Renaturierung urbaner Landschaften Franz Rebele, TU Berlin
Renaturierung urbaner Landschaften
1. Besonderheiten der Renaturierung urbaner Landschaften
2. Ungeplante spontane Renaturierung auf Brachflächen
3. Geplante naturnahe Gestaltung und Entwicklung 4. Hindernisse für eine Renaturierung urbaner
Landschaften 5. Renaturierungsprojekte (NSG Malchower Aue
und NSG Falkenberger Rieselfelder)
Besonderheiten der Renaturierung in urbanen Landschaften
Renaturierung = Erreichen eines naturnäheren Zustandes, d.h. eines Zustandes geringerer Nutzungs- bzw. Eingriffsintensität (Zerbe et al. 2009)
Eine Wiederherstellung (Regeneration) ursprünglicher Ökosysteme ist in urbanen Landschaften meist unmöglich
Überführung stark gestörter oder naturferner Ökosysteme in einen naturnäheren Zustand
Neuschaffung von Habitaten mit anschließender natürlicher oder naturnaher Entwicklung (Tolerierung von Sukzession)
Ehemalige Spinnstofffabrik Zehlendorf
Alter Klärteich, 02.06.2012 Alter Klärteich, 02.06.2012
Wald, 02.06.2012 Ehemaliges Absetzbecken, 02.06.2012
Landschaftspark Duisburg-Nord ehemals Thyssen Hochofenwerke Meiderich
Neu gestalteter Platz, Mai 1996
Hochofen und „Krokodil“; August 1991 Blick vom Hochofen 5; Mai 1996
Blick vom Hochofen 5; Mai 1996
Naturpark Schöneberger Südgelände auf der Restfläche (18 ha) eines ehemaligen Rangierbahnhofs
Parkeingang mit Wasserturm; 02.10.2004 Birkenwald; 30.06.2012
Drehscheibe; 30.06.2012 Birkenwald mit Weg; 30.06.2012
Renaturierung auf Zeit in Altbaugebieten
Kinderbauernhof Berlin-Kreuzberg (ehemals besetzte Brachfläche); Oktober 1990
Aufgelassener Schulhof in Berlin-Schöneberg (ehemalige
Schwielowseeschule);19.09.2009
Begrünung eines modernen Gebäudes in Berlin-Dahlem
MPI Lentzeallee; Mai 1989 MPI Lentzeallee 17.06.2012
Ehemalige Fassadenbegrünung eines Hochschulgebäudes
Mai 1989 17.06.2012 Berlin-Dahlem, Lentzealle 55-57; Ehemals Landwirtschaftliche
Hochschule zu Berlin, heute HU
Hindernisse für eine Renaturierung in urbanen Landschaften
Grundstücksverwertung (Verkauf als Bauland) „Eine Renaturierung von Brachflächen bedeutet für den Eigentümer den Verlust von Buchwerten.“ (Ferber et al. 2010)
Leitbild der kompakten Stadt Innenentwicklung wird in erster Linie als bauliche Verdichtung verstanden Grünflächen werden bebaut (Wälder, Parkanlagen, Kleingärten, Äcker etc.) Naturerleben und Erholung kann außerhalb der Stadt stattfinden (Tourismus)
Primat des Gebauten und naturferne Ordnungsvorstellungen „Wildwuchs“ ist unerwünscht Bauwerke sollen nicht durch Pflanzen verdeckt werden Furcht, dass Bauwerke oder Autos durch Pflanzen und Tiere beschädigt oder beschmutzt werden
Ehemalige Spinnstofffabrik Zehlendorf
Ehemaliges Verwaltungsgebäude der Spinne; 25.03.2008
heute Lidl und Getränkemarkt mit hoher Versiegelung; 02.06.2012
Beispiele der Grundstücksverwertung
Ehemalige Kleingartenkolonie Württemberg in Berlin-Wilmersdorf
29.09.2008 Neubau „Rosengärten“; 23.03.2012
Bebauung einer Brache (ehemaliges Schulgelände) in Berlin-Wartenberg
20.05.2011 12.06.2012
Bebauung eines Waldgrundstücks in Kleinmachnow (Käthe-Kollwitz-Straße)
Kiefern-Eichenwald nach ca. 60-jähriger Waldentwicklung;
15.05.2007
Neubau von Villen; 27.04.2009
Selbst Versuchsflächen zur Renaturierung in urbanen Landschaften unterliegen dem Verwertungsdruck
Ehemaliger ökologischer Versuchsgarten in Berlin-Dahlem
Dauerfläche mit Waldentwicklung auf Sand; 08.05.2007
Neubau von Häusern; 24.10.2011 Grundstücksverkauf durch die TU; 09.06.2007
Nest der Mittleren Wespe (Dolichovespula media); 11.07.2008
Beispiele moderner urbaner Landschaftsgestaltung
Potsdamer Platz in Berlin
Sony-Center; 15.06.2001 Spielplatz; 15.06.2001
Berliner Regierungsviertel
Spreeufer mit Quercus palustris; 15.09.2009
Gleisdreieck, Berlin-Kreuzberg
Birkenwald auf Gleisschotter; 15.05.1988 Neuer City-Park; 04.07.2012
Neuer City-Park; 04.07.2012 Neuer City-Park; 04.07.2012
Renaturierung einer Erdstoffdeponie durch spontane und gelenkte Sukzession
Dauerbeobachtungsflächen in Berlin-Malchow
Deponie Malchow im NSG Malchower Aue Aufschüttung abgeschlossen1995
Eine zukünftige Walddauerbeobachtungsfläche; Juni 1996
Deponie Malchow, Bodenanalysen 1997/98 (untersucht wurden die obersten 8 cm, n = 17)
Grobbodenanteil 4 – 8 % schwach steinig, niedrig für Aufschüttungsböden
Bodenart des Feinbodens schwach schluffiger Sand pHCaCl2
8 – 8,2 schwach bis mittel alkalisch pflanzenverfügbare Gehalte P K Mg Ca
in mg/kg 38 –78
66 – 148 186 – 404
5900 – 19020
bezogen auf Sand sind die Gehalte: mittel
mittel bis hoch hoch
hoch, Schuttbemengung Gesamtgehalte C N
in % 0,45 – 0,82
0,009- 0,025
gering
gering, wie N-arme Unterböden Humusgehalt (C-Gehalt x Faktor 1,724)
0,8 – 1,4% humusarm bis schwach humos
Prozesse der Vegetationsdynamik
Saisonale Änderungen Veränderung der Artenzusammensetzung, des Deckungsgrades und der Phänologie einzelner Arten im Verlauf eines Jahres
Fluktuationen z.B. aufgrund von jährlichen Unterschieden der klimatischen oder hydrologischen Bedingungen
Sukzessionen gerichtete Vegetationsveränderungen im Verlauf von Jahren bis Jahrhunderten
Deponie Malchow Waldsukzession
Blick Richtung Brücke; August 2000 Gleiche Blickrichtung; 11.06.2007
Weitere Waldfläche mit Salix-Dominanz; 25.06.2008
Fraxinus excelsior; 28.08.2011
Deponie NSG Malchower Aue Waldsukzession
• Besiedlung durch Gehölze bereits zu Beginn der Sukzession (v.a. Salix- und Populus-Arten)
• Dominanz von Weiden und Pappeln in den ersten 15 Jahren der Sukzession
• Ca. 2/3 der in Berlin etablierten Baumarten sind nach 15 Jahren vorhanden (darunter Acer, Alnus, Betula, Corylus, Fraxinus, Pinus, Prunus, Quercus, Robinia, Tilia, Ulmus), die meisten davon bereits in den ersten 5 Jahren
Deponie Malchow Ruderal- und Mahdflächen
Daucus carota mit Raupe von Papilio machoon; Juni 1996
Echium vulgare; 18.07.2004
Centaurea stoebe; 18.07.2004 Dominanz von Calamagrostis epigejos; M5-4; 01.09.2005
Deponie NSG Malchower Aue Dauerflächen mit Mahd
Fetuca brevipila
0
5
10
15
20
25
30
35
Aug96
Aug97
Aug98
Aug99
Aug00
Aug01
Aug02
Aug03
Aug04
Aug05
Aug06
Aug07
Aug08
Aug09
Aug10
%
M2-Flächen M5/M1-Flächen
Deponie NSG Malchower Aue Dauerflächen mit Mahd
Calamagrostis epigejos
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Aug96
Aug97
Aug98
Aug99
Aug00
Aug01
Aug02
Aug03
Aug04
Aug05
Aug06
Aug07
Aug08
Aug09
Aug10
%
M2-Flächen M5/M1-Flächen
Deponie NSG Malchower Aue Dauerflächen mit Mahd
mittlere Artenzahl pro 4 m2
0
5
10
15
20
25
30
35
Aug96
Aug97
Aug98
Aug99
Aug00
Aug01
Aug02
Aug03
Aug04
Aug05
Aug06
Aug07
Aug08
Aug09
Aug10
M2-Flächen M5/M1-Flächen
Deponie NSG Malchower Aue Dauerflächen mit Mahd
• Starke Fluktuation einzelner Arten, v.a. bei Fabaceae (Trifolium, Vicia, Medicago, Melilotus)
• Unterschiede zwischen Mahdvarianten v.a. in der Dominanz einzelner Arten, weniger im gesamten Arteninventar
• Förderung von Trockenrasenarten (z.B. Festuca brevipila) bei zweimaliger Mahd im Jahr
• Förderung von Wiesen- und Ruderalarten (z.B. Arrhenatherum, Picris, Tanacetum) bei einmaliger Mahd im Jahr
Berliner Rieselfelder
Nutzung Berieselung Veränderungen im Boden
Getreideanbau 1 x jährlich 100 – 500 mm
Geringe Anreicherung von Nährstoffen und organischer Substanz
Grünland 4-8 x jährlich; insges. 2000-4000 mm im Jahr
Hohe Anreicherung von org. Subst., N, P und Schwer-metallen (-K, -Mg, -Fe, -Mn)
Intensiv-Filter bis 10000 mm im Jahr Hohe Anreicherung von org. S., N und P; z.T. sehr hohe Belastung mit SM und organischen Schadstoffen
1873: Beschluss der Berliner Stadtverordnetenversammlung zur Errichtung eines Kanalisationssystems mit Rieselfeldern in der Peripherie Berlins um 1930: 450 000 - 880 000 m3 Abwasser auf 123 km2 Rieselfläche 1992: 12,5 km2 Rieselfläche
NSG Falkenberger Rieselfelder hohe Wasserstandsdynamik
Ganzjahresweide; 15.07.2005 Ganzjahresweide;13.08.2011
NSG Falkenberger Rieselfelder Beweidung mit Heckrindern und Liebenthaler Pferden
Heckrinder; 02.08.2011 Liebenthaler Pferde; 13.09.2011
Rieselfeldnutzung von 1908/09 bis 1968/69 (1956-1964 1500 mm, 1965-1969 2400 mm Abwasser pro Jahr; später auf Teilflächen Abwässer aus Schweinemast Heckrinder seit 1998 (5 Tiere); 2005 23 Tiere; 2011 ca. 30 Tiere inkl. Kälber Liebenthaler Pferde seit 2005 4 Tiere
NSG Falkenberger Rieselfelder Beweidung mit Heckrindern und Liebenthaler Pferden
stark beweidete Fläche; 22.08.2011 Rieselfelddamm; 13.09.2011
fleckenhafte Beweidung; 25.06.2011 geringe Beweidung; 25.06.2011
NSG Falkenberger Rieselfelder Beweidung mit Heckrindern und Liebenthaler Pferden
Genista tinctoria, 25.06.2011 Filago arvensis; 07.07.2005
Ganzjahresweide; 30.05.2011
NSG Falkenberger Rieselfelder Beweidung mit Heckrindern und Liebenthaler
Pferden im Winter + Heumahd im Sommer
Frischwiese, Fl. 6B; 10.07.2011 Dianthus deltoides, 18.07.2011
Winterweide, Fl.4; 07.05.2011 Frischwiese, Fl. 4; 10.07.2011
NSG Falkenberger Rieselfelder
Pappelpfuhl; 07.05.2011 Weiher 3; 08.08.2011
Rieselfeldgraben; 13.09.2011 Ranunculus aquatilis, Landform; 12.07.2011
NSG Falkenberger Rieselfelder Beweidung mit Reitpferden + Mahd
Armeria maritima ssp. elongata; 13.08.2011 Pferdekoppel 2; 13.08.2011
Pferdekoppel 1; 17.06.2011 Ranunculus sardous; 18.05.2011
+ Mulch-schnitt
+ Heu-mahd
NSG Falkenberger Rieselfelder Beweidung mit Schottischen Hochlandrindern
Sickerbecken 1 (3,5 ha), nur Beweidung; 24.07.2011
Sickerbecken 2 (3,5 ha), Beweidung + Heumahd; 18.07.2011
Rieselfeldnutzung von 1908/09 bis 1968/69 (1956-1964 1500 mm, 1965-1969 2400 mm Abwasser pro Jahr) Einleitung von unbehandelten Abwässern von 1983-1996
NSG Falkenberger Rieselfelder Sukzession in einem ehemaligen Sickerbecken seit 1996
Blick Richtung Osten; 24.07.2011 Blick Richtung Westen; 10.06.2011
Calamagrostis epigejos-Bestände mit Trockenrasenelementen; 10.07.2011
Centaurium erythrea; 04.07.2005
Basalfläche der Gehölze nach 16 Jahren Sukzession auf zwei unterschiedlichen Deponieflächen
Basalfläche der Gehölze >2m
0
5
10
15
20
25
30
Deponie Malchow Sickerbecken Falkenberg
m2 / ha
N-arm N-reich
NSG Falkenberger Rieselfelder Prozesse der Vegetationsdynamik
• Hohe saisonale Dynamik und Fluktuationen von Jahr zu Jahr • Beweidung: Entwicklung von Frischwiesen, Rohrglanzgras-Röhrichten
oder Calamagrostis epigejos-Gesellschaften zu Frischweiden innerhalb weniger Wochen
• Wasserstandsschwankungen: bei ansteigendem Wasserspiegel Entstehung von temporären Gewässern; z.B. Gewässer mit einer Wasserhahnenfuß-Gesellschaft anstelle von Röhrichten oder Gewässer mit Hornblatt-Gesellschaft anstelle einer Calamagrostis epigejos-Gesellschaft
• Beim Rückgang des Wassers Entwicklung von Zweizahn-Gesellschaften (z.B. Gifthahnenfuß-Gesellschaft) oder Röhrichtgesellschaften (z.B. Sparganietum erecti)
• Sukzessionen zu Waldgesellschaften spielen bisher eine geringe Rolle (auch ohne Beweidung)
Resümee
• Die beiden letztgenannten Beispiele zeigen, dass Renaturierungsprojekte in urbanen Landschaften langfristig nur auf dauerhaft gesicherten Flächen stattfinden können.
• Wünschenswert wäre mehr Renaturierung in zentralen städtischen Gebieten (nicht nur in der Peripherie). Hier ist zur Zeit jedoch ein gegenläufiger Trend festzustellen.
Literatur • Ferber, U., Stahl, V., Hesse, G., Denner, A., Schrenk, V. & Henning, D. 2010:
Kostenoptimierte Sanierung und Bewirtschaftung von Reserveflächen. www.refina-kosar.de;
• Meinicke, I. & Bernitz, H.-M. 1996: Der Gemüsegarten Berlins. Natur & Text, Rangsdorf.
• Wollenweber, K. 2007: Das Verhalten einer Pferdeherde (Liebenthaler Pferde) unter naturbelassenen Lebensbedingungen im Hinblick auf chronobiologische Aspekte, klimatische Einflüsse sowie deren Raumnutzung. Dissertation FU Berlin.
• Zerbe S., Wiegleb, G. & Rosenthal, G. 2009: Einführung in die Renaturierungsökoologie. In: Zerbe S. & Wiegleb, G. (Hrsg.): Renaturierung von Ökosystemen in Mitteleuropa. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.
• Liebenthaler Pferde 1960 Beginn der Züchtung durch Jürgen Zutz im Bayerischen Wald (Fjordpferde, Konik u.a.; Abbildzüchtung, die dem Waldtarpan Equus ferus sylvaticus; Ende des 19 Jh. Ausgerottet) nahekommt; 1990 Umzug nach Friesack; 1996 Übernahme der Herde durch die Gemeinde Liebenthal (Wollenweber 2007)
• Heckrinder Abbildzüchtung der Gebrüder Heck (München und Berlin); Vorbild für Dedomestikation Auerochse Bos primigenus; 1627 ausgestorben
Alle Fotos sind vom Autor (Email: [email protected])