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Page 1: Hat man die Kontrolle, ist Stress nicht negativ · für sich nicht das Problem, auch wenn sie gross ist. Ein Schlüs-selelement ist das eigene Befin-den: Fühle ich mich fremdbe-stimmt

Stress lass nach

«Schweizer Bauer»: Wer vielzu tun hat, ist umgangssprach-lich «im Stress». Aber hohe Ar-beitsbelastung muss nicht un-bedingt Stress auslösen,stimmt das?Christina Umstätter, AgroscopeTänikon: Genau, Stress ist ur-sprünglich eine Funktion, wel-che uns Extra-Antrieb gibt, umBelastungsphasen zu meistern,wie früher etwa Flucht oderKampf. Durch den Energie-schub hilft uns die Stressreakti-on, über eine gewisse Zeit leis-tungsfähiger zu sein und ermög-licht damit auch Erfolgserleb-nisse. Das bezeichnet man alspositiven Stress, Eustress ge-nannt. Daneben gibt es aberauch den Distress, mit dem kei-ne positiven Gefühle in Verbin-dung gebracht werden. Hält die-ser über einen längeren Zeit-raum an, als Dauerstress, istdies negativ oder gar schädlich.Dann kommen wir nicht mehraus der Belastung heraus. Die-ser Stress hat in erster Linienicht mit der wie auch immergearteten Belastung zu tun, son-dern mit dem Gefühl, welchesman damit verbindet, und derMöglichkeit, wie man daraufreagieren kann. Er entstehtauch, wenn ich mich nicht mehrregenerieren, erholen kann.

Was sind Auslöser von negati-vem Stress?Eine extrem starke zeitliche Be-lastung, welche man nicht mehrausgleichen kann, führt auf län-

Beim Stress gelte es, denpositiven Eustress vomnegativen Distress zu un-terscheiden, unterstreichtChristina Umstätter vomAgroscope Tänikon. Po-sitiver Stress mache unszum Beispiel kurzfristigleistungsfähiger.

INTERVIEW:PAMELA FEHRENBACH

gere Sicht zu Dauerstress. Be-lastung an sich ist nichts Negati-

ves. Aber auf Belastungszeitenmüssen Regenerationssequen-zen folgen, um im Gleichge-wicht zu bleiben. Die körperli-che Belastung selbst ist an undfür sich nicht das Problem, auchwenn sie gross ist. Ein Schlüs-selelement ist das eigene Befin-den: Fühle ich mich fremdbe-stimmt oder überfordert, wirktsich der Stress negativ aus. Füh-le ich mich aber in der Kontrolleder eigenen Situation und habeich gar ein Erfolgserlebnis, hat

der Stress mir zum Erfolg ver-holfen, kann also positiv erlebtwerden.

Was sind Anzeichen von nega-tivem Stress?Wenn man zum Beispiel nachder Arbeit nicht abschaltenkann, immer in Gedanken ander Arbeit oder in der Belas-tungssituation bleibt, wenn ei-nem das Gedankenkarussellden Schlaf raubt. Wenn mandünnhäutig, ungeduldig, ver-gesslich und weniger belastbarwird. So kann sich dann derStress auch negativ auf andereLebensbereiche auswirken.

Sie haben eine Umfrage zurpsychischen Arbeitsbelastungbei Schweizer Landwirten und

Bäuerinnen durchgeführt.Weshalb wurde sie gemacht?Wir wollen herausfinden, wie esmit der psychischen Belastungin der Landwirtschaft wirklichaussieht. Man liest oft von psy-chischen Problemen und Burn-out. Doch Daten gibt es kaum.Die Umfrage ist erst der ersteSchritt.

Was beinhaltete die Umfrage?Wir haben mit einem zweiteili-gen Fragebogen gearbeitet. Dererste Teil nach einem bestehen-den validierten Modellfragebo-gen, welcher sich auf die eigenepersönliche Einschätzung desStressempfindens bezieht. Wirmöchten wissen, wie der Ein-zelne den Stress oder die Situa-tionen erlebt. Den zweiten Teilhaben wir ausgearbeitet, um ob-jektiv herauszufinden, wie starkdie bekannten Stress-Sympto-me vorhanden sind. Wir fragenzum Beispiel nach Schlafstö-rungen und so weiter. Spätermöchten wir die Stressbelas-tung noch objektiver messen.Der Fragebogen soll uns helfen,herauszufinden, was in derLandwirtschaft als besondersstressvoll empfunden wird, da-mit man diese Situationen zumBeispiel für objektive Messun-gen berücksichtigen kann. Da-mit man irgendwann Empfeh-lungen für Massnahmen ma-chen kann, die wirklich auch et-was bewirken und zur Entspan-nung der Situation führen.

Was hat die Umfrage gezeigt?Erst mal war es sehr spannend,wir haben sehr viele persönli-che Kommentare bekommen,eine grosse Bandbreite vonMenschen hat mitgemacht, diesich Zeit genommen und ihreLebensgeschichte mit uns ge-teilt haben. Von Geschichtenüber Burn-out und Depressio-nen bis hin zu ganz positivenWortmeldungen, dass alles su-per laufe und das Leben in derLandwirtschaft einfach toll sei,

war alles dabei. Obwohl derFragebogen recht komplex war,haben viele mitgemacht, wasauch ein Interesse und ein Be-dürfnis zeigt.

Was sind die Resultate derAuswertung, wo liegt derStress der Schweizer Landwir-te und Bäuerinnen?Die Umfrage ist noch nicht voll-ständig ausgewertet. Der Trendgeht aber dahin, dass doch dielangen Arbeitszeiten und diehohe Arbeitsbelastung als gros-

An der Agroscope-Online-Umfrage zur psychischen Ar-beitsbeanspruchung haben292 Landwirte, Betriebsleiter,Angestellte, Bäuerinnen undFamilienarbeitskräfte teilge-nommen. 71% davon Tierhal-ter, 21% Frauen. Sie beant-worteten Fragen zu Stress-empfinden, Alltag, Wohlbefin-den und Stressbewältigungsst-rategien. Mit 19,8 Punkten lie-gen die Landwirte im Erlebenvon Stress höher als Angestell-te im öffentlichen Dienst, wel-che in einer Vorstudie durch-schnittlich 17,3 Punkte er-reichten. Laut ersten Ergeb-nissen der Umfrage fühlensich Bauern und Bäuerinnenvor allem durch die hohe Ar-beitsbelastung und die langen

ERGEBNISSE DER UMFRAGE ZUM STRESS

Arbeitszeiten herausgefor-dert. Als weitere grosse Hürdesehen sie den administrativenAufwand, gefolgt vom Stressdurch wechselnde Vorschrif-ten. Eine geringe Rendite führtzudem zu Geldsorgen aufSchweizer Betrieben. DieAgrarpolitik 14–17 löst Unzu-friedenheit aus. Nur rund 5%der Umfrageteilnehmer lassenein Aufatmen zu. Viele Be-triebsleiter stören sich an denhäufigen Kontrollen und demDruck von aussen. Vor allemMilchviehhalter fühlen sichausgelaugter und bemerktenmehr körperliche Beschwer-den als ihre Kollegen vomAckerbau. Die gleiche Umfra-ge wird nun in der West-schweiz durchgeführt. pam

Dauerstress istnegativ.

se Herausforderung wahrge-nommen werden. Auch der ho-he administrative Aufwand so-wie die immer wechselndenVorschriften, das politischeUmfeld sowie Geldsorgen wur-den von vielen als belastend ge-nannt. Es gab auch viele Wort-meldungen, dass man zufriedenmit der Lebenssituation sei.

Stress ermöglichtErfolgserlebnisse.

Wo sehen Sie als Stressfor-scherin auf Landwirtschafts-betrieben Schlüsselsituatio-nen, die zu Stress führen kön-nen?Ein Moment ist sicher, wennLandwirtschaftsbetriebe wach-sen. Da sollte genau hinge-schaut werden, was das für dieeinzelnen Personen als Arbeits-kräfte heisst. Bringt das Wachs-tum so viel, dass ich jemandeneinstellen kann, oder schaffe ichdas alleine? Bleibt unter demStrich wirklich mehr, oder gibtsnur mehr Arbeit? Planung isthier ganz wichtig, dass mannicht in dieser Arbeitsfalle lan-det. Der technische Fortschritthat uns viel Zeit beschert, diewir jedoch nicht dazu nutzen,um mehr freie Zeit zu haben,sondern wir füllen sie mit im-mer mehr Leistung. Anstatt zuentlasten, wurde die Messlattehöher gelegt. Doch nicht immerist das Maximum die besteWahl. Deshalb ist eine gute –vorgängige – Planung einSchlüssel zur Verminderungvon negativem Stress. ●

Wenn man überfordert ist, egalin welchem Bereich, fragt mansich unweigerlich irgendwannnach Sinn und Zweck des Gan-zen. «Packen Sie deshalb dieGelegenheit am Schopf, jederkann seine persönliche Situati-on ändern», ermutigt FranziskaBischof-Jäggi, Paar- und Fami-lientherapeutin aus Zürich.Wenn man überall am Anschlagist, wird es Zeit, die Belastungenin allen Lebensbereichen zuanalysieren und in Richtung derpersönlichen Balance zu verän-dern.

Weg zur Balance1. Ziele setzen: «Setzen Siesich beruflich wie privat realisti-sche Ziele: Langfristziele stel-len die Leitplanken für dienächsten Schritte dar, kurzfris-tige helfen bei der Entschei-dung, welche Dinge Sie heutetun sollen und welche nicht.» 2.Prioritäten festlegen: Anhandder Ziele die Prioritäten festle-gen: Allen kann man es nichtrecht machen. Dingen den Vor-rang geben, die dem Tages- oder

Unser Wohlbefinden undunsere Widerstandsfähig-keit werden in vielen Be-reichen beeinflusst. ImGuten wie im Schlechten.

PAMELA FEHRENBACH

Langfristziel entsprechen. «Set-zen Sie Prioritäten und lernenSie Nein zu sagen». 3. Zeitma-nagement: Planen hilft, mit derZeit die zur Verfügung stehendeZeit besser einschätzen zu kön-nen. Am Vorabend den Tätig-keitsplan für den nächsten Tagstichwortartig festhalten. AmFreitag vor dem Wochenende

den Zeitplan für die kommendeWoche erstellen. Dabei die Pri-oritätensetzung in allen Berei-chen beachten, damit Geschäft-liches und Privates darin Platzhaben. 4. Disziplin: Ohne diszi-plinierte Umsetzung scheitertjedes Zeitmanagement. Über-prüfen Sie die Resultate regel-mässig. «Lassen Sie sich von

Fehlplanungen und -einschät-zungen nicht entmutigen – dassman sich anfänglich zu viel vor-nimmt, ist normal», weiss Fran-ziska Bischof aus Erfahrung.

ArbeitIm beruflichen Bereich stre-

ben wir vor allem nach Erfolg –gut so! Der Wunsch nach Erfolghilft uns, den steigenden Anfor-derungen entsprechen zu kön-nen. Dass die Arbeit die zeitlichintensivste Komponente in un-serem Lebensmix darstellt, istnormal. Alarmzeichen: Fühlenwir uns mehrheitlich erfüllt undselbstbestimmt, ist alles in Ord-nung. Nehmen wir uns abereher als ausgenutzt und ausge-liefert wahr, sollten wir han-deln. Sofortmassnahmen: DieÜberlastung oder das Problemansprechen und für Entlastungsorgen. Längerfristig solltenvielleicht auch die Ziele über-prüft werden. Wurden sie zuhoch gesteckt?

Familie und Umfeld«In den allermeisten Fällen

stellt dieser Bereich unserenFels in der Brandung dar», sagtFranziska Bischof. Partner-schaft und Familie seien Werte,auf welche wir uns verlassen.Stabile und erfreuliche Kontak-te zu Freunden sind wichtigeQuellen des Wohlbefindens.

Das Zusammensein mit der Fa-milie, der Austausch und die ge-meinsamen Erlebnisse berei-chern, machen glücklich undzufrieden. Alarmzeichen: Iso-lation und Rückzug, man magnicht mehr diskutieren, erklä-ren, berühren, sondern will nurseine Ruhe haben. Das kann einZeichen von Überforderungsein und zeugt von Vernachläs-sigung dieses Lebensbereichs.Sofortmassnahmen: Freunde,Familie und Partner bewusstpflegen und sich die Zeit dafürfrühzeitig im Planer eintragen,damit es nicht ein frommerWunsch bleibt.

GesundheitZur Gesundheit gehört nicht

nur das körperliche, sondernauch das geistige und emotiona-le Wohlbefinden. «Sie ist nichtnur die Abwesenheit vonKrankheit», so Bischof. Genü-gend Bewegung, gesunde Er-nährung und Erholung beein-flussen unsere Gesundheit posi-tiv. Alarmzeichen: LängereDruckphasen können zu ge-sundheitlichen Reaktionen füh-ren: Mit Magen-, Kopf- und Rü-ckenschmerzen, oft zusammenmit einer inneren Leere und De-pressionen, wehren sich Körperund Geist gegen anhaltenden,übermässigen Druck. «Die Leis-tungsfähigkeit und auch die

Leistungsbereitschaft nimmt ab– man fühlt sich leichter über-fordert, alles fällt schwerer, dieBatterien sind leer.» Sofort-massnahmen: auf gesunde Er-nährung mit viel Vollkornpro-dukten, Gemüse und Früchtenachten. Viel Bewegung (nichtArbeit!) an der frischen Luft. Ei-ne Entspannungstechnik ler-nen, die man in Zukunft im Be-darfsfall anwenden kann.

GesellschaftTätigkeiten in Vereinen, Or-

ganisationen und für die Gesell-schaft können enorm berei-chern und einen wertvollenAusgleich zum Alltag darstel-len. Alarmzeichen: Man fühltsich überfordert und fremdbe-stimmt. Sofortmassnahme: We-niger ist mehr. Motivation über-prüfen. Weshalb mache ich esüberhaupt? ●

Im Buch «Hamsterrad imgoldenen Käfig» gibt Fran-ziska Bischof-Jäggi Tipps,wie man Gewohnheiten än-dern kann. Ein Buch für alle,denen Arbeit und Gesund-heit wichtig sind. pam

Franziska Bischof-Jäggi: «Hamsterradim goldenen Käfig», Knapp Verlag 2010ISBN 978-3-905848-26-7, 29.80 Fr.

BUCHTIPP

Samstag, 23. Mai 2015 DOSSIER • 23

Hat man die Kontrolle, ist Stress nicht negativ

Man kann ein Gefühl für das innere Gleichgewicht entwickeln

Christina Umstätter vom Agroscope Tänikon erforscht dasStressempfinden in der Landwirtschaft . (Bild: zvg)

Zwischendurch durchatmen und sich freuen. (Bild: Fotolia)

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