Transcript
Page 1: PI7909 1133 460. - eisq.eu · den Service und die Therapie lieber an, wenn er einen konkreten Nutzen sp rt. Das spricht sich schnell he-rum. Umgekehrt verh lt es sich aller-

Effiziente PatientenprogrammeKonsequenz, Konsistenz und Kundenzentrierung als wichtigste Erfolgsfaktoren

Bernhard Gandolf

eisq GmbH & Co. KG, Osnabrück

Patientenprogramme, oft PSP für Patient Support Programme ge-nannt, leisten vieles. Adhärenz und Persistenz beeinflussen PSPsebenso wie die Lebensqualität und Zufriedenheit von Patienten.Damit positive Ergebnisse unter dem Strich stehen, benötigenPharma- und Medizintechnik-Unternehmen 3 Dinge. Die Zentrie-rung der Aktivitäten auf die Bedürfnisse der Kunden steht an ersterStelle. Zweitens gilt es, die Konsistenz der kommunizierten Bot-schaften und deren Tonalität sicherzustellen. Der dritte FaktorKonsequenz in der Steuerung der Prozessbeteiligten rundet denMix der wichtigsten Erfolgsfaktoren ab.Für Verunsicherung sorgt das neue Antikorruptionsgesetz, wenn-gleich es im Detail keine erheblichen Neuerungen beinhaltet.Möglicherweise leistet ein zukünftiger Musterprozess einen we-sentlichen Beitrag für mehr Klarheit. Reicht die Trennung einesPSP vom Marketing aus?

ein Erfolgsfaktor allein zeichnet fürdie Effizienz eines Patientenpro-gramms verantwortlich. Vielmehrführt das Zusammenspiel aller Fak-toren zum größtmöglichen Erfolg.

„Glaube führt zur Tat, Konzentra-tion führt zum Erfolg, Wiederholungführt zur Meisterschaft“ [3]. Übertra-gen auf Patientenprogramme ergibtsich aus diesem Zitat folgender Sinn:Der Glaube steht für die Überzeugungdes Anbieters, die Lebensqualität vonerkrankten Menschen mit intelligen-ten Services zu verbessern, also Diens-ten, die auf die Bedürfnisse des Ein-zelnen zielen. Die Konzentration re-präsentiert die klare Fokussierungund die einheitlich durchgehendeUmsetzung. Die Meisterschaft zeigtsich in der täglichen Arbeit.

Mehr Durchdringung durchCustomer Centr icity

Auf den ersten Blick gibt es keinerleiGemeinsamkeiten zwischen pharma-zeutischen Programmen für Patien-ten und Bonussystemen von Flugge-

sellschaften. Während die Airlinesmit Litfaßsäulen-Werbung, Print-anzeigen, Trikot-Sponsoring bei Fuß-ballclubs und Web-Marketing aufsich aufmerksam machen dürfen,sollen Medikamentenhersteller imHintergrund bleiben. Denn Werbungfür verschreibungspflichtige Präpa-rate verbietet der Gesetzgeber.Doch die grundlegenden Methodenerfolgreicher Patientenprogrammeunterscheiden sich keineswegs vonjenen Bonussystemen. So unterteilenFluggesellschaften ihre Kunden inverschiedene Kundengruppen. Jenach Status erhält der Reisende Zu-gang zu kostenfreien Wohlfühl-Lounges, Chauffeur-Services oder an-deren Annehmlichkeiten. Sie seg-mentieren außerdem nach Wert(Status des Reisenden, Häufigkeitder Flüge und Wert der Buchungs-

Es ist kein Geheimnis: Patientenpro-gramme tragen erheblich zur besserenVersorgung von Erkrankten bei [1].Funktionierende Programme sorgenfür mehr Adhärenz und Persistenz so-wie die Steigerung der Lebensqualität/Zufriedenheit der Patienten [2]. ImZeitalter aufgeklärter Verbraucherwächst der Informations- und Service-bedarf aller indirekten Kunden vonPharmaunternehmen. Und im Gegen-satz zu vielen Befürchtungen birgt dasim Juni 2016 verabschiedete Antikor-ruptionsgesetz keine erheblichenNeuerungen oder verbietet gar ent-sprechende Programme. Trotzdemsorgt es für Verunsicherung auf Seitender Pharmaunternehmen und volleAuftragsbücher bei Juristen.

Mehr denn je sollten Pharma- undMedizinproduktehersteller in die Qua-lität ihrer Serviceprogramme investie-ren. Hier gibt es eine Vielzahl von Fak-toren, die entsprechenden Erfolg sowieeffiziente Patientenprogramme ver-sprechen. Dazu zählen insbesondereKundenzentrierung, Konsistenz undKonsequenz in der Steuerung. Nicht

n AUTOR

Bernhard GandolfDer Certified Management Consultant BernhardGandolf führt seit 2009 die Geschäfte der Unter-nehmensberatung eisq. Als ausgewiesener Expertefür operative Exzellenz und Vendor Managementliegen seine Schwerpunkte in der Pharma- undMedizintechnik-Branche. Stationen als Leiter einerBeratungssparte für Qualitätsmanagement undCustomer Care sowie als Geschäftsführer einesOutsourcing-Serviceproviders zeugen von Praxis-erfahrung. 1998 gewinnt die von ihm geleitete Ein-heit bei einem Telekommunikationsunternehmenden Titel „Erfolgreichstes Outbound Call Center“.

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft

Gesundheitswesen

460 Gandolf • Effiziente PatientenprogrammePharm. Ind. 80, Nr. 4, 460–464 (2018)

© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)

Page 2: PI7909 1133 460. - eisq.eu · den Service und die Therapie lieber an, wenn er einen konkreten Nutzen sp rt. Das spricht sich schnell he-rum. Umgekehrt verh lt es sich aller-

. „Wo kann der Patient/AngehörigeAnerkennung und Verständnis fürseine Situation erhalten?“

. „Wer nimmt sich seiner Sorgenan?“

. „Wie kann er die Situation akzep-tieren und wer nimmt sich seineran?“

Auch soziale Nutzen sollten als wich-tig erachtet werden. Hier stehen etwaLösungsangebote auf Fragen wiediese an:. „Wer schafft Bewusstsein in derGesellschaft für das Krank-heitsbild?“

. „Wo findet für den Patienten einekonkrete Vernetzung mit anderenBetroffenen statt?“

. „Wie kann er sich mit anderenaustauschen?“

Durch Customer Centricity erzielenMedikamentenhersteller eine höhereReichweite und meistern den Spagatzwischen ihren 3 Klientengruppen:Für Patienten steht einerseits dieFrage nach Möglichkeiten zur Steige-rung der Lebensqualität im Vorder-grund. Für Angehörige spielt anderer-seits die emotionale Anerkennungund Unterstützung bei der Therapie-begleitung eine ebenso zentrale Rolle.Wohingegen sich Health Care Profes-sionals, wie sich Angehörige einesHeilberufs neudeutsch nennen, auchmit der Thematik befassen, was imProgramm bei und mit den von ihnentherapierten Patienten passiert. Kurz:Wie unterstützt das Patientenpro-gramm die Rolle des Arztes? Diesesehen noch einen weiteren Nutzen.Die Entlastung durch die Delegationvon Alltagsfragen sowohl zur Thera-pie als auch zur Erkrankung repräsen-tiert für viele Health Care Professio-nals einen großen Mehrwert.Den Erfolgsfaktor Zentrierung auf

die Bedürfnisse der jeweiligen Ziel-gruppen belegen 2 aktuelle Studien.Frenzel [5] nennt es patientenzen-trierte Strategie. Illert und Teich [6]bezeichnen es als Individualisierung.Besonders interessant in diesem Zu-sammenhang scheint folgendes Er-gebnis der Studie von Illert undTeich: Unter Gründe für Misserfolgvon Patientenprogrammen listen

die Autoren an erster Stelle fehlendeAusrichtung auf die Patientenbedürf-nisse auf. Somit belegen die beidenauch in der Gegenprobe den Wertvon Zentrierung.

Merke: Gelingt es dem Pharmaun-ternehmen, für den jeweils einzel-nen Kunden und seine individuel-len Herausforderungen gleicher-maßen funktionale, emotionale so-wie soziale Nutzenangebote pas-send zu den Bedürfnissen zu schaf-fen, verfügt es über den ersten Er-folgsfaktor für ein effektives Patien-tenprogramm.

Diese kundenorientierte Denkweisesetzt sich momentan in den Köpfender Manager innovativer Unterneh-men durch. Viele klassische Bran-chen stehen hingegen oftmals nochvor der Herausforderung, sich umfas-send mit der Thematik auseinander-zusetzen. Energieversorger, Versi-cherungen oder die eingangs zitier-ten Fluggesellschaften denken undhandeln i.d.R. in Kohorten und Mas-senbearbeitung. Die Interessen Ein-zelner kommen nicht vor. Hier kris-tallisiert sich der Unterschied zuPharmaunternehmen und deren Pa-tientenprogrammen heraus, in denendie Bedürfnisse eines jeden einzelnenKunden im Zentrum stehen. Wer alsMedikamentenhersteller sein Patien-tenserviceprogramm konsequent anindividuellen Bedürfnissen ausrich-tet, erreicht schnell eine höhereMarktdurchdringung [6].Der Erfolg liegt auf der Hand.

Denn so bekommen Ärzte als Thera-pieentscheider die entsprechend be-nötigten Rückmeldungen und Infor-mationen darüber, was abseits derPraxis passiert. Patienten erfahreneine bessere Betreuung im Sinnedes Therapieerfolgs. Folglich emp-fehlen behandelnde Mediziner guteProgramme eher an ihre Patientenweiter. Auch Angehörigen fällt dieUnterstützung der Therapie mitdem Präparat des Herstellers leich-ter, wenn sie Ansprechpartner füralle Fragen des Alltags an ihrer Seitewissen. Überdies nimmt der Patient

klassen), Sprache (Deutsch, Englisch,Französisch etc.) sowie groben Prä-ferenzen (Ernährung, Interessenetc.). Dabei gehen sie klassisch nachdem amerikanischen Wirtschaftswis-senschaftler und Professor für Mar-keting Philip Kotler [4] folgendenHauptfragen nach: „Welche Bedürf-nisse hat der jeweilige Kunde?“ und„Wie können diese befriedigt wer-den?“ Airlines entwickeln ihre Bo-nusservices entsprechend den identi-fizierten Bedürfnissen für möglichstgroße Segmente und vernachlässigendabei häufig die einzelne Person.Erfolgreiche Pharmafirmen gehen

ähnlich, aber mit einem entscheiden-den Unterschied vor. Ausgehend vonden 3 Hauptzielgruppen Patienten,Angehörige und Health Care Profes-sionals orientieren erfolgreiche An-bieter ihre Programme an den Be-dürfnissen dieser Klientel. Sehr guteProgramme gehen noch einen Schrittweiter und fokussieren die Belangeund Wünsche des Einzelnen. Custo-mer Centricity, Kundenzentrierung,lautet das Unterscheidungsmerkmal.So gibt es jeweils individualisierteAnsprache- und Betreuungskonzepteje nach Status der Erkrankung füreinzelne Patienten und deren Um-feld. Bei vielen Krankheitsbildernkommt auch den Lebenspartnernchronisch Kranker eine entschei-dende begleitende Rolle zu. Das be-deutet neben Verantwortung v.a.Stress für die Personen. Auch hierfürgibt es entsprechende Lösungen.Patientenprogramme, die sich auf

Customer Centricity berufen, bietensowohl funktionalen, sozialen wieauch emotionalen Nutzen. Typischefunktionale Nutzenmerkmale einesPatientenservice umfassen Antwor-ten und Lösungen auf Fragen folgen-der Art:. „Wie wird richtig injiziert?“. „Wo sind unkompliziert Ver-brauchsmaterialien zu erhalten?“

. „Wie wird das Medikament richtiggelagert?“

Häufig vorkommende Nutzenange-bote hingegen richten sich an emo-tionale Themen und beinhalten oft-mals psychologische Komponenten:

Pharm. Ind. 80, Nr. 4, 460–464 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Gandolf • Effiziente Patientenprogramme 461

Page 3: PI7909 1133 460. - eisq.eu · den Service und die Therapie lieber an, wenn er einen konkreten Nutzen sp rt. Das spricht sich schnell he-rum. Umgekehrt verh lt es sich aller-

den Service und die Therapie lieberan, wenn er einen konkreten Nutzenspürt. Das spricht sich schnell he-rum. Umgekehrt verhält es sich aller-dings genauso: Bleibt der Nutzen aus,leidet der Ruf des Programms unddes Medikaments. Die logische Kon-sequenz: unzufriedene Patienten undausbleibende Verschreibungen [6].

Mehr Vertrauen durchkonsistente Services ,

Botschaften und Erlebnisse

Die schriftliche Anmeldebestäti-gung des Angehörigen für die Patien-tenakademie beginnt ebenfalls miteinem verbesserungswürdigen Satz:„Wir stehen in jeder Phase Ihrer Er-krankung an Ihrer Seite.“ Das wirktnicht nur auf den Betroffenen be-fremdlich. Schließlich handelt essich bei der sich anmeldenden Per-son um den Begleiter und nicht den-jenigen, der mit dem Medikamentbehandelt wird.

Als dann der Telefon-Coach demEhemann die Termine und starrenFenster für die Betreuungsgesprä-che nennt, ist schnell klar: VonSelbstbestimmung kann keine Redesein. „Wenn Sie einen Termin ver-passen oder nicht einhalten können,fällt unser Telefonat aus. Ich rufe Siedann im nächsten Monat zur verein-barten Uhrzeit an“ erklärt der psy-chologische Betreuer für den Ange-hörigen. Ein gut gemeinter Serviceentpuppt sich somit als unflexiblesKorsett.

Bei der Betrachtung und Analysedes Fallbeispiels im Gesamten wirdder Zusammenhang von durchgän-gigen Services und Botschaften, vondenen der Anbieter hier noch weitentfernt ist, deutlich. Das demons-triert der Vergleich der Aussage aufder Webseite, in der das Programm„für alle“ Betroffenen und Angehöri-gen zur Verfügung steht. Mit derkonkreten Antwort „nur für Patien-ten“ des Service-Centers präsentiertsich die mangelhafte Umsetzung.Ebenso fehlt die konsequente Ge-staltung konsistenter Botschaften.Dem „selbstbestimmten Leben“ ste-hen festvergebene Termine zur Ver-fügung. Eine Verschiebung erweistsich als nicht machbar: „Wenn Siemal nicht können, fällt das Telefonataus.“ Das offensichtlich primär fürPatienten konzipierte Anschreiben„Anmeldebestätigung“ passt über-haupt nicht zum Vorgang.

Darüber hinaus treten deutlicheUnterschiede in der Ausdrucksweiseauf. In den Broschüren überzeugt dasPharmaunternehmen mit „Liebe Le-serin, lieber Leser“ mit einer herz-lichen Ansprache. Die E-Mail-Ant-

wort des Service-Centers strotzt hin-gegen vor Formalismen und Distanz.Die Einleitung „Sehr geehrte Damenund Herren“ passt wenig, wo dochder Name des Ehemanns in der An-frage bekannt ist. Mit „unter Bezug-nahme auf die Anfrage vom“ folgenTextbausteine, die keinen geeignetenLesefluss erzeugen. Nähe und Einfüh-lungsvermögen fehlen gänzlich. Ganzanders präsentiert sich die Schwes-ter. Diese weiß Charme und Empa-thie im Dialog zu vereinbaren.

Die Art und Weise der Kommuni-kation an den unterschiedlichenTouch Points erfolgt hochgradig ab-weichend. Das Zauberwort für diebessere Lösung heißt Konsistenz.

Nur unzureichend erstellte undnicht durchgängig verwendete Kom-munikationselemente erzeugen un-nötige Barrieren und Friktionen. DaMedikamentenhersteller nicht mitemotionalen Werbespots Missständein der sog. Below-the-line-Kommuni-kation überdecken können, wird hierbesonderes Augenmerk aufs Detailgelegt. Konsistenz in den Services,in den Botschaften und in der Aus-drucksweise bildet den maßgebli-chen Dreiklang. So gelingt eine ein-heitliche Wahrnehmung von außen.

Prof. Caldini [7] demonstriert imAbschnitt „Konsistenz und Verbind-lichkeit“ in seinem Standardwerk dieBedeutung von Konsistenz für Ent-scheidungsprozesse und Handlungs-weisen. Er belegt sie als wesentlichenTreiber. Für Riesenbeck [8] „machtden Unterschied zwischen starkenund schwachen Brands“ Konsistenzaus.

Diese Erkenntnisse gelten auchund ganz besonders für Patienten-programme, bei denen die Kom-ponente Vertrauen naturgemäßeine besondere Bedeutung genießt.

Merke: Dieser zweite ErfolgsfaktorKonsistenz bedingt die zuvor ge-schilderte Zentrierung auf den Ein-zelnen. Leistungen und Kommuni-kation fokussieren den Kunden.Zusammen bilden die Faktorenein starkes Duo.

Patientenprogramme verfügen häu-fig über viele verschiedene Bausteine:Service-Center, Coaches, Schwes-ternservice, Broschüren, Patienten-akademie, Online-Communitys undChats lauten einige Beispiele [2].Die Elemente sind beliebig erweiter-bar. In der Regel stehen hinter deneinzelnen Angeboten unterschied-liche Beteiligte. Über all diese Kon-taktpunkte hinweg durchgehendeDienstleistungen zu konzipieren,stellt somit eine enorme Herausfor-derung dar. Das gilt erst Recht für dieEinhaltung übereinstimmender Bot-schaften über alle Kanäle. Es zeigtsich in der Praxis viel zu häufig,dass Videos auf Social-Media-Kanä-len wie YouTube oder auch Claims inBroschüren mit den Aussagen vonMedical Agents, Schwestern undCoaches wenig gemeinsam haben.

Als Illustration dieses Umstandsdient folgender Praxisfall: „Wir sindfür Sie da und ermöglichen Ihnen einselbstbestimmtes Leben“ lautet derClaim des Pharmaherstellers für sei-nen Patientenservice. Gemäß derWebseite steht das Programm allenBetroffenen und deren Angehörigenoffen. Nachgefragt im Service-Centervia E-Mail erfolgt jedoch eine ganzandere Antwort auf die Frage nachdem Nutzen des Programms unddes Service für den Ehemann: „Siekönnen uns jederzeit anrufen. Wirgeben Auskünfte nur an Patienten.Sie erhalten Verbrauchsmaterialienvon uns.“ Das klingt schon weit we-niger nach „Wir sind für Sie da undermöglichen Ihnen ein selbstbe-stimmtes Leben“.

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft

Gesundheitswesen

462 Gandolf • Effiziente PatientenprogrammePharm. Ind. 80, Nr. 4, 460–464 (2018)

© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)

Page 4: PI7909 1133 460. - eisq.eu · den Service und die Therapie lieber an, wenn er einen konkreten Nutzen sp rt. Das spricht sich schnell he-rum. Umgekehrt verh lt es sich aller-

Konsequentes Messen undSteuern führt zurMeisterschaft

herstellers häufig die vielen Strän-ge aus dem Tagesgeschäft. Meistinvolvieren Unternehmen mehrereDienstleister in die jeweiligen Abläufe.Dienstleister arbeiten jedoch nichtaltruistisch. Es handelt sich um Unter-nehmen, die positive Gelderträge er-wirtschaften wollen. Dazu gehört esauch, die eigene Produktion vielver-sprechend zu optimieren. Das kann,muss aber nicht, im Einklang mitden Zielen des Auftraggebers stehen.

Im täglichen Ablauf treten häufigKonstellationen wie bei diesem Fall-beispiel auf: Für den Versanddienst-leister stellen unterschiedliche Ver-packungsgrößen ein Hindernis dar.Also nutzt er eine Einheitsgröße fürSchachteln. Diese gilt genauso für Er-satzbatterien, Broschüren, Medizin-produkte wie aber auch für Kalender.Erfolgt der Versand von Batterien,sucht der Empfänger in einem mas-siv überdimensionierten Kartonnach einem winzigen Gegenstand.Trifft ihn der Paketbote zu Hausenicht an, folgt der Ärger über einenunnötigen Weg mit dem Auto zumnächstgelegenen Versandzentrum.Für einen Artikel, der in ein Briefku-vert passt, muss der Abholer einsperriges Paket entgegennehmen.

Auch das folgende Beispiel zeigtDiskrepanzen auf: Der Outsourcerdes Coaching-Programms vergibtdie Telefontermine so, dass er miteiner minimalen Besetzung durchdie Woche kommt. Kann der Patientoder der Angehörige theoretisch Te-lefontermine wochentags zwischen8 Uhr morgens und 20 Uhr abendsvereinbaren, sieht die Praxis andersaus. Fragt jemand z.B. nach Freitag16 Uhr, lautet die Antwort, dass dieZeit leider, leider schon vergeben wä-re. In Wirklichkeit endet die Schichtaber vielleicht regelmäßig um 14 Uhr.

Solche Abweichungen, ganz zuschweigen von der Ausdrucksweiseund der Übereinstimmung von Bot-schaften, lassen sich nur mit kon-tinuierlichen Messungen feststellen.Dazu dienen Kundenbefragungen ge-nauso wie verdeckte Tests, vulgoMystery Activities. Auch Prozess-beobachtungen vor Ort und Wis-

sensüberprüfungen liefern wertvolleDaten und Erkenntnisse. Quantita-tive Angaben zur Häufigkeit undDauer von Vorgängen vervollständi-gen das Bild. Zusammengesetzt ver-setzen die Ergebnisse Manager in dieLage, die richtigen korrigierendenMaßnahmen zu setzen. Sie steuerndie Dienstleistungserbringung.

Managern von Pharmaunterneh-men ist demnach zu empfehlen, indie fortlaufende Messung des Pro-gramms und der beteiligten internensowie externen Dienstleister Zeit undGeld zu investieren. Erst die Kon-sequenz [9] in der Messung undSteuerung ermöglicht die Wirksam-keit der ersten beiden Erfolgsfaktoren.Moderne Qualitätsmanagementsys-teme [10] wie z.B. Six Sigma setzendarauf. Dort heißt es Define – Mea-sure – Analyze – Improve – Control.Measure und Analyze stehen in die-sem Kontext für Messung, Improvefür Steuerung. Die Konsequenz derAnwendung führt u.a. zu Kosteneffi-zienz und Kundenzufriedenheit [10].

Merke: Konsequentes Messen undSteuern lautet der dritte Erfolgsfak-tor.

§ 299a/b StGB – Was ändertsich?

Die Frage danach, ob Pharmaunter-nehmen nach §299a/b StGB Patien-tenprogramme überhaupt noch an-bieten dürfen, stellt sich in letzterZeit häufiger. Die Verunsicherung,die die Branche mit dem neuen Anti-korruptionsgesetz seit Juni 2016 imBann hält und bereits anfangs er-wähnt wurde, lässt sich direkt greifen.Doch worum geht es dabei eigentlich?

Genau betrachtet, beinhalten dieRegelungen in §299a und b StGBgar keine so großen Überraschungen.„Bestechlichkeit im Gesundheits-wesen“ lautet der korrekte Titel desGesetzestexts. Abschnitt a widmetsich den Angehörigen eines Heil-berufs und untersagt diesen, Vorteileoder Gegenleistungen zu fordern.Hierbei geht es klar um Bestechung.

Häufig verteilen sich die einzelnenBausteine und Rollen eines Patien-tenprogramms auf mehrere Schul-tern. So betreuen Patient Care Ma-nager das Service-Center und dieCoaches. Marketing Manager sindverantwortlich für Webseiten undForen, Field Manager nehmen sichdes Schwestern-Services an [2]. Dasvollständige Programm permanentim Blick zu haben, stellt daher eineHerausforderung ersten Ranges dar.

Wie klappt es aber dennoch mitder Sicherstellung der Konsistenz?Um diese zu gewährleisten, bedarfes konsequenter Qualitätsmessun-gen. Und wie sieht es mit der Zufrie-denheit der Leistungsempfänger,vulgo Kunden, aus? Wo gilt es, Stell-schrauben zu justieren? Nur werweiß, was wie wo passiert, kann ent-sprechend steuernd eingreifen.

Qualitätssicherung im Sinne derEinhaltung von Meldeprozessen undrichtiger Auskünfte geschieht oftmalsausschließlich aus einseitigen Blick-winkeln. Pharmakovigilanz, Produkt-sicherheit, interne Überwachung undmedizinische Information repräsen-tieren die „Brille rechtlicher Zulässig-keit“. Die Bedeutung dieser Sichtweiselässt sich nicht kleinreden. Schließlichhängt die Lizenz zum „Inverkehrbrin-gen von verschreibungspflichtigen Me-dikamenten“ daran.

Eine ebenso hohe Relevanz ist derfortlaufenden Messung aus Sicht derLeistungsempfänger zuzuschreiben.Hier stehen die Wahrnehmung desProgramms vom Standpunkt des Pa-tienten aus sowie die Erlebnisse derAngehörigen im Mittelpunkt. DasGleiche gilt auch für die Frage, wasan der Schnittstelle zu Fachkreisenpassiert. Dabei decken Verantwort-liche mit Sicherheit ständig kleinereund größere Abweichungen auf, diees zu steuern gilt. Diese „Brille“ kannnicht hoch genug geschätzt werden.In der betrieblichen Realität unter-stützen die genannten unterschiedli-chen Rollen innerhalb des Pharma-

Pharm. Ind. 80, Nr. 4, 460–464 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Gandolf • Effiziente Patientenprogramme 463

Page 5: PI7909 1133 460. - eisq.eu · den Service und die Therapie lieber an, wenn er einen konkreten Nutzen sp rt. Das spricht sich schnell he-rum. Umgekehrt verh lt es sich aller-

v. a. eins: volle Auftragsbücher beiRechtsbeiständen.

Brauchen Pharmafirmenüberhaupt

Patientenprogramme?

Diese Frage darf in Zeiten von zahlrei-chen Angeboten von Krankenkassen,Selbsthilfegruppen und spezialisiertenÄrzten durchaus gestellt und nochweiter gedacht werden. Handelt essich bei Patientenprogrammen even-tuell sogar um eine Form einer wei-teren Therapie? Nicht nur AngehörigevonHeilberufen äußernmehr oder we-niger offen solche Gedanken [6].Demgegenüber steht eine alte

Erkenntnis im Gesundheitswesen:Mehr Verzahnung wäre überaussinnvoll. Alle paar Jahre unternimmtdie Politik Anstrengungen, auf inte-grierte Versorgungskonzepte hin-zuwirken [11]. Die Zielstellungen[12] dafür lauten:. aufwendige und teure Mehrfach-untersuchungen reduzieren

. Patienten umfassender betreuen

. wechselweise Einflüsse von unter-schiedlichen Therapieformen bes-ser koordinieren

. die Qualität der Versorgung fürden Patienten erhöhen

Das alles beinhaltet zu Ende gedachtauch die korrekten Anwendungenvon Medikamenten und Medizinpro-dukten. Wer könnte dazu besser Aus-kunft und Hilfestellung geben als derHersteller selbst? Wer verfügt übereine größere Spezialisierung und Fo-kussierung?Natürlich verfolgen Arzneimittel-

und Medizinproduktehersteller kom-merzielle Interessen. Doch gilt diesnicht genauso für privatwirtschaft-lich geführte Krankenhäuser, Apo-theken und Pflegeeinrichtungen?Der einzelne Arzt sei an dieser Stellebewusst nicht erwähnt.Gerade bei hochwertigen Produk-

ten und Dienstleistungen erwartenaufgeklärte Verbraucher heute mehrdenn je umfassende Services und In-formationen. Verbraucher, sprich Pa-tienten, das zeigen entsprechendeStudien regelmäßig, fordern seit Jah-

ren einen stetig steigenden Selbst-bestimmungsgrad [13]. Diesem Zeit-geist des „aufgeklärten Patienten“lässt sich kaum mit einer restriktivenServicepolitik entgegentreten.Die These lautet: Wer als Phar-

maunternehmen heute für chro-nische Erkrankungen kein Patienten-programm anbietet, verliert die Ak-zeptanz bei den indirekten Kunden,also den Patienten. Diese These alsGrundlage lässt nur eine Antwort zu:Ja, es besteht eine Notwendigkeit fürPatientenprogramme.

n L ITERATUR

[1] Illert, G. et Teich, P. Vision & Realität vonPatientenprogrammen, 2014 HealthcareShapers und Härtel, J. Patientenpro-gramme, 2015, in (Eigenverlag) arvatobusiness solutions.

[2] Haertler, A-K. et al. Critical SuccessFactors for Patient Support Programmes(PSPs) in the German Pharma Industry –Towards an evaluation framework forPSPs. In: BMC-Kongress “Versorgung ge-stalten”, Jan. 2017.

[3] Zitat von Nikolaus B. Enkelmann; 14. Ge-setz zur Lebensentfaltung [Quelle: En-kelmann et al. (2010): Erst dein Traummacht dich groß; S. 178].

[4] Kotler, P. et Keller K. L. Marketing-Ma-nagement. Pearson, 2015.

[5] Frenzel, A. Evaluieren und gezielt opti-mieren. In: pharma relations, 4/2017, 12 f.

[6] Illert, G. et Teich, P. Vision & Realität vonPatientenprogrammen. 2014 HealthcareShapers.

[7] Cialdini, R. Die Psychologie des Über-zeugens. Huber Verlag 2013.

[8] Riesenbeck, H. Erfolg durch Konsistenz,Absatzwirtschaft. Verlagsgruppe Han-delsblatt, 09/2006.

[9] Hirt, M. Die 7 Todsünden des Manage-ments: Keine Konsequenzen. In: DiePresse, Die Presse Verlag, 24.04.2015.

[10] Köhler, M. et al. Six Sigma. In: MasingHandbuch Qualitätsmanagement, CarlHanser, 2014.

[11] BKK Dachverband. Vernetzte Versorgung– Sinnvolle Strukturen aller Versor-gungsprozesse, -strukturen und -akteure.Eigenverlag, 2014

[12] Schaeffer, D. et Ewers, M. IntegrierteVersorgung nach deutschem Muster. In:Pflege & Gesellschaft, Heft 3, 2006.

[13] Verbraucherzentrale Bundesverband:Positionspapier. Eigenverlag 2016 gezeigtauf ‚CCW Kongress 2016.

Korrespondenz:Bernhard Gandolfeisq GmbH & Co. KGFranz-Lenz-Str. 1A49084 Osnabrück (Germany)e-mail: [email protected]

Der andere Aspekt behandelt dasWettbewerbsrecht. In- und ausländi-scher Wettbewerb dürfen nicht un-lauter bevorzugt werden.

„Bestechung und unlauter Wett-bewerb? Dazu gibt es doch längst Ge-setze!“ Wenn dem geneigten Leser soein Gedanke in den Kopf schießt, lau-tet die Antwort: Stimmt, deswegen bie-tet die Regelung auch keine übermäßi-gen Neuerungen. Im Strafgesetzbuchfinden sich bereits Regelungen zumThema Bestechung. Wer Amtsträgerkorrumpiert, handelt sich bis zu 5 JahreFreiheitsstrafe ein. Für das Gesund-heitswesen nennt das Gesetz 3 Jahre.Das Lauterkeitsrecht, speziell das be-kanntere Gesetz gegen den unlauterenWettbewerb, kurz UWG, beschäftigtHeerscharen von Juristen.Den Abschnitt b des §299 StGB

fürchten Pharma- und Medizinpro-duktehersteller am meisten. Denndort finden sich die fast wortgleichenFormulierungen wie in Abschnitt a.Der entscheidende Unterschied liegtdarin, dass es hier um diejenigengeht, die bestechen und unlauterenWettbewerb betreiben.Häufig verorten Arzneimittel- und

Medizintechnikproduzenten ihre Pa-tientenprogramme sicherheitshalberin den eigenen medizinischen Abtei-lungen, sauber getrennt vom Marke-ting. Das ist eine erste Maßnahme,um Patientenprogramme strikt vonWerbung abzutrennen. Doch stelltes bereits eine Einflussnahme dar,wenn der behandelnde Arzt aus ei-nem Patientenprogramm eine Rück-meldung erhält? Oder handelt es sichlediglich um einen Versorgungs- undServiceaspekt, um ggf. dem Gesund-heitssystem sogar Mehrkosten zu er-sparen? Fragestellungen, die in die-sem Zusammenhang keine Selten-heit sind. In der Praxis, soviel lässtsich Ende 2016 prophezeien, wird esirgendwann in Deutschland zu Mus-terprozessen kommen. Deren Ergeb-nisse werden zeigen, welche Aus-legung zulässig ist. Ändert sich nichtsWesentliches, dürfen Pharmaunter-nehmen wohl weiter Patientenbe-treuungsprogramme anbieten. Mo-mentan schafft die Verunsicherung

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft

Gesundheitswesen

464 Gandolf • Effiziente PatientenprogrammePharm. Ind. 80, Nr. 4, 460–464 (2018)

© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)


Recommended