Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und RechtsphilosophieFakultät Rechtswissenschaft
Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik
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Neue Rechtslage seit Dezember 2011: § 3a ESchG
Abs. 1: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr für die Durchführung einer PID
Abs. 2: PID nicht rechtswidrig, wenn- das hohe Risiko einer schwerwiegenden
Erbkrankheit oder - die hohe Wahrscheinlichkeit einer Tot-
oder Fehlgeburt bestehtAbs. 3: Voraussetzungen prüft vorab eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission
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Problem: Zweck und Grenzen der Vorschrift unklar
Ohne Klarheit über den Zweck des Verbots keine Klarheit über dessen
Grenzen
Die rechtliche Unklarheiten könnten zu Versuchen führen, die
politische und ethische Debatte um die PID im Ringen um die richtige
Anwendung des Rechts fortzusetzen.
Derartige Versuche stoßen indes auf die Eigenrationalität des Rechts.
Das heißt: Rechtspolitische und ethische Argumente wirken sich auf
die Auslegung nur aus, wenn- sie sich in Rechtsargumente übersetzen- und sich an bestehende rechtliche Strukturen anschließen
lassen.
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Regelungshintergrund
Entscheidend also: Wie rekonstruiert das Recht die PID und ihren
ethischen Probleme?
Der Regelungshintergrund wird deutlich in der Entscheidung des BGH
aus dem Jahr 2010, die Anlass für die Schaffung des § 3a ESchG
war.
Die Urteilsbegründung lässt zwei Eckpunkt jeder Regelung der PID
erkennen:– PID begründet die Gefahr, dass werdendes menschliches Leben
getötet wird.– Aber: Recht schützt (werdendes) Leben nicht absolut. Erlaubnis
des Schwangerschaftsabbruchs setzt sich nach Auffassung des
BGH in Widerspruch zu einem Verbot der PID.
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Widerspruch zwischen Verbot der PID und Gestattung des Schwangerschaftsabbruchs?
Gegner der PID versuchen, den Widerspruch aufzulösen:
1. PID wohne anders als der PND ein Selektionsautomatismus inne. Indes: Nicht jede
PID führt zu einer Verwerfung von Embryonen, während umgekehrt die Feststellung
einer Behinderung im Wege der PND in vielen Fällen in einem
Schwangerschaftsabbruch münden kann. Beide Diagnoseformen begründen also das
Risiko, das Embryonen verworfen werden; keiner von ihnen wohnt ein Automatismus
inne.
2. „Singuläre“ Situation der Schwangerschaft lasse sich nicht mit der PID vergleichen.
Aber: Unterschiede v.a. phänomenologischer Natur. Wertungsgesichtspunkt ist
hingegen derselbe: Wird nach einer PND die Schwangerschaft abgebrochen,
geschieht dies zur Abwendung einer psychischen Belastung, die aus der Aussicht auf
die Geburt eines behinderten Kindes resultiert. Der akute Konflikt entsteht also - wie
bei der PID - durch die Antizipation von Konflikten, die sich an eine Geburt
anschließen können.
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Auslegung des § 3a - Schritt 1: Normzweck
1. Angesichts des sonst eintretenden Widerspruchs zur Gestattung
des Schwangerschaftsabbruchs hat Gesetzgeber richtigerweise
PID nicht vollständig verboten.
2. Im Streit um die Grenzen des Verbots ist im
Gesetzgebungsverfahren aber im Unklaren geblieben, weshalb
die PID überhaupt verboten werden soll. Diese Frage ist aber
vorrangig zu beantworten:
a) Gesetzgeber schuldet Bürgern eine Erklärung, wenn er Verbot
erlässt, insbesondere wenn im Übertretungsfall gestraft werden
soll.
b) Grenzen des Verbots können nur bestimmt werden, wenn
Klarheit über den Zweck des Verbots besteht.
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Mögliche Zwecke des Verbots der PID:
1. § 3a als Antidiskriminierungstatbestand? Durchführung einer PID
enthält keine Aussage über Rechte lebender behinderter Menschen,
weil Recht und Gesellschaft zwischen werdendem und geborene,
Leben differenzieren.
2. § 3a als Gefühlsschutztatbestand? Risikopaare, die PID wünschen,
haben aber keine Solidaritätspflicht zur Stabilisierung der
Gefühlslage von Paaren mit behinderten Kindern.
3. Embryo als Träger eines subjektiven Lebensrechts? Moralischer
Status des Embryo lässt sich nicht streitfrei bestimmen.
Verfassungsrecht klärt diesen Streit nicht: GG enthält keine explizite
Aussage und Rechtsprechung des BVerfG ist in der Begründung
widersprüchlich; im Ergebnis gestattet BVerfG aber Tötung
werdenden Lebens. Dies spricht dagegen, dass Embryo Träger eines
subjektiven Lebensrechts ist.
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Zweck des § 3a ESchG
Schutz des Lebens nicht als subjektives Recht, sondern als
objektiver Wert, genauer: Schutz eines gesellschaftlich
akzeptablen Umgangsstandards mit (werdendem)
menschlichem Leben
Schutzumfang wird von gesellschaftlichen Interessen
definiert. Dies wirkt sich auf Bestimmung der Grenzen des Verbots aus.
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Auslegung des § 3a - Schritt 2: Umfang und Grenzen
1. Indikatoren einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Tod- oder
Fehlgeburt? Vorherige Tod- oder Fehlgeburt nicht notwendig; es
reichen objektive Indizien.
2. Was ist eine „schwerwiegende Erbkrankheit“? PID muss zur
Vermeidung von Widersprüchen in all denjenigen Fällen gestattet
sein, in denen Ärzte zur Vornahme einer PND raten müssen.
3. Verhältnis der PID zur Dreier-Regel? Letztere lässt sich mit
Gestattung der PID nicht widerspruchsfrei vereinbaren, sie ist
derogiert worden.
4. Weitergabe von Überschussinformationen? Vorenthaltung nicht mit
strafrechtlich abgesicherter Aufklärungspflicht des Arztes vor
medizinischen Eingriffen wie Implantation des Embryo vereinbar.
Falls keine gesetzlichen Informationsverbote bestehen, gilt
Informationsgebot.
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Fazit
Ausweitung der PID als Ausdruck eines Trends:Rückzug des Rechts und der Sozialethik von den Lebensrändern
Privatisierung der Entscheidungen als Preis der Freiheit
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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
(Anm.: Publikation der Vortragsfassung in Vorbereitung; nähere Informationen auf der
Homepage des Lehrstuhls)