Arzneimittel im Bestandsmarkt –Wie erkenne ich therapeutischen Fortschritt,
„Me-too-Präparate und „Evergreening“-Strategien?
Wolf-Dieter LudwigHELIOS Klinikum Berlin-Buch
Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie
Arzneimittel im Bestandsmarkt - Agenda
Arzneimitteltherapie – Status quo Zulassung neuer Arzneimittel:
Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit ausreichend? Nutzenbewertung von Arzneimitteln im Bestandsmarkt:
Chronologie des Aufrufes und der Einstellung Weshalb wäre eine Nutzenbewertung von Arzneimitteln des
Bestandsmarkt so wichtig gewesen? – am Beispiel von DDP-4-Inhibitoren (Gliptinen)
neuen oralen Antikoagulantien
onkologischen Wirkstoffen zur Behandlung des Nierenzellkarzinoms
Resümee/Tipps für Quellen zur rationalen Arzneimitteltherapie
Arzneimitteltherapie - Status quo
in verschiedenen Indikationen großer Bedarf an echten Innovationen/Therapieverbesserung
(Erkenntnis-)Defizite bei Zulassung neuer Arzneimittel Zeitraum für Zulassung neuer Arzneimittel verkürzt
( “Post-Marketing Surveillance“, Pharmakovigilanz) Anstieg der Kosten für neue Arzneimittel häufig rascher als
wissenschaftlich nachgewiesene(r) Wirksamkeit bzw. Nutzen nach Zulassung benötigt: weitere Evidenz für patientenrelevanten
(Zusatz-)Nutzen der neuen Wirkstoffe
Abnahme der Produktivität
8 neue onkologische Wirkstoffe, darunter 6 „orphan drugs“ (O) 2 monoklonale Antikörper, 3 „companion diagnostics“
5 Wirkstoffe mit „priority reviews“(P)
Neue Arzneimittel 2013 –Bewertung Arzneiverordnungs-Report/AMNOG
AVR 2014: 27 neue Arzneimittel, davon 6 als innovativ und 13 als Analogpräparate eingestuft; AMNOG: 6 mit beträchtlichem ZN und 15 ohne Zusatznutznutzen (in zumindest einer Indikation)
Neue Arzneimittel (AMNOG): Ausmaß des Zusatznutzens1.1.2011 – 6.11.2014
Stand6. November 2014
Anzahl Wirkstoffen = 140
Anzahl Beschlüsse:n = 90
Ausmaß Zusatznutzen
Erheblich: n = 0Beträchtlich: n = 19Gering: n = 26Nicht quantifizierbar: n = 7 Kein Zusatznutzen: n = 38Geringer als ZVT: n = 0
erheblich0%
beträchtlich21 %
gering29%
nichtquantifizierbar
8 %
kein ZN =nicht belegt
42 %
geringer als ZVT0 %
Produktivitätskrise oder Innovationskrisebei pharmazeutischen Unternehmern (pU)?
Abnahme der Produktivität pU (vor allem 2000-2010) wenig effiziente Aktivitäten der pU im Bereich R & D häufiges Scheitern neuer Wirkstoffe vor der Zulassung „Patent-Kliff“ („Ableben der Blockbuster“): Volkskrankheiten strategische Neuausrichtung „unmet medical need“, lukrative Märkte, „Orphan Drugs“ bedarfs- und patientenorientierte Arzneimittelentwicklung? Marktrücknahme von Wirkstoffen mit hohen Umsätzen
und häufiger Verordnung infolge schwerer Nebenwirkungen
Anforderungen an die Zulassung
Eichler H-G et al.: 7. Oktober 2008
QualitätWirksamkeit
Sicherheit AMNOG
Biopharmazeutika N=34 (18%)
„Orphan Drug“ Status N=31 (16,5%)„accelerated approval“ N=22 (11,7%)
Zeitraum: 2005-2012
Was fehlt?
45% der neu zugelassenen Wirkstoffe für: Onkologie > Infektionen > kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen
insgesamt 448 zulassungsrelevante Studien randomisiert 89,3%, doppelblind 79,5% primärer Endpunkt: Surrogat 49%, patientenrelevant 29% mediane Studiendauer: 14 Wochen; > 6 Monate nur 25% 52% der Indikationen erfordern chronische Behandlung!Aussagen zur langfristigen Wirksamkeit/Sicherheit ???
• Voraussetzung für Zulassung: positives Wirksamkeit-Risiko-Profil
• keine eindeutigen Vorgaben für Zahl der Patienten, Dauer der Behandlung, minimale Beobachtungsdauer (Vorschläge ICH aus dem Jahr 1994)
• neue Arzneimittel, die länger als 6 Monate angewendet werden: mindestens 1000 - 1500 Pat., über 6 Mon. N=300, über 12 Mon. N=100
• ausgewertet N=200 neue Wirkstoffe (Zulassung 2000-2010)
• untersucht (Patienten) vor Zulassung: durchschnittlich N=1708 (Standardarzneimittel) bzw. N=438 („Orphan Drugs)
• chronische Anwendung untersucht (< N=1000) bei 46,4% (über 6 Mon.)/58,4% (über 12 Mon.)
Erkenntnislücken bei Arzneimittelzulassung und Marktüberwachung
• Klinische Studien (RCTs) nicht repräsentativ für Verordnung von Arzneimitteln nach Zulassung („real-life“ Patienten)
• Positive und negative Effekte (Nutzen) von Arzneimitteln bzw. Therapiestrategien unter Alltagsbedingungen i. R. von Zulassungsstudien nicht ausreichend beurteilbar
nach Zulassung von Arzneimitteln:– > 50% Änderungen von Fachinformation/Packungsbeilage– ca. 7,5% - 20% neue Warnhinweise („black box warnings“)– ca. 3% Marktrücknahmen
• Konsequenzen?; systematische Post-Marketing Studien (PAES, PASS) unverzichtbar und häufig neu # besser
Nutzenbewertung von ArzneimittelnInternet: www.bmg.bund.de/krankenversicherung/arzneimittelversorgung/arzneimittelmarktneuordnungsgesetz-amnog/infografiken-zum-amnog.html
InternationalerPreisvergleich
Nutzenbewertung des Bestandsmarkts§ 35a Abs. 6 SGB V
Arzneiverordnungs-Report 2012, Seite 12
Analog
Analog
Analog
Analog
AnalogAnalogAnalog
Einsparpotenzial von Analogpräparaten
Schwabe U, Paffrath D (Hrsg): Arzneiverordnungs-Report 2012. Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012, Seite 159.
Internet: http://www.g-ba.de/downloads/34-215-439/08-2012-06-07-NB-Bestandsmarkt.pdf
Nutzenbewertung des Bestandsmarkts
Umsatz (80%) und Zahl der verordneten Arzneimittelpckg. (20%)
Analogpräparate: Einsparpotenzial nach Substitutionmit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen 2013
Bestandsmarktaufruf nach § 35 a SGB V: Gliptine
Gründe aus Sicht des G-BA:
Stichtag 01.01.2011 führt zu ungleichen Voraussetzungen für die Preisbildung
Wirkstoffe, die im Wettbewerb stehen mit Wirkstoffen, für die bereits ein Beschluss zur frühen Nutzenbewertung vorliegt (hier: Linagliptin)
erhebliche Bedeutung für die Versorgung von Diabetespatienten
Gründe aus Sicht der Krankenkassen:Vorgaben des SGB V
§ 2 (1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, ... Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen.
§ 12 (1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten…
Bestandsmarktaufruf nach § 35 a SGB V: Gliptine
Gründe aus Sicht der AkdÄ: der Norm nahe Blutzuckersenkung durch Gliptine ohne Beleg
für patientenrelevante Endpunkt-Verbesserung (lediglich Hinweis auf Nutzen bei nicht-tödlichen Myokardinfarkten)
HbA1c nicht aussagekräftig als Surrogatparameter
inadäquates therapeutisches Vorgehen in Kontrollarmen;zu rasche Blutzuckersenkung auf normoglykämische Werte (Hypoglykämiegefahr)
kein wesentlicher Vorteil bei der Verhinderung von Hypoglykämien im Vergleich zu den Sulfonylharnstoffen (z. B. Linagliptin)
Signal für schwere Nebenwirkung Pankreatitis fehlender Beleg für Zusatznutzen unklares Schadenspotenzial
Bestandsmarktaufruf nach § 35 a SGB V: Gliptine
Gliptine in der frühen Nutzenbewertung nach § 35 a SGB V
Anzahl zugelassener Indikationen
Bewertung AkdÄ Bewertung G-BA
Linagliptin 4 kein Zusatznutzen kein Zusatznutzen
Saxagliptin 4 kein Zusatznutzen geringer Zusatznutzenin 1 Indikation
Sitagliptin 5 kein Zusatznutzen geringer Zusatznutzenin 2 Indikationen
Vildagliptin 5 kein Zusatznutzen kein Zusatznutzen
Nutzenbewertung des Bestandsmarkts
Schwabe U, Paffrath D (Hrsg): Arzneiverordnungs-Report 2014, S. 179.
Bestandsmarktreport 2014GLP-1-Analoga und DPP-4-Hemmer
Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes 2014
Gliptine ohne gesicherte günstige Beeinflussung klinisch relevanter Endpunkte, auch wenn die antihyperglykämische Wirkung dieser Wirkstoffgruppen gut belegt ist.
Einsatz kann erwogen werden, wenn mit den Arzneimitteln der ersten und zweiten Wahl (Metformin, Sulfonylharnstoffe) keine ausreichende Plasmaglukosesenkung erreicht werden kann und zudem eine starke, durch medikamentöse Maßnahmen nicht zu beeinflussende Adipositas oder eine ausgeprägte Hypoglykämieneigung unter einer Insulingabe die Behandlung erschweren.
Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes 2014
Neue orale Antikoagulantien (NOAK): Indikationen und Zeitpunkt der Zulassungen
Dabigatran (Pradaxa®)
Rivaroxaban (Xarelto®)
Apixaban (Eliquis®)
Prophylaxe von Venenthrombosen nach Hüft- oder Kniegelenksersatz
3/2008 10/2008 5/2011*
Vermeidung von Thromboembolienbei nicht valvulärem Vorhofflimmern
8/2011 12/2011 11/2012*
Behandlung und Prophylaxe von rezidivierenden tiefen Beinvenen-thrombosen und der akuten LE
6/2014 12/2011 bzw. 11/2012
7/2014*
Sekundärprävention nach akuten Koronarsyndrom
- 5/2013 -
* frühe Nutzenbewertung
Verordnungen der NOAK in definierten Tagesdosen (Defined Daily Doses, DDD) - 2011-2013
Boeschen et al., Bestandsmarktreport 2014
Schwabe U, Paffrath D (Hrsg): Arzneiverordnungs-Report 2014, S. 179.
NOAKs: Vor- und Nachteile
Pro Kontrakeine routinemäßige Kontrolle der Gerinnung nötig ?
keine routinemäßige Kontrolleder Gerinnung möglich
weniger Überwachung durch den Arzt
feste Dosis Dosisanpassung nur eingeschränkt möglich
im Vergleich zu VKA schnellerWirkungseintritt und kurze HWZ
Adhärenz entscheidend
Einnahme 2x/d bei Dabigatran und Apixaban
weniger zerebrale Hämorrhagien kein Antidot
bei KHK ASS nicht verzichtbar
keine Langzeiterfahrung
nicht bei Nieren-/Leberinsuffizienz
Kosten
Bestandsmarktreport 2014Neue orale Antikoagulantien
Pazopanib 2010, Axitinib 2012
7 neue Wirkstoffe seit 2006
Aktivierung vonRas/Raf/MEK/ERK
VEGFR
VEGFVEGF
PDGFR
PDGF
Aktivierung von PI3K/Akt/mTOR
Rezeptor-Autophosphorylierung
Anti-VEGF: Bevacizumab
Sorafenib Temsirolimus
Tumorzell-Proliferation + Apoptose -
Neovaskularisation +
SunitinibSorafenib
VEGFR = Vascular Endothelial Growth Factor Receptor; PDGFR = Platelet-derived Growth Factor Receptor
11
22
3333
Vom therapeutischen Nihilismus zurzielgerichteten Therapie beim Nierenzellkarzinom?
Bevacizumab +IFN-a: ca. 6000 €/Monat
SunitinibSorafenib
TemsirolimusEverolimusPazopanibAxitinib:
~ 46.890-63.540 €DDD-Kosten/Jahr
2009; 43:17-21
Everolimus
„What predicts the price of the next cancer drug is the price of the last cancer drug.
The only check on the system is corporate chutzpah.“
Arzneimittel im Bestandsmarkt - Resümee
institutionalisierte, systematische Bewertung des Zusatznutzens der Bestandsmarktarzneimittel nicht realisiert
Konsequenzen sowohl für die Arzneimittelausgaben aus als auch das Ziel einer „qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung“
ungleiche Voraussetzungen für Arzneimittelpreisbildung zahlreiche Beispiele für teure „Scheininnovationen“ bzw.
„Me-too-Präparate“ mit zweifelhaftem Nutzen Vermarktung als umsatzträchtige Generika Marktpotenzial siehe NOAKs Probleme für EBM/Leitlinien/Patienten siehe Gliptine und
Nierenzellkarzinom
Informationen zu neuen Arzneimitteln im Internet:unabhängige Information
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): http://www.akdae.de• Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – frühe Nutzenbewertung
nach § 35a SGB V: Stellungnahmen der AkdÄ: http://www.akdae.de/Stellungnahmen/AMNOG/index.html
• Neue Arzneimittel – Informationen für Ärzte über neu zugelassene Arzneimittel / neu zugelassene Indikationen in der EU: http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/NA/index.html
• Zeitschrift Arzneiverordnung in der Praxis (AVP): http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/index.html
Unabhängige Arzneimittel-Bulletins (ISDB):Zeitschriften in Deutschland
Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)
AMNOG – frühe Nutzenbewertung nach § 35a SGB V: Stellungnahmen der AkdÄ
Informationen zu neuen Arzneimitteln im Internet:weitere Informationen in Deutschland
Unabhängige Informationsblätter (ISDB)
Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): http://www.g-ba.de
• Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – frühe Nutzenbewertung nach § 35a SGB V:
http://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV): http://www.kbv.de
• Arzneimittel-Infoservice (AIS) – Arzneimittelinformationsportal:
http://www.kbv.de/html/ais.php/ais.html
• G-BA: aktuelle Beschlüsse im Rahmen der frühen Nutzenbewertung:
http://www.kbv.de/html/2064.php