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Page 1: FischerLichte_Die Zeichensprache des Theaters

Erika&Fischer,Lichte&Die&Zeichensprache&des&Theaters&Zum&Problem&theatralischer&Bedeutungsgenerierung&!!Was!ist!Theatersemiotik?!Ihre!Anfänge!reichen!mindestens!in!das!18.!Jahrhundert!zurück,!als!ein!privilegierter!Gegenstand!semiotischer!Reflexion.!Man!beschäftigte!sich!vor!allem!mit!dem!Problem,!wie!sich!im!Theater!sprachliche!und!gestische!Zeichen!zueinander!verhalten.!Sie!versuchten!zu!bestimmen,!welche!Art!von!Gegenständen!durch!welche!Art!von!Zeichen!ausgedrückt!werden!können!und!kamen!zum!Entschluss,!dass!die!Geste!in!besonderer!Weise!zum!Ausdruck!von!Gemütszuständen,!Empfindungen!und!Leidenschaften!geeignet!ist.!!!Unterscheiden!von!drei!Klassen!von!mimischPgestischen!Zeichen!als!theatralische!Zeichen.!

1)! Zeichen,!die!als!Ausdruck!für!Empfindungen!und!Leidenschaften!dienen!und!auf!den!Menschen!als!Gattungswesen!bezogen!sind.!

2)! Zeichen,!die!auf!den!gesellschaftlichen!Stand!der!Person!hinweisen!und!auf!den!Menschen!als!Mitglied!einer!bestimmten!Gesellschaft,!sowie!auf!seine!Position!in!dieser!Gesellschaft!bezogen!sind!

3)! Zeichen,!die!den!spezifischen!Charakter!der!Person!zur!Darstellung!bringen!und!auf!den!Menschen!als!ein!individuelles!Subjekt!bezogen!sind.!!

!Das!Theater!erschien!den!Philosophen!als!ein!Ort,!an!dem!exemplarisch!erforscht!werden!kann,!wie!Bedeutung!hervorgebracht!und!übermittelt!wird.!!!!Theatersemiotik!begreift!und!untersucht!das!Theater!als!ein!System!der!Bedeutungsproduktion.!!!Bis!in!den!70er!Jahren!hat!man!im!Fach!der!Theaterwissenschaft!mit!der!Erforschung!der!theatralischen!Gattungen!des!Dramas,!der!Inszenierung,!der!Schauspielkunst,!des!Bühnenbildes!etc.!konzentriert!!!jedoch!kaum!erkenntnisleitendes!Interesse!auszumachen!ist,!sondern!lediglich!das!gesammelte!Material!präsentiert!und!ausgebreitet!wird.!Theaterwissenschaft!hat!sich!aber!auch!als!Kunstwissenschaft!verstanden!und!die!Aufgabe!der!Analyse!und!Interpretation!von!Aufführungen!als!Verpflichtung!angesehen.!Jedoch!hat!das!Kunstwerk!–!die!Aufführung!–!nur!im!Augenblick!seines!Aufgeführtwerdens!Existenz.!Problem:!Artefakt!ist!nicht!disponibel.!!Ab!den!70er!Jahren!sieht!sich!die!Theaterwissenschaft!als!Kommunikationswissenschaft.!Sie!begann,!den!theatralischen!Prozess!als!einen!Kommunikationsprozess!zu!untersuchen.!–!Rezeptionsforschung.!Die!Frage,!der!die!Theatersemiotik!nachgeht,!auf!welche!Weise!und!unter!welchen!Bedingungen!im!Theater!welche!Bedeutungen!erzeugt!werden,!lässt!sich!in!unterschiedlichen!Rahmen!behandeln.!!!Die!Theatersemiotik!sieht!sich!als!Antwort!bei!der!Frage!der!Bedeutungsproduktion.!Die!Theatersemiotik!begreift!sich!als!theaterwissenschaftliche!Grundlagenforschung.!!!!!!!!

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Semiotische&Grundbegriffe&&!Das!theatralische!Zeichen!Das!Zeichen!definieren!wir!als!triadische!Relation:!ein!Zeichenträger!(S)!wird!von!einem!Zeichenbenutzer!(I)!auf!einen!Gegenstand!(O)!bezogen!und!damit!als!Zeichen!für!diesen!Gegenstand!verwendet.!S!existiert!also!nicht!an!sich!oder!für!sich!bereits!als!ein!Zeichen,!sondern!wird!erst!im!Prozess!seiner!Verwendung,!in!dem!ein!Subjekt!(Interpret)!zwischen!ihm!und!einem!Objekt!eine!Relation!herstellt,!zum!Zeichen.!!!Morris!leitet!aus!diesen!drei!beteiligten!Größen!drei!zweistellige!Relationen!ab:!

1)! Die!Relation!des!Zeichenträgers!zu!anderen!Zeichenträgern!als!die!syntaktische!Dimension!des!Zeichens!

2)! Die!Relation!des!Zeichenträgers!zu!dem!von!ihm!gemeinten!Objekt!als!die!semantische!Dimension!

3)! Die!Relation!des!Zeichens!zum!Zeichenbenutzer!als!die!pragmatische!Dimension!!Die!erste!Relation!betrifft!die!Möglichkeiten!und!Regeln!für!eine!Kombination!von!Zeichen.!Die!zweite!Relation!zielt!auf!das,!was!mit!dem!Zeichen!gemeint!ist.!Die!dritte!Relation!endlich!manifestiert!die!Abhängigkeit!des!Zeichens!von!den!Modalitäten!seiner!Verwendung.!!!Theater!ereignet!sich,!wenn!eine!Person!(A)!Handlungen!(X)!vorführt,!während!eine!andere!(S)!zusieht!P!Der!theatralische!Prozess!als!einen!Kommunikationsprozess!und!das!theatralische!Geschehen!als!eine!Semiose.!In!diesem!Prozess!finden!unterschiedliche!Arten!von!Zeichen!Verwendung:!linguistische!und!paralinguistische!Zeichen,!mimische,!gestische!Zeichen,!Maske,!Kostüm,...!(akustisch/visuell,!transitorisch/länger!andauernd,!schauspielerbezogen/raumbezogen)!!!!Eine!Semiotik!des!Theaters!muss!folglich!durch!eine!linguistische!Semiotik,!eine!Semiotik!der!Geste,!der!Kleidung!etc.!fundiert!werden.!Die!theatralischen!Zeichen!sind!als!„Zeichen!von!Zeichen“!zu!definieren:!Der!Satz,!den!der!Schauspieler!A!spricht,!denotiert!den!Satz,!den!die!Figur!X!spricht;!die!Geste,!die!er!macht,!die!Geste,!welche!X!macht!usf.!!!Ein!theatralisches!Zeichen!ist!also!nicht!nur!imstande,!als!Zeichen!eines!Zeichens!zu!fungieren,!das!es!selbst!darstellt,!sondern!darüber!hinaus!als!Zeichen!eines!Zeichens,!das!jedem!beliebigen!anderen!Zeichensystem!angehört.!Es!ist!durch!seine!Mobilität!gekennzeichnet.!Dies!spricht!seine!Polyfunktionalität!an.!(Das!Zeichen!ist!im!Stande,!unterschiedliche!Zeichenfunktionen!zu!übernehmen;!Beispiel!STUHL)!Jedes!theatralische!Zeichen!vermag!dergestalt!viele!Funktionen!zu!erfüllen!und!entsprechend!die!unterschiedlichsten!Bedeutungen!zu!erzeugen.!!!Für!die!Kombination!der!heterogenen!theatralischen!Zeichen!gelten!folgende!Regeln:!

1)! Jedes!Zeichen!eines!Zeichensystems!kann!mit!jedem!Zeichen!eines!anderen!Zeichensystems!kombiniert!werden.!

2)! Jedes!Zeichen!kann!sowohl!simultan!als!auch!sequentiell!mit!einem!anderen!kombiniert!werden.!

3)! Die!Kombination!der!Zeichen,!die!unterschiedlichen!Zeichensystemen!angehören,!!kann!gleichberechtigt!oder!mit!hierarchischer!Strukturierung!erfolgen.!!

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Theatralische!Semiosen!!Als!eine!Semiose!ist!der!Prozess!einer!Zeichenverwendung!(als!Produktion!oder!Rezeption)!definiert,!als!dessen!Resultat!Bedeutung!erzeugt!wird.!Dieser!Prozess!vollzieht!sich!in!den!drei%semiotischen%Dimensionen:!die!syntaktischen,!semantischen!und!pragmatischen!Dimension.!Bedeutung!entsteht!dann,!wenn!ein!Zeichen!von!einem!Zeichenbenutzer!innerhalb!eines!Zeichenzusammenhanges!auf!etwas!bezogen!wird.!!!Sie!kann!sich!daher!ändern,!wenn!das!Zeichen!

1)! In!einen!anderen!Zeichenzusammenhang!eingefügt!wird!2)! Auf!etwas!anderes!bezogen!wird!3)! Von!einem!anderen!Zeichenbenutzer!verwendet!wird!

!Theatralische!Semiosen!richten!sich!auf!„zusammengesetzte“,!auf!komplexe!Zeichen!!!Komplexe!theatralische!Zeichen.!!(Aus!Zeichen!verschiedener!Systeme!setzt!sich!das!komplexe!Zeichen!der!Handlung!„Grüßen“!zusammen!–!mimisch,!gestisch,!proxemisch,!linguistisch,!und!paralinguistisch)!!!Die!komplexen!Zeichen!Figur!und!Handlung!konstituieren!ihrerseits!das!theatralische!Zeichen!mit!dem!höchsten!Grad!an!Komplexität:!die!Aufführung!!Figur!und!Handlung!!Beim!Aufbau!von!„Figuren“!sind!drei!Bedingungsfaktoren!zu!berücksichtigen!

1)! Die!im!literarischen!Text!des!Dramas!niedergelegte!Rolle!mit!ihren!unterschiedlichen!Deutungsmöglichkeiten!

2)! Die!individuelle!Physis!des!Schauspielers!mit!ihren!je!spezifischen!Gestaltungsmöglichkeiten!als!Material!der!Zeichenbildung!

3)! Die!für!die!betreffende!Theaterform!vorgegebene!schauspielerische!Norm!!!!Am!Ort!ihres!Zusammentreffens!entsteht!die!Rollenfigur.!!!Am!Beginn!der!Arbeit!des!Schauspielers!steht!also!als!erste!Bedingtheit!ein!hermeneutischer!Prozess.!Als!zweite!Bedingtheit!bestimmt!sein!Material!die!Bildung!des!komplexen!Zeichens!„Figur“.!Die!dritte!Bedingtheit!bestimmt!die!jeweils!geltende!schauspielerische!Norm!die!Konstituierung!der!Figur.!!!Auf!der!Grundlage!dieser!Bedingtheiten!wird!das!komplexe!Zeichen!>Figur<!aus!heterogenen!einzelnen!Zeichen!und!Zeichensequenzen!aufgebaut.!!!Modell!zur!Handlungstheorie!von!Von!Wright,!Danto!und!Van!Dijk!entwickelt:!Sechs!konstitutive!Handlungselemente:!einem!Agenten,!seiner!Intention!beim!Handeln,!der!Handlung!bzw.!dem!Handlungstyp!der!hervorgebracht!wird,!der!Modalität!der!Handlung!(Art!und!Mittel)!dem!Setting!(zeitlich,!räumlich,!umstandsbezogen)!und!dem!Zweck.!!!Aufführung!!Explizität,!Begrenztheit!und!Strukturiertheit!–!alle!drei!Merkmale!werden!durch!die!je!besondere!Selektion!und!Kombination!der!als!theatralische!Zeichen!fungierenden!Elemente!realisiert.!!Für!das!Merkmal!>Explizität<!fungiert!die!Selektion!in!dreifacher!Hinsicht!als!bedeutungstragendes!Element:!

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1)! Als!Auswahl!der!zu!verwendenden!Zeichensysteme!2)! Als!Auswahl!innerhalb!der!Systeme!3)! Als!Auswahl!eines!besonderen!konkreten!Zeichens!(Frage:!wird!geseufzt!oder!

geschluchzt,!sind!die!Augen!dabei!offen!oder!geschlossen?!Welche!Farbe!hat!das!Gewand!etc.)!

Das!Merkmal!der!Begrenztheit!meint!sowohl!die!Abgrenzung!von!Elementen,!die!nicht!in!der!Aufführung!enthalten!sind!als!auch!die!zeitliche!und!räumliche!Abgrenzung.!!!GREIMAS!hat!ein!Modell!vorgeschlagen,!das!auf!die!Aufführungsanalyse!angewendet!werden!kann.!Er!unterscheidet!vier!einander!potenzierende!Ebenen!semantischer!Kohärenz!(=Zusammenhang)!

1)! Die!elementare!Ebene,!welche!die!Seme!in!der!Synthesis!eines!Lexems/Semems!erfasst!

2)! Die!klassematische!Ebene,!welche!von!den!lexikalischen!Einheiten!im!Sinnzusammenhang!einer!Phrasis!konstituiert!wird!

3)! Die!Ebene!der!Isotopien,!deren!Elemente!wiederkehrende!Klasseme!darstellen!4)! Die!Ebene!der!Totalität!des!Gesamttextes!

In!einem!theatralischen!Text!lassen!sich!diese!Ebenen!unterscheiden!1)! Die!elementare!EbeneP!hier!sind!alle!Arten!theatralischer!Einzelzeichen!einzuordnen!

wie!einzelne!Gesten,!Bewegungen,!Requisiten!etc.!2)! Die!Klassematische!Ebene!–!ihr!sind!die!komplexen!Zeichen!geringerer!Komplexität!

zuzurechnen!wie!einfache!Handlungen!bzw.!Verhaltenssequenzen,!ein!bestimmtes!Kostüm!bzw.!die!äußere!Erscheinung!einer!Figur!o.ä.!

3)! Ebene!der!Isotopien!–!komplexe!Handlung,!Zeichen!und!Figur!4)! Ebene!der!Totalität!der!Aufführung.!

!Externe!Umcodierung:!einzelne!Elemente!des!Textes!werden!auf!außertextuelle!Strukturketten!bezogen.!!!Aufführungsanalyse!!Wird!stets!als!hermeneutisches!Prozess!durchgeführt.!Sie!hängt!von!bestimmten!historischen,!gesellschaftlichen!und!subjektiven!Bedingungen!ab!und!stellt!einen!nicht!abschließbaren!Prozess!dar.!!!Erster!Schritt!wird!die!Wahl!der!Segmentierung!bilden.!(Abhängig!vom!Typ!der!Aufführung)!Kann!segmentieren!in!Figuren!oder!auch!eher!in!visuelle!und!auditive!Zeichen!oder!auf!Einheiten!wie!Figur,!Handlung!und!Raum!zurückgreifen.!!Nachdem!man!die!Ebene!der!Segmentierung!gewählt!hat,!kann!man!an!einem!beliebigen!Punkt!der!Aufführung!die!Analyse!beginnen.!Man!kann!zum!Beispiel!mit!den!Zeichen!des!Raumes!anfangen.!!Man!kann!natürlich!auch!mit!der!äußeren!Erscheinung!der!Schauspieler!beginnen.!(Kleidung!und!Maske)!!Das!Drama!und!seine!Inszenierung!!Zwischen!dem!theatralischen!Text!der!Aufführung!und!dem!literarischen!Text!des!Dramas!bestehen!fundamentale!Unterschiede.!!

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Bei!Aufführungen!des!Gegenwartstheaters!ist!in!der!Regel!davon!auszugehen,!dass!die!zugrunde!gelegte!Raumkonzeption!(Bühnenform)!als!bedeutungstragendes!Element!fungiert.!(Bei!anderen/älteren!wird!die!Guckkastenbühne!als!bedeutungsindifferent!angesehen)!!Realisierung!des!Dramas!durch!die!Aufführung!ist!als!semiotischer!Prozess!zu!begreifen,!in!dem!ein!Text,!der!aus!sprachlichen!Zeichen!besteht,!in!einen!Text!aus!theatralischen!Zeichen!transformiert!wird.!!!!Die!Aufführung!(Inszenierung!des!Dramas)!wir!als!Interpretation!des!Dramas!angesehen.!!Äquivalenz!zwischen!dem!literarischen!Text!des!Dramas!und!dem!theatralischen!Text!der!Aufführung!kann!es!daher!nicht!geben,!wenn!Äquivalenz!gleiche!Bedeutung/gleichen!Sinn!meint.!Eine!völlige!SinnP!bzw.!Bedeutungsgleichheit!zwischen!beiden!Werken!ist!ausgeschlossen.!Beide!lassen!sich!lediglich!auf!einen!gemeinsamen!Sinn!interpretieren.!Das!Drama!wird!lediglich!als!Material!verwendet,!an!dem!bzw.!aus!dem!völlig!neue!theatralische!Zeichen!geschaffen!werden.!!!Theaterwissenschaft!als!Kommunikationswissenschaft!!Aufführung!existiert!nur!im!Prozess!seiner!Realisierung.!Vollzug!und!Rezeption!einer!Theateraufführung!müssen!stets!synchron!verlaufen.!Theatralische!Kommunikation!ist!sowohl!als!ästhetische!Kommunikation!zu!bestimmen!als!auch!eine!facePtoPface!Kommunikation.!Der!theatralische!Code!regelt!also!

1)! Welche!materiellen!Hervorbringungen!als!Zeichen!des!Theaters!gelten!sollen!2)! Welche!dieser!Zeichen!auf!welche!Weise!und!unter!welchen!Umständen!miteinander!

kombiniert!werden!können!3)! Welche!Bedeutungen!diese!Zeichen!in!4)! Welchen!Verwendungszusammenhängen!beigelegt!werden!können!

!Prinzipiell!lassen!sich!drei!Typen!theatralisches!Codes!unterscheiden!

1)! Ein!spezieller!theatralischer!Code,!der!Produzenten!und!Rezipienten!vorgegeben!ist!(Peking!Oper;!Code!vorgegeben,!der!die!Gestaltung!und!Bedeutung!der!einzelnen!Zeichen!festlegt)!

2)! Ein!theatralischer!Code,!der!auf!den!Codes!der!primären!kulturellen!Systeme!aufbaut!3)! Ein!theatralischer!Code,!der!auf!den!Codes!unterschiedlicher!sekundärer!kultureller!

Systeme!aufbaut!


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