1
Stress lass nach «Schweizer Bauer»: Wer viel zu tun hat, ist umgangssprach- lich «im Stress». Aber hohe Ar- beitsbelastung muss nicht un- bedingt Stress auslösen, stimmt das? Christina Umstätter, Agroscope Tänikon: Genau, Stress ist ur- sprünglich eine Funktion, wel- che uns Extra-Antrieb gibt, um Belastungsphasen zu meistern, wie früher etwa Flucht oder Kampf. Durch den Energie- schub hilft uns die Stressreakti- on, über eine gewisse Zeit leis- tungsfähiger zu sein und ermög- licht damit auch Erfolgserleb- nisse. Das bezeichnet man als positiven Stress, Eustress ge- nannt. Daneben gibt es aber auch den Distress, mit dem kei- ne positiven Gefühle in Verbin- dung gebracht werden. Hält die- ser über einen längeren Zeit- raum an, als Dauerstress, ist dies negativ oder gar schädlich. Dann kommen wir nicht mehr aus der Belastung heraus. Die- ser Stress hat in erster Linie nicht mit der wie auch immer gearteten Belastung zu tun, son- dern mit dem Gefühl, welches man damit verbindet, und der Möglichkeit, wie man darauf reagieren kann. Er entsteht auch, wenn ich mich nicht mehr regenerieren, erholen kann. Was sind Auslöser von negati- vem Stress? Eine extrem starke zeitliche Be- lastung, welche man nicht mehr ausgleichen kann, führt auf län- Beim Stress gelte es, den positiven Eustress vom negativen Distress zu un- terscheiden, unterstreicht Christina Umstätter vom Agroscope Tänikon. Po- sitiver Stress mache uns zum Beispiel kurzfristig leistungsfähiger. INTERVIEW: PAMELA FEHRENBACH gere Sicht zu Dauerstress. Be- lastung an sich ist nichts Negati- ves. Aber auf Belastungszeiten müssen Regenerationssequen- zen folgen, um im Gleichge- wicht zu bleiben. Die körperli- che Belastung selbst ist an und für sich nicht das Problem, auch wenn sie gross ist. Ein Schlüs- selelement ist das eigene Befin- den: Fühle ich mich fremdbe- stimmt oder überfordert, wirkt sich der Stress negativ aus. Füh- le ich mich aber in der Kontrolle der eigenen Situation und habe ich gar ein Erfolgserlebnis, hat der Stress mir zum Erfolg ver- holfen, kann also positiv erlebt werden. Was sind Anzeichen von nega- tivem Stress? Wenn man zum Beispiel nach der Arbeit nicht abschalten kann, immer in Gedanken an der Arbeit oder in der Belas- tungssituation bleibt, wenn ei- nem das Gedankenkarussell den Schlaf raubt. Wenn man dünnhäutig, ungeduldig, ver- gesslich und weniger belastbar wird. So kann sich dann der Stress auch negativ auf andere Lebensbereiche auswirken. Sie haben eine Umfrage zur psychischen Arbeitsbelastung bei Schweizer Landwirten und Bäuerinnen durchgeführt. Weshalb wurde sie gemacht? Wir wollen herausfinden, wie es mit der psychischen Belastung in der Landwirtschaft wirklich aussieht. Man liest oft von psy- chischen Problemen und Burn- out. Doch Daten gibt es kaum. Die Umfrage ist erst der erste Schritt. Was beinhaltete die Umfrage? Wir haben mit einem zweiteili- gen Fragebogen gearbeitet. Der erste Teil nach einem bestehen- den validierten Modellfragebo- gen, welcher sich auf die eigene persönliche Einschätzung des Stressempfindens bezieht. Wir möchten wissen, wie der Ein- zelne den Stress oder die Situa- tionen erlebt. Den zweiten Teil haben wir ausgearbeitet, um ob- jektiv herauszufinden, wie stark die bekannten Stress-Sympto- me vorhanden sind. Wir fragen zum Beispiel nach Schlafstö- rungen und so weiter. Später möchten wir die Stressbelas- tung noch objektiver messen. Der Fragebogen soll uns helfen, herauszufinden, was in der Landwirtschaft als besonders stressvoll empfunden wird, da- mit man diese Situationen zum Beispiel für objektive Messun- gen berücksichtigen kann. Da- mit man irgendwann Empfeh- lungen für Massnahmen ma- chen kann, die wirklich auch et- was bewirken und zur Entspan- nung der Situation führen. Was hat die Umfrage gezeigt? Erst mal war es sehr spannend, wir haben sehr viele persönli- che Kommentare bekommen, eine grosse Bandbreite von Menschen hat mitgemacht, die sich Zeit genommen und ihre Lebensgeschichte mit uns ge- teilt haben. Von Geschichten über Burn-out und Depressio- nen bis hin zu ganz positiven Wortmeldungen, dass alles su- per laufe und das Leben in der Landwirtschaft einfach toll sei, war alles dabei. Obwohl der Fragebogen recht komplex war, haben viele mitgemacht, was auch ein Interesse und ein Be- dürfnis zeigt. Was sind die Resultate der Auswertung, wo liegt der Stress der Schweizer Landwir- te und Bäuerinnen? Die Umfrage ist noch nicht voll- ständig ausgewertet. Der Trend geht aber dahin, dass doch die langen Arbeitszeiten und die hohe Arbeitsbelastung als gros- An der Agroscope-Online- Umfrage zur psychischen Ar- beitsbeanspruchung haben 292 Landwirte, Betriebsleiter, Angestellte, Bäuerinnen und Familienarbeitskräfte teilge- nommen. 71 % davon Tierhal- ter, 21% Frauen. Sie beant- worteten Fragen zu Stress- empfinden, Alltag, Wohlbefin- den und Stressbewältigungsst- rategien. Mit 19,8 Punkten lie- gen die Landwirte im Erleben von Stress höher als Angestell- te im öffentlichen Dienst, wel- che in einer Vorstudie durch- schnittlich 17,3 Punkte er- reichten. Laut ersten Ergeb- nissen der Umfrage fühlen sich Bauern und Bäuerinnen vor allem durch die hohe Ar- beitsbelastung und die langen ERGEBNISSE DER UMFRAGE ZUM STRESS Arbeitszeiten herausgefor- dert. Als weitere grosse Hürde sehen sie den administrativen Aufwand, gefolgt vom Stress durch wechselnde Vorschrif- ten. Eine geringe Rendite führt zudem zu Geldsorgen auf Schweizer Betrieben. Die Agrarpolitik 14–17 löst Unzu- friedenheit aus. Nur rund 5% der Umfrageteilnehmer lassen ein Aufatmen zu. Viele Be- triebsleiter stören sich an den häufigen Kontrollen und dem Druck von aussen. Vor allem Milchviehhalter fühlen sich ausgelaugter und bemerkten mehr körperliche Beschwer- den als ihre Kollegen vom Ackerbau. Die gleiche Umfra- ge wird nun in der West- schweiz durchgeführt. pam Dauerstress ist negativ. se Herausforderung wahrge- nommen werden. Auch der ho- he administrative Aufwand so- wie die immer wechselnden Vorschriften, das politische Umfeld sowie Geldsorgen wur- den von vielen als belastend ge- nannt. Es gab auch viele Wort- meldungen, dass man zufrieden mit der Lebenssituation sei. Stress ermöglicht Erfolgserlebnisse. Wo sehen Sie als Stressfor- scherin auf Landwirtschafts- betrieben Schlüsselsituatio- nen, die zu Stress führen kön- nen? Ein Moment ist sicher, wenn Landwirtschaftsbetriebe wach- sen. Da sollte genau hinge- schaut werden, was das für die einzelnen Personen als Arbeits- kräfte heisst. Bringt das Wachs- tum so viel, dass ich jemanden einstellen kann, oder schaffe ich das alleine? Bleibt unter dem Strich wirklich mehr, oder gibts nur mehr Arbeit? Planung ist hier ganz wichtig, dass man nicht in dieser Arbeitsfalle lan- det. Der technische Fortschritt hat uns viel Zeit beschert, die wir jedoch nicht dazu nutzen, um mehr freie Zeit zu haben, sondern wir füllen sie mit im- mer mehr Leistung. Anstatt zu entlasten, wurde die Messlatte höher gelegt. Doch nicht immer ist das Maximum die beste Wahl. Deshalb ist eine gute – vorgängige Planung ein Schlüssel zur Verminderung von negativem Stress. Wenn man überfordert ist, egal in welchem Bereich, fragt man sich unweigerlich irgendwann nach Sinn und Zweck des Gan- zen. «Packen Sie deshalb die Gelegenheit am Schopf, jeder kann seine persönliche Situati- on ändern», ermutigt Franziska Bischof-Jäggi, Paar- und Fami- lientherapeutin aus Zürich. Wenn man überall am Anschlag ist, wird es Zeit, die Belastungen in allen Lebensbereichen zu analysieren und in Richtung der persönlichen Balance zu verän- dern. Weg zur Balance 1. Ziele setzen: «Setzen Sie sich beruflich wie privat realisti- sche Ziele: Langfristziele stel- len die Leitplanken für die nächsten Schritte dar, kurzfris- tige helfen bei der Entschei- dung, welche Dinge Sie heute tun sollen und welche nicht.» 2. Prioritäten festlegen: Anhand der Ziele die Prioritäten festle- gen: Allen kann man es nicht recht machen. Dingen den Vor- rang geben, die dem Tages- oder Unser Wohlbefinden und unsere Widerstandsfähig- keit werden in vielen Be- reichen beeinflusst. Im Guten wie im Schlechten. PAMELA FEHRENBACH Langfristziel entsprechen. «Set- zen Sie Prioritäten und lernen Sie Nein zu sagen». 3. Zeitma- nagement: Planen hilft, mit der Zeit die zur Verfügung stehende Zeit besser einschätzen zu kön- nen. Am Vorabend den Tätig- keitsplan für den nächsten Tag stichwortartig festhalten. Am Freitag vor dem Wochenende den Zeitplan für die kommende Woche erstellen. Dabei die Pri- oritätensetzung in allen Berei- chen beachten, damit Geschäft- liches und Privates darin Platz haben. 4. Disziplin: Ohne diszi- plinierte Umsetzung scheitert jedes Zeitmanagement. Über- prüfen Sie die Resultate regel- mässig. «Lassen Sie sich von Fehlplanungen und -einschät- zungen nicht entmutigen – dass man sich anfänglich zu viel vor- nimmt, ist normal», weiss Fran- ziska Bischof aus Erfahrung. Arbeit Im beruflichen Bereich stre- ben wir vor allem nach Erfolg – gut so! Der Wunsch nach Erfolg hilft uns, den steigenden Anfor- derungen entsprechen zu kön- nen. Dass die Arbeit die zeitlich intensivste Komponente in un- serem Lebensmix darstellt, ist normal. Alarmzeichen: Fühlen wir uns mehrheitlich erfüllt und selbstbestimmt, ist alles in Ord- nung. Nehmen wir uns aber eher als ausgenutzt und ausge- liefert wahr, sollten wir han- deln. Sofortmassnahmen: Die Überlastung oder das Problem ansprechen und für Entlastung sorgen. Längerfristig sollten vielleicht auch die Ziele über- prüft werden. Wurden sie zu hoch gesteckt? Familie und Umfeld «In den allermeisten Fällen stellt dieser Bereich unseren Fels in der Brandung dar», sagt Franziska Bischof. Partner- schaft und Familie seien Werte, auf welche wir uns verlassen. Stabile und erfreuliche Kontak- te zu Freunden sind wichtige Quellen des Wohlbefindens. Das Zusammensein mit der Fa- milie, der Austausch und die ge- meinsamen Erlebnisse berei- chern, machen glücklich und zufrieden. Alarmzeichen: Iso- lation und Rückzug, man mag nicht mehr diskutieren, erklä- ren, berühren, sondern will nur seine Ruhe haben. Das kann ein Zeichen von Überforderung sein und zeugt von Vernachläs- sigung dieses Lebensbereichs. Sofortmassnahmen: Freunde, Familie und Partner bewusst pflegen und sich die Zeit dafür frühzeitig im Planer eintragen, damit es nicht ein frommer Wunsch bleibt. Gesundheit Zur Gesundheit gehört nicht nur das körperliche, sondern auch das geistige und emotiona- le Wohlbefinden. «Sie ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit», so Bischof. Genü- gend Bewegung, gesunde Er- nährung und Erholung beein- flussen unsere Gesundheit posi- tiv. Alarmzeichen: Längere Druckphasen können zu ge- sundheitlichen Reaktionen füh- ren: Mit Magen-, Kopf- und Rü- ckenschmerzen, oft zusammen mit einer inneren Leere und De- pressionen, wehren sich Körper und Geist gegen anhaltenden, übermässigen Druck. «Die Leis- tungsfähigkeit und auch die Leistungsbereitschaft nimmt ab – man fühlt sich leichter über- fordert, alles fällt schwerer, die Batterien sind leer.» Sofort- massnahmen: auf gesunde Er- nährung mit viel Vollkornpro- dukten, Gemüse und Früchten achten. Viel Bewegung (nicht Arbeit!) an der frischen Luft. Ei- ne Entspannungstechnik ler- nen, die man in Zukunft im Be- darfsfall anwenden kann. Gesellschaft Tätigkeiten in Vereinen, Or- ganisationen und für die Gesell- schaft können enorm berei- chern und einen wertvollen Ausgleich zum Alltag darstel- len. Alarmzeichen: Man fühlt sich überfordert und fremdbe- stimmt. Sofortmassnahme: We- niger ist mehr. Motivation über- prüfen. Weshalb mache ich es überhaupt? Im Buch «Hamsterrad im goldenen Käfig» gibt Fran- ziska Bischof-Jäggi Tipps, wie man Gewohnheiten än- dern kann. Ein Buch für alle, denen Arbeit und Gesund- heit wichtig sind. pam Franziska Bischof-Jäggi: «Hamsterrad im goldenen Käfig», Knapp Verlag 2010 ISBN 978-3-905848-26-7, 29.80 Fr. BUCHTIPP Samstag, 23. Mai 2015 DOSSIER • 23 Hat man die Kontrolle, ist Stress nicht negativ Man kann ein Gefühl für das innere Gleichgewicht entwickeln Christina Umstätter vom Agroscope Tänikon erforscht das Stressempfinden in der Landwirtschaft . (Bild: zvg) Zwischendurch durchatmen und sich freuen. (Bild: Fotolia)

Hat man die Kontrolle, ist Stress nicht negativ · für sich nicht das Problem, auch wenn sie gross ist. Ein Schlüs-selelement ist das eigene Befin-den: Fühle ich mich fremdbe-stimmt

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Hat man die Kontrolle, ist Stress nicht negativ · für sich nicht das Problem, auch wenn sie gross ist. Ein Schlüs-selelement ist das eigene Befin-den: Fühle ich mich fremdbe-stimmt

Stress lass nach

«Schweizer Bauer»: Wer vielzu tun hat, ist umgangssprach-lich «im Stress». Aber hohe Ar-beitsbelastung muss nicht un-bedingt Stress auslösen,stimmt das?Christina Umstätter, AgroscopeTänikon: Genau, Stress ist ur-sprünglich eine Funktion, wel-che uns Extra-Antrieb gibt, umBelastungsphasen zu meistern,wie früher etwa Flucht oderKampf. Durch den Energie-schub hilft uns die Stressreakti-on, über eine gewisse Zeit leis-tungsfähiger zu sein und ermög-licht damit auch Erfolgserleb-nisse. Das bezeichnet man alspositiven Stress, Eustress ge-nannt. Daneben gibt es aberauch den Distress, mit dem kei-ne positiven Gefühle in Verbin-dung gebracht werden. Hält die-ser über einen längeren Zeit-raum an, als Dauerstress, istdies negativ oder gar schädlich.Dann kommen wir nicht mehraus der Belastung heraus. Die-ser Stress hat in erster Linienicht mit der wie auch immergearteten Belastung zu tun, son-dern mit dem Gefühl, welchesman damit verbindet, und derMöglichkeit, wie man daraufreagieren kann. Er entstehtauch, wenn ich mich nicht mehrregenerieren, erholen kann.

Was sind Auslöser von negati-vem Stress?Eine extrem starke zeitliche Be-lastung, welche man nicht mehrausgleichen kann, führt auf län-

Beim Stress gelte es, denpositiven Eustress vomnegativen Distress zu un-terscheiden, unterstreichtChristina Umstätter vomAgroscope Tänikon. Po-sitiver Stress mache unszum Beispiel kurzfristigleistungsfähiger.

INTERVIEW:PAMELA FEHRENBACH

gere Sicht zu Dauerstress. Be-lastung an sich ist nichts Negati-

ves. Aber auf Belastungszeitenmüssen Regenerationssequen-zen folgen, um im Gleichge-wicht zu bleiben. Die körperli-che Belastung selbst ist an undfür sich nicht das Problem, auchwenn sie gross ist. Ein Schlüs-selelement ist das eigene Befin-den: Fühle ich mich fremdbe-stimmt oder überfordert, wirktsich der Stress negativ aus. Füh-le ich mich aber in der Kontrolleder eigenen Situation und habeich gar ein Erfolgserlebnis, hat

der Stress mir zum Erfolg ver-holfen, kann also positiv erlebtwerden.

Was sind Anzeichen von nega-tivem Stress?Wenn man zum Beispiel nachder Arbeit nicht abschaltenkann, immer in Gedanken ander Arbeit oder in der Belas-tungssituation bleibt, wenn ei-nem das Gedankenkarussellden Schlaf raubt. Wenn mandünnhäutig, ungeduldig, ver-gesslich und weniger belastbarwird. So kann sich dann derStress auch negativ auf andereLebensbereiche auswirken.

Sie haben eine Umfrage zurpsychischen Arbeitsbelastungbei Schweizer Landwirten und

Bäuerinnen durchgeführt.Weshalb wurde sie gemacht?Wir wollen herausfinden, wie esmit der psychischen Belastungin der Landwirtschaft wirklichaussieht. Man liest oft von psy-chischen Problemen und Burn-out. Doch Daten gibt es kaum.Die Umfrage ist erst der ersteSchritt.

Was beinhaltete die Umfrage?Wir haben mit einem zweiteili-gen Fragebogen gearbeitet. Dererste Teil nach einem bestehen-den validierten Modellfragebo-gen, welcher sich auf die eigenepersönliche Einschätzung desStressempfindens bezieht. Wirmöchten wissen, wie der Ein-zelne den Stress oder die Situa-tionen erlebt. Den zweiten Teilhaben wir ausgearbeitet, um ob-jektiv herauszufinden, wie starkdie bekannten Stress-Sympto-me vorhanden sind. Wir fragenzum Beispiel nach Schlafstö-rungen und so weiter. Spätermöchten wir die Stressbelas-tung noch objektiver messen.Der Fragebogen soll uns helfen,herauszufinden, was in derLandwirtschaft als besondersstressvoll empfunden wird, da-mit man diese Situationen zumBeispiel für objektive Messun-gen berücksichtigen kann. Da-mit man irgendwann Empfeh-lungen für Massnahmen ma-chen kann, die wirklich auch et-was bewirken und zur Entspan-nung der Situation führen.

Was hat die Umfrage gezeigt?Erst mal war es sehr spannend,wir haben sehr viele persönli-che Kommentare bekommen,eine grosse Bandbreite vonMenschen hat mitgemacht, diesich Zeit genommen und ihreLebensgeschichte mit uns ge-teilt haben. Von Geschichtenüber Burn-out und Depressio-nen bis hin zu ganz positivenWortmeldungen, dass alles su-per laufe und das Leben in derLandwirtschaft einfach toll sei,

war alles dabei. Obwohl derFragebogen recht komplex war,haben viele mitgemacht, wasauch ein Interesse und ein Be-dürfnis zeigt.

Was sind die Resultate derAuswertung, wo liegt derStress der Schweizer Landwir-te und Bäuerinnen?Die Umfrage ist noch nicht voll-ständig ausgewertet. Der Trendgeht aber dahin, dass doch dielangen Arbeitszeiten und diehohe Arbeitsbelastung als gros-

An der Agroscope-Online-Umfrage zur psychischen Ar-beitsbeanspruchung haben292 Landwirte, Betriebsleiter,Angestellte, Bäuerinnen undFamilienarbeitskräfte teilge-nommen. 71% davon Tierhal-ter, 21% Frauen. Sie beant-worteten Fragen zu Stress-empfinden, Alltag, Wohlbefin-den und Stressbewältigungsst-rategien. Mit 19,8 Punkten lie-gen die Landwirte im Erlebenvon Stress höher als Angestell-te im öffentlichen Dienst, wel-che in einer Vorstudie durch-schnittlich 17,3 Punkte er-reichten. Laut ersten Ergeb-nissen der Umfrage fühlensich Bauern und Bäuerinnenvor allem durch die hohe Ar-beitsbelastung und die langen

ERGEBNISSE DER UMFRAGE ZUM STRESS

Arbeitszeiten herausgefor-dert. Als weitere grosse Hürdesehen sie den administrativenAufwand, gefolgt vom Stressdurch wechselnde Vorschrif-ten. Eine geringe Rendite führtzudem zu Geldsorgen aufSchweizer Betrieben. DieAgrarpolitik 14–17 löst Unzu-friedenheit aus. Nur rund 5%der Umfrageteilnehmer lassenein Aufatmen zu. Viele Be-triebsleiter stören sich an denhäufigen Kontrollen und demDruck von aussen. Vor allemMilchviehhalter fühlen sichausgelaugter und bemerktenmehr körperliche Beschwer-den als ihre Kollegen vomAckerbau. Die gleiche Umfra-ge wird nun in der West-schweiz durchgeführt. pam

Dauerstress istnegativ.

se Herausforderung wahrge-nommen werden. Auch der ho-he administrative Aufwand so-wie die immer wechselndenVorschriften, das politischeUmfeld sowie Geldsorgen wur-den von vielen als belastend ge-nannt. Es gab auch viele Wort-meldungen, dass man zufriedenmit der Lebenssituation sei.

Stress ermöglichtErfolgserlebnisse.

Wo sehen Sie als Stressfor-scherin auf Landwirtschafts-betrieben Schlüsselsituatio-nen, die zu Stress führen kön-nen?Ein Moment ist sicher, wennLandwirtschaftsbetriebe wach-sen. Da sollte genau hinge-schaut werden, was das für dieeinzelnen Personen als Arbeits-kräfte heisst. Bringt das Wachs-tum so viel, dass ich jemandeneinstellen kann, oder schaffe ichdas alleine? Bleibt unter demStrich wirklich mehr, oder gibtsnur mehr Arbeit? Planung isthier ganz wichtig, dass mannicht in dieser Arbeitsfalle lan-det. Der technische Fortschritthat uns viel Zeit beschert, diewir jedoch nicht dazu nutzen,um mehr freie Zeit zu haben,sondern wir füllen sie mit im-mer mehr Leistung. Anstatt zuentlasten, wurde die Messlattehöher gelegt. Doch nicht immerist das Maximum die besteWahl. Deshalb ist eine gute –vorgängige – Planung einSchlüssel zur Verminderungvon negativem Stress. ●

Wenn man überfordert ist, egalin welchem Bereich, fragt mansich unweigerlich irgendwannnach Sinn und Zweck des Gan-zen. «Packen Sie deshalb dieGelegenheit am Schopf, jederkann seine persönliche Situati-on ändern», ermutigt FranziskaBischof-Jäggi, Paar- und Fami-lientherapeutin aus Zürich.Wenn man überall am Anschlagist, wird es Zeit, die Belastungenin allen Lebensbereichen zuanalysieren und in Richtung derpersönlichen Balance zu verän-dern.

Weg zur Balance1. Ziele setzen: «Setzen Siesich beruflich wie privat realisti-sche Ziele: Langfristziele stel-len die Leitplanken für dienächsten Schritte dar, kurzfris-tige helfen bei der Entschei-dung, welche Dinge Sie heutetun sollen und welche nicht.» 2.Prioritäten festlegen: Anhandder Ziele die Prioritäten festle-gen: Allen kann man es nichtrecht machen. Dingen den Vor-rang geben, die dem Tages- oder

Unser Wohlbefinden undunsere Widerstandsfähig-keit werden in vielen Be-reichen beeinflusst. ImGuten wie im Schlechten.

PAMELA FEHRENBACH

Langfristziel entsprechen. «Set-zen Sie Prioritäten und lernenSie Nein zu sagen». 3. Zeitma-nagement: Planen hilft, mit derZeit die zur Verfügung stehendeZeit besser einschätzen zu kön-nen. Am Vorabend den Tätig-keitsplan für den nächsten Tagstichwortartig festhalten. AmFreitag vor dem Wochenende

den Zeitplan für die kommendeWoche erstellen. Dabei die Pri-oritätensetzung in allen Berei-chen beachten, damit Geschäft-liches und Privates darin Platzhaben. 4. Disziplin: Ohne diszi-plinierte Umsetzung scheitertjedes Zeitmanagement. Über-prüfen Sie die Resultate regel-mässig. «Lassen Sie sich von

Fehlplanungen und -einschät-zungen nicht entmutigen – dassman sich anfänglich zu viel vor-nimmt, ist normal», weiss Fran-ziska Bischof aus Erfahrung.

ArbeitIm beruflichen Bereich stre-

ben wir vor allem nach Erfolg –gut so! Der Wunsch nach Erfolghilft uns, den steigenden Anfor-derungen entsprechen zu kön-nen. Dass die Arbeit die zeitlichintensivste Komponente in un-serem Lebensmix darstellt, istnormal. Alarmzeichen: Fühlenwir uns mehrheitlich erfüllt undselbstbestimmt, ist alles in Ord-nung. Nehmen wir uns abereher als ausgenutzt und ausge-liefert wahr, sollten wir han-deln. Sofortmassnahmen: DieÜberlastung oder das Problemansprechen und für Entlastungsorgen. Längerfristig solltenvielleicht auch die Ziele über-prüft werden. Wurden sie zuhoch gesteckt?

Familie und Umfeld«In den allermeisten Fällen

stellt dieser Bereich unserenFels in der Brandung dar», sagtFranziska Bischof. Partner-schaft und Familie seien Werte,auf welche wir uns verlassen.Stabile und erfreuliche Kontak-te zu Freunden sind wichtigeQuellen des Wohlbefindens.

Das Zusammensein mit der Fa-milie, der Austausch und die ge-meinsamen Erlebnisse berei-chern, machen glücklich undzufrieden. Alarmzeichen: Iso-lation und Rückzug, man magnicht mehr diskutieren, erklä-ren, berühren, sondern will nurseine Ruhe haben. Das kann einZeichen von Überforderungsein und zeugt von Vernachläs-sigung dieses Lebensbereichs.Sofortmassnahmen: Freunde,Familie und Partner bewusstpflegen und sich die Zeit dafürfrühzeitig im Planer eintragen,damit es nicht ein frommerWunsch bleibt.

GesundheitZur Gesundheit gehört nicht

nur das körperliche, sondernauch das geistige und emotiona-le Wohlbefinden. «Sie ist nichtnur die Abwesenheit vonKrankheit», so Bischof. Genü-gend Bewegung, gesunde Er-nährung und Erholung beein-flussen unsere Gesundheit posi-tiv. Alarmzeichen: LängereDruckphasen können zu ge-sundheitlichen Reaktionen füh-ren: Mit Magen-, Kopf- und Rü-ckenschmerzen, oft zusammenmit einer inneren Leere und De-pressionen, wehren sich Körperund Geist gegen anhaltenden,übermässigen Druck. «Die Leis-tungsfähigkeit und auch die

Leistungsbereitschaft nimmt ab– man fühlt sich leichter über-fordert, alles fällt schwerer, dieBatterien sind leer.» Sofort-massnahmen: auf gesunde Er-nährung mit viel Vollkornpro-dukten, Gemüse und Früchtenachten. Viel Bewegung (nichtArbeit!) an der frischen Luft. Ei-ne Entspannungstechnik ler-nen, die man in Zukunft im Be-darfsfall anwenden kann.

GesellschaftTätigkeiten in Vereinen, Or-

ganisationen und für die Gesell-schaft können enorm berei-chern und einen wertvollenAusgleich zum Alltag darstel-len. Alarmzeichen: Man fühltsich überfordert und fremdbe-stimmt. Sofortmassnahme: We-niger ist mehr. Motivation über-prüfen. Weshalb mache ich esüberhaupt? ●

Im Buch «Hamsterrad imgoldenen Käfig» gibt Fran-ziska Bischof-Jäggi Tipps,wie man Gewohnheiten än-dern kann. Ein Buch für alle,denen Arbeit und Gesund-heit wichtig sind. pam

Franziska Bischof-Jäggi: «Hamsterradim goldenen Käfig», Knapp Verlag 2010ISBN 978-3-905848-26-7, 29.80 Fr.

BUCHTIPP

Samstag, 23. Mai 2015 DOSSIER • 23

Hat man die Kontrolle, ist Stress nicht negativ

Man kann ein Gefühl für das innere Gleichgewicht entwickeln

Christina Umstätter vom Agroscope Tänikon erforscht dasStressempfinden in der Landwirtschaft . (Bild: zvg)

Zwischendurch durchatmen und sich freuen. (Bild: Fotolia)