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Page 1: Kein Wien an Der Donau

Es gibt gar kein Wien an der Donau!

Es gibt gar kein Wien an der Donau! Selbst Ernst Trost, der eines der kundigsten und lesenswertestenDonaubucher uberhaupt geschrieben hat1, kann auch nur ernuchtert feststellen:

Die Donaustadt ist hochstens eine Donauvorstadt. Sie ist mit dem Strom nicht vermahlt,sondern hat mit ihm nur ein »schlampertes Verhaltnis« – wie man so etwas in Wien zunennen pflegt2. Sie nahert sich ihm nur im schmierigen Arbeitsgewand.

Sie versteckt die Donau auch vor dem Fremden so gut, daß ein Uneingeweihtertagelang durch Wien spazieren kann, ohne jemals die Donau zu Gesicht zu bekommen.Mancher Tourist zweifelt an seinem Baedeker, wenn er an dem schmalen Donaukanal,diesem die Innere Stadt streifenden Ableger des Stromes, steht, sich von Mowenumflattern laßt, auf ein bescheidenes Ausflugsboot hinunterstarrt und nicht begreifenkann, was die Wiener mit ihrer Donau gemacht haben, warum sie so klein, so brav undso zahm geworden ist und so gar nichts mit einem richtigen Strom zu tun hat.

Das Wiener Stadtbild wird von der Donau genausowenig beeinflußt wie die Wie­ner Gemutlichkeit von den New­Yorker Borsenkursen. Wer auf dem Donauschiff nachWien einfahrt, wird mit Gasometersilhouetten, Wohnkasernen im Emmentalerstil, La­gerhausern, Fabrikschornsteinen, Frachtbahnhofen und den grunen Flachen des Uber­schwemmungsgebietes abgespeist. Wenn er Gluck hat, erspaht er die Spitze des Ste­phansdomes. Das Wien der Fremdenverkehrsprospekte will von der Donau wenigwissen. Schonbrunn, die Oper, das Burgtheater, die Ringstraße, das Parlament, dasRathaus, die Hofburg und die Adelspalais, das Belvedere und die Kirchen, die in allenKunstfuhrern verzeichnet sind, befleißigen sich einer offenkundigen Donaufeindlich­keit.

Die Natur ist nur bedingt dafur verantwortlich zu machen. Nahert man sich vonNorden der Stadt, offnet die Donau eine große Pforte zwischen Leopoldsberg undBisamberg. Aber dieses prachtige Portal wird zum Dienstboteneingang. Wer wirklichin die Stadt will, mußte sich in Nußdorf in den Donaukanal schleusen lassen. ZweiBronzelowen bewachen das Nußdorfer Wehr, eine zwischen 1894 und 1898 von OttoWagner erbaute bruckenartige Sperre, die Eistreiben und Hochwasser vom Kanal wehrt.Einige Jahrzehnte vorher, im Fruhjahr 1854, war hier statt dieses industriellen Toreseine Triumphpforte aufgebaut. Die Brautfahrt Elisabeths hatte hier ihre Endstation.

Bernhard Setzwein, Die Donau. Eine literarische Flußreise von der Quelle bis Budapest, Stuttgart:Klett­Cotta, 2004, S. 153f.

1 Ernst Trost, Die Donau. Lebenslauf eines Stroms, Wien 1968.2 Vgl. Egyd Gstattner, Die Donau und ich, in: An der oden lauen Donau? Geschichten aus der

Donauregion, hrsg. von Sylvia Treudl, Wien 2005, S. 10f.: ”Wahrend die Donau namlich sehr schondurch Linz und auch noch recht ordentlich durch Krems fließt, fließt die Donau praktisch gar nichtdurch Wien, der Bundeshauptfluß nicht durch die Bundeshauptstadt, jedenfalls nicht so richtig. [...]

Der Geist weht, wo er will, und die Donau fließt, wo sie will. Man muß sie nehmen, wie sie ist.Sie fließt durch die Bundeshymne, und sie ist und bleibt der Hauptfluß Osterreichs, nicht weil sie sobreit und erhaben ware, sondern weil sie so schlampig und patschert und sonderbar ist, mit einemWort: so osterreichisch.“

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