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Page 1: Verletzung der perfekten Symmetrie

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

PH YS I K- N O B E L PR E I S 2 0 1 3 |Verletzung der perfekten SymmetrieDer diesjährige Physik-Nobelpreis geht gemeinsam an François Englertund Peter Higgs für „die theoretische Entdeckung eines Mechanismus,der zu unserem Verständnis des Ursprungs der Masse von subatomarenTeilchen beiträgt.“ Explizit gewürdigt wurde auch das CERN.

wurden Richard Feynman, JulianSchwinger und Shin’ichiro Tomonaga1965 mit dem Nobelpreis für Physikausgezeichnet.

Jeder fundamentalen Wechselwir-kung entsprechen in der Quanten-theorie bestimmte Teilchen, durchdie sie vermittelt wird, die sogenann-ten Eichbosonen. In der Elektrodyna-mik ist dies das Photon. Die Schwa-che Wechselwirkung besitzt dreiEichbosonen (W+, W-, Z), und dieStarke Wechselwirkung acht (Gluo-nen). Eichsymmetrie fordert, dassdiese Teilchen masselos sind. ImGegensatz zum Photon und denGluonen stellt man allerdings experi-mentell fest, dass die W- und Z-Boso -nen eine von Null verschiedene Massetragen. Dadurch wird die Eichsym-metrie verletzt, und die mathemati-sche Konsistenz und Vorhersagekraftder Theorie gefährdet.

Peter Higgs und unabhängigdavon Robert Brout und FrançoisEnglert sowie Gerald Gouralnik, CarlHagen und Tom Kibble erkannten1964, wie man Eichboson-Massen ineine Theorie einbauen kann, ohnedie Eichsymmetrie zu verletzen.Dazu führten sie ein zusätzliches, mitder Eichsymmetrie verträglichesQuantenfeld ein. Dieses Higgs-Feldbesitzt eine besondere Eigenschaft:Während andere Felder immer ver -schwinden, solange man keine Ener -gie zuführt (man denke etwa aneinen Kondensator), erreicht dasHiggs-Feld seinen Zustand minimalerEnergie bei einem endlichen Wert. Es ist deshalb auch im Vakuum vonNull verschieden. Higgs sagte zudemin einer seiner beiden Veröffentli-chungen aus dem Jahr 1964 voraus,dass die Quantenanregung diesesFeldes, das Higgs-Teilchen, experi-mentell beobachtbar sein müsse.

Teilchen, die eine Higgs-Ladungtragen und daher mit dem Higgs-Feldin Wechselwirkung treten können,werden ähnlich wie eine Ladung imelektrischen Feld in ihrem Verhaltenbeeinflusst. Das Higgs-Feld bewirkt,dass ihre Geschwindigkeit stets klei -ner als die Lichtgeschwindigkeitbleibt. Gemäß der Relativitätstheorieist dies aber gleichbedeutend miteiner von Null verschiedenen Teil-chenmasse. Was wir bei elementarenTeilchen als Masse wahrnehmen,kann man also als ihre Wechselwir-kung mit dem im Vakuum vorhande-nen Higgs-Feld interpretieren. DieHiggs-Ladung entspricht im üblichenSprachgebrauch der Teilchenmasse.

Steven Weinberg wandte 1967diesen Higgs-Mechanismus auf dieSchwache Wechselwirkung an,woraus sich die heute als Standard-modell der Elementarteilchenphysikbezeichnete Theorie ergibt. Ein ähn -liches Modell schlug auch AbdusSalam vor. Deshalb wurde der Nobel-preis 1979 an Glashow, Salam undWeinberg vergeben. Die Konsistenzdieser Theorie konnten vier Jahrespäter Gerard ’t Hooft und MartinusVeltman beweisen, wofür sie 1999den Nobelpreis für Physik erhielten.

Das Standardmodell erlaubte esbereits vor seiner Entdeckung, kon -krete Vorhersagen etwa über Erzeu-gungs- und Zerfallsraten des Higgs-Teilchens zu machen. Bislang stim-men alle gemessenen Eigenschaftendes am LHC gefundenen Teilchensmit diesen Vorhersagen überein(siehe den Beitrag von Karl Jakobsund Thomas Müller in dieser Ausga-be). Sehr wahrscheinlich handelt essich also um das Higgs-Teilchen desStandardmodells. Genauere Messun-gen müssen dies natürlich nochbestätigen oder, was viel aufregenderwäre, widerlegen.

Das Nobelkomitee ehrte damit zuRecht eine große intellektuelle undindividuelle Leistung. Implizit ist derPreis auch die Würdigung einer bei -spiellosen Zusammenarbeit vonTheorie und Experiment.

Robert Harlander, Uni Wuppertal

270 Phys. Unserer Zeit 6/2013 (44) www.phiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

In der Natur kennen wir vier funda-mentale Wechselwirkungen: denElektromagnetismus, die Schwacheund die Starke Wechselwirkungsowie die Gravitation. Alle vier kön -nen mit Hilfe eines abstrakten Sym-metrieprinzips definiert werden, densogenannten Eichsymmetrien (siehePhysik in unserer Zeit 2013, 44(5),220).

James Clerk Maxwell hatte An-fang der 1860er Jahre seine Theorieder Elektrodynamik noch empirischgemäß der experimentellen Ergeb-nisse von Michael Faraday formuliert.Die in seinen Gleichungen enthalte-ne Symmetrie wurde in den 1920erJahren von Hermann Weyl erkannt.

Chen Ning Yang and Robert Millsschlugen 1954 Verallgemeinerungendieser Eichsymmetrie vor, die Shel-don Glashow 1961 benutzte, um eineTheorie der Schwachen Wechselwir-kung zu formulieren. Im Laufe der1960er Jahre fand man auch diekorrekte Beschreibung der StarkenWechselwirkung durch eine solcheYang-Mills-Eichtheorie. Protagonistdieser Entwicklung war Murray Gell-Mann (Physik-Nobelpreis 1969). BeiEinsteins Gravitationstheorie handeltes sich zwar ebenfalls um eine Eich -theorie, allerdings widersetzt sie sichbis heute der Einbettung in dieQuantentheorie.

Eichsymmetrien sind für einemathematisch konsistente Formulie-rung der der drei quantenphysikali-schen Wechselwirkungen essentiell.Berechnungen in diesen Theoriensind in der Regel voll von Unendlich-keiten; aufgrund der Eichsymmetriekompensieren sie sich am Ende derRechnung wieder. Für diese Erkennt-nis – im Falle der Elektrodynamik –und die dafür nötige korrekte Inter-pretation der Quantenfeldtheorie

François Englert,geboren am6.11.1932 inEtterbeek, Belgien, studierteund promovierte1959 an der FreienUniversitätBrüssel. Anschlie-ßend ging er an die CornellUniversity zuRobert Brout.1961 kehrte er an die ULB zurückund erhielt 1964eine Professur.Von 1980 bis zuseiner Emeritie-rung 1998 leiteteer gemeinsam mit Robert Broutdie TheoretischePhysik an der ULB.

Peter Higgs,geboren am29.5.1929 inNewcastle uponTyne, Großbritan-nien, studierteund promovierte1954 am King’sCollege in London.Nach Zwischen-stationen inEdinburgh undLondon ging er1960 an dieUniversity ofEdinburgh, wo ervon 1980 bis zuseiner Emeritie-rung 1996 eineProfessur fürTheoretischePhysik hatte(Fotos: CERN).

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