Update Unfallchirurgie · Verletzungen der Wirbelsäule
384 | Der Unfallchirurg 5 · 2012
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. T. PohlemannKlinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Straße 1 66421 Homburg [email protected]
Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Orthopädie/Unfallchirur-gie 2012 und entsprechen den Semi-narunterlagen des 4. Ortho Trauma Update 2012 der medupdate GmbH.
Unfallchirurg 2012 · 115:384–385DOI 10.1007/s00113-012-2232-x © Springer-Verlag 2012
Biomechanische Studien Revision nach Schraubenaugmentation noch möglich?
Eine biomechanische Basisunter-suchung über die Festigkeit aug-mentierter und nicht augmen-tierter Schrauben legen Bullman et al. vor [1].
Die Autoren verglichen aug-mentierte und nicht augmen-tierte Pedikelschrauben im Hin-blick auf Ausrissverhalten sowie auf Drehkräfte. Hierbei zeigten die augmentierten Schrauben im Vergleich einen deutlich fes-teren Halt als die nicht augmen-tierten. Ein Herausdrehen der augmentierten Schrauben war ohne wesentlichen Defekt des Wirbelkörpers möglich. Beim
der Studie diente dabei die für das Ausreißen der Schrauben benötigte Kraft. Es zeigte sich, dass die soliden, nicht kanülier-ten Schrauben im Vergleich zu den kanülierten Schrauben eine signifikant höhere Ausreisskraft zeigten. Die Konfiguration der Schraube (konisch/zylindrisch) ergab keinen Unterschied.
Literatur1. Bullmann V, Schmoelz W, Richter
M et al (2010) Spine (Phila Pa 1976) 35(19): E932-939
2. Chen LH, Tai CL, Lee DM et al (2011) BMC Musculoskelet Disord 12: 33
Ventrale Stabilisierung über ventralen Zugang oder rein dorsalen ZugangLin et al. [1] untersuchten den Unterschied zwischen isoliert ventraler (Cage mit winkelstabiler Platte) Versorgung und dorso-ventraler Versorgung mit subto-taler Corpectomie, Dekompres-sion und Stabilisierung über einen rein dorsalen Zugang.
Dazu wurden insgesamt 64 Patienten randomisiert in 2 verschiedene Gruppen eingeteilt.
Jedoch zeigten sich insbesondere bei der dorsalen Gruppe ein si-gnifikant geringerer Blutverlust, kürzere Op-Zeit, weniger intra-operative Komplikationen so-wie eine signifikant verbesserte Lungenfunktion postoperativ. Die übrigen erhobenen Parame-ter zeigten keinen Unterschied je nach Versorgung.
Kommentar Beide Zugangswege sind für die Durchführung einer ventralen Versorgung geeignet. Kürzere OP-Zeit, weniger Komplikatio-nen und geringerer Blutverlust vor allem sprechen hier für ein dorsales Zugehen.
Literatur 1. Lin B, Chen ZW, Guo SM et al (2011)
J Spinal Disord Tech. [Epub ahead of print]
Fehleranalyse bei Implantatversagen nach Schraubenosteosynthese bei Densfraktur
Implantatlage sowie dem Aus-maß der Kompression im Frak-turspalt.
Literatur1. Osti M, Philipp H, Meusburger B et al
(2011) Eur Spine J 20(11):1915-1920
Nachuntersuchung an Patienten mit Densfrakturen über 65 Jah-ren im Hinblick auf Pseudarth-rosenbildung bzw. sekundäre Dislokation der Fraktur nach ventraler Schraubenosteosyn-these an 33 Patienten [1].
Ergebnisse21 Patienten zeigten eine knö-cherne Durchbauung, 12 zeigten
Risiko. Es zeigte sich eine statisch signifikante Korrelation von sekundären Veränderungen (feh-lende Durchbauung, Disloka-tion) mit 1. degenerativen Verän-derungen des atlanto-axialen Gelenkes, 2. Schweregrad der Osteoporose, 3. schräg nach dor-sal verlaufender Fraktur, 4. unvollständiger Reposition der Fraktur und nicht optimaler
Als Endpunkte wurden der int-raoperative Blutverlust, die OP-Zeit sowie die Lungenfunktion postoperativ näher betrachtet. Außerdem die Frankel Skala, der Bewegungs-Score, der ASIA sowie Cobb-Winkel und Höhe des Wirbelkörpers.
Lin et al. stellten fest, dass es in beiden Gruppen zu einem Ausheilen der Fraktur kam.
Ausreiß-Test brach die Knochen-Zement-Verbindung vor der Zement-Schrauben-Verbindung mit konsekutiver Destruktion insbesondere der Pedikel.
Dies belegt sowohl die Revi-sionsoption auch augmentierter Schrauben als auch die hochgra-dige Festigkeit dieser Schrauben gegen ein Ausreißen aus dem Pedikel.
Chen et al. verglichen in einer weiteren Studie das Verhalten kanülierter zementaugemen-tierter Schrauben mit soliden Schrauben und vorheriger Ver-tebroplastie [2]. Als Endpunkt
sekundäre Veränderungen wie Korrekturverlust, Pseudarthrose, verzögerte Durchbauung und Revision. Es zeigte sich eine Gesamtmorbiditätsrate von 29% und eine Gesamtmortalitätsrate von 8,6%. Ausgewertet wurden prä- und postoperative CT-Scans, Röntgenbilder sowie Begleit-erkrankungen sowie Begleitver-letzungen und jeweiliges OP-
Tab. 1 Multiple logistische Regression nach kombinierten Risikofaktoren: alle Fälle. (Adaptiert nach [1])Kombinierte Risikofaktoren (Fälle) p-Wert Odds
Ratio95%-KI
Geschlecht 0,4186 0,765 0,379−1,480
Kyphosewinkel 0,0947 1,022 0,997−1,051
Spinalkanalstenose (%) 0,0011a 0,976 0,961−0,989
Verletzungen dorsaler Bandstrukturen (PLC) 0,0015a 2,678 1,461−4,958
Höhe der Verletzung 0,0255a 2,543 1,133−5,885
Kombinierte Risikofaktoren (Diameter)
Geschlecht 0,4393 0,762 0,378−1,506
Kyphosewinkel 0,0768 1,024 0,998−1,053
Spinalkanalstenose (%) 0,0018a 0,971 0,953−0,989
Verletzungen dorsaler Bandstrukturen (PLC) 0,0002a 3,290 1,783−6,152
Höhe der Verletzung 0,0424 2,295 1,036−5,19295%-KI 95%-Konfidenzintervall; PLC „posterior ligamentous complex“ap<0,05
Tab. 2 Verlust der Reduktion im Zeitverlauf im Vergleich mit den ersten postoperativen Aufnahmen. (Adaptiert nach [1])Zeit nach der Operation n Grad Bereich SD
Bis zu drei Monate 29 3,5 0−13 3,17
Mehr als 12 Monate 13 3,05 0,5−10,1 2,38
Insgesamt 35 3,3 0−13 3,11SD Standardabweichung („standard deviation“).
Tab. 3 Operationsbezogene Komplikationen bei allen Patienten (n=52). (Adaptiert nach [1])Komplikation n
PMMA-Leckage und frakturierter Wirbelkörper 16
PMMA-Leckage und intakter Wirbelkörper 34
PMMA-Emboli 3
CSF-Leckage 1
Oberflächliche Infektionen 1
Neurologischer Ausfall 0PMMA Polymethlymethacrylat, CSF „cerebrospinal fluid“, Liquor.
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▶ Aktuelle Wertigkeit der Therapie von Densfrakturen bei älteren Patienten
Durch verbesserte perioperative Ver-sorgung und Operationstechniken wird auch bei diesen Patienten die operative Therapie bevorzugt. Hier stehen an erster Stelle die ventrale Stabilisierung mittels Schraubenos-teosynthese des Dens axis, sowie als der belastendere Eingriff die Versor-gung von dorsal mittels Fusion von C1 und C2 im Raum. Der operativen Therapie steht die konservative The-rapie mit Orthese oder Halo-Fixateur gegenüber. Nach Beurteilung der verschie-denen Studien kamen die Autoren zu dem Schluss, dass bei älteren Pa-tienten die Wahl der optimalen The-rapie in erster Linie abhängig ist von den Begleiterkrankungen und dem damit verbundenen OP-Risiko. Das Anstreben einer primären knöcher-nen Fusion der Densfraktur als wich-tigstes therapeutisches Ziel tritt hierbei eher in den Hintergrund. Grundsätzlich sollte das bestmögli-che klinische Ergebnis mit der für den älteren Patienten am wenigsten belastenden Methode erreicht wer-den unter Akzeptanz einer straffen Pseudarthrose.
Pal D, Sell P, Grevitt M (2011) Eur Spine J 20(2):195-204
DVeranstaltungshinweisKöln, 01.–02.03.2013Ortho Trauma Update 20135. Orthopädie-Unfallchirurgie- Update-Seminar – Unter der Schirm-herrschaft der DGOU/DGSP
Augmentation bei perkutaner StabilisierungStudie mit 52 Patienten [1], wel-che mit perkutan eingebrach-tem, zementaugmentiertem Fixateur interne sowie Kypho-plastie versorgt wurden. Retro-
spektiv wurden intraoperative Komplikationen bei allen Pa-tienten untersucht, klinische und radiologische Kriterien so-wie eine Nachuntersuchung
konnte bei 40 Patienten durch-geführt werden.
Ergebnisse Die Versorgung erfolgte inner-halb von 72 Stunden. Mittlere Operationszeit 2 Stunden, Blut-verlust weniger als 500 ml im Mittel. Hauptkomplikation wa-ren Zementleckagen intraopera-tiv. Mittlerer Korrekturverlust nach 1 Jahr 3,3°.
ZusammenfassungEin Jahr nach OP vergleichbare radiologische Ergebnisse wie bei konventioneller ventraler Versor-gung bei geringer Komplika-tionsrate (Tab. 2, Tab. 3).
Literatur1. Rahamimov N, Mulla H, Shani A et
al (2011) Eur Spine J. [Epub ahead of print]
Neurologische Ausfälle nach thorakolumbalen und lumbalen BerstungsfrakturenYugue et al. [1] untersuchten retro spektiv die radiologischen Befunde sowie die klinischen Daten zum Zeitpunkt der Auf-nahme von 216 Patienten im Hinblick auf eine Korrelation von
traumatisch bedingten Verände-rungen des Spinalkanals und neurologischer Symptomatik (Tab. 1). Als Hauptrisikofaktoren für das Vorliegen einer Neurolo-gie fanden sich die fragment-
bedingte Einengung des Spinal-kanals sowie die Zerreißung dor-saler Bandstrukturen. Thorakal ist hierbei in erster Linie die Weite des Spinalkanals relevant, thorakolumbal die Zerreißung dorsaler Strukturen und lumbal eine Kombination beider Fakto-ren.
Kommentar: Sowohl eine Spinal-kanalenge als auch eine Zerrei-ßung dorsaler Strukturen sind hochgradige Risikofaktoren für neurologische Störungen. Die vorliegende Diagnostik muss da-her sehr sorgfältig im Hinblick auf diese Veränderungen analy-siert werden.
Literatur1. Yugué, I, Aono K, Shiba K et al (2011)
Spine (Phila Pa 1976) 36(19):1563-1569