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Page 1: Beiträge zur Chemie des Schwefels. 47. Die Molwärme des gasförmigen Disulfans und das Hemmpotential der Inneren Rotation

Beitrage zur Chemie des Schwetels. 4 P )

Die Molwarme des gasformigen Disulfans und das Hemmpotential der Inneren Rotation

Von F. FEHER und R. SCHULZE-RETTMER~)

Mit 2 Abbildungen

Inhaltsiibersicht Die Molwarme des gasformigen H,S, wurde calorimetrisch bei Zimmertemperatur

ZU

C r = 12,29 & 0,12 (cal . Mol-1 - Grad-1) bestimmt.

Durch Vergleich dieser Grolde mit der inzwischen yon uns statistisoh ohne den Anteil der Inneren Rotation berechneten Molwarme laldt sich die mittlere Hohe der die Innere Rotation urn die S-S-Bindung behindernden Potentialschwellen naherungsweise zu Yo = 2,7 kcal. Mol-l ermitteln.

Summary The molar heat of gaseous H,S, a t room temperature has been determined by calo-

rimetric measurements: CT = 12.29 & 0.12 (cal./mole/"C).

Comparison of this value with the molar heat calculated statistically without regard of inner rotation around the S-S-axis allows t o estimate the mean height of the potential barrier of the hindered inner rotation: V, = 2.7 kcals./mole.

Die spektroskopisch-statistische Berechnung der thermodynami- schen Funktionen der Sdfane3) setzt unter anderenl die indirekte Er- mittlung der die Inneren Rotationen behindernden Potentialschwellen voraus, da in den RAMAN-Spektren der Sulfane4) sowie in dem UR- Spektrum des Disulfans5) keine Frequenzen auf treten, die sich eindeutig Torsionsschwingungen zuordnen lassen.

1) 46. Mitclg., F. FEHER u. E. HELLWIQ, Z. anorg. allg. Chem. 294, 71 (1958). 2) R. SCAULZE, Diplomarbeit Koln 1956. 8 ) uber diese Rechnungen wird in einer folgenden Mitteilung berichtet werden. 4, F. FEH~R, W. LAUE u. G. WINKHAUS, Z. anorg. allg. Chem. 288, 213 (1956). 5, M. K. WILSON u. R. M. BADGER, J. chem. Physics 17, 1232 (1949).

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F. FEHER u. R. SCHULZE-RETTMER, Die Molwarme des gasformigen Disulfans 263

In der vorliegenden Arbeit wurde daher, zunachst am gasformigen Disulfan, durch calorimetrische Messung der spez. Warme bei Zimmer- temperatur eine experimentelle GroBe ermittelt, die es ermoglicht, durch Vergleich mit der statistisch, ohne Berucksichtigung der Inneren Rotation berechneten Molwarme den Anteil der Inneren Rotation an dieser thermodynamischen Funktion zu bestimmen. Aus diesem Anteil lassen sich dann nach dem heute allgemein angewandten Verfahren, am einfachsten unter Verwendung der von PrTzER aufgestellten Tabellen, naherungsweise das mittlere Hemmpotential V,, und damit alle thermo- dynamischen Funktionen des gasformigen H,S, fur beliebige Tempera- turen berechnen.

I. Messung der spezifischen Wkme des gasf6rmigen H2S2 Als geeignetes Verfahren zur Messung der spezifischen Warme von

gasformigen Sulfanen bei Zimmertemperatur wahlten wir eine calori- metrische Mischungsmethode, die von REGNAULT~) und WIEDEMANN ’) entwickelt und in neuerer Zeit von MCCOLLUM~) angewandt wurde. Fur unseren Zweck, bei dem Messungen an den leicht zersetzlichen Dampfen des Disulfans durchgefuhrt werden sollten, muBte das Verfahren wesent-

M

c

6, V. REGNAULT, MBm. Acad. Sei. Paris 26, 58 (1862). 7) E. WIEDEMANN, Pogg. Ann. 367, 1 (1876). 8) W. E.MCCQLLUM, J. Amer. chem. SOC. 49, 28 (1947).

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264 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 295. 1958

lich abgeandert werden. Die Versuchsanordnung sowie die Durchfuhrung der Versuche ist im folgenden beschrieben.

Versuchsanordnung: Die Apparatur (Abb. 1) besteht aus den beiden Thermo- staten A und B aus Eisenblech. Der Hohlraum ihrer Doppelwand ist mit einem Warme- isolierstoff ausgefullt. Die Thermostaten enthalten etwa 40 bzw. 60 1 Wasser, in welches je eine mit Relais und Kontaktthermometer T versehene Gliihbirne G sowie ein Propeller- riihrer P eintauchen.

Der Thermostat A enthalt als VerdampfungsgefaB einen zylindrischen Glaskolben Vd, der uber den Hahn H, rnit einem als Vorwkmer dienenden Glasrohrsystem Vw (Lange: 200 cm, Innendurchmesser des Glasrohres: 0,6 em) und uber Hml und Hms mit dem Manometer M verbunden ist. Der Vorwarmer Vw ist uber ein mit Vakuummantel versehenes Zwischenstiick an die im Calorimeter Cal (Thermostat B) befindliche Glas- spirale angeschlossen. Das Calorimeter Cal besteht aus einem rnit Gummideckel ver- sehenen und mit einem wasserdicht verschlossenen Schutzmantel sus Eisenblech umge- benen DEw AR-GefaB. Dieses enthalt Petroleum als Calorirneterfliissigkeit, die erwahnte Glasspirale, einen Heizdraht sowie einen Propellerriihrer PI und die 10 Lotstellen hinter- einandergeschalteter Thermoelemente, deren andere Lotstellen sich in dem Vergleichs- gefaB Vgl (GlasgefaR mit Schutzmantel aus Eisenblech) befinden. Von der Glasspirale im Calorimeter Cal fiihrt eine Glasverbindung iiber die zweiteiligen Fallen F 1, F 2, F 3 zum Pumpensystem sowie iiber die Abzweigung H,, zum Manometer M, das mit konz. Phosphorsaure (d = l ,65) gefullt ist (Quecksilber ist als Manometerflussigkeit nicht geeig- net, da es zersetzend auf Sulfane wirkt). - Der Antrieb aller Propellerruhrer geschieht synchron mittels des Motors Mo. - Die Fallen F 1, F 2, F 3 sind zweiteilig; sie werden mit Methanol-Trockeneis gekiihlt; ihre Hiilsen sind bei Bedarf abnehmbars).

Versuchsdurchfuhrung: 40-100 g frisch dargestelltes HzSZ4) werden in den Ver- dampfer Vd gebracht, und die Apparatur wird bei geschlossenem Hahn H, evakuiert. Im Thermostaten A wird eine Temperatur aufrechterhalten, die etwa 5" unter der Temperatur in B liegt. Etwa 1 Stunde lang wird der Temperaturgang in A und B mittels BEcKMANN-Thermometern verfolgt. AnschlieBend wird bei abgeschlossener Vakuum- pumpe und geoffnetem Hahn H, die Einstellperiode eingeleitet, wahrend derer der H,S,- Dampf in Falle F 2 geleitet wird. Diese Periode, in der die Stromungsgeschwindigkeit des verdampfenden H,S, noch nicht konstant ist (s. weiter unten), dient zur ungefahren Ein- stellung der Stromstiirke, die zur Kompensation der durch den stromenden Darnpf be- wirkten Abkiihlung der Calorimeterfliissigkeit erforderlich ist. Sobald die Strornungs- geschwiudigkeit konstant ist, ersichtlich an der Konstanz des Manometerdruckes in M, beginnt die Hauptperiode. Ab jetzt wird der Dampf in die Falle F 1 geleitet, deren Hiilse vorher gewogen ist. Die Gesamtzeit der Hauptperiode wird mit einer Stoppuhr ge- messen. Kleine Schwankungen in der Temperatur der Calorimeter-Fliissigkeit werden durch geringfiigige Bnderung der Strorristarke standig koinpensiert. Nach etwa 4-6 Mi- nuten haben sich etwa 5-20 g H,S, in F l kondensiert. Nach ScNieBen des Hahnes H, wird dann die Hulse der Falle F1 abgenommen und gewogen. - Gleich anschliedend kann ein neuer Versuch beginnen.

Auswer tung: Die Molwarme (in cal . Mol-1. Grad-1 des gasformigen Disulfans ergibt sich aus den MeBdaten nach:

9) Nahere Einzelheiten siehe Diplomarbeit R. SCHULZE 2)

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6 -

5 -

4 - 3 . 2 -

1 .

i = graphisch erinittelter Mittelwert der Kompensationsstromstarke wahreiid der MeBperiode (Ampere),

R = Widerstand des Heizdrahtes: 10,166 & 0,005 (Ohm), t = Dauer der MeIjperiode (sec),

M = Molgewicht des Disulfans; M = 86,14, m = Menge des wahrend der MeBperiode in F 1 kondensierten H,S, (g),

K = Korrekturgrorje (cal . Mol-' . Grad-I). Diese GroBe beriicksichtigt die Abhangigkeit der ausgetauschten Warmemenge von der Strijniungsgeschwindigkeit 9). Zu ihrer Ermittlung wurden die spez. Warmen verschiedener Eichsubstanzen gemessen. Es zeigte sich, daB im Rahmen unserer Bedingungen die Korrektur unabhangig von der Art der Substanz sowie von der Temperaturdifferenz zwischen Vorwarmer Vd und Calorimeter Cal und auch unabhangig von der Temperatur und vom Druck ist. Die Korrekturen machen l0-15% der ausgetauschten Warmemengen aus. Die aus den Eichmessungen erhaltene Kurve, aus der die Korrektur K zu entnehmen ist, ist in Abb. 2 dargestellt.

Die mit der angewandten Methode erreichbare Genauigkeit in der Bestimmung von Molwarmen ist aus folgender Zusammenstellung (Tab. 1) der unter Berucksichtigung der Korrektur erhaltenen Ergebnisse an Eichsubstanzen zu ersehen.

Wie ersichtlich, stimmen auBer bei CCI, die Daten gut iiberein. Die Abweichung bei Tetrachlorkohlenstoff ist auf die durch den geringen Dampfdruck bedingte kleine Stro-

38 = Temperaturdifferenz zwischen A und B (vgl. Abb. l),

mungsgeschwindigkeit zuriickzu- fiihren, bei der die Ermittlung der Korrektur K unsicher wird.

Ergebnisse: In Tab. 2 sind die Ergebnisse einer An- zahl von Messungen an Disul- fan dargestellt. In Spalte 1 ist die Temperaturdifferenz A 6 zwischen A und B, in Spalte 2 die in FaIle F 1 kondensierte Menge H2S2 (in g) und in Spalte 3 die mittlere Ver- suchstemperatur ("C) ange- geben. Spalte 4 gibt die Dauer der Hauptperiode in Sekunden

a 4 6 8

Abb. 2. Korrekturkurve Schwefelkohlenstoff

o Methanol A Chloroform 0 Tetrachlorkohlenstoff

,O%IOl .sec-7 O L ; - *

und Spaite5 die Stromstarke i in Ampere an. Spalte 6 enthalt die Stro- mungsgeschwindigkeit in Mol/sec, Spalte 7 die daraus ermittelte Kor- rektur K in cal/g (vgl. Abb. 2). In Spalte 8 ist die nach Formel (1) er- rechnete Molwarme in cal . Mol-1 n Grad-' angegeben.

Der Mittelwert der 8 Versuche bei 32,7" C betragt : C:" = 12,40 (cal . Mol-l. Grad-I),

c27,9 = 12,37 (cal . Mol-1. Grad-1). der sieben Versuche bei 27,9":

Z. anorg. allg. Chemie. Bd. 295. 18

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266 Zeitsohrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 295. 19.58

Wir legen auf den ersten Wert mehr Gewicht, da die Versuche bei 32.7 O bei hoherer Stromungsgeschwindigkeit durchgefuhrt wurden, bei

Substanz

CHCI,

CCI,

Tabelle 1

C: (cal . Mol-1. Grad-') - 1 __ -~ ~.

I Literatur-

wert

10,9211) 15, 7411) 10,8112) 19,s 111)

Mittelwert aus eigenen

Messungenlo)

10,93 i 0,3 ~

15,62 C 0,49 10,87 & 0,41 20,3 It 1,O

. -- -

dCI,

dt 1 0,009 0,022 0,016 1 0,025 I

der die Genauigkeit derMethodegrol3er ist.

Zur genauen Er- mittlung des Tempe- raturkoeffizienten der Molwarme genugen die beiden Werte fur 27,9 und 32,7@ C nicht. Zur Umrechnung auf 25" C benutzten wir den Wert !% = - 0,014, dT,, '..,

der sich aus statistischen Berechnungen3) in dem untersuchten Tem- peraturbereich als ausreichend genau ergibt.

Tabellc 2

A 6

4,60 4,85 4,82 4,80 4,80 4333 4,83 4,84 4,97 4,97 4,97

~ 4,97

llcnge

20,5G 8,10

13,62 12,89 13,86 11,48 10,37 9,16 4,04 5,89 4,90 :1,93

' 4,98 4,34 1 4,98 3,44 1 4.97 4.94

~ - ~~~

nittl.Ver- uchstemp

32,7 32,7 32,7 32,; 32,7 32,7 '3" 7

3 2,7 27,9 27,9 27,9 27,9 27,9 27,o 27,9

'-,

Dauer d. 7ersuchcs

430 21 1 240 480 300 243 243 240 180 2 70 640 210 210 180 "0

Strom- starke

0,118 0,112 0,135 0,091 0,122 0,126 0,116 0,110 0,078 0,079 0,074 0,072 0,077 0,069 0,071

Mol/sec

7,23 5,90 8,59 4,05 6,99 7,14 6,47 5,7G 3,39 3,30 3,08 2,83 3,12 2,89 2,76

-

K

1,62 1,97 1,36 2,88 1,67 1,64 1,80 2,Ol 3,45 3,55 3,77 4,12 3,73 4,04 4,25

CP I - I ~-

i 11 ,73 12,37 11,93 12,99 12,30 12,70 12,06 12,39 1 11,96 ~

J&52 , 12,03 12,76 1 12,73 I 11,81 1

10) Unsere Messungcn, dic zwischen 25-35' C durchgefuhrt wurden, sind in dcr Tabelle mit Hilfe der in Spalte 4 angegebenen, der Literatur entnoinrnenen Temperatur- koeffizienterl auf 25" C urngerechnet.

11) E. JUSTI, ,,Spez. Warrne, Enthalpie, Eiitropie und Dissoziation techn. Gase". Berlin 1939.

l*) A. EUCKEN U. E. U. FRANCK, Z. Elektrochem. angew. physik. Clieern. 52, 195 (1948).

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Somit wird fur die Molwarme des gasformigen Disulfans bei 25" C der Wert

erhal ten.

Fehlerdiskussion ermittelt 9, 13).

CT = 12,29 & 0,12 (cal . Mol-' 9 Grad-I)

Der angegebene Fehler wurde durch eine hier nicht naher ausgefuhrtc

11. Ermittlung des Hemmpotentials Die spektroskopisch-statistische Berechnung der Molwarme des

gasformigen Disulfans bei 25" C liefert ohne Beriicksichtigung des Bei- trages der Inneren Rotation den Wert C, = 10,23 (cal . Mol-1 a Grad-1)". Somit ergibt sich durch Vergleich mit unserem experimentell erhaltenen Wert ein Beitrag der Inneren Rotation von:

C = 2,06 & 0,12 (cal . Mol-l. Grad-I).

(Es wurden die Fehlergrenzen des experimentellen Wertes angegeben, da der berechnete Wert als sehr genau angesehen werden kann.) Unter Verwendung der von PITZER errechneten Tabellen 14), die mit genugender Annaherung fur die Disulfan-Molekel anwendbar sind, ergibt sich bei Annahme zweier wahrscheinlich verschieden hoher Potentialschwellen (in cis- und trans-Konfiguration) naherungsweise als mittlere Hohe dieser Schwellen ein Hemmpotential von V, = 2,7 kcal + Mol-l. Dieser Wert ist mit einer relativ grol3en Unsicherheit (- 0,8 und + 1,2) behaftet. Zwar zeigte sich bei der weiteren Berechnung der thermodynamischen Funktionen der Sulfane3), da13 diese nicht sehr empfindlich gegen mal3ige Anderungen von V, sind. Wir stellen die Veroffentlichung dieser Rech- nungen jedoch noch fur eine kurze Zeit zuruck, bis wir durch erneute prazise Messung von C , bei verschiedenen Temperaturen die Genauigkeit des Wertes erhaht haben.

~~

18) Der erhaltene Wert gilt streng nur fur den Druckbereich der Vcrsuchsbedingungen oder auch fur einen Druck von 1 Atm., wenn H,S, bei 1 Atm. ein ideales Gas ware. Auch bei Berucksichtigung der Abweichung des gasformigen H,S, vom Idealzustand kann der Wert auch fur 1 Atm. als giiltig angesehen werden, da allgemein die Druckabhangigkeit der spez. Warme so gering ist, daB die Anderung bei Umrechnung von 5-40 Torr (Ver- suchsbedingungen) auf 1 Atm. noch innerhalb der Fehlergrenzen unseres Wertes liegen wiirde.

14) R. S. PITZER u. W. D. GWINN, J. chem. Physics 10, 428 (1942).

Koln, Abteilung fiir Anorganische und Analytische Chemie des Chemi- schen Instituts der Universitat.

Bei der Redaktion eingegangen am 12. Dezember 1957.

18"


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