12 I 01 2017 PENTHOUSE 07
PENTHOUSE GENUSS
Von Jan Zumholz
DIE SUCHE NACH DEM
TRINKKULTUR
Gin ist in, das sollte inzwischen jeder Liebhaber von Spirituosen mitbekommen haben. Denn damit ist das Gin-Trinken zur kulturellen Herausforderung geworden, die an der Theke die Spreu vom Weizen trennt. Bist du ein Kenner? Oder nur ein 08/15-Genießer?
DES LEBENS
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Definitiv Kenner: Raphael Vollmar und Gerald Koenen mit ihrem selbst kreierten Siegfried
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PENTHOUSE GOURMET
08 PENTHOUSE 08 I 09 2016
PENTHOUSE GENUSS
der Nullerjahre – Bombay Sapphire, Tanqueray und Hendrick’s – sorgen nur noch selten für ein Funkeln in den Augen des Gin-Trinkers. Dafür gibt es zu viele neue, spannende Sorten aus aller Welt.
GIN IST MEIN GEMÜSEDer kennerhafte Genuss ist durch den Boom zur hohen Kunst geworden. Es gilt, bis zu 74 Botanicals aus einem einzigen Gin herauszuschmecken, dazu gibt es diverse Tonic-Sorten zur Auswahl und als Garnitur auch mal Gurke, Sternanis, Minze oder Lakritze. War „ein Gin-Tonic“ früher eine klare Ansage bei der Getränke-bestellung, wirft er heute viele Fragen auf. Penthouse hat nach Antworten gesucht und stellt auf diesen Seiten vier außergewöhnliche Gin-Sorten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vor. Damit die Augen wieder funkeln.
In der Goldenen Bar in München gibt es den 24 h Ginmillo Tea: Tanqueray No. 10, mit Kamille aromatisiert und mit warmem
Fever-Tree Indian Tonic aufgegossen.
Anton Vogl betreibt mit seinen Söhnen Anton junior und Christoph Österreichs
älteste Brennerei: den Guglhof.
Früher war es ganz leicht, zu den Kennern zu gehören. Jahrzehntelang verstand man in Deutschland unter einem guten Gin-Tonic die Kom-bination aus Gordon’s London Dry Gin und Schweppes Indian Tonic Water mit Eis und einer Scheibe Zitrone. Das war very british, schließ-lich stammt Gordon’s noch aus der Gin-Gründerzeit, erstmals 1769 in London abgefüllt, und wurde seit 1925 diverse Male zum königli-chen Hoflieferanten ernannt. Auch von Elizabeth Bowes-Lyon, besser bekannt als Queen Mum, die sich laut ihrem offiziellen Biografen William Shawcross schon zum Frühstück einen kräftigen Schluck von dem Zeug genehmigte. Offenbar ein wahrer Gin des Lebens, immerhin wurde sie stolze 101 Jahre alt.
ZEITEN ÄNDERN DICHAuch ein königlich namensverwandter Filmklassiker, „African Queen“, sorgte für eine treue Gordon’s-Fangemein-de. Humphrey Bogart, der Inbegriff von smarter Männlichkeit, trank die Marke hier ohne Scheu vor Schleich-werbung. Aber Bogart ist lange tot und dass Katherine Hepburn den Gin im Film schließlich weggekippt hat, mag ein schlechtes Omen gewesen sein. Denn inzwischen gilt Gordon’s als gewöhnliche Massenware und selbst die angesagten Edel-Marken
G&T– die größten Irrtümer
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Viele alte Gin-Tonic-Gewohnheiten werden derzeit von Barkeepern, die was auf sich halten, korrigiert. Um mit drei klassischen Irrtümern aufzuräumen:
1 Gin-Tonic gehört in ein Longdrink-Glas.
Bei diesen Gläsern vermischt sich der Gin mit dem Tonic nicht optimal und darunter leidet nicht nur der Geschmack, sondern auch das sogenannte Nosing – das fein-sinnige Herausriechen der Aromen-Kom-position, die jedem Gin seine eigene Note
verleiht. Außerdem wird das Getränk, wenn man sich auf Partys krampfhaft daran festhält, so zu schnell warm. Korrekt ist ein großes, ballonförmiges Glas, das sogenannte copa de balon. Ein normales Rotweinglas tut’s auch.
FALSCH!
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Schon der Name bürgt für einen sa-genhaften Charakter: Siegfried, wie der drachentötende Held des Nibelungen-lieds. Sagenhaft war auch die bisherige Erfolgsgeschichte: Von zwei Spirituo-senliebhabern ohne Fachwissen und ohne großes Budget begründet, kamen mithilfe der fachkundigen Eifel-Destillerie Ende 2014 die ersten 200 Flaschen auf den Markt. Über Facebook und reale Freunde fanden sie reißenden Absatz, schon 2015 folgten die ersten Spirituo-sen-Goldmedaillen. Hier stimmt einfach die Chemie, nicht nur zwischen den Ma-chern, sondern auch zwischen den 18
Botanicals. Sogenanntes Leit-Botanical ist die Lindenblüte, die dem Gin deutlich besser bekommt als in der Sage das Lindenblatt dem armen Helden. Siegfried ist tot, es lebe Siggi – so der schnell eingebürgerte Kosename des rheinländi-schen Gin-Helden, zu dem beim Tasting Vokabeln in den Raum geworfen werden, die man sonst eher mit einem Waldspa-ziergang im Morgentau – vorzugsweise im Rheinland – assoziiert. Siggi braucht somit nicht unbedingt einen Begleiter. Im Tumbler auf Eis ein abgerundeter, natürlicher Spirituosengenuss. Tonic-Empfehlung: Goldberg
Schon beim ersten Schluck stellt sich die Lust nach Mettwurst und Bacon-Chips ein. Für wankelmütige Vegetarier möglicherweise eine effektive Ersatzdroge, denn für den rauchig-salzigen Geschmack dieses ungewöhnlichen Schweizer Gins stirbt kein Schwein. Das Geheimnis liegt in den geräucherten Kastanien, einem wohl einzigartigen Botanical, und dem Steinsalz aus den Schweizer Alpen. Mit diesen Eigenarten ist der nginious! kein automatischer Platzhirsch auf der Zunge, eher ein Exot für besondere Gin-Gelüste. Nach dem ersten Eindruck beim Tasting ruhig für eine Weile stehen lassen und mit anderen Gin-Sorten anbändeln, um dann immer mal für eine kleine Kostprobe zurückzukehren. Erst nach diesem behutsamen Herantasten sollte die Paarung erfolgen. Hier bietet sich ein Tonic mit milden Bitteraromen an. Nicht zu empfehlen ist der hauseigene Servier-vorschlag mit einem Ginger Beer – zu penetrant. Ein Dominus braucht keine Domina. Tonic-Empfehlung: Fever-Tree Mediterranean
In einen Gin-Tonic gehört eine Zitronenscheibe.
Hinein gehören nur dünne Streifen der äußeren (vorher abzuwaschenden) Scha-le einer beliebigen Zitrusfrucht, die soge-nannte Zeste. Hier sind die ätherischen Öle der Frucht enthalten, in der inneren Schale stecken die Bitterstoffe und das Fruchtfleisch hat einen zu starken Eigen-geschmack – dadurch schmeckt man nur noch Zitrone. Zumal: Ein wirklich guter Gin braucht keine Garnitur.
Die Bezeichnung London Dry Gin bürgt für original britische Qualität.
Bei der Bezeichnung London Gin, die durch die Einfügung „Dry“ ergänzt werden kann, handelt es sich um eine Art Gütesiegel, ähnlich dem deutschen Reinheitsgebot für Bier. Laut den EU-Vorgaben wird ein London Dry Gin aus Ethylalkohol landwirt-schaftlichen Ursprungs gewonnen und sein Aroma entsteht ausschließlich durch die erneute Destillation unter Zusetzen aller verwendeten pflanzlichen Stoffe. Viele der
neueren Gins destillieren jeden dieser Stof-fe, die sogenannten Botanicals, dagegen einzeln. Somit muss ein London Dry Gin weder aus London oder sonstwo aus Eng-land kommen, noch sagt die Bezeichnung etwas über seinen Geschmack aus. Typisch ist allerdings ein bitterscharfer Geschmack mit dem für jede Form von Gin vorgeschriebenen vorherrschenden Wacholderaroma, deutlicher Zitrusnote und trockenem Abgang. So ein Gin braucht unbedingt einen Begleiter, pur schmeckt er nicht.
VERR(A)UCHTE VERFÜHRUNG: NGINIOUS! SMOKED & SALTED GIN
SAGENHAFTER HELD: SIEGFRIED
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FALSCH! FALSCH!
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PENTHOUSE GENUSS
Dieses 432 Seiten starke Handbuch stellt eine Art Reiseführer für die schöne neue Gin-Welt dar. Informa-tiv, wortgewandt und mit unkritischer Begeisterung stellen der Gin-Experte Frédéric du Bois und die Foodauto-rin Isabel Boons 110 Gin- und über 50 Tonic-Sorten vor. „Unbedacht irgendein Tonic zu verwenden, wäre dasselbe, wie einfach irgendein Benzin in den Tank eines Autos zu füllen“, warnen die Autoren. Nützlich für den Laien sind daher vor allem die Empfehlungen für die richtige Kombination und den perfekten Genuss, dazu gibt es auch einige passende Rezepte und interna-tionale Bar-Tipps.
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OSTFRIESISCH FÜR ANFÄNGER: FREESIA GIN
DAS ALPENGLÜHEN: GIN ALPIN
Gin
Das ultimative Handbuch für den perfekten Mix
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So wie den Guglhof in Hallein, südlich von Salzburg, stellen sich männliche Romantiker eine Brennerei vor. Die Ursprünge des 2004 liebevoll renovierten Wirtschaftsgebäudes reichen bis ins Jahr 1530 zurück. Zum Destillieren verwendet die Edelbrennerei eine alte Kupferbrennblase, in der Anton Vogl II. schon in den 30er-Jahren einen eigenen Gin kreiert hat. Die Rezeptur hat Anton Vogl III. inzwischen verfeinert, so entstand der Gin Alpin. Das als Basis dienende Weizendestillat stellt der Familienbetrieb selbst her. Wer diesen Austrian Dry Gin einmal pur genossen hat, lässt seine London-Dry-Kollektion im Schrank verstauben. Wobei sie beim ersten Eindruck durchaus eine gewisse Schärfe verbindet: Der 42-prozentige Alkohol steigt beim Nosing angenehm kräftig in die Nase und kitzelt die von einem beherzten Probierschluck umspülte Zunge. Erst dann setzt der Effekt der 23 Botanicals ein. Die harmonische, alpin geprägte Komposition aus Wacholder, Blüten und Wildfrüchten sorgt für ein überraschend fruchtig-würziges Alpenglühen am Gaumen. Dennoch ein paarungswilliger Gin. Tonic-Empfehlung: Fentimans
„Eala Frya Fresena“ – „Erhebt euch, freie Friesen“. Der ostfrie-sische Wappenspruch steht nicht zufällig auf dieser Flasche, denn der Gin stammt aus Leer und kann sich stolz gegen die traditionelle britische Vorherrschaft auflehnen. Schließlich se-hen sich die Friesen als Godfathers of Gin, indem sie die Ur-form dieses Getränks, den Genever, erfunden haben wollen. Das behaupten natürlich ebenso die Belgier und Holländer von sich, insofern wackelt zwar das historische Fundament, nicht jedoch das heutige Haus: Der FREEsia ist eine Spezia-lität der traditionsreichen ortsansässigen Weinhandlung Wein Wolff und hebt sich nicht nur durch sein zitronig-frisches, gar nicht fuseliges Geruchsaroma und seine mädchenhafte Milde im Geschmack vom strengeren angelsächsischen Vorbild
ab. Für die eigene Note hat Geschäftsführer Jan Wolff mit regionaltypischen Botanicals experimentiert. Nachdem das Sanddorn-Experiment in den Ausguss wanderte, kam die Er-leuchtung. Man kommt beim Tasting nicht direkt drauf, aber die Auflösung des Rätsels ist naheliegend und liegt danach buchstäblich auf der Zunge: Tee! Tonic-Empfehlung: Thomas Henry
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