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Publikation: tbhb Pagina: 18 Ist-Farben: cmyk0Ressort: tb-os Erscheinungstag: 21. 9. 2016 MPS-Planfarben: cmyk

18 Ostschweiz Mittwoch, 21. September 2016

«Städter leisten sich Kuh-Leasing»Sennentum Die Alpwirtschaft ist alles, nur keine Erfindung der Neuzeit. Historiker Stefan Sonderegger über

Alpkäse, mittelalterliche Ursprünge und ein Auslaufmodell mit Innovationspotenzial.

Interview: Christoph Zweili

Der Leiter des Stadtarchivs derOrtsbürgergemeinde St.Gallen,Stefan Sonderegger, präsidiertdie Stiftung für AppenzellischeVolkskunde. Der Historiker hatdie Alpwirtschaft (Ausgabe vom16. September) im Appenzeller-land, Toggenburg, Werdenbergund Sarganserland untersucht.

Was fasziniert den Historikeran der Alpwirtschaft?Wer sich mit dem Mittelalter aus-einandersetzt, der sieht, dass dieAlpwirtschaft bereits bei den ers-ten Anfängen der Besiedlung dervoralpinen Regionen wie demToggenburg und dem Appenzel-lerland ganz früh vorkommt. Eintypisches Beispiel ist die Erstnen-nung von Appenzell (abbatis cel-la) im Jahr 1071. Schon damalswurden die Meglisalp (Megelinsalpa), die Alp Soll (alpe Solin) undandere erwähnt.

Alpwirtschaft ist also keineneuzeitliche Erfindung?Nein, die Alpen haben früher alsLehen einer Grundherrschaft ge-hört, also einem Kloster oder ei-nem Adeligen. So wie diese einenHof im Tal gegen Abgaben verlie-hen haben, haben sie auch Alpenan Sennen verliehen. Alpwirt-schaft war also schonimmerhochkommerziell. Die Einnahmenaus den Alpen wurden für dasKloster St.Gallen verwendet.Auch in einem der ältesten Zins-register von 1200 werden die Re-gionen mit Alpwirtschaft, dasToggenburg und das Appenzel-lerland, explizit als erste genannt.

Sie mussten den Zins in Formvon Geld ans Kloster abliefern?Nein. DieBauern,diedieAlpenindiesen voralpinen Regionen be-wirtschafteten, zahlten casios al-pinos, also Alpkäse.

Viehwirtschaft war also schonimmer wichtig.Es gab rasch eine Spezialisierung:In den voralpinen Regionen aufViehwirtschaft, im Fürstenlandauf Getreidebau, im Rheintal auf

Weinbau. Das war nur möglich,weil es über die Märkte in Lich-tensteig, Appenzell und vor allemin St.Gallen einen Handel gab.

Dieser war von Beginn weg Teileiner kommerziellen, nachfrage-orientierten Alpwirtschaft.

Das ist bis heute so?Natürlich hat da ein Wandel statt-gefunden. Heute ist vielleicht einSenn angestellt, der nicht mehrkäst. Er betreut das Vieh auf derAlp und fährt die Produkte mitdem Auto ins Tal oder lässt sie ho-len.Daswarfrühergarnichtmög-lich, weil die Strassen fehlten.Man hat alles auf der Alp zu Käseoder Butter verarbeiten müssen.

Warum weiss man so vielüber die Geschichte der Alpen?Eine Quelle, die man nicht ver-muten würde, sind alte Bauern-malereien: Darauf sind zwischenden Sennen sogenannte Gremp-ler zu sehen. Das waren Käse-und Butterhändler, von denen esin Stein (AR) sehr viele gab. DieseZwischenhändler haben einenVertrag mit den Sennen auf denAlpen abgeschlossen, ihnen But-ter und Käse abgenommen und

runter in ihre Keller geführt. Dorthaben sie die Produkte weiter ge-pflegt und sie in St.Gallen oderüber den See verkauft.

Die Sennen selber kamen alsogar nicht mehr ins Tal?Sie haben fast nomadisch gelebt,hatten praktisch kein eigenes Zu-hause mehr, also kein Haus imTal. Das weiss man aus dem Ap-penzellerland. Sie haben sich beiden Heubauern eingemietet. DieAppenzeller Heubauern hattengrosse Ställe, arbeiteten immermehr in die Weberei und mach-ten gar nicht mehr so viel Land-wirtschaft. Die Sennen nutztendie Nische, gingen mit ihremVieh zu diesen Bauern. War dasHeu im Stall gefressen, zogen siezum nächsten Heubauern weiter.

Warum hat gerade das Tog-genburg diese Bedeutung fürdie Alpwirtschaft?Das hat mit der Tradition zu tun.Die ältesten Alprödel, die dieKuhrechte während der Alpzeit

geregelt haben, sind aus dem16. Jahrhundert von der Alp Se-lun. Auch die ältesten Alpsatzun-gen sind aus dem Gebiet derChurfirsten.

Noch im 18. Jahrhundertwaren mehr als zwei Drittelder Bevölkerung im KantonSt. Gallen in der Landwirt-schaft tätig. Wie erklärenSie den folgenden Struktur-wandel?Wir gehen davon aus, dass bis insJahr 1750 der grössere Teil derBevölkerung in der Landwirt-schaft tätig war. Mit der Heimwe-berei wurden dann aber auchArbeitskräfte auf dem Land ein-gespannt – im Toggenburg undim reformierten Ausserrhoden.Das löste eine Bewegung wegvon der Landwirtschaft hin zurHeimweberei aus. Ein Prozess,der lange dauerte. Dazu kamdann das Bevölkerungswachs-tum im 19. Jahrhundert und diedamit einhergehende Verstädte-rung.

Und was hiess das für dieLandwirtschaft?Die hat sich extrem entwickelt.Bis im 15. Jahrhundert wurden fürein gesätes Korn drei bis vier Kör-nergeerntet,heutesindwirbeiei-nemFaktorvoneinszu40biseinszu 50 angelangt. Im 19.Jahrhun-dert wurden die Stallhaltung undder Kunstdünger eingeführt –beides gab es bis dahin nicht.PlötzlichwurdenmitdergleichenBodenfläche viel höhere Erträgegewonnen. Bei der Viehwirt-schaft kamen die Talkäsereiendazu, auch in unserer Region.Die gewachsene Alpwirtschaftmit ihrer traditionellen Käse- undButterherstellung verlor hinge-gen an Boden.

Heute versucht der Bund mitneuen Förderinstrumenten,das Verhältnis zu Gunsten derBergbauern zu korrigieren.Das macht Sinn. Werden die Al-pen nicht mehr bewirtschaftet,verganden sie. Das war schon frü-her so. Eine gefährliche Entwick-lung, zum Beispiel wegen Lawi-nenniedergängen.

Trotzdem geht die Zahl dergesömmerten Milchkühe zu-rück. Ist die Alpwirtschaft einAuslaufmodell?Ohne staatliche Förderung istsie das, ja. In der historischenBetrachtung gab es immer eineVerbindung zwischen Alp- undTalbetrieb. Im 20. Jahrhundertwurde sie entkoppelt. Innova-tionspotenzial gäbeesaberschon:Kuh-Leasing ist so ein Beispiel.

Kuh-Leasing?Die Idee ist: Wer als Städter einenökologisch sinnvollen BeitragzumErhalt derAlpwirtschaft leis-ten will, beteiligt sich finanziellanderSömmerungeinerKuhunderhält dafür einen Nutzen inForm von Alprodukten.

Eine neue Form von Nostalgie?Ja, das kann man so sehen. War-um nicht? Das lässt sich als Nos-talgie auslegen, aber auch alsForm eines gesunden Produkte-bewusstseins.

Grempler führen als Zwischenhändler die Alpprodukte ins Tal, um sie auf den Märkten zu verkaufen. Bild: Stiftung für Appenzellische Volkskunde (1784)

«Die Sennenhaben fastnomadischgelebt.»

Stefan SondereggerLeiter StadtarchivOrtsbürgergemeinde St. Gallen

Neue Retter für«Metropol» Arbon

HotelEndeOktobersolldasHotelMetropol definitiv geschlossenwerden. Stattdessen will das Un-ternehmen HRS dort zwei vierzigMeter hohe Türme errichten. Ge-gen diese Absichten wehrt sicheine neue IG «Pro Metropol» mitdem Motto«RettetdasHotelMe-tropol!».VorfünfJahrenhatteun-ter diesem Titel ein Petitionsko-mitee dem Stadtrat 4000 Unter-schriften übergeben und erreicht,dass das «Metropol» bis heute alsHotel und Restaurant weiterge-führt wird. Angeführt wird die IGvon einem Vorstand mit ArthurStark (parteilos), Lukas Auer(CVP), Kurt Sonderegger (FDP),Andrea Vonlanthen (SVP) undErica Willi (SP); am 4. Oktober istim «Metropol» eine öffentlicheVeranstaltung angesagt. Im Ge-gensatz zum Arboner Stadtrathält die IG das «Metropol» fürschutzwürdig.EsseifürdenThur-gau und für Arbon einzigartig undals Identifikationsobjekt für dieBevölkerung unersetzlich. (red.)

Wahre Liebe geht andersKantonsgericht Eine Frau soll einem Mann Liebe vorgetäuscht und ihm 115 000

Franken abgeknöpft haben. Die Anschuldigungen seien haltlos, erklärte ihr Verteidiger.

Die 57jährige Beschuldigte lernteden sieben Jahre älteren Mannaus dem Kanton St.Gallen übereine Dating-Plattform kennen.Schon beim ersten Treffen habeer sich Hals über Kopf in die Frauverliebt, erklärte der Mann ges-tern vor dem KantonsgerichtSt.Gallen. Der Mann leidet seitmehreren Jahren an einer psychi-schen Krankheit und lebt deswe-gen getrennt von seiner Ehefrau.

Sie habe ihn raffiniert dazugebracht, ein viel teureres Autoals gedacht zu kaufen, eine Reisefür beide zu buchen, luxuriös es-sen zu gehen und ihr immer wie-der grössere Bargeldsummen zuübergeben. Sie hätten bespro-chen, eine neue Familie zu grün-den und eventuell nach Brasilien,die ehemalige Heimat der Frau,auszuwandern. Die Beschuldigtehabe ihn völlig in der Hand ge-

habt. Als Familienmitglieder desMannes vom teuren Autokaufund der Ferienreise erfuhren,erwirkten sie einen befristetenfürsorgerischen Freiheitsentzug.Auch wurde die Frage aufgewor-fen, ob der Mann bevormundetwerden soll.

Vom Betrug in ersterInstanz freigesprochen

Einige Monate später kam es zueinerAnzeige,einemStrafverfah-ren und im August 2015 zu einerGerichtsverhandlung am Kreis-gericht Werdenberg-Sarganser-land. Die Frau erhielt einen Frei-spruch von Schuld und Strafe.Die Rückzahlungsforderung vonüber 100 000 Franken verwiesdas Gericht auf den Zivilweg.

Gegen diesen Entscheid legteder Mann Berufung ein und ver-langte eine Verurteilung wegen

Betruges. Zudem sei die Beschul-digte zur Zahlung von 115000Franken an ihn zu verpflichten.Die Verteidigung und die Staats-anwaltschaft beantragten die Ab-weisung der Berufung.

Die Beschuldigte habe seinenMandanten nach Strich und Fa-den über den Tisch gezogen, be-tonte der Rechtsvertreter desMannes. Sie habe seine bipolarepsychische Störung und labilePersönlichkeit ausgenutzt, umsich von ihm ihren aufwendigenLebensstil bezahlen zu lassen.

Der Verteidiger beantragtehingegen, die Berufung sei voll-umfänglich abzuweisen. Daserstinstanzliche Urteil sei fun-diert begründet und beleuchtealle Aspekte dieses Falles. DieAussagen des Privatklägers seienwidersprüchlich. Einmal habe ererklärt, er habe das Geld aus dem

Verkauf des wenige Wochen zu-vor erstandenen Autos der Be-schuldigtenübergeben.Einande-res Mal erwähnte er, er habe es imWaldvergraben.Möglichsei,dasser Geld verstecke, um es bei derScheidung von seiner Noch-Ehe-frau behalten zu können.

Seine Mandantin müsse sichseit drei Jahren gefallen lassen,dass ihr Leben immer wieder bisins Detail durchleuchtet werde,erklärte der Verteidiger weiter.Man habe alle ihre Konti über-prüft, um zu sehen, ob sie Gelddarauf eingezahlt habe, undnichts gefunden. Die Frau sei gutbeleumundet und habe noch niefinanzielle Probleme gehabt. DerVorwurf, sie habe Geld vom Pri-vatkläger ergaunert, sei haltlos.

Das Urteil steht noch aus; eswird in den nächsten Tagen er-wartet. (sda)

Flawil von Unicefausgezeichnet

Kinderfreundlich Flawil ist ges-tern von Unicef Schweiz offiziellals «kinderfreundliche Gemein-de» ausgezeichnet worden. Da-mit findet sich die Stadt im Kreisvon 21 bereits ausgezeichnetenGemeinden in der Schweiz; in derOstschweiz sind es Rapperswil-Jona, Uznach, Wil, FrauenfeldundTeufen.Flawilsetzesichaktivdafür ein, dass die Anliegen vonKindern und Jugendlichen be-rücksichtigt werden und dass sieam Gemeindeleben teilhabenkönnen,teilteUnicef mit. DieGe-meinde entwickelte einen Ak-tionsplan mit acht Massnahmen,um ihren Lebensraum kinder-freundlicher zu gestalten. Unteranderem lancierte sie ein fort-schrittliches Spiel- und Pausen-platzkonzept, wo Kinder aktiv an-packen und mithelfen können,wie es heisst. Weiter gebe es För-derkonzepte der Schulen und desSozialamtes und würden neueTreffpunkte geschaffen sowie dieVereinskultur gestärkt. (red.)

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