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Ausgabe 14 | 2006 Recht und Politik

Angesichts spannender, aber kaumgreifbarer gesellschaftlicher Diskus-sionen, lohnt ein Blick auf die Tatsa-chen, die das Mega-Event FIFA WM2006 schafft. Denn bei einem Mega-Event droht – wenn auch abstrakt –Mega-Gefahr. Damit keine Teilnehme-rInnen zu Schaden kommen, will vor-gesorgt sein. Freilich dient der Schutzin erster Linie den 32 qualifiziertenNationen und den 3,2 Millionen Be-sucherInnen der Stadien. Aber auch„die Attraktivität eines Standorteswird daran gemessen, welches Ver-trauen in ein Land und seine Sicher-heitsbehörden gesteckt werdenkann.“1 Bei viel Gefahr und dem größ-ten Polizeieinsatz in der Nachkriegs-geschichte2 ist Gelegenheit, das Mi-litär ins Spiel zu bringen: Mehr alshundert Unterstützungsleistungenim Rahmen der technischen Amtshil-fe seien beantragt worden, heißt esim Bericht des zuständigen Ministe-riums für den Verteidigungsaus-schuss. Das ganze soll schätzungs-weise fünf Millionen Euro kosten. 1,4Millionen sollen den Bundesbehör-den und Ländern als Kostenerstat-tung für beantragte Unterstützungs-leistungen im Rahmen der Amtshilfein Rechnung gestellt werden.3

FIFA WM 2006™Sicherheitspolitische Anmerkungen zum Viertelfinale

Deutschland 2006. Die FIFA WM 2006™ ist in vollem Gange. Die Republik in Fußballstimmung. DieDebatte dreht sich um identitätsstiftende Fragen: Werden wir Weltmeister? Ist das Fahnenmeer dergesunde Patriotismus, den sich so viele erhoffen? Darf dann eine Kanzlerin das Gastgeberland alsSanierungsfall bezeichnen? Und was bedeutet es für Linke, Fan – vielleicht sogar von Deutschland– zu sein? Dies sind die Fragen die sich der Autor bereits vor dem Viertelfinale stellte.

Wir haben nicht die höchste Spielkultur,sind nicht gerade filigran

(Sportfreunde Stiller)

Unsere Truppe:Allzeit bereit

Vor allem der Sanitätsdienst ist ge-fragt, aber auch die Fähigkeiten derBundeswehr zur ABC-Abwehr. AmSpielort Kaiserslautern ist ein Ret-tungszentrum mit notfallchirurgi-schem Schwerpunkt eingerichtet,zwei Transporthubschrauber, ausge-stattet zum Retten von Verwundeten,werden in Laupheim in Bayern undim niedersächsischen Bückeburgbereitgehalten, so dass sie jedenSpielort zwischen Hamburg undMünchen, Berlin und Köln erreichenkönnen. Mehr als 5.900 Unterkünftesollen der Polizei zur Verfügung ge-stellt werden. 7000 Soldaten haltensich einsatzbereit.4

Unabhängig davon stehen fürdie Luftraumüberwachung dieAwacs-Flugzeuge der Nato bereit, mit

denen, anders als mit stationären Ra-dargeräten auch tieffliegende Flug-zeuge entdeckt werden können.

Bundesinnenminister Schäuble(CDU) fordert seit seinem Amtsan-tritt mehr. Nach seinen Vorstellungensollen BundeswehrsoldatInnen diePolizei bei dem Großereignis Fußball-WM™ etwa beim Objektschutz un-terstützen. Der Kompromiss ist, Sol-datInnen in der Nähe von Stadien zupositionieren. So erhält die „techni-sche Amtshilfe“ eine neue, ausgewei-tete Bedeutung: Während der tech-nische Hilfsdienst, die lokalen Feu-erwehren und die Polizeikräfte für diegenannten Gefahren seit Jahren vor-bereitet und ausgebildet sind, wirdso das Verbot des Bundeswehrein-satzes im Inneren – außerhalb derNotstandsverfassung – aufgeweicht.Ein Vorbote?

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Recht und Politik

Die ganze Welt. Zu Gast?Nicht ganz...

„Die Welt zu Gast bei Freunden“ istkeine Einladung an alle, sondern nuran diejenigen, die sich Karten leistenkönnen und so benehmen, wie esmedial transportiert werden darf. EineKetzerIn, wer sich dennoch gegeneine ausgelassene, offene und fried-liche Stimmung auch im Kollektiv ein-setzt. Wie offen Deutschland ist,zeigt das Streetsoccer-Turnier aufdem Kreuzberger Mariannenplatz(Schirmherr: Jürgen Klinsmann). DieTeams aus Ghana und Nigeria erhiel-ten – wie viele Fans auf der ganzenWelt – keine Visa5, da ihr erklärtesZiel, „in einem Profi-Verein“ spielenzu wollen, eine Rückkehrbereitschaftin ihre Heimatländer nicht erkennenlasse.6 Bundesaußenminister Stein-meier (SPD) bekommt das bei der Er-öffnung zu spüren, als er deswegenvom freundlichen Publikum des Gast-geberlandes stellvertretend für seinMinisterium ausgebuht wird.

Auch im Inland sind aufwändig-ste Vorkehrungen getroffen. Die Po-lizei verwaltet die von ihr, dem DFBund den Vereinen – angeblich zurVermeidung von Gewalt und „un-schönen Szenen“ – erhobenen Fan-daten. Dabei werden die Fans in dreiKategorien eingeteilt:

A für die Ungefährlichen.B für Gewalt geneigte undC für Gewalt suchende Fans.

Mindestens 7.000 Personen habenbis dato den Sprung in die bundes-weite Datei „Gewalttäter Sport“ ge-schafft.7 Freilich ist für die Speiche-rung keine einschlägige Verurteilungerforderlich. Es genügt bei einer Per-

sonenkontrolle am Rande einer fuß-balltypischen Auseinandersetzungangetroffen worden zu sein. Nichtminder willkürlich ist die privatrecht-liche Verhängung von Stadionverbo-ten durch den DFB. 2.600 heimischeFans und mindestens 10.000 aus an-deren Ländern sind betroffen. DasPolizeirecht bietet außerdem dieMöglichkeit von Aufenthaltsverbo-ten, Platzverweisen und die Melde-auflagen. Das mildeste Mittel im Re-pertoire stellt die Gefährderansprachedar. Aber auch diese verläuft, ob zuHause oder am Arbeitsplatz nichtohne Stigmatisierung der Adressa-ten.8 Inwiefern diese Maßnahmenwirken und sich gewaltbereiteHooligans so von ihrem Spaßabhalten lassen, ist zweifelhaft.Die Fanorganisation Aktive Fansweist mit Recht darauf hin, dass dieStrategie mit einem massivenAufgebot an Sicherheitskräften,Stadionverboten und Kontrol-len aufzuwarten, Aggressionenerst schürt, die in einem späteren Sta-dium entladen werden.9

Auch der weniger spektakelfreu-dige Fan wird sich vielfältigen Maß-nahmen zu unterziehen haben. Bei öf-fentlichen Übertragungen auf den 300public viewing areas in Deutschlandsoll – so die gute Absicht – verhin-dert werden, was bei der Eröffnungdes Berliner Hauptbahnhofs trotz ei-nes massiven Sicherheitsaufgebotesgeschah:10 Erhebliche Verletzungenvon Unbeteiligten. Eine Rolle spieltdabei auch die Entwidmung öffentli-chen Straßenlands und die Übertra-gung des Hausrechts in die Händeprivater Veranstalter. Sie haben dieGelände einzuzäunen, Einlasskon-

trollen durchzuführen und einen pri-vaten Ordnungsdienst zu stellen. Da-tenschutz, Einlass und die Befugnis-se der Sicherheitsdienste sind so ge-ringeren bis unsicheren Anforderun-gen einer rechtsstaatlichen und ein-griffsarmen Behandlung der Besu-cherinnen und Besucher anheim ge-stellt. Ungeklärt bleibt, weshalb diePolizei in Berlin uniformierte und ver-deckte Einsätze und auch mobile Vi-deoteams einsetzt.11 Das Zusammen-spiel privater und öffentlicher Sicher-heit ist auch in Zukunft massivenrechtlichen Zweifeln ausgesetzt.12

Neues Spielzeugfür den Ü-Staat

Neben konventionellen Instrumen-ten wie 2.000 neuen Schlagstöcken(Tonfas),13 kommt zum ersten Mal

auch die mobile Identi-tätsüberprüfung zum

Einsatz kommen. Die-ser handgroße Scan-

ner ermöglicht

den Abgleich eines Fingerabdrucksmit gegenwärtig etwa 3,2 Millionenin der beim BKA geführten AFIS (Au-tomatischen Fingerabdruck Identifi-zierungssystem) innerhalb von dreiMinuten.14

Eine neue Erscheinung ist derauf jeder Eintrittskarte enthalteneRFID – Chip (radio frequency iden-tification). Dieser Funksender über-mittelt, ob der Karteninhaber zumEintritt berechtigt ist oder nicht. Wasmit den von jeden Kartenaspirantenanzugebenden Daten – einschließ-lich der Personalausweisnummer –geschehen soll, kann nur den Aus-sagen der FIFA entnommen werden.Der FAQ (frequently asked questi-

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ons) zufolge werden nur eindeutigeund keine personenbezogenen An-gaben zur Registrierung beim Ticket-kauf gespeichert.15 Verheißungsvollin diesem Zusammenhang: die Aus-sage eines Sprechers des Bundesda-tenschutzbeauftragten, die Speiche-rung der letzten vier Ziffern der Aus-weisnummer würden vollkommenausreichen.16 Gewinner ist in jedemFall die Firma Philips, die die RFID-Chips auf den WM™-Tickets produ-ziert hat und ebenfalls zu den WM™-Financiers gehört.17

Das Sicherheitsaufgebot stehtschon wärend des letzten Viertelfina-les als Sieger fest. Denn: Geht es si-cher zu, liegt es an dem starken undeffektiven Sicherheitsaufgebot.Kommt es allen Erwartungen und Vor-kehrungen zum Trotz zu Schäden,waren die Anstrengungen zu gering.Kritische Aufmerksamkeit wider einerpermanenten Selbstbestätigungstaatlicher Repressalien kann in die-ser Zeit nicht hoch genug sein: Da-mit die Verlierer nicht auf der Seiteder Freiheit stehen.

Benedikt Lux, Berlin*

* Benedikt Lux

Jahrgang 1981, studiert Jura an der Hum-boldt-Universität zu Berlin. Seit 1998 ister Mitglied der Grünen Jugend Berlin, de-ren Sprecher er 2003/04 war. Zuletzt ge-hörte er dem Bundesvorstand der GrünenJugend an sowie dem StuPa der HU. Er istseit2006 Mitglied des Abgeordnetenhausesund sitzt in den Ausschüssen für Inneres,für Recht und für Datenschutz.

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RechtsprechungAbgeschossen – das LuftsicherheitsgesetzDas Bundesverfassungsgericht zu § 14 III Luftsicherheitsgesetz

Leben gegen Leben, diese Gegenüberstellung haben Studieren-de im ersten Semester noch vor kurzem als eindeutig unrechtmä-ßige Abwägung gelehrt bekommen. Doch in Zeiten, in denen dasFolterverbot angegriffen wird, wackeln auch andere ehemals eher-ne Grundsätze des bundesdeutschen Rechtssystems. Fürs Erstehat das BVerfG einen Rückschritt verhindert.

Am 15. Februar entschied der ErsteSenat des Bundesverfassungerichtsüber die Verfassungsbeschwerdegegen § 14 III LuftSiG und erklärte

dessen Verfassungswidrigkeit undUnwirksamkeit. Damit war die Verfas-sungsbeschwerde von mehrerenAnwältInnen – einige davon frühere

Bundestagsabgeordnete – und ei-nem Flugzeugkapitän erfolgreich. §14 III LuftSiG sollte die Bundeswehrdazu ermächtigen, ein Flugzeug imFalle eines „erheblichen Luftzwi-schenfalls“ abzuschießen, also wennes von EntführerInnen zum Absturzgebracht werden soll und dadurchMenschen am Boden gefährdet wer-den. Das BVerfG stellte nun Verstö-ße einerseits gegen die Kompetenz-

1 Volker Buffier, hessischer Innenmini-ster in Presseinformation Nr. 151 v.8.9.2005.

2 Berlins Polizeipräsident Dieter Glietschin: Berliner Zeitung vom 8.11.2005.

3 FAZ vom 9.2.2006.4 Frankfurter Rundschau 30.3.2006.5 Deutsche Welle vom 1.7.2006: http://

www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2075171,00.html

6 Netzeitung vom 28.6.2006: http://www.netzeitung.de/deutschland/415562.html

7 Berliner Zeitung vom 30.6.2006.8 Vgl. zur Rechts- und Verfas-

sungswidrigkeit von Gefähr-deransprachen im Vorfeld vonDemonstartionen im Ausland:OVG NS: Az: 11 C 51/04

9 Beitag in CILIP 1/2006, S.47: www.aktive-fans.de

10 Berliner Zeitung vom 7. Juni 2006.11 Berliner Tagesspiegel 19.2.2006.12 Zum Zusammenspiel von staatlichen und

privaten Kontroll- und Überwachungs-maßnahmen beim Fußball, eingehend:Wilko Zicht, Grundrechte-Report 2005,S. 45.

13 Berliner Zeitung vom 5.3.2005; vgl.Marten Mittelstädt, Hochrüstung bei derBerliner Polizei, das freischüßler 1/2005, S. 67.

14 Pressemitteilung des BKA vom 11.1.2006, Busch in CILIP 1/2006, S.10.

15 http://fifaworldcup.yahoo.com/06/de/tickets/faq.html

16 Rheinische Post v. 25.1.2005.17 Padeluun (foebud) in CILIP 1/2006, S.

10; lesenswert: Sönke Hilbrans, Grund-rechte-Report 2005, S. 37.


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