UTAT
Ultra Trail Atlas Toubkal
105km +/- 6500mtr
von Oliver Binz
Wie beschreibt man einen atemberaubenden Lauf? Seit Tagen versuche ich Worte zu fassen, was wir
erlebt haben. Es war nicht nur der Lauf, es war das Event, das Erlebnis. Ein Erlebnis, bei welchem
man dabei sein durfte. Gut, eine gewisse Ausdauer und Härte zu sich selbst, sollte man schon
mitbringen. Aber es war besonderes; ein Lauf der sich in vielerlei Hinsicht in die Läuferseele
einbrennt. Zumindest bei mir. Es gibt viele Momente bei diversen Läufen, die toll oder klasse sind.
Aber wann hat man magische Momente? Richtig; beim UTAT – irgendwo verlassen im Hohen Atlas,
weit weg von irgendwelchen Straßen, Menschen. Weit weg von Verpflegungsstellen; einfach nur das
Gefühl des Verlassen-sein, das Auf-sich-alleine-gestellt-sein spüren. Im trockenen Flussbett
marschieren, neben sich die 3000er steilen Wände und einfach realisieren, dass man entweder nach
vorne oder nach hinten ungefähr 8 Std bei normalen Tempo zurück in die Zivilisation benötigt, sprich
einem größeren Berberdorf mit Straßenanbindung. Da darf aber auch nichts passieren. Kein Sturz,
kein Handicap. Irgendwie reizt einfach alles an diesem Lauf.
Die Organisation: Die beiden Chef-Organisatoren Brice und Cyril haben einen Mega-Job gemacht.
Wenn man nach diesem Lauf die Umstände kennt, kann man sich gar nicht tief genug vor diesen Zwei
und dem gesamten Helferteam verneigen. Ca. 100 freiwillige französische Helfer und ca. 150 Berber
mit vielen (!) Maultieren tragen zum reibungsfreien Ablauf bei. Mehr Maultiere als Autos haben die
Verpflegungsstellen eingerichtet. Und das in einem unwägbaren Gelände, wo man in weite Gebiete
kein Auto hinkommt. Tiere und Helfer sind schon zwei Tage vor dem Wettkampf aufgebrochen um an
Ort und Stelle zu sein, wenn der Läufertroß vorbei kommt. Da gab es zum Beispiel den Kontrollpunkt
7 auf ca. 3000mtr – da haben die Jungs 2 Tage und Nächte am Stück verbracht, nur um die Nummer
jedes Einzelnen aufzuschreiben. Wahnsinn.
Das Warum: Entdecken, Neugierde, Abenteuerlust, fremde Kultur, Respekt vor Tradition – Land –
Leben, atemberaubende Landschaft, Berberdörfer, Bewässerungssystemen zur landschaftlichen
Nutzung, Herausforderung in der Höhe, gewaltiges Höhenprofil, technisch schwieriges Gelände,
Zelten auf 2660mtr, 6-9 Stunden Laufzeit zur nächsten Verpflegungsstelle, Sonne-Wind-Kälte,
Maultier-Karawanen die auf der Strecke Vorfahrt haben und vieles mehr.
Akklimatisierungs-Wanderung von 2660m auf 3000m mit erstklassigem Ausblick;
mit dabei Joe Kelbel, Stefan Schlett, Willi Melcher und Oliver Binz
Ausblick in das „Hohe Atlas“-Gebirge – Blickrichtung Imlil (VP bei km88)
unser Zelt für Frühstück und Abendessen
Die Strecke: 105km mit ca. +/- 6500mtr, d.h. sowohl hoch als auch runter ! Ein richtiges Brett.
Aber hier lauern im Höhenprofil andere Aufgaben für uns Läufer. Das Laufen in einer Höhe über
2500mtr zieht die eigene Laufzeit schon um einiges in die Länge. Die Ernährung (Essen und Trinken)
spielt eine wichtige Rolle. Auf meine Finisherzeit bezogen, ergeben sich folgende Durchgangszeiten
bei den Verpflegungsstellen:
1. Verpflegungsstelle (KM20) Essen + Trinken: nach ca. 3 Laufstunden
2. Verpflegungsstelle (KM30) Trinken: nach ca. 1,5 Laufstunden
3. Verpflegungsstelle (KM68) Essen + Trinken: nach ca. 8 Laufstunden
4. Verpflegungsstelle (KM88) Essen + Trinken: nach ca. 7,5 Laufstunden
Dies bedeutet, dass man selber seinen Flüssigkeitsbedarf organisieren muss. Zu einem, mindestens
2ltr im Rucksack mitnehmen, teure Cola bei geschäftstüchtigen Marokkaner-Jungs in der Nähe eines
Berberdorfes kaufen (inkl. den Preis aushandeln), zum anderen Bachwasser oder Gebirgswasser in
der Getränkeflasche aufnehmen und die Desinfektionstablette auflösen. Auch die Kalorienaufnahme
sollte abgedeckt sein, wenn man bedenkt, dass ich z.B. ca. 21.000kcal verbrannt habe. Und das ist
eine große Aufgabe in der Höhe über 2500mtr, in staubiger Umgebung, bei Sonne und Kälte.
Vorteilhaft ist es wirklich, vieles in flüssiger Form aufzunehmen.
Der Wettkampf beim UTAT wird erst richtig hart, wenn man den PC4 bei KM49,5 passiert. Bei mir
waren hier ca. 9 Laufstunden vorbei und der Kampf beginnt hier erst richtig. Man muss sich das so
vorstellen: 9 Stunden in einer unglaublichen Landschaft laufen/gehen – die letzte zivilisierte
Ortschaft mit Straßenanbindung liegt ca. 4-5 Stunden zurück; die nächste Ortschaft mit
Straßenanbindung ist für mich ca. 12 Stunden entfernt. Dazwischen ist Nichts. Nichts, außer zwei zu
überquerende 3000er, ein Pass über 3660mtr, ein technisch sehr schwieriger Bergab-Trail mit
1500mtr bergab auf 3km (oder 2000mtr bergab auf 8km) und die elendig lange und kalte Nacht. Und
wenn ein Franzose schon mal sagt „tres difficile – sehr schwierig“, dann kann man sich wahrlich
anschnallen. Und mitten in diesem Nichts, stellt man sich die Frage „was mache ich, wenn ich nun
stürze…?“; es gibt kein Rettungshubschrauber – nur ein Maultier, und das brauch bestimmt einen
Tag zur Rettung. Also, besser nicht weiterdenken, es gibt da keine rationale Lösung, nur dass man das
Tempo bergab rausnimmt und das Risiko minimiert.
zweite Pause nach 8 Std und ca. 45km Laufstrecke und erste Erschöpfungserscheinungen
der Hohe Atlas, keine Straße, sehr wenig Zivilisation, eigentlich fast „Nichts“ außer Staub und Steine
und eine atemberaubende Landschaft
PC 6 = 2. Offizieller Verpflegungspunkt nach 68km und 12,5 Laufstunden; endlich eine wärmende
Suppe bevor die Sonne untergeht und die Kälte und der Sturm auf 3700mtr kommt; PC liegt auf
2600mtr; es folgend nun die restlichen ca. +/-3000 Höhenmeter in der dunklen und kalten Nacht
Zwischen den Bildern zwischen
Sonnenuntergang liegen 15min und gefühlte 10Grad weniger
Das Erlebnis: Gigantisch. Für 270,- Euro bekommt man wirklich
magische Momente geboten. Busshuttle vom Flughafen ins
Hochgebirge nach Oukaimeden, 3 Tage zelten auf 2600 mtr Höhe,
Halbpension, Laufgebühr und –Verpflegung, Organisation, Abschluss
Feier. Alles inkl. Ein Lauf, bei dem Freundschaften geschlossen
werden, und Laufmomente die sich in die Seele einbrennen.
Magische Momente eben ! Bilder sprechen hier Bände.
Das Team: Laufen zu zweit macht schon stark, aber wenn man
unterwegs einen weiteren Laufpartner findet und sich über 21
Stunden versteht, respektiert, abstimmt, läuft, unterhält, dann
macht das ultrastark und man erlebt in einer starken Einheit einen
magischen Moment. Danke Markus. Danke Willi.
Das Ergebnis: 162 Starter, 139 Finisher und 23 Aufgaben. Mit einer
Ausfallquote von nur 15% ist dies eine erstaunlich geringe Quote,
was wiederum auch belegt, dass beim UTAT ein sehr gutes
Läuferpotential am Start war. Oder lag es daran, dass man nur bei
km30 oder km88 rausgehen kann? Dazwischen gab es ja
bekanntlich nur das Nichts. Mit einer Laufzeit von 25 Stunden und
39 Minuten bin ich sehr zufrieden; Platz 69 ist im gesicherten
Mittelfeld, bei all den laufverrückten Franzosen und Italienern.
Der Lauf UTAT: sehr zu empfehlen; wer etwas Besonderes in seinem
Läuferleben erleben möchte, der muss einfach hierher. Deutsche
traut Euch. Ihr müsst da hin. Man kann es fast mit einem
Lebenstraum vergleichen (wenn man schon beim UTMB
durchkam)
Die Belohnung: 2 Tage Marrakesch im Riad und einem ausführlichen Hammam-Besuch. Einfach
Magisch.
Nun ist es da: das Ende einer tollen, erlebnisreichen Laufsaison 2013
nach 427 Wettkampfkilometer mit +/- 21.000 Wettkampf-
Höhenmeter. Über den Petit Ballon im Elsass, dem Hartfüssler im
Saarland, dem Canyon du Verdon in der Provence, dem IceTrail in Val
d’Isere und dem UTAT in Marokko geht’s über die Couch zur
Wintercross-Serie in Goldbach. Auch hier ist es wunderschön.
Danke an Alle für das Daumen drücken und Verfolgen
Liebe Grüße
Oliver Binz www.binz-online.com
Oktober 2013
Ergebnis nach 105km und +/- 6500 Höhenmeter:
68 MELCHER Wilhelm GER n°118 25:39:45 Std:min 4.09km/h 69 BINZ Oliver GER n°016 25:39:56 Std:min 4.09km/h 70 FISCHER Markus GER n°055 25:41:54 Std:min 4.09km/h (eigentlich auch 25:39, aber
irgendwer hat Markus zu spät eingescannt)