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Page 1: Neuere Ergebnisse der Stabilisierung ungewöhnlicher Valenzzustände von Lanthanoiden und Actinoiden durch Komplexbildner

Zeitschrij% fur Chemie 17. Jahrgang Oktober 1977 - Heft 10

Herausgeber: Im Auftrage der Chemischen Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik Prof. Dr. Helga Dunken, Prof. Dr. Lothar Kolditz, Prof. Dr. Elmar Profft Unter Mitarbeit von Prof. Dr. G. Geyer, Prof. Dr. S. Herzog, Prof. Dr. H.-A. Lehmann, Prof. Dr. R. Mayer, Prof. Dr. S. Rapoport, Prof. Dr. Dr. h. c. G. Rieniicker, Prof. Dr. H. Sackmann, Prof. Dr. G. Schott, Prof. Dr. M. Schulz, Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. K. Schwabe und Prof. Dr. K. Schwetlick

Neuere Ergebnisse der Stabilisierung ungewohnlicher Valenzzustande von Lanthanoiden und Actinoiden durch Komplexbildner

Von Viktor Ivanovitsch Spitzin

Institut fur physikalische Chemie der AdW der UdSSR, Moskauer Staatliche Lomonossov-Universitiit, Moskau

Einleitung In der modernen Wissenschaft und Technik gewinnen Elemente in ungewohnlichen Valenzzustanden immer groBere Bedeutung. Es sei nur das wenig untersuohte vierwertige Chrom erwiihnt, dessen Dioxid in den letzten Jahren in wachsendem MaBe fur die Produktion von Tonbandern verwendet wird. Ein ganz neues Kapitel der anorganischen Chemie bildeten die Edelgasverbindungen des Xenons und Kryptons, von denen alle Wertigkeitsstufen als ungewohnlich fur die Gruppe der Edelgase bezeichnet werden konnen. Die vor kurzem entdeckte Moglichkeit der Gewinnung von Neptunium, Plutonium und Americium im siebenwertigen Zustand fordert die Entwicklung der Actinoiden- chemie und eroffnet neue Wege zur Trennung und Reinigung dieser radioaktiven Elemente. Deshalb ist die Aufgabe der Stabilisierung von Atomen, die sich in ungewohnlichen und - in der Regel - unbestiindigen Valenzzustanden befinden, sehr aktuell. Betrach- ten wir dieses Problem am Beispiel der Lanthanoiden- und Acti- noidenverbiudungen. Die zu ihnen gehorenden Elemente haben sehr Lhnliche Eigenschaften und lassen sich oft nur mit Muhe trennen.

1. Die Wirkung von Kornplexonen Durch Zugabe entsprechender Komplexone in waBriger Losung konnen die Atome einiger Elemente in bestiindige Komplexver- bindungen uberfuhrt und so stabilisiert werden. Das urspriinglich instabile Ion wird zum Zentralion eines relativ stabilen Komplex- ions. Diese Methode ist seit langem allgemein bekannt. Bisher wurde aber aul3er Acht gelassen, daB ein organisches Komplexon selbst oxydierende oder reduzierende Eigenschaften zeigen kann. Das hat einen gewissen EinfluB auf Stabilisierungs- bzw. Destabi- lisierungsprozesse der Ionen anomaler Wertigkeit. N . I . PeEurova und L. I . Martynenko haben in den letzten Jahren eine Reihe von Untersuchungen in oben erwiihnter Richtung durchgefuhrt [1]-[4]. Es wurden Systeme untersucht, die die Redoxpaare CeIV/Ce'I1, Mn1I1/MnI1, TiIV/TilI1, VV/VIv, V1"/V1", FelI1/FelI, TilI1/Til u. a. enthalten. Fur die Systeme mit Lanthanoiden(IV), Mangan(III), Thallium- (111) und Vanadium(V) kann das Komplexon selbst die Rolle eines Reduktionsmittels ubernehmen, welches imstande ist, den anomal hohen Oxydationsgrad zu erniedrigen. Andererseits kann es auch Stabilisator der hohen Oxydationsstufe des Zentralions sein. Jedoch gelang es nicht, in den Systemen PrIv/J?r1I1 und TblV/!Cblll die hochste Oxydationsstufe mit Hilfe von Komplexo- nen zu stabilisieren, weil das Redoxpotential dieser Paare sehr hoch ist - hoher als 2 V [5], [6]. Unter stabilisierenden Bedingungen ist die Geschwindigkeit der Redox-Wechselwirkung zwischen dem Metallion in maximaler

Oxydationsstufe und dem Komplexon minimal; unter destabili- sierenden Bedingungen ist sie maximal. War das Redoxpotential des Ionenpaares, z. B. im Fall der Systeme TiIV/Tinlund VIv/VUr, nicht geniigend hoch fur die Komplexon-Oxydation, so wurde ein zusiitzliches LuBeres Oxydationsmittel, z. B. Sauerstoff oder Perchlorationen, in die durch Komplexon zu stabilisierenden Systeme eingefuhrt. In anderen Fallen (Thallium-System) war es gunstig, ein auBeres Reduktionsmittel, z. B. Hydrazin oder Hypo- phosphitionen H,POa-, hinzuzusetzen [7] und die stabilisierende Wirkung des Komplexons, bezogen auf diesen ReduktionsprozeB, zu betrachten.

1.1. EinfluJ auf die Reduktionsgeschwindigkeit in Cer- und M a n g a ~ - S ~ ~ t e ~ e n

Die erhaltenen Ergebnisse lassen sich in zwei Gruppen unterhilen. Fur die Systeme, die Celv/Celll iihnlich sind, wird maximale Oxydationsgeschwindigkeit des Komplexons (der Ethylendiamin- tetraessig-, Diethylentriaminpentaessig-, Nitrilotriessig- 11. a. Sau- ren) durch CerIV in saurem Medium dann beobachtet, wenn der Komplexbildungsvorgang CeIV-Komplexon fehlt oder unvoll- stiindig ist. Wird dariiber hinaus noch die Protonenkonzentration bei dieser Komplexbildungsreaktion erniedrigt, kommt der Re- doxvorgang fast zum Erliegen [8] (Bild 1). So wird die Stabilisierung des Cers in maximaler Oxydationsstufe durch Komplexon-Reduktionsmittel erreicht. Folgende Gesetz- mlBigkeit hat sich dabei herausgestellt: je groBer die StabilitLts-

PH - Bild 1 Abhangigkeit der Geschwindigkeit der Redoxwechsel- wirkung im System Cer(1V)-Komplexon von der AciditPt des Mediums ; 1 Nitrilotriessigsaure (NTS), 2 Ethylendiamintetra- essigsaure (EDTS), 3 DiethylendiaminpentaessigsLure (DTPS)

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konstante Kstab des Ceriumkomplexonats ist, desto geringer ist die Geschwindigkeit der Redoxwecbselwirkung bei stabilisieren- den Bedingungen (Tab. 1).

Tabelle 1 Stabilitatskonstanten und EMK-Werte der Systeme Cer( IV) -Komplexon DTPS - Diethylentriaminpentaessigsiiure, EDTS - Ethylen- diamintetraessigslure, NTS - Nitrilotriessigsiiure

den kann, wenn keine Verschiebung der Elektronendichte vom Sauerstoffatom des Komplexons zum Metallion stattfindet wie z.B. im Falle des Cer(IV). Im Gegenteil, man beobachtet in den Komplexoneten des Mangan(III), die schnell nach einem intra- molekularen Mechanismus reduziert werden, eine deutliche Ver- schiebung der Elektronendichte vom Sauerstoff zum Metall, und die Bindung Komplexon-Metall nlhert sich der Kovalenz (Bild 3).

Komplexon DTPS EDTS NTS

K S tab 1,2 * 10% 2,5.1025 4,8 lo1* EMK in V 0,723 0,757 0,821

Eine vollig andere Tendenz tritt in Losungen auf, die Mangan(II1) entbalten [9]. Hier bewirken die Kornplexone, die Cer(1V) stabili- sieren, die Reduktion von Mangan(III), und die Geschwindig- keit der Reduktion ist um so groljer, je stabiler das Mangan-Kom- plexonat ist. Wie aus Bild 2 ersichtlich ist, existieren zwei gegenlaufige Ten- denzen in der Abhangigkeit der Stabilisierung der maximalen Oxydationsstufen des Cers und Mangans von der Bestiindigkeit der Komplexonate, die von ihnen gebildet werden. Man kann voraussagen, dalj die Uraache solch offensichtlicher Ungleichheit der Komplexonate verschiedener Metalle der un- gleiche uberlappungsgrad der Liganden- und Zentralatomelek- tronenbahnfunktionen in den Komplexonaten ist. Infrarotspektro- skopische Untersuchungen zeigen, dalj die Stabilisierung der maxi- malen Oxydationsstufe durch Komplexone nur dann erzielt wer-

1 , I , 1

kKStIab

Bild 2 Abhiingigkeit der Geschwindigkeit der Reduktion von Mangan(II1) (1) und Cer(1V) (2) durch Komplexon von lg Kstab

Wellenmhl Bild 3 gan(II1) und Mangan(I1)

IR-Spektren der Ethylendiamintetraacetate von Man-

1.2. Direkte Reduktionswirkung

Die Stabilisierungsgesetzmiiljigkeiten der maximalen Oxydations- stufen von Metallen durch Komplexone umfassen nicht nur den EinfluS der Bestiindigkeit der von ihnen gebildeten Komplexo- nate, sondern auch den EinfluB der Reduktionswirkung der Li- ganden selbst. Die von uns untersuchten Komplexone weisen folgende Reihenfolge - geordnet nach sinkender Reduktionswir- kung - auf: DTPS > EDTS > NTS. In stark aauren Medien, in denen sich die Komplexone in proto- nierter Form befinden und zur Komplexbildung (zumindest zur Chelatbildung) unfihig sind, zeigt sich - bezogen auf die Metalle in ihren hochsten Oxydationsstufen - allein die reduzierende Wirkung der Komplexone. Wir fanden [lo], dal3 die oben erwahnte Gesetzmaljigkeit fur alle von uns untersuchten Metallionen in maximaler Oxydationsstufe gilt, d. h., das Komplexon ist unter gleichen Bedingungen das starkste Reduktionsmittel. Mehr noch, wenn die Konzentration an Protonen, die ihrerseits eine Reaktion mit dem Komplexon anstreben, gering ist und somit Chelatbil- dung stattfindet, weisen die Komplexone Eigenschaften optimaler Stabilisatoren fur die maximale Oxydationsstufe auf (fur ionogene Bindungen Metall-Komplexon).

2.3. Biologische Wirkung Komplexone sind, wie bekannt, vor allem Polyaminopolycarbon- siluren sowie deren Salze. Sie spielen in der Biologie eine gewisse Rolle. AuBer Komplexonen ,,naturlicher" Herkunft gibt es jetzt in der Biosphgre eine standig wachsende Menge von Komplexo- nen, was eine Folgeerscheinung der Chemisierung in Industrie und Landwirtschaft ist. Die im folgenden erorterten Probleme haben nicht allein wissen- schaftliches Interesse, sondern auch praktische Bedeutung, da deren Losung die Moglichkeit bietet, den in der Biosphkre durch Komplexonspeicherung hervorgerufenen Veriinderungen entgegcn- zuwirken. Zum Beispiel ist die zur Zeit beobachtete Hypoxio (Sauerstoffmangel) in Meeren und Seen leicht durch die Stabili- sierung der hoheren Oxydationsstufen von Metallen (Fe, Mn ma.) durch Komplexone und den damit verbundenen erhohten Ver- brauch von gelostem Luftsauerstoff zu erkliiren.

2. Fluorverbindungen Eine grolje Bedeutung fur die Stabilisierung von Metallkationen in maximaler Oxydationsstufe besitzen die Fluorokomplexe. Un- tersuchungen hierzu werden in einer Reihe von Instituten ver- schiedener Lander durchgefubrt, so auch in unserem Laboreto- rium. Als Fluorokomplexe der Struktur Cs,LnF, konnen die Lan- thanoidenelemente cer, Praseodym, Neodym, Terbium und Dys- prosium in der Oxydationsstufe +4 erhalten werden. Wie Berech- nungen zeigen, ist in diesen Verbindungen die Liinge der LnIV-F- Bindung etwas kurzer als in den Tetrafluoriden LnF,. In den Kom- plexen Cs,LnF, lagern sich die Ionen LnIV in eine pentagonale Bipyramide von Fluoridionen ein. In den Tetrafluoriden der Sel- tenen Erden sind die Kationen LnIV von acht Fluoridionen um- geben, die in dem Oktaeder sitzen. Das ist die Ursache der er- hohten LnIV-F-Bindungslhge [12J Die Vergroljerung dee Bindungsabstandes LnIV-F sowie die An- derung der Koordinationszahl von LnIV konnen eine der Ursachen fur die geringere Stabilitiit der Oxydationsstufe von LnIV in den Tetrafluoriden LnF,, verglichen mit den Komplexen Cs,LnF,, sein.

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Im Falle der Tetrafluoride LnF, fallt die Stabilitit der Oxydations- stufe +4 in der Reihe Ce-Tb-Pr bedeutend schneller als im Falle der Fluorokomplexe. Von den bekannten Tetrafluoriden der Sel- tenen Erden ist PrF, am wenigsten bestandig, und die Verbindun- gen NdF, und DyF, wurden bisher noch nicht erhalten; NdIV und DyIV konnen nur in den Fluorokomplexen stabilisiert werden.

8.1. ~~uor ie run~srea f n e n

Wie Ju. M . Kiseljov und L. I . Martynenko zeigen konnten, gelingt im Unterschied zu PrF, die Synthese der sehr bestindigen Tetra- fluoride CeF, und TbF, mit einer groaen Anzahl von Fluorierungs- mitteln: z.B. durch direkte Fluorierung der Trifluoride:

1 2

LnF, + - F, --z LnF, (1)

oder nach der vou uns vorgeschlagenen Reaktion:

1 1 n n

LnF, + - RF,, + LnF, + - R (2)

fur RF, = XeF,, XeF4, XeF,, KrF,.

Es gelang uns, die Synthese des Praseodymtetrafluorids erstmalig in quantitativer Ausbeute durohzufuhren und ein Praparat 100yoiger Reinheit zu erhalten, und zwar durch Umsetzung des braiinen Praseodymoxids rnit dem starksten Fluorierungsmittel, dem Kryptonfluorid, bei Zimmertemperatur [16] :

Pro2-, + 2KrF, -+ PrF, + 2Kr + (1-x)O, (3) Das Praseodymtetrafluorid ist eine sehr unbestindige Verbin- dung: Schon bei Zimmertemperatur erfolgt langsame Zersetzung [17]:

PrF4(&)-+ PrF,(s) + R2(g, (4)

Die geringe Radiusverkleinerung des Pr4+-Ions gegenuber dem Ce4+-Ion wird also von einer deutlichen Erniedrigung der Stabi- litat der Tetrafluoride begleitet; Fur vollstandigen Umsatz naoh GI. (4) sind fur CeF, 390"C, dagegen fur PrF, nur 90°C erforder- lich [MI. Obwohl im Falle der Fluorokomplexe Cs,LnIV/T, Unterschiede in den Stabilitaten der Oxydationsstufe LnIV erhalten bleiben, sind die Zersetzungstemperaturen fur Cs,LnF, zu hoheren Werten ver- schoben (etwa auf 200'C). Deshalb ist es moglich, Cs,LnIVF7 bei erhohter Temperatur aus den dreiwertigen Lanthanoidenkom- plexen durch Reaktion von Cs,LnIrrF6 rnit Xenon- oder Krypton- fluoriden zu erhalten:

1 1 n n

Cs,Ln"IF, + - RF, + Cs,LnIV F7 + - R ( 5 )

fur R = Xe, Kr.

Bei Verwenduug von KrF, wurde die gro0te Ausbeute (bis GO bis 70%) der am wenigsten stabilen Fluorokomplexe vierwertigen Neodyms und Dysprosiums erzielt [19].

3. Heteropolyverbindungen In den letzten Jahren haben E. A . Tor6enenkova und andere Mit- arbeiter unseres Laboratoriums Arbeiten zum Stndium neuer Zentralatorne und Liganden bei der Synthese von Heteropolyver- bindungen durchgefuhrt. Es wurde festgestellt, da0 nicht nur Cer und Thorium, sondern auch vierwertiges Uran und Neptunium die Funktion des Zentralatoms in der Heteromolybdansiiure uber- nehmen konnen [20], [21]. Nach den ausgearbeiteten Methoden wurden Uran(1V)-12-Mo- lybdinsiure und Neptunium(IV)-12-Molybdiinslure synthetisiert sowie eine Reihe von ihren Salzen. Die Sauren haben folgende Formel :

H,[U1VM01,04,] * 18H,O; Hs[nplvMO,,O,,] .18H,O

Neptunium(IV)-21-Molybdansiiure ist eine starke, achtbesige Siiure, die in ihren Eigenschaften der Uran(IV)-12-Molybd;in- saure und der Thorium-12-Molybdllnslure gleich ist. Die Synthese der Plutonium(1V)-12-Molybdiinsiiure bereitete ge- wisse Schwierigkeiten. Interessante Ergebnisse lieferte jedoch die Verwendung von Polywolframaten als Liganden im Verhiiltnia MeIV:W = 1:10. Es wurde festgestellt [22], da.B Uran(IV) mit Dekawolframsiiure einen stabilen Komplex [U1'WIQO3J8- bildet, dessen Struktur in Bild 4 wiedergegeben ist.

Bild4 Struktur des Hetero- polyanions [UWI00,,]8-

Die Untersuchungen zeigten, daB sich die Struktur des Anions [U1vWloO,,]*- wesentlich von der des Anions [CeM0,,0,J8- unter- scheidet. Wolframatome besetzen die Ecken eines quadratischen Anti- prismas, in dessen Zentrum sich das Uranatom befindet. Das Heteropolyanion ist aus zwei W,O,,a--Gruppen zusammengesetzt, denen jeweils ein Wolframatom sowie das ihnen entsprechende endstlndige Sauerstoffatom entnommen sind. Die entstehenden Fragmente bilden zueinander einen Winkel von etwa 47'. Die beschriebene Verbindung unterscheidet sich also prinzipiell in der Struktur von den Heteropolymolybdaten, deren Sauerstoffatome einen zentralen Ikosaeder bilden. Das Dekawolframat-Anion wurde auch bei der Synthese der Re- teropolywolframate des Neptunium(1V) und des Plutonium(1V) erfolgreich eingesetzt [23]. Die Salze der Uranwolframsiiure sind dunkelbraun, Neptuniumwolframate sind hellrosa und Plutonium- wolframate rosa. Die Struktur ihrer Anionen entspricht der all- gemeinen Formel [XW,o0,,]8- rnit X = NpIV, PdV, obwohl die Anwesenheit eines Innersphirprotons gemiiB [HW,,0,,]7- nicht ausgeschlossen ist. Infrarotspektroskopische Untersuchun- gen bestltigen nicht nur die gleiche Wolframatumgebung des Zentralatoms, sondern auch die gleiche Hydratumgebung des ge- samten Anions. Die Dekawolframate der vienvertigen Actinoiden sind sehr be- stiindige Komplexe. Trilon-B und andere Komplexone in neutra- lem Milieu zerstoren die gegebenen Komplexe nicht, auch nicht bei zehnfachem UberschuB. Im Gegenteil, die Actinoidenkomplexe mit Trilon-B und anderen Komplexonen werden bei Zugabe frisch angesiiuerter Natriumwolframatlosung (pH w 7) in stochiometri- soher Menge zerstort.

3.1. Ungeslittigte Heteropolysauren ala Liganden

Besonders interessante Ergebnisse wurden bei Venvendung der Anionen ungesattigter Heteropolysauren zur Komplexierung der Ionen vierwertiger Metalle erhalten. In dieser Hinsicht wurden Phosphorwolframate, Siliciumwolfra- mate und einige andere Verbindungen untersucht, die zu den Reihen 1 : 11, 1 : 9 und 1 : 8,5 gehoren. Sie entstehen bei der Hydro- lyse von Salzen der Grenzreihe (1 : 12) unter den Bedingungen all-

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mahlicher pH-Steigerung. Die entsprechenden Salze konnen leicht in reinem Zustand erhalten werden, z. B. K7[PW1,0,,],

Dreiwertige Lanthanoiden und Actinoiden bilden ebenfalls Kom- plexe mit den genannten Liganden, aber elektrochemische Mes- sungen zeigen eine groSere Stabilitit der Komplexe, die vienvertige Ionen enthalten. So betriigt z. B. die Potentialverschiebung der Redoxpaare Ce1V/Ce1'1[24] und [25] in der Losung von Kl,[P,Wl,O,,] - verglichen rnit der Losung 1m HCIO, - 0,9 V, was fur eine Komplexierung von Ce" und PuIv spricht. Die Komplexierung der vienvertigen Metalle ist um 15 Zehnerpoten- zen stiirker als die der dreiwertigen mit denselben Liganden. Eine derart groDe Potentialverschiebung sowie die Bestindigkeit dieser Liganden gegenuber Oxydationsmitteln veranladten uns, ungesattigte Heteropolywolframate fur die Stabilisierung dee vier- wertigen Zustands von Terbium, Praseodym, Americium und Curium zu verwenden. Das Normalpotential des Redoxpaares ArnIV/Am1I1 wird in der Literatur mit ungefahr +2,4V angegeben [26] und fur PrIv/PrIn, CmIV/Cm'll sowie TbIV/TblI1 mit etwa +3V [27]. AUS diesem Grunde konnen AmIV, CmIV, PrIV und TbIv nicht in Form hydratisierter Md+-Kationen in wiiDriger Lo- sung existieren. Von uns wurden erstmalig die erwiihnten Heteropolyanionen zur Stabilisierung vierwertigen Americiums, Curiums, Terbiums und Praseodyms angewandt [28]. [29]: [PW,,O,J-, [SiWl1039]*-, [BW,,O,,]~- und [p,W170,,]10-. Als Oxydationsmittel verwende- ten wir Kalium- und Natriumpersulfate bei etwa 9O"C, daneben auch Na,XeO,. Ozon erwies sich hierbei als ungeeignet. Mit den angefuhrten Oxydationsmitteln sind vienvertiges Americium, Curium, Terbium und Praseodym in den wadrigen Losungen der genannten Liganden bequem zu erhalten. Beim Ubergang in den vierwertigen Zustand vertieft sich die Farbe der Losungen - fur Americium nach rotgelb, fur Curium nach kirschrot und fur Ter- bium und Praseodym nach dunkelbraun. Die Oxydationsstufe +4 dieser Elemente ist durch spektralphoto- metrische Messungen der Ausgangs- und Endlosungen, durch Ti- tration rnit Losungen von Reduktionsmitteln und durch qualita- tive Reaktionen mit einigen Reagenzien erwiesen [28], [29]. So ist z.B. Terbium(1V) in der Lage, Neptunium(1V) im schwach sauren Medium zu Neptunium(VI1) zu oxydieren. Bisher gab eS -

K10[P2W170611 ""

2000 \ \I

A -

Bild 6 Absorptionsspektren der Losungen I (3.a.10) * 1 0 - 4 ~ Americium(1V) in Gegenwart von (1...5) - 2 (3.e-10) * l o - 4 ~ Americium(II1) in Gegenwart von (1---4) . M Klo[P2Wl,06J, 3 (3**.10) *

bei pH = 5,5; t = 25OC; 1 = 1 om (Vergleich: H,O)

10-3 N K~~[P,WAI,

M Americium(II1) in Gegenwart von (1*..4) 10" M K7[PWiiOaI

auBer elektrochemischen Verfahren - keine Methode, Neptuni- um(VI1) in saurem Medium zu erhalten. I n den Absorptionsspek- tren vierwertigen Americiums, Curiums, Terbiums und Praseodyms werden breite Ladungsubertragungsbanden beobachtet, die den sichtbaren Teil des Spektrums iiberdecken und so deren Farbs hervorrufen (Bilder 5 und 6).

A +

Bild 6 Absorptionsspektren der Losungen I 10-4 M Curium(IV), 2 M Terbium(IV), beide in Gegenwart von 2 M K,,[P,W,O,,], bei pH = 5; t = 25°C; 1 = 1 ern (Vergleich: H,O)

Was die Bestandigkeit der komplexierten Ionen in w&Driger Losung betrifft, so ist Praseodym(IV) am wenigsten bestindig. I m Falle der Oxydation mit Persulfationen existiert die Farbe der Losung nurbei 60-90°C; sie verschwindet schnell bei Abkuhlung auf Raum- temperatur. Terbium(IV) ist unter den besohriebenen Bedingungen vie1 bestandiger als Praseodym(1V) ; bei Abkuhlung der Losung bleibt die Farbe bestehen, die sich bereits gebildet hatte beim langeren Stehenlassen der Terbium(II1) und Natriumpersulfat mthaltenden Phosphorwolframatlosungen bei 25 "C. Da Americium-243 und Curium-244 radioaktive Elemente sind, werden in der Losung infolge Radiolyse starke Reduktionsmittel erzeugt, die die Bestiindigkeit der Oxydationsstufe + 4 erniedri- gen. I m Falle des Isotops Curium-244 betragt die Zeit seiner voll- stindigen Umwandlung aus dem vienvertigen in den dreiwertigen Zustand 1,5 Stunden. Wiederholtes Erwiirmen in Gegenwart von Natriumpersulfat regeneriert die kirschrote Farbe. Von den untersuchten ungesattigten Heteropolywolframaten Bind fur die Stabilisierung von Terbium(IV) die Anionen der Boro- wolframsaure am wenigsten wirksam [29]. Zum Beispiel wird Ter- bium(II1) durch Persulfat in Gegenwart uberschiissiger [P2Wl,o,l]10-- und [PWl,03,]7--Ionen gewohnlich zu 70-90% oxy- diert, dagegen in Gegenwart von [SiW,,03,]8- und [BWl,03g]g- nur zu 30-50%. Die Stabilitit des Terbium(TV) pro Zeiteinheit ist also auch von der Art des Heteropolyanions abhiingig. In Gegenwart von [SiW,,O,,]*- verschwindet die Farbe von Terbium (IV) bei Zimmertemperatur fast vollstiindig innerhalb von 2-3 Tagen, in Gegenwart von [BW,,O,,]s- dagegen innerhalb einer halben Stunde. Im Komplex rnit den Phosphorwolframaten ist Terbium(IV) lange Zeit stabil.

3.2. Normalpotentiale

Eine quantitative Erfassung der gesunkenen Oxydationskraft vier- wertigen Americiums, Curiums, Terbiums in den Losungen un- gesattigter Heteropolywolframate durch Messung ihres Normal- potentials wurde von uns nur fur Americium durchgefuhrt, weil beim Einbringen der Platinfolien in die Losungen der ubrigen Elemente rasche Reduktion derselben erfolgt. Die potentiometri-

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schen und polarographischen Messungen wurden an LBsungen von K,,[P2W170,,] vorgenommen und ergaben Werte von +(1,40 f 0,5) V. Im Verlaufe der Messung des Potentials von AmIV/Arn1I1 wurde eine deutliche Abhangigkeit von der Ruhrgeschwindigkeit beobachtet; fur konstantes Ruhren besteht zeitliche Abhangigkeit. Spektralphotometrische Messungen zeigten, daD die Konzentra- tion an Americium(1V) mit der Zeit abnimmt. Das deutet darauf hin, daB derProzeB der Wasseroxydation durch Americium(1V) von Platin katalysiert wird. Die Potentialverschiebung um 0,9 V, die beim Ubergang von I M HCIO, zu den Losungen von K1,[P2Wl7O,,] fur die Redox- paare PuIv/Pu1Ir [25] und CeIV/Ce1I1 festgestellt wurde, bleibt auch im Falle des Americiums erhalten.

3.3. Struktur der Komplexe mit ungesattigten Phosphorwolframaten

Nach unseren Untersuchungen betragt das Verhaltnis MeIV : Ligand in den Komplexen mit ungesattigten Phosphorwolframa- ten 1: 1 und 1 : 2. Die Struktur des Anions [PW,,O,,]7- ist bekannt; sie entspricht einer nicht vollstandig aufgebauten Keggin-Struk- tur, aus der - wie auch im Falle des ~,O,,]~--Anions - eine W=O-Gruppierung entfernt wurde. Die so entstehenden Koordinationsstellen fiinf ungesattigter Sauerstoffatome konnen das in Losung befindliche Metallion ko- ordinieren. Wenn es die KationengroDe erlaubt, kann das Kation in die entstandene ,,Hohle" eindringen und bildet um sich herum eine verzerrte oktaedrische Konfiguration von Sauerstoffatomen am. (Die sechste Position in der Koordination ubernehmen Was- sermolekule, Ammoniakmolekule oder andere Anionen.) Gestattet

Bild 7 Vermutliche Struktur des komplexen Anions [Me1v(~~ll~3g)21-10

die KationengroDe den Einbau in die ,,Hohle" nicht, so treten die Liganden - bezogen auf das Metallkation - vermutlich als vier- zahnig auf, wie es fur den Fall der Dekawolframate zutrifft. Auf Grund dieser Modellbetrachtung vermuten wir fur das Komplex- anion [Me1V(PWl,03g)2]10- die in Bild 7 gezeigte Struktur. Es sei noch darauf hingewiesen, d a l Molybdanderivate wie [XMO,~O,,]~- in Losung weniger bestindig Bind als die Wolframderivate, und das analoge Anion [X,M~,O,,]lO- wird bei Erhohung des pH- Wertes von Losungen, die die Anionen [X2M0,,0B2]6- enthalten, uberhaupt nicht erhalten.

Die Untersuchung ungesattigter Phosphorwolframate, die als Liganden fungieren konnen, wird von uns fortgesetzt.

L i t e r a t u r

[I] Malinina, E. A.; Martynenko, L. I.; Peiiurova, N. I.; Spitzin,

[2] Jakovleva, E. G.; PeCurova, N . I.; Martynenko, L. I.; Spitzin,

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[4] Tishienko, R. P.; PeEurova, N . I.; Spitzin, V . I.: Izd. &ad.

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[20] Bajdala, P.; Toriienkova, E. A.; Spitzin, V . I.: Dokl. Akad. Nauk SSSR 196 (1971) 1344

[Sl] Toriienkova, E. A.; Golubev, A . M.; Saprykin, A . 8.; Krot, N . N.; Spitzin, V . I.: Dokl. Akad. Nauk SSSR 216 (1974) 1073

[22] Golubev, A. M.; Kazunskij, L. P.; Tord'enkova, E. A.; Sim- nov, V. I.; Spitzin, V . I.: Dokl. Akad. Nauk SSSR 221 (1975) 361

[23] Saprykin, A. 8.; Spitzin, V . I.: Radiochimija 18 (1976) 101 [24] Peacock, R. D.; Weakley, T . I . R.: J. Chem. SOC. (A) 1971,

[25] Saprykin, A. 8.; Spitzin, V . I.; Krot, N . N.: Dokl. Akad.

[26] Eyring, L.; Cohr, H . R.; Cunningham, W. W.: J. Amer. ohem.

[27] Nugent, L. S.; Baybarz, R. D.; Burnett, I . L.; Ryan, L. I . :

[ZS ] Saprykin, A . 8.; Shilov, V . P.; Spitzin, V . I.; Krot, N. N.:

[29] Saprykin, A. 8.; Spitzin, 7. I.; Krot, N . N.: Dokl. Akad.

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Nauk SSSR, im Druek

eingegangen am 7. Februar 1977 ZCA 5593

2. Chem., 17. Jg. (1977) Heft 10 0 357


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