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Auch ein berühmter Abenteurer hatsnicht immer leicht: In zwei Restau-rants fragen wir vergebens nach kof-feinfreiem Kaffee, leicht entnervt be-stellt Bertrand Piccard schliesslichein Mineralwasser. Sobald er jedochvon seiner Mission erzählt – im Solar-flugzeug um die Welt –, leuchten sei-ne Augen wie die eines kleinen Kin-des, und der Ärger ist weggeblasen.

Herr Piccard, Sie haben Medizinstudiert, Sie sind Psychiater. War-um führen Sie nicht einfach IhrePraxis und starten stattdessen im-mer wieder neue Abenteuer?Bertrand Piccard: Einzelne Patien-ten betreue ich noch, jedoch wenige.Wenn ich mich für erneuerbare undsaubere Energien einsetze, verhelfeich viel mehr Menschen zu einer bes-seren Lebensqualität.

Was sagt eigentlich Ihre Frau zuden Risiken Ihrer Projekte?

Meine Frau unterstützt meine Projek-te zu 100 Prozent. Sie wusste auch,auf was sie sich einlässt, als sie michheiratete (lacht).

Was müsste man noch erfinden?Den gesunden Menschenverstand.Viele Menschen denken zu wenig andie Zukunft, sie orientieren sich an ei-nem Horizont von ein bis zwei Jahren.

Und im technischen Bereich?Der Mensch kann immer neue Tech-nologien entwickeln: Die Möglichkei-ten sind unbegrenzt. Aber wir dürfennicht auf zukünftige Entwicklungenwarten, wir müssen handeln, undzwar heute! 1985 gab es leistungs-schwache Computer, die sehr teuerwaren, aber Kunden haben sie schondamals gekauft und benutzt. Deshalbsind heute Computer günstig und ha-ben viel mehr Leistung. Genau das-selbe muss im Bereich der erneuerba-ren Energie passieren.

Solar Impulse heisst Ihr Projekt,Sie planen die Weltumrundung imSolarflugzeug. Was wollen Sie da-mit beweisen?Dass erneuerbaren Energien keineGrenzen gesetzt sind. Man hört oft,sie seien teuer, sie würden Wirtschaftund Wachstum behindern. Richtig istdas Gegenteil: Wir müssen auf erneu-erbare Energien setzen, wenn wir inZukunft wirtschaftlich Erfolg haben,neue Märkte erschliessen und Arbeits-plätze schaffen wollen.

Glauben Sie wirklich, dass Solar-energie zum Energielieferantender Zukunft wird?Es wird ein Mix sein aus Solar, Wind,Biogas, Geothermik, Wasserkraft undso weiter. Im Moment ist der Anteilnoch verschwindend klein, weil dieLeute noch nicht verstanden haben,dass die neuen Energien zusammenmit Energiesparmassnahmen schonprofitabel sind. Die Wirtschaft argu-mentiert, dass herkömmliche, nichterneuerbare Energie wesentlichgünstiger ist.

Das stimmt ja auch.Nein, es ist ein Trugschluss: Für denKunden hat Solarenergie einen höhe-ren Preis als Erdöl, für die Gesell-schaft dagegen einen tieferen. BeimErdöl zahlt man nichts für die Pro-duktion, weil es von der Natur gelie-

fert wird. Und man zahlt auch nichtfür die Kriege, die wegen des Öls,zum Beispiel im Irak, geführt wer-den, und für die Schäden, die derCO2-Ausstoss verursacht.

Kurzfristig ist Erdöl günstiger. Auf-strebende Länder wie China undIndien denken zuerst an Wohl-stand.China investiert mehr in erneuerbareEnergien als Europa! Aber sprechenwir von der Schweiz: Wenn die Häu-ser besser isoliert, Sparanstrengun-gen unternommen, Solar- und Wind-energie voll ausgeschöpft werden,dann muss die Schweiz weniger Erd-öl im Ausland kaufen und kann dasGeld stattdessen in die Entwicklungim eigenen Land investieren. Daswäre viel besser für unsere Handels-bilanz.

Wieso haben sich die erneuerbarenEnergien bisher nicht durchge-setzt?Die Schweiz ist ein sehr reiches Land,uns geht es gut. Die Leute fragensich: Warum sollen wir etwas än-dern? Reichtum und Wohlstand ma-chen bequem und hemmen den Pio-niergeist. Wenn wir auch in Zukunft

eine Rolle auf der internationalenBühne spielen wollen, müssen wirdiese Technologien fördern. Wirmüssen Pionierarbeit leisten wiebeim Tunnelbau vor 130 Jahren.Sonst werden wir abgehängt.

Ist das typisch schweizerisch: Mög-lichst den Status quo bewahrenund keine Risiken eingehen?Ich habe die Schweiz sehr gern. Des-halb würde es mich freuen, wennsich unser Land mehr engagierenwürde. Sobald der Erdölpreis steigt,wird das der Wirtschaft schaden. Wirdürfen keine Zeit verlieren!

Wird die Entwicklung nicht dannplötzlich sehr schnell Fortschrittemachen, wenn das Öl tatsächlichspürbar knapp wird?Es ist zu gefährlich zu warten, weildie Entwicklung von Solarparks undWindrädern Jahre braucht.

Muss der Staat diese Technologienfinanziell unterstützen?Nicht mit direkten Subventionen,sondern indirekt wie zum Beispielmit einem Einspeisegesetz. Der Staatmüsste auch strenge Verbrauchslimi-ten festsetzen, um die Industrie zuzwingen, neue Technologien zu nut-zen, ohne die Kunden einzuschrän-ken. Wer gern einen Porsche Ca-yenne fahren will, soll das tun – abermit einem sparsamen Motor. Was pa-radox ist: General Motors wäre nichtKonkurs gegangen, wenn der Staatdieses Unternehmen gezwungen hät-te, sparsamere Autos zu produzieren.

Sind Sie gegen den Bau von neuenAtomkraftwerken in der Schweiz?Ich bin nicht für oder gegen Atom-kraft, sondern gegen das Argumentfür ein neues AKW, wonach derStromverbrauch steigen wird. Ich sa-ge: Wenn wir konsequent sparen –

Isolierung von Häusern, neue Hei-zungssysteme, Hybridmotoren,Stromsparlampen und so weiter –dann können wir den Verbrauch umdie Hälfte senken. Und wiederum dieHälfte des verbleibenden Verbrauchsmit erneuerbaren Energien decken.Da profitieren auch wirtschaftlichmehr Leute davon als mit dem Bauvon einem neuen AKW.

Sie sind ein Grüner, Herr Piccard!Nein! Auf Englisch ist meine Antwortbesser: «I’m not green, but I’m clean»– etwa: «Ich bin nicht grün, ich binsauber.» Die Grünen sind oft gegenEntwicklung, Mobilität und Wachs-tum. Ich dagegen bin für Wachstumund Wohlstand, aber mit möglichstgeringer Verwendung von Rohstoffenund einem kleineren Impakt auf dieUmwelt.

Also ein Grünliberaler?Ich bin in keiner Partei. Jede Parteihat gute und schlechte Ansätze. BeiNationalratswahlen wähle ich Politi-ker aus sechs verschiedenen Partei-

en. Ich könnte nie einer Partei beitre-ten. Ich betreibe ja auch Politik,wenn ich Referate halte oder Inter-views gebe, dafür brauche ich aberkeiner Partei beizutreten. Ich bingleichzeitig links und rechts!

Wie sieht eigentlich Ihr Alltag alsAbenteurer aus?Kein Tag gleicht dem anderen. Ichtreffe Partner für meine Projekte, leseund beantworte Briefe, brüte überProblemen. Ich bin mehr ein Erfor-scher als ein Abenteurer. Man mussviele banale Dinge erledigen, um gros-se Projekte realisieren zu können.

Haben Sie ein lockeres Leben?Nein! Ich war mit dem Ballon 20 Ta-ge in der Luft, benötigte dafür abersechs Jahre Vorbereitungszeit. AmProjekt Solar Impulse arbeiten wirnun seit acht Jahren.

Ihr Grossvater und Ihr Vater warenbereits Erforscher. Sie haben dreiTöchter. Wird eine diese Traditionweiterführen?Wenn eine meiner Töchter die Weltmit einem Ballon umrunden, mit ei-nem U-Boot in die Tiefe tauchen odermit einem Solar-Flugzeug um die Weltfliegen möchte, dann würde das Rou-tine. Doch sie müssen ihre eigenenIdeen und Visionen verwirklichen.Künftige Generationen haben andereZiele: nicht die Welt erobern – da wur-de schon alles erobert, inklusive desMonds. Sondern die Armut bekämp-fen, erneuerbare Energietechnologienerforschen, neue Medikamente entwi-ckeln. Das sind die wichtigen Dingefür die Zukunft.

Als Ballonfahrer erlangten Sie welt-weit Ruhm. Als was wollen Sie indie Geschichtsbücher eingehen?Als Pionier der Nachhaltigkeit. DieBallonfahrt ermöglichte mir erst, mei-ne Visionen der Nachhaltigkeit umzu-setzen. Die Ideen dazu hatte ich schonimmer. Aber ich wusste: Damit je-mand auf mich hört, muss ich entwe-der reich sein oder berühmt. Reichbin ich nicht, deshalb die Weltumrun-dung im Ballon: Sie hat mir ermög-licht, berühmt zu werden, um meineVisionen umzusetzen.

Bertrand Piccard Der Ballon-Weltumflieger über seine neuen Abenteuer

«Die Möglichkeiten sind unbegrenzt»VON CHRISTIAN DORER

«Reichtum undWohlstand machenbequem und hemmenden Pioniergeist.»

«Künftige Generatio-nen haben andereZiele. Auf der Weltwurde schon alleserobert, inklusive desMonds.»

Bertrand Piccard letzte Woche am Rand des Management Roundtable der Aargauischen Kantonalbank. ISELI

Montag, 25. Oktober 2010 | az 3Montagsinterview

Betrand Piccard

1999 wurde er weltberühmt, weil erals erster Mensch in einem Ballon dieErde umkreiste. Betrand Piccard

stammt aus einer Abenteurer-Familie:Sein Grossvater flog 1932 in einemBallon auf 16 940 Meter Höhe, seinVater tauchte 10 916 Meter in die Tie-fe. Betrand Piccards neustes Projekt:im Solarflugzeug um die Welt. Er ist52, Psychiater, wohnt in Lausanne, istverheiratet und hat drei Töchter.

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