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Page 1: Statt Del Piero Romario» - Neue Zürcher Zeitung · 2017-03-08 · Alessandro Del Piero. Trapattoni durchforstete die Bestände bereits erprobter Lückenbüsser und hoffnungsvoller

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Fabian Cancellaragewinnt den PrologGute Schweizer in der Tour de Romandie

SPORT

Festakt ohne VIPs

Mittwoch, 30. April 2003 Nr. 99 51

Das Schweizer Fussballnationalteam weiht das neue Stadion in Genf gegen Italien B einAm Mittwoch wird das neue «Stade deGen`ve» im Stadtteil La Praille anläss-e

lich des Testspiels zwischen der Schweizund Italien offiziell eröffnet. Währenddie SFV-Auswahl dieses Ereignis zurFestigung der Mannschaft im Hinblickauf die weitere EM-Qualifikation nut-zen will, reisen die Italiener ohne zahl-reiche Starspieler an.

ven. Genf, 29. April

Die Schweizer Fussballnationalmannschaft ist(wieder) en vogue. Zum einen als Werbeplatt-form, und dies sogar in konjunkturell schwierige-

ren Zeiten. Credit Suisse, Hauptsponsor des SFVund Halter der Vermarktungsrechte, hat mitSwisscom einen vierten Co-Sponsor gefunden.

Dieses Faktum bringt dem Verband zwar kein zu-sätzliches Geld ein, sondern ermöglicht in ersterLinie der Bank eine teilweise Refinanzierung der2,75 Millionen Franken, die sie jährlich an denSFV überweist. Der Vertragsabschluss mit Swiss-com zeigt aber den Imagegewinn an, den sich dieNationalmannschaft unter Coach Köbi Kuhn er-arbeitet hat. Noch vor einem Jahr leckten sich dieMannschaft und der Selektionär nach dem mässig

verlaufenen Trainingslager auf Zypern und der1:3-Niederlage gegen Kanada die Wunden.

Zum andern ist das Nationalteam aus der Sichtder Spieler (wieder) ein interessantes Schaufens-ter. Im Gegensatz zu den Italienern, die ohnezahlreiche, mit ihren Klubmannschaften Juventus,

Inter und Milan in den Halbfinals der ChampionsLeague engagierte Stammspieler angereist sind(u. a. Del Piero, Vieri und Nesta; siehe Beitrag

auf dieser Seite), sind die Schweizer dem Ruf desVerbandes gefolgt. Obwohl der Zeitpunkt desTestspiels auch aus Schweizer Sicht ungünstig ge-legen ist, sind solche Dilemmas neuerdings kein

(si) Im Alter von 22 Jahren hat Fabian Can-cellara einen weiteren wichtigen Schritt in seinerLaufbahn gemacht. Der Berner gewann den Pro-log der 57. Tour de Romandie in der Genfer Alt-stadt und ist damit der erste Leader. Letztes Jahrhatte sich Cancellara neunmal als Sieger feiernlassen, erstmals aber hat er sich nun in einer Prü-fung einer hoch kotierten Rundfahrt durchgesetzt.

Dabei hatte dieser Sieg nicht erwartet werdendürfen. Die zahlreichen Richtungsänderungen,Steigungen und Abfahrten waren nicht auf dieZeitfahrer zugeschnitten. «Ich habe alles riskiert»,erklärte Cancellara. Der frühere zweifache Junio-ren-Weltmeister im Zeitfahren war ziemlich aus-gelaugt von seinem ersten Abenteuer in der Flan-dern-Rundfahrt und in Gent­Wevelgem nachHause zurückgekehrt. Das Programm des Bernersliess keine Pausen zu, und am letzten Samstag er-hielt er mit dem Gewinn des Omiums in Lyss dieGewissheit, dass er sich auf dem richtigen Weg

befand. Immerhin schränkte Cancellara dasRisiko insofern ein, als er im Prolog sein üblichesStrassenvelo und keine Spezialmaschine benutzte.

Auch Schweizer Meister Alexandre Mooszeigte als Zweiter, nur 2,42 Sekunden hinter demSieger, eine starke Leistung. Nach den geringen

Abständen im lediglich 3,2 km langen Prolog

wird am Mittwoch auf der 181,9 km langen Fahrtvon Genf nach Fleurier eine erste Selektion er-wartet. Auf den letzten 60 km haben die Fahrerdrei Bergpreis-Wertungen zu passieren.

Nationalcoach Kuhn darf über den Imagegewinn seiner Mannschaft durchaus stolz sein. (Bild key)

Anlass mehr für Polemiken. Dazu trägt die prag-

matische Art Kuhns bei, der gegenüber Vereins-trainern, die das Gros der Internationalen abstel-len, versichert hat, keine Verletzungsrisiken einzu-gehen und die schon belasteten Fussballer (be-

sonders Basels und des GC) nicht um jeden Preisdurchspielen zu lassen. Unter Kuhns Vorgängern

Trossero und Gress wären solche Interessenkon-flikte öffentlich und laut ausgetragen worden.

Auf Grund der relativen Harmonie im Teamund der unangefochtenen Position Kuhns fokus-sieren sich die letzten Fragen vor dem Spiel gegen

Italien auf technische Dinge. Weil Kuhn gegen-

über dem letzten EM-Qualifikations-Spiel inGeorgien keine Veränderungen in der Zusam-mensetzung der Mannschaft vornehmen will, isteinzig offen, wer den verletzten Wicky im linkenMittelfeld ersetzen wird; Cantaluppi, aber auchCelestini könnte diese Rolle übernehmen. An-sonsten ist die SFV-Auswahl derart gefestigt unddie Bilanz bei Halbzeit der EM-Qualifikation mitzwei Siegen und zwei Unentschieden so gut, dassder Coach glaubwürdig die Stärken des Teams be-tonen und prospektiv denken kann. Am 8. und

11. Juni spielt die Schweiz gegen Russland (inBasel) und Albanien (in Genf). Die beiden Mat-ches werden wohl Aufschluss darüber geben, obeine Direktqualifikation für die Endrunde 2004 inPortugal noch realistisch sein wird oder ob derUmweg über die Barrage-Spiele gegangen werdenmuss. Vor dem Hintergrund solcher Perspektiven

ist ein Spiel gegen Italien allein schon eine Feier,ob nun ein Stadion eingeweiht wird oder nicht.

Das durch die jüngsten Erfolge aufgebaute

Selbstbewusstsein der Schweizer Nationalspieler

erlaubt es dem Coach, punkto Taktik nicht aufden grossen Namen des Gegners zu achten.Schnell, präzis und mit Improvisation­dies sinddie Stichworte Kuhns, mit denen er seine Vorstel-lung über das Spiel der Schweiz gegen Italien um-schreibt. Damit ist auch gesagt, dass der Selektio-när nach anderthalb Jahren Wirken sein Konzept

auf dem Platz wiedererkennt und dieses so weitgediehen ist, dass es jedem Gegner standhaltensoll. Dennoch dürfte für die Schweiz selbst Ita-lien B eine genügend grosse Herausforderungsein, um Aussagen über den Entwicklungsstand

der Mannschaft machen zu können.

Frischer Windauf der alten Rennbahn

Neues Leben im Schweizer Bahnsportmap. Es war abzusehen, dass die Absage des

50. Zürcher Sechstagerennens im letzten Jahrauch Auswirkungen auf den Betrieb der offenenRennbahn in Zürich Oerlikon haben würde unddie AG Hallenstadion als Mieterin und Organisa-

torin auch ihr Interesse am defizitären Betrieb deroffenen Rennbahn verliere. Genauso klar war,dass die Interessengemeinschaft offene Rennbahn(IGOR) die einzige und älteste Bahn-Wettkampf-

stätte in der Deutschschweiz nicht einfach preis-gäbe. Während eines Jahrzehnts hatte sich dieGemeinschaft dem Verdikt der Stadt Zürich, dasZement-Bahnoval an bester Immobilienlage ab-zubrechen, erfolgreich widersetzt. Weil die Stadtaber keine Interessengemeinschaften als Mieterakzeptiert, ist nun der nationale RadverbandSwiss Cycling als Mieter in die Bresche gesprun-gen­vorerst mit Dreijahresvertrag. Die IGOR istals Untermieterin vollumfänglich für den Betriebverantwortlich, der «Klub Freunde der offenenRennbahn» schliesslich stellte die nötigen Geld-mittel zur Verfügung, damit die Infrastruktur derAG Hallenstadion abgekauft werden konnte.

Sämtliche sechs Mitglieder, die der Interessen-gemeinschaft angehören, arbeiten ehrenamtlich.Dazu kommen weitere 25 Helfer, die unentgelt-

lich den Betrieb sicherstellen. Nur so sei esmög-

lich, die kommende Saison mit 22 Meetings (so

viele wie schon lange nicht mehr) mit einem Bud-get von lediglich 180 000 Franken zu veranschla-gen (wovon 30 000 Franken auf die Miete entfal-len), erklärte Alois Iten, Bahn-Nachwuchstrainerund Vorsitzender der IG. Sein oder Nichtsein?Das ist die Frage, die die IG-Mitglieder sich undallen Bahn-Enthusiasten in der Deutschschweizstellen. Ohne den Zuspruch des Publikums undsportliche Erfolge in den olympischen Bahndiszi-plinen werden die Tage der offenen Rennbahngezählt sein. Die IGOR will deshalb nichts unver-sucht lassen, den Turnaround herbeizuführen.

Als erster Teilerfolg werden neben den Elite-Schweizer-Meisterschaften im Juli auch diejeni-gen der Frauen und Junioren in Oerlikon ausge-tragen, die ursprünglich in Lausanne hättendurchgeführt werden sollen. Für Iten ist denkbar,auch Bahnkurse für Hobby-Radler und Biker zuveranstalten. Sogar von einem Schwingfest imInneren des Zement-Ovals war die Rede. Solltedie neue Trägerschaft mit ihrem Engagement Er-folg haben, lägen bereits weitere Konzepte zurÜberdachung und zum Ausbau mit Eisfeld undInline-Bahn vor. Zuerst aber müssten die Fans am6. Mai zum ersten Rennen der Saison kommen.

Voraussichtliche StartformationenSchweiz: Stiel; Haas, Murat Yakin, Müller,

Magnin; Cabanas, Vogel, Celestini/Cantaluppi;

Hakan Yakin; Frei, Chapuisat.

Italien: Abbiati; Panucci, Ferrari, Legrottaglie,Grosso; Tommasi, Perrotta, Zanetti; Fiore/DiNatale; Corradi, Miccoli.

Schiedsrichter: Ledentu (Frankreich).

Statt Del Piero der «neue Romario»Trapattoni sucht eine Ersatz-Nationalmannschaft

ph. Fabrizio Miccoli, ein kahl geschorenerKugelblitz mit einer Che-Guevara-Tätowierung

auf der­rechten­Wade, den sie in Italien den«neuen Romario» nennen, weil er so wendig undtorgefährlich ist wie der kleine brasilianischeGoalgetter, wird heute Abend in Genf zu zaubernversuchen. Von ihm wird pure Magie erwartet:Die Vorspiegelung, dass eine Squadra Azzurraauf dem Platz steht. Stell dir vor, es spielt Italienund all diese Spieler sitzen zu Hause: Buffon,Toldo, Cannavaro, Nesta, Materazzi, Zambrotta,Pirlo, Camoranesi, Delvecchio, Totti, Del Piero,Vieri, Inzaghi. Die Nationalmannschaft der Ab-wesenden.

Für das Länderspiel heute Abend in Genfgegen die Schweiz hat der Commissario Tecnico(kurz: CT) Giovanni Trapattoni über das Mobil-telefonnetz folgendes Katastrophenhilfskorps auf-geboten: Abbiati (Pellizzoli); Panucci, Legrotta-glie, Ferrari, Grosso; Zanetti (Tommasi), Perrotta(Ambrosini); Natale, Fiore, Miccoli; Corradi (DiVaio). Für die Welle von Defaitismus gibt

eseinen Grund: das Datum dieses Freundschafts-spiels. Die Fifa hat in ihrem internationalenKalender den Termin für diese April-Farce frei-geschaufelt, in hochmütiger Missachtung der Rea-lität. Denn in den grossen europäischen Ligen

wird um die Entscheidung gespielt, die Cham-pions League steht vor den Halbfinals (mit dreiitalienischen Vertretern) Juve - Real, Milan -Inter. Die Spitzenklubs liefen Sturm gegen dieGefährdung ihrer Arbeitskräfte.

Wirklich verletzt in Trapattonis Kernkader sindderzeit Vieri, Cannavaro und Pirlo, angeschlagenTotti, Delvecchio, schonungsbedürftig eine Hand-voll weiterer Spieler, darunter Inzaghi. Hinzu-gekommen sind die diplomatischen Absenzen(«Wenn die nicht spielen, spielen wir auchnicht») der Torhüter Buffon und Toldo und vonAlessandro Del Piero. Trapattoni durchforstetedie Bestände bereits erprobter Lückenbüsser undhoffnungsvoller Talente und bot für sein 29. Spiel

in seiner bisher dreijährigen Mandatszeit als69. Neuling Fabio Grosso aus Perugia auf. DieNotfallmannschaft soll so spielen «wie RealMadrid», denn der italienische Traditionalist Tra-pattoni, der nach der verheerenden WM-Kampa-gne 2002 vom landesweiten Entrüstungssturm

fast von der Bank geweht wurde, gibt sich plötz-

lich sehr experimentierfreudig: Er möchte dasModell der Spanier kopieren, mit einer einzigenSturmspitze, dem Lazio-Athleten Corradi (in derRolle Ronaldos), und dahinter einer offensivenDreierreihe mit Di Natale, Fiore (Stammspieler

unter dem früheren Coach Dino Zoff, von Trapat-

toni aber geschnitten) und Fabrizio Miccoli.

Miccoli ist die Entdeckung der Saison, 23-jährig,

nur 1,68 Meter gross, und er erinnert nicht nur anRomario, sondern ebenso an Toto Schillaci, denStürmer mit den weit aufgerissenen Augen, der inden Nächten der WM 1990 das italienische Publi-kum ins Delirium versetzte.

Auch Miccoli kam aus dem Nichts, aus dertiefsten apulischen Provinz. Die Eltern hatten ihnals kleinen Jungen ins Talente-Internat vonAC Milan geschickt, aber er hielt es dort vorHeimweh nicht aus. Vor einem Jahr spielte ernoch in Terni in der Serie B. Die Späher vonJuventus, denen kein Talent entgeht, schicktenihn dann nach Perugia. Nachdem er ausgerechnetgegen die «alte Dame» drei Tore erzielt hatte, imCup, bot ihn Trapattoni im Februar zum Testspielgegen Portugal in Genua auf, und er bekam dieNummer 10, weil Totti und Del Piero sich ge-

drückt hatten.

Es war die Phase, als die Stars Vieri, Del Pieround Totti öffentlich auf Trapattoni herumtrampel-ten, der sie an der WM, wie sie glaubten, mit sei-nem verkrusteten Catenaccio-Denken verratenhatte. Der Patriarch auf der Bank hatte sein Cha-risma verloren, er konnte nicht begreifen, dass

jeder Spieler heute ein Millionen-Unternehmerist. Einmal erschien Totti mit seinem Anwalt undeiner medizinischen Dokumentation im Trai-ningslager in Coverciano bei Florenz. Nach einereinstündigen Diskussion fuhr er wieder nach Romzurück, den Wagen steuerte er selber, trotz einerangeblichen Beinverletzung. Italien liegt in derEM-Ausscheidung mit fünf Punkten riskant weithinter Wales zurück. Der 2:0-Sieg gegen Finnlandam 29. März hat die Stimmung wieder aufgehellt.

Aber Trapattoni bleibt ein CT auf Abruf, einMann von gestern, auch wenn jetzt Juventus,

Inter und Milan in der Champions League denRuf des Calcio rehabilitierten. Am 11. Juni spielt

er in Finnland bereits wieder um seinen Job.

Für Fabrizio Miccoli ist Genf ein Schaufenster.Er hofft, dass ihn Juventus in der nächsten Saisonnach Turin holt. Vielleicht hat er sich letztenSonntag in Piacenza ein bisschen geschont. Peru-gia verlor 1:5, und als sein verärgerter TrainerSerse Cosmi nach dem Spiel gefragt wurde, waser vom Aufgebot Miccolis in die Nationalmann-schaft halte, sagte er: «Welche Nationalmann-schaft? Die Nationalmannschaft der Schlagersän-ger?»

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Fabrizio Miccoli­im Spiel gegen Portugal­versucht sich in Abwesenheit der Cracks auch in Genf indie Nähe eines Stammplatzes im Team der Azzurri zu rücken. (Bild Reuters)

Neue Zürcher Zeitung vom 30.04.2003

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