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7 4 W I S S E N S C H A F T F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N T A G S Z E I T U N G , 1 1 . M Ä R Z 2 0 1 2 , N R . 1 0 7 7

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gReflektoren im Weltall

Würde man ungefähr zwei Prozent der Son-nenstrahlen ins Weltall zurückschicken, könnteman eine Verdoppelung des CO2-Gehalts in derAtmosphäre ausgleichen, heißt es im Bericht„Geoengineering the Climate“ der britischenRoyal Society aus dem Jahr 2009.

Vorerst wird das jedoch nicht durch Reflektorenim Weltall geschehen. Aufgrund des riesigen lo-gistischen Aufwands würde dieser Ansatz Jahr-zehnte dauern. Dafür versetzen die Forschungs-berichte den Leser schon jetzt in Erstaunen, zu-mindest über die Kreativität der Verfasser.

So schrieb Colin McInnes 2002 im „Journal ofthe British Interplanetary Society”, in Zukunftkönne man auf erdnahen Asteroiden dünne reflektierende Metallscheiben produzieren unddiese zwischen Sonne und Erde transportieren.Am sogenannten inneren Lagrange-Punkt „L1“,

rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde ent-fernt, gleichen sich die Gravitationskräfte vonSonne u nd Erde gerade so aus, dass solch einekünstliche Wolke synchron mit der Erde um dieSonne kreisen und damit dauerhaft vor unseremTagesgestirn „geparkt“ bleiben würde.

Geoengineering Mit Industrie und Technik hat der Mensch das Klima auf der Erde in Schieflage gebracht. Neue technische Entwicklungen könnten den Trend umkehren.

Bei den Klimaklempnern

Reflektierende Äcker

Weißere WolkenEine Flotte automatisierter Mini-Schiffe, dieWassertröpfchen in die Luft blasen und damitdie Wolken weißer machen: Auch das ist einSzenario, das zur Debatte steht. Die Tröpfchen-dichte von Wolken könnte ebenso über Spezial-flugzeuge erhöht werden. Modellrechnungen at-testieren der Technik großes Potential, denn dieniedrigen Stratocumulus-Wolken spielen nachheutigem Stand der Forschung eine große Rollebei der Kühlung des Planeten.

Würde die Tröpfchenkonzentration in solchenWolken verdoppelt, das haben John Lathamund seine Kollegen in einer Studie berechnet,ließe sich ungefähr eine Verdopplung derderzeitigen CO2-Menge in der Atmosphäreausgleichen. Für diese Methode eignen sich dieWestküste Nord- und Südamerikas sowie diedes afrikanischen Kontinents. Allerdings be -dürfte es rund 1500 Schiffe, von denen einesschätzungsweise ein oder zwei Millionen Eurokosten würde.

Der Vorteil einer Wolkenweißer-Flotte wäre,dass man ihren Standort je nach Bedarf undJahreszeit verlegen und ganz gezielt bestimmteRegionen kühlen könnte. Allerdings ist auchhierbei noch sehr wenig über die Risiken be-kannt; die Maßnhmen könnten sich auf Meeres-strömungen und oberflächennahe Winde aus-wirken. An Land drohen Veränderungen derNiederschläge, zum Beispiel des Monsunzyklus.Immerhin wäre es möglich, die Schiffe bei uner-warteten Problemen einfach stillzulegen.

Noch wird darüber debattiert, ob der kühlendeEffekt von Wolken wirklich überwiegt, denn siewärmen den Planeten auch. Vor allem Wolkenin den höheren Atmosphärenschichten werfenvon der Erde kommende Infrarotstrahlen zu-rück, so dass an der Erdoberfläche die Tempera-turen steigen. Die Forschung zum sogenannten„cloud feedback“, dem Zusammenhang zwi-schen Wolken und Erdtemperatur, steht nocham Anfang.

Carbon Capture and Sequestration (CCS)Mittels Kohlenstoffabscheidung direkt amKraftwerk (Carbon Capture) mit anschließenderSpeicherung (Sequestration) ließe sich dasTreibhausgas unter hohem Druck unterirdischeinschließen, bis der Ausbau der erneuerbarenEnergien weiter fortgeschritten ist. CCS gilt des-halb als interessante Übergangstechnologie undwird häufig staatlich gefördert. In Brandenburgwird bereits eine vom Energiekonzern Vattenfallbetriebene Pilotanlage beim Braunkohlekraft-werk „Schwarze Pumpe“ betrieben. Von einemkleinen Testspeicher in Ketzin erhofft sich dasDeutsche Geoforschungszentrum neue Erkennt-nisse zur Lagerfähigkeit des Gases. Die Technikstößt jedoch auf massiven Widerstand. Landwir-te, Anwohner und auch Landespolitiker habennur ungern ein CO2-Endlager unter ihrem Grundund Boden.

Die Skepsis ist nicht unbegründet, denn obdas unterirdische Klimagas wirklich sicher ein-geschlossen werden kann, ist noch unklar. Lauteiner Studie des Umweltbundesamtes fehlen de-

taillierte Erkenntnisse zur Überwachung derDichtheit der Speicher. Zudem könne austreten-des CO2 Pflanzen vergiften und den Boden ver-sauern. Maximal 0,01 Prozent des eingeschlos-senen Kohlendioxids dürften die Speicher verlie-ren, sonst sei der Nutzen für die Umwelt nichtgegeben. Denn selbst bei dieser Verlustratewürden innerhalb von 1000 Jahren fast 10 Pro-zent der Ausgangsmenge entweichen. Kostenund Nutzen der Technik müssen sorgfältiggegeneinander abgewogen werden, weil auchdie Abscheidung von CO2 und die anschließendeSpeicherung Energie verbrauchen und somitEmissionen verursachen.

Ob dicht oder undicht — die Lagerung könnteunerwünschte Nebenwirkungen haben. Wird CO2

in salinen Aquiferen (13b) eingeschlossen,könnte verdrängtes Salzwasser das Grundwas-ser verunreinigen. Die Dichtigkeit leerer Erdgas-und Erdölspeicher (13a, c) ist besser unter-sucht. Deren Zahl dürfte aber in Deutschlandnicht ausreichen. Die Lagerung in Öl- oder Gas -

kavernen unter dem Meeresboden wiederumkönnte aufgrund von Sauerstoffrückgang undVersauerung fatale Folgen für das Leben imMeer haben. Zwar hat der Ölkonzern Statoilnach eigenen Angaben erfolgreich zehn Millio-nen Tonnen CO2 im Sleipner-Feld vor der norwe-gischen Küste verpresst. Ein Sonderbericht desWeltklimarates IPCC betont jedoch, über die Ri-siken aller Formen der Einlagerung unter demMeer sei noch zu wenig bekannt.

Noch riskanter dürfte es sein, Kohlenstoff -dioxid direkt in die Tiefsee einzuleiten (13d), einVorschlag, den gleich mehrere Forscher in denvergangenen Jahren machten. Ab einer Meeres-tiefe von drei Kilometern ist Kohlendioxid dich-ter als Wasser und sammelt sich in „Seen“. Beider Prüfung eines natürlichen CO2-Sees kam dasBremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobio-logie jedoch zu dem Schluss, dass sich das Koh-lendioxid unter dem dort herrschenden hohenDruck verflüssigt. Aus dem CO2-See stiegendann Bläschen auf, versäuerten das über dem

See liegende Meerwasser und zerstörten dortjegliches Leben.

Problematisch ist auch die drohende Konkur-renz zwischen CCS und Geothermie, der Nut-zung von Erdwärme. In bestimmten Regionen,zum Beispiel im Norddeutschen Becken, gibt esnur begrenzten Raum, beides gleichzeitig umzu-setzen. Die gründliche Erforschung von Lager-stätten ist auch deshalb wichtig, weil es nachheutigem Stand der Technik nicht möglich ist,Lecks zu reparieren. Und dann wäre da noch derEnergieverbrauch von CCS. Die Verpressung be-nötigt derzeit rund ein Drittel der vom Kraft-werk erzeugten Energie. Auch der Bau von Lei-tungen und die Einrichtung von Speichern sindeine Umweltbelastung.

Insgesamt gehört CCS zu den Geoengineering-Techniken, deren Entwicklung am weitestenfortgeschritten ist. Dennoch wird eine kommer-zielle Nutzung laut Umweltbundesamt frühes -tens im Jahr 2025 möglich sein.

Chemische VerwitterungWenn Carbonat- oder Silikatgesteine verwit-tern, reagiert das auswaschende Wasser mitdem Kohlendioxid aus der Luft zu Kohlensäureund wird damit gebunden. Dieser natürliche,aber äußerst langsam ablaufende Prozess be-seitigt rund ein Hundertstel der CO2-Emissio-nen, die die Menschheit jährlich ausstößt. DerEffekt ließe sich verstärken, indem die Reaktionbeschleunigt wird. Hierfür müsste man lediglichGestein abbauen, mahlen und auf Feldern aus-bringen oder ins Meer kippen. Das Material ist

nahezu unerschöpflich, denn das geeignete Sili-katgestein ist das häufigste der Erdkruste. DasProblem: Je nach Wahl des Gesteins und derMethode würden schätzungsweise zwischen dreiund sieben Milliarden Kubikmeter Gestein proJahr gebraucht, um den derzeitigen CO2-Aus-stoß auszugleichen. Das entspricht ungefähr derjährlich weltweit abgebauten Kohlemenge. Dazukommt, dass die Veränderung des pH-Werts ein-zelner Meeresregionen schwer absehbare Fol-gen für die Ozeanchemie haben kann.

Weiße DächerIm Jahr 2009 machte Steven Chu, seines Zei-chens Physik-Nobelpreisträger und amerikani-scher Energieminister, einen bemerkenswertenVorschlag: Der Erderwärmung ließe sich ent-gegenwirken, wenn man weltweit alle Häuserund Straßen weiß streichen würde. Vermutlichkönnte der Erd er wär mung mit dieser schlichtenIdee tatsächlich etwas entgegengesetzt werden.

Beachtet man jedoch das Verhältnis von Kostenund Nutzen, geht die Rechnung nicht mehr auf:Um nur ein Prozent der Erdoberfläche zu weißen,wären rund 300 Milliarden Dollar im Jahr nötig —vorausgesetzt, dass alle zehn Jahre ein frischerAnstrich fällig wird. Und freilich sind auch die Pro-duktion der Farbe und die weltweiten Streichak-tionen nicht CO2-neutral.

Große, optisch an Fliegenklatschen erinnern-de Gebilde könnten in Zukunft CO2 aus der Luftholen. Das Klimagas könnte dann über Rohrlei-tungen in unterirdische Speicher gepumpt unddort gelagert werden (siehe CCS). Im Gegen-satz zur industriellen Anwendung, wo direkt ander Kohlendioxid-Quelle angesetzt wird, müss -ten künstliche Bäume den Stoff jedoch aus dernormalen Luft filtern; bei der geringen Konzen-tration von 0,04 Prozent ein energieintensivesVerfahren.

Der Physikprofessor Klaus Lackner von derColumbia-Universität in New York gilt als Pio-nier auf diesem Gebiet. In Zusammenarbeit mitdem Forschungsunternehmen „KilimanjaroEnergy“ stellte er bereits 2007 einen funktio -nierenden Prototypen vor, der Kohlendioxidmittels einer Membran, einem sogenanntenIonenaustauschharz, aus der Luft filtert. Eineinziger dieser künstlichen Bäume soll die Luftjährlich vom Ausstoß von 15 000 Autos befreienkönnen.

Ein anderer Ansatz ist die chemische Absorp-tion von Kohlendioxid. Dabei wird Luft durch ei-nen sogenannten Gaswäscher geleitet. In des-sen Innern muss sich die Luft durch eine ArtWasserfall zwängen, in dem eine Flüssigkeit mithohem Tempo zerstäubt wird. Dabei absorbiertdie Flüssigkeit das CO2 und lässt die restlichenGase passieren. Bestimmte starke Basen wieNatriumhydroxid, die bei Kontakt mit Kohlen -dioxid reagieren, können dafür verwendet wer-den. Auch die Lebenserhaltungssysteme desSpace Shuttles setzten Filter ein, die auf diesemPrinzip basieren. David Keath von der Universityof Calgary in Kanada schließlich arbeitet amPrototypen eines solarbetriebenen Turms, derLuft ansaugen und mit vergleichsweise gerin-gem Energieaufwand von der Hälfte ihres Koh-lendioxidgehalts befreien soll.

Der Vorteil all dieser Verfahren ist, dass die„Bäume“ auch in entlegenen Gegenden wie Wü-sten gebaut werden können, wo sie kaum störenund reichlich Platz vorhanden ist. Weil die Kon-zentration von CO2 überall auf der Erde in etwagleich ist, muss nicht direkt an der Quelle gefil-tert werden. Dort liegende leer gepumpte Ölfel-der könnten als Kohlendioxid-Speicher genutztwerden. Der Haken ist wieder einmal ein finan-zieller: Von jenen Bäumen müssten 250 000Exemplare gebaut werden, um die jährlichenCO2-Emissionen auszugleichen — das entsprichtungefähr der jährlich weltweit abgebauten Koh-lemenge. David Keath und Kollegen kommen ineiner Untersuchung aus dem Jar 2009 zu demSchluss, die Technik sei teurer als konventionel-le Maßnahmen zur Minderung von CO2.

Künstliche Bäume

EisendüngungNirgendwo auf der Erde wird mehr Kohlen -dioxid gespeichert als auf dem Meeresgrund.Dabei spielen Algen eine große Rolle, indem sieCO2 an der Wasseroberfläche aufnehmen. Ge-bunden in deren Ausscheidungen und sterb-lichen Überresten sinkt das Klimagas irgend-wann auf den Meeresgrund. Dieser Prozesslässt sich durch Düngung mit bestimmten Nähr-stoffen, etwa Eisensulfat, beschleunigen. DieseIdee wurde schon recht weit verfolgt.

So unternahm im Frühjahr 2009 das deutscheForschungsschiff „Polarstern“ ein entsprechen-des Experiment, bei dem tonnenweise Eisen -sulfat in den Südatlantik gekippt wurde. Das Experiment scheiterte, doch selbst wenn es an-ders gekommen wäre, hat auch diese Idee einenHaken: Man bräuchte dazu enorme Mengen vonEisensalzen. Die Technik könnte deshalb besten-falls andere Geoengineering-Projekte ergänzen.Zudem lässt sich bisher nicht ausschließen,dass durch das vermehrte Algenwachstum aneiner Stelle möglicherweise woanders Nährstof-fe für die Algenbildung fehlen.

Die potenziellen Folgen für das Ökosystemsind die größte Unbekannte bei der Algen dün -gung, weshalb Umweltschützer schon jetzt ge-gen kleinere Forschungsprojekte Sturm laufen.Wegen der hohen Risiken wurde bereits im Jahr2008 auf der Biodiversitäts-Konferenz in Bonnein Moratorium für die Eisendüngung beschlos-sen. Das lässt die Forschung im kleinen Maßstabzu, verhindert aber die Umsetzung einer neuenGeschäftsidee: erste Firmen, die eigenständigdie Meere mit Eisen düngen und im Gegenzugentsprechende Emissions-Zertifikate verkaufenwollten, hatten sich bereits gegründet.

Treibhausgase verändern dasglobale Klima schneller als esunserer Zivilisation gut tut.Was kann man tun, wenn esmit der Emissionsreduktionnicht oder nur unzureichendklappt? Eine Übersicht derverschiedenen Vorschläge.VON NICO DAMM

Was passiert eigentlich, wenn die Menschheitden Wettlauf gegen die Zeit verliert? WennTemperaturen und Meeresspiegel aufgrunddes Klimawandels weiter unaufhaltsam stei-gen?

Es gibt einen aufstrebenden Forschungs-bereich, der sich mit genau dieser Frage be-fasst: „Geoengineering“ sucht nach Möglich-keiten zur künstlichen Beeinflussung desWeltklimas. Einige der vieldiskutierten Vor-schläge sind auf dieser Seite zusammenge-stellt.

Vieles davon klingt nach Science-Fiction.Tatsächlich sind die meisten Vorschläge nochweit von der praktischen Anwendung ent-fernt. Und freilich werden beteiligte Wissen-schaftler nicht müde zu betonen, dass Geo-engineering allenfalls als letzter Ausweg zuverstehen sei; die Reduktion des weltweitenTreibhausgas-Ausstoßes genieße absolutenVorrang. Aber der Mensch hat nun mal ger-ne einen Plan B.

Theoretisch lässt sich auf zweierlei Art undWeise am Klima schrauben. Bei der ersten,dem „Carbon Dioxide Removal“, versuchtman, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zuentfernen. Dieses Verbrennungsprodukt koh-lenstoffhaltigen Materials ist das wichtigsteTreibhausgas. Vorschläge, den Kohlenstoffdirekt am Entstehungsort – also vor allem anKraftwerken – abzuscheiden („Carbon Cap-ture and Storage“, kurz CCS), zählen strenggenommen nicht als Geoengineering, tau-chen aber regelmäßig in den wissenschaft-lichen Publikationen zum Thema auf.

Plan B könnte Plan A sabotierenEin zweiter Ansatz ist das „Solar RadiationManagement“, die Reduzierung von Sonnen-einstrahlung. Dafür werden etwa die Erzeu-gung von künstlichen Wolkenfeldern oder dasAusstreuen von Schwefel in der Atmosphäredis kutiert. Solche Techniken wären vermut-lich sehr effektiv, greifen aber stark in dashochkomplexe System Weltklima ein undbringen somit schwer abschätzbare Risikenmit sich.

Die Beseitigung von Kohlendixid aus derLuft geht meist mit weniger unerwünschtenNebenwirkungen einher, bleibt aber in ihrerWirkung deutlich hinter dem „Solar Radia-tion Management“ zurück. Letzteres wiede-rum packt das Problem von zu viel Kohlen-dioxid in der Atmosphäre nicht an der Wur-zel, so dass es andere durch das Klimagasverursachte Schäden, etwa die Versauerungder Meere, nicht zu lindern vermag.

Angesichts der potentiellen Folgen künst-licher Klimaveränderungen beschlossen dieUN-Mitgliedsstaaten im Oktober 2010 auf derBiodiversitäts-Konferenz im japanischen Na-goya ein Moratorium zum Geoengineering:Die Anwendung der risikoreicheren Verfah-ren soll unterbleiben, bis deren Folgen besserabgeschätzt werden können.

Hier wird das Dilemma deutlich: Will dieWissenschaft mehr über etwaige Risiken er-fahren, muss sie durch die Forschung selbstweitere in Kauf nehmen. Denn die Ergebnissegroß angelegter Feldversuche sind meist vielaussagekräftiger als die der kleinen Experi-mente und Modellrechnungen am Computer,die bisher zum Einsatz kamen.

In Politik und Wirtschaft kristallisiert sichderzeit ein konkretes Interesse am Geoengi-neering und seiner Anwendung heraus. Wäh-renddessen wächst die Kritik an der Disziplinmit ihrem Bekanntheitsgrad: Manche Kli-maaktivisten sehen in der Vorbereitung einesPlan B eine Sabotage des Plans A, der Ver-meidung von CO2-Emissionen aus dem Ver-feuern fossiler Brennstoffe.

Der Grat, auf dem die Klima-Klempnerwandern, wird mit dem Fortschritt sowohl ih-rer Forschung als auch der Erderwärmungimmer schmaler.

Dreizehn Stellschrauben für den Strahlungshaushalt

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AufforstungWer Abholzung verhindert und neue Bäumepflanzt, hilft dem Klima. Aufforstung ist ver-gleichsweise günstig, jedoch bei Weitem nichtausreichend, um die globale Erwärmung aufzu-halten — auch, weil der Mensch bereits rund einViertel des Festlands für die Landwirtschaftnutzt und aufgrund seines Landbedarfs nichtüberall drauflos pflanzen kann. Gezieltes Auf-forsten könnte jedoch einen gewissen Beitragleisten und kommt, wenn man es richtig macht,zudem noch der biologischen Vielfalt zugute.

Reflektierende FolienBekanntlich brennt die Sonne in der Wüste be-sonders stark. Warum also nicht einfach dortgroßflächig reflektierende Folie aus Polyethylenund Aluminium auslegen, um das Licht ins Allzurückzuschicken? Das würde wohl tatsächlichfunktionieren und auch sofort wirken. Die Listeder Nachteile ist jedoch lang: Die geschätztenKosten sind enorm, lokale Ökosysteme könntenSchaden nehmen. Ebenso werden klimatischeVeränderungen im größeren Rahmen, wie etwades Monsuns in Ostafrika, befürchtet.

Spiegel in der ErdumlaufbahnSeit Jahrzehnten schießt die Menschheit Satel-liten in die Umlaufbahn, warum also nicht auchwelche mit reflektierenden Sonnensegeln? DerIngenieur und Ideengeber für den Weltraumlift,Jerome Pearson, stellte zusammen mit seinenKollegen vor einigen Jahren die Idee vor, einenriesigen Schwarm ultraleichter Satelliten kreisenzu lassen. Allerdings bräuchte man selbst bei ei-ner reflektierenden Fläche von einem Quadrat-

kilometer pro Sonnensegel für einen ausrei-chenden Kühleffekt fünf Millionen Flugobjekte.

Immerhin könnte man diese steuern, um Kolli-sionen, etwa mit Kommunikationssatelliten, zuvermeiden. Bei Spiegelwolken im Orbit, wie sieWissenschaftlern von der US National Academyof Sciences im Jahr 1992 vorschlugen, gingedas nicht.

Solche und ähnliche Techniken könnten tat-sächlich funktionieren, die Kosten dafür sind jedoch immens. Außerdem wärem die meis tenObjekte im All nach dem heutigen Stand derTechnik nicht mehr zu entfernen. Die Mensch-heit müsste dann auch mit möglicherweise sichergebenden negativen Aus wirkungen leben: We-niger Sonnenlicht bedeutet prinzipiell wenigerNahrung für Mensch und Tier.

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Schwefelpartikel in der StratosphäreAls der Vulkan Pinatubo im Jahr 1991 17 Milli-onen Tonnen Schwefeldioxid (SO2) in die Stra-tosphäre blies, sanken die Temperaturen welt-weit ab. Mancherorts machte die vulkanbeding-te Abkühlung ein halbes Grad Celsius aus. SO2

bildet in der Atmosphäre einen Nebel aus reflek-tierenden Schwefelsäuretröpfchen (Aerosolen).

Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzenschlug darum vor, den Pinatubo-Effekt künstlichnachzuahmen: Flugzeuge, Ballons oder spezielleKanonen könnten Schwefel in die Stratosphäretransportieren. Diese beginnt je nach Breiten-grad in sieben bis 17 Kilometern Höhe und istsomit schon heute erreichbar.

Eine solche Lösung scheint technisch möglich,effektiv und finanzierbar, birgt aber auch erheb-liche Risiken; sie könnte das Ozonloch anwach-sen lassen, das gesamte Klimasystem verändern— mit schwer absehbaren Konsequenzen. Den-noch gilt die SO2–Idee heute als eine der vielver-sprechendsten Varianten des Geoengineerings.

Verkohlte BiomasseAls am Potsdamer Max-Planck-Institut fürKolloid- und Grenzflächenforschung vor siebenJahren ein neues Verfahren zur Herstellung vonBiokohle vorgestellt wurde, entstand ein regel-rechter Hype um die „Zauberkohle aus demDampfkochtopf“, mit der das Institut medien-wirksam wirbt.

Mittels „Hydrothermaler Karbonisierung“ (HTC)wird Biomasse, zum Beispiel Pflanzenreste oderKlärschlamm, unter hohem Druck bei 180 Gradgekocht und in einen Stoff verwandelt, der der

Braunkohle sehr ähnlich ist. Darin wird das Koh-lendioxid, das sonst bei der Verrottung freige-setzt würde, über lange Zeit gespeichert — vo -raus gesetzt, man verbrennt die Kohle nicht,sondern verbuddelt sie im Boden. Womöglichkönnte sie dann auch als Düngemittel dienen.Die Idee ist nicht neu. Seit Jahrzehnten schonwird Forschung zur Herstellung von Biokohledurch einfache Holzköhlerei betrieben. HTC er-laubt jedoch auch die Verarbeitung flüssigerBioabfälle. Den Forschern zufolge ermöglichtdas Verfahren auch die Herstellung neuer Pro-

dukte wie zum Beispiel Filterkohle oder Stoffefür die Reifenindustrie.

Da bei der Karbonisierung mehr Energie ent-steht als verbraucht wird, könnte die Technik so-gar Biomasse-Kraftwerke ersetzen. Allerdingslasse sich noch keine Erkenntnisse darüber ab-leiten, ob sich der Stoff wirklich als Dünger eig-net oder Pflanzen sogar schadet. Ebenso wenigweiß man, ob die Anlagen wirtschaftlich zu betreiben wären. Darüber sollen kleine Test -anlagen neue Erkenntnisse liefern.

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8Manche Pflanzen reflektieren mehr Sonnenlichtals andere. Deshalb ist eine Kühlung der Erdedurch den gezielten, großflächigen Anbau ent-sprechender Mais- oder anderer Getreide sortendenkbar. Dem Bericht der Royal Society zufolgewäre zwar die Wirkung solcher Projekte gering,dafür gingen sie aber auch mit wenigen Neben-wirkungen einher. Das sieht das Umweltbundes-amt anders: Es drohe der Verlust ganzer Öko -systeme, heißt es in einer Studie der Behörde.

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