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Arch. exper. Path. u. Pharmakol., Bd, 226, S. 180--196 (1955).

Aus den Medizinischen Laboratorien der F. ttoffmann-La Roche & Co., AG, Basel.

Beurteilung der unspeziflsch-toxischen Wirkungen yon Arzneimitteln aus dem Knochenmark der Ratte.

Von G. ZBINDEN und A. STUDER.

Mit 10 Textabbildungen.

(Eingegangen am 18. Mdrz 1955.)

Die Wirkungsweise chemischer Stoffe auf das aktive Knochenmark li~i~t sich durch verschiedene Mechanismen erkliiren. Neben der seit langem bekannten, spezifisch-toxischen Knoehenmarksschiidigung durch Benzol, Gold, Arsen usw. ist die StSrung der Blutbildung durch zell- teilungshemmende, radiomimetische Substanzen yon grS~ter Bedeutung geworden.

Von diesen wird das Knochenmark als mitoseaktivstes Organ am st~rksten beeinflu~t, womit der Chemotherapie der Leuk~mien und Tumoren Grenzen gesetzt sind (HEILMEYER, BOLLAG). Durch Antimetaboliten, z.B. Aminopterin, sind weitere Stoffe in die Medizin eingefiihrt worden, die durch Inaktivierung oder Ver- dr~ngung lebensnotwendiger Faktoren die T~tigkeit des Knochenmarks zu hemmen vermSgen. SehlieBlich ffihren gewisse Arzneimittel unter besonderen Umst~nden auf dem Umwege der AntikSrperbildung zu ZerstSrung der im Blut kreisenden Leukocyten mit ErschSpfung des Knochenmarkes (M5sc~mi~ u. a.).

Diesen spezifisch auf die blutbildende Funktion des Knochenmarkes gerichteten Wirkungen mSchten wir einen unspezi/ischen Effekt gegen- iiberstellen, der bei ~berdosierung prinzipiell allen Medikamenten zu- kommt. Wir begegnen solchen Beeinflussungen des Knochenmarkes besonders bei der Priifung von Medikamenten auf chronische Vertr~glich- keit bei fortgesetzter Verabreichung an Versuchstiere. Denn hierbei ist man gen6tigt, zur Erzeugung des gewiinschten me[~baren Effektes auf (~berlebenszeit und KSrpergewicht das Vielfache der therapeutischen Dosen zu verabreichen. Eine solche Uberschwemmung des Organismus auch mit gut vertri~glichen Stoffen fiihrt zu histopathologisch fai~baren Veriinderungen, durch die das absichtlich erzeugte chronische Ver- giftungsbild n~her charakterisiert wird. Dieses ~uBert sich vorwiegend in degenerativen Organveriinderungen aller Art und ist racist weit- gehend unabhiingig yon der chemischen Natur der verabreichten Medika- mente. Man darf deshalb aus solchen experimentellen Ergebnissen nicht ohne weiteres auf eine analoge Wirkung nach therapeutischer Ver- wendung beim Menschen schliei~en. Dagegen sind dureh Feststellung des

Unspezifisch-toxische Wirkungen yon Arzneimitteln. 181

S c h w e r e g r a d e s u n d de s A u s m a l 3 e s t o x i s c h e r O r g a n s c h ~ i d i g u n g e n b e i v e r -

s c h i e d e n e n , g e w i c h t s - o d e r m o l g l e i c h d o s i e r t e n A r z n e i m i t t e l n w e r t v o l l e

R t i c k s c h l f i s s e a u f d ie , , a l l g e m e i n e V e r t r ~ g l i c h k e i t " d e r v e r g l e i c h e n d ge-

p r i i f t e n S u b s t a n z e n m S g l i e h .

Z w e c k d i e s e r A r b e i t is t , d i e h i s t o p a t h o l o g i s c h e r k e n n b a r e n u n s p e z i -

f i s chen E f f e k t e c h r o n i s c h v e r a b r e i c h t e r M e d i k a m e n t e a u f d a s K n o c h e n -

m a r k d e r R a t t e d a r z u s ~ e l l e n u n d m i t d e r in a n d e r s a r t i g e n V e r s u c h e n

f e s t g e s t e l l t e n , , a l l g e m e i n e n V e r t r g g l i c h k e i t " in B e z i e h u n g z u s e t z e n .

D a b e i w e r d e n wi r d ie V e r ~ n d e r u n g e n d e r b i n t b i l d e n d e n Ze l l en n u t

s t r e i f e n u n d u n s v o r w i e g e n d m i t d e r U m g e s t a l t u n g des K n o c h e n m a r k s -

s t r o m a s b e f a s s e n .

Y e r s u c h s a n o r d n u n g .

Gruppen yon je 15--20 wei[3en Wis ta r -Ra t ten e igener .Zueht yon 35--45 g Gewicht werden mi t einer vollwertigen , ,synthet ischen" Di~t folgender Zusammen- setzung ern~hrt :

Casein . . . . . . . . . . . 180 g Glucose . . . . . . . . . . 730 g Salzmischung 1 . . . . . . . 40 g Pura ~ (Cocosfett) . . . . . . 30 g Leber t ran . . . . . . . . . 20 g

Pro Tier und Tag werden folgende Vit- aminmengen zus~tzlich in der Block- schale verabreicht : Vi tamin B 1 . . . . . . . . 100 Vitamin B 2 . . . . . . . . 200 7 Vitamin B e . . . . . . . . 100 7 Nicotinsaureamid . . . . . 1 mg Panto thensaures Calcium . . 200 2-Methyl- 1,4-naphthochinon 20 (-- ) -Biot in . . . . . . . . 0,5 DL-~-Tocopherol . . . . . . 20 Cholin . . . . . . . . . . 3 mg

Nach einer Adaptionszeit yon einigen Tagen wird das auf chronische Ver t r ag - lichkeit zu prfifende Medikament den Tieren t~glich in abgestuften Dosen mi t der Schlundsonde, als Di~tzusatz oder parenteral verabreicht. Aus der (~berlebenszeit und der durchschni t t l ichen Gewichtszu- bzw. -abnahme, die sich immer als dosen- abhgngig erweisen, gewinnen wir erste, wertvolle Aufschliisse fiber die chronisch-

Zusammensetzung der Salzmischung:

N a t r i u m e h l o r i d . . . . . . . . . 0,5 Calciumlactat . . . . . . . . . . 3,5 Calcinmphosphat . . . . . . . . 1,5 Eisenci trat . . . . . . . . . . . 0,321 Kaliumjodid . . . . . . . . . . 0,009 Kupfersulfat . . . . . . . . . 0,003 YIagnesiumsulfat . . . . . . . . 0,55 Kal inmphosphat . . . . . . . . 2,653 Nat r iumphospha t . . . . . . . . 0,96 Zinkcarbonat . . . . . . . . . 0,002 Mangansulfat . . . . . . . . . . 0,002 Natrinmfluorid . . . . . . . . . 0,0003

10,0003 Walz und Eschle AG., Basel.

182 G. ZBINDEN und A. STUDER:

toxische Wirkung eines Medikamentes. Etwas vereinfachend werden wir im weiteren diese ,,allgemeine Vertrgglichkeit" durch die l~berlebenszeit 50% (t~LZ 50%) aus- driicken. Wir verstehen darunter die Anzahl Tage, w~hrend welcher ein Medikament einer Gruppe yon Ratten verabreicht werden kann, bis 50% der eingesetzten Tiere gestorben sind. Bei einer ~LZ 50% yon mehr als 100 Tagen daft man die verab- reichte Dosis als fiir Ratten sehr gut vertrgghch bezeiehnen. Dagegen sind Dosen, die eine ULZ 50% von 1--10 Tagen ergeben als sehr toxisch, solche mit einer I~LZ 50% yon 11--30 Tagen als ziemlich toxiseh und solche yon 31--100 Tagen als leicht toxisch zu betrachten.

Nach Bestimmung der ULZ 50% an je 15--20 Ratten werden gleich zusammen- gesetzte Gruppen yon Ratten nochmals mit dem Medikament behandelt. Diese Tiere werden in regelmgBigen Abstgnden getStet und histopathologisch untersueht. Blut- und Urinuntersuchungen werden in regelmaBigen Abstgnden durehgeffihrt.

Da, wie wir oben ausffihrten, die unspezifischen Reakt ionen des Knochenmarkes bei Behand lung der Tiere mi t verschiedenart igen chemi- schen Subs tanzen im Prinzip gleichartig verlaufen, begnfigen wir uns damit , am Schlusse der Arbei t als Beispiel mehrere Derivate des Iso- nicot ins~urehydrazids (INH) herauszugreifen und die Beziehung zwischen ,,allgemeiner Vertr/~glichkeit" dieser chemisch nahe verwandten Ver- b indungen und ihrer Wi rkung auf das Knochenmarkss t roma zu analy- sieren 1. Als Vergleich d ienten die Knochenmarksschni t t e yon normal ~ ern/~hrten R a t t e n und von unbehande l t en Tieren auf , ,synthetischer" Di~t. Aul~erdem unte rsuch ten wir die Ver/~nderungen des Knochen- markss t romas von R a t t e n mit vollwertiger, aber unterdosierter , somit calorisch ungeni igender Di~t, mi t eiweiBarmer Diat und von Ra t ten , deren Knochenmark durch Verabreichung von N-Lost oder Succinyl- sulfathiazol (SPIcER u . a . , J~TRGENS u. STUDER) spezifisch gesch~digt wurde.

Histolxtthologische Technik. T6ten der Ratten mit Chloroform. Der Femur wird 3 mm distal vom Hfiftgelenk durehtrennt, yon der anhaftenden Muskulatur befreit und im Gemisch yon SVSA fixiert. Die Knochen verbleiben in dieser LSsung

1 In gleicher ~Teise wurden verschiedene Hypnotica, Anticonvulsiva und Anti- mycotica untersucht.

2 Normalkost hat folgende Zusammensetzung: Cocosfett . . . . . . . . . . . 1,19% Eiseneitrat . . . . . . . . . . . 0 , 1 % Fleischmehl . . . . . . . . . . . 9,4 % Haferflocken . . . . . . . . . . 21,0 % 1 kg dieser Futtermischung wird in Heumehl . . . . . . . . . . . . 3,5 % die 6fache Menge heilles Wasser Kochsalz . . . . . . . . . . . 0,9 % eingeriihrt, aber nicht gekocht, Magermilchpulver . . . . . . . 6,2 % und nacl~ Erkalten den Tieren ver- Mais gemahlen . . . . . . . . . 24,0 % fiittert. Mang. sulfuricum . . . . . . . . 0,01% Schmer . . . . . . . . . . . . 2,4 % Trockenhefe unbestrahlt . . . . . 9,0 % Weizen gemahlen . . . . . . . . 22,3 %

100,00%

Unspezifisch-toxische Wirkungen yon Arzneimitteln. 183

2--3 Tage; sie sind dann weich und lassen sich nach dem Entsublimieren und Ein- betten in Paraffin ohne weiteres schneiden. Die Struktur des Knochenmarks bleibt so viel besser erhalten als bei Verarbeitung des lVlarkcylinders ohne Knochen. Die Pr~parate werden ffir die routinem~flige Untersuchung mit H~malaun-Eosin ge- f~rbt. AuBerdem verwenden wir die Bindegewebsf~rbung nach vA~ GIESON und die Sflberimpr~gnation nach GoMoRI.

Ergebnisse. Wir berichten im folgenden fiber die histopathologische Untersuchung

des Knoehenmarkes yon 340 Rat ten, die in der angegebenen Weise mit mittleren bis hohen Dosen versehiedener Medikamente behandelt wurden.

Bemerkungen zur Pathophysio[ogie des Knochenmarkes.

Die unspezifische, toxische Wirkung yon Arzneimitteln auf das aktive Knochenmark manifestiert sich in charakteristischer Weise in einer Um- gestaltung des Fettgewebes, des Ge/~flsystem8 und des intereeUu~ren Raumes. Diese drei Elemente sind infolge der starren Begrenzung durch den Knoehen so eng miteinander verbunden, dab sich jede Volumenver- ~nderung des einen unmit te lbar auf die beiden andern auswirkt. Funk- tionell erffillt das Fettgewebe des Knochenmarks drei Hauptaufgaben: zun~chst dient es als , ,Pufferorgan" ffir die ungehinderte Volumenzu- nahme des blutbildenden Gewebes (ROHR) oder aueh, wie UI~D~ITZ es am Beispiel des Knoehenmarksh~matoms zeigte, des intercellul~ren Raumes. Zweitens bildet es, dank seiner faserigen Verbindungen mit dem CapiUarsystem (ORsSS)und den Retieulumzellen (RoHR) den wesent- liehsten Bestandteil des Knoehenmarksgrundgerfists. Eine dritte Funk- tion da f t abet nieht vergessen werden: dank seiner Lage in einem sehr stark vascularisierten Gewebe ist das Fettgewebe des Knoehenmarks im Gegensatz zu demjenigen des fibrigen KSrpers geradezu pr~idestiniert, als rasch verfiigbare Reserve eines ealorisch hoehwertigen Niihrstoffes zu dienen. Der Abtransport des Fettes aus dem aktiven Knochenmark vollzieht sich in l~otfallsituationen denn aueh mit bemerkenswerter Ge- s c h w i n d i g k e i t ( R o H R ) . Mit Hilfe dieses Meehanismus l~il~t sich die un- spezifische Wirkung yon Pharmarka, die in mehr oder weniger toxischen Dosen fortgesetzt verabreieht werden, zwangslos erkl~ren : die chronische ~berbelas tung mit einer kSrperfremden Substanz ffihrt zu einer StSrung der fermentat iven Vorg~nge, wodurch auch die Assimilierung yon Nah- rungsstoffen beeintr~ehtigt wird. Dies ~uBert sich schon sehr bald in einer Verlangsamung des KSrperwachstums. Um dieser Notlage zu steuern, mobilisiert der KSrper seine rasch verffigbaren Reserven, namentlieh das Fe t t des Knochenmarkes, wobei der Schwund dieses Fettes um so schneller und vollst~ndiger erfolgt, je schwerwiegender das innere Milieu durch die zugeffibrten Substanzen gestSrt wurde. Aus dem Grad der Fettgewebsatrophie de~ Knochenmar]c~, aus der Gesehwindigkeit

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184 G. ZBINDEN und A. STUDE~:

mit der sie eintrat und aus den rea]ctiven Verdnderungen, die sie auslSste, kSnnen wir somit direlct au/ die allgemein-toxische Wirkung der chronisch verabreichten Substanzmengen schIie~cn. In manehen F~llen kann dies sehon zue inemZeitpunkt geschehen, in welchem Untersuchungen mit gr61~erem Aufwand, z. B. Bestimmung yon Gewichts- und Absterbe- kurven an einemumfangreichen Tier-material, noeh keine verwertbaren Ergebnisse zeitigen.

Histopathologischc Be/uncle.

a) Fettgewebe, Ge/d~system, InterceUularraum. Die Entwicklung der Atrophie des Fettgewebes im Knochenmark der Ratte unter dem EinfluB fortgesetzt verabreichter Arzneimittel l~Bt sieh im histologischen Schnitt- pr~parat gut verfolgen, wobei zwangslos drei Stadien unterschieden werden kSnnen:

Bei Beginn der Schrumplung im ,,eben noch normalen" Knochen- mark sind die Fettzellen nicht we-sentlich verkleinert und enthalten alle eine einzige, im Durchmesser 20--45t~ groBe Fettvacuole. Die Protoplasma- hiille, bei der normalen FeStzelle fast unsiehtbar, tr i t t deutlicher und oft wie , ,zerknittert" hervor. Oft sind kleine Anh~ufungen von Protoplasma nachzuweisen. Der ursprfinglich sicheffSrmige, an die Wand gedriickte Kern setzt sieh bereits etwas yon der Peripherie der Zelle ab und nimmt ovale oder nierenfSrmige Gestalt an (Abb. 1). Die Retikulinfibrillen um- spinnen die Fettzellen in einem zarten und dichten Netz, die Capfllaren sind kaum erweitert und der intercellul~re Raum ist unsichtbar.

Im ersten Stadium der Atrophic ist die einzige groBe Vacuole bei vielen Fettzellen durch blaBgef~rbte Protoplasmabriicken unterteilt. Diese Zellen ergeben mit ihren 10--15 oft nieht mehr als 1--5/~ groBen Va- cuolen besonders im fettreiehen Mark ein eigenartiges Bild (Abb. 2) und fallen auch im Markausstrieh sofort auf (ROHR). Der Kern riiekt mehr und mehr ins Innere der Zelle, rundet sich ab oder wird durch die vielen kleinen Vacuolen allseitig eingedellt. Sein urspriinglich fast unsichtbares Chromatingeriist wird locker und l~Bt oft mehrere Nucleolen erkennen. Bei Sflberimpr~gnation zeigt sich noeh keine wesentliehe Umgestaltung des Retikulinfasergeriists. Der dureh Sehwund des Fettgewebes frei- gewordene Platz wird durch die Capillaren eingenommen, die sich m~chtig erweitern; das Knoehenmark erscheint ,,kongestioniert". Nur bei sehr rasehem Verschwinden des Fettes oder auch bei gleiehzeitiger Riiek- bfldung des blutbildenden Gewebes wird der freigewordene Raum nicht nur durch die erweiterten Gef~Be, sondern aueh durch ein intercellul~res (~dem ausgefiillt~ Dieses (~dem enth~lt, wie dasjenige bei der gaUertigen Fettmarksatrophie des Menschen (AsKA~AZY), oft reiehlich feinf~diges Fibrin (Abb. 5).

U n s p e z i f i s c h - t o x i s c h e W i r k u n g e n y o n A r z n e i m i t t e l n . 185

Die starke Capinar- erweiterung erfolgt nicht in allen Abschnitten des atrophierenden Markes gleichmi~13ig: wie Abb. 6 zeigt, finder sich unter dem Endost eine 100-- 200/~ breite, meist deut- lich abgesetzte Zone mit einer geringen ZahI yon Capfllaren, die zudem auch nie so stark erwei- ter t sind wie diejenigen der medialen Mark- partien. Deshalb ist die Fettgewebsatrophie hier immer yon einem inter- eelluli~ren ~)dem be- gleitet, welches sich aber wegen des hohen Zellgehal~es dieser Re- gion nieht selten der Beobachtung entzieht.

Im zweiten Stadium der Atrophie sind die Vacuolen noch kleiner und zahlreicher, so dab die Fettzellen bei mittlerer Vergr6Berung ,,granu- liert'" erscheinen kSnnen (Abb. 3 a). Viele Zellen sind jetzt dreieckig oder sternf6rmig und untereinander mit langen, zipfe]igen Ausl~ufern verbunden. Die hellen, runden Kerne befinden sich durchwegs in der Mitte der Zellen. Das argyro- phile Fasernetz ist oft zusammen- gesintert, die Retikulinfasern ver- laufen gestreckt und gebiindelt durch die zipfeligen Ausl~ufer in die Nachbarzellen oder strahlen in Capfllarwandungen ein (Abb. 3b). Der Fasergehalt ist nur unwesent- lich vermehrt. In der erw~hnten Randzone unter dem Endost sind

Abb. 1. Femurmark, Rat te . VAN GIES01~. Vergr6Berung 900fach. Beginnende Schrumpfung der Fettzellen. Abrundung der Kerne

unter Losl0sung yon der Peripherie der Zelle.

Abb. 2. Femurmark , Rat te . VA:~ OIESON. Ver- gr/)13erung 900fach. 1. Grad der Fettgewebs- atrophie. Aufteilung der groBen Vacuolo in zahl- reiche kleine. Kerne rund, aufgehellt und in die

Zellmitte verlagert.

13"

186 G. ZBINDEN und A. STUDER:

die Stromazellen stark ausgezogen, und ihre Kerne haben die l~ngliche bis spindelige Form der Fibrocytenkerne an-genommen. Zwischen ihnen liegt ein blasses 0dem.

I m dritten und schwersten Stadium der Atrophie haben alle Fettzellen ihre Vacuole verloren und bilden ein Netz von sehr groBen, mit Eosin leuchtend rot gef~rbten, sternfSrmigen Zellen, die sich oft breit an Capillarw~nde anlagern. Die Kerne sind hell, hie und da bl~schenfSrmig.

Abb. 3a . F e m u r m a r k , Ra t t e . t t~malaun- Eosin. ¥ergrSl~erung 900fach. 2. Grad der Fe t tgewebsa t rophie . Die Fettzel le ver l ier t ihre rundl iche Form, ihr P ro top la sma ent-

h~ilt sehr viele kleinste Vacuolen.

Abb . 3b . F e m u r m a r k , Ra t t e . Silberimpr~ignation nach GO~ORI. Vergr6Berung 270fach. 2. Grad der Fe t tgewebsa t rophie Dan Faserger i i s t der Fet tzel len ist e twas zusammenges in ter t . Die Verb indlmg yon Fet tzel len m i t einer Gef~iBwand durch Ret ikul in-

fasern ist gu t s ichtbar .

Trotz m~chtiger Erweiterung der sinusoiden Capillaren bleibt meist reichlieh Raum fiir ein intercellul/~res 0dem (Abb. 4). Die Retikulinfasern sind zu breiten Bfindeln zusammengeriickt und manchmal etwas ver- mehrt. - - Eine ungewShnlich starke Vermehrung solcher gesehrumpfter Fettzellen oder Stromazellen (UND~ITZ) im Femurmark der Rat te ist in Abb. 7 dargestellt: der grSi~te Tell des Markraumes ist yon den sehr gro~en, sternfSrmigen Zellen eingenommen, zwischen denen nur noeh winzige Gruppen blutbildender Zellen zu sehen sind. Die Silberimpr~g- nation ergibt eine aul~erordentlich starke Zunahme der pr~kollagenen Fasern (Abb. 7 b). Wiederum f~llt die Zone unmittelbar unter dem Endost auf: hier sind die Stromazellen noch kaum vermehrt, das blutbfldende Gewebe ist noch reichlich erhalten (Abb. 7c). Ob es sieh in diesem

Unspezifisch-toxische Wirkungen yon Arzneimitteln. 187

Einzelfall um eine reaktive Wucherung der Stromazellen oder um eine hochgradige Atrophie eines ungew6hnlich fettreiehen ~¢Iarkes handelt, wissen wir nicht. Die Seltenheit der Mitosen spricht mehr fiir die zweit- genannte MSglichkeit.

Wit haben die bei der Fettgewebsatrophie im Knochenmark der Ra t te regelmEBig gefundene, starke Capillarerweiterung in ~bere ins t immung mit JOLLY bisher nur als Folge des dureh den l%ttschwund entstandenen Vakuums erkl~rt. Neben dieser passiven Gef~B- - -- erweiterung gibt es, wie Abb. 6 (Femurmark einer an schwerer Pneumonie erkrankten KontroUratte) zeigt, auch eine aktive Markhyper~mie. Gewi{~ werden in einzelnenF~llen auch die verabreichten Medikamente durch Ge- f i~l~hmung eine Erwei- terung der Capillaren her. vorrufen, welehe nun ihrerseits zu einer Druck- zunahme in der Mark- hShle fiihren und damit zum Schwund des Fett- gewebes beitragen. _ . . . .

Der Kreislau/ im Abb. 4. Femurmark, Ratte. l~malaun-Eosin. Vergr6Berung gnochenmark ist nach den 4o0fach. 3. Grad der Fettgewebsatrophie. Die Fettzellen

haben dreieekige bis sternf6rmige Gestalt angenommen und Ansichten der meisten haben ihre Vaeuolen ver]oren. Kerne hell, feinstrukturiert, Autoren geschlossen (OR- hie und da bl~isehenf6rmig.

S6S, l~oHg U.a.). Doch ist die Wand der Capillaren streckenweise sehr diinn und besteht in den ,,ungesieherten" (ORsSs) Abschnitten lediglich aus einem Endothel- schlauch. Es k6nnen deshalb sehon reeht geringe toxische Endothelsch~di- gungen bei starker Hyper~mie di/[use HSmorrhagien ins Knochenmark bewirken. Solche Blutungen kSnnen, wie BORST beobachtete, bei Ra t t en schon nach Fiit terung einer fe t tarmen Dii~t vorkommen. Auch wit haben bei vereinzelten Kontrollratten, die sieh aus irgendeinem Grunde schlecht entwickelten, kleine Markblutungen beobaehtet . Hi%ufiger trifft man diese H~morrhagien aber nach ehronischer Verabreiehung hochdosierter Medi- kamente, l~ach Tab. 1 besteht eine deutliche Beziehung zwischen der Vertr~glichkeit (~LZ 50%) eines Medikamentes in einer bes t immten Dosierung und der H~ufigkeit des Auftretens yon Knochenmarks-

188 G. ZBINDEN und A. STUDER:

b l u t u n g e n . W i e d u r c h den N a c h w e i s e iner E r y t h r o c y t e n p h a g o c y t o s e d u r c h M o n o c y t e n geze ig t w e r d e n k a n n (Abb. 8), s ind die B l u t u n g e n i n t r a v i t a m e n t s t a n d e n u n d n i c h t als A r t e f a k t e zu b e t r a c h t e n .

Nach 7 Behandiungstagen, in vielen F/fllen jedoch schon friiher, sind die un- spezifischen histopathologischen Knochenmarksver/inderungen ausgebfldet. Ihr durehschnittlicher Entwieklungsgrad ist nach der doppelten ~ L Z 50% im allge-

Abb. 5. Femurmark, Rat te . H~.malaun-Eosin. VergrSi3erung 350facll. Ausgedehnter Zellsehwund nach Behandlung mit Suceinylsulfathiazol. Fibrinreiches intercellul~res 0dem. Gleiche Ver~nderungen werden am ealorisch unterern~ihrten Tier beobaehtet.

meinen nicht oder nur wenig schwerer als nach 1 Woehe. Dies gilt selbst ffir sehr gut vertr/~gliche Dosen, bei welchen sieh sogar im Laufe der Wochen anf~ngliehe Knochenmarksdegenerationen, die mSglieherweise durch grOgere Empfindliehkeit der jungen Tiere bei Behandlungsbeginn bedingt waren, normalisieren kSnnen.

Tabelle 1.

50% der Tiere iiberlebend / (?JLZ 50%) nach Tagen Anzahl der Tiere

bis 10 . . . . . . . I 17

11---30 . . . . . . . . . . 37

31--100 i 48

fiber 100 . . . . . . . . 134

Kontr . , ,synth. D i a t " . . . : 54

Kontr. Normalkost . . . . 18

Histopathologisch nachgewiesene Knoehenmarksblutung

Anz~hl Tiere %

12 70

19 51

7 15

8 6

2 4

0 0

Unspezifisch-toxische Wirkungen von Arzneimitteln. 189

b) Megakaryocyten. Im Knochenmark der Ratte kommt es als Folge chroniseher Intoxikationen h~ufig zu Pyknosen der Megakaryocytenkerne. Normalerweise sind diese Kerne im histopathologischen Schnittpraparat mehrfach gelappt, ziemlich hell und rein strukturiert. Durch toxische Einfliisse yon Medikamenten, aber auch schon bei Hunger (JOLLY), kommt es zu einer oft starken Verklumpung der Kerne , die sich dann sehr dunkel f~rben (Abb. 9 a) und zuweilen auffallend stark segmentiert sind. Selbst Kernverfliissi- gung mit Aufsplitterung des Chromatins in zahlreiche Tropfen (Urn)RITZ) kommt gelegentlich vor. Hie und da sind die pyknotischen Kerne auch yon einer gro- Ben, mit einer blab gef~rb- ten Fliissigkeit geffillten Vacuole partiell oder ganz umschlossen. Manchmal wird der Kern von der Va- cuole an die Peripherie der Zelle gedr~ngt (Abb. 9b). Die H~ufigkeit der Kern- pyknosen wechselt, doeh kSnnen unter Umst~nden praktisch alle Megakaryo- cyten solche Ver~nderun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gen zeigen. Wie beim Abb. 6. Femurmark, Ratte. H~imalaun-Eosin.

Vergr6flerung 100 lath. An schwerer Pneumonie erkranktes Schwund des Fettgewebes Kontrolltier. Staxke Hyper~mie der medialen l~Iarkpartien, handelt es sich auch hier keine Gef~Berweiterung in subendostaler Randzone.

1 Knochen; 2 subendostale lCandzone; 3 m~chtig erweiterte u m einen unspezifischen Capillaren der medialen Markpartie.

Effekt der chronisch verab- reichten Arzneimittel, deren chemische Zusammensetzung dabei nur eine geringe Rolle zu spielen schemt. In der Regel ffihren gut vertr~gliche Pr~parate selten, schlechter vertr~gliche h~ufiger zu den beschriebenen Kernver~nderungen.

Einige Worte noch zu der sogenannten Pseudophagocytose der Megakaryocyten. Darunter versteht man die in Schnittpr~paraten recht oft zu beobachtende schein- bare Aufnahme yon Knochenmarkszellen im Protoplasma der Megakaryocyten. Die Zellen befinden sich nach U~1)RITZ jedoeh lediglich in Buchten des machtigen Protoplasmaleibes, wo sie unter Umst~nden vollst~ndig degenerieren k6nnen. Wir sahen aber in unserem Material versehiedene Knochenmarkssehnitte yon Ratten, in welehen die Pseudophagocytose ein ganz ungewShnliches MaB erreieht: 16---25% der Megakaryocyten enthalten in ihrem Protoplasma fremde Zellen, wobei es sich in der tiberwiegenden Mehrzahl um segmentkernige, neutrophfle Leukocyten

190 G . Z B I N D E N u n d A . S T U D E R :

Abb. 7a. F e m u r m a r k , Ra t t e . H~malaun-Eosin . Vergr6i~erung 140fach. Ex~rem s tarke ¥ e r m e h r u n g groi3er, s te rnfSrmiger Stromazellen (Markfibrose). Blutbi ldendes Gewebe nur noch in kleinen Herden

vorhanden.

Abb. 7b. F e m u r m a r k , Ra t t e . Gleiches Tier wie Abb. 7 a. Silberimpr~ignation naeh GOMORI. Vergr/iBe- rung 120fach. Sehr s ta rke Ve rmehrung der Re t iku-

linfasern.

Abb. 7 c. Femm'mark , Rat te . Gleiches Tier wie Abb. 7a u. b. H~malaun-Eosin . Ver- grSi3erung 120 fach. Trotz schwerster Mark- flbrose ist die Blutbi ldung in subendostaler

Randzone erhalten.

U n s p e z i f i s c h - t o x i s c h e W i r k u n g e n y o n A r z n e i m i t t e l n . 191

Abb. 8. Femurmark, Rat te . tI~imalaun-Eosin. VergrSl3erung 900fach. Erythrocytenphagocy- tose durch Monocyten bei diffuser Markblutung.

Abb. 9a. Femurmark, Rat te . H~malaun-Eosin. VergrSBerung 900 fach. Megakaryocyt mit Kern- pyknose. Links davon partiell atrophische

Fettzelle.

Abb. 9b. Femurmark, Ratte. H~malaun-Eosin. VergrSBerung 900fach. Megakaryoeyt mit Kern-

pyknose und grofler Vacuole.

Abb. 10. Femurmark, Rat te . H~imalaun-Eosin. VergrSBerung 900faeh. Pseudophagoeytose eines I~Iegakaryocyten. Im Protoplasma der Knochen- mark-Riesenzellen sind mindestens 8 neutrophile

Leukocyten erkennbar.

192 G. Za~NDEN und A. STUDER:

handelt. Nicht selten ist der Leib der I~iesenzelle mit 7--10 neutrophilen Leuko- cyten vollgepfropft (Abb. 10), wodurch sich Bflder ergeben, die an die Neurono- phagie des Zentralnervensystems erinnern. Der Gedanke, dab ein degenerierender Megakaryocyt dutch chemotaktisch angelockte neutrophfle Leukocyten abgebaut wird, liegt aus diesem Grunde nahe. - - Eine Beziehung zwischen der ,,allgemeinen Vertr~glichkeit" des verabreichten Medikamentes und dem Auftreten solcher ex- zessiver Pseudophagocytosen hat sich bisher nicht ergeben.

Beispiel : Chronische V erabreichung yon I sonicotins~ureh ydrazid ( I N H) und einiger seiner Derivate per os. An diesem Beispiel soll die Abh~ngig- keit der vors tehend beschriebenen, histopathologischen Knochenmarks- verKnderungen v o n d e r allgemeinen Vertr~glichkeit einiger miteinander verwandter Pr~parate bei betr~chtlicher ~berdosierung dargestellt werden. Dem in abgestuf ten Dosen verabreichten I H N sollen verschiedene, ebenfalls anti tuberkulSs wirksame Derivate gegenfibergestellt werden.

Versuchsanordnung vgl. Seite 181. Den Ratten wurden folgende Substanzen und Dosen unter die ,,synthetische" Di~t gemischt:

Dosierung mg/kg/Tag Pritparat Chemische Bezeichnung

] Isonicotins~urehydrazid (INH) 100 500 1000 Ro 1-7641 Nl-Isonicotinyl-Nl-isopropyl-hydrazin 500 Ro 1-7850 Nl-(2-Methyl-isonicotinyl)-N2-(acetylglycyl) -

hydrazin 500 Ro 1-7829 Nl-(2-Methyl-isonicotinyl)-N2-(u-furyl-(2')-

~thyliden)-hydrazin 500 Ro 1-7531 Nl-Isonicotinyl-N2-(d,l-acetyl-methionyl) -

hydrazin 500 Ro 1-7721 Nl-Isonicotinyl-N~-(acetyl-glycyl)-hydrazin 500

~ber die chemischen und biologischen Eigenschaften dieser Substanzen wird in anderem Zusammenhang berichtet (I~UST, STRAUB, BSIFI~ und STUDER; ISLER, GUT~NN, STRAUB, FUST, BSHNI und STUDER). A1s Vergleich dienen grS~ere Gruppen yon Kontrolltieren, die wie folgt erni~hrt wurden: Kontrollen I : Normalkost (gemi~B S. 182); Kontrollen I I : Vollwertige ,,synthetische" Di~t (gem~B S. 181); Kontrollen I I I : Vollwertige ,,synthetische" Di~t mit Beschr~nkung der Calorien-

zufuhr; Kontrollen IV: ,,Synthetische" Dii~t mit Reduktion des EiweiSes auf 4%.

Die ftir jedes Pri~parat, respektive jede Dosierung an 15--20 Ra t t en best immte C L Z 50% diente als MaB der ,,allgemeinen Vertri~glichkeit" der chronisch verabfolgten Substanz. I n Tab. 2 sind die Ergebnisse der Absterbeversuche zusammengestel l t und mit den histopathologisch fest- gestellten Knochenmarksver~nderungen verglichen, die mit denselben Pr~para ten in gleicher Dosierung in spi~teren Exper imenten hervor- gerufen wurden.

Aus der Zusammenstel lung in Tab. 2 ergibt sich eine gute ~bere in- s t immung zwischen der ,,allgemeinen Vertri~glichkeit" chronisch

Unspezifisch-toxische Wirkungen yon Arzneimitteln. 193

verabfolgter Arzneimittel (ausgedriickt als I~LZ 50%) und ihrer unspezi- fischen Auswirkungen auf das histopathologische Bild des Knochenmarkes.

Die Dosenabhi~ngigkeit s0wohl der ~berlebenszeit chronisch be- handelter Tiere, als auch der dabei auftretenden unspezifischen Knochen- marksver~nderungen, geht aus dem Beispiel des IN H hervor: mit 100mg/kg/Tag starb w~hrend 310 Tagen kein Tier, unspezifische Knochenmarksver~tnderungen waren nur bei wenigen Rat ten und ledig- lich in geringem Grade nachzuweisen. Mit 500 und besonders 1000 mg/kg starben die Versuchstiere viel friiher, und entsprechend waren auch Markatrophie, Blutungen und Kernpyknosen der Megakaryocyten viel h~ufiger und viel ausgepr~gter vorhanden.

Das Beispiel zeigt ferner, da6 zur Differenzierung gutvertr~glicher Pr~parate im Tierexperiment Riesendosen verabfolgt werden mfissen, welche fiir INH, bezogen auf das K5rpergewicht, das Zwanzig- bis Zwei- hundertfache der therapeutisch gebrauchlichen Mengen betragen. Der Schwund des Knochenmarksfettes ist als empfindliches Zeichen einer chronisch-toxischen Sch~digung des Organismus zu betrachten, welches selbst dann bis zu einem gewissen Grad nachweisbar bleibt, wenn aus ~berlebenszeit (Tab. 2) und Gewichtszunahme keine StSrung des All- gemeinbefindens der Versuchstiere ersichtlich ist.

Knoehenmarksblutung und Kernpyknosen der Megakaryocyten sind als grSbere Zeiehen zu werten, die nur bei sehwereren Vergiftungen bei einem grSl]eren Prozent- satz der Versuchstiere auftreten. Selbst bei den auf ,,synthetischer" Di~t ge- haltenen Ratten der Kontrollgruppe II sind in einzelnen F~llen histopathologiseh nachzuweisende Knoehenmarksveranderungen aufgetreten. Aueh im Waehstum bleiben diese Tiere gegeniiber normal ern~ihrten Ratten etwas zuriick. Dies zeigt, dab die verwendete ,,synthetische" Di~t der Normalkost nieht ganz ebenbiirtig war.

Am Beispiel der calorisch und qualitativ unterern~hrten Rat ten (Kontrollgruppen I I I und IV), deren Knochenmark analoge Ver~nde- rungen wie bei den medikamentSs behandelten Tieren aufweist, sei die unspezifische Natur der Markatrophie und ihrer Folgen hervorgehoben.

Diskussion der Ergebnisse. Aus unseren Beobachtungen an einem recht grogen Tiermaterial geht

hervor, dal~ auch Arzneistoffe, die weder zu den eigentlichen Knochen- marksgiften, noch zu den Cytostaticis und Antimetaboliten gehSren, bei chronischer t~berdosierung zu morphologischen Ver~nderungen des Knochenmarkes fiihren. ZweffeUos werden bei schwereren 1VIarksch~di- gungen auch Myelo- und Erythropoese in Mitleidenschaft gezogen (PA~L u. Ln~ARZI, MrLT,ER). So finder man gelegentlich ReffungsstSrungen der myeloischen Knochenmarkselemente, die sich durch ihr sporadisches und unsystematisches Auftreten yon den spezifischen Marksch~digungen unterscheiden, hie und da sind die eosinophilen Zellen stark vermindert oder die reffen Leukocyten zeigen Kernverflfissigung. Auch der totale

194 G. ZBINDEN und A. STUDER:

°~ +1

i

I

°1

°~

÷

°~

Unspeziflsch-toxische Wirkunge/x yon ArzneimR~eln. 195

Zeligehalt des Markes zeigt Schwankungen, bald im Sinne der Hyper-, bald der Hypoplasie ; selbst die Leukocytonzahlen des peripheren Btutes k6nnen durch unspezifischo Wirkungen yon Arzneimitteln fiber die Grenzen der physiologischen Schwankungsbreiten hinaus beeinflui~t werden. Diese Vergnderungen des blutbfldenden Gewebes treten aber erst bei sehr toxischen Dosen in wesentlieher H~ufigkeit auf, so dab aus ihnen keine weittragenden Sehlfisse gezogen werden dfirfen. Sie spielen bei der Prfifung gut vertr~glieher Substanzen nut selten eine Rolle.

Man kann zur Beurteflung der Vertr~glichkeit fortgesetzt in groBen Dosen verabreiehter Arzneimittel die am Stroma des Knochenmarkes histopathologisch nachweisbaren Verfi~derungen als Spiegelbfld des augenblicklichen AUgemeinzustandes des Versuchstieres auffassen (vgl. Beispiel S. 192). Die im Knoehenmarksbefund zum Ausdruckkommende EntwicklungsstSrung des Organismus infolge Sch~igung der Ferment- systeme, l~berbelastung der Ausscheidungsorgane usw. ist um so tief- greifender, je toxischer die chronisch verabreichte Substanz auf das Tier wirkt. Es handelt sich somit um einen unspezi/isohen Effekt, der sieh dutch folgende Merkmale yon der spezifischen Wirkung knoehenmarks- aktiver Substanzen unterseheidet:

1. Die unspezifische Wirkung auf das Knoehenmark ist bei genfigend hoher Dosierung im Prinzip mit alien Arzneimitteln - - gut vertr~gliche eingesehlossen - - zu erzielen, w~hrend die spezifiseh markseh~digenden Eigensehaften gewisser Substanzen an eine bestimmte chemisehe Struk- tur gebunden sind (D~ESHEX).

2. Spezifisch markschfi~tigende Stoffe wirken in geringen Dosen, die auBerhalb des Knochenmarkes noch keine wesentliehen Unvertr~glieh- keitserscheinungen zu bewirken brauchen; dagegen ist der Effekt un- spezifisch wirkender Stoffe immer yon einer siehtbaren allgemein- toxischen Wirkung begleitet.

3. S~mtliehe unspezifischen Knoehenmarksver~nderungen kSnnen aueh als Folge einer nieht medikamentSs bedingten Sch~digung, z.B. qualitative und quantitative Mangelern~hrung, auftreten.

4. Die spezifisehe Markseh~digung trifft in erster IAnie und mit grol~er Regelmi~i~igkeit die blutbfldenden ZeUen, die unspezifisehe das Stroma. Der Leukocytenabfall im peripheren Blut ist daher bei spezifisch wirkenden Stoffen die Regel, bei unspezifisch wirkenden die Ausnahme.

Aus der Erkenntnis der unspezifisehen Natur der besehriebenen Knochenmarksver~nderungen folgt, dal~ es nicht angeht, aus der Wirkung eines fortgesetzt in grol]en I)osen verabreiehten Arzneimittels auf das Knochenmark yon Versuchstieren auf eine mSgliche mark- oder blutsch~digende Wirkung der Substanz bei therapeutiseher Anwendung zu sehlie]3en. Insbesondere kann aus derartigen Experimenten fiber die Neigung eines Stoffes, bei gewissen Menschen dutch Sensibilisierung zu

196 G. Z~INDE~ u. A. StaPES: Unspezifiseh-toxlsche Wirkungen yon Arzneimitteln.

Agranulocytose zu fiihren, nichts ausgesagt werden. Die chronische Ver- abreichung eines Arzneimit tels fi ihrt bei Versuchstieren zu StSrungen des Allgemeinzustandes, deren Schweregrad bei Beriicksichtigung der Dosierung als Mal3 ffir die allgemeine Vertraglichkeit der gepriiften Sub- s tanz gelten kann . Durch die Beurtei lung der unspezifischen Knochen- marksveranderungen ergibt sich somit die MSglichkeit, andere Unter - suchungsmethoden zur Bewertung der chronischen Toxiciti~t in objek- t iver Weise zu erganzen.

Zusammenfassung .

Die fortgesetzte Verabreichung yon nicht spezifisch knochenmarks- ak t iven Arzneimi t te ln an R a t t e n fiihrt bei Verwendung grol~er Dosen zu histopathologisch fai3baren Veranderungen des Knochenmarkes . Diese bestehen in einer Atrophie und Umges ta l tung des Fettgewebes mi t re~ktiver GefaBerweiterung und 0dembi ldung . Schwere toxische Schaden auBern sich au~erdem in Knochenmarksb lu tungen und Kern- pyknose der Megakaryocyten. Diese Reakt ionen des Knochenmarks- s tromas werden - - genfigend hohe Dosierung vorausgesetzt - - mi t ver- schiedensten, gut vertraglichen Arzneimi t te ln beobachtet , sind somit unspezi/isch und lassen n icht auf eine knochenmarksschadigende Wirkung bei therapeut ischer Anwendung am Menschen schlie~en.

Dagegen sind die beschriebenen Markver~tnderungen Ausdruck fiir die , ,allgemeine Vertr~tg]ichkeit" yon Arzneimit te ln. Ausdehnung und Schweregrad der Markveranderungen verhal ten sich zur Uberlebenszeit der Versuchstiere reziprok, wie am Beispiel von Isonicot insaurehydrazid u n d einiger seiner Derivate gezeigt wird.

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Dr. G. ZBINDEN und Doz. Dr. A. STUDF~R, Medizin. Laboratorien der F. Hoffmann- La Roche & Co., AG, Basel/Schweiz.


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