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Page 1: Von Kristallen und Zellwänden

146 | Phys. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2004| Nr. 3 © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

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Selbst wenn den üblichen Ratschlä-gen, die Erdbeeren von einandersepariert einzufrieren, gefolgt wird,sind die Früchte nach dem Auftauenmatschig und gerade noch für Konfi-türe oder Fruchtsaucen zu gebrau-chen. In haushaltsüblichen Gefrier-truhen erfolgt das Einfrieren desGefrierguts zu langsam, deshalbmacht die Physik des Kristallwachs-tums diese Idee zunichte.

Ein üblicher Gefrierprozess kühltdas Gefriergut von Zimmertempe-ratur auf –18 ºC ab. Zunächst sinktdie Temperatur bis leicht unter denGefrierpunkt des Wassers. Dabeiunterkühlt das Wasser in den Früch-ten auf etwa –5 ºC. Jetzt bilden sichdie ersten Eiskristalle, und es folgtder breite Bereich der Koexistenzvon Wasser und Eis.

Beim folgenden Gefrierprozesssinkt die Temperatur kaum. Sie kann,je nach Zusammensetzung des Ge-frierguts, sogar wieder leicht anstei-gen, da bei der Kristallisation Wärme

frei wird. Erst danach erfolgt weite-res Abkühlen auf die Lagertempe-ratur. Bleibt die Temperatur zu langekonstant, so bilden sich in diesemZeitbereich die größten Kristalle.

Die Kristallgröße wird vor allemdurch die Kinetik bestimmt. Beikleinen Frostgeschwindigkeitenbleibt den Molekülen genug Zeit,sich ungezwungen thermisch zubewegen. Deshalb wachsen dieKristalle langsam und werden relativgroß, denn die Wassermolekülehaben genug Zeit, einen „beque-men“, energetisch optimalen, alsodefektfreien Platz einzunehmen.Im Laborexperiment bilden sich imquasi-thermischen Gleichgewicht(bei unendlich langsamen Kühlraten)große Einkristalle. Diese sind zwarim Labor erwünscht, in der Kühl-truhe aber tödlich. Denn wachsendie Kristalle bis ihre räumlicheAusdehnung größer ist als die typi-schen Abmessungen der Gewebe-zellen des Gefrierguts, wird das form-

M O L- G A S T RO N O M I E |Von Kristallen und ZellwändenErdbeerzeit! Die leuchtend roten und saftigen Früchte verführen zumheftigsten Naschen, und die zu kurze Saison der Vitaminbomben wirftimmer wieder die Frage auf, ob dieser Genuss durch moderne Technikverlängert werden kann. Der Versuch, Erdbeeren als ganze Früchte ein-zufrieren und diese aus der Kühltruhe in alter Frische hervorzuzaubernist zwar bestechend, aber zum Scheitern verurteilt.

Höhenlinien des Gesichts In vielen Einrichtungen wird es immer wichtiger, die Identität einer Person mithoher Sicherheit automatisch feststellen zu können. Siemens-Forscher inMünchen-Neuperlach haben ein biometrisches System entwickelt, bei dem fürdie räumliche Erfassung ein Muster aus parallelen, farbigen Linien auf dasGesicht projiziert wird, das eine Farbvideokamera aufnimmt. Fällt das Musterauf Erhöhungen oder Vertiefungen, weichen die Farblinien vom geradenVerlauf ab. Diese Abweichungen hängen in definierter Weise von der Positiondes Musterprojektors, der Kamera und der Größe der Erhebung ab. Über dieverschiedenen Farben wird eine eindeutige Zuordnung des Bildpunktes und derverschiedenen geometrischen Größen erreicht. Damit gelingt es, innerhalb von 40 ms das dreidimensionale Bild mit einer Genauigkeit von 0,2 mm zuberechnen. Ein Computer wertet dann das Bild mit den klassischen Methodender Mustererkennung aus.

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gebende Zellgerüst irreversibelzerstört. Das Ergebnis: matschigeFrüchte nach dem Auftauen.

Professionelles Einfrieren ver-sucht deshalb den Zeitbereich desgrößten Kristallwachstums sehr kleinzu halten, indem mit größter Energiedem Gefriergut Wärme entzogenwird. Das muss in der Tat raschgehen, denn der Gefrierprozess läuft,wegen der Wärmeleitung von außennach innen ab. Die meiste Energiewird für das Durchschreiten desGefrierpunktbereiches benötigt. Dieswird mit expandierenden Gasen, wieflüssigem Stickstoff, die das Gefrier-gut umströmen, erreicht. Bei diesemSchockfrosten erfolgt die Abkühlungso schnell, dass den Wassermolekü-len kaum Zeit bleibt, passende Plätzean den Kristallkeimen zu ergattern.Es bilden sich entsprechend mehre-re, dafür aber kleine Kristalle, derenAusdehnung (im Idealfall) unterdenen der Zelldimensionen liegt.Texturveränderungen sind so weni-ger dramatisch.

Physiker essen deshalb ihre Erd-beeren frisch, nehmen sie allenfallsmit ins Labor – um sie im flüssigenStickstoff schock zu frosten. Aus-schließlich zu experimentellenZwecken, versteht sich.

Thomas A.Vilgis, Max-Planck-Institut für Polymerforschung,

Mainz

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