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Oper Orthop Traumatol 2014 · 26:438–454DOI 10.1007/s00064-014-0303-6Eingegangen: 1. März 2014Überarbeitet: 14. Juli 2014Angenommen: 31. Juli 2014Online publiziert: 13. September 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

R. Biber · H.J. BailUniversitätsklinik für Unfall- und Orthopädische Chirurgie,

Paracelsus Medizinische Privatuniversität , Nürnberg

Retrograde Marknagelung bei periprothetischen Frakturen des distalen Femurs

Vorbemerkungen

Für die Behandlung periprothetischer Frakturen des distalen Femurs sind ver-schiedenste Verfahren beschrieben wor-den [2, 3, 4, 5, 11, 16, 20, 22, 25, 26]. Die Behandlung undislozierter Frakturen mit-tels Gipsruhigstellung, Orthese oder Fixa-teur externe ist in Ausnahmefällen mög-lich, jedoch erlaubt die operative Stabili-sation eine unmittelbare Bewegungsthe-rapie und wird daher meist bevorzugt [3, 16]. Die gebräuchlichsten operativen Ver-fahren sind derzeit die winkelstabile Plat-tenosteosynthese, die retrograde Verriege-lungsnagelung sowie der Prothesenwech-sel auf ein langstieliges Revisionsimplan-tat [8, 16, 22, 26].

Die Entscheidung zwischen Osteosyn-these und Revisionsendoprothetik wird i.d.R. davon abhängig gemacht, ob die Prothese fest oder gelockert erscheint: Eine feste Prothese kann erhalten werden, während ein gelockertes Implantat ausge-tauscht werden muss. Dies ist die Grund-lage der weit verbreiteten Klassifikation nach Rorabeck [15, 17, 21], die 3 Fraktur-typen unterscheidet:FTyp I: Fraktur undisloziert, Prothese

festFTyp II: Fraktur disloziert, Prothese

festFTyp III: Fraktur disloziert oder undis-

loziert, Prothese locker oder beschä-digt

Neben diesen Kriterien spielen jedoch auch der Frakturverlauf und die Größe

der Fragmente eine wichtige Rolle. So ist für die retrograde Nagelung zu fordern, dass im distalen Fragment mindestens zwei Verriegelungsschrauben sicher bi-kortikal platziert werden können. Oft er-fordert die Klärung dieser Frage präope-rativ die Durchführung einer Computer-tomographie. Bei proximal einliegenden Implantaten stellt sich darüber hinaus die Frage nach dem zu erwartenden Abstand zwischen beiden Implantaten bzw. deren Überlappung (s. Besonderheiten), sodass eine präoperative Planung empfehlens-wert ist.

Grundsätzlich weist der retrograde Fe-murnagel gegenüber der Plattenosteosyn-these einige Vorzüge auf: Winkelstabi-le Platten besitzen eine beträchtliche Ma-terialstärke, dementsprechend können sie Weichteilirritationen und Schmerzen verursachen. Bei der retrograden Nage-lung dagegen handelt es sich um ein mi-nimal-invasives Verfahren, die femoralen Weichteile werden weitgehend geschont [18, 19, 22, 24, 27]. Gleichzeitig trägt der intramedulläre Kraftträger nicht auf und bietet eine überlegene axiale Stabilität, die post operativ unmittelbar eine schmerzab-hängige Vollbelastung erlaubt.

Eine Rolle bei der Implantatwahl spielt auch die Problematik des erhöhten Frak-turrisikos zwischen proximal und distal einliegenden Implantaten im Sinne einer Sollbruchstelle durch nicht oder zu wenig überlappende Implantate. Wenngleich Zahlen der Frakturinzidenz für diese Situ-ationen bisher nicht vorliegen, weiß man doch aus biomechanischen Studien, dass

die Versagenslast bei einem Abstand von 3 cm zwischen zwei Implantaten geringer ist als bei einer Konfiguration, bei der sich die Implantate berühren oder überlappen [6]. Im Falle proximal einliegender Pro-thesenschäfte oder Marknägel kann die-ser Aspekt gegen den retrograden Femur-nagel und für die Platte sprechen.

Während winkelstabile Platten heute als Standardimplantate bezeichnet wer-den dürfen, bieten die meisten Marknä-gel bisher noch keine winkelstabilen Ver-riegelungsoptionen. Nachdem die Win-kelstabilität aber gerade bei metaphysä-ren Frakturen eine besondere Rolle zu spielen scheint, bieten auch die retrogra-den Nägel meist Optionen zur Erhöhung der Stabilität. Diese bestehen beispielswei-se in der winkelstabilen Arretierung der distalsten Verriegelung durch eine Ver-schlussschraube oder einer frakturnahen proximalen Verriegelung (Transfixation, s. .Abb. 10), die die Stabilität erhöht und dadurch die Heilungstendenz metaphysä-rer Frakturen verbessert [1].

Seit der Einführung der intramedul-lären Nagelung 1940 durch Küntscher [12, 13] und der Weiterentwicklung zur Verriegelungsnagelung durch Klemm u. Schellmann in den 1970er Jahren [10] hat sich die intramedulläre Frakturfixa-tion zu einer verlässlichen Behandlungs-form entwickelt. Die retrograde Femurna-gelung wurde erstmals 1991 von Selig son beschrieben [7] und ist damit eine ver-gleichsweise junge Entwicklung. Während diaphysäre Frakturen sich aufgrund der Schienung durch einen Marknagel meist

RedaktionM. Blauth, InnsbruckZeichnerR. Himmelhan, Mannheim

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Operative Techniken

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sehr gut einrichten, kann die Reposition gelenknaher Frakturen problematisch sein. Die intramedullären Verfahren er-lauben bei Anwendung spezieller Opera-tionstechniken jedoch oft auch bei meta-physären Frakturen eine geschlossene Re-position. So lässt sich die bei der distalen Femurfraktur häufige Valgus- und Retro-kurvationsfehlstellung durch das Einbrin-gen von transmedullären Stützschrauben

[23] meist geschlossen reponieren und re-tinieren.

In einer Übersichtarbeit aus dem Jahr 2008 wurden insgesamt 415 Femurfraktu-ren bei liegender Knie-Totalendoprothese (TEP) aus 29 Fallserien zusammengefasst [8]. Neben der retrograden Femurnage-lung (65 Fälle) wurde auch die Verwen-dung von winkelstabilen Plattensystemen (57 Fälle) untersucht. Im Ergebnis zeigten

sich nach der Nagelosteosynthese weniger Pseudarthrosen (1,5 vs. 5,3%), eine gerin-ge Sekundärdislokationsrate (1,5 vs. 3,5%), weniger tiefe Infektionen (0,0 vs. 5,3%) so-wie weniger Revisionsoperationen (4,6 vs. 8,8%). Der retrograde Femurnagel bie-tet somit bei periprothetischen Fraktu-ren des distalen Femurs und des Femur-schafts eine minimal-invasive Stabilisati-onsmöglichkeit von überlegender Stabili-

Zusammenfassung · Abstract

Oper Orthop Traumatol 2014 · 26:438–454 DOI 10.1007/s00064-014-0303-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

R. Biber · H.J. BailRetrograde Marknagelung bei periprothetischen Frakturen des distalen Femurs

ZusammenfassungOperationsziel. Intramedulläre Stabilisation periprothetischer distaler Femurfrakturen mittels Verriegelungsnagelung. Ziel ist eine möglichst geschlossene Reposition über den Nagel, ggf. mithilfe transmedullärer Stütz-schrauben (TMS-Prinzipien nach Stedtfeld).Indikationen. Suprakondyläre Femurfraktu-ren bei festsitzender Knieprothese (Typ I und II nach Rorabeck), Femurschaftfrakturen bei festsitzenden Prothesen des Hüft- und/oder Kniegelenks, Kontraindikationen zur antegra-den Verriegelungsnagelung.Kontraindikationen. Closed-Box-Design der femoralen Komponente, interkondyläre Dis-tanz der femoralen Prothesenkomponente kleiner als Durchmesser des retrograden Fe-murnagels, Beugedefizit des Kniegelenks ab ca. 40°, distale Verriegelung nicht mit min-destens zwei bikortikalen Verriegelungs-schrauben möglich. Relative Kontraindika-tion: zu erwartende ungenügende Überlap-

pung der Implantate bei proximal einliegen-den intramedullären Implantaten.Operationstechnik. Rückenlagerung und Beugung des Kniegelenks auf etwa 45°. Die intraoperative Durchleuchtung sollte bis zur Hüfte hin möglich sein. Längsschnitt im Be-reich der alten Narbe über dem Lig. patel-lae, das gespalten wird. Der Eintrittspunkt in der interkondylären Grube am tiefsten Punkt der Blumensaat-Linie ist meist durch das ein-liegende Implantat vorgegeben. Ein Auf-bohren ist meist nicht erforderlich. Einbrin-gen des Nagels, fakultativ unter Verwendung von TMS-Schrauben zur Korrektur der oft be-stehenden Valgus- und/oder Retrokurvati-onsfehlstellung. Statische Verriegelung über Zielgerät i.d.R. von lateral nach medial. Ein-bringen einer Verschlussschraube.Weiterbehandlung. Die Versorgung mit einem retrograden Femurnagel erlaubt meist die sofortige schmerzabhängige Vollbelas-

tung. Eine Reduktion des erlaubten Bewe-gungsumfangs ist nicht erforderlich.Ergebnisse. Unter den von 2000 bis 2013 mit dem Targon®-RF-Nagel behandelten 101 Frakturen befanden sich 10 periprotheti-sche des Typs II nach Rorabeck. Dabei handel-te es sich um 6 metaphysäre und 4 diaphysä-re Frakturen. In 4 Fällen lagen auch proximale Implantate ein. Die mittlere Operationsdauer bei der Stabilisierung periprothetischer Frak-turen unterschied sich nicht von der bei nor-maler retrograder Femurnagelung. Postope-rative Infektionen, Sekundärdislokationen oder verzögerte Frakturheilung wurden nicht beobachtet. Ein Torsionsfehler wurde sekun-där korrigiert.

SchlüsselwörterPeriprothetische Fraktur · Femurfrakturen · Frakturstabilisation · Transmedulläre Stützschraube · Gelenkersatz

Retrograde intramedullary nailing for periprosthetic fractures of the distal femur

AbstractObjective. Intramedullary stabilization of periprosthetic distal femoral fractures by in-terlocking nailing. Closed reduction by retro-grade nail can be combined with the use of transmedullary support screws (TMS princi-ple of Stedtfeld).Indications. Supracondylar fractures above stable knee arthroplasty (Rorabeck types I and II), femoral shaft fractures ipsilateral of stable hip and/or knee arthroplasty, contrain-dications for antegrade nailingContraindications. Closed box design of femoral implant, intercondylar distance of the femoral component smaller than nail di-ameter, more than 40° flexion deficit of the knee, inability to place two bicortical distal interlocking screws. Relative contraindication: insufficient overlap with proximal implants

Surgical technique. Supine position and knee flexion of approximately 45°. Fluorosco-py should be possible between the knee and hip. Longitudinal skin incision into the pre-existing scar over the patellar tendon which is then split. The nail entry point is located in the intercondylar groove at the deepest point of Blumensaat’s line, often predetermined by the femoral arthroplasty component. Ream-ing is rarely necessary. Transmedullary sup-port screws may correct axial malalignment during nail insertion. Static interlocking in a direction from lateral to medial by the aiming device. Insertion of locking cap.Postoperative management. Retrograde nailing normally allows full weight bear-ing. Range of motion does not need to be re-stricted.

Results. Out of 101 fractures treated be-tween 2000 and 2013 with a Targon RF nail (Aesculap, Tuttlingen, Germany) 10 were peri-prosthetic, all were classified as Rorabeck type II and of these 6 fractures were metaph-yseal and 4 were diaphyseal. In four cases proximal implants were present. The mean operative time for periprosthetic fracture fix-ation did not significantly differ from that for normal retrograde femoral nailing. There were no postoperative infections, fixation failures or delayed unions. There was one re-vision for secondary correction of maltorsion.

KeywordsPeriprosthetic fracture · Femoral fractures · Fracture fixation · Transmedullary support screw · Arthroplasty

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tät bei vergleichsweise niedrigen Kompli-kationsraten. Jedoch ist sein Einsatz bei sehr distalen Frakturen wegen der einge-schränkten Verriegelungsmöglichkeiten limitiert und setzt ein geeignetes Design der einliegenden Prothese voraus.

Frakturen des distalen Femurs wer-den als periprothetisch bezeichnet, wenn entweder proximal oder distal der Frak-tur eine Endoprothese einliegt (z. B. Hüft- oder Knie-TEP). Liegen Platten oder Marknägel ein, wäre korrekterweise von einer periimplantären Fraktur zu spre-chen. Die meisten Behandlungsprinzipien lassen sich jedoch auf diese Fälle übertra-gen.

In der vorliegenden Arbeit wird exem-plarisch die retrograde Femurnagelung einer suprakondylären Femurfraktur vom Typ II nach Rorabeck, d. h. oberhalb einer festsitzenden Knie-TEP, beschrieben.

Operationsprinzip und -ziel

Minimal-invasive, intramedulläre Sta-bilisation distaler periprothetischer Femurfrakturen bei fest verankerter Oberflächenersatzprothese des Knie-gelenks und Open-Box-Design durch retrograde Femurmarknagelung. La-gerung mit 45° gebeugtem Kniege-lenk auf einem röntgendurchlässigen Standardoperationstisch. Geschlosse-ne Reposition über das Implantat so-wie durch sog. transmedulläre Stütz-schrauben (TMS-Schrauben) nach Stedtfeld, die eine Weiterentwicklung des Prinzips der Pollerschrauben oder „blocking screws“ darstellen [23]. Postoperative beschwerdeabhängige Vollbelastung durch statische Verrie-gelung des axialen Kraftträgers.

Vorteile

FProthesenerhalt möglichFStabile, minimal-invasive Fixation

ohne relevante WeichteildissektionFEingehen i.d.R. durch die vorbe-

stehende Narbe möglichFKeine Weichteil- oder Muskelirrita-

tion durch das einliegende ImplantatFGeschlossene Reposition meist mög-

lichFOperation in Rückenlage

FBetroffene Extremität postoperativ im Normalfall voll belastbar

FGeringer perioperativer Blutverlust

Nachteile

FBeugefähigkeit des Kniegelenks von 40–50° zwingend erforderlich

FBei Prothesen im Closed-Box-Design nicht möglich

FFehlende Überlappung mit proximal einliegenden intramedullären Im-plantaten („kissing implants“)

FMögliche Affektion der PatellarsehneFGefahr der Oberflächenschädigung

von Prothesenteilen

Indikationen

FSuprakondyläre Femurfrakturen bei festsitzender Knieprothese (Typ I und II nach Rorabeck)

FFemurschaftfrakturen bei nichtge-lockerten Prothesen des Hüft- und/oder Kniegelenks

FFemurschaftfrakturen und distale Fe-murfrakturen bei Kontraindikationen zur antegraden Verriegelungsnage-lung wie z. B. Adipositas, Infektion im Zugangsbereich oder proximal einlie-gendem Implantat

Kontraindikationen

FFehlende Beugefähigkeit des Kniege-lenks (<40–50°)

FFemorale Prothesenlockerung (Typ III nach Rorabeck)

FClosed-Box-Design der einliegenden Knieprothese

FInterkondylärer Abstand der femora-len Komponente kleiner als Durch-messer des vorgesehenen Implantats

FWeit nach distal reichendes proximal einliegendes Implantat

FInfektionen oder Hautläsionen im Kniebereich

FUnzureichende Verankerungsmög-lichkeit des Marknagels im distalen Fragment (z. B. sehr distale Fraktur, schwere Osteoporose)

Relative Kontraindikation

FZu erwartender Abstand zu einem proximal einliegenden intramedullä-

ren Implantat bzw. Überlappung mit einem proximalen extramedullären Implantat unzureichend (Sollbruch-stelle); in der eigenen Praxis fordern wir mindestens 2–3 cm

Patientenaufklärung

FAllgemeine OperationsrisikenFOffene RepositionFRisiko der periprothetischen Kniege-

lenksinfektionFBeschädigung von Prothesenkompo-

nentenFIntraoperativer Umstieg auf andere

Fixationsverfahren, ggf. auch additivFIntraoperativer Umstieg auf Prothe-

senwechsel, falls sich die Prothese gelockert zeigt

FGefahr weiterer periprothetischer Frakturen, insbesondere bei auch pro-ximal einliegenden Implantaten („kis-sing implants“)

FPostoperative Schmerzen im Bereich der Patellarsehne, evtl. Beschwerden bei knienden Tätigkeiten

FPostoperativ Mobilisation mit Unter-armgehstützen meist unter Vollbelas-tung möglich; keine Limitation des erlaubten Bewegungsumfangs

Operationsvorbereitungen

FWenn möglich Feststellung des ein-liegenden Prothesentyps: Hersteller, Typ, Größen, Geometrie (Box-De-sign, Interkondylenabstand)

FKonventionelles Röntgen: Abbildung des gesamten Femurs zum Ausschluss weiterer Pathologien und zur Erken-nung proximal einliegender Implan-tate, Analyse von Geometrie und Fes-tigkeit der einliegenden Knieprothese

FFakultativ Computertomographie: Evaluation des Frakturverlaufs, erwei-terte Einschätzung der Prothesenfes-tigkeit, Vermessung der Prothesen-geometrie

FBestellung ggf. notwendiger Implan-tate und Instrumentarien für einen Wechsel der Knieendoprothese, falls eine Prothesenlockerung nicht sicher auszuschließen ist

FBei der zeichnerischen oder digitalen Operationsplanung muss darauf ge-achtet werden, dass

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1 distal zumindest zwei Verriege-lungsschrauben bikortikal platziert werden können,

1 eine ggf. anomale Femurkrüm-mung nicht die Nageleinbringung verhindert,

1 die geplante Nagellänge nicht mit proximal einliegenden Implantaten interferiert.

FPerioperative Single-Shot-Antibioti-kagabe, z. B. mit 1,5 g Cefuroxim i.v.

Instrumentarium

Die beschriebene operative Technik kann mit praktisch allen gängigen retrograden Nägeln umgesetzt werden. Die Beschrei-bung orientiert sich an unserem Vorge-hen mit dem Targon® RF (Aesculap AG, Tuttlingen).FFür die Eröffnung des Nageleintritts

stehen ein Tellerführungsspieß und eine passende Hohlfräse zur Verfü-gung.

FVerfügbare Implantatlängen: 160–240 mm (komplett über Zielgerät ver-riegelbar); 300–460 mm ( proximale Freihandverriegelung in a.-p.-Rich-tung)

FVerfügbare Implantatdurchmesser: 10 mm, 11 mm, 12 mm

FDistal stehen vier seitliche Verrie-gelungsoptionen zur Verfügung (Ø 6 mm), proximal kann 2-fach ver-riegelt werden (Ø 4,5 mm). Durch Gewindeüberwurfhülsen kann die

Oberfläche der 6-mm-Verriegelungs-schrauben vergrößert und dadurch der Halt in osteoporotischem Kno-chen verbessert werden.

FDie Standardverriegelungsschrauben lassen sich als TMS-Schrauben ver-wenden.

FDas Zielgerät kann auch intraoperativ nach medial geschwenkt werden, was eine Gegenverschraubung der dista-len Verriegelung durch die Überwurf-hülsen erlaubt.

FDie Verschlussschraube dient beim Targon®-System der winkelstabilen Arretierung der distalsten Verriege-lungsschraube

Anästhesie und Lagerung

Die Operation erfolgt in Vollnarkose oder Spinalanästhesie; zusätzliche regio-nale Schmerzkatheterverfahren sind nach unserer Erfahrung nicht erforderlich. Bei geschlossener Reposition liegt der Blut-verlust meist bei <100 ml.

Wir verwenden die Rückenlagerung auf einem röntgendurchlässigen Stan-dardoperationstisch. Eine 45°-Beugung des Kniegelenks wird entweder durch Abklappen des Unterschenkelteils oder durch Unterpolsterung im Kniebereich erreicht (.Abb. 1). Das kontralaterale Bein wird im Hüftgelenk abgesenkt, um eine überlagerungsfreie seitliche Durch-leuchtung zu ermöglichen.

Die Beugung des Kniegelenks ermög-licht nicht nur den Zugang nach interkon-dylär, sondern führt gleichzeitig zu einer Entspannung des M. gastrocnemius, was die Reposition erleichtert.

Abb. 1 9 Lagerung

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Operationstechnik

(.Abb. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12)

Abb. 2 9 Beim sterilen Abwaschen darf es nicht zu einem Durchhängen des Oberschenkels im Frakturbereich kommen, da dieses zu iatrogenen Schä-den von Nerven oder Blutgefäßen führen könnte. Das Bein sollte deswe-gen in dieser Zeit von zwei Hilfspersonen gehalten werden. Dabei hebt die eine das Bein unter Längszug an, während die andere den proximalen Ober-schenkel manuell oder mit einer Tuchschlinge unterstützt. Die beiden Hilfs-personen können dabei genügend Abstand zum Operationsgebiet einhal-ten und brauchen deshalb selbst nicht steril gewaschen zu sein. Muss bei geplanter Verwendung eines langen Nagels sehr weit nach proximal hin ab-gewaschen werden, stößt diese Vorgehensweise jedoch an Grenzen. Hier kann es sinnvoll sein, dass die proximal stehende Hilfsperson sterile Hand-schuhe verwendet

Abb. 3 8 Die Hautinzision verläuft meist im distalen Bereich der vorbestehenden Narbe zwischen dem Unterrand der Patella und dem Oberrand der Tuberositas tibiae. Nach der subkutanen Präpara-tion zeigt sich das Lig. patellae, das längs gespalten wird. Der darunter liegende Hoffa-Fettkörper kann im Rahmen die Knieendoprothetik reseziert sein, ggf. wird er stumpf gespalten, um die interkondylä-re Region zu erreichen. Wie bei jeder Revisionsoperation im Bereich einer einliegende Endoprothese empfiehlt sich die Entnahme einer Gewebeprobe zur bakteriologischen Untersuchung; so kann auf ggf. vorliegende Low-Grade-Infektionen frühzeitig reagiert werden

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Abb. 5 8 Eine Orientierungshilfe für das Auffin-den des Eintrittspunkts gibt die Röntgendurch-leuchtung: In der a.-p.-Ebene ist die Prothesen-geometrie meist gut erkennbar. Im seitlichen Röntgenbild kann i.d.R. der dorsale Teil der Blu-mensaat-Linie identifiziert werden, an deren vermuteten tiefsten Punkt der Nageleintritt zu suchen ist. Je nach Frakturhöhe ist auch der Ver-lauf der Markhöhle gut zu erkennen. Aufgrund des Prothesendesigns müssen bei der Wahl des Eintrittspunkts bisweilen Kompromisse einge-gangen werden, dann ist der ventralste Eintritts-punkt zu wählen, den die Geometrie der femo-ralen Komponente gerade eben noch zulässt

Abb. 4 8 Unter Röntgenkontrolle in beiden Ebenen wird dann mit einem Führungsspieß der Nagel-eintrittspunkt festgelegt. Dieser ist in der anterior-posterioren Ebene durch die einliegende Prothese meist festgelegt und muss mittig zwischen den kondylären Anteilen der femoralen Komponente ge-wählt werden. In der seitlichen Ebene liegt der Eintrittspunkt etwa 1 cm vor dem femoralen Ansatz des hinteren Kreuzbands, das nach kreuzbanderhaltender Prothesenimplantation weiterhin geschont werden sollte. Die Eröffnung des Femurmarkraums erfolgt mit einer Hohlfräse über den Führungs-spieß hinweg. Zu achten ist hierbei auf eine sorgfältige Schonung der Weichteile (Haut, Patellarsehne), des Protheseninlays und auch der femoralen Prothesenkomponente

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Abb. 6 8 a,b Die Längenwahl des Nagels richtet sich nach der Frakturform und ggf. weiteren, proxi-mal einliegenden Implantaten. Nur rein metaphysäre Frakturen sollten mit einem kurzen retrograden Marknagel versorgt werden. Bei diaphysärer Beteiligung ist ein langer Nagel zu wählen, der durch die Führung in der Markraumenge zusätzliche Stabilität bietet. Beim Einschieben des Nagels sollte eine Varus-/Valgus-Fehlstellung bereits soweit möglich korrigiert werden. a Oftmals ist dies aber aufgrund des Weichteilzugs durch den Tractus iliotibialis nicht möglich und es entsteht eine Valgusverkippung des distalen Fragments. Diese wird letztlich erst durch die Abstützung der lateralen Femurkortikalis am Nagel limitiert. b Dies kann durch den Einsatz einer transmedullären Stützschraube (TMS-Schrau-be) korrigiert werden: Der Nagel wird zurückgezogen und eine Schraube wird gedeckt im distalen Fragment frakturnah und an der Konkavseite der Deformität (d. h. bei einer Valgusfehlstellung lateral) anterior-posterior platziert. Bei Wiedereinführen des Nagels stützt sich dieser nun an der Schraube ab und die Fehlstellung wird korrigiert. Die TMS-Schraube trägt nicht nur Reposition, sondern auch zur Retention der Fraktur bei und kann belassen werden

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Abb. 7 8 a Ebenso besteht beim Einschieben des Nagels oftmals eine Re-trokurvationsfehlstellung, die durch den Zug des M. gastrocnemius bedingt ist. Die Spannung kann durch weitere Beugung des Kniegelenks reduziert werden; manchmal verbleibt dennoch eine Verkippung des distalen Frag-ments, die erst durch die Abstützung der Kortikalis am Implantat limitiert wird. b Auch in diesem Fall kann eine transmedulläre Stützschraube (TMS-Schraube) zur Korrektur verwendet werden: Der Nagel wird zurückgezogen und eine Schraube wird gedeckt im distalen Fragment frakturnahe und an der Konkavseite der Deformität (d. h. bei einer Retrokurvationsfehlstellung ventral) lateromedial platziert. Bei Wiedereinführen des Nagels stützt sich dieser nun an der Schraube ab und die Fehlstellung wird korrigiert. Die TMS-Schraube kann belassen werden

Abb. 8 8 Ein Überstehen des Nagels muss nach Möglichkeit verhindert wer-den. Viele Nagelsysteme bieten ein Messinstrumentarium an, das bis auf die Knorpeloberfläche vorgeschoben wird und dann die Einbringtiefe auf einer Skala anzeigt. Auch die radiologische Darstellung oder eine direkte Visuali-sierung ist oftmals möglich. Das Risiko von Knorpelschäden (Patella) dürfte bei prothesenversorgten Kniegelenken wohl geringer sein, jedoch liegen hierzu keine Untersuchungen vor. Auch Polyethylenschäden wären bei überstehendem Nagel denkbar. Ein Versenken des Nagels um 5 mm unter Knorpelniveau wird daher in vielen Operationsanleitungen empfohlen

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Abb. 9 9 a,b Die Verriege-lung erfolgt über das Ziel-gerät des Nagels durch kleine Stichinzisionen auf der Lateralseite. Bei meta-physären Frakturen emp-fiehlt sich die statische Ver-riegelung. Die Verwendung eines Flachsenkers vor dem Bohrvorgang reduziert die Gefahr von Fehlbohrungen. Die Schraubenlängen wer-den im anterior-posterio-ren (Schraubenlänge) so-wie im seitlichen Strahlen-gang (Position im Verriege-lungsloch) kontrolliert. Eine ausreichend große Inzision der Fascia lata reduziert das Risiko von Fehlbohrungen, da so weniger Kräfte auf Führungshülse und Ziel-gerät übertragen werden. Vor der proximalen Ver-riegelung sollte nochmals die korrekte Torsionsein-stellung des Femurs über-prüft werden. Hinweise auf eine fehlerhafte Einstellung sind radiologische Kaliber-unterschiede des Knochens oder der Kortex proximal und distal der Fraktur. Eine weitere Kontrollmöglich-keit besteht im a.-p.-Strah-lengang durch Analyse der Konturen des Trochanter minor und der Patella; hier-bei ist auch ein Seitenver-gleich möglich

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Abb. 10 9 Distal sollten bei metaphysären Frakturen immer alle Verriege-lungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Die proximale Verriegelung be-findet sich sowohl beim langen als auch beim kurzen retrograden Femurna-gel in einiger Entfernung zur suprakondylären Frakturzone. Selbst ein Win-kelspiel von wenigen Grad im Bereich der proximalen Verriegelung kann da-her beträchtliche Pendelbewegungen im Frakturbereich zulassen. Sofern Fraktur und Implantat dies zulassen, kann dem durch eine Transfixation, d. h. eine zusätzliche Verriegelung unmittelbar proximal der Fraktur relevant entgegengewirkt werden [1]. Nach der Verriegelung wird das Zielgerät des Nagels abgebaut

Abb. 11 9 Transfixation. Typische Anwendung der Transfixationsverriegelung: suprakondyläre Querfrak-tur mit fester Oberflächen-ersatzprothese. Versorgung durch statisch verriegel-ten kurzen retrograden Fe-murnagel, wobei eine dis-tale Verriegelungsschraube bereits proximal der Frak-tur zu liegen kommt. Die-se Konstellation erhöht die Stabilität und wirkt sich auf die Frakturheilung im me-taphysären Bereich posi-tiv aus [1]

Abb. 12 9 Zahlreiche retrograde Nägel bieten eine Verschlussschraube an. Diese kann so konzipiert sein, dass durch sie eine Arretierung der dis-talsten Verriegelungsschraube entsteht. Diese wird dadurch quasi winkel-stabil und kann auch nicht mehr auswandern. Daher sollte die Verschluss-schraube in jedem Fall verwendet werden. Um die Schraube beim Einbrin-gen nicht im Kniegelenk zu verlieren, kann sie zuvor an einem Faden ange-bunden werden; auch spezielle festhaltende Schraubendreher sind verfüg-bar. Abschließend erfolgt nach Spülung und Röntgendokumentation der schichtweise Wundverschluss. Eine intraartikuläre Redon-Drainage ist optio-nal und wird von uns meist nicht verwendet. Für die Naht der Patellarsehne empfehlen wir resorbierbares Nahtmaterial. (Mit freundl. Genehmigung der Fa. Aesculap)

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Besonderheiten

(.Abb. 13, 14, 15)

Abb. 13 8 a-c Modifizierte Verriegelung. Viele Implantate bieten Verriegelungsvarianten an, die durch Oberflächenvergrößerung besseren Knochenhalt bei osteoporotischen Verhältnissen gewährleisten (z. B. Überwurfhülsen, Spiralklingen). Beim Targon® RF etwa kann der kortikale Schraubenhalt der distalen Verriegelungsschrauben (Ø 6 mm) durch Vergrößerung des Gewindedurchmessers verbessert werden. Dabei wird unter Verwendung eines Gegenhalts eine Gewindehülse auf die Verriegelungsschraube aufgebracht

Abb. 14 9 a,b Verrie-gelung von medial. Verriegelungsschrau-ben werden üblicher-weise von lateral ein-gebracht. In Ausnah-mefällen, etwa bei kri-tischen Hautverhältnis-sen auf der Lateralsei-te, kann aber auch von medial – unter Scho-nung von N. saphenus und V. saphena – ver-riegelt werden. Man-che Systeme bieten die Möglichkeit, durch Umklappen des Zielge-räts von medial her zu verriegeln oder Über-wurfhülsen über die Verriegelungsschrau-ben einzubringen und auf diese Weise einer Auswanderung der Schrauben entgegen-zuwirken

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Page 13: Retrograde Marknagelung bei periprothetischen Frakturen des distalen Femurs; Retrograde intramedullary nailing for periprosthetic fractures of the distal femur;

Proximal einliegendes extramedulläres Implantat

Liegt im Bereich des proximalen Femur eine dynamische Hüftschraube oder ein ähnliches Implantat ein, so sollte aus bio-mechanischen Gründen eine Überlap-pung der Implantate angestrebt werden. Ansonsten entsteht eine Zone erhöhter Stressbelastung („stress riser“), die eine weitere Fraktur begünstigt [22]. Meist ist es hierzu nicht erforderlich, das proxima-le Implantat komplett zu entfernen. Statt-dessen genügt die perkutane Entfernung von 1–2 Schrauben im distalen Bereich des Implantats.

Proximal einliegendes intramedulläres Implantat

Befindet sich im proximalen Femurbe-reich eine Hüftprothese oder ein proxi-maler Femurnagel, kann mittels retrogra-der Femurnagelung keine Überlappung der Implantate erzielt werden. Es besteht Einigkeit, dass eine Berührung des pro-ximalen und distalen Implantats („kis-sing implants“) die Gefahr einer künf-tigen Fraktur in diesem Bereich erhöht und daher vermieden werden sollte. Un-genügende Evidenz besteht allerdings da-rüber, welcher Mindestabstand zwischen zwei solchen Implantaten zu fordern ist. In der eigenen Praxis fordern wir hier einen Abstand von mindestens 3 cm, was allerdings auch von der individuellen Si-tuation abhängt.

Folgende Optionen können erwogen werden:FVerwendung einer winkelstabilen

Platte anstelle des retrograden Nagels, sofern diese eine Überlappung mit dem proximalen intramedullären Im-plantat erlaubt

FVerwendung einer kurzen, den Ab-stand überbrückenden Platte additiv zum retrograden Nagel

FEntfernung des proximalen Implan-tats (.Abb. 16)

Postoperative Behandlung

FTrockener Verband. Keine externe Ruhigstellung.

FBei Verwendung einer Redon-Drai-nage sollte diese spätestens am

Abb. 15 8 a,b Freihandverriegelung bei langen retrograden Nägeln. Beim Einsatz von langen retro-graden Nägeln muss meist in Freihandtechnik anterior-posterior verriegelt werden. Um die Stichin-zision sowie die Bohrung korrekt platzieren zu können, muss das jeweilige proximale Verriegelungs-loch des Implantats mit dem Bildwandler exakt rund dargestellt werden. Diese Einstellung kann mit 2 Schritten erreicht werden: Stellt sich das Verriegelungsloch radiologisch längsoval dar („stehendes Ei“), so muss der von der Seite kommende C-Bogen mehr oder weniger weit durchgeschwenkt wer-den. Projiziert sich das Verriegelungsloch dagegen queroval („liegendes Ei“), wird dies durch eine ver-änderte seitliche Kippung des C-Bogens korrigiert. Natürlich können diese Effekte statt durch Bewe-gung des C-Bogens auch durch eine entsprechende Veränderung des Operationstischs erreicht wer-den (Kippung nach rechts/links bzw. mehr oder weniger Kopftieflage)

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Operative Techniken

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2. postoperativen Tag entfernt wer-den. Das Nahtmaterial entfernen wir zwischen dem 12. und 14. postopera-tiven Tag.

FBeginn der Mobilisation des Patien-ten am 1. postoperativen Tag. Die Ziele der Physiotherapie orientieren sich an der Mobilität und dem Bewe-gungsumfang, wie sie vor dem Unfall bestanden. Eine Limitierung der Ge-wichtsbelastung oder des Bewegungs-umfangs ist nicht erforderlich. Meist ist die anfängliche Verwendung von individuell verordneten Gehwagen oder Unterarmgehstützen sinnvoll. Die Indikation zur Rehabilitations-behandlung wird individuell gestellt; i.d.R. besteht eine Rehabilitationsbe-dürftigkeit beim geriatrischen Patien-ten.

FRadiologische Kontrollen werden nach erstmaliger Vollbelastung sowie nach 6 Wochen und 6 Monaten emp-fohlen.

FEine Materialentfernung ist über den-selben Zugang möglich und sollte nach frühestens 1 Jahr vorgenom-men werden. Da jeder transartikuläre Zugang eine Infektionsgefahr für die einliegende Prothese darstellt, sollte eine Implantatentfernung jedoch nur bei klaren Indikationen empfohlen werden. Solche können sich bei im-plantatbezogenen Beschwerden, er-neuten Frakturen oder Infektionen ergeben.

Fehler, Gefahren, Komplikationen

FFrühinfektion (<4–6 Wochen): im-plantaterhaltendes Vorgehen entspre-chend den Standards der Endopro-thetik. In der Regel offene Revision mit Débridement und Inlaywechsel, Zweifachantibiotikatherapie für min-destens 6 Wochen.

FSpätinfektion (>4–6 Wochen): Meist wird im Verlauf ein 1- oder 2-zeiti-ger Prothesenwechsel mit Entfernung auch des retrograden Femurnagels er-forderlich. Im Einzelfall muss ent-schieden werden, ob ein Hinauszö-gern des Eingriffs bis zur knöchernen Konsolidierung der periprothetischen Fraktur verantwortet werden kann.

Abb. 16 8 a-e 68-jähriger Patient mit dislozierter Femurschaftfraktur und kritischen Weichteilverhält-nissen über dem Bruch. Bei verheilter proximaler Femurfraktur liegt bereits ein Marknagel ein. Der Wechsel auf einen langen antegraden Femurmarknagel erscheint wegen des bis nach suprakondy-lär reichenden spiraligen Frakturausläufers nicht indiziert. Bei einer Versorgung mit einem kurzen re-trograden Femurnagel ergäbe sich ein Abstand der beiden Implantate von weniger als 3 cm und da-durch wahrscheinlich eine Sollbruchstelle („kissing implants“). Daher erfolgte in einer Sitzung die Ent-fernung des proximalen Femurnagels sowie die geschlossene Reposition und Versorgung mit einem langen retrograden, statisch verriegelten Marknagel. Die Weichteile wurden nicht weiter kompromit-tiert, eine sofortige schmerzabhängige Vollbelastung war möglich

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FPostoperative Fehlstellungen: mög-lichst umgehende Korrektur. In der Knieendoprothetik wird eine me-chanische Beinachse von 0±3° ange-strebt. Die bestehenden Knochenboh-rungen der Verriegelungslöcher kön-nen eine Neuplatzierung des Nagels erschweren und den Wechsel auf eine Platte erforderlich machen. Die Indi-kation zur Korrektur einer Torsions-fehlstellung hängt im Wesentlichen vom Gangbild ab; generell werden In-nentorsionsfehlstellungen schlech-ter vertragen. Die Korrektur über den liegenden Nagel ist in der Frühphase vergleichsweise einfach; das Ausmaß der erreichten Drehung kann durch temporär eingebrachte Steinmann-Nägel oder stärkere Kirschner-Bohr-drähte (empfohlener Durchmesser: 2,5–3,0 mm) gut abgeschätzt werden.

FPeriimplantäre und interprothetische Frakturen: Einzelfallentscheidung, infrage kommt hauptsächlich der Wechsel auf einen längeren retrogra-den Femurnagel, überlappende win-kelstabile Plattenosteosynthesen oder

langstielige Revisionsendoprothetik bis hin zur Durchsteckprothese oder dem totalen Femurersatz.

FPseudarthrose und verzögerte Frak-turheilung: abhängig von der vermu-teten Ätiologie. Sowohl biologische als auch mechanische Faktoren kön-nen ursächlich sein. Nach unserer Er-fahrung ist bei diaphysären Frakturen oft eine Nageldynamisierung, bei me-taphysären Frakturen dagegen eine stabilere Versorgung erforderlich, z. B. durch zusätzliche Verriegelung (Transfixation) oder eine additive Plattenosteosynthese [1].

FImplantatversagen: Ein Bruch des Na-gels oder von Verriegelungsschrauben ist oft ein Zeichen von Instabilität bei verzögerter oder ausbleibender Frak-turheilung (s. oben). Wechsel auf di-ckeren Nagel erwägen, ggf. aufboh-ren. Ausgewanderte Verriegelungs-schrauben können häufig ambulant entfernt werden.

Ergebnisse

Im eigenen Patientengut wird für die re-trograde Femurnagelung seit dem Jahr 2000 der Targon®-RF-Nagel (Aesculap, Tuttlingen) verwendet. Insgesamt wur-de das Implantat seither in 101 Fällen eingesetzt. Die betroffenen 99 Patien-ten (47 männlich, 52 weiblich) hatten ein mittleres Lebensalter von 59,5 Jahren (Standardabweichung: 21,4 Jahre). Behan-delt wurden überwiegend suprakondylä-re Frakturen (38%), diakondyläre Fraktu-ren (31%), Schaftfrakturen (20%), Pseud-arthrosen (5%) und pathologische Frak-turen (6%).

Unter den 101 retrograden Femurna-gelungen waren 10 Patienten mit peri-prothetischen Frakturen (10%). Betroffen waren davon ältere Patienten (64–91 Jah-re, Mittelwert: 75,9 Jahre) und überwie-gend Frauen (8/10). Das Seitenverhältnis war ausgeglichen (5 rechts, 5 links). In al-len Fällen bestand eine Osteoporose.

Bei all diesen Fällen handelte es sich um dislozierte Frakturen bei nichtgelo-ckerter Prothese (Typ II nach Rorabeck);

Abb. 17 8 a Versorgungsbild und b Ausheilungsergebnis nach 6 Monaten bei einer 81-jährigen Frau nach retrograder Fe-murnagelung bei liegender Knie-TEP. Durch Einsatz einer untypischerweise im proximalen Fragment lateromedial platzierten TMS-Schraube konnte das Alignement in der seitlichen Ebene gut wiederhergestellt werden. Eine Valgusfehlstellung ist ver-blieben, da versäumt wurde, eine zusätzliche Stützschraube im lateralen Schaftbereich anterior-posterior einzubringen

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Operative Techniken

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6 suprakondyläre Frakturen standen 4 Schaftfrakturen gegenüber. In 4 Fällen la-gen auch proximale Implantate ein (Hüft-prothesen, proximale Femurnägel).

Bei den Eingriffen kamen Nagellän-gen zwischen 200 und 400 mm zum Ein-satz. In 3 Fällen erfolgte zusätzliche die Entfernung eines proximal einliegenden Implantats (Vermeidung von „kissing im-plants“).

Die mittlere Operationsdauer betrug 122 min (bei Ausschluss von kombinier-

ten Eingriffen, bei denen gleichzeitig ein proximal einliegendes Implantat ent-fernt wurde: 106 min) und unterschied sich damit nicht signifikant von der unse-res Gesamtkollektivs retrograder Femur-nagelungen (mittlere Operationsdauer: 111 min).

Bei allen Osteosynthesen periprothe-tischer Frakturen wurde postoperativ die Vollbelastung erlaubt. Infektionen oder Wundheilungsstörungen wurden nicht beobachtet. Bei einer 91-jährigen Patien-

tin mit vorbestehender peripherer arte-rieller Verschlusskrankheit (PAVK) kam es postoperativ zu einer Gangrän des Fu-ßes; bei fehlenden Optionen zur Verbes-serung der Durchblutungssituation wurde 1 Monat nach retrograder Femurnagelung eine Oberschenkelamputation dieses Bei-nes durchgeführt. In einem weiteren Fall bestand postoperativ ein Torsionsfehler, der im Rahmen einer Revisionsoperation behoben wurde; hierbei genügte ein klei-ner Eingriff mit Entfernung der proxima-

Abb. 18 9 a 72-jähriger Mann mit Mehrfragment-fraktur des distalen Fe-murschafts bei festsitzen-dem Oberflächenersatz des Kniegelenks. b Belastungs-stabile Versorgung mit-tels statischer retrograder Verriegelungsnagelung. c Nach 3 Monaten deutli-che Anzeichen der Kallus-bildung. d Zu diesem Zeit-punkt ist der Patient im häuslichen Umfeld ohne Gehstützen mobil, was sei-nem funktionellen Status vor dem Unfall entspricht

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len Verriegelungsschrauben und Neuver-riegelung nach Torsionskorrektur.

Weitere Komplikationen wurden nicht beobachtet. Auch die in der Literatur be-schriebenen heterotopen Ossifikationen [8] traten nicht auf.

Im Gesamtkollektiv der retrograden Femurnagelungen verwendeten wir in 10% der Fälle TMS-Schrauben und ver-längerten dadurch die durchschnittliche Operationsdauer nicht signifikant. Beim Einsatz von TMS-Schrauben konnte in der jeweiligen Achse eine korrekte Stel-lung erreicht werden (.Abb. 17).

Im Rahmen einer bisher unveröffent-lichten Dissertation aus unserem Haus wurden außerdem konsekutiv 17 Patien-ten prospektiv nachverfolgt; ein länger-fristiges Follow-up mit einem mittleren Beobachtungszeitraum von 8,9 Mona-ten (6–14 Monaten) liegt für 13 dieser Pa-tienten vor. Die Nachuntersuchung war dabei klinisch und radiologisch erfolgt; zur Funktionsbeurteilung wurde der Sco-re nach Leung erhoben [14]. Dabei zeig-te sich in einem Fall ein mäßiges Ergebnis (8%), die anderen Patienten zeigten gu-te oder exzellente klinische Resultate (je 46%). Unter letzteren befanden sich auch 3 Patienten mit periprothetischer/periim-plantärer Fraktur. Der im Mittel festge-stellte Bewegungsumfang von 100° ent-sprach in allen Fällen subjektiv der Knie-gelenksbeweglichkeit vor dem Trauma; ebenso konnte in allen Fällen der präope-rative Mobilitätsgrad wieder erreicht wer-den. Alle Frakturen waren nach 6 Mona-ten knöchern konsolidiert, meist war be-reits nach 3 Monaten eine deutliche Kal-lusbildung erkennbar (.Abb. 18).

Die Inzidenz metaphysärer Frakturen oberhalb liegender Knieprothesen ist ge-ring und wird auf ca. 1% geschätzt; ent-sprechende Studien der letzten Jahrzehn-te geben Werte zwischen 0,3 und 2,5% an [2, 3, 5, 16, 21]. Dementsprechend fanden sich im eigenen Krankengut solche Frak-turen nur in den beschriebenen 10 Fällen.

Korrespondenzadresse

PD Dr. R. BiberUniversitätsklinik für Unfall- und Orthopädische Chirurgie, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Breslauer Str. 201, 90471 Nü[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. R. Biber und H.J. Bail waren in den letzten Jahren mehrfach als Berater oder Referent für die Firma B. Braun Aesculap tätig.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb dieses Beitrags zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Ein-willigung gegeben. Im Falle von nicht mündigen Pa-tienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberech-tigen oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor.

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