Vorlesung „Der Begriff der Person“
WS 2008/09PD Dr. Dirk Solies
Arbeitsbereich Praktische PhilosophieJohannes Gutenberg-Universität Mainz
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Programm der heutigen Sitzung
(1) Noch einmal: Warum Person?! – Einige Momente des Personenbegriffs in der Philosophiegeschichte (Rückblick)
(2) Der Personstatus– Grenzfälle und ethische Relevanz
(3) Die Verabschiedung des Personenbegriffs –eine Alternative?!
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Rückblick: Momente des Personenbegriffs in der Philosophiegeschichte
Kritik an „substanzialistischem“ Personenbegriff
Zweifel / Kritik an personaler Persistenz
Selbstsorge / Selbstinteresse
Problem der Anerkennung durch den Anderen (interpersonale Ebene)
Transparenz?! Selbstverborgenheit der Person (intrapersonale Ebene)
Entwurfcharakter der Person
→ Neue Bedeutungsimplikationen des Personenbegriffs durch bioethische Problemstellungen
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• Was macht eine Person aus?
• Wann beginnt ein Mensch, eine Person zu sein?
• Wann endet das Personsein?
• Bin ich wirklich noch dieselbe Person wie vor zehn (zwanzig, dreißig...) Jahren?
• Wer gehört alles zum Kreis der Personen?
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Grundfragen des Personseins
Zuschreibung von Lebensrechten– kann nicht auf der Basis der Zu- oder
Aberkennung des Personbegriffs stattfinden
– muss Kriterien der Gradualität zu Grunde legen
– Bewusstseinsfähigkeit nur ein Kriterium unter anderen
– Berücksichtigung der Mitgeschöpflichkeit von Mensch und Tier
– : Desiderat zukünftiger Forschungen auch im interkulturellen Bereich
Selbstverständnis von „Person“ als einer persistierenden Einheit mit Selbstinteresse bleibt davon unberührt!
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Die konzeptionelle Herausforderung:Peter Singers Präferenzutilitarismus
Singer, Peter: Practical Ethics, Cambridge University Press, Cambridge, 1979, dt. Erstaufl. 1984
• Prinzip der Gleichheit
• Historische Formen der Ungleichheit:– Sexismus
– Rassismus
– genetische Unterschiede zwischen Menschen
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Singers Präferenzutilitarismus– Spaemanns Reaktion
Spaemann, Robert: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ‚etwas‘ und ‚jemand‘. Klett-Cotta, Stuttgart 1996
Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns, Stuttgart 2001
zus. m. Thomas Fuchs: Töten oder sterben lassen? Worum es in der Euthanasiedebatte geht. Freiburg, 1997
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Singers PräferenzutilitarismusEinige Tiere (Menschenaffen)
• sind sprachfähig
• erkennen Willensäußerungen als ihre eigenen, d.h. haben Interessen
• verfügen über Selbstbewusstsein
→ sind als Personen zu betrachten und zu behandeln
→ sind ebenso schutzwürdig wie ein Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte
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Singers PräferenzutilitarismusShould the Baby Live? The Problem of Handicapped Infants(co-author with Helga Kuhse), Oxford, 1985, dt.: Muß dieses Kind am Leben bleiben? Das Problem schwerstgeschädigter Neugeborener, Erlangen 1993Rethinking Life and Death: The Collapse of Our Traditional Ethics, Melbourne, 1994
Tierrechte vs. Rechte• von Behinderten• von Kindern:
– Infants lack essential characteristics of personhood –„rationality, autonomy, and self-consciousness “
– „Simply killing an infant is never equivalent to killing a person.“
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Der Personstatus– Grenzfälle und ethische Relevanz• Menschliche Zygoten
• Neugeborene Kinder
• Höher entwickelte Tiere
• Demenzkranke, Menschen im persistent vegetative state (PVS)
• Umgang mit Toten
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„person-making characteristics“nach Birnbacher
1. Kognitive Fähigkeiten:
– Intentionalität, Fähigkeit zu urteilen, Denkfähigkeit
– zeitliche Transzendenz der Gegenwart
– Selbstbewusstsein / Ichbewusstsein
– Selbstdistanz
– Präferenzen zweiter Stufe
– Rationalität, Vernünftigkeit
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„person-making characteristics“
2. Moralische Fähigkeiten:
– Autonomie, Selbstbestimmung
– Moralfähigkeit, Moralität
– Fähigkeit zur Übernahme von Verpflichtungen
– Fähigkeit zur kritischen Selbstbewertung
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Eine Replik:Spaemanns Personkonzept
• These: Alle Menschen seien Personen:
„Es kann und darf nur ein einziges Kriterium für Personalität geben: die biologische Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht“ (264)
(Aber: Personen müssen nicht ausschließlich Menschen sein!)
• Sinnanalyse des Personbegriffs
• Personenbegriff nicht über Eigenschaften definierbar
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Spaemanns Personkonzept
• Nicht biologische Befunde entscheiden über Personalität
• Unterschied: „jemand“ und „etwas“
• Personale Existenzweise gekennzeichnet durch:– Selbstdifferenz
– Interpersonalität
• Nach Spaemann personale Fähigkeit, weil deren Fehlen als Mangel verstanden werde
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Spaemanns Personkonzept
• Nach Spaemann personale Fähigkeit, weil deren Fehlen als Mangel verstanden werde:
„Die Personalität des Menschen ist nicht etwas jenseits seiner Animalität. Die menschliche Animalität ist vielmehr von vornherein nicht bloße Animalität, sondern das Medium der Verwirklichung der Person. Und die Verhältnisse von Nähe und Ferne, in denen der Mensch steht, sind deshalb von personaler, und das heißt, ethischer Relevanz.“ (256)
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Spaemanns Personkonzept
„Die Angehörigen der Spezies homo sapiens sind nicht nur Exemplare einer Art, sie sind Verwandte und stehen deshalb von vornherein in einem personalen Verhältnis zueinander. ‚Menschheit‘ ist nicht, wie ‚Tierheit‘, nur ein abstrakter Begriff zur Bezeichnung einer Gattung, sondern ist zugleich der Name einer konkreten Personengemeinschaft.“ (256)
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Spaemanns Personkonzept
• Spaemanns Kritik an „Eigenschaftsethiken“ (Sturma 2001: 364)
• „Person“ nicht von biologischen Befunden abhängig
• Gegen eine „Naturalisierung“ des Personenbegriffs
• Personalität durch Zugehörigkeit zur menschlichen Gemeinschaft konstituiert
• Anwendbarkeit auf Embryonen
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Der Personstatus– Grenzfälle und ethische Relevanz
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homo sapiens
Äquivalenzdoktrin
Personen
Der Personstatus– Grenzfälle und ethische Relevanz
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homo sapiens
Nichtäquivalenzdoktrin
Personen
z.B. Debile, Komatöse, Menschen im pvs etc.
z.B. Schimpansen, Delfine, Wale...
Das Problem der Übertragbarkeit von Rechten auf Embryonen oder:
Warum dürfen wir Embryonen nicht wie Dinge behandeln?
(1) Speziesargument
(2) Kontinuitätsargument
(3) Identitätsargument
(4) Potentialitätsargument
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Person und „moralische Gemeinschaft“:Ernst Tugendhat
(ders., Wer sind alle?, in: Krebs, Angelika: Naturethik)
• Unverlässlichkeit von Intuitionen (vs. Rawls)
• Grundkonzept von Moralität: Reziprok-Moralisches
– Kontraktualistisch-moralische Situation
– „Sich-Halten an die moralischen Inhalte“(Tadel, Empörung, Schuldgefühle…)
• Moralische Gefühle geben dem Sollen einen Sinn!
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Person und „moralische Gemeinschaft“:Ernst Tugendhat
(ders., Wer sind alle?, in: Krebs, Angelika: Naturethik)
„Das soll nicht sein, dass die Katze ans Fensterkreuz genagelt wird!“
Analyse:
Mitgefühl, aber nicht unmoralisch, denn:
Menschen konstituieren die moralische Gemeinschaft (als Mitglieder, nicht als Annex)
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Person und „moralische Gemeinschaft“:Ernst Tugendhat
(ders., Wer sind alle?, in: Krebs, Angelika: Naturethik)
„biologische Ferne“:
„Der wesentliche Unterschied ist, dass das kleine Kind eines von uns ist. *…+ In gewisser Weise gehört es also von Anfang an in die moralische Gemeinschaft.“ (a.a.O. 110)
Kritik an moralischer Unsensibilität von Tierrechtlern und Tiergegnern
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