit
seinen Kunstausstellungen in der Frankfurter Vorortkirche
St. Markus in Nied (1979 bis 1985) und in der von ihm gegrün-
deten Kunst-Station Frankfurt (M) Hbf (bis 1989) Debatten
über eine neue Verbindung von Kunst und Kirche. Der Profes-
sor für Pastoraltheologie, Homiletik und Religionssoziologie
an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Geor-
gen veröffentlichte zu diesem Thema zahlreiche Bücher, die
die Entwicklung der Sakralität der Leere dokumentieren.
Viele Besucher staunen zunächst über den ungewohnt kar-
gen Kirchenraum. Sie tauchen in einen umgestalteten Sakral-
raum ein, der ihnen keine Handlungsmuster vorgibt und ihre
Bewegung nicht durch traditionelle religiöse Zeichensysteme
leitet. Die dreijährige Sanierung führte den Raumeindruck der
von 1513 bis 1525 erbauten Pfarrkirche auf die Grundprinzipien
des gotischen Sakralbaus – Licht und dynamische Überwin-
dung der Schwerkraft – zurück. Alle Raum bildenden Elemente
wurden von dem Architekten Ulrich Wiegmann an die warm-
tonige Farbigkeit des historischen Natursteins angepasst und
betonen so die flächige Wirkung der Wände. Eine helle, etwas
höher angebrachte Flachdecke unterstreicht das Aufwärts-
streben der gotischen Architektur, die im zweiten Weltkrieg
schwer beschädigt wurde. Abgesehen von der Ertüchtigung
der Pfeilerkonstruktion wurden mit dem Backsteinboden auch
die Altarstufen in der polygonalen Apsis entfernt. Der hell-
graue, geschliffene Betonfussboden geht mit den Wänden
eine Einheit ein und betont so die sachliche Klarheit des Rau-
mes. In dem leeren Raum bilden der Altartisch, Weihwasser-
becken, Tabernakel und Taufbecken unverrückbare Koordina-
ten des Raumes. Alle anderen liturgischen Gegenstände des
Gottesdienstes werden je nach Bedarf hineingeräumt. Schritt
für Schritt füllen Menschen, Musik und liturgische Aktivität
den Raum, bis er wie der Resonanzraum eines Musikinstru-
mentes mit ihrem atmosphärischen Klang ganz ausgefüllt ist.
Dieses Prinzip der temporären Aneignung illustrierte unter
anderem die Installation The Red Sea von Michael Somoroff,
die im Sommer 2008 kurz vor der Verabschiedung von Pater
Mennekes das Mittelschiff mit einer imposanten Skulptur aus
gebrochenen Bauholzlatten ausfüllte. Am Ende jeder Ausstel-
lung verlieren sich alle Spuren, und der erneut leere Raum
ist wieder offen für neue Aktivitäten. Leere und Fülle gehen
so eine dynamische Wechselbeziehung ein, die Mennekes in
seinen Grundsätzen für moderne Kunst in Kirchen betont. Im
immer wieder neuen Sehen zeitlich begrenzter Ausstellungen
habe die Kunst ihr Ziel und nicht im Besitz eines oder mehre-
rer Werke. Da die Geschichte der christlichen Ikonographie
abgelaufen sei, sollten Kunst und Glauben sich in einer kriti-
schen Auseinandersetzung eher robust als zimperlich gegen-
seitig infrage stellen. In die Leere hinein könne neue Kunst
den sakralen Raum atmosphärisch aufladen.
47
St. Markus Frankfurt-Nied – Kirche als Institution
sozialer Kritik
In der Textsammlung Katholische Theologie, die Friedhelm
Mennekes gemeinsam mit Peter Knauer 1975 herausgegeben
hat, wird deutlich, dass die Quellen der Sakralität der Leere
nicht nur in der Kunst liegen, sondern sich auch aus dem Stu-
dium der Theologie, der Philosophie und der Politischen Wis-
senschaften speisen. Für Mennekes’ Konzeption des Sakralen
erscheinen mir einige Texte aus diesem Buch bedeutsam. Die
ausgewählten theologischen Positionen von Gustavo Gutiér-
rez, Gottlieb Söhngen, Medard Kehl und Joseph Ratzinger,
heute Papst Benedikt XVI., sollen die Verbindung von Litur-
gie, Kunst und Gesellschaft in Sankt Peter veranschaulichen.
Als Theologe der Befreiung beschreibt Gustavo Gutiérrez in
dem Reader die Kirche als Institution der sozialen Kritik mit-
ten im Leben: «Reflexion auf die Präsenz und das Handeln
der Kirche in der Welt bedeutet Öffnung für die Welt, Hören
auf die in ihr drängenden Fragen, Aufmerksamkeit für die
geschichtlichen Stadien ihres Werdens.»1 Auch Mennekes
öffnete als Pfarrer der Vorortgemeinde St. Markus Nied (1979
bis 1985) mit seiner Jugendarbeit den Kirchenraum für ge-
sellschaftliche Fragen. «Damals habe ich zum ersten Mal ver-
standen, dass Räume Inhalte entstehen lassen. Jugendliche
brauchen Räume, damit sie überhaupt kommen.»2 Auf einer
städtischen Wiese veranstaltete er Diskothekenabende für
die aggressive, entwurzelte Jugendszene des Arbeitervier-
tels und inszenierte die Rockoper Franz von Assisi in einem
ausgebauten Speisewagen der Deutschen Bundesbahn und
sieben Zirkuswaggons.
Durch diese erste nachhaltige Begegnung entdeckte er die
Kunst als ein Medium, mit dem er die vielfältige Einbindung
der Menschen in ihren gesellschaftlichen Kontext thematisie-
ren konnte. Wie konzentrische Kreise berühren sich in seiner
Arbeit Religion, Wissenschaft und Kunst, ohne dass sich die
drei Disziplinen jemals vermischen. Analog zu Niklas Luh-
manns Modell der sozialen Interaktion kann es in diesem Ne-
1 Michael Somoroff: The Red Sea (Foto: Constantin Meyer)
58 archithese 2.2009
Text: Jürgen Strauss
Reden und Bauen
In der Vorrede zum zweiten Buch über Architektur beschreibt
Vitruv den Ursprung menschlichen Bauens als eine Kette von
natürlichen, zufälligen und kulturellen Ereignissen, die die
angenehme Wärmewirkung von Feuer mit Gruppenbildung,
Sprache und Nachahmung in Verbindung bringt: «Als bei
diesem Zusammenlauf von Menschen (am Feuer, Anm. d.
Verf.) bald so, bald so beim Atmen (unartikulierte) Laute her-
vorgestossen wurden, setzten sie durch tägliche Gewohnheit
Wörter zusammen, so wie sie sich gerade geboten hatten;
dann begannen sie dadurch, dass sie öfter Dinge (mit diesen
Worten) beim Gebrauch bezeichneten, schliesslich durch Zu-
fall zu sprechen. Und so brachten sie es zu Gesprächen un-
tereinander.» Und weiter: «... einige ahmten auch die Nester
der Schwalben nach und stellten aus Lehm und Reisig Be-
hausungen her, um dort unterzuschlüpfen. Dann beobachte-
Christliche Gemeindebildung zwischen Direktschall und Raumantwort Die Bergpredigt im Freien, das Pfingstwunder
im Haus und die Messe im grossen Kirchenraum bilden eine Abfolge sakraler Räume, deren Akustik für Rede und Musik mit
theologischen Vorstellungen von Kirche- und Gemeindebildung in Korrespondenz steht.
Zur Akustik sAkrAler räume
ten sie die Behausungen der anderen, fügten durch eigenes
Nachdenken Neuerungen hinzu und schufen so von Tag zu
Tag bessere Arten von Hütten. Da aber die Menschen von
Natur zur Nachahmung geneigt und gelehrig waren, zeigten
sie, stolz auf ihre Erfindungen, täglich der eine dem anderen,
wie sie ihre Bauten ausführten.»
Vitruvs Ursprungsvorstellung von Gesellschaft, Sprache
und Architektur bleibt ganz an innerweltliches Geschehen
gebunden und kontrastiert damit zu biblischen Erzählungen
eines göttlichen Sprachursprungs beziehungsweise eines
Eingreifen Gottes in sprachliche, in kulturelle Zusammen-
hänge. Für die Bildung der christlichen Kirchen – und damit
verbunden die Akustik sakraler Räume der Christen – bleibt
das Mysterium eines Bundes Gottes mit den Menschen, eines
Gottes, der eingreift, konstitutiv: Kirche ist zunächst nicht
Rede, nicht Architektur, sondern Gemeinschaft mit Gott.
1 Illustration zu Vitruvs Urhütten-bau, Cesariano 1521
Warm haben, Reden, Nachahmen und Bauen
(aus: Vitruv, Bau-kunst, Zürich und München 1987)
59
Vom Turmbau zu Babel zum Pfingstwunder
Die Nachkommen der Söhne Noahs waren alle Teilnehmer
des Bundes, den Gott mit Noah geschlossen hatte: «Es hatte
aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. [...] Wohlauf, lasst
uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an
den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen;
denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. [...] Und der
Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache
unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun
wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem,
was sie sich vorgenommen haben zu tun. [...] Wohlauf, lasst
uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass
keiner des anderen Sprache verstehe! So zerstreute sie der
Herr von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten die
Stadt zu bauen.» (1. Mose, 11; 1 – 8)
Folgt man den Kalkülen des Jesuiten Athanasius Kircher,
der den Bedarf an Ziegeln, Pflanzen, Tieren und Menschen
spekulativ ermittelte, so waren die Bewohner Babels sehr
wohl in der Lage, einen Turm zu bauen, der die sublunare
Sphäre durchstossen und den Himmel erreichen konnte; frei-
lich um einen hohen Preis, denn ein derartiger Turm hätte
die Bewegung der Erde dezentriert und damit die harmonia
mundi ruiniert. Vor diesem Hintergrund erscheint der Eingriff
Gottes nicht willkürlich strafend gegen menschliche Hyb-
ris gerichtet, sondern rational, die Schöpfung bewahrend.
Kirchers Interpretation unterstreicht indes die Potenz einer
untereinander verständigten und dasselbe Ziel verfolgenden
Gemeinschaft: ein kräftiges und zugleich irritierendes Motiv,
das bei der Stiftung des neuen Bundes Gottes mit der Chris-
tenheit deutlich hervortritt, denn im Pfingstwunder weicht
die babylonische Sprachverwirrung einer neuen Verständi-
gung. «Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel
wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus,
in dem sie sassen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt,
wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen,
und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen
an, zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab
auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die
waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem
Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge
zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in
seiner eignen Sprache reden.» (Apostelgeschichte des Lukas,
2; 2 – 6) Was geschah hier anlässlich der Bildung der ersten
christlichen Gemeinde?
Gemeindebildung durch Geheimnis und Verständigung
Die Interpretationsgeschichte des Pfingstgeschehens, der so-
genannten Zungenrede (Glossolalie), zeigt eine Fülle unter-
schiedlicher Beschreibungen beziehungsweise Auflösungen
des wunderbaren Geschehens, das aus einer heterogenen
Gruppe eine homogene Gemeinschaft formt: göttlich inspi-
riertes Sprechen, das Enthusiasmus vermittelt; Rede von Be-
trunkenen; ekstatisches Lallen beziehungsweise Sprechen
in fremden, unbekannten (Ur-)Sprachen; Musik beziehungs-
weise musikalisierte Rede als Universalsprache, die Emoti-
onen unmittelbar überträgt; Pantomime als ursprüngliche
Gebärdensprache (Goethe) oder authentische Rede in grie-
chischer (Welt-)Sprache, die den Gehalt des alten Bundes
mit den Innovationen des neuen Bundes nachvollziehbar
verbindet (Herder). Den problematischen, um nicht zu sa-
gen prekären Status von Zungenrede als inspirierter Rede
im öffentlichen Raum beschreibt uns Paulus im ersten Brief
an die Korinther: «Bemüht euch um die Gaben des Geistes,
am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! Denn
wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern
für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im
Geist von Geheimnissen. [...] Wenn nun die ganze Gemeinde
an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es
kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie
nicht sagen, ihr seid von Sinnen?» Verständlichkeit oder Un-
verständlichkeit: Worte der Offenbarung, der Erkenntnis, der
Prophetie und Lehre oder Rede im Geist von Geheimnissen
– damit ist eine semantische Spannung benannt, die bis heute
zwischen Predigt und Messe besteht, die sich akustisch als
Opposition von Deutlichkeit und Diffusität bemerkbar macht,
ihre visuelle Entsprechung in Sicht- und Unsichtbarkeit fin-
det und wiederum semantisch auf Klarheit vs. Dunkelheit
verweist. Denn Deutlichkeit der akustischen Wahrnehmung
von Rede liegt nur dann vor, wenn eine Dominanz von Direkt-
schall des Redners gegenüber den Reflexionen des begren-
zenden Raumes besteht – im griechischen Freilufttheater,
der Mission auf der Strasse und in der Lage der Bergpredigt
ist das der Fall. Umgekehrt ergibt sich eine Dominanz von Dif-
2 Illustration zu Athanasius Kirchers Turris Babel, 1679
Vollendeter Turm, der die Erde dezent-riert hätte.
64 archithese 2.2009
Text: Roman Hollenstein
Der lange vernachlässigte Jakobsplatz im Herzen Münchens
erstrahlt in neuem Glanz, seit hier vor zwei Jahren das der-
zeit grösste jüdische Gemeindezentrum Europas eröffnet
wurde. Die vom Saarbrücker Architektenteam Wandel Hoefer
Lorch konzipierte Gebäudegruppe setzt sich zusammen aus
dem Verwaltungsgebäude, dem Museum und der im Novem-
ber 2006 eingeweihten Synagoge. Dank ihrem klagemauer-
artigen Travertinsockel, aus dem ein gläserner, von einem
metallenen Gewebe getragener Baukörper herauswächst,
ist sie der skulpturale Blickfang. Gleichzeitig markiert das
nachts wie eine Laterne schimmernde Gotteshaus, dessen
stimmungsvolles Inneres die meisten zeitgenössischen Syn-
agogenräume an Schönheit übertrifft, den vorläufigen Höhe-
Zur neuen Synagogenarchitektur in Europa, Israel und den USA Auch wenn die äussere Erscheinung für jüdische
Gotteshäuser eigentlich nachrangig ist, dominiert derzeit eine Tendenz zu einer spektakulären Architektur. Diese zeugt –
gerade in Deutschland – von einem neuen Selbstbewusstsein der durch Zuwanderung wachsenden Gemeinden.
Symbolträchtige bauSkulpturen
punkt einer architektonischen Entwicklung hin zur zeichen-
haften Form. Diese setzte nach dem Krieg mit Erich Men-
delsohns kuppelüberwölbter Park-Synagoge in Cleveland
(1950 – 1954) ein und führte in jüngster Zeit zu mehreren
interessanten Werken – vor allem in Deutschland. Dass sie
noch nicht abgeschlossen ist, belegen der im November 2008
geweihte Rasterbau von Fritz Wilhelm in Lörrach, die Main-
zer Synagoge von Manuel Herz, mit deren Bau Anfang 2009
begonnen wurde, oder der jüngst ausgeschriebene Wettbe-
werb für eine orthodoxe Synagoge in Potsdam.
Geschichte der Synagogenarchitektur
Wenn kürzlich in Hannover nicht neu gebaut, sondern eine
evangelische Kirche in eine liberale Synagoge umgewandelt
1 Erich Mendel-sohn: Park-Syna-goge, Cleveland, Ohio, 1950 bis 1954 (Fotos 1+2, 5, 9+10: Hubertus Adam) 2 Owen Williams: Dollis Hill Syna-gogue, London
1
2
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wurde, so zeigt dies aber auch, dass trotz des gegenwärtigen
Trends hin zum Spektakulären bei jüdischen Gotteshäusern
die äussere Erscheinung letztlich zweitrangig ist. Dennoch
kann die Synagogenarchitektur auf eine eigenständige, bis
in die späthellenistische Zeit zurückweisende Tradition bli-
cken. Wichtige typologische und stilistische Verfeinerungen
erlebte sie in römischer Zeit in Galiläa, dann im maurischen
Spanien, vorab in Córdoba und Toledo, in der rheinländi-
schen Romanik, der Prager Gotik sowie im Barock Italiens,
Hollands und Osteuropas. Im Zeichen der Emanzipation trat
die Synagogenarchitektur seit Ende des 18. Jahrhunderts mit
neuem Selbstbewusstsein in Erscheinung. Dies dank einem
orientalische und romanische Elemente verschmelzenden
Formenspiel, das durch Weinbrenners ägyptisierende Sy-
nagoge in Karlsruhe und mehr noch durch Gottfried Sempers
Dresdener Tempel stilbildend wurde. Bald darauf avancierte
die Gestaltung eigentlicher Gemeindezentren zur neuen bau-
künstlerischen Herausforderung.
Der reiche Schatz an historischen Vorbildern kümmerte die
Anhänger des Neuen Bauens indes kaum, als sie die Archi-
tektur der modernen Synagogen definierten. Entsprechend
neuartig wirkten die vor dem Zweiten Weltkrieg entstande-
nen Bauten: etwa die jüdischen Gotteshäuser von Harry Elte
in Amsterdam, von Friedmann & Ascher in Hamburg, von
Owen Williams in London, Hector Guimard in Paris, Fritz Lan-
dauer in Plauen, Peter Behrens im slowakischen Zilina oder
von Henauer & Witschi in Zürich. Unbeeindruckt von diesen
Strömungen setzte man in den USA, dem gelobten Land der
Synagogenarchitektur, zunächst weiterhin auf traditionelle
Formen. Erst die einer moderneren Ästhetik verpflichteten
Sakralbauten von Albert Kahn und mehr noch Mendelsohns
Park-Synagoge in Cleveland kündigten auch dort eine Er-
neuerung an.
Das Stiftszelt als Inspiration
Der damit verbundene Triumph der Moderne war das Re-
sultat eines gesellschaftlichen Aufbruchs, zogen doch viele
wohlhabend gewordene amerikanische Juden in der Nach-
kriegszeit von den Innen- in die Vorstädte, wo sie neue
Synagogen errichten liessen. Neben Durchschnittsbauten
entstanden baukünstlerische Ikonen wie der fallschirmar-
tig aufgeblähte Kuppelbau des Beth-Sholom-Tempels in
Miami Beach (1953 – 1956) von Percival Goodman, dem pro-
duktivsten Synagogenarchitekten jener Jahre. Neben dem
Stiftszelt, das einst auf der Wanderung durch die Wüste das
tragbare Heiligtum der Bundeslade aufnahm, und anderen
symbolischen Bezügen zur jüdischen Tradition war es das
Skulpturale, das fortan die Synagogenbaukunst prägte. So
konzipierte Frank Lloyd Wright den zwischen 1953 und 1959
realisierten Beth-Sholom-Tempel in Elkins Park bei Philadel-
phia als gläserne Pyramide. Diesem bald an ein Zelt, bald an
den Berg Sinai gemahnenden «Mountain of Light» eignet
eine kosmische Dimension, die allerdings im lichtdurchflute-
ten, dem reformierten Ritus gemäss kirchenartig bestuhlten
Inneren wenig atmosphärischen Widerhall findet.
3+4 Percival Goodman: Tempel Beth Sholom, Miami Beach, 1956 (Fotos 3+4, 12: Paul Rocheleau, aus Samuel D. Gruber, American Syna-gogues, New York 2003) 5 Frank Lloyd Wright: Beth-Sho-lom-Tempel, Elkins Park, 1953 – 1959
3
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76 archithese 2.2009
Eine Annäherung Was den «Einen» ihre Minarett-Initiative, ist den «Anderen» ihr Moscheen-Streit. Sowohl in der Schweiz
als auch in Deutschland löst der Bau von Moscheen und Minaretten ungeahnte Protestbewegungen aus. Eine innovative isla-
mische Diasporaarchitektur wird vor allem Zeit und Diskurs benötigen.
Orchideen im Blätterwald – mOscheen in der diaspOra
1
Text: Verena Doerfler
Dass es den «metaphysisch Obdachlosen» dieser Welt ein
Dach über dem Kopf zur Verfügung stellt – vielleicht liesse
sich das Sujet des sakralen Baus bei aller religiöser Bekennt-
nis-Differenz unter diesem kleinsten gemeinsamen Nenner
zusammenfassen. Damit wäre das «Haus Gottes», respektive
jenes «Allahs» nahe am, auf seine Essenz reduzierten, Kern
der Architektur – aus Orten Räume werden zu lassen und
Behausungen zu errichten für die vor dem Unbill der Aussen-
welt Schutzsuchenden. Vielleicht bedarf es solcher reduzie-
rend-unverfrorener Ausgangsthesen, um die in Deutschland
und der Schweiz derzeit so hitzig geführten Debatten – hier
«Minarett-Initiative», dort «Moscheen-Streit» – zumindest
um einige wenige Grade abzukühlen. In einem Aufsatz zur
«Euro-Islamischen Architektur» formuliert Christian Welzba-
cher es folgendermassen: «Eine Moschee ist nichts anderes
als ein nach Mekka ausgerichteter Raum. Alles Weitere liegt
in der Phantasie der Menschen.»1 Bauaufgaben auf ihr We-
sentliches reduziert.
Wesenhaftes einer Moschee
Eine Moschee ist zunächst einmal ein Ort der Zusammen-
kunft gläubiger Musliminnen und Muslime. Und dieser Ort
muss allem voran über ausreichend Platz verfügen. Platz, der
es jedem Einzelnen möglich macht, seinen Gebetsteppich
an Ort und Stelle auszurollen, um das islamische Gebet, die
Niederwerfung gen Mekka, zu praktizieren. Schon das Wort
Moschee, abgeleitet vom arabischen masdjid, verweist dabei
auf die Tätigkeit im Innenraum: «Ort der Niederwerfung» ist
seine Übersetzung. Diese Form des Gebets sowie das Rezitie-
ren des Glaubensbekenntnisses («Es gibt keinen Gott ausser
Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes») bilden zwei
wesentliche der insgesamt fünf Grundsäulen der islamisch-
religösen Praxis.
77
Die Ausrichtung gen Mekka bleibt dabei tatsächlich – wie
Welzbacher es richtig bemerkte – Hauptwesensmerkmal der
Bauaufgabe Moschee. In Richtung Geburtsort des Propheten
muss sie also weisen, und damit gleichzeitig gen Kaaba, dem
eigentlich heiligen Ort des Islam. Diese aufs Äusserste mini-
malistisch gehaltene, kubusförmige heilige Stätte hat wenig
gemein mit der klassischen Moschee, wie sie der europäi-
sche Westen kennt und kritisiert. Kein Kuppelbau, kein Mina-
rett, sondern reine quadratische Form, die jeder Muslim und
jede Muslimin zumindest einmal in seinem oder ihrem Leben
aufgesucht haben sollte. Jener Erstbau allein macht deutlich,
dass der Moschee an sich ein starker Verweischarakter zu
eigen ist. Denn im Gegensatz zu einer den Ort zum Heiligtum
erklärenden katholisch-christlichen Sakralarchitektur, in wel-
cher die Kirche als besonderer Ort der Gegenwart Gottes
gilt, und in Analogie zum Bau der jüdischen Synagoge, die
als sym bolische Entsprechung für das «Heiligtum im Him-
mel» fungiert, dabei gleichzeitig jedoch den (zerstörten)
Tempel in Jerusalem als zentralen Ort ihres Glaubens kennt,
ist die Moschee vor allem ein Ort der Zusammenkunft der
Gemeinschaft, in deren Mitte Gott allgegenwärtig ist und
dessen Allgegenwart es sich – gen Kaaba betend – zu verge-
genwärtigen gilt.
Sakralität durch Gemeinschaft
Diese «Allgegenwart Gottes» bietet einen Erklärungsansatz,
warum das islamische Gebet auch im Hinterhof eines Fa-
brikgeländes, in Kellerräumen oder eben auch in ehemali-
gen Räumlichkeiten eines Supermarktes verrichtet werden
konnte und verrichtet werden kann – so wie es in 40 Jahren
europäischer Diaspora lange genug der Fall war.
Nicht der Ort der Moschee an sich ist somit geheiligter
Raum im Primären, vielmehr produziert sich Sakralität vor
allem durch den Akt der Gemeinschaftlichkeit im Gebet:
1 Heilige Kaaba in Mekka, Wallfahrts-ort des Islam
2 Visualisierung Neubau Islamisches Kulturzentrum, Köln-Ehrenfeld (Architekturbüro Paul Böhm)
2
A R c h i t e k t u R A k t u e l l
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90 archithese 2.2009
A R c h i t e k t u R A k t u e l l
Einheit und Vielheit
2 Blick von Süden entlang der Kantonsstrasse 3 Rückseite
1 Blick Richtung Osten auf das Nationalpark-zentrum und das Schloss Planta-Wildenberg (Fotos: Javier Miguel Verme)
1
91
VAleRio olgiAti: NAtioNAlpARkzeNtRum,
zeRNez
Für das Nationalparkzentrum ist eine abs-
trakte Bauskulptur entstanden: archaisch,
monumental und schweigsam. Bei aller Logik,
die dem Grundrisskonzept zu eigen ist, wirkt
das Innere erstaunlich vielgestaltig.
1914 wurde, vorbereitet durch mitglieder der Schwei-
zerischen Naturforschenden gesellschaft im enga-
din der Schweizerische Nationalpark gegründet – als
erste institution dieser Art in den Alpen, ja mittel-
europas überhaupt. inzwischen ist die Fläche auf
174 Quadratkilometer angewachsen; Aufgabe des
Nationalparks ist nicht nur erhalt und erforschung
der heimischen Flora und Fauna – etwa durch An-
siedlungsprogramme durch den zwischenzeitlich in
dieser Region ausgestorbenen Bartgeier –, sondern
auch die kommunikation. Jährlich 150 000 Besucher
lockt der Nationalpark an, und schon seit einiger
zeit konnten diese sich in zernez vor oder nach ih-
rem Besuch informieren. Angesichts der räumlichen
Begrenztheit dieser informationsstelle entschied
sich die leitung des Nationalparks für den Neubau
eines Besucherzentrums und fand mit der unmittel-
baren umgebung des Schlosses planta-Wildenberg
in zernez einen geeigneten Standort. Neben der
kirche, welche den Dorfbrand von 1872 überstand,
wirkt der mit einer geschweiften haube bekrönte
mittelalterliche turm des Schlosses, der winkelför-
mig von zwei Flügeln flankiert wird, als Dominante
des Dorfs. Valerio olgiati, der den unter 13 teilneh-
mern ausgelobten Wettbewerb des Jahres 2002 ge-
wann, überzeugte die Jury durch einen unmittelbar
südöstlich des Schlossareals platzierten komplex
aus zwei an den Spitzen sich verschneidenden ge-
bäudeteilen über jeweils quadratischem grundriss;
dem Architekten sei eine «räumliche einfühlsame
erweiterung des barocken ensembles» gelungen,
hiess es seinerzeit. Auf weniger Resonanz indes
stiess das projekt bei den Anwohnern. Rekurse ver-
hinderten eine Realisierung auf dem vorgesehenen
grundstück, und so entschied man sich dazu, das
Besucherzentrum gleichsam zu verschieben: Rich-
tung Westen, auf ein dem örtlichen Schulkomplex
vorgelagertes Baufeld jenseits der zum ofenpass
führenden kantonsstrasse. Bedauerlicherweise ist
der direkte Bezug zum Schloss planta-Wildenstein
damit verloren gegangen, das ästhetisch unbefrie-
digende Schulhaus drängt sich unvorteilhaft ins Bild.
lediglich die übrigen teile des Raumprogramms
konnten wie ursprünglich vorgesehen realisiert wer-
den: Die Verwaltung des Nationalparks sitzt jetzt im
Schloss, während der benachbarte Stall zu einem
Veranstaltungssaal umgebaut wurde.
Symmetrie auf den zweiten Blick
Sah der Wettbewerbsbeitrag noch die grundriss-
konfiguration eines grösseren und eines kleineren
Quadrats vor, so zeigt der ausgeführte Bau die kom-
bination zweier gleich grosser, symmetrisch ange-
ordneter Quadrate. Nähert man sich dem Bauwerk,
so offenbart sich diese prinzipielle Balance nicht
2 3