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Page 1: Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI. Die Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien

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[Mitteilungen aus dem Chemischen Institut der Universitat Halle.]

Zur Kenntnis der Eohlenhydrate. XI '1. (Eingelaufen am 7. Miirz 1939.)

Die Reaktionsweise der Cellulose rnit Alkalien ;

von Th. Lieser, L. Henrich und F. Fichtner.

Die Einwirkung von Alkalien auf Cellulose, insbesondere die Bildung der sogenannten Alkalicellulose mit starker Natronlauge war in friiheren Jahren Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Die Diskussion drehte sich grundsatzlich urn zwei Fragen: Einmal darum, ob es sich urn Adsorptions- verbindungen von Alkali an Cellulose oder um eine chemische Verbindung handele, und bejahendenfalls zum zweiten, in welchem Verhaltnis Cellulose und Alkali sich zu vereinigen vermochten. Die erste Frage, Bildung einer Adsorptions- verbindung, kann heute rnit Sicherheit verneint werden. Die vorliegenden Beobachtungen sprechen eindeutig fur die Existenz einer chemischen Verbindung zwischen Cellulose und Alkali. Die zweite Frage, in welchem Verhatnis sich Cellulose und Alkali zu vereinigen vermogen, ist mit Sicher- heit bisher nicht beantwortet worden. Sie sol1 in der vor- liegenden Untersuchung eine erneute Behandlung, und wie wir hoffen, eine endgiiltige Klarung finden.

Zwei Methoden sind ausgearbeitet worden, um die Zusammensetzung der bei dem Mercerisierungsvorgang ent- stehenden Alkalicellulose zu ermitteln. Die erste Methode, von Gladstone2), bestand in der Auswaschung der Alkali- cellulose mit absolutem Athanol. Die zweite Methode, van Vie we g3), bestand darin, daS man Cellulose in Alkalilaugen steigender Konzentration liegen lieS und in einem aliquoten Teil der Lauge das nicht aufgenommene Alkali bestimmte.

l) 10. Mitteilung, A. 682, 94 (1937). a) SOC. 6, 17 (1862). 2, B. 40, 3876 (1907); 41, 3269 (1908); 67, 1919 (1924).

Annalen der Chemie. 688. Band. 8

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100 Lieser , Henr ich und F ich tner ,

Beide Verfahren fuhrten in bemerkenswerter Uberein- stimmung zu einem Verhaltnis von 2 C,H,,O, : 1 NaOH. Die vielfachen Nachprufungen dieses Ergebnisses haben im all- gemeinen zu wenig abweichenden Resultaten gefuhrt , und in Anbetracht der in der Methodik beschlossenen unvermeid- lichen Versuchsfehler schien es berechtigt , der Alkali- cellulose jene Zusammensetzung zuzuerkennen. Fur dieses Verhaltnis schien denn auch der Verlauf der Viscosereaktion zu sprechen, die zu einem Xanthogenat der ungefahren Zusammensetzung 2 C,H,,O, : CS,:Na fuhrte. Nachdem dann aber in neuerer Zeit die Viscosereaktion als micellarhetero- gene Reaktion pseudostochiometrischen Charakters erkannt worden war1), war es auch wahrscheinlich geworden, dal3 die Addition des Alkalis an die Cellulose micellar-ober- flachlich erfolgt. Ausgehend von diesem Gedanken sei im folgenden eine neue Anschauungsart iiber die Reaktions- weise der Cellulose mit Alkalien dargelegt.

Das grundlegende Experiment war das folgende: Baum- woll-Linters wurden wie ublich mit 5 n-Natronlauge merce- risiert, scharf abgepreDt und die Alkalicellulose sofort mit Isopropylalkohol ausgewaschen, solange, bis kein, bzw. nur eine minimale, annahernd gleichbleibende Menge NaOH in den jeweiligen Waschalkohol ging. Das war z. B. der Fall nach 4-maligem Waschen mit Isopropanol. Die Alkali- cellulose wurde dann uber KOH und P,O, i. Hochv. bei gewohnlicher Temperatur absolut getrocknet und zur Analyse gebracht. Es wurden gefunden 27-28 Proc. NaOH. Dieses Ergebnis entspricht am ehesten einer Verbindung, die auf 2C,H,,O, 3NaOH enthalt, d. h. 3-ma1 soviel NaOH wie die normale Alkalicellulose.

Wir sahen in diesem Analysenergebnis keinen Zufalls- wert. Die Methodik schien einwandfrei zu sein. Isopropanol lost , wie der Modellversuch zeigt , Natron hinreichend auf, und dasjenige NaOH, das der Alkalicellulose iiberschiissig oder adsorptiv anhaftet, sollte daher beim Auswaschen eben- falls in den Isopropylalkohol gehen. Nur das chemisch,

l) A. 483, 132 (1930).

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Zur Kenntnzs der Kohlenhydrate. X I . 101

additiv, festgehaltene NaOH diirfte der Abspaltung durch Isopropanol wiederstehen. So lag es nahe, das gefundene Verhaltnis als pseudostochiometrisches zu deuten, darauf beruhend, daS nur die an der micellaren Oberflache der Cellulose gelegenen Hydroxyle rnit NaOH zu reagieren ver- mogen, und unter der weiteren Voraussetzung, daS sich Nicelloberflache zu Micellinhalt etwa wie 1 : 1 verhalt. I n Analogie zu der fruheren Formulierung des Cellulose- xanthogenates ') und der Cupricellulose2) konnen wir die vorliegende Alkalicellulose, die auf 2 C,H,,O, 3NaOH ent- hut , veranschaulichen durch das ,,Formelbild" VI, rnit der MaSgabe, dal3 der in runder Klammer stehende Ausdruck die im Micellinnern liegenden Glucosenanhydridketten , die dem Natron nicht zuganglich sind, enthalt, und der in eckiger Klammer stehende Ausdruck die an der Micell- oberflache gelegenen Glucoseanhydridketten, die allein rnit dem NaOH in Reaktion zu treten vermogen, und unter der weiteren Voraussetzung, daS Micelloberflache und Micell- inhalt einander etwa gleich sind. Die durch Auswaschen rnit Psopropanol erhaltene Natroncellulose wiirde also micellar vollig rnit Natron abgesattigt sein.

Es seien nun zunachst die weiteren Experimente auf- gefuhrt. Wurde die auf normale Weise rnit 5n-NaOH mercerisierte Cellulose nach dem Abpressen nicht rnit Iso- propanol sondern rnit normalen Alkoholen ausgewaschen, wieder bis zur Minimalkohstanz, so wurden Alkalicellulosen rnit geringerem NaOH - Gehalt erhalten , mit n -Propano1 z. B. 19,8 Proc. NaOH, rnit Athanol z. B. 12,9 Proc. NaOH. Die durch Auswaschen rnit Athanol und n-Propanol erhaltenen Alkalicellulosen nahern sich in ihrer Zusammensetzung den durch die ,,Formeln" IV und V dargestellten. Verbindungen.

An Hand der angefuhrten neuen Versuche und bei gleichzeitiger Einbeziehung des seither bekannten Tatsachen- materials mochten wir die Reaktionsweise der Cellulose rnit Natronlauge wie folgt deuten: Die Cellulose nimmt aus der Lauge rnit steigender Konzentration derselben steigende

l) A. 483, 132 (1930). A. 528, 276 (1937). 8*

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102 L i e s e r , H e n r i c h und Fichtn ,er ,

Mengen von NaOH in chemischer Bindung, additiv, auf. Verantwortlich fur diese chemische Bindung des Natrons sind die an der Micelloberf ldche gelegenen Hydrozyle, die dem Natron zugungZich sind, Alkaliaufnahme und bydrolytische Spaltung der Cellulose-Natron-Verbindung stehen im Gleich- gewicht zueinander , abhangig von der Konzentration, der Temperatur und der Art der Cellulose. Infolge Hydrolyse ist z. B. in der 18-proc. Lauge nur eine Verbindung bestandig, die in pseudostochiometrischem Verhaltnis auf 2C,H1,0, etwa 1NaOH enthiilt, nach ,,Formel" IV. Bei hoherer Konzentration der Lauge steigt die NaOH-Aufnahme, z. B. bis zu ,,Formel" V (zweiter Podest der Vieweg- Kurve). Es muS indes betont werden, da5 bisher kein Beweis dafiir vorliegt, da5 bestimmte Hydroxyle, das 2-, 3- oder 6-standige, die Alkalibindung bewirken. Wenn wir den Vie wegschen Experimenten folgen, die mit einer Aus- nahnie l) von allen Nacharbeitern bestatigt worden sind, so wiirde eine besondere Neigung der Cellulose bestehen, mit einem Hydroxyl, nicht notwendigerweise einem bestimmten, der an der Micelloberflache gelegenen Glucoseanhydridketten bevorzugt zu reagieren. Diese ,, normale '( Alkalicellulose scheint dann iiber ein gewisses Konzentrationsintervall hin bestandig zu sein (erster Podest der Vieweg-Kurve), d. h., die Alkalicellulose mit der Pseudozusammensetzung 2C,H1,0, .NaOH wurde eine gewisse Sattigung besitzen und eine mindere Neigung haben, in eine Verbindung nach V uberzugehen. F u r diese Annahme wiirde sprechen das Ergebnis der khanolauswaschung der Alkalicellulose, das Formel IV ziemlich nahe kommt, und besser noch die Zusammensetzung des primaren Cellulose-xanthogenates.

In plausibler Weise erklarlich ist das Verhalten gegen die verschiedenen Alkohole. Wasser wirkt am starksten hydrolisierend auf die Verbindungen Cellulose-Alkali, die normalen Alkohole minder, Isopropanol am schwachsten. Isopropanol lLBt offenbar die optimale Alkalicellulose, namlich die, bei der die gesamte micellare Oberflache mit Alkali

I) Raseow u. Wadewitz, J. pr. 106, 266 (1923).

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Zur Kenntnis der Kohbnhydrate. X I . 103

abgesattigt ist, intakt; die niederen Alkohole, bzw. die normalen, wirken partiell hydrolysierend. Dabei ist nicht zu erwarten, daD wohldefinierte Alkalicellulosen resultieren, wenngleich es denkbar ist, daD die Stufen gegeniiber gewissen Alkoholen bevorzugt sein konnen. Die obigen Ergebnisse durch Auswaschen mit Athanol und n-Propanol erwecken den Eindruck, als ob vorzugsweise Verbindungen nach IV und V vorliegen wiirden.

Wenn diese unsere Vorstellung, daS die micellare Ober- flache der Cellulose verantwortlich ist fur die Alkaliaufnahme, richtig ist, so ware zu erwarten, daS die verschiedenen Alkalien in verschiedener Menge fixiert werden, und zwar in Abhangigkeit vom Molvolumen der Alkalien. Entsprechend unserer Anschauungsweise , daB die raumliche Anordnung der Hauptvalenzketten im Cellulosemicell matgebend ist fur die Aufnahme des Alkalis, mu6 man sich vorstellen, daS Alkalien mit kleinem Molvolumen leichter in die intramole- kularen Spalten und Liicken, zwischen den auSersten Haupt- valenzketten hindurch, zu den ein wenig unter der durch- schnittlichen Micelloberflache gelegenen Glucoseanhydrid- ketten bzw. deren Hydroxylen dringen konnen, als Alkalien mit grotem Molvolumen. Wenn also Natriumhydroxyd von der micellar abgesattigten Cellulose in einem Verhgtnis von etwa 3NaOH:2C,Hl,05 aufgenommen wird, so sollte LiOH in etwas groflerem Verhdtnis, die groSermolekularen Alkalien in geringerem Verhaltnis aufgenommen werden. Diese Erwartung bestatigte sich. Das Experiment ergab, daS schon KOH von der Cellulose nurmehr in einem Ver- hiiltnis aufgenommen wird, als annahernd der Pseudoverbin- dung VIII entspricht, und RbOH und CsOH in noch ge- ringerem Verhgtnis. - Hier sei daran erinnert, daS bereits vor Jahren Heuse r und Bar tunek l ) an Hand derDiiferenz- titration feststellten, daS RbOH und CsOH von Cellulose in einem geringeren VerhLltnis als NaOH, namlich, wie die Autoren damals vermuteten, in einem stochiometrischen Ver- hiiltnis von 3 C,Hl,05 :RbOH bzw. :CsOH aufgenommen werden.

*) Cellulosechemie 6, 19 (1925).

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104 L i e s e r , H e n r i c h und Fich tner ,

Bus diesen Befunden ergibt sich eine bedeutungsvolle Folgerung fur den micellaren Bau der Cellulose. Das Ver- haltnis von an der ,,Micelloberf lache" gelegenen Hauptvalenz- ketten zu im ,,Micellinnern" gelegenen ist offenbar nicht ein fester Begriff, sondern ein relativer, gekennzeichnet durch das Molvolumen des Agens, mit dem die Cellulose umgesetzt wird. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich eine verstarkte Mahnung zur Vorsicht bei Ausdeutung von anscheinend stochio- metrischen Verhutnissen, wie sie haufig in der Cellulose- chemie beobachtet wurden. - NaturgemaO kann iiber die Natur und die Qrofienverhaltnisse der Cellulosemicelle mit der obigen Feststellung allein nichts ausgesagt werden. Es kann nicht entschieden werden , ob verhaltnismiibig kompakte Krystallite vorliegen, Individualmicellen mit definiertem Inhalt und begrenzter Oberflache , vergleichs- weise nach der ursprunglichen Vorstellung von Meyer und Mark, oder eine Lockerstruktur mit geordneten Gitter- bereichen gemafi den neueren Vorstellungen Frey-WiOlings, oder schlieBlich sogenannte ,,Fransenmicelle" nach S a u t e r. Noch weniger la& sich eine Aussage machen iiber die Lange der Micelle, bzw. daruber, ob die Fadenmolekule der Cellulose imstande seien, sich durch mehrere Micellbereiche hindurch zu ziehen, oder ob sie sich auf einen Krystalliten beschranken. Allerdings kann man sich nicht wohl vorstellen, daD der nngeordnete amorphe Anteil der Cellulose, die ,,Framed' der Micelle, einen sehr erheblichen Anteil der Cellulose ausmacht, Ba dann der Unterschied in der Aufnahme klein- und gro5- molekularer Alkalien nicht so groO sein sollte.

Die hier gegebene Deutung der Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien vertragt sich ohne weiteres mit dem seither bekannten Tatsachenmaterial. Erklarlich ist die bekannte Tatsache, daB Cellulose aus Laugen, die Neutralsalze enthalten, mehr Alkali aufnimmt als aus reinen Laugen: Die Hydrolyse der Alkalicellulose wird ebenso wie durch Alkohole durch die Salzlosung zuruckgedrgngt. Weiter ist es klar, da5 bei niederer Temperatur (ceteris paribus) mehr Alkali auf- genommen wird, als bei hoherer : Die Additionsverbindung Cellu- lose-Alkali dissoziiert in Abhangigkeit yon der Temperatur.

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1.06 L i e s e r , H e n r i c h und Fichtner ,

Hier sei auch die endlich notwendige Frage aufgeworfen, ob es sich bei den Verbindungen der Cellulose mit Alkalien urn Additionsverbindungen oder um Alkoholate handelt. Noch in der jiingsten Literatur wird die zweite Bezeich- nung gebraucht. Es ist schon von vornherein kaum denkbar, da8 Cellulosealkoholate nicht durch das stets vorhandene Wasser zerlegt werden sollten. Dariiber hinaus konnte hier (lurch Analyse der durch Alkoholauswaschung erhaltenen Cellulose-Natron-Verbindungen der formliche Beweis erbracht werden, da8 Additionsverbindungen vorliegen '). Um die weitere Reaktionsweise der Alkalicellulose als Alkoholat, z. B. in der Viscosereaktion, zu verstehen, geniigt es an- zunehmen, da8 ein zugunsten der Additionsverbindung fast vollig verschobenes Gleichgewicht mit Cellulosealkoholat besteht. Das durch chemische Reaktion aus dem Gleich- gewicht ausscheidende Alkoholat bildet sich neu, so lange, bis die gesamte Additionsverbindung umgesetzt ist.

Die bekannte Erfahrung, daB die Bildung der Alkali- cellulose abhangig ist von der Konzentration der Lauge, da8 sie bei Verwendung von hochstpolymerer Cellulose erst bei etwa 18-proc. Natronlauge vollstandig wird, findet auch bei unseren Experimenten Bestiitigung. Erst eine 5n-NaOH gestattet die Erzeugung einer micellar maximal gesattigten Natroncellulose. Bei Steigerung der Laugenkonzentration bis 9n erfahrt die Natronaufnahme, wie zu erwarten, keine Steigerung. Auf die wichtige Frage, warum es wenigstens einer 5 n-NaOH zur Erzeugung der optimalen Natroncellulose bedarf, sol1 hier noch nicht naher eingegangen werden. Es besteht zweifellos ein Zusammenhang mit der micellaren Struktur, und diese wiederum steht in Abhangigkeit zu dem Polymerisationsgrad. Erst wenn durch permutoide Reaktion, z. B. in organischen Basen oder konz. anorganischen Sauren die micellare Ordnung beeintrachtigt ist, vermag schon eine verdunnte Lauge Addition von Alkali und u. U. Loslichkeit der Additionsverbindung in der verdiinnten Lauge zu be- wirken.

I) Vgl. R a s s o w u. W o l f , B. 62, 2949 (1929).

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Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. X I . 107

Beschreibung der Versuche. Al l g e m e i n e Ve r s u c h s an o r d n u n g.

0,2-0,5 g Cellulose wurden mit 2-5 ccm Lauge 1 Stunde stehen gelassen. Dann wurde auf der Nutsche unter Abpressen kurz abgesaugt und die schnell etwas zerzupfte Alkalicellulose auf einen S c h o t t - Tiegel gebracht und im Stickstoffstrom mit j e 20-50 ccm des jeweiligen absoluten Alkohols etwa 10 Minuten behandelt. Die Filtrate wurden mit Wasser versetzt und gegen Phenolphtalein mit 0,l n-Slure titriert. Heist wurde schon nach wenigen Waschungen kaum noch Saure ver- braucht. Die Alkalicellulose wurde dann kurz mit Ather behandelt und uber Kali und P,O, bei gewiihnlicher Temperatur i. Hochv. ge- trocknet. Zur Alkalibestimmung wurde eine abgewogene Menge mit uberschussiger 0,l n-Slure versetzt und nach einer Weile zuriicktitriert. Im folgenden sind einige Versuchsreihen wiedergegeben. Als Aus- gangsmaterial dienten technisch gebleichte Linters, technisches Karden- band oder native Cellulose, das ist langstapelige Baumwolle in Form von Kardenband, gereinigt mit C10, und verdunnter Lauge. - Hinter der Nummer der Waschung ist die zur Neutralisation des Filtrats er- forderliche Anzahl ccm 0,l n-Slure angegeben.

T. Cellulose mercerisiert mit 5 n-NaOH. 1 . Ausgangsmaterial Linters. Waschalkohol Athanol.

0,2394 g Subst. verbr. 7,75 ccm 0,l n-Slure = 12,95 Proc. NaOH. 2. a) 0,3 g native Cellulose; n-Propanol.

0,3147 g Subst. verbr. 16,7 ccm 0,l &lure = 21,O Proc. NaOH. b) 0,5 g Linters; n-Propanol.

1. 23,l; 2. 5,O; 3. 1,O; 4. 0,l. 0,1300 g Subst. verbr. 6,2 ccm 0,l n-Slure = 19,1 Proc. NaOH. 3. 0,3 g native Cellulose; n-Butanol.

0,1794 g Subst. verbr. 9,0 ccm 0,l n-Slure = 20,l Proc. NaOH. 4. 0,5 g Linters; primares Isobutanol.

1. 15,7; 2. 4,4; 3. 1,2; 4. 0,5; 5. 0,l.

1. 17,3; 2. 1,s; 3. 0.

1. 6,5; 2. 2,3; 3. 1,5; 4. 0,7; 5. 0,l.

1. 16,9; 2. 23,l; 3. 6,l; 4. 1,5; 5. 1,2; 6. 0,s; 7. 0,2. 0,1029 g Subst. verbr. 5,6 ccm 0,l n-Saure = 21,8 Proc. NaOH. 5. a) 0,2 g native Cellulose; Isopropanol.

0,1171 g Subst. verbr. 8,2 ccm 0,l n-Saure = 28,O Proc. NaOH. 0,1171 g Subst. gaben 0,0834 g Cellulose = 71,2 Proc. Cellulose

1. 3,6; 2. 0,8; 3. 0,2; 4. 0.

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Lieser , Henrich und Fichtner,

b) 0,2 g Linters; Isopropanol.

0,0850 g Subst. verbr. 5,82 ccrn 0,l n-SHure = 27,4 Proc. NaOH.

c) 0,5 g technische Alkalicellulose (aus Zellstoff, auf das 2,53-fache

1. 4,2; 2. 1,7; 3. 0,5; 4. 0,3.

abgepreBt; Isopropanol). 1. 2,l; 2. 1,O; 3. 0,4; 4. 0,l.

0,1093 g Subst. verbr. 6,s ccrn 0,l n-Saure = 24,9 Proc. NaOH.

11. Celldose, aalisiert mit 5 n-LiOk 1. a) 0,2 g technisches Kardenband; Athanol.

1. 13,7; 2. 0,3; 3. 0. 0,1947 g Subst. verbr. 12,70 ccrn 0,l n-Silure = 15,65 Proc. LiOH. b) 0,5 g Linters; Athanol.

0,1123 g Subst. verbr. 5,85 ccrn 0,l n-Same = 12,5 Proc. LiOH. 2. 0,5 g Linters; n-Propanol.

0,0829 g Subst. verbr. 6,3 ccrn 0,l n-Slure = 18,2 Proc. LiOH. 3. 0,5 g Linters; Isopropanol.

1. 3,l; 2. 0,s; 3. 0,6; 4. 0,3; 5. 0,l. 0,1694 g Subst. verbr. 15,2 ccm 0,l n-Sliure = 21,5 Proc. LiOH. III. Cellulose, alkalisiert mit 10 n-KOH. 1. 0,2 g technisches Kardenband; Athanol.

0,1648 g Subst. verbr. 5,28 ccm 0,l n-Saure = 17,9 Proc. KOH. 2. 0,2 g Kardenband; n-Propanol.

0,2139 g Subst. verbr. 8,75 ccrn 0,l n-Saure = 22,9 Proc. KOH. 3. 0,2 g Kardenband; Isopropanol.

0,1801 g Subst. verbr. 7,80 ccrn 0,l n-Saure = 24,3 Proc. KOH. IV. Cellulose, alkalisiert mit 4 n-RbOH. 0,2 g Kardenband; Isopropanol.

0,1404 g Subst. verbr. 4,55 ccrn 0,l n-SSure = 33,2 Proc. RbOH V. Cellulose, alkalisiert mit 4,3 n-CsOH. 1. 0,2 g native Cellulose; Athanol.

1. 74,7; 2. 24,2; 3. 7,l; 4. 3,5; 5. 1,6; 6. 1,4; 7. O,?; 8. 0,5; 9. 0,4.

1. 15,6; 2. 7,s; 3. 1,2: 4. 0,2.

1. 12,O; 2. 0,15; 3. 0.

1. 9,7; 2. 1,9; 3. 0.

1. 5,3; 2. 3,l; 3. 0.

1. 3,75; 2. 0,2; 3. 0,l; 4. 0.

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Zur Kenntnis der Kohbnhydrak X I . 109

1. 26,5; 2. 4,6; 3. 1,O; 4. 0,4; 5. 0,l. 0,0621 g Subst. verbr. 0,87 ccm 0,l n-Saure = 21,O Proc. CsOH. 2. 0,3 g Linters; n-Propanol.

0,1332 g Subst. verbr. 335 ccm 0,l n-Silure = 37,7 Proc. CsOH. 3. 0,5 g Linters; Isopropanol.

0,1311 g Subst. verbr. 3,7 ccm 0,l n-Saure = 42,3 Proc. CsOH.

1. 8,9; 2. 0,9; 3. 0,2; 4. 0,l.

1. 10,O; 2. 3,2; 3. 1,5; 4. 0,4; 5. 0,l.

Merce r i s i e rung m i t L au gen 8 t ei gen de r K o nz e n t ra t i o n.

Je 0,5 g Linters wurden mit Natronlauge alkalisiert, unter Ab- saugen abgeprel3t und mit Isopropanol wie oben ausgewaschen.

1. 2n-NaOH. 1. 4,s; 2. 3,3; 3. 1,2; 4. 0,5; 5. 0,2.

0,1067 g Subst. verbr. 5,l ccm 0,l n-Siiure = 19,l Proc. NaOH. 2. 3n-NaOH.

1. 8,6; 2. 3,5; 3. 1,4; 4. 0,6; 5. 0,4. 0,1089 g Subst. verbr. 6,2 ccm 0,l n-Saure = 22,7 Proc. NaOH. 3. 4n-NaOH.

1. 13,2; 2. 7,s; 3. 3,l; 4. 1 , l ; 5. 0,5; 6. 03. 0,1041 g Subst. verbr. 6,l ccm 0,l n-S&ure = 23,4 Proc. NaOH. 4. 6n-NaOH.

1. 18; 2. 32; 3. 11,5; 4. 5,O; 5. 1,6; 6. 1,O; 7. 0,5; 8. 0,3. 0,1042 g Subst. verbr. 7,O ccm 0,l n-Saure = 26,9 Roc. NaOH. 5. 7n-NaOH.

1. 17,5; 2. 49,O; 3. 29,O; 4. 11,O; 5. 4,5; 6. 2,5; 7. 0,9; 8. 0,6; 9. 0,4; 10. 0,4; 11. 0,2.

0,1009 g Subst. verbr. 6,6 ccm 0,l n-Silure = 26,2 Proc. NaOH. 6. 8n-NaOH.

1. 5,5; 2. 5,7; 3. 4,7; 4. 2 ,O; 5. 0,s; 6. 0,6; 7. 0,6; 8. 0,7; 9. 0,4; 10. 0,3; 11. 0,"; 12. 0,6; 13. 0,3; 14. 0,4; 15. 0,4; 16. 0,4; 17. 0,3; 18. 0, l ; 19. 0.

0,2387 g Subst. verbr. 15,12 ccm 0,l n-Siiure = 25,3 Proc. NaOH.

Page 12: Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI. Die Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien

110

Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI1 '1. t)ber die Reaktionsweise

der in Knpferoxyd-ammoniak gelosten Cellulose. I; von Th. Lieser und Hans Swiatkowski.

In einer friiheren Abhandlung %) ist eine neuartige Be- trachtungsweise der Natur und der Konstitution der in Kupferoxyd-ammoniak gelosten Cellulose dargelegt worden. Diese Anschauung unterscheidet sich von der von friiheren Autoren entwickelten in drei wesentlichen Punkten:

1. I n der friiheren Auffassung war der in Cuox-ammon gelosten Cellulose-Verbindung eine Zweiteilung in Cellu- lose-Kupfer-Anion und Cuprammin-Kation unterlegt worden.

2. Die Kupferaufnahme war friiher als salzartige, alko- holatartige, formuliert worden.

3. Es war die micellare Natur der Cellulose-Verbindung in S c h w e iz e r s Reagens nicht erkannt worden 7.

DemgemaS war die Formulierung der in Kupferoxyd- ammoniak gelosten Cellulose-Verbindung z. B. als hetero-po- lares Molekiil-Kollojd folgendermafien vorgenommen worden 41 :

-(C8H804)'-O-( C,H804)'--O-(C,H804)'-O-(C6H804)'-

Cu(NH,)," Cu(NH,),"

Nan erkennt das stochiometrische Verhaltnis von Cellu- lose zu Kupfer, die Zweiteilung in Anion und Kation und die alkoholatartige Bindung des Kupfers.

IL.-Cu-l l-cu-.-l

l ) 11. Mitteilung vorstehend. 3, Die Deutung der Cellulose-LBsung als micellare Losung scheint

mit den Ergebnissen viscosimetrischer Messungen nicht in Einklang zu stehen. Hierauf hat S t a u d i n g e r in einer besonderen Abhandlung iJ3. 70, 2514 (1937)l hingewiesen. Da mit der Diskussion des seither vorliegenden Tatsachenmaterials allein ein der Sache dienender Fort- schritt nicht zu erzielen ist , miissen weitere Experimente abgewartet werden.

4, S t a u d i n g e r , ,,Buch" S. 477 an Hand der Arbeiten von H e s s und T r a u b e .

9 A. 528, 281 (1937).

Page 13: Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI. Die Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien

Lieser u. Swiatkowski, Kenntnis der Kohlenhydrate. 111

Qegeniiber dieser Formel wurde von uns eine pseudo- stochiometrische ,,Formel" benutzt:

Hierbei stellt der in ruuder Klammer stehende Ausdruck die im Micellinnern gelegenen Glucoseanhydridketten dar, die der Verkupferung nicht zuganglich sind, und der in eckiger Klammer stehende Ausdruck die an der Micellober- flache gelegenen Hauptvalenzketten , die allein mit Kupfer- hydroxyd bzw. Cupramminhydroxyd zu reagieren vermogen. Dabei besteht die weitere Voraussetzung, daB Micellober- flache, genauer, der Teil der Cellulose, der der Verkupferung zuganglich ist, zu Micellinhalt, genauer dem Teil der Cellu- lose, der der Verkupferung nicht zuganglich ist, sich durch- schnittlich annahernd wie 1 : 1 verhalt. Experimentell ge- funden wurde ein Verhaltnis etwa 1,l:l.

In der benutzten Schreibweise erkennt man auiuSer dem pseudostochiometrischen Verhgtnis und der im Prinzip strengen Zweiteilung in Micellinneres und MicellauiuSeres das Vorliegen einer Additionsverbindung zwischen Cellulose und Kupferhydroxyd bzw. Cupramminhydroxyd.

Es handelt sich nun darum, diese Auffassung von der Natur und der Konstitution der Cellulose -Verbindung in Kupferoxyd-ammoniak weiter zu stiitzen. Bei den bekannten Schwierigkeiten schien das von vornherein keine leichte Aufgabe. Wir haben sie von verschiedenen Seiten her in Angriff genommen und berichten heute iiber die Reaktions- weise der in Cuox-ammon gelosten Cellulose mit Alkalien und Erdalkalien.

Die Einwirkung von Alkali auf die in Kupferoxyd- ammoniak geloste Cellulose fiihrt, wie zuerst R. Linkmeyer l) beobachtete , zu einem Fallungsprodukt. Die ausgefallte Cellulose-Kupfer-Natron-Verbindung wurde erstmalig von Normann ') naher untersucht und fiihrt daher die Bezeich- nung N o r man n sche Verbindung. Uber deren Znsammen-

l) W. Normenn, Ch. Z. 80, 584 (1906).

Page 14: Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI. Die Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien

112 Lieser und Swiatkowski,

setzung sagt Normann nur, daJ3 ein ungefhhres Verhaltnis von 2 C,H,,O, : Cu vorliege. Neuere Untersuchungen von K. H e s s und Mitarbeitern') lehrten, da8 chemische Reaktion und keinesfalls lediglich Adsorption der Normannschen Verbindung zugrunde liegt. Die Zusammensetzung der Normannschen Verbindung wurde als schwankend be- funden, z. B. in der Formel (C,,H,,O,,Cu)Na,, teils auch rnit weniger Na.

Eine eingehende praparative und analytische Unter- suchung widmete in neuester Zeit W. Traube,) der Er- forschung der Reaktion der in Kupferoxyd-ammoniak ge- losten Cellulose rnit Alkalien und Erdalkalien und deren Salzen. Durch Einwirkung von Thallonitrat wurde eine Ver- bindung der Zusammensetzung 2 C,H,,O, : 1,OCu : 1,OT1, mittels Bariumchlorid eine Verbindung 2 C,H,,05 : 1,08 Cu : 0,54Ba erhalten. Die Tatsache, daJ3 Hess und Trogus3) eine Natrium-cupri-cellulose der oben angegebenen Zusammen- setzung erhielten, schreibt T raub e einer Wertigkeitsschwan- kung des ,,Cupricellulose-Anions" zu. Dieses sol1 1-2-wertig sein konnen.

Nachdem in unserer fruheren Arbeit 4, der der Losung der Cellulose in Kupferoxyd-ammoniak zugrunde liegenden Verbindung eine von der seitherigen abweichende Formu- lierung zuerkannt wOrden war, war es klar, da8 auch die Reaktion rnit Alkalien zumindest eine andere Deutung er- fahren mubte.

Wir verfuhren zunachst folgendermafien: Die in rnit Cu(OH), gesattigter Cuox-ammonlosung geloste Cellulose wurde mit Natronlauge steigender Konzentration versetzt und das Fallungsprodukt bis zur Farblosigkeit des Filtrats rnit Lauge gewaschen. Das dunkelblaue Produkt wurde dann rnit Isopropanol ausgewaschen, so lange, bis nur eine minimale, annahernd gleichbleibende Menge NaOH in den Slkohol ging. Nach Verdrangung des Alkohols durch Ather und absoluter Trocknung wurde das Natron durch Titration,

I) Vgl. z. B. K. Hess u. Trogus, Ph. Ch. A 145, 401-450 (1929). 3 Wilhelrn Traube u. Albert Funk, B. 69, 1476 (1936). 3, a. a. 0. A. 528, 281 (1937).

Page 15: Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI. Die Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien

Zur Kenntnis der Kohb&ydrate. X I I . 113

das Kupfer nach B r u h n s bestimmt. Die erhaltenen Resul- tate, die in Tab. 1 eingetragen sind, weisen betrachtliche Schwankungen auf, deuten aber immerhin auf das Vorliegen einer Verbindung der Zusammensetzung I hin :

I (c6~,,o,) [c,~,,o, ; y2 c~(oH), ; 3 N ~ O H I

Die Schwankungen der Alkaliwerte sind, wie wir hernach sehen werden, mindestens zum Teil der Titrationsmethode zuzuschreiben. Dafi stets zu wenig Kupfer und dem- entsprechend mehr Natron gefunden wurde, liegt offenbar daran, dafi Cu(OH),, dessen Loslichkeit in Alkalien ja be- kannt ist, bei dem hier geubten Verfahren erst recht leicht in Losung gehen kann.

Als wir an Stelle des Isopropanols bei dem eben ge- schilderten Verfahren ithano1 anwandten, wurden Produkte mit weniger Natron, aber noch starker schwankenden und sehr schlecht reproduzierbaren Werten erhalten, auf deren Wiedergabe verzichtet wird.

Wesentlich bessere Ergebnisse als bei den Versuchen mit Natronlauge erzielten wir bei unseren Bemuhungen, die Reaktionsweise der Cellulose in Cuox-ammon mit Erdalkali, Baryt, zu klaren. Die Schwankungen der Resultate waren hier weit geringer, und es wurden durch Methanolwaschnng Praparate erhalten , die in ihrer Zusammensetzung der ,,Formel" I1 annahernd gerecht werden:

Um diese Resultate zu erganzen, suchten wir nach einer weiteren Moglichkeit , zuverlassigere Ergebnisse zu erhalten. Es zeigte sich schliefilich, dab der verlafilichste Einblick in die Reaktionsverh2Jtnisse der verkupferten Cellu- lose mit Alkalien und Erdalkalien auf die folgende Weise gewonnen werden. konnte. Es wurde nicht mehr ausgegangen von der in Cuox-ammon gelosten Cellulose, sondern von der sogenannten Cupri-cellulose, einem Derivat der Cellulose, das aus Kupferoxyd-ammoniak durch Methanolfallung isoliert

Page 16: Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI. Die Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien

114 Lie s e r und S w ia t k o w s k i ,

werden kann '), und dem die stochiometrische Zusammen- setzung I11 zugeschrieben wurde , wieder unter den friiher beschriebenen Voraussetzungen.

Als auf diese Cupri-cellulose Natronlauge bzw. Baryt zur Einwirkung kam, wurden Praparate erhalten, die gemaB ihrer Analyse Verbindungen der Zusammensetzung IV und V in befriedigender und reproduzierbarer Weise entsprachen:

IV C,H,,O,; C,H,O,-OH / O H ; S/aC~(OH),; 3NaOH

V C,H,,O,; C H 0 /OH OH; S/eCu(OH),; S/zBa(OH),

\OH

a ' 'YOH

Was nun die Deutung dieser Befunde angeht, so be- stehen hier 2 Moglichkeiten. Die eine, die zunachst als die wahrscheinlichere angesehen wurde, besteht darin, dab das Alkali bzw. Erdalkali nach der micellar-oberflachlichen Ab- sattigung der Cellulose mit Cu(OH), imstande ist, bis zu den im Micellinnern gelegenen Qlucoseanhydridketten vor- zudringen und sich an deren Hydroxyle zu addieren. Dieser Fall setzt also voraus, dafi die in den Cellulosemicellen ob- waltenden Molkohasionskrafte durch Inanspruchnahme der aufien gelegenen Hydroxyle durch Cu(OH), derart beeinflufit, verringert werden, daO nunmehr auch ein Eindringen von Alkalien ins Micellinnere moglich ist.

Die zweite Moglichkeit wiirde in einer Reaktion des Alkalis bzw. Erdalkalis mit den Hydroxylen der an der Micelloberflache liegenden Hauptvalenzketten bzw. dem hier angeordneten Cu(OH), bestehen. Dieser Fall wurde anfang- lich als der unwahrscheinlichere betrachtet, we2 die Hydro- xyle der an der Micelloberflache gelegenen Glucoseanhydrid- ketten bereits Cu(OH), addiert haben, also nicht mehr zu weiterer Addition von Alkali oder Erdalkali fahig sein sollten.

l) A. 6528, 281 (1937).

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Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. X I I . 115

Eine Entscheidung auf Brund der analytischen Ergeb- nisse ist nicht moglich, da Micelloberflache und Micellinhalt annahernd gleich sind. Die folgenden Experimente fuhrten schliefilich zum Resultat.

Die mittels organischer Base permutoid verkupferte Cellulose ') wurde wie die micellar verkupferte Cellulose der Behandlung mit Natronlauge bzw. Baryt unterworfen. Nach der Auswaschung mit Isopropanol bzw. Methanol wurden Praparate erhalten , die Natron bzw. Baryt enthielten. Da in der permutoid verkupferten Cellulose gemaI3 ihrer Zu- sammensetzung kein freies Hydroxyl mehr vorhanden ist, mu6 also Alkali und Erdalkali imstande sein, Kupferhydroxyd aus der additiven Bindung zu verdrangen. Infolge der Un- loslichkeit des Cu(OH), bleibt es naturgemgb in der zur Analyse kommenden Substanz erhalten. Die Zusammen- setzung der isolierten Korper entsprach angenahert den ,,Formeln" VI und VII.

Mo1.-Gew. 736,8 ; NaOH 16,3O/, ; Cu(OH), 39,7O/, ; Cellulose 44,0°/0 VI

Mo1.-Qew. 873,9; Ba(OH), 29,4 Ole; Cu(OH), 33,5 o / o ; Cellulose 37,1°/, VII

Sus diesen Versuchen scheint einmal hervorzugehen, daI3 Alkali und Erdalkali auch nach permutoiderVerkupferung nicht ins Micellinnere vorzudringen vermogen , und zum zweiten folgt als AnalogieschluS, daD bei der auf normale Weise micellar verkupferten Cellulose das Alkali bzw. Erd- alkali sich unter Ablosung des an die micellare Oberflache addierten Cu(OH), mit den Hydroxylen der an der Micell- oberflache gelegenen Hauptvalenzketten additiv verbindet. Es ist dabei besonders auffallend, daI3 bei der Cupri-cellulose

l) T h . L i e s e r u. Robert Ebert , A. 532, 99 (1937). Annalcn der Chemie. 638. Band. 9

Page 18: Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI. Die Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien

116 L iese r und S w ia t ko w s ki ,

andere Reaktionsverhaltnisse rnit Alkali und Erdalkali hin- sichtlich der erforderlichen Konzentration herrschen, als bei der unverkupferten Cellulose. Bei dieser ist zur Entstehung der Alkalicellulose bekanntlich eine Konzentration von mindestens 4 n notwendig, wahrend bei der Cupri-cellulose eine 1n-Lauge geniigt. Und rnit Baryt tritt Cellulose be- kanntlich nur sehr unvollkommen in Reaktion, wahrend auf dem Umwege uber die micellare Verkupferung eine voll- standige micellare Reaktion erzielt werden kann.

Die Reaktion von Natron bzw. Baryt rnit der normalen Cupri-cellulose fiihrt also zu pseudostochiometrischen Ver- bindungen, die man folgendermaben formulieren kann :

/OH - + - NaOH

\OH - NaOH VIII (C,H,,O,) [ C,H,O,-OH. - - NaOH ; s/2 CU(OH)~]

Mo1.-Gew. 590,4 ; NaOH 20,3 O/, ; Cu(OH), 24,8O/, ; Cellulose 54,9@/,

Mo1.-Gew. 727,5; Ba(OH), 35,3O/,; Cu(OH), 20,l ,lo; Cellulose 44,5"/@

Auch diese Formulierungen gelten naturgemaa unter der friiheren Mabgabe, dab nur die an der Micelloberflache gelegenen Glucoseanhydridketten dem Kupferhydroxyd bzw. dem Natron und Baryt zuganglich sind, und daD sich Micell- oberflache und Micellinhalt annahernd wie 1 : 1 verhalten.

In der hier beniitzten Schreibweise ist die Frage nach einer Bindungsart des Cu(OH), offengelassen worden. Der Moglichkeit, dab es frei, im Gemenge, neben der Alkali- bzw. Erdalkali- Cellulose vorliegt , widerspricht ein Aus- waschungsversuch mit einem Gemisch von 90 Teilen l n - Natronlauge und 10 Teilen konz. Ammoniak. Eine solche Mischung sollte, wie der Modellversuch zeigt, frei vorliegendes Cu(OH), vollig losen. Da dies bei der Alkali-cupri-cellulose nur teilweise der Fall ist, mu8 man annehmen, daD das Cn(OH), durch schwache Krafte an die Alkalicellulose gebunden ist.

Was nun schlieSlich die Reaktionsweise der Alkalien mit der in Kupferoxyd-ammoniak gelosten Cellulose angeht,

Page 19: Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. XI. Die Reaktionsweise der Cellulose mit Alkalien

Zur Kenntnis der Kohlenhydrate. X I L 117

so entspricht sie offenbar der Reaktionsweise der Cellulose mit Alkali. Die optimale Natroncellulose nach VIII kann infolge der Gegenwart des hydrolytisch wirkenden Wassers bzw. Ammoniaks nicht entstehen. Es resultiert je nach den Versuchsbedingungen eine im Wesen uneinheitliche Alkalicellulose. Diese sogenannte N ormann-Verbindung, die gema6 den analytischen Untersuchungen von Hess und T r a u b e pro 2C,H,,O, 1-2 Na enthalt, wiirde, abgesehen vom Gehalt an Cu(OH),, der Verbindung analog sein, die durch das Zwischenstiick zwischen erstem und zweitem Podest der Viewe g-Kurve ausgedriickt wird.

Die wesentlichste Folgerung, die wir aus den Ergeb- nissen dieser Untersuchung glauben ziehen zu miissen, lautet dahin, da8 die Reaktion der in Kupferoxyd-ammoniak gelosten Cellulose mit Alkali sich widerspruchslos einfiigt in das Bild, das wir uns von der Verkupferung der Cellulose machen als einer micellaren Oberflachenreaktion. Wir miissen es dabei der zukiinftigen Arbeit aller beteiligten Forscher anheimstellen, die zweifellos noch bestehenden Widerspriiche der Ergebnisse aus den praparativen und analytischen chemischen Experimenten und den mehr physikalischen, inbesondere den viscosimetrischen nnd rontgenographischen Befunden aufzuklaren.

Beschreibung der Versuche. Tabel le 1.

1,5 n 0,75 n

2 n 0,s I1

1,75 n 1 087 P 2 n I 1 n

2,5 n 1 n

_.. .. -

16,4 1s,1 22,l 14,7 23,6 13,9 21,6 20,9 21,2 17,O 19,l I 15,O

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118 Lieser und S w i a t k o w s k i ,

___ 11 :25 ~ 6,29 24,33

1 20.44 26.18 Isopropanol 0,50 16,12 1 28,56

Kuhlung gefallt und bis zur vollkommenen Farblosigkeit des Filtrats unter jedesmaligem Zentrifugieren rnit Barytlosung gewaschen (6-mal). Das noch feuchte Produkt wurde im Exsiccator uber KOH bei gewohn- licher Temperatur getrocknet und auf einer S c h o t t -Nutache im Stick- stoff-Strom mit Methanol ausgewaschen bis das Waschmittel kaum noch alkalisch reagierte. Auswaschungen mit je 50 ccm Methanol. Verbrauch dee jeweiligen Filtrates an 0,l n-saure in ccm: 1. .58,5; 2. 3,5; 3. 0,7; 4. 0,3; 5. 0,3; 6. 0,l. Das Methanol wurde durch Ather verdrangt und die hellblaue Substanz uber P,O, i. Hochv. bei gewohnlicher Temperatur getrocknet.

0,1712 g gaben 0,0826 g BaSO, . . . . . Gef. 35,4 O l 0 Ba(OH), 0,1712 g verbr. 4,05 ccm 0,l n-N+S,O, Gef. 23,l o/o Cu(OH), 0,1712 g gaben 0,0660 g Cellulose . . . . Gef. 38,3 O/,, Cellulose.

Die b h f i g wiederholte Darstellung der Barium-cupri-cellulose, auch wenn ohne Zwischentrocknung das uberschussige Baryt mit Methanol ausgewaschen wurde, fuhrte zu ganz ahnlichen Ergebnissen.

47,80 54,45 52.19

E i n wi r ku n g v o n N a t r o n l a u g e auf Cup r i - c ellul o s e. 0,l-0,15 g Cupri-cellulose rnit 33,l F'roc. &(OH), wurde im

Stickstoff-Strom auf einem gewogenen Jenaer Glasfilter-Tiegel mit 10 ccm Natronlauge, die innerhalb 10 Minuten durchtropfte, behandelt, die sehr geringe Menge gelostes Cu(OH), im Filtrat bestimmt, von der uberschussigen Lauge abgesaugt und die Na-cupri-cellulose mit jeweils 20 ccm Alkohol gewaschen, bis dieser kaum noch Alkali aufnahm, was nach 2-3-maligem Waschen der Fall war. Nach Verdrtlngung des ALkoholcc durch Ather wurde i. V. uber P,O, und KOH bei gewohnlicher Temperatur absolut getrocknet. Die Ruckwagung lieferte durch Gewichts- differenz die Menge des aufgenommenen NaOH. Das Cu(OH), wurde titrimetrisch nach B r u h n s bestimmt, die Cellulose durch Zersetzen mit Siiure.

Die Ergebnisse rnit Isopropanol und Athanol sind in Tab. 2 ein- getragen.

Tabelle 2.

Alkohol I o/o NaOH o/o Cu(OH), 1 Cellulose Normalitat der Lauge

0,25 1 8129 I 3113 I 5313 Athanol il 0.50 9-20 I 30.1 I 58.7

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Zur Kenntnis der Kohbnhydrate. XII. 119

E in w i r kun g v o n B a r y t 1 auge auf Cup ri - c el l u l o s e. 0,2538 g Cupri-cellulose mit 35,2 Proc. Cu(OH), wurde auf ge-

wogenem Schott-Tiegel im N,-Strom rnit 20 ccm gesattigter Ba(OH),- Losung 10 Minuten behandelt, abgesaugt und mit j e 20 ccm absolutem Methanol solange gewaschen, bis die Reaktion des Filtrates auf O H und Ba" negativ ausfiel, was nach 4-maligem Waschen der Fall war. Nach Atherbehandlung und absoluter Trocknung i. Hochv. bei gewohn- licher Temperatur hatte das Gewicht der Cupri-cellulose um 0,1254 g zugenommen. Aus dieser Gewichtsdifferenz ergibt sich ein Gehalt der Ba-Cu-Cellulose yon 33,16 Proc. Ba(OH),.

0,3781 g gaben 0,1406 g BaSO, . . . . . Gef. 27,3 Ba(OH), 0,3781 g gaben 0,1622 g Cellulose . . . . Gef. 42,9 Cellulose 0,3781 g verbr. 8,90 ccm 0,l n-Na.$$O,, Gef. 22,97 Cu(OH),.

E i n w i r k u n g von Na t ron lauge auf permutoid v e r k u p f e r t e Cellulose.

0,1302 g permutoide Cupri-cellulose rnit 46,5 Proc. Cu(OH), wurde im N,-Strom auf dem Schott-Tiegel mit 10 ccm 1n-NaOH behandelt, abgesaugt und die anhaftende Lauge mit Isopropanol ausgewaschen. Nach 6-maligem Wmchen wurde das Filtrat durch Phenolphtalein nicht mehr gerotet. Das getrocknete Praparat wog 0,1595 g, woraus sich ein Gehalt von 19,44 Proc. NaOH errechnet. - Das Filtrat der NaOH- Behandlung verbrauchte 0,18 ccm 0,l n-Na$,O,, entsprechend 0,0017 g herausgeltistes Cu(OH),.

E i n w i r k u n g von B a r y t l a u g e auf permutoid v e r k u p f e r t e Cellulose.

0,1056 g permutoide Cupri-cellulose mit 46,5 Roc. Cu(OH), wurde auf gewogenem Sc hott-Tiegel im N,-Strom mit 20 ccm gesiittigter Barytlosung behandelt , abgesaugt und das iiberschiissige Ba(OH), rnit Methanol herausgewaschen. Nach 3-maligem Waschen war im Filtrat die Probe auf Ba" negativ. Das absolut getrocknete Produkt wog 0,1383 g, woraus sich ein Gehalt von 24,29 Roc. Ba(OH), errechnet. 0,1383 g Subst. gaben 0,0451 g BaSO, . . . . entspr. 23,9 o/o Ba(OH), 0,1383 g Subst. gaben 0,0559 g Cellulose . . entspr. 40,42 0.1483 g Subst. verbr. 4,81 ccm 0,l n-Na.&O, entspr. 33,59

Cellulose Cu(OH), .


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