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Diabetologe 2013 · 9:515–516DOI 10.1007/s11428-013-1063-xOnline publiziert: 26. November 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

J. KellerMedizinische Klinik, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg

Diabetes und Gastrointestinaltrakt

Nahezu jeder Diabetologe behandelt Pa-tienten mit gastroenterologischen Be-schwerden, und nahezu jeder Gastro-enterologe behandelt Diabetespatien-ten. Dies ist allein aufgrund der Häufig-keit dieser Erkrankungen bzw. Beschwer-den praktisch unumgänglich. Allerdings stehen hierbei nur selten die Interaktio-nen zwischen dem Diabetes mellitus und den gastroenterologischen Erkrankungen bzw. Beschwerden im Vordergrund. Dies gilt teils, weil diese in der jeweiligen kli-nischen Situation weniger relevant sind, vielfach aber auch, weil die diversen As-soziationen zwischen gastrointestinalen Störungen und Diabetes mellitus unzu-reichend bekannt sind und deshalb nicht ausreichend berücksichtigt werden. Zu-dem sind die Zusammenhänge zwischen Diabetes mellitus und Gastrointestinal-trakt komplex.

»  Assoziationen zwischen gastrointestinalen Störungen und Diabetes sind unzureichend bekannt

Zum einen können bei Diabetespatienten praktisch alle relevanten regulatorischen Systeme und Effektororgane, die für den physiologischen Ablauf der gastrointesti-nalen Funktionen von Bedeutung sind, al-teriert sein. Die autonome Neuropathie ist der bekannteste, aber keineswegs der ein-zige relevante Pathomechanismus. Hier-durch verursachte gastrointestinale Funk-tionsstörungen können sich mit unter-schiedlichsten Symptomen an sämtlichen Abschnitten des Magen-Darm-Trakts ma-nifestieren und führen zu einer signifi-kanten Beeinträchtigung der Lebensqua-

lität betroffener Diabetespatienten. Gast-rointestinale Funktionsstörungen können wegen ihrer Auswirkungen auf die Nähr-stoffresorption und die Blutglukoseregu-lation bei Patienten mit Diabetes zudem sogar dann bedrohlich und behandlungs-bedürftig sein, wenn sie ansonsten subkli-nisch verlaufen, also nicht mit relevanten Magen-Darm-Beschwerden einhergehen.

Andererseits ist unbedingt zu beden-ken, dass gastrointestinale Beschwer-den auch und gerade bei Diabetespatien-ten nicht nur durch Funktionsstörungen, sondern durch unerwünschte Wirkun-gen der Antidiabetika oder organische Erkrankungen hervorgerufen oder ver-stärkt werden können. Hierbei spielt das gemeinsame Vorkommen unterschiedli-cher Risikofaktoren bei Patienten mit Dia-betes mellitus eine Rolle. So kann eine Re-fluxerkrankung bei einem Typ-2-Diabe-tes-Patienten sowohl durch Ösophagus-motilitätsstörungen im Rahmen der auto-nomen Neuropathie als auch durch Adi-positas begünstigt werden. Zudem tra-gen Patienten mit Diabetes ein gestei-gertes Risiko für das Auftreten bestimm-ter gastrointestinaler Erkrankungen. Dies gilt für Typ-1-Diabetes-Patienten z. B. für Erkrankungen mit autoimmuner Kompo-nente wie die Sprue. Für alle Diabetespa-tienten bedeutsam ist das gehäufte Auftre-ten gastrointestinaler Tumoren, insbeson-dere von Pankreaskarzinomen.

Als dritter Komplex kommt hinzu, dass bestimmte gastrointestinale Erkran-kungen einen Diabetes mellitus verursa-chen können. Am wichtigsten und be-kanntesten ist hier der pankreatoprive Diabetes mellitus, beispielsweise im Rah-men einer chronischen Pankreatitis. Es gibt außerdem enge und vielfach unter-

schätzte Zusammenhänge zwischen einer Leberzirrhose und Störungen der Blutglu-koseregulation.

Das vorliegende Heft der Zeitschrift Der Diabetologe widmet sich den Zusam-menhängen zwischen Diabetes mellitus und Gastrointestinaltrakt. Es stellt zum einen die komplexen Pathomechanismen dar, die bei Diabetespatienten zu gastro-intestinalen Funktionsstörungen führen können und deren Kenntnis einen An-satzpunkt für neue Therapieformen lie-fern kann.

Des Weiteren werden die Folgen dieser Funktionsstörungen diskutiert, nämlich unterschiedlichste Beschwerden im Be-reich des gesamten Gastrointestinaltrakts. Hierbei wird auf sinnvolle diagnostische Strategien eingegangen, die die mangeln-de Eindeutigkeit der jeweiligen Symptome berücksichtigen. Außerdem werden – ge-stützt auf die aktuelle „Nationale Versor-gungsLeitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter“ – adäquate thera-peutische Optionen dargestellt.

Ein weiterer Beitrag des Schwerpunkt-hefts beschäftigt sich ausführlich mit den häufig unzureichend beachteten Zusam-menhängen zwischen Leberzirrhose und Diabetes. Hierbei wird v. a. auf die Beson-derheiten der Diabetesmanifestation und -therapie bei Patienten mit Leberzirrhose eingegangen.

Abschließend werden die Assoziatio-nen zwischen Diabetes mellitus und gast-rointestinalen Tumoren behandelt, insbe-sondere in Bezug auf das Pankreaskarzi-nom und unter Berücksichtigung der ak-tuellen pathophysiologischen Erkennt-nisse.

Das vorliegende Schwerpunktheft von Der Diabetologe ist vorwiegend aus gastro-

515Der Diabetologe 7 · 2013  | 

Einführung zum Thema

enterologischer Perspektive geschrieben, d. h. von gastroenterologisch tätigen Kol-legen, die sich klinisch und wissenschaft-lich in besonderer Weise mit der Assozia-tion zwischen gastrointestinalen Erkran-kungen und Diabetes mellitus beschäf-tigen. Ich hoffe, dass diese für die meis-ten Leser dieser Zeitschrift ungewöhnli-che Perspektive bereichernd ist und neue Erkenntnisse liefert. Für die optimale Be-treuung von Patienten mit Diabetes mel-litus und gastrointestinalen Erkrankun-gen besonders wünschenswert und be-deutsam wäre jedoch der vermehrte Aus-tausch zwischen gastroenterologisch und diabetologisch spezialisierten Ärzten.

PD Dr. J. Keller

Korrespondenzadresse

PD Dr. J. KellerMedizinische KlinikIsraelitisches KrankenhausOrchideenstieg 14, 22297 [email protected]

Interessenkonflikt.  J. Keller gibt an, dass kein Inter-essenkonflikt besteht.

Der Begriff der Atherosklerose fasst arteriel-le Gefäßerkrankungen zusammen, die durch fib röse Umbauprozesse in der Gefäßwand ge-kennzeichnet sind und als chronische entzünd-liche Reaktion der Gefäßwand auf Dyslipid-ämie und Endothelstress gedeutet wird. Der chronische Prozess induziert eine multifokale Plaquebildung. Die Mehrzahl dieser Plaques bleibt klinisch stumm, einige verursachen Obs-truktion, Thrombose und Embolie und damit atherothrombotische Ereignisse wie Herzin-farkt, Schlaganfall oder die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK).  Die Prävalenz der pAVK ist in den letzten 10 Jahren  dramatisch  angestiegen,  in  Ländern mit hohem Einkommen wie Deutschland um 13,1%. Es wird geschätzt, dass bei uns ca. 3 Millionen Menschen von dieser Erkrankung betroffen sind. Dies hat erhebliche Auswirkun-gen auf unser Gesundheitssystem: die Rück-vergütungskosten für stationäre Behandlung der pAVK stiegen von 2,14 Milliarden Euro im Jahr 2007 auf 2,56 Milliarden Euro im Jahr 2009 an und machten damit 4,84% aller Kranken-hauskosten aus.

Über 50% der Patienten mit pAVK sterben am Herzinfarkt, ca. 15% am Schlaganfall. 

Die AWMF-Leitlinien betonen:F  Die Bedeutung der pAVK wird von Ärzten 

und Patienten unterschätzt.F  Patienten mit pAVK sind 

 hinsicht lich ihrer Risikofaktoren und  Begleiterkrankungen unterbehandelt.

Begründet wird diese Feststellung mit Studien, die belegen konnten, dass zwar 2 von 3 Patien-ten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) einen Thrombozytenfunktionshemmer  erhielten, aber nur etwa jeder zweite Patient mit pAVK. Bei  der  Lipidsenkung  mit  Statinen  sieht  es ähnlich aus: 46% der Patienten mit KHK, aber nur 23% der Patienten mit symptomatischer pAVK werden mit einem Statin versorgt. Hin-zu kommt: Nur wenige Patienten wissen, was eine pAVK ist. Von denen, die den Begriff ken-nen, ist etwa der Hälfte nicht bewusst, dass ein Diabetes mellitus und Rauchen das Risiko für eine pAVK erhöhen. 

Fachnachrichten

Die Deutsche Gesellschaft für Gefäß chir urgie und Gefäßmedizin (DGG) empfiehlt in Anlehnung an die aktuellen WHO-Empfehlungen und europäischen Leitlinien,F  das Rauchen aufzugeben oder nicht damit 

zu beginnen,F  sich gesund zu ernähren,F  körperlich aktiv zu sein (wenigstens 30 

 Minuten an den meisten Tagen der Woche bzw. wenigstens 1 Stunde an den meisten Tagen der Woche),

F  Übergewicht und Adipositas zu vermeiden,F  den Blutdruck zu reduzieren 

 (<  140/90  mmHg),F  Gesamtcholesterin und LDL-Cholesterin 

zu senken. Dabei wird empfohlen, bei Er-wachsenen über 40 Jahre mit persistierend hohem Gesamtcholesterin (> 5 mmol/L) und/oder LDL-Cholesterin > 3,0 mmol/L (trotz  Lipid-senkender Diät) ein Statin zu verordnen.

F  den Blutzucker regelmäßig überprüfen zu lassen und wenn erforderlich  einzustellen, 

F  Thrombozytenaggregationshemmer falls  erforderlich einzunehmen sowie

F  bei der Ernährung gesättigte Fettsäuren durch vielfach ungesättigte Fettsäuren zu ersetzen,

F  Trans-ungesättigte Fettsäuren so  wenig als möglich aufzunehmen (möglichst kein Konsum von industriell  hergestellten Produkten) und < 1% der Gesamt-energieaufnahme aus natürlichen Quellen zu beziehen sowie die Zufuhr von

F  < 5 g Salz/Tag,F  30-45 g Fasern (Ballaststoffe)/Tag, von Voll-

kornprodukten, Früchten und Gemüse,F  200 g Früchte am Tag (2-3 Portionen),F  200 g Gemüse am Tag (2-3 Portionen) undF  Fisch wenigstens 2-mal die Woche, 1-mal 

 davon öliger Fisch.F  Der Konsum alkoholhaltiger  Getränke 

 sollte möglichst maximal auf 2 Gläser pro Tag (20 g Alkohol/Tag) bei Männern und 1  Glas (10 g Alkohol/Tag) bei Frauen  limitiert  werden. 

Mit  der  ACTION  (Arteriosklerose  –  Circula-tion  und Training  InformatiOns  Netzwerk)-Kampag ne trägt die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin zur Aufklä-rung, Information und Prävention über Arte-riosklerose bei.

Arteriosklerose und periphere arterielle Verschlusskrankheit

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