1 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 2 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− URSULA INGOLD, SAMBIA, 1967-69
− EVEL
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– 20
14
—DIE JUBILÄUMSAUSGABE DER AUSTAUSCH ZUM 50 JÄHRIGEN BESTEHEN DER ORGANISATION INTERTEAM KONNTE MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG FOL-GENDER INSTITUTIONEN UND PERSONEN REALISIERT WERDEN:
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Katholische Kirchgemeinde Luzern
Brunner Druck und Medien, Kriens
Esther Kiner (Gestaltungskonzept)
René Regenass (Redaktion)
Allen portraitierten Personen
Geschäftsstelle INTERTEAM
Herausgeber: INTERTEAM
(eine Schweizer Organisation der Perso-
nellen Entwicklungszusammenarbeit)
Bilder: Archiv INTERTEAM
RENÉ REGENASS, REDAKTOR JUBILÄUMSAUSGABE DER AUSTAUSCH
Mit viel Freude und Engagement ist
der erfahrene Journalist René Rege-
nass in die fünfzigjährige Geschichte
von INTERTEAM eingetaucht. In sie-
ben ausgewählten Portraits schil-
dert Regenass faszinierende und
packende Erlebnisse ehemaliger Fach-
leute und vermittelt so ein lebhaf-
tes Bild des Hilfswerks INTERTEAM
und der Schweizerischen Personel-
len Entwicklungszusammenarbeit
während den letzten fünfzig Jahren.
Der pensionierte Medienschaffende
arbeitete von 1964 bis 1994 als Redaktor
und Mitarbeiter in unterschiedlichen
Ressorts bei den Luzerner Neusten
Nachrichten (LNN). In den 80er-Jahren
war Regenass zusätzlich tätig für das
Regionaljournal Radio DRS und für
die Schweizer Familie. Es folgten wei-
tere Aufträge für Schweizer Medien, so
auch für die WoZ oder «Luzern Heute».
Auch heute noch ist der kompetente
Luzerner Journalist regelmässig für
lokale Medienprodukte aktiv.
AUSTAUSCHDIE ZEITSCHRIFT VON INTERTEAM
DERJUBILÄUMSAUSGABE
INTERTEAM
Unter-Geissenstein 10/12
CH-6005 Luzern
T +41 41 360 67 22
F +41 41 361 05 80
PC 60-22054-2
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www.facebook.com/
interteam
3 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 4 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− VRENI PFISTER, PAPUA-NEUGUINEA, 1975-80
Die Beweggründe für einen Einsatz haben sich
gewandelt. Doch eines ist gleichgeblieben: Der An-
trieb, sich einzulassen. Dies durften 2’500 Schweizer
Berufsleute in den vergangenen 50 Jahren bei Ein-
sätzen im Süden für INTERTEAM selber erfahren.
50 Jahre INTERTEAM schlagen den
Bogen von der christlichen Mission
zur Entwicklungszusammenarbeit.
Ledige Laienmissionare schöpften in
den Sechzigerjahren aus ihrer Spiritu-
alität Kraft. Der Aufbau einer Schule
oder eines Spitals sollte Bildung und
Gesundheit bringen. Partner waren
lokale Bischöfe und Ordensgemein-
schaften. Den Rechenschaftsbericht
durfte man mit Bleistift verfassen.
Es gab Gegenden, wo es noch keine Coca Cola gab. Die Kolo-
nialgeschichte war greifbar, die weltumspannende Solidarität
begründet im christlichen Ideal.
Die Befreiungstheologie erschien als weitere bewegende
Kraft. Spiritualität wurde revolutionär und ganzheitlich,
es ging um Gewächshäuser und Bildungsprogramme für
Frauen. Später folgte ein eher «technischer» Ansatz. Man
begann umfassend zu planen, zählen, messen und auszuwer-
ten. Die Entwicklungshelfer und -helferinnen plagten sich mit
leintuchgrossen Monitoring-Programmen, Computer sei Dank.
Selbstkritik wurde schon bald ein integraler Teil der Ent-
wicklungshilfe: Partizipation! Gender! Nachhaltigkeit!
5 —MIT DER LAIENHELFER- ORGANISATION FING ALLES ANRose-Marie Füglistaller (81), Gründerin von LAMIS
1950-60er Die Wurzeln
von INTERTEAM
9 —
18 JAHRE AUF ZEHN MISSIONS- STATIONEN IN VIER LÄNDERNCécile Portmann (78), Krankenschwester
1963-1969 Schweizerisches
Katholisches
Laienhelferwerk SKLW
13 —
EIN LEBEN VOLLER ENGAGEMENT FÜR EINE BESSERE WELTPia Hollenstein (64), Pflegefachfrau
1970-1979 Vom Laienhelferwerk
zum eigenständigen
Hilfswerk
17 —
EINE BASISGEMEINDE UND DAS KULTURZENTRUM ALS RESULTATTherese und Paul Vettiger-Meister, Bibliothekarin/Theologe
1980-1989 Von der Entwicklungs-
hilfe zur Entwicklungs-
zusammenarbeit
21 —«WIR STEHEN HEUTE AN EINEM ANDERN ORT»Max Elmiger (57), Theologe,
und Präsident INTERTEAM
1990-1999 Unité /
Konzentration
25 —
«ICH HABE ALLES GEMACHT IN NAMIBIA: MAKLER, CHAUFFEUR, BUCHHALTER, JOURNALIST»Beni Affolter (59), Lehrer
2000-2009 Selbstverantwortung und
Capacity Development
29 —
«MEINE HEUTIGE STELLE HÄTTE ICH OHNE DIE NICARAGUA- ERFAHRUNG NIE BEKOMMEN.»Yvonne Vásquez (46), Marketingfachfrau
Seit 2010 Vernetzung und
strategische Partnerschaften
—«Jede Bewegung verläuft in der Zeit und hat ein Ziel» (Aristoteles)—
—«Nicht ohne
Grund kommt Wasser in
Bewegung» (aus Afrika)
—
Aus den Helfenden werden Fachleute mit einem 'Logical
Framework' in der Hand als Werkzeug. Die Programme der
Personellen Entwicklungszusammenarbeit (PEZA) fordern
Vermittlung und Austausch von Know-how unter Wissens-
trägern auf Augenhöhe. Was bewegte die Laienhelferin
damals ebenso wie die Fachperson
heute? Es ist die empathische und an-
gepasste Intervention. Der Austausch
von fachlichem Wissen, mit dem Ziel,
die Lebensgrundlagen einer Bevölke-
rungsgruppe zu verbessern; ein Ansatz,
der konstant überzeugt.
Ich bin mir nicht sicher, ob INTERTEAM
«nur» als Organisation so lange Be-
stand gehabt hätte. INTERTEAM
ist und soll immer auch Bewegung
sein. Nicht nur der interessante Job in Tansania oder
Bolivien ist es, welcher immer noch unsere Fachleute
reizt; es ist auch die Nähe zu den Menschen im Süden,
die Herausforderung und die Erfüllung, sich bewegen
zu lassen von Schicksalen in einer fremden Kultur. Und
gleichzeitig etwas zu einer gerechteren Welt beitragen zu
können. Seit 50 Jahren lassen sich INTERTEAM-Fachleute
auf diese Bewegung ein – und dafür bin ich dankbar; für
jeden und jede in dieser grossen Bewegung Nord-Süd-Nord!
Max Elmiger, Präsident INTERTEAM
VORWORT INHALT
5 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 6 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
—«Am Anfang waren wir mit 33 sich im Einsatz befindenden Frauen und Männern in Kontakt, Ende 1963 bereits mit 115.»—
− BEI DER KOORDINATION DER LAMIS-AKTION HATTE ROSE-MARIE
FÜGLISTALLER ALLE HÄNDE VOLL ZU TUN. NUR BEIM ABENDESSEN MIT KASPAR GÖNNT SIE SICH EINE KLEINE PAUSE.
Hört man Rose-Marie Füglistaller (81) genau zu, wird man mit einem Schlag in die Vergangenheit und die Anfänge von INTERTEAM versetzt. LAMIS, die von Füglistaller gegründete Vorgängerorganisation, hat die Wurzeln von INTERTEAM massgeblich geprägt und der heutigen Organisation in Sachen Solidarität und Unterstützung ihren Stempel aufgedrückt.
Vor dem Gespräch mit Rose-
Marie Füglistaller entdeckte
ich in der Kurzgeschichte von
INTERTEAM den Ausdruck
«Laie» und «Mission» und kam
so dem Begriff LAMIS etwas näher.
LAMIS steht für «Arbeitsgemeinschaft
der Laien-Missionshelfer der Schweiz»
oder auch für «Vereinigung Deutsch-
schweizer Laien-Missionare». So jeden-
falls steht es auf einem A4-Blatt aus
dem Jahr 1961, das mir Rose-Marie
Füglistaller aushändigt.
Diese Vereinigung ging Ende
1959 aus dem Vorbereitungskurs der
Caritas-Auslandhilfe in Zürich hervor,
aus welchem sich Teilnehmer zu einer
aktiven Gruppe zusammenschlossen,
woraus die Gruppe Zürich resultierte.
Zweck war einerseits die vertiefte Vorbe-
reitung auf einen Einsatz im Missions-
gebiet, andererseits sich bereits in der
Schweiz helfend einzusetzen.
«Schon bald wurde uns klar»,
sagt Rose-Marie Füglistaller, «dass
es am besten wäre, sich hinter unsere
eigenen Leute, die Laienhelfer, zu stellen.
Und zwar hinter jene, die schon irgendwo
in einem Einsatz
standen, wie auch
hinter die Zukünf-
tigen und ebenso
die Ehemaligen.»
So wurden die Ad-
ressen von etwa 30
Laienhelfern aus-
findig gemacht,
die sich bereits
im Einsatz befanden. Erste Reaktionen
ergaben ein grosses Interesse an einer
Organisation, die in der Heimat hinter
ihnen stehen würde. Dafür gab es ver-
schiedene Gründe: Die Laien wurden
nicht überall gut aufgenommen. Ältere
Missionare hatten oft Mühe, sich damit
abzufinden, dass nun Laien, welche bloss
für eine befristete Zeit auf ihre Missions-
station kamen, bei ihnen wirken sollten.
«Wenn sie endlich etwas von der Sache verstehen, so gehen sie
wieder!», sei oftmals von den Missionaren zu hören gewesen,
meint Rose-Marie Füglistaller. Zudem waren die Laien viel-
fach vom Leben der Missionare ausgeschlossen und fühlten
sich einsam. «Am Anfang waren wir mit 33 sich im Einsatz
befindenden Frauen und Männern in Kontakt, Ende 1963
bereits mit 115», erläutert Füglistaller. Die Absicht lag somit
auf der Hand: Die Laienhelfer sollten zu einer Gemeinschaft
zusammenwachsen. Es musste ein Austausch entstehen und
damit die Gewissheit, Sorgen und auch Freuden teilen zu
können. Zudem sollte die neue Organisation die Laienhelfer
gegenüber den Missionsgesellschaften und der Caritas vertreten.
DIE WICHTIGE BETREUUNG DER RÜCKKEHRERDurch die zusätzlichen Vorbereitungskurse in Basel,
Luzern und gelegentlich in Olten und St. Gallen entstanden
mehrere Gruppen. Dabei übernahm die Gruppe Basel schon
bald die Betreuung der Rückkehrer. «Für die Rückkehrenden
MIT DER LAIENHELFER- ORGANISATION FING ALLES AN− Rose-Marie Füglistaller, Gründerin von LAMIS
7 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 8 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− LAMIS SENDETE WÄHREND DER GROSSEN WINDEL-AKTION 1962 KLEIDCHEN
UND TÜCHER IM GESAMTWERT VON 70'000 FRANKEN NACH ÜBERSEE. ZUERST MUSSTEN DIE GESPENDETEN WAREN ABER FÜR DEN VERSAND ABGEPACKT
WERDEN – MITTEN DRIN IM KLEIDERBERG ROSE-MARIE FÜGLISTALLER.
− DAS EHEMALIGE CHALET AN DER GUGGISTRASSE IN LUZERN WAR DREH- UND ANGELPUNKT VON LAMIS. NICHT NUR DIE GRÜNDUNGSVERSAMMLUNG WURDE HIER ABGEHALTEN; AUCH HANDWERKERKURSE FÜR ANGEHENDE LAIENHELFER ODER HILFSAKTIONEN WURDEN IN DEN RÄUMLICHKEITEN DURCHGEFÜHRT.
war es nicht immer leicht, nach ein paar Jahren im Busch sich
in der Heimat wieder zurechtzufinden. Hilfe bei Wohnungs-
und Arbeitssuche waren angesagt. Aber ebenso wichtig war
es, sie in unsere Gemeinschaft zu integrieren, damit sie über
ihre Eindrücke im Einsatz reden konnten und verständnis-
volle Ohren fanden», meint Füglistaller. Künftige Laienhelfer
seien dabei froh um alles gewesen, was sie von den bestan-
denen Frontleuten zu hören bekamen.
Gelegentlich waren auch Interventionen bei den Mis-
sionsgesellschaften notwendig. Nicht selten wurden Leute, die
für einen Einsatz rekrutiert worden waren und deshalb Stelle
und Wohnung kündigten, mit dem Bescheid konfrontiert, dass
sie erst Monate später ausreisen können. «Das war für diese
Leute mehr als unangenehm. Sie hatten plötzlich weder Ar-
beit noch Unterkunft. Für den Missionar hingegen spielte es
keine Rolle. Er konnte im Kloster leben.»
DIE GRÜNDUNG VON LAMIS 1962Was aus dem Caritas-Ausbildungskurs heraus ent-
stand, war also die Vereinigung der Laienhelfer der Deutsch-
schweiz, oder der Laienmissionare, wie sie später hiessen.
Diese junge Organisation, die sich ab Sommer 1961 LAMIS
nannte, wurde im September 1962 offiziell gegründet. Sowohl
Leitung, Redaktion, wie auch der Kontakt mit den Leuten
im Einsatz, blieb von Ende 1959 bis Ende 1963 bei Rose-
Marie Füglistaller. Das wichtigste Instrument, um die Mit-
glieder zu einer grossen Familie zusammenwachsen zu lassen,
waren die LAMIS-Rundbriefe, die monatlich in der Schweiz
und zweimonatlich nach Übersee versandt wurden. Es waren
Diskussionsforen mit Informationen über die Situation im
Einsatz und über die Bemühungen in der Heimat.
LAMIS war also Anlaufstelle für jene Frauen und
Männer, die sich in den frühen sechziger Jahren für die Ent-
wicklungshilfe entschieden. In Luzern traf man sich jeden
Montag zu Arbeitsabenden im sogenannten Chalet an der
Guggistrasse, ein altes Holzhaus, das längst nicht mehr steht.
Neben vielem anderem wurden in Basel und Luzern Hand-
werkerkurse für Frauen, als Vorbereitung für den Missions-
einsatz, durchgeführt. In Basel und in Zürich gab es auch
Englischkurse.
BERGE VON WINDELN UND KINDERKLEIDERN FÜR 70’000 FRANKEN
Was LAMIS alles zu bewegen
vermochte, zeigt exemplarisch das Bei-
spiel einer Windel-Aktion. Das Flugblatt,
welches im Januar 1962 von Füglistal-
ler erstellt wurde, enthielt folgende
Worte: «Aus Afrika kommt ein SOS-Ruf
nach Windeln zu uns. Eine Kindergärtnerin aus dem Kanton
Luzern (Theresia Lötscher), die seit zwei Jahren als Missions-
helferin in Dar-es-Salaam in Tanganyika (heute Tansania) tätig
ist, braucht dringend Bébéartikel für ihre kleinen schwarzen
Waisenkinder. …Sag es allen Verwandten und Bekannten wei-
ter. Benötigt werden Windeln, Schlüttli, Strampelhosen und
Kleidchen für Kinder bis zu vier Jahren.»
Das Echo auf den Aufruf schien überwältigend. Die
LAMIS-Leute standen plötzlich in Bergen von Windeln und
Kinderkleidern, sortierten und schnürten Pakete für den Ver-
sand nach Afrika. «Unsere gesammelten Kindersachen fanden
den Weg nach Tanganyika, Süd- und Nordrhodesien, Nyasa-
land, Rwanda, Burundi, Ghana, Kamerun, Kongo, Indien und
Haiti. Wir konnten Kleidchen und Tücher in einem Gesamt-
wert von 70’000 Franken nach Übersee spedieren», lautet der
Hinweis im Infoblatt von Füglistaller. In einem Dankesschrei-
ben von Anna aus Haiti heisst es: «Obwohl ihr unsere Station
so reichlich beschenkt habt, bleibt davon schon nicht mehr
viel übrig. Es hat eben kein Bleiben in unseren Händen…
Die Kisten kamen einige Tage nach den Schreckenstagen mit
Überschwemmungen und Verwüstungen.»
NÄCHTELANG MIT UMDRUCK- MATRIZEN AM WERK
Ob LAMIS Bestand gehabt hätte, ohne die immense
Arbeit und das selbstlose Engagement von Rose-Marie
Füglistaller, ist fraglich. Sie ist heute 81 und erzählt fast
anderthalb Stunden pausenlos von ihren Erfahrungen. «Wenn
ich einige Nächte lang mit Umdruckmatrizen unseren LAMIS-
Rundbrief gedruckt hatte, ging ich vor dem Aufstehen meines
Vaters jeweils noch kurz ins Bett, damit dieser nicht merkte,
was ich die Nacht über alles tat», erzählt Füglistaller und nennt
damit eines von unzähligen Beispielen ihres grossen Einsat-
zes. In der Zeit von LAMIS lebte sie im Kanton Zug, wo sie
auch aufgewachsen ist. Während unserem Gespräch fällt mir
immer wieder auf, mit was für einer vielfältigen Frau ich
gerade spreche. Nach der kaufmännischen Ausbildung schob
sie ein Jahr an der Schauspielschule Zürich dazwischen.
Sie schrieb mehrere Schultheater, führte Regie und brachte
diese auf die Bühne. Rose-Marie Füglistaller hatte eine gute
Stimme. Im Theater Arth sang sie in einer Operette die weib-
liche Hauptrolle.
KRITIK AM CARITAS-LAIENHELFER-KURSDer Impuls zur Idee Laienhilfe in der Mission kam
über ein Zeitungsinserat. Die Caritas schrieb 1959 einen Kurs
für Leute aus, die als Laien in die Mission gehen wollten.
Rose-Marie Füglistaller besuchte darauf einmal im Monat
Informationsveranstaltungen in Zürich. «Der Saal war voll»,
erinnert sie sich. An einem Abend fand sie sich mit drei Män-
nern beim Bier. «Man kritisierte den Kurs und fand, man sollte
da selbst etwas anpacken. Aber niemand ergriff die Initiative.
Daraufhin verlangte ich bei der Caritas die Teilnehmerliste,
schrieb an alle Adressen einen Brief und regte eine Zusam-
menkunft an. Das war der Start.» Mit wenigen Helfern schuf
Rose-Marie Füglistaller für die Laienhelfer so ein Auffang-
netz. Aus familiären Gründen war sie selbst jedoch nie in
einem Auslandeinsatz.
In dieser Zeit arbeitete sie noch halbtags im Büro. Als
die Arbeit für die LAMIS immer zeitaufwändiger wird, gibt
sie diese Stelle auf. Nach dem Tod ihrer Mutter besorgt sie
den Haushalt, schaut zum körperlich behinderten Vater und
hilft im Kiosk. Ende Dezember1963 findet das Engagement für
die LAMIS aber ein jähes Ende. «Mein behinderter Vater gab
seinen Kiosk auf und lebte von der damals sehr bescheidenen
AHV-Rente von 75 Franken. Ich nahm deshalb eine Hundert-
prozentstelle an und machte den Haushalt. Für die LAMIS
blieb somit kein Raum mehr», meint Füglistaller mit bedau-
ernder Stimme.
Zurück zu den Laienhelferkursen der Caritas: In den
Vorbereitungssitzungen war das religiöse Element stark
vertreten. Zu einer Sitzung im September 1961 wurden 16
Hochwürden und ehrwürdige Schwestern von Menzingen
und Ingenbohl eingeladen, dazu kamen 15 andere Personen,
doch auch sie meistens mit einem Bezug zu einer katholi-
schen Institution. Bekamen die Kurse dadurch nicht einen zu
gewichtigen kirchlichen Hintergrund? Rose-Marie Füglis-
taller widerspricht: «Viel zu wenig! Man glaubte an diese
Ausrichtung. Und gerade die Kursbesucher wünschten eine
bessere religiöse Vertiefung, die für sie im Missionsgebiet
nötig sein würde.» 1963 wurde das Schweizerische Katholi-
sche Laienhelferwerk gegründet und von der Bischofskon-
ferenz im Juli 1964 anerkannt. Erstmals zahlte der Bund im
Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit einen jährlichen
Beitrag für alle Laienhelfer. 1970 wird das Laienhelferwerk dann in
INTERTEAM umbenannt.
DER ANSATZ VON INTERTEAM STIMMT IMMER NOCHWo kommt die Begeisterung her, mit der sich
Rose-Marie Füglistaller bereits in der Jugendzeit für den Hilfs-
gedanken mit religiösem Hintergrund einsetzte? «Ich bin in
einer sehr religiösen Familie aufgewachsen. Wir haben von der
Not in den Drittweltländern gesprochen. Direkte Hilfe leis-
ten war damals nur über die Missionsgesellschaften möglich.
Diese richteten Schulen und Werkstätten ein. Das Wort ’Ent-
wicklungshilfe’ gab es in den ersten 1960er-Jahren noch nicht.»
Wie sieht Rose-Marie Füglistaller mit ihren 81 Jahren heute
die Entwicklungshilfe? «Sie ist immer noch richtig. Aber
es muss in Zusammenarbeit mit den Menschen geschehen,
denen man helfen will.» Der Ansatz von INTERTEAM erscheint
ihr immer noch richtig und zeitgemäss.
9 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 10 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
—«Ich habe in Bolivien ein Kind während der Geburt sterben sehen. Das hat mich auf den Gedanken der Hebammen- Ausbildung gebracht.»—
− CÉCILE PORTMANN IN BOLIVIEN
Die Begeisterung ist fast greifbar, wenn Cécile Portmann (78) von ihren Erleb-nissen auf den Missionsstationen in Bolivien, Angola, im Tschad und in Kamerun erzählt. Das Helfen und der missionarische Gedanke waren immer zentral. 18 Jahre war sie im Ausland im Einsatz. In den Bürgerkriegen in Angola und im Tschad stand sie Soldaten gegenüber, die mit dem Gewehr in der Hand Zugang zum Medikamentenschrank forderten. «Die Position als Kranken-schwester hat uns geschützt; sie waren auf uns angewiesen», sagt Cécile Portmann heute.
Am Ende des Gesprächs sagt Cécile Portmann: «Das
Leben auf den Missionsstationen und die Erinne-
rungen an die Kinder, Frauen und Männer in den
fremden Ländern ist mein Reichtum. Das ist viel
mehr als Geld. Das kann mir niemand wegnehmen.»
Cécile Portmann hat die ersten sieben Lebensjahre im Kloster
Baldegg verbracht, wo ihr Vater angestellt war. Nachher lebte
die Familie auf dem Hof Oberhuwil bei Hochdorf. «Ech bin
es Buuremeitschi», sagt sie. Nach den Schuljahren reiste sie
für das Französisch-Jahr nach Antibes in Frankreich. 1956
begann Cécile Portmann die Krankenschwesterschule am
Kantonsspital Luzern. Es folgt Baden. Die Arbeit am Kantons-
spital führte sie mit den Redemtoristenpatres zusammen.
Die Redemtoristen sind ein im 18. Jahrhundert gegründe-
ter männlicher Missionsorden. Ende 1962 weilte ein Bischof
dieses Ordens aus Bolivien im Priesterhaus bei Baden. Ein
Gespräch mit ihm führte bei Cécile Portmann zum Entschluss,
als Krankenschwester in die Mission zu gehen. «Das war mein
Wunsch», meint Portmann. Wo kam denn dieser Impuls her?
«Ich hörte in der Schule Vorträge über die Missionsarbeit.
Dann wusste ich, dass ich so etwas machen wollte.» Die Re-
ligion hat einen festen Platz im Leben von Cécile Portmann.
Eine erste Spur wurde sicher in den Kinderjahren im Kloster
Baldegg gelegt.
MIT DEM SCHIFF NACH BUENOS AIRES 1963 kam der grosse Moment: Die Luzernerin reiste
mit einem Pater, der auf Heimaturlaub war, mit dem Schiff
von Genua nach Buenos Aires. Die Reise dauerte einen Mo-
nat. «Auf der Schifffahrt lehrte mich der Pater die spanische
Sprache», erzählt Cécile Portmann. «Die anschliessende Zug-
fahrt nach La Paz dauerte über eine Woche. Erster Einsatzort
war Fatima im Gebiet des Rio Beni, wo Redemtoristenpatres
eine Missionsstation führten.» Fatima liegt völlig im Urwald,
verfügt aber über einen Flugplatz, wo Flugzeuge landen und
starten konnten. Es gab keinen anderen Verkehrsweg.
Cécile Portmann betreute dort gemeinsam mit einer
anderen Schwester die Krankenstation. Es gab relativ wenig
Arbeit, worauf sie von einem Schweizer Pater auf eine andere
Missionsstation, nach Corendo, geholt wurde, ebenfalls im
Urwald gelegen. Dieser Ort konnte nur auf dem Fluss- und
Landweg zu Fuss erreicht werden. «Als wir dort ankamen,
veranstalteten die Einheimischen ein grosses Fest», erzählt
Cécile Portmann. Es handelte sich um etwa fünfhundert
Leute, die wegen Überschwemmungen aus Trinidad abgezogen
waren und ’das verheissene Land’ suchten. Sie waren
ausnahmslos katholisch.»
ALLEIN SECHS STUNDEN IM URWALD UNTERWEGS
Es war für Cécile Portmann eine bewegte Zeit in
Bolivien. Nach der Zeit in Fatima ging sie nach Colorado,
sechs Stunden zu Fuss durch den Urwald. Die Schweizerin war
Krankenschwester, mitunter auch Lehrerin und gleichzeitig
Kontaktperson für fast alles. Sie lebte wie die Einheimischen
in einer Hütte. Ein Erlebnis wirkt heute noch nach. Cécile
Portmann lief in diesem Hüttendorf barfuss, wie alle andern.
Als sie von einem Kind zu einer Kranken geholt wurde, übersah
sie eine Schlange, die einem Baumstrunk ähnlich am Boden
lag. Doch die Schlange blieb ruhig. «Überhaupt: In der Erin-
nerung überstand ich den Einsatz in Bolivien gesund, auch in
der kühlen Regenzeit, der man relativ schutzlos ausgeliefert
gewesen ist. Ich war allein als weisse Frau in diesem Hütten-
dorf. Kein Raum war abschliessbar. Die Wände und Dächer
bestanden aus Matten von Palmblättern. Angst kannte ich
nicht. Erst beim Abschied sagte man mir, dass ständig jemand
den Auftrag gehabt habe, mich zu beschützen.» Machte die
Ernährung keine Probleme? Cécile Portmann: «Überhaupt
nicht. Es gab Bananen, Papaya, Mango und Yuka, ein kartof-
felähnliches Wurzelgemüse, aus dem auch Schnaps gebrannt
wurde. Viele Feste wurden gefeiert und dabei nicht schlecht
getrunken. Des Weiteren gab es Hühner, Eier oder Fische aus
dem Fluss. Die Männer gingen auf die Jagd.» In Simai, auf ei-
ner weitern Missionsstation, wirkte Cécile Portmann nicht nur
als Krankenschwester sondern auch als Lehrerin.
18 JAHRE AUF ZEHN MISSIONS-
STATIONEN IN VIER LÄNDERN
− Cécile Portmann, Krankenschwester
11 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 12 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− DIE FOTOS ZEIGEN CÉCILE PORTMANN WÄHREND IHREN UNERMÜDLICHEN EINSÄTZEN IN ANGOLA
1966 im Herbst folgte die Rückkehr in die Schweiz,
wieder nach Baden ans Kantonsspital, aber bereits mit
dem Vorsatz, erneut in die Mission zu gehen. Vorher noch
absolvierte sie die einjährige Hebammenschule in Luzern,
anschliessend gleich noch die Ausbildung in Intensivpflege. «Ich
habe in Bolivien ein Kind während der Geburt sterben sehen.
Das hat mich auf den Gedanken der Hebammen-Ausbildung
gebracht», erzählt Portmann.
EIN INTERTEAM-EINSATZ IN ANGOLAAuf der Hebammenschule lernte Cécile Portmann eine
Walliser Arzttochter kennen, Mariebet Briner aus Zermatt.
Sie wollte als Hebamme in ein Spital nach Angola, das von
einem Pater aus Zermatt gebaut worden ist. So entstand bei
Cécile Portmann die Idee nach Angola mitzugehen. Das Spital
in Quinjenje wurde von einem Arzt aus Hergiswil bei Willisau
übernommen, der hier ein Spitalteam zusammenstellte. Diese
Delegation entsprach vollumfänglich einem INTERTEAM-
Projekt. Das Team reiste per Schiff von Lissabon nach Lobito.
Das Spital musste aber schon bald als Folge des
Krieges in Angola geschlossen werden. Nach einem kurzen
Abstecher zurück in die Schweiz folgte bereits der nächste Ein-
satz in Angola, diesmal mit den Lasalette-Patres in Gatumbela
in der Nähe der Hafenstadt Lobito. Die Luzernerin führte in
einem Armenviertel mit etwa 20’000 Einwohnern eine Kran-
kenstation und betreute Geburten, alles mit Hilfe der Einhei-
mischen. Unzählige hungernde Kinder, unterernährt, mager,
mit Eiweissmangel, profitierten von ihrer Hilfe. «Wir hatten
Medikamente aus der Schweiz, durch Beziehungen der Patres
zur Basler Pharmaszene», erklärt Cécile Portmann.
Das Portugiesisch, das dort gesprochen wurde, lernte
Cécile Portmann auf einem Kurzaufenthalt in Lissabon. In
Gatumbela erlebte sie dann den Bürgerkrieg hautnah. «Das
war eine Katastrophe. Wir zitterten auf unserem Hügel über
der Stadt. Die Soldaten nahmen uns das Fahrzeug weg. Wir
mussten aus nächster Nähe mit ansehen, wie die Menschen
erschossen wurden. Im hohen Maisfeld richteten sie ein Mas-
sengrab ein. Von INTERTEAM sind wir dann zurückbeordert
worden», erzählt Cécile Portmann.
zeigten sie, was sie wollten. Ich gab es ihnen.» Ende September
– Cécile Portmann war bereits in der nahen Stadt – wurde die
Krankenstation geplündert und in Brand gesetzt. Ihr weniges
Hab und Gut ging dabei verloren.
ENDLICH ZURÜCK IN DIE SCHWEIZ ?Nun endlich die Rückkehr in die Schweiz, folgere ich
aus unserem Gespräch. Cécile Portmann begehrt auf: «Sicher
nicht. Ich ging nach Douvangar ins Nachbarland Kamerun.
Auch dort wirkten Schwestern auf Missionsstationen, Euro-
päerinnen und Nordamerikanerinnen. Ein Schweizer Pater
sagte mir, auf einer Krankenstation fehle eine Krankenschwes-
ter. Dort weilte ich rund ein Jahr, ebenfalls im Auftrag von
INTERTEAM. Der Aufenthalt in dieser Berglandschaft war für
mich einmalig. Häufig war kein Wasser vorhanden. Es musste
über einen vierstündigen Fussmarsch hergeholt werden. Bis dann
italienische Ingenieure im Auftrag des Staates Wasserquellen
fanden. War das ein Fest bei den Menschen in den Dörfern!»
Cécile Portmann hat sich bei ihren Auslandeinsät-
zen Gefahren ausgesetzt und ist grosse gesundheitliche
Risiken eingegangen. War sie sich dessen bewusst? «Ja, sicher.
Aber ich habe nie Angst gehabt. Ich fühlte mich beschützt und
getragen von einem grossen Freundeskreis. Und in den Kriegs-
situationen oder bei Krankheiten hat auch das Gebet geholfen.»
Im September 1986 kehrte Cécile Portmann endgültig
in die Schweiz zurück. Bis ins Jahr 2000 arbeitete sie nun als
Pflegerin im Elisabethenheim in Luzern. «Das war für mich
IM KRIEG AUF EINER KRANKEN- STATION IM TSCHAD
Bereits ein Jahr später, 1977, kam vom Kloster Mon-
torges der Franziskanerinnen bei Fribourg die Anfrage für
einen Einsatz im Tschad. Es ging um den Aufbau einer Mis-
sionsstation. Diesmal stellte Cécile Portmann jedoch eine
Bedingung: Sie wollte den Einsatz zusammen mit ihrer Freun-
din aus Zermatt leisten. Der Wunsch wird ihr erfüllt. «Wir
waren auf einer Krankenstation mit zehn Betten, in Donja,
60 Kilometer von der Stadt entfernt, ohne Arzt wohlgemerkt.
Meine Freundin machte die Geburten.» Die Freundin von
Cécile Portmann ist heute 92 Jahre alt und lebt im Alters-
heim in Zermatt.
Nach einem Jahr ging Cécile Portmann auf Hei-
maturlaub und kehrte dann 1979 in den Tschad zurück.
«Damals herrschte eine schlimme Hungersnot. Und dann
kam der Krieg dazu. Ich war am Ort die einzige Europäerin,
zusammen mit den einheimischen Schwestern. An einem Mor-
gen im September 1984 begann die Schiesserei aus dem Busch in
Richtung unserer Station, weil bei uns Armeeangehörige
weilten. Es gab Verletzte, Tote. Die afrikanischen Schwestern
wurden auf Anordnung des Bischofs in die Stadt gefahren.
Ich blieb alleine dort, um die Kranken und Verletzten zu versor-
gen.» Frage: Sind sie von den Rebellen direkt bedroht worden?
«Sicher. Sie standen mit dem Gewehr vor mir und forder-
ten mich auf, den Medikamentenschrank zu öffnen. Dann
eine gute Lösung, weil ich nach den Jahren der selbständigen
Arbeit in Afrika nicht mehr in ein Akutspital hätte wechseln
können. Ich habe auf den Krankenstationen alles gemacht und
alles selber entschieden, ohne Arzt. Im Elisabethenheim bin
ich dann in eine andere Dritte Welt gekommen.»
—EINIGE STATIONEN VON CÉCILE PORTMANN
Februar 1963Aussendung als Missionshelferin durch die
Redemtoristen in der Kapelle Mariawil bei Baden.
1963 bis 1966Fatima in Bolivien.
1968 bis 1972Quinjenje in Angola im INTERTEAM-Einsatz.
Bürgerkrieg.
1974 bis 1976Wieder in Angola, auf der Krankenstation
in Gatumbela.
1977 bis 1984Tschad. Bürgerkrieg.
1984 bis 1985Douvangar in Nordkamerun.
—
13 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 14 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
—«Sie war geprägt von den Dis-kussionen über die Ausbeutung des Südens durch den Norden.»—
− IN DEN DÖRFERN WURDE VERSUCHT, BASISWISSEN ÜBER HYGIENE,
ENTWICKLUNG DES KINDES, IMPFUNG UND KRANKHEIT ZU VERMITTELN. ALS LEITLINIE DIENTE IMMER DIE PRÄVENTION. VIELE KINDER BENÖTIGTEN
BEISPIELSWEISE EINE MALARIATHERAPIE.
Verantwortung, Herausforderung, Gelassenheit, Hilfe leisten. Die Worte wieder-holen sich im Gespräch. Pia Hollenstein (64) hat ein Leben lang das Sinngebende gesucht. Und auch gefunden. In Papua Neuguinea als Pflegefachfrau bei den Menschen im Busch, in der Intensivpflege am Kantonsspital Luzern, als Berufs-schullehrerin in St. Gallen und vor allem auch während 15 Jahren als Nationalrätin der Grünen in Bern.
Den INTERTEAM-Einsatz leistete Pia Hollenstein in
jungen Jahren, unter Dreissig, von 1976 bis 1979,
wo sie auf der Südseeinsel Papua Neuguinea ein
Gesundheitszentrum leitete. Wer sich für Politik
interessiert, kennt Pia Hollenstein als Nationalrä-
tin der Grünen (von 1991 bis 2006). Auf der Homepage lesen
wir von ihrem konsequenten Engagement in sozialer, öko-
logischer, feministischer und friedenspolitischer Hinsicht.
Der Lebenslauf offenbart ein unge-
wöhnlich breites Feld von beruflichen,
nebenberuflichen und gemeinnützigen
Tätigkeiten. Seit vier Jahren ist Pia
Hollenstein Bildungsverantwortliche
im Spital und Pflegeheim in Appenzell.
Und könnte dort in diesem Jahr in Pen-
sion gehen, wenn sie denn will.
Was ist der Sinn hinter diesem engagierten, aufwendigen
Leben? Pia Hollenstein erinnert sich an die Jugendzeit: «Sie
war geprägt von den Diskussionen über die Ausbeutung des
Südens durch den Norden. In Libingen im Toggenburg, wo
ich auf einem Bauernhof mit acht Geschwistern aufgewach-
sen bin, kamen Missionarinnen und Missionare ins Dorf
und berichteten von ihrer Arbeit für die Armen in der Welt.
Solche Berichte faszinierten mich. Dazu kamen Fragen zur
Werthaltung in den 68er-Jahren.»
Sieht Pia Hollen-
stein lediglich
das Nord-Süd-
Ungleichgewicht
als Motiv für ihr le-
benslanges Pflegen
und Umsorgen ih-
rer Mitmenschen?
«Ich bin gerne mit Menschen zusammen, bin schnell bereit zu
helfen», erklärt sie, als wäre dies das Natürlichste der Welt.
«Mein Leben und meine Lebenshaltung sind geprägt von
spannenden Herausforderungen. Es ist ein innerer Antrieb.»
DAS ANSPRUCHSLOSE LEBEN GESUCHT Als Pflegefachfrau allein bei den Ureinwohnern in
Papua Neuguinea – die grösste Herausforderung? «Die Idee
für einen Einsatz in einem Land des Südens war schon in der
Berufsausbildung da», sagt Pia Hollenstein. «Wir haben ver-
sucht, unser Leben einfach zu gestalten und auf die lokalen
Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen. Am Abend gab es wäh-
rend drei Stunden Strom vom Generator, ein Holzkochherd
genügte. Wir lebten abgeschieden in der fremden Welt. Es
gab keine Strasse. Unser Wohnort war nur mit dem Flugzeug
erreichbar, etwa zwanzig Minuten Flugzeit von der Provinz-
Hauptstadt Madang entfernt. Zuerst hatte ich etwas Angst
vor dieser Perspektive, vor Ort erlebte ich die Abgeschieden-
heit aber als positiv und wertvoll». In der ganzen Provinz Ma-
dang waren Missionsstationen der Steyler-Missionare, die
auch in Steinhausen im Kanton Zug und im St. Galler Rheintal
Niederlassungen haben. Die Steyler-Missionare in Papua Neu-
guinea gehörten zu den Ersten, welche den Einsatz von Laien
förderten. Schon zehn Jahre vor dem Einsatz von Pia Hollen-
stein war eine Gruppe von zehn Lehrpersonen aus der Schweiz
mit INTERTEAM in Papua Neuguinea.
Pia Hollenstein erinnert sich auch, wie ihr medizini-
sches Wissen willkommen gewesen sei. Trotzdem habe sie ver-
sucht, auch die Werte der Einheimischen zu beachten: «Wir
liessen zum Beispiel einheimische Zauberer zu, wenn sie zu
Kranken gerufen wurden.» Ein besonderes Erlebnis gibt Aus-
druck für die Nähe zwischen der Schweizer Pflegefachfrau
und der einheimischen Bevölkerung: «Ich musste auf einem
dünnen Baumstamm einen grossen Bergbach überqueren und
sagte, es wäre dann für meine Angehörigen schon nicht gut,
wenn ich hier zu Tode stürzen würde. Worauf ein Einheimi-
scher meinte, ich müsste mich nicht sorgen, sie würden mich
schon hier beerdigen. Das war ein deutliches Zeichen für
meine Zugehörigkeit.»
UNTERERNÄHRTE KINDER, WEIL SIE NICHT ESSEN WOLLTEN
Wie hat die eigentliche pflegerische Arbeit ausgese-
hen? Pia Hollenstein hat mit ihrem Team von Einheimischen
in der Gesundheitsversorgung ein Gebiet entsprechend der
Hälfte des Kantons Zürich abgedeckt, und dies alles ohne
Arzt. Von der Gesundheitsstation aus – dem «Buschspital» –
haben sie auch abgelegene Dörfer besucht. Die Frage nach
den medizinischen Schwerpunkten erübrigt sich sozusagen.
«Es gab einfach alles, ausser Verkehrsverletzte. Es gab keine
Strassen und darum auch keine Unfälle», erzählt Pia Hollenstein.
Grosse Bedeutung hatte die ’under five Clinic’, die monatli-
che Kontrollen aller Kinder bis fünf Jahre in der ganzen Um-
gebung durchführte. Dabei standen Ernährungsfragen der
EIN LEBEN VOLLER ENGAGEMENT FÜR EINE BESSERE WELT− Pia Hollenstein, Pflegefachfrau
15 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 16 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
—«INTERTEAM hat die Hilfe zur Selbsthilfe verwirklicht. Das ist immer noch richtig. Es ist wichtig, am Einsatz- ort zuerst abzuklären, was die Menschen vor Ort brauchen. Wir sind so auf den Einsatz vorbereitet worden.»—
− MIT DEM EINSATZ VON PIA HOLLENSTEIN VERBESSERTE SICH AUCH DIE GESUNDHEIT VON UNZÄHLIGEN KINDERN. DADURCH SANK DIE KIN-DERSTERBLICHKEIT UND STIEG DAS VERTRAUEN DER BEVÖLKERUNG IN DIE ARBEIT VON INTERTEAM.
− DÖRFER, DIE OFTMALS TAGELANG WÄHREND DER REGENZEIT ÜBER-SCHWEMMT WAREN, KONNTE PIA HOLLENSTEIN UND IHR TEAM NURMITTELS BOOT ERREICHEN. DIE KONSULTATIONEN WURDEN SO JEWEILS VOM KANU AUS GEMACHT.
Kleinkinder im Vordergrund. «Der Grund
lag nicht im Mangel an Nahrungsmit-
teln, sondern der Haltung. Wenn ein Kind
nicht essen wollte, liess man es machen.
Die Kinder wurden oft allzu lange nur
mit Muttermilch ernährt und so von Mo-
nat zu Monat dünner. Wurde eine be-
stimmte Gewichtsgrenze unterschritten,
kamen die Kinder ins Spital. Für die zu-
sätzliche Ernährung stand Milchpulver
zur Verfügung, welches beim Health
Center in der Stadt bestellt werden
konnte. Zum Gesundheitsprogramm
gehörten auch die Betreuung und Be-
handlung von Schwangeren, die
Behandlung von Malaria-Erkrankun-
gen, von Durchfall und die Wundmedizin.
Dazu gab es eigentliche Präventionspro-
gramme mit Impfungen», erklärt Pia
Hollenstein. Man habe auch Druck aus-
geübt, damit in jedem Dorf ein funktio-
nierendes WC eingerichtet wurde. «Wir
haben zu den Müttern gesagt, wir kä-
men erst wieder ins Dorf, wenn ein
WC bestehe, respektive Latrinen, weil
ja kein fliessendes Wasser zur Verfü-
gung stand.» Ist Pia Hollenstein nie
erkrankt während des dreijährigen
Einsatzes? «Die Malaria war schon prä-
sent. Wenn ich am Sonntag das Medi-
kament zur Vorbeugung vergass, hatte
ich am Mittwoch Malaria», meint Pia
Hollenstein schmunzelnd.
Die Lücken in der gesundheit-
lichen Versorgung bestanden in Papua
Neuguinea vor rund vierzig Jahren vor
allem in den abgelegenen Urwaldgebie-
ten. In den bewohnten Teilen verfügte
das Land über gute gesundheitliche Ein-
richtungen und über genügend Spitäler.
Ein kleiner Teil der Spitäler wurde von
Missionen geführt, die anderen vom
Staat. Notwendige Medikamente waren
vorhanden. Sie wurden vorwiegend aus
Indien importiert, weil sie dort im Welt-
marktvergleich am günstigsten waren.
Bestehen heute, nach vierzig
Jahren, noch Kontakte ins Einsatzland?
«Ich habe noch Verbindung zu einem
Steyler-Missionar, ab und zu auch mit
einheimischen Klosterfrauen. Und ich
lese hie und da in den Online-Zeitun-
gen.» Und die Situation jetzt? «Die wirt-
schaftliche Lage hat sich verändert.
Es gibt Jugendarbeitslosigkeit. Es
kommt vor, dass die Regierung die Löhne
für das Gesundheitspersonal nicht zah-
len kann. Dann geht das Pflegepersonal
auf die Strasse. Neu in Papua Neuguinea
ist Aids.» Für Entwicklungszusammen-
arbeit im beschriebenen Sinne bestehe
heute in Papua Neuguinea kein Bedarf
mehr, ist Pia Hollenstein überzeugt. «Es
braucht kein Pflegepersonal und auch
keine Landwirte mehr aus Übersee. Doch
Berufsleute mit sehr spezialisiertem
Fachwissen sind nach wie vor gefragt.»
«PAPUA NEUGUINEA WAR PRÄGEND»
«INTERTEAM hat die Hilfe zur
Selbsthilfe verwirklicht. Das ist immer
noch richtig. Es ist wichtig, am Einsatz-
ort zuerst abzuklären, was die Menschen
vor Ort brauchen. Wir sind so auf den
Einsatz vorbereitet worden. Der drei-
jährige Aufenthalt in Papua Neuguinea
war für mich prägend. Ich bin seither
noch stärker sensibilisiert für die Fra-
gen um reich und arm, um Nord und Süd.
Ich kann jetzt auch glaubwürdiger argu-
mentieren. Meine Aussagen sind heute
mit Erfahrungen unterlegt. Ausserdem
habe ich mit dem Einsatz Verständnis
gewonnen für das Andere. Das heisst:
Menschen aus anderen Kulturen sind
für uns wertvoll, sie sind eine Bereiche-
rung», ist Pia Hollenstein überzeugt.
In St. Gallen besteht noch eine
INTERTEAM-Ortsgruppe. Diese hatte
früher eine grössere Bedeutung, weil
sie sich um die Rückkehrer kümmerte.
Das im Einsatzland Erlebte konnte so
weitererzählt und verarbeitet werden.
Heute sind es vor allem ältere Fachleute,
die sich noch treffen. Jüngere Jahrgänge
scheinen diesen Austausch nicht mehr so
zu brauchen. Ausserdem existiert noch
eine Ländergruppe Papua Neuguinea
mit rund zwanzig Mitgliedern, die sich
regelmässig trifft.
Entwicklungszusammenar-
beit und Politik, früher und heute? Was
hat sich verändert? «Mir scheint, dass
Entwicklungshilfe – das ist ja der
politisch geläufige Ausdruck – früher aus
Unkenntnis der Verhältnisse als nicht so
wichtig erachtet wurde. Und heute, wo
die Fakten längst bekannt sind, scheut
man sich nicht, die eigenen Interessen
so hoch zu gewichten, dass Ausbeu-
tung und ungerechte Verhältnisse oder
auch Menschenrechtsverletzungen in
Kauf genommen werden, so zum Bei-
spiel bei der Waffenausfuhr», meint Pia
Hollenstein. Umso mehr ist sie überzeugt,
dass der partnerschaftliche Ansatz von
INTERTEAM – der Austausch von Wissen
auf Augenhöhe – welcher auf Wertschät-
zung und Respekt basiert, wichtiger sei
als je zuvor.
17 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 18 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
—«Befreiungstheologie, Engage-ment in Solidaritätsgruppen, Diskussionen mit den Schülern und ein stetes Interesse für Südamerika, das waren die Motivationsbausteine.»—
Es ist eine Mischung aus Freude und Dankbarkeit,
wenn sie heute davon erzählen. Therese und Paul
Vettiger-Meister – in Kolumbien waren sie Pablo und
Teresa, was sonst – haben in einem Armenviertel in
der Küstenstadt Montería unter Mithilfe der ein-
heimischen Jugendlichen eine Bibliothek aufgebaut. Heute
ist daraus ein Kulturzentrum geworden. Da finden Lesun-
gen mit lokalen Autoren, Autorinnen statt, da wird Theater
gespielt, Hausaufgaben gemacht, gesungen und getanzt.
Es gibt Frauengruppen, die Kurse veranstalten oder Kunst-
handwerk verkaufen. «Das Zentrum lebt», sagt Therese
Vettiger. Das ist, neben vielen guten Erinnerungen auf
beiden Seiten, ein Werk, das geblieben ist.
Paul Vettiger ist in Baden aufgewachsen, hat Theo-
logie und Philosophie in Paris studiert und war als Religi-
onslehrer in verschiedenen Aargauer Kantonsschulen tätig.
Die Motivation zur Theologie? Hat es einen Auslöser gege-
ben? «Ich war am Kollegi in Einsiedeln», erklärt Paul Vettiger.
«Und dann kam eine Zeit der Öffnung und des Dialogs, vor
allem in Paris, wo ich den Aufbruch mit dem II. Vatikanischen
Konzil und der 68er-Generation erlebte.» Befreiungstheologie,
Engagement in Solidaritätsgruppen, Diskussionen mit den
Schülern und ein stetes Interesse für Südamerika, das waren
die Motivationsbausteine.
Therese Meister stammt aus Biel und arbeitete in
Luzern als Bibliothekarin auf der Zentralbibliothek. «In
Zürich habe ich in einer Arbeitsgruppe Dritte Welt mitge-
macht. Wir arbeiteten an der Uni an einem Projekt für Peru,
wo damals eine linke Militärdiktatur regierte. Diese Arbeit,
mit viel Drittweltlektüre verbunden, motivierte mich für ei-
nen Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit.»
EIN BISCHOF SUCHTE LEUTE FÜR DEN BASISEINSATZ Die ersten Kontakte von Therese und Paul Vettiger lie-
fen über die Schweizerische Missionsgesellschaft Bethlehem,
Immensee (SMB), welche damals mit INTERTEAM zusammen-
arbeitete. Die Immenseer hatten in Kolumbien Kontakt mit
Carlos José Ruiseco, dem Bischof von Montería. Er reiste 1979
nach Europa, suchte Leute für Basiseinsätze in seinem Bistum
und lernte Paul und Therese Vettiger und die beiden Kinder
Andrea und Michael kennen. «Wir erlebten Carlos Ruiseco als
freundlichen, offenen Menschen, aber nicht befreiungstheo-
logisch orientiert», sagt Paul Vettiger. «Wir hatten ein gutes
Gefühl und willigten schnell ein. Mit INTERTEAM bereiteten
wir uns dann in einem dreimonatigen Kurs vor.»
Im Mai 1980 in Kolumbien angekommen, stand
ein zweimonatiger Sprachkurs in Cali bevor. Dann zog die
Familie Vettiger nach Montería, eine Stadt mit rund 500'000
Einwohnern mit einem feuchtwarmen, fast tropischen Klima.
Ausserhalb des Zentrums hatte die Stadt einen dörflichen
Anstrich. Therese Vettiger: «Wir richteten uns im leer ste-
henden Jugendhaus des Bistums ein. Der Bischof holte uns
am Provinzflugplatz persönlich ab und führte uns gleich zu
unserem neuen Zuhause. Es bestand aus einem grossen Zim-
mer und einem kleinen Bad. Kaum betreten, drehte Paul am
Wasserhahn, aber Wasser floss keines. Mit der Zeit gewöhn-
ten wir uns daran, dass es eigentlich nur in der Nachtzeit,
aber auch dann nicht immer, Wasser gab.»
Von der ersten positiven Überraschung berichtet
Paul Vettiger: «Im gleichen Gebäude wohnte die Familie der
Doña Margarita, die dort als alleinerziehende Mutter mit fünf
Kindern lebte. Wir kamen also an mit Koffern, verschwitzt,
ungewaschen. Doch Doña Margarita organisierte für uns ei-
nen Empfang und brachte Essen und Trinken. Wir erhielten
den einzigen Ventilator im Haus. So fühlten wir uns vom ers-
ten Moment an umsorgt und aufgenommen. Der Kontakt mit
dieser Familie ist heute noch intensiv.»
Und dann? Was haben sie gemacht in Montería? «Das
Projekt war nicht so genau definiert. Mit den heute übli-
chen entwicklungstechnischen Ansätzen wäre es nicht ver-
gleichbar», sagt Paul Vettiger. «Am Rande der Stadt gab es
Armenviertel. Da hatten vertriebene Menschen über Nacht
unbewohntes Terrain besetzt und ihre Hütten aufgestellt.
In einem langen Prozess von 10 bis 15 Jahren sind diese aus
Bambus, Brettern und Palmblättern erstellten Behausungen
dann verbessert worden. In solchen Quartieren, Barrios sagt
man ihnen, hat uns der Bischof eingesetzt, ohne zu sagen,
was er erwartete».
«PABLO EL GRINGO» «Wir sind extrem aufgefallen in diesen Barrios»,
erzählt Therese Vettiger. «Wir waren wie Leute von einem an-
deren Planeten. Klar, wir litten unter der Hitze, waren mit
hochroten Köpfen unterwegs, in Gegenden, wo der Abfall vor
sich hin stank.» Kontakte haben sich leicht ergeben, erzählen
die beiden. Sie trafen bald eine Frau, eine Art Leadertyp, im
Sie waren sechs Jahre in Kolumbien. Und haben dort gemeinsam etwas aufgebaut. Therese und Paul Vettiger-Meister sind auch heute, nach 30 Jahren, noch überzeugt: «Es ist sinnvoll in die Ferne aufzubrechen, um mit den Menschen dort gemeinsam an einer Kultur der Menschenwürde und Menschen-rechte zu arbeiten.»
EINE BASIS-GEMEINDE UND DAS
KULTURZENTRUM ALS RESULTAT
− Therese und Paul Vettiger-Meister,
Bibliothekarin/Theologe
19 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 20 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− FRÖHLICHES FAMILIENFOTO MIT PAUL UND THERESE VETTIGER (PAUL VORNE LINKS KNIEND; THERESE DRITTE VON RECHTS STEHEND).
− MARIA CAMPO, PRÄSIDENTIN DES ARMENVIERTELS BARRIO SANTA FÉ, UNTERSTÜTZE VETTIGERS WÄHREND IHREM EINSATZ UND VERMITTELTE KONTAKTE ZU EINHEIMISCHEN.
Barrio Santa Fé: Maria Campo. Sie war
Präsidentin des Armenviertels. Sie öff-
nete den Schweizern die ersten Türen.
Was Therese Vettiger registrierte: «Viele
meinten, wir kämen als Missionare zu
ihnen und waren deshalb skeptisch bis
distanziert. Dazu beigetragen hat ver-
mutlich auch der Bart von Pablo.» Pablo
ergänzt: «Ich sah fast aus wie ein Hippie.
Dazu meinten viele, Suiza (Schweiz) liege
etwas nördlich von Kolumbien, in der
Nähe der USA. Und ‘Gringos’ brauchte
man hier nicht.» Gringo ist in Lateiname-
rika immer noch eine leicht abschätzige
Bezeichnung für Yankees. Pablo zeigt mir
den Beweis, eine Gasrechnung, ausge-
stellt auf den Namen ‘Pablo el Gringo’.
Das Kennenlernen, das Mitfüh-
len, das Dabeisein, gehörten zur ersten
Etappe im Prozess eines Basiseinsatzes.
«Diese Beziehungen auf einer menschli-
chen Ebene waren eigentlich das Zentrale
zu Beginn unseres Auftrages», sagt Paul
Vettiger. Dazu trugen auch unsere bei-
den Kinder bei, zu denen sich 1983 ein
drittes, Manuel-José, gesellte.
Therese Vettiger versucht den
sozialen Rahmen zu beschreiben: «Der
Gegensatz zwischen den Besitzlosen
vom Land und den Grundbesitzern in
der Stadt war rundum spürbar. Die Kir-
che war sehr konservativ, von Befrei-
ungstheologie keine Spur. Einzig in den
Armenvierteln spürte man ab und zu
einen politischen Ansatz. In dieser Situ-
ation versuchten wir, mit den Menschen
einen Schritt in Richtung Gemeinschaft
und solidarisches Handeln zu gehen.»
«An der Basis, bei Ordensleuten,
haben wir Ansätze zum politischen Wi-
derstand gespürt. Es gab auch sehr en-
gagierte Nonnen, die auf einen guten Job
am Gymnasium verzichteten und an der
Basis in Armenvierteln wirkten», präzi-
siert Paul Vettiger. Mit der Zeit sei eine
lebendige Basisgemeinde entstanden, mit
Ansätzen aus der Befreiungstheologie.
SEHEN, URTEILEN, HANDELN
Maria Campo hatte einen Sohn,
der als Guerillaführer wirkte. Vettigers
erlebten auch junge Menschen im Pro-
jekt, die sich mit den Guerillas ange-
freundet hatten. «Wir haben das nur
erahnt, nie richtig durchschaut. Plötz-
lich sind Leute verschwunden. Die
Befreiungstheologie hat versucht, die
Leute zu motivieren, ihr Schicksal, ihr
Leben in die eigenen Hände zu neh-
men und für menschenunwürdige Le-
bensbedingungen zu kämpfen. Sehen,
urteilen, handeln, hiess die Devise.»
Therese Vettiger ergänzt hier: «Wir ha-
ben auf dieser Basis angefangen. Das
grosse Jugendhaus bot sich an, im In-
nenhof grosse Versammlungen abzu-
halten. Dort haben wir mit den Leuten
ihre Situation reflektiert und ver-
bindliche Abmachungen getroffen.
Es wurde aber nicht nur geredet, son-
dern auch gespielt, musiziert, gesungen
und getanzt.
Heute gibt es effiziente, wir-
kungsorientierte Projekte. Davon war
damals noch nicht viel zu hören. Wir
mussten zuerst die Bedürfnisse klären.»
Aus den Begegnungen entstand dann die
Frage nach dem Handeln. Was machen
wir jetzt? Nochmals Therese Vettiger:
«Von den jungen Leuten kam sehr bald
die Idee, in den Armenvierteln etwas
Kulturelles auf die Beine zu stellen. Zu
Hause lief von frühmorgens bis spät
am Abend der Fernseher. Das lenkte die
Menschen von ihrer Realität ab. Als
Gegenkultur spielten wir Strassenthea-
ter, das den Leuten ihre Lebensproblema-
tik bewusst machen sollte. Es entstand
das Bedürfnis nach einer Bibliothek. Viele
Kinder hatten keinen ruhigen Ort in ihren
Hütten, um Schulaufgaben zu machen.»
STATT EINER KAPELLE EIN ZENT-RUM FÜR ALLESchon lange forderte die ener-
gische Maria Campo: «Wir brauchen
eine Kapelle, wir sind niemand, wenn
wir keine Kirche haben.» Doch es
kamen Zweifel auf wegen den Kosten;
und was geschieht mit der leerstehen-
den Kapelle, wenn kein Gottesdienst ist?
Darum konzentrierte man sich auf einen
multifunktionalen Raum, geeignet für
Versammlungen, Kurse, Kindergarten,
Partys und eben Gottesdienste. Dieses
Zentrum wurde dann erstellt, beschei-
den auf einem Betonboden mit einem
Palmdach. Es gab verschiedene Gruppen
Paul Vettiger. Der Reichtum konzentrierte sich auf
wenige Grossgrundbesitzer, Juristen, Ärzte, Politiker.
«Ein handfester Unterschied manifestierte sich in der
Wasserversorgung. Während wir in den Barrios kein Wasser
hatten, wurde in den Vierteln der Reichen der Rasen bewäs-
sert oder es wurden Autos gewaschen.»
Was ist vom Engagement geblieben? Paul Vettiger:
«Es entstand eine Basisgemeinde, eingebettet in den grossen
Strom engagierter Glaubensgemeinschaften in ganz Latein-
amerika. Ähnliches hörten wir auch von anderen Einsatzgrup-
pen, beispielsweise von der SMB oder von den Franziskanern.
Die Leader dieser Gruppen trafen sich in regionalen Treffen
zum Austausch und zur Weiterbildung. Die Franziskaner hat-
ten manchmal einen radikaleren Ansatz. Die an Treffen mitei-
nander skandierte Revolutionsparole klingt mir immer noch
in den Ohren: Un pueblo unido jamás será vencido! (Ein
geeintes Volk wird nie besiegt!). Der Wunsch des einfachen
Volkes nach Befreiung von menschenunwürdigen Bedingun-
gen war in jenen Jahren in Kolumbien breiter und stärker
geworden, wie ganz generell in Südamerika. Wir konnten
dazu kleine Impulse geben, Wege aufzeigen. Aber die Verän-
derung, den sogenannten ’cambio’ realisieren, musste das Volk
selber», meint Paul Vettiger.
Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz haben Paul und
Therese Vettiger von 1985 bis 1996 für INTERTEAM gearbei-
tet. Sie haben die Kursleitung weitergeführt und den neuen An-
sprüchen angepasst. «Wir haben begeisterte Leute rekrutiert
und sie in einem vierwöchigen Ausreisekurs auf ihren Einsatz
vorbereitet.» In der gleichen Zeit wirkten beide als Länder-
verantwortliche. Therese für Nicaragua und El Salvador, Paul
für viele Länder in Lateinamerika und im südlichen Afrika.
Für beide war INTERTEAM ein Teil ihres Lebens; und auch
heute noch fühlen sie sich der Organisation stark verbunden.
mit bestimmten Aufgaben, zum Beispiel
eine Pastoralgruppe oder eine Biblio-
theksgruppe. «Es gab auch viele Frauen,
die sich treffen wollten», sagt Therese
Vettiger. «Sie waren oft alleine für die Fa-
milie verantwortlich und wollten ihrem
Leben noch einen anderen Sinn geben.
Viele Männer verschwanden einfach, gin-
gen zu einer neuen Frau. Das war nichts
Aussergewöhnliches. Die Frauen ver-
richteten derweil in der Stadt schlecht
bezahlte Hausarbeiten.» Es sei schwie-
rig gewesen, mit diesen Frauen irgend-
eine Projektidee zu finden. Schliesslich
hätten sich die Frauen auf gesundheit-
liche Einsätze und Nachbarschaftshilfe
konzentriert.
Wie gross war der An-
teil der armen Bevölkerung?
«Sicher um die neunzig Prozent», erklärt
—«Die Revolutionspa-role klingt mir immer noch in den Ohren: Un pueblo unido jamás será vencido! (Ein geeintes Volk wird nie besiegt!)»—
—«Sehen, urteilen, handeln hiess die Devise.»—
21 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 22 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− IN CUSCO KÜMMERTE SICH MAX UND MERCEDES ELMIGER UM DIE LASTEN-TRÄGER UND ORGANISIERTEN WEITERBILDUNGSANGEBOTE. DABEI LAG DIE GROSSE HERAUSFORDERUNG IN DER SPRACHE; MEHRHEITLICH VERSTÄN-DIGTEN SICH DIE LASTENTRÄGER NOCH IMMER MITTELS 'QUECHUA', DER SPRACHE DER INKAS. (AUCH SEITE 26 RECHTS)
Das professionelle Umfeld ist spürbar, wenn Max Elmiger (57) über Entwick-lungszusammenarbeit spricht. Der Theologe war neun Jahre in Peru, ist heute Direktor der Caritas Zürich und Präsident von INTERTEAM. Wenn er erzählt, ergibt sich ein Bild mit Konturen. Und er bemüht sich deutlich, die Unterschiede von heutiger Entwicklungszusammenarbeit zur einstigen Hilfe mit religiös- missionarischer Ausrichtung zu beschreiben.
Ich verkörpere eigentlich die Entwicklung von der
Missionsgeschichte zur Entwicklungszusammenarbeit.
Ich habe 1989 in Peru als Priester missionarische Präsenz
geleistet. Es gab einen Doppelvertrag mit der Schweize-
rischen Missionsgesellschaft Bethlehem (SMB) und mit
INTERTEAM. Die Ablösung von der klassischen Missionsar-
beit war damals schon voll im Gange.»
Der Impuls zur Theologie, wo kam der her? «Ich bin
in einem katholischen Haus aufgewachsen, habe in St. Gallen
eine katholische Sekundarschule besucht. Und ich wollte den
Menschen helfen, hatte eine Vorstellung von Engagement.
Dann kam das Studium in Fribourg; die Befreiungstheologie
hat mich motiviert. Ich wusste, dass ich nach Peru wollte, wo
die Befreiungstheologie ihre Anfänge hatte.» Die ersten fünf
Jahre nach dem Studium wirkte Max Elmiger als Priester in
Flawil. Dann war für ihn kein Halten mehr. Er reiste nach Peru
und erlebte von 1989 bis 1991 aus nächster Nähe Bedrohung
und Gewalt durch die Rebellen des ’Sendero Luminoso’. «Die
kirchlichen Vertretungen waren die einzigen, die in den roten
Zonen geblieben sind. Die Vertreter der Hilfswerke und der
NGO’s reisten ab. Wir hatten, auch dank internationalen Ver-
bindungen, einen gewissen Schutz. Und wir bedeuteten auch
Schutz für die Bevölkerung. Diese Zeit hat mich sehr geprägt.»
EIN GEWISSER RESPEKT VOR DER BEDROHUNG In den ersten drei Jahren leitete Max Elmiger eine
Pfarrei. Die administrative und finanzielle Seite seines Ein-
satzes lief über INTERTEAM, die inhaltliche Ausrichtung
bestimmte die SMB. Gab es nie Zweifel angesichts der bedroh-
lichen Lage? «Eine gewisse Angst, ein Respekt war schon da»,
sagt Max Elmiger heute. «Aber ich hatte nie den Eindruck, am
falschen Ort zu sein. Wir hatten einen anerkannten Auftrag.
Ein Weisser, der damals in Peru weilte, war entweder Ingeni-
eur, selten ein Tourist oder beim kirchlichen Personal.»
In den INTERTEAM-Aufzeichnungen heisst es: «Max
Elmiger mit Frau Mercedes Elmiger-Bernal in Peru». Darum
meine Frage: Ein verheirateter Priester im Missionseinsatz?
«Ja, das kann man so sehen», sagt Max Elmiger. «Meine Frau
Mercedes ist Peruanerin. Ich habe sie im RomeroHaus in
Luzern kennengelernt. Sie betreute hier die Kinder der Leute
im Ausreisekurs und reiste unabhängig von mir ebenfalls
nach Peru.» Nach drei Jahren haben die beiden geheiratet und
erhielten einen neuen Vertrag. Max Elmiger wurde vom Pries-
teramt dispensiert.
IM HAUS DER LASTENTRÄGERMax und Mercedes Elmiger-Bernal leiteten von 1991
bis 1994 zusammen das sogenannte Haus der Lastenträger,
eine Herberge für ’Kulis’ in Cusco, der alten Inka-Hauptstadt
in den Anden von Peru. Ihre Aufgabe war die Organisation von
Weiterbildungsangeboten für die Lastenträger, die als Verdie-
nende für die Unterkunft bezahlten. «Der Nachteil der Lasten-
träger war die Sprache. Sie redeten das ’Quechua’, die Sprache
der Inkas, und in der Stadt sprach man spanisch. Ab und zu
wurde auch ihr Alkoholkonsum zum Problem, ihre Gesund-
heit war nicht optimal. Der Altersunterschied unter diesen
Leuten war enorm: Es gab alles von den sechsjährigen Buben
bis zu den 60jährigen Männern.» Mercedes Bernal hatte ihre
Aufgaben: Schulbildung, Aufgabenbetreuung, Weiterbildung,
Gesundheitsfragen und etwas Lebenshilfe. «Wir sorgten auch
dafür, dass die Kinder in die staatlichen Schulen gingen.»
Nach Cusco leistete das Ehepaar bis 1998 einen
weiteren Einsatz in Puno am Titicacasee. Das war nach der
Gewaltwelle und den Zerstörungen durch die Guerilla. Es
galt zuerst, die dörflichen Strukturen wieder aufzubauen.
Max Elmiger: «Wir waren als Mitglieder der Pfarrei unver-
dächtig, um dieses Engagement zu leisten. Wieder wirkte die
Befreiungstheologie hinein. Es ging um Gesundheit, Erziehung,
Ackerbau, um die Verbesserung der Schafzucht. Mercedes en-
gagierte sich bei Frauengruppen. Das war eine Form des Über-
gangs von der Mission in die Entwicklungszusammenarbeit.»
Max Elmiger skizziert den Unterschied in der Projek-
tarbeit. «Wer im kirchlichen Auftrag pastoral oder im Sinne
der Befreiungstheologie tätig war, hatte einen Doppelvertrag
mit INTERTEAM und der SMB.» Berufsleute ohne pastorale
Aufgaben hingegen hatten für ihren Einsatz lediglich einen
INTERTEAM-Vertrag erhalten.
«WIR STEHEN HEUTE AN EINEM ANDERN ORT»− Max Elmiger, Theologe, und Präsident INTERTEAM
23 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 24 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− DER ZWEITE EINSATZ VON MAX ELMIGER LEISTETE ER UND SEINE FRAU NACH DER GEWALTWELLE UND DEN ZERSTÖRUNGEN DURCH DIE GUERILLA IN PUNA
AM TITICACASEE. DAS BILD ZEIGT MAX ELMIGER 1997 AUF 4300 M.Ü.M.
WISSENSTRANSFER STATT FACHARBEITWährend den ersten zwanzig
Jahren waren auch für INTERTEAM
grossmehrheitlich Ortskirchen die
Partnerorganisationen. «Die Schweize-
rische Missionsgesellschaft Bethlehem
war prägend bei der Gründung von
INTERTEAM. Es ging um den Einsatz der
Laienhelfer, den die SMB als wichtig ein-
stufte: Handwerker, Krankenschwestern,
Druckereiarbeiter, Lehrkräfte. Heute ste-
hen wir an einem andern Ort. Die Fach-
kräfte sind in den Entwicklungsländern
grösstenteils vorhanden. Wir können den
Wissensaustausch gestalten. Beispiels-
weise soll heute eine Sozialarbeiterin
nicht mehr operativ in der Sozialarbeit
wirken, aber sie kann Sozialarbeiterinnen
ausbilden. Oder sie macht ein Konzept
für ein Frauenhaus; die Fachleute en-
gagieren sich mehr in der Entwicklung
der Organisationen», meint Max Elmiger.
Wie ist denn heute die Situation
im Gesundheitsbereich? Gibt es zum Bei-
spiel genügend Krankenpflegerinnen in
einem afrikanischen Entwicklungsland?
Max Elmiger: «Ich meine schon. Das Pro-
blem ist häufig die Verteilung, weil die
meisten in Städten arbeiten wollen. Wir
sollten nicht von hier aus solche Lücken
schliessen. Die Aufgabe muss auf der
politischen Ebene im Land angepackt
werden. Das ist Innenpolitik. Wir können
höchstens mithelfen, die Arbeitsbedin-
gungen auf dem Land zu verbessern.»
KURSLEITUNG BEI INTERTEAMWie lief in Ihrer Erinnerung die
Zusammenarbeit zwischen der Missi-
onsgesellschaft Bethlehem und INTER-
TEAM? Max Elmiger: «Für mich war es
immer eine Bereicherung, wenn Know-
how aus verschiedenen Erfahrungen
zusammen kam.» Elmiger erwähnt das
pädagogische und spezialisierte Wis-
sen bei INTERTEAM, die professionelle
Vorbereitung der Einsätze. Von 1998 bis
2005 oblag ihm die Rekrutierung und
Vorbereitung der Fachleute. «Die Infor-
mationsanlässe, die Auswahl der Fach-
leute, die Eignungstests, Gespräche und
Abklärungen. Dazu kamen die Ausreise-
kurse. Diese dauerten damals noch zwei
Monate. Heute müssen vier Wochen
reichen, wobei der Ablauf intensiver,
konzentrierter geworden ist. Schliess-
lich gehörte auch die Begleitung nach der
Rückkehr zu meinen Aufgaben.»
Max Elmiger bezeichnet diese
Zeit im Rückblick als aussergewöhnlich
befriedigend. «Es entstanden gute, lang-
jährige Beziehungen. Und es kommen
veränderte Menschen zurück, mit Erfah-
rungen, die sie nicht missen möchten. Es
entsteht eine Art Netz, das verbindet.»
BMI und INTERTEAM stän-
den in einer Mutter-Tochter-Beziehung,
erklärt Elmiger. Irgendeinmal habe sich
INTERTEAM emanzipiert, ein eigenes
Produkt geschaffen. «Wir haben den
Schritt vom Missionsauftrag zur Ent-
wicklungszusammenarbeit gemacht. Es
war eine Ablösung.» Laut Elmiger steckt
heute die BMI ebenfalls in einem Pro-
zess der Emanzipation von der Kirche.
Viele ihrer heutigen Einsätze glichen
dem INTERTEAM-Engagement. Max
Elmiger betont, dass INTERTEAM-Fach-
leute zur Zeit seines Einsatzes in Peru
noch kein Fundraising betreiben muss-
ten. Die DEZA finanzierte den Aufwand.
«Heute sind diese Beiträge weit gerin-
ger. Schon länger ist auch INTERTEAM
gezwungen, Fundraising zu betreiben.
Irgendwann werden die BMI und
INTERTEAM zusammenspannen»,
glaubt Elmiger. «Es macht wenig Sinn,
für die gleichen Aufgaben zwei Buchhal-
ter und zwei Versicherungsspezialisten
anzustellen.»
ZURÜCK IN DIE SCHWEIZElmigers lebten in Peru auf dem
Land. Die Einschulung der beiden Kin-
der (Gabriela 22, Dominik 19) wäre dort
mit Schwierigkeiten verbunden gewe-
sen. «INTERTEAM bot mir die Stelle als
Kursleiter an. Das war für mich mit den
Peru-Erfahrungen ein Traumjob.» Nach
ein paar Jahren kam dann der Wunsch
nach einer Veränderung. Seit 2005 ist
Max Elmiger Direktor der Caritas
Zürich. Und 2008 hat er auf Anfrage
das Präsidium von INTERTEAM über-
nommen. «Drei Jahre nach dem be-
ruflichen Wechsel war es der richtige
Zeitpunkt. Es wäre nicht optimal ge-
wesen, von der operativen gleich in die
strategische Ebene des Unternehmens
zu wechseln. Ich betrachte mich etwas
als ’Übergangspapst’, ohne romantisie-
renden Rückblick. INTERTEAM ist heute
gut ausgerichtet. Unsere Motivation für
Einsätze ist die Richtige. Und wir kön-
nen die Leute damit animieren und auf
ihren Job vorbereiten. Im Unterschied
zu früher ist dies nicht mehr spirituell-
religiös begründet, sondern fachspezi-
fisch und entwicklungspolitisch. Das ist
weder besser noch schlechter, aber in der
heutigen Realität das Richtige.»
Wie setzen Sie heute die
Gewichte bei INTERTEAM? «Die Fi-
nanzierung wird nicht einfacher. Die
DEZA-Gelder gehen zurück. Und unser
’Produkt’ wirkt auf dem Markt recht kom-
pliziert. Das Gegenbeispiel ist World-
Vision. Es gibt ein armes Kind, ich gebe
zehn Franken, das Kind bekommt das Geld.
INTERTEAM hingegen sucht eine Fach-
frau oder einen Fachmann, die während
drei Jahren eine Partnerorganisation un-
terstützen, die hilfsbedürftigen Men-
schen einen Fortschritt ermöglicht.
Irgendeinmal kommt daraus etwas zu-
rück. Die Vermittlung dieses Ansatzes
ist viel schwieriger. Dazu kommt, dass
viele lieber direkt für ein Drittweltland
spenden als für eine Institution in der
Schweiz. Will ich spenden, damit ein
Schweizer in einem andern Land etwas
aufbauen kann? Das ist die Frage, und
unsere Antwort darauf erscheint auf den
ersten Blick kompliziert. Dafür ist un-
sere Arbeit sehr nachhaltig und wird
Bestand haben, davon bin ich überzeugt.»—«Es entstanden gute, langjährige Beziehungen. Und es kommen veränderte Menschen zurück, mit Erfahrungen, die sie nicht missen möchten.»—
25 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 26 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− DANK BENI AFFOLTER UND SEINEN INTERTEAM-FACHLEUTEN KONNTE IN
KATUTURA, EINER VORSTADT VON WINDHOEK, DIE KINDERGARTENBE-TREUUNG MASSIV VERBESSERT WERDEN: DANK SOLARKOCHERN ERHALTEN
DIE KINDER NUN WARME MITTAGSSPEISEN.
Gab es beim Entscheid für
die Entwicklungshilfe einen
besonderen Impuls, frage
ich Beni Affolter zu Beginn
unseres Gesprächs? «Entwick-
lungszusammenarbeit war für mich
immer ein guter Ansatz. Das begann
schon im Studium, als Leute von der
DEZA für Referate in die Uni kamen.»
Eine andere Erinnerung kommt aus der
Jungwachtzeit. «Es gab damals eine
Blauring-Scharleiterin, die für die Ent-
wicklungshilfe nach La Réunion ging.
Nach ihrer Rückkehr erzählte sie von
ihren Erlebnissen. Das machte mir
Eindruck.»
Nach dem Studium – Beni
Affolter war bereits über 30 – wirkte
er während zehn Jahren als Lehrer für
Englisch und Geografie am Wirtschafts-
gymnasium in Biel. «Ich hatte den
Einstieg etwas verpasst. Ich wusste,
dass mir in diesem Alter für die Ent-
wicklungshilfe die Erfahrung fehlte.»
Über das IKRK fand er dann doch noch
den Weg. Als Delegierter macht er seine
ersten Erfahrungen in diesem Bereich
im Ausland. Aus dem humanitären Ein-
satz im Süd-Sudan und in Pakistan ging
es in die Entwicklungszusammenarbeit.
Das alles geschah vor rund 20 Jahren.
DEZA UND INTERTEAM – GROSSE UNTERSCHIEDE Beni Affolter versuchte bei der
DEZA eine Funktion im Ausland zu er-
halten, was aber nicht gelang. «Schliess-
lich sah ich die Ausschreibung von
INTERTEAM für die Stelle als Koordina-
tor in Namibia, fast ein Zufall irgendwie.»
Etwas Überwindung kostete der grosse
Unterschied der finanziellen Aussichten
bei der DEZA und bei INTERTEAM. Die
Gesamtleistungen betragen etwa 5 zu
1. Kostet ein INTERTEAM-Einsatz pro
Jahr und Person etwa 50’000 Franken,
sind dies bei der DEZA wahrscheinlich
mehr als 250’000 Franken.
Zehn Jahre Schule, 15 Jahre Ent-
wicklungshilfe, zehn Jahre Schule – das
ist der berufliche Weg von Beni Affolter
bis heute. Und er möchte ihn rückbli-
ckend nicht anders haben. «Bei der DEZA
hätte ich heute ohnehin nichts mehr
verloren. Was ich da von weither höre,
tönt sehr ernüchternd.» Wie muss ich
dies verstehen? «Es wird kontrolliert,
der konzeptionelle Überbau ist grösser
geworden, und die Rechte im Bun-
desparlament will überall mitreden,
sagen, wohin das Geld fliessen soll. Früher
war unbestritten, dass es in die ärmsten
Regionen der Welt gehört, heute domi-
nieren u.a. die wirtschaftlichen Interes-
sen der Schweiz.»
EINE «AKADEMISIE-RUNG» IST SPÜRBAR
Auch der personelle Einsatz
habe sich gewandelt, meint Affolter:
«Früher wirkten unsere Leute an der
Basis, beim Volk; heute sind in der
Entwicklungszusammenarbeit oft
‘Schreibtischtäter’ am Werk. Von die-
sem Umbau ist auch INTERTEAM nicht
ganz ausgeschlossen. Früher waren mehr
Handwerker, Berufsleute am Werk, die
mit ihrem Know-how an Ort und Stelle
überzeugende Arbeit leisteten. Sie sind
heute kaum mehr gefragt, weil INTER-
TEAM und Partnerorganisationen andere
Anforderungen haben. Diese Entwick-
lung hat ihre Schattenseiten.»
Beni Affolter liefert hierzu
gleich ein Beispiel: «Wir hatten
einen Mechaniker aus der Schweiz
im Einsatz, ohne grosse Zusatzaus-
bildung aber mit einer sehr guten
Arbeitseinstellung. Sein Partner in
− Beni Affolter, Lehrer
«ICH HABE ALLES GEMACHT
IN NAMIBIA: MAKLER, CHAUFFEUR,
BUCHHALTER, JOURNALIST»
Beni Affolter (59), ein Berner, wirkt motivierend. Sein Auftritt, seine Argumente sind überzeugend. Man macht mit, wenn er etwas gut und richtig findet. Der Entwicklungshelfer, wie ich ihn mir vorstelle.
—«Die Leute von INTERTEAM erbringen mit ihrem Einsatz den Tatbeweis für partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit.»—
27 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 28 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− DAS VERTRAUEN DER SCHWARZEN BEVÖLKERUNG IN DIE ARBEIT VON INTERTEAM IST MIT BENI AFFOLTER ALS KOORDINATOR STARK GESTIEGEN. EXEMPLARISCH HIERFÜR IST DIE CHECKÜBERGABE DER NAMDEB DIAMOND CORPORATION AN DAS SOLARPROJEKT MIT DER FACHPERSON ANNETTE OERTIG.
− BENI AFFOLTER BEIM BESUCH DER ’BUNYA COMBINED SCHOOL’ IN DER KAVANGO-REGION IM JAHR 2000.
—«Weisse wie Schwarze haben dort begriffen, was INTERTEAM macht. Es gab eine Vertrauensebene. Die Gesprächskultur war gut.»—
Und der Alltag? Was macht ein Koordinator? «Zentral
war die Unterstützung der Fachkräfte am Einsatzort, persön-
lich, am Telefon oder später via Internet.» Zugenommen hätten
in diesen Jahren die Monitoringsitzungen mit den Partneror-
ganisationen, sagt Affolter, weil INTERTEAM ein Gesamtpro-
gramm für das Land vorgegeben habe. Das eigentliche Ziel,
den Transfer von Know-how zu den Einheimischen herzustel-
len, sei nicht immer einfach gewesen.
Waren auch Frauen in die Projekte eingebunden?
«Sicher», sagt Beni Affolter. Entscheidend waren die Verträge
mit INTERTEAM. In einer Familie leistete die Frau den Ein-
satz als Lehrerin, ihr Mann war Hausmann. Mehrere Frauen
waren Vertragspartner, oder auch ganze Familien, wenn beide
in der Entwicklungszusammenarbeit mitwirkten.
Wie lief generell die Entwicklungszusammenarbeit
in diesem afrikanischen Land, in einem Kontinent, wo poli-
tische Unsicherheit zum Alltag gehört? Beni Affolter erzählt
von Unruhen im Jahre 1999, von einer Art Aufstand einer
Gruppe im Nordosten des Landes gegen die Zentralregierung
von Namibia. Diese Region sei nachher sehr unsicher gewor-
den. «Gleichzeitig gab es Probleme im Nachbarstaat Angola.
Die Namibische Regierung erlaubte den Angolanern, auf na-
mibischem Terrain Truppen zu verschieben, weil dort bessere
Strassenverhältnisse bestanden. Dies führte zu Übergriffen,
Raubzügen von angolanischen Rebellen und schliesslich zum
Abzug von sozusagen allen Entwicklungsorganisationen in
dieser Gegend bis auf INTERTEAM. INTERTEAM entschied
sich zusammen mit den Fachleuten, auf den Missionsstati-
onen in der Region zu bleiben. Noch Jahre später lobte der
Regierungschef der Region Kavango dieses Verhalten», meint
Beni Affolter stolz.
NEUORIENTIERUNG NACH DER RÜCKKEHR2003 beendete Beni Affolter seinen Einsatz in
Namibia. «Leider fand ich keine Anstellung mehr in der DEZA,
sie wollte mich nicht mehr. Ich kann das eigentlich immer
noch nicht verstehen. Meine Erfahrungen wären für die DEZA
wichtig gewesen. Der neue Verantwortliche für NGOs z.B. ging
damals – einmal positiv ausgedrückt – sehr unbelastet ans
Werk.»
So kam Beni Affolter zurück in die Schweiz. Kurze
Zeit gab es Gedanken, als Privatperson nach Namibia zurück-
zukehren, vielleicht dort etwas Eigenes aufzubauen, in Ver-
bindung mit dem Tourismus. «Wer nach Namibia reist, geht
meist wegen der Landschaft, wegen den Tieren und Pflan-
zen. Ich konnte damals kurzfristig eine Studiosus-Reise lei-
ten und führte die Leute auch in unsere Einsatzprojekte. Das
hat den Gästen sehr gefallen. Sie sahen einmal etwas Ande-
res.» Nach fünf Tagen zurück in der Schweiz kam der Anruf
eines Prorektors vom Gymnasium, der Beni Affolter anfragte,
ob er eine Stellvertretung übernehmen könne. Das war dann
der Weg zurück in den Schuldienst.
FÜNF JAHRE SIND GENUGBeni Affolter ist heute überzeugt, dass ein Einsatz von
fünf Jahren an der oberen Grenze liegt. Mehr könne schwie-
rig werden. Auch mit Erinnerungen an Einsatzleistende von
INTERTEAM. «Sie kamen sehr motiviert an ihren Einsatzort,
wollten die Welt verändern. Nach fünf bis sechs Monaten
wollten fast alle wieder nach Hause, weil sie genau auf diese
Welt gekommen sind. Die Zustände können anders sein, als
vorher auf dem Papier beschrieben.»
Affolter betont: «Die Funktion des Koordinators ist
enorm anspruchsvoll. Du bist im Sandwich zwischen den Ein-
satzleistenden und den Ansprüchen von INTERTEAM Luzern.
Und letztlich geht es fast immer ums Geld. Idealismus allein
genügt nicht mehr. Jemand muss sich einen Entwicklungs-
hilfeeinsatz sozusagen leisten können. Trotzdem: der Ansatz
von INTERTEAM ist immer noch richtig. In Zusammenar-
beit mit einheimischen Menschen übergeben wir Know-how,
zum Beispiel auch in der Landwirtschaft. Es ist nicht einfach,
eine von einem Weissen aufgegebene Farm einem Schwar-
zen zu übergeben. Der Schwarze muss zuerst lernen, wie er
diesen Betrieb wirtschaftlich führen soll. Doch der notwen-
dige Know-how-Transfer ist keine Einbahnstrasse, denn alle
Einsatzleistenden sagen immer wieder, dass sie viel mehr
bekommen haben, als sie gegeben hätten!»
Namibia hatte eine wesentlich breitere Ausbildung, studierte in
England und Kanada, hatte akademische Titel und Erfah-
rungen bei Auslandeinsätzen. Die Wochenbilanz ihrer Arbeit
entsprach jedoch in keiner Weise diesen Voraussetzungen.
Der Einheimische erreichte kaum auch nur annähernd so viel
wie die Schweizer Fachperson.»
Beni Affolter formuliert es so: «Meine fünfjährige Pra-
xis als Koordinator in Namibia hat es gezeigt: Die Leute von
INTERTEAM erbringen mit ihrem Einsatz den Tatbeweis für
partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit.» Affolter
spricht mit Freude von einer guten Zeit, von eindrücklichen
Begegnungen. «Ich hatte Kontakte zum Premierminister bis
hinunter zu den Menschen in den Hilfsprojekten, oder zu von
Aids betroffenen Frauen. Die Aufgabe war polyvalent. Ich
habe alles gemacht. Vom Chauffeur zum Makler, zum Buch-
halter, Journalisten und Fotografen, selbst politische Aufga-
ben nahm ich wahr.»
NAMIBIA WAR SÜDWESTAFRIKA Als Beni Affolter 1998 in Namibia die Arbeit auf-
nahm, unterhielt INTERTEAM zwischen fünf und sieben
Projekte mit rund zwanzig Mitarbeitern und Mitarbeite-
rinnen. Wie hat INTERTEAM in Namibia gewirkt? «Meine
Hauptaufgabe bestand darin, ein Landesprogramm zu
entwickeln und umzusetzen. Nach relativ kurzer Zeit konzen-
trierten wir uns auf vier Bereiche: Auf die Weiterbildung von
Lehrkräften, die Ausbildung von Handwerkern, die adminis-
trative Führung von Gesundheitseinrichtungen wie Spitälern
und Kliniken und parallel dazu die Einführung des Compu-
ters. Und schliesslich engagierten wir uns in HIV-Informati-
onskampagnen. Als wir 1998 in Namibia ankamen, war das
Wort Aids kaum im Sprachgebrauch. Doch die Krankheit war
zu diesem Zeitpunkt am Explodieren. Jedes Mal, wenn ich
Missionsstationen besuchte, war der Friedhof wieder um un-
zählige Gräber grösser geworden. Die ’Catholic Aids-Action’,
am Anfang bestehend aus drei Personen, war eine hilfreiche
Einrichtung. Chefin war eine deutsche Ordensfrau und Ärz-
tin, Projektleiterin eine amerikanische Sozialarbeiterin. Die
Kirche konnte dank ihren Strukturen bis in entlegenste Ge-
genden Informationen und Hilfe bringen.» Fünf Jahre spä-
ter wirkten um die 300 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im
ganzen Land, mehrheitlich einheimische Fachkräfte. Zu die-
sen Fachkräften gehörte auch seine Frau Renate Affolter, die
während drei Jahren in einem 50%-Einsatz mitwirkte. Renate
war froh, ihr Umfeld mit Kindern und Haushalt auf sinnvolle
Weise ergänzen zu können.
Der Bildungsbereich war wichtig, weil die meisten
Lehrer und Lehrerinnen ungenügend ausgebildet waren. Nach
dem Schritt in die Unabhängigkeit im Jahre 1990 wurden die
Schulen sofort für alle zugänglich gemacht. Doch es gab viel
zu wenig ausgebildete einheimische Lehrkräfte. So wurden
Maturanden in die Schulklassen gestellt. INTERTEAM machte
es sich dann zur Aufgabe, diese jungen Leute berufsbeglei-
tend weiterzubilden, vorwiegend in der Region Kavango im
Norden des Landes. «Wir konnten von der Infrastruktur in
den von deutschen Priestern aufgebauten Missionsstationen
profitieren, was die Arbeit für eine Familie aus der Schweiz
etwas vereinfacht hat.»
Wie war der Aufenthalt in Namibia, das Leben, der
Alltag? Im Sommer 1998, zwei Monate vor dem Stellenantritt
als Koordinator in Namibia, wurde Beni Affolter auf einer
Dienstreise mit der damaligen Projektverantwortlichen von
INTERTEAM in Luzern, von Lilian Studer, in seine künftige
Aufgabe eingeführt. Zum Auftrag gehörte dabei auch die Su-
che nach einem Haus als Wirkungs- und Wohnort für die
INTERTEAM-Koordination. Schliesslich wurde ein Haus ge-
kauft. Dort zog die Familie Affolter - Beni, Renate mit den Söh-
nen Christian und Martin - im Oktober 1998 ein.
AUF DIE MISSIONSSTATIONEN KONZENTRIERTWie startete die Arbeit im Team, in den Projekten?
Beni Affolter: «Wir haben uns am Anfang stark auf die Struk-
turen der katholischen Kirche, auf die Missionsstationen
konzentriert. Ich fand das sinnvoll. Weisse wie Schwarze
haben dort begriffen, was INTERTEAM macht. Es gab eine
Vertrauensebene. Die Gesprächskultur war gut.» Ergänzend
hält Affolter hier fest, dass jeder und jede neue INTERTEAM-
Einsatzleistende von den Einheimischen genau beobachtet
worden sei. «Das war immer eine Herausforderung für beide
Seiten.»
29 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 30 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− "YVONNE VÁSQUEZ WÄHREND IHREM EINSATZ IN NICARAGUA, 2002 BIS 2008.
—«Das Leben in Nicaragua hat mich verändert, mein Bewusstsein für den Umgang mit dieser Welt geschärft…»—
Wenn Yvonne Vàsques (46) überzeugt ist von einem Plan, wird sie alles daran setzen, ihn zu verwirklichen. Diese Einschätzung beruht auf der Art und Weise, wie sie den Einsatz in Nicaragua, ihr persönliches und berufliches Handeln beschreibt. «Das Leben in Nicaragua hat mich verändert, mein Bewusstsein für den Umgang mit dieser Welt geschärft», ist sie überzeugt.
Das Curriculum mit dem beruflichen Wechsel vom
Marketing zum Fairtrade-Engagement brachte mich
auf die Frage: Was bestimmt Ihr Wirken? Worin liegt
der Sinn des Lebens für Sie? Yvonne Vásquez muss
nicht lange überlegen. «Ich möchte zur Gerechtigkeit
beitragen, auch im kleinen Umfeld.» Das habe schon im Kin-
dergarten angefangen, wo sie auf ihre Gspänli achtgegeben
hat, weiss sie noch. Als weiteren Grund sieht sie die lange
Tätigkeit ihrer Grossmutter in Afrika in Hilfsprojekten. «Sie
hat auf privater Basis Heime unterstützt. Auch ich wollte
mitgehen. Aber man konnte mich dort nicht gebrauchen.»
Yvonne Vásquez – damals hiess sie noch Maltry – arbeitete
nach der kaufmännischen Lehre im Verkauf und war später
Projektleiterin im Zentrum für Unternehmensführung in
Thalwil. In der Entwicklungszusammenarbeit in Nicaragua
wirkte sie als Beraterin und Ausbildnerin in der Organi-
sationsentwicklung. Sie hatte einen Doppelvertrag mit
INTERTEAM und zwei lokalen Unternehmen für Naturmedi-
zin und für Bio-Kaffee. Heute ist sie Geschäftsleitungsmit-
glied und Verantwortliche für den Handel mit Schokolade
und Kakao in der Pronatec AG in Winterthur («Der Profi in
Sachen Bio und Fairtrade», wie sich das Unternehmen selber
beschreibt). Die Pronatec liefert Schokolade in die USA, nach
Kanada, Japan, ganz Europa und in kleineren Mengen in asi-
atische Länder.
DIE BERUFLICHE WENDE Ein eher zufälliges Zusammentreffen mit INTERTEAM-
Geschäftsleiter Erik Keller brachte die Wende vom Marke-
ting zur Entwicklungszusammenarbeit. «Wir sprachen über
einen möglichen Einsatz im Ausland. Zusammen mit meinem
damaligen Partner bewarben wir uns für Nicaragua. Neben
dem Gedanken an Hilfe und Know-how-Vermittlung gab es
auch den Wunsch nach einer Horizon-
terweiterung. Der Aspekt der persönli-
chen Veränderung war also mit dabei.
Und ich wollte weg vom Marketing, von
meiner bisherigen Tätigkeit», erzählt
Yvonne Vásquez.
Was war ihr Auftrag in Nicaragua?
Yvonne Vásquez: «Ich sollte in Esteli das
Marketing von lokalen Organisationen
unterstützen, die naturmedizinische
Produkte herstellten, zum Beispiel Tee,
Hustensäfte, Salben. Weil diese Produkte
aber fehlten oder nur in geringen Mengen vorhanden waren,
konnte ich anfänglich nicht viel ausrichten. In der Folge ver-
lagerte ich meine Arbeit auf die Organisation der Abläufe,
die Beschaffung und den Transport der Produkte. Hinter dem
Projekt, das mehrheitlich von Frauen geführt wird, stand eine
NGO. Auf einer Finca (Bauernbetrieb) wurden die Pflanzen
angebaut, in einem dazugehörigen Labor Tee hergestellt und
in der hauseigenen Druckerei ein Magazin für natürliche Heil-
mittel produziert. Die ganze Organisation mit ausgebildeten
Fachkräften funktioniert ohne externe Gelder und steht auf
eigenen Beinen, was in Nicaragua sehr selten ist.»
«MEINE HEUTIGE STELLE HÄTTE ICH OHNE DIE NICARAGUA-ERFAHRUNG NIE BEKOMMEN.»− Yvonne Vásquez, Marketingfachfrau
31 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 32 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe
− DANK DER UNTERSTÜTZUNG UND BERATUNG DURCH INTERTEAM KÖNNEN BÄUERINNEN IHRE BIOPRODUKTE NUN ERFOLGREICHER AUF DEM LOKALEN MARKT VERKAUFEN.
− YVONNE VÁSQUEZ BEI DER ETIKETTIERUNG VON KAFFEE-
VERPACKUNGEN IM NEU ERSTELLTEN PRODUKTIONSWERK SAN PEDRO.
− AUF SPIELERISCHE WEISE VERMITTELT
YVONNE VÁSQUEZ IN WORKSHOPS DAS THEMA VERMARKTUNG UND VERNETZUNG DES
INTERNATIONALEN MARKTES.
—«Die Personelle Zusammenarbeit macht mehr Sinn als die Investition von Mitteln in irgendwelche Projekte. »—
Yvonne Vásquez hat über die ganzen sieben Jahre für
verschiedene Unternehmen und Organisationen gearbeitet,
alles im Bereich der Bioproduktion. «Meine Unterstützung
diente vor allem dem kaufmännischen und organisatorischen
Know-how. Das Marketing selbst fand am Ort statt. Die Leute
wussten, was ihre Kunden wollten. In den letzten vier Jahren
arbeitete ich für eine Kaffee-Kooperative, deren Produktion
eher bescheiden gewesen ist. Doch der Absatz war vorhan-
den: Ein von Frauen hergestelltes Bio-Produkt mit Fairtrade-
Etikett verkauft sich immer gut», schmunzelt Vásquez. Zur
Tätigkeit gehörte auch die Schulung der Leute im Bereich
Fairtrade.
DIE PROJEKTE WIRKEN NACHHALTIGFrage: Diese Kooperative, die ganze Bioproduktion
– geht das in diesem Sinne weiter? Ist da Nachhaltigkeit
erreicht worden? Yvonne Vásquez sieht es auf gutem Wege.
«Ich denke schon. ISNAYA, der Betrieb für Naturmedizin, und
die ’Fundación entre Mujeres’, die Kaffee-Kooperative, laufen
gut. Ich kann das verfolgen, weil ich immer wieder etwa in
Nicaragua auf Familienbesuch bin.»
Hat es Begegnungen mit Menschen gegeben, die nach-
klingen? «Mehrere, doch eine hat eine besondere Bedeutung»,
erzählt Yvonne Vásquez. «Rosamelia Centeno ist eine Kaffee-
bäuerin. Für mich ist sie der Inbegriff einer starken Frau, die
es trotz unzähligen Schwierigkeiten und gesundheitlichen
Problemen zur Präsidentin einer Kaffeekooperative geschafft
hat. Dank der Arbeit mit der ‘Fundación entre Mujeres’ hat sie
Selbstvertrauen gewonnen, nimmt an Kursen und Ausstellun-
gen teil, versteht, wie die Preise gerechnet werden und weiss
was Fairtrade oder Bio ist. Sie repräsentiert ihre Gemeinde
und ist eine wichtige Ansprechpartnerin in ihrem Dorf, das
früher hauptsächlich durch Männer ’bestimmt’ wurde. Sie hat
mit dem Kaffeeanbau nun ihr eigenes Einkommen und setzt
sich für eine gute Aus- und Weiterbildung ihrer Kinder und
Enkel ein.» Wenn es ein Beispiel für Nachhaltigkeit braucht
– hier wäre es!
Yvonne Vásquez befand sich persönlich in einer
guten Position im fremden Land. Sie wohnte mit ihrem Partner
Norvis zusammen, einem Nicaraguaner, und hatte nach rund
zwei Jahren bereits einen relativ grossen Kreis von Freundin-
nen und Bekannten. Sie habe sich ganz bewusst unter Ein-
heimischen bewegt. «Ich lernte aussergewöhnliche Frauen
kennen, von denen viele heute noch zu meinem Freundeskreis
gehören.» Norvis wollte nach dem INTERTEAM-Einsatz
seiner Frau den Lebensort in die Schweiz verlegen. «Ich selbst
wäre vielleicht immer noch dort», sagt Yvonne Vásquez. Nach
der Rückkehr in die Schweiz machte ihr Mann – sie heirate-
ten 2008 – das Masterstudium in Agronomie.
Das stark von den Medien geprägte Nicaragua-
Bild eines benachteiligten Landes in Armut, mit politischen
Querelen und Gewalt, wird von den Fakten, wie sie Yvonne
Vásquez erzählt, überholt. Das Land hat offensichtlich ver-
schiedene Gesichter. «Mein INTERTEAM-Einsatz konzent-
rierte sich ausschliesslich auf den wirtschaftlichen Bereich.
Das war neu in Nicaragua. Ich lebte auch in einem guten
Umfeld. Esteli, die Stadt im Norden, hat etwa die Grösse von
Winterthur. Es gab damals bereits Supermärkte, gute
Geschäfte. Am Abend lag ein Ausgang drin. Esteli ist eine rela-
tiv sichere Stadt. Ich habe mich immer wohl gefühlt. Wir hatten
auch das Glück, in einem schönen Haus wohnen zu können.»
DAS POLITISCHE UMFELD IST SCHWIERIG ZU BEURTEILENStichwort Entwicklung – was braucht Nicaragua
heute? Macht der Austausch von Fachwissen, von Know-how
noch Sinn? «Das Land erlebte sehr schwierige Zeiten, und
ich meine, sie sind nicht vorbei. Die Naturkatastrophen sind
immer wieder da. Und ich zweifle auch etwas am politischen
Umfeld.» Wer die ganze Befreiungsgeschichte durch die San-
dinisten nicht persönlich erlebt habe, könne kaum verste-
hen, warum heute immer noch so viele
Menschen hinter Daniel Ortega stün-
den, ist Yvonne Vásquez überzeugt. «Als
externe Beobachterin frage ich mich, wa-
rum das so ist. Aber das ganze familiäre
Umfeld, das ich jetzt durch die Heirat in
Nicaragua habe, steht voll hinter Ortega.»
Noch einmal die Frage: Was
brauchen die Menschen dort heute?
«Ich weiss es nicht genau», sagt die
Nicaragua-Schweizerin. «Was es sicher
nicht braucht, sind Gelder für irgendwel-
che Millionenprojekte. Die INTERTEAM-
Formel dagegen ist immer noch richtig:
Fachwissen vermitteln und auf Nach-
haltigkeit achten, damit etwas davon
hängen bleibt, wenn wir weg sind.»
Im Rückblick überwiegen die positiven Erlebnisse für
Yvonne Vásquez. «Es war eine tolle Zeit mit vielen guten Men-
schen und Begegnungen.» Und ihr Engagement in Nicaragua
hat Auswirkungen auf das Heute. «Ich hätte die leitende Stelle
hier bei der Pronatec nie bekommen ohne meine Erfahrungen
im Biogeschäft und im Fairtrade in Nicaragua.»
Seit Sommer 2012 ist Yvonne Vásquez Vorstandsmit-
glied bei INTERTEAM. Welche Sicht hat sie auf die fünfzig-
jährige Organisation? «Für mich ist es eine perfekte Organi-
sation in der Entwicklungszusammen-
arbeit. INTERTEAM macht es genau so,
wie ich mich auch heute wieder in die-
sem Sektor engagieren möchte. Die Per-
sonelle Zusammenarbeit macht mehr
Sinn als die Investition von Mitteln in
irgendwelche Projekte. Und die Vorteile
sind beidseitig. Von den INTERTEAM-
Einsätzen kommen Menschen zurück, die
die Welt etwas anders sehen als vorher.
Und die meisten von ihnen werden hier
ihr Leben etwas bewusster einrichten
und gestalten.»