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Festschrift anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des BLLV

Aufbrechen - Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des BLLV

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Die Festschrift erzählt die bewegte Geschichte des BLLV von seiner Gründung im Jahr 1861 bis 2011. Parallel zur Verbandshistorie werden auch Meilensteine der deutschen und bayerischen Geschichte schlaglichtartig beleuchtet. So lässt die Festschrift ein Stück Vergangenheit wieder lebendig werden.

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Festschrift anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des BLLV

Page 2: Aufbrechen - Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des BLLV

Herausgeber:Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV)Bavariaring 3780336 München

Redaktion: Dieter Reithmeier

Text Geschichte des BLLV: Dieter Reithmeier

Grafik:creativ3 werbeagentur gmbh

Fotos: BLLV, Studio Roeder

Druck: OrtmannTe@m Ainring

2. erweiterte Auflage

Impressum

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Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband

Festschrift anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des BLLV

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Klaus WenzelAufbrechen – 150 Jahre für Bildung als Menschenrecht // 6

Dr. h. c. Albin DannhäuserUmbruch der Gesellschaft – Aufbruch als moderner Gesamtverband // 10

Dr. h. c. Wilhelm EbertAufbruch zur Demokratie – der Wiederaufbau des BLLV nach 1945 // 12

Dr. Ludwig Spaenle // 14Geschichte und Verantwortung

Karl HeißAufruf zur Gründung eines „Bayerischen Lehrervereins“ // 24

Die Gründungsversammlung im historischen Reichssaal zu Regensburg // 26

Eröffnungsrede des Achdorfer Volksschullehrers Karl Heiß // 32

Aufbruch – Widerstand – StärkeDie Geschichte des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes // 38

Max LiedtkeDie Bedeutung des BLLV in der Bayerischen Bildungsgeschichte // 72

Inhalt

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Als sich am 27. Dezember 1861 annähernd 200 Lehrer anschickten, in Regensburg den Bayerischen Lehrerverein zu gründen, lagen schon 40 Jahre des Kampfes für eine ge-meinsame Selbsthilfeorganisation hinter ihnen. Einige der Gründungsmitglieder erinnerten sich noch daran, dass schon 1823 in Nürnberg Johann Konrad Grißhammer einen ersten Versuch unternommen hatte, einen überkonfessionellen „Allgemeinen Lehrerverein für Baiern“ aus der Taufe zu heben, der aber zehn Jahre später wieder verboten wurde. Andere der 1861 in Regensburg Anwesenden waren selbst dabei gewesen, als 1848 in Schwa-bach in den kurzen Jahren des freiheitlichen Aufbruchs, der als Vormärz bezeichnet wird, erneut ein Anlauf zu einer Vereinsgründung genommen wurde. 180 Lehrer beauftragten auf dieser Versammlung den Nürnberger Lehrerverein, einen „Zentral-Volksschullehrer-verein“ zu gründen, der die bereits existierenden 35 Ortsvereine von Lehrern in Bayern zusammenführen sollte. Bereits 1849 aber gab es obrigkeitliche Androhungen von Dienstentlassungen. Später wurden tatsächlich Entlassungen von Lehrervereinsmit- gliedern ausgesprochen, lokale Mitgliedsvereine verboten und Gefängnisstrafen verhängt. Weil der Zentral-Volksschullehrerverein sich auf seiner Versammlung am 22. Juni 1850 u. a. mit dem Verhältnis von Staat, Kirche und Schule auseinandersetzen wollte, wurde er am 4. Juni 1850 kurzerhand als politischer Verein klassifiziert und aufgelöst. Die Zeichen standen auf Restauration, denn es war „politischen Vereinen und solchen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen“ verboten, „sich mit anderen solchen Vereinen zu einem gegliederten Ganzen zu vereinen“.

Die Gründung1861 nun war die Stunde gekommen – die Stunde zu einem neuen AUFBRUCH. Zwei Verbote lagen zurück, aber die Idee der Bildung und des Zusammenhalts aller Lehrer war stärker. Dem ambitionierten niederbayerischen Volksschullehrer Karl Heiß ist dieser neue Aufbruch zu verdanken. Dazu gehörte nicht nur besonderer Mut, sondern auch eine tragfähige, ausgereifte pädagogische und professionelle Vision. Im Rückblick wirkt es wie klug vorbereitet: Heiß hatte im Jahr 1860, als der Herausgeber und Chefredakteur der „Bayerischen Schulzeitung“ Michael Oechsner Publikationsverbot erhielt, die Redaktion der Zeitschrift, die in keinem Lehrerhaushalt fehlte, übernommen. Dort veröffentlichte er im August 1861 den Gründungsaufruf. Dass er auf der Regensburger Gründungsver-sammlung dann zum 1. Vorsitzenden gewählt wurde, war folgerichtig.

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150 Jahre für bIldung als menschenrecht

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Die Vorbereitungszeit von 1860 bis 1861 ist auch im historischen Rückblick mit ganzen 20 Monaten sehr kurz. Das heißt, die Zeit war reif. Es gab bereits zahlreiche örtliche Zusammenschlüsse, die sich nach einem überregionalen Zusammenschluss sehnten. Sie waren die Ansprechpartner von Heiß. Diese Ortsvereine waren gut organisiert und entsandten ihre in Mitgliederversammlungen gewählten Bevollmächtigten im Dezember 1861nach Regensburg. Der Erfolg der dritten Gründung war durchschlagend. Innerhalb von nur zehn Jahren war die Mitgliederzahl bereits auf über 5 000 angewachsen.

Die VisionWenn wir heute zurückblicken, dann stellt sich die Frage, was den Kern dieser Organisation ausmacht, die heute mit über 55 000 Mitgliedern aus allen Schularten und zahlreichen Lehr-amtsstudenten und Pensionisten so großen Zuspruch findet. Hierzu empfiehlt es sich, die Antrittsrede von Karl Heiß zu lesen, die aus diesem Grunde in dieser Festschrift abgedruckt ist. Mit der damals dringend notwendigen Vorsicht und Zurückhaltung – die Versammlung wurde genau beobachtet und ein erneutes Verbot musste dringend verhindert werden – sind wichtige Teile des Selbstverständnisses des BLLV bereits angesprochen.

Bildung ist nicht teilbar. Die Bildung aller jungen Menschen sollte die zentrale Aufgabe der Lehrerschaft und des BLLV sein: „Wir glauben ganz sicher, dass die Erziehung und Veredlung des Menschen eine gemeinsame Sache und unter allen Bestrebungen des menschlichen Geistes den ersten Rang einnehmen werde“, sagte Heiß. Der Vorrang der Bildung aller jungen Menschen ohne soziale Differenzierung und Ausgrenzung ist unser Bestreben bis heute. Wenn eine Schule oder ein Schulsystem Kinder sozial ausgrenzt, stehen wir dagegen auf. In diesem Sinne muss Bildung die Gesellschaft zusammenführen und zu gegenseitigem Respekt und Anerkennung bereits unter den Kindern führen.

Die Lehrerschaft hat eine gemeinsame Aufgabe über Konfessionen und Schularten hin-weg. Heiß umschreibt dies noch ganz vorsichtig: „Als eine bedauernswerte Erscheinung muss auch angesehen werden, dass zwischen uns und dem Stande, welcher doch in Bezug auf seinen Beruf uns so nahe steht, im Allgemeinen wenigstens eine große Kluft besteht, wie sie wohl in keinem andern Lande vorkommen dürfte.“ Das Miteinander aller Pädagogen und Lehrer wünscht er sich ausdrücklich, auch wenn dies zu seiner Zeit noch sehr vermessen klang.

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150 Jahre für bIldung als menschenrecht

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Heiß lädt alle ein – auch die Lehrer an Gymnasien und an den Oberrealschulen – die Visi-on der Bildung als ein zentrales Menschenrecht gemeinsam Wirklichkeit werden zu lassen und zwar einer ganzheitlichen Bildung, nicht nur der wissenschaftlichen. Zu diesem Mitei-nander gehörte damals auch, dass der BLLV von der Stunde seiner Gründung an alle Kollegen in seinen Reihen aufnahm, unabhängig davon ob sie evangelisch, katholisch oder „israelitisch“ waren – ein Fakt, der über Jahrzehnte zu den heftigsten Anfeindungen führte. Der Glaube an ein gemeinsames Professions- und Berufsverständnis aller Lehrer prägt heute mehr denn je die Arbeit des BLLV, denn angesichts der radikalen gesellschaft-lichen Veränderungen, mit denen wir konfrontiert sind, sind unterschiedliche Professions-verständnisse anachronistisch und überholt.

Lehrer sind die Experten in der Schule. Ihnen gebührt deshalb Respekt und Anerken-nung. Der BLLV glaubt an die Würde und die Kompetenz der Praxis. Lehrer stehen in einer besonderen Verantwortung. Dazu gehört auch, dass sie in vielen Fragen der Schul-gestaltung und der Schulentwicklung selbst entscheiden können müssen. Von Anfang an war das Thema der Eigenverantwortung und der Mitgestaltung ein zentrales Thema des BLLV. Karl Heiß prangert einen Missstand an, der auch heute noch zu beobachten ist: „Man möchte wohl sagen, dass sich zu viele um die Schule bekümmern; denn fast alles glaubt sich berufen, der Schule und dem Lehrer zu diktieren und jeder will die Schule nach seiner Facon haben.“ Konkret fordert er dann: „Freilich ist notwendig, dass die Volksschule einige Selbstständigkeit erhalte, dass besonders die Lehrorgane in der Ausübung ihres Amtes gleich andern Ständen gesetzlich geschützt werden“. Darüber hinaus fordert er eine bessere Ausbildung, und von den Kollegen selbst kontinuierliche Fortbildung, hohes Verantwortungsbewusstsein und ein durchaus selbstkritisches Professionsverständnis.

Der AuftragDer BLLV definiert sich aus der Vision einer Bildung für alle und eines gemeinsamen Professionsverständnisses aller Lehrer. Die Geschichte des BLLV zeigt, dass dieses Ziel zeitlos ist. Es muss immer wieder bewusst gemacht, aber auch immer wieder neu defi-niert, mit konkretem Inhalt gefüllt und erkämpft werden.

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Der BLLV hat mit Ausnahme seiner dunklen Geschichte im Nazideutschland immer seine Unabhängigkeit gewahrt – von gesellschaftlichen Interessengruppen, von den Kirchen und von den Regierungen. Unabhängigkeit darf nicht Überheblichkeit heißen, sondern erfordert Dialogbereitschaft mit allen und konstruktive Teilnahme am öffentlichen Diskurs über Schule und Bildung. Wir werben bei Politikern, Eltern, in der Öffentlichkeit und auch in den eigenen Reihen für unsere Überzeugungen und für unsere Vision. Und wir hoffen, möglichst viele Menschen und Entscheidungsträger in unserer Gesellschaft dafür zu be-geistern und sich mit uns dafür einzusetzen.

Karl Heiß und seine Mitstreiter haben Geschichte geschrieben, die bis heute ausstrahlt. Ge-nerationen von Lehrern und Lehrerinnen in Bayern war der BLLV berufspolitische, berufs-wissenschaftliche und kollegiale Heimat. Karl Heiß und seine Mitstreiter haben uns im BLLV ein großes Erbe hinterlassen: unabhängig und selbstkritisch unsere Aufgabe als eine der wichtigsten Berufsgruppen in unserer Gesellschaft zu erfüllen und dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, dass wir für die Zukunft der Gesellschaft eine große Verantwortung tragen.

Im Jahr der 150-Jahr-Feiern des BLLV wollen wir uns stolz an die faszinierende Geschich-te des BLLV erinnern und mutig die großen Herausforderungen der Zukunft annehmen.

Klaus WenzelPräsident des BLLV seit 2007

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Die Vision des BLLV von einem demokratischen, leistungsfähigen und sozial gerechten Bildungswesen gewann in den letzten drei Jahrzehnten eine neue Dimension. Sie war und ist vor allem herausgefordert durch einen epochalen gesellschaftlichen Umbruch, durch die digitale Informationsexplosion und den globalen Wettbewerb. Allerdings sahen wir uns konfrontiert mit übermächtigen Kräften der strukturellen Restauration, mit rück-läufigen Bildungsfinanzen und mit der Bedrohung der Professionalität und des Status der Lehrerinnen und Lehrer.

Deshalb leistete der BLLV durch neue Wirkungsformen offensive Aufklärungs arbeit und erhöhte den öffentlichen Druck, z. B. durch kritische bildungspolitische Foren, durch die Mobilisierung der Kollegen und Kolleginnen, der BLLV-Kreis- und Bezirksverbände und der Eltern durch bisher nie erreichte Massen petitionen mit über 100 000 Unterschriften, durch machtvolle Großdemonstrationen mit bis zu 15 000 Teilnehmern, durch die Grün-dung des breiten Bildungsbündnisses Forum Bildungspolitik in Bayern. Damit gelang es, die Blockade in der Bildungsfinanzierung wenigstens aufzubrechen – wenngleich Bayern im internationalen Vergleich zu den PISA-Spitzenländern immer noch weit zurückliegt.

Nicht gelungen ist dagegen ein innovativer Schub in der Schulpolitik, wie er sich nach der wiedergewonnenen Einheit Deutschlands durch die Neugestaltung des Schulwesens in den neuen Bundesländern aufgedrängt hätte. Im Gegenteil: In Bayern wurde die Restau-ration der Schulstrukturen verschärft. Deshalb sah sich der BLLV zu einem Schulvolks -begehren gezwungen. Dieses verfehlte zwar die erforderliche Mehrheit, aber die pädago gi-schen und schulpolitischen Warnungen des BLLV wurden zwischenzeitlich in fataler Weise bestätigt. Darüber hinaus hat der BLLV als unabhängige und selbstbewusste Bildungs-organisation an Überzeugungskraft gewonnen, mit der er seine Vision eines sozial gerech-ten und regional stimmigen Schulwesens weiter vorantreiben kann.

umbruch der gesellschaft –

aufbruch als moderner gesamtverband

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Um die Zukunftsfähigkeit des BLLV zu sichern, öffnete er sich als Gesamtverband für alle Lehrämter und Erziehergruppen. Er entwickelte ein modernes Erscheinungsbild, ein professionelles Management und neue Dienstleistungssegmente für seine Mitglieder: Er pflegt zeitgerechte, interaktive Formen der digitalen Information und Kommunikation. Er verstärkte Beratung und Rechtsschutz, gründete eine eigene Fortbildungsakademie – auch zur Schulung seines Verbandsnachwuchses. Er unterhält ein exklusives Institut für Gesundheit in pädagogischen Berufen und verfügt über einen leistungsfähigen Wirt-schafts- und Reisedienst. Seiner besonderen sozialen Verantwortung wird er durch ein international tätiges Kinderhilfswerk gerecht.

Mit berechtigtem Stolz darf ich feststellen: Als mitgliederstärkste Bildungs- und Berufs-organisation überzeugt der BLLV durch Kompetenz, Unabhängigkeit und Solidarität. Es ist mir eine Ehre, dass auch ich dazu beitragen durfte.

Dr. h. c. Albin DannhäuserEhrenpräsidentPräsident des BLLV von 1984 bis 2007

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Meiner Generation war es aufgetragen, nach dem 2. Weltkrieg den Weg aus der Dik-tatur des Dritten Reiches in die neue Demokratie und die Öffnung zu den Ländern der „freien Welt“ zu bahnen.

Die Kämpfe um die Lösung schulpolitischer Nöte ließen Alt und Jung zusammenwach-sen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die Eingliederung der Flüchtlings- und heimatvertriebenen Lehrer und Lehrerinnen eine wichtige kollegiale Herausforderung.

Hilfreich für den BLLV waren anfänglich die Forderungen der Erziehungsabteilung der amerikanischen Besatzungsmacht, die unseren eigenen entsprachen. Jedoch blieb die Schulpolitik der 50er bis zum Ende der 60er Jahre geprägt vom Kampf zwischen eman-zipatorischen und politisch beharrenden Kräften. Die Trennung der Schüler und Lehrer nach Konfessionen wurde neu etabliert und verfestigt.

1954 gelang es mir, mit der außerparlamentarischen Kraft des BLLV, dass eine bay-erische Regierung gebildet wurde auf der Grundlage unserer bildungspolitischen For-derungen. In den Jahren dieser Viererkoalition (ohne CSU) von 1954-1957 veränderte sich das Verständnis für eine zukunftsorientierte Schule in den Parteien und relevan-ten Gruppen der Öffentlichkeit. Unser Verband wurde zu einem anerkannten und nicht (mehr) zu vernachlässigenden bildungspolitischen Faktor.

Unter Einsatz seiner berufswissenschaftlichen Autorität und seines gewachsenen bil-dungspolitischen Gewichts kämpfte der BLLV um die akademische Bildung von Volks-schullehrern und -lehrerinnen. In einem historischen Durchbruch wurde vom Landtag 1958 einstimmig ein Lehrerbildungsgesetz verabschiedet, mit dem ein Jahrhundert ständischer Diskriminierung endete.

Nach zehn Jahren weiteren Ringens wurde 1968 mit einem wesentlich vom BLLV ini-tiierten Text über einen Volksentscheid die Bayerische Verfassung geändert. Der BLLV erreichte damit die Abschaffung der strikt nach Konfessionen getrennten staatlichen Bekenntnisschulen zu Gunsten einer für alle Schüler und Lehrer gemeinsamen „Christ-lichen Schule“.

aufbruch zur demokratIe –

der wIederaufbau des bllv nach 1945

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Um den gesellschaftlichen Status des BLLV zu erhalten und zu steigern, hatte ich 1959 eine Professionalisierung der BLLV-Führungsstruktur mit hauptamtlichen Mitarbeitern initiiert. Meine Nachfolger haben jeder auf seine Weise die Bedeutung des BLLV als Bildungsverband, der die historisch überholte Aufteilung in schulartspezifische Interes-sen überwunden hat, gestärkt und ausgebaut.

Die weitere Zunahme an Mitgliedern und öffentlicher Bedeutung des BLLV erfüllt mich mit großer Zufriedenheit. Stolz bin ich auch, dass der BLLV entgegen mancher politischer Versuchungen und interner Bestrebungen seinen Grundprinzipien treu geblieben ist, allen voran seiner Unabhängigkeit von Parteien, Kirchen und bildungsfremden Einflüssen.

Vor 50 Jahren hatte ich das Privileg, als Erster Vorsitzender im Regensburger Reichssaal die 100-Jahr-Feier des BLLV mitzugestalten. In dankbarer Freude auch die 150-Jahr-Feier noch zu erleben, gratuliere ich zu diesem Jubiläum und wünsche dem BLLV weiterhin reichen Erfolg.

Dr. h. c. Wilhelm EbertEhrenpräsidentPräsident des BLLV von 1955 bis 1962 und von 1967 bis 1984

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Dr. Ludwig Spaenle

150 Jahre Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband – dieses Jubiläum bezeich-net einen Zeitraum, der zwei Jahrhundertwenden überspannt. Ich freue mich, dieses besondere Jubiläum im Kontext der reichen Zeit-, Bildungs- und Verbandsgeschichte des BLLV zu würdigen, was mir als Historiker nahe und besonders am Herzen liegt. Geschichte ist nichts Abgelegtes unter Staub und Spinnweben im Antiquitätenladen fernab unserer heutigen Verhältnisse. Geschichte ist mit dem niederländischen Historiker Johan Huizinga die Rechenschaftsablage von uns Gegenwärtigen über die Bedingungen des Gewordenen – und zwar in einem durchaus grundsätzlich wertenden Sinn. Es geht um Verantwortung, um Einsichten aus der Vergangenheit für eine humane Zukunft.

Ursprünge des BLLV

Wenn der BLLV seines 150-jährigen Bestehens und damit auch seiner Anfänge zu Be-ginn der 60er Jahre des vorletzten Jahrhunderts gedenkt, dann richten sich die Blicke über einen langen Zeitraum zurück. Wir fokussieren eine Welt, die zunächst von unserer heutigen ganz verschieden anmutet, die aber zugleich durch erstaunliche Analogien ge-kennzeichnet ist:

Zum einen haben wir es mit einer Welt grundlegender technisch-ökonomischer •Umstellungen zu tun. Das Stichwort „Industrielle Revolution“ bezeichnet durchaus zutreffend das damalige Aufbrechen bisheriger agrarisch-ständischer Verhältnisse.

Hinzu kommt die Veränderung der politischen Umstände: Die Anfänge des BLLV – •damals noch BLV, Bayerischer Lehrerverein – fallen in eine Zeit vielfacher Gründun-gen von Verbänden, aber auch von Vereinen und Gesellschaften, ob Turner, Feu-erwehren oder Sänger. Auch und gerade im monarchischen und alles andere als bereits demokratischen Staat entwickelt sich so etwas wie eine Bürgergesellschaft.

geschIchte und verantwortung

zum JubIläum des bllv

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Zugleich geht es um die Legitimation des Staates selbst: Es wird nicht nur um •Verfassungsordnungen, um Wahlrecht und Partizipation gerungen, es entstehen zudem Fraktionen und Parteien.

Es geht auch um die Frage der Rückbindung, manche würden auch sagen Abhängig- •keit, von Staat und Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu religiösen Überzeugungen und religiösen Bekenntnissen. Einer liberalen, sich als aufgeklärt verstehenden Grundrich-tung steht eine nach dem Zeitalter der Französischen Revolution durchaus erstarkte, sehr unmittelbare Volksfrömmigkeit gegenüber, wie sie der lange in München lehrende Historiker Franz Schnabel in seiner Deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts anschaulich darstellte. Die Reichsgründung von 1871 ist sozusagen der deutlichs-te Ausdruck dieses Spannungsverhältnisses – im Übrigen aber keineswegs nur auf deutschem Boden, sondern als damalige Tendenz in großen Teilen Europas, in Italien etwa in der Auseinandersetzung zwischen dem neuen italienischen Nationalstaat und dem Heiligen Stuhl. Besonders militant begegnet er uns in Frankreich, wo sich dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts der laizistische Staat mit voller Vehemenz durchsetzt, die Trennung von Staat und Kirche in rigider Weise kodifiziert. Und auch hier spie-len Schule und Lehrer eine besondere Rolle: Die dritte französische Republik wertet nach der Niederlage von 1871 gegen Preußen-Deutschland sehr bewusst die Rolle von Schule und Lehrer auf, in Lehrerbildung, -besoldung und Identität des pädago-gischen Berufes, um die Modernisierung der eigenen Gesellschaft wie insbesondere ihre Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu befördern.

Der Kampf um die Befreiung des Schulwesens und zumal der Lehrerschaft von Bevor-mundung und um ihre berufliche wie intellektuelle Aufwertung ist somit, bei unterschied-lichen Schwerpunkten wie Anlässen, damals geradezu ein europäischer Kampf.

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Die Gründung des BLV fällt also in eine Zeit vielfacher Gärungen und Umbrüche. Dass der Bestand von Staat und Gesellschaft in existenzieller Weise von Bildungspolitik und Bildungswesen abhängt, wird während des 19. Jahrhunderts zum Allgemeingut – nicht nur, weil die Industrielle Revolution Kompetenzerfordernisse stellt, die es so vorher nicht gab. Es geht auch, viel elementarer, darum, von Unmündigkeit zu Mündigkeit zu gelan-gen, höhere Bildungsstandards für alle Menschen und in allen Regionen durchzusetzen und, wenn auch gewiss nicht schon in unserem heutigen ausgeformten Verständnis, auch Staatsbürger heranzubilden.

Das Bayern der sechziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts ist ja bereits seit 1818 ein Verfassungsstaat, ein Staat, der den politischen Diskurs und den politischen Wett-bewerb kennt. Und es ist ein Staat, der sich zwar anders, aber durchaus auf ähnliche Weise wie heute, selbst im Wettbewerb befindet: Fünf Jahre später, im Juli 1866, findet der letzte innerdeutsche Krieg statt: die Auseinandersetzung zwischen Preußen auf der einen und Österreich mit seinen Verbündeten, darunter Bayern, auf der anderen Seite. Es ging um die Frage, wie und mit wem eine künftige deutsche Einheit zu erreichen sei. Das Sprichwort sagt, Preußen habe den Erfolg weniger seiner militärisch wichtigsten In-novation, dem sogenannten Zündnadelgewehr, zu verdanken gehabt, sondern – gesell-schaftspolitisch – dem preußischen Volksschullehrer bzw. „Schulmeister“ in der Diktion von damals. Denn durch ihn seien die mobilisierten Wehrpflichtigen zu eigenständigem, verantwortungsbewusstem wie effizientem Handeln fähig gewesen – Kompetenzen, die heute gewiss nicht minder nachgefragt sind. Ob die Preußen damals den Österreichern in dieser Hinsicht tatsächlich deutlich voraus waren, sei dahingestellt. Das Beispiel zeigt aber jedenfalls, wie wichtig der Erfolg des Bildungswesens für den Erfolg von Staaten und Gesellschaften insgesamt ist und dass sich dafür jegliche Investition lohnt; und diese Erkenntnis ist unbestreitbar dauerhaft gültig.

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Bei allen einschneidenden Wandlungen der Gesellschaft im 19. Jahrhundert: Sie war noch eine Klassengesellschaft. Der Volksschullehrer war kein Akademiker. Er war damit nicht – was damals unerhört viel zählte – „satisfaktionsfähig“, also würdig genug, um zum Duell gefordert zu werden oder selbst zu fordern. Auch diese aus heutiger Sicht Skurrilität einer militanten Männergesellschaft zeigt im übrigen, wie grundlegend sich unsere Gesellschaft geändert hat. Ausbildung und Bezahlung des sogenannten Volks-schullehrerstandes lagen damals weit zurück. Dazu wurde die kirchliche Schulaufsicht, die es bis zum Ende der Monarchie gab, als Fremdbestimmung empfunden.

Die bayerischen Volksschullehrer hatten also viele gute Gründe, sich vor 150 Jahren eine neue und schlagkräftige organisatorische Plattform zu schaffen. Und wenn man damals und heute vergleicht, so schwierig das eben auch ist, so lässt sich jedenfalls bilanzieren: Eine erfolgreichere Verbandsgründung dürfte es in der neueren bayerischen Geschichte schwerlich gegeben haben!

Zur Geschichte des Bildungswesens bis zur Wiedergründung des BLV 1946

Umgekehrt lässt sich heute sagen und bilanzieren: Die bayerische Geschichte insge-samt findet gerade in der Geschichte des Bildungswesens, in den Wechselfällen von Fortschritt und Emanzipation auf der einen Seite, aber auch von Niedergang und totali-tärer Zerstörung auf der anderen ihren besonders signifikanten Niederschlag. Zentrale Entwicklungen wie die Umformung des Staates, die Notwendigkeit inhaltlicher wie formaler Höherqualifizierung, die revolutionär gewandelte Rolle der Frau, die stete Weiterentwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses und schließlich die Transzendierung nationaler Grenzen durch europäische Integration wie Globalisierung: Diese beherr-schenden säkularen Trends haben das Bildungswesen geprägt und umgekehrt. Und sie haben zugleich das jeweilige Bild von Schüler und Lehrer wesentlich beeinflusst.

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Durch den nationalsozialistischen Staatsstreich vom 9. März 1933 wurde Bayern für über 12 Jahre seiner Eigenstaatlichkeit beraubt. Die Gleichschaltung der Länder bedeu-tete nicht zuletzt eine Gleichschaltung ihrer Bildungspolitiken. Deutschland war nie so zentralisiert wie in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur von 1933 bis 1945. Der nationalsozialistische Unitarismus vermittelte in seiner Bildungspolitik flächendeckend den Ungeist von Gottlosigkeit, von Antisemitismus und Rassenwahn, von Geopolitik und von Imperialismus. Reflexion und kritisches Denken, heute zentrale Bildungsziele, soll-ten möglichst unterbunden werden – Ausdruck eines auch bildungspolitischen Totalita-rismus. Und in dieses Bild gehört auch, dass es für Vielfalt, Pluralität und eigenständige Interessenwahrnehmung keinen Platz mehr geben durfte:

Auch der BLV verlor seine Eigenständigkeit. Ideologisch war naturgemäß der „Natio-nalsozialistische Lehrerbund“ (NSLB) Partner, ja Bestandteil des Regimes, in dessen unmittelbarer „Gefolgschaft“, so die Sprache des sogenannten Dritten Reiches – unter der Führung des braunen Musterpädagogen, Gauleiters („Gau Bayerische Ostmark“ aus Oberfranken und der Oberpfalz) und schließlich seit März 1933 Bayerischen Kul-tusministers Hans Schemm. Der BLV wurde am 1. Juli 1934 korporativ der „Abteilung Wirtschaft und Recht“ im NSLB angefügt, sein weithin nur noch formales Eigenleben endete mit Wirkung vom 31. Dezember 1937. Die Lehrer selbst wurden Reichsbeamte, die Volksschullehrer dabei auf dem Besoldungsniveau des gehobenen Dienstes. Von einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung blieb man weiter entfernt denn je.

Ein Höhepunkt der Selbstvergötzung des Regimes war die Entfernung der Kruzifixe aus den Klassenzimmern im Jahr 1941. Viele jetzt Hochbetagte in unserem Land erinnern sich heute noch daran. Gegen keine Maßnahme des Regimes im Bildungsbereich gab es soviel Widerspruch, Resistenz, ja Widerstand wie eben gegen dieses Vorgehen. Es konnte und sollte vor allem symbolisieren: Der Mensch als Wesen mit eigener Persona-lität, mit einer Rückbindung an eine transzendente Dimension, hatte aus dem Bewusst-sein zu verschwinden. Totalitäre Allmachtsphantasien können keinen Raum für sittliche wie intellektuelle Autonomie dulden.

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Umgekehrt liegt in dieser fundamentalen Erkenntnis zugleich die stete Mahnung an jede Bildungspolitik, die sich in einem sittlichen Bezugsrahmen sieht, die Würde wie die Personalität des Menschen an die erste Stelle zu setzen. Das heißt zugleich: Der Res-pekt vor dem Menschen steht vor dem Zweck, vor der Rolle und vor der Funktion. Der Mensch ist nicht Objekt, im übrigen auch nicht für ökonomische Zwecke – woran man heute in Zeiten unentwegt beschworener, manchmal wie zum Mantra erhobener Globa-lisierung sehr nachhaltig erinnern muss – sondern seine Würde und seine Individualität gehen jeder Zweckbestimmung voraus. So verbietet sich etwa, wenn Sie mir diesen auf unsere Gegenwart bezogenen Hinweis gestatten, ein Begriff wie „Humankapital“ ethisch eigentlich wie von selbst. Humanität, Rechtlichkeit und Demokratie setzen zwingend diese Einsichten voraus – auch und vor allem als dauerhaft gültige Voraus-setzungen des verfassungsmäßigen und politischen Neubeginns nach 1945.

Leistungen des Verbandes seit der Wiedergründung 1946

1946 erfolgte die Wiedergründung des BLV, der im Jahre 1951 in BLLV umbenannt wurde, nachdem bereits seit 1878 auch Lehrerinnen Mitglied werden konnten. Die bayerische Geschichte in der Nachkriegszeit ist, auch und gerade im innerdeut-schen Vergleich, weit überdurchschnittlich eine Modernisierungsgeschichte. Es geht vor allem um

eine sogenannte überholende Modernisierung. Sie machte aus einem im innerdeut- •schen Vergleich zurückliegenden Agrarland ein Land neuester Industrien auf hohem For-schungsniveau – gewissermaßen an den alten, schwerindustriellen Revieren an Rhein, Ruhr und Saar vorbei: Wenn Sie so wollen „High Tech“ statt rauchender Schlote; die Entwicklung eines spezifisch bayerischen Staats- und Gesellschafts- •modells, das auf dem Zusammenhang von Modernität und Identität gründet und das viel zur gesellschaftlichen Stabilität wie Prosperität unseres Landes bis in die Gegen-wart – und hoffentlich auch in die Zukunft – beigetragen hat.

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Eine der wichtigsten Voraussetzungen waren und sind die gravierenden Innovationen, die das bayerische Bildungswesen in den bislang rund zwei Generationen Nachkriegs-geschichte unseres Landes erfuhr. Diese bayerische Bildungsgeschichte ist keine Harmoniegeschichte gewesen und sie wird es vermutlich auch in Zukunft nicht sein können. Sie präsentiert sich vielmehr in mehrfacher Hinsicht auch als demokratische Streitgeschichte. Insofern sehe ich hier aber ein positives Moment: Der lösungsorientierte Konflikt ist in der Demokratie nicht etwa ungeliebt-unvermeidlich, nein, er ist innovativ, er mobilisiert intellektuelle Potentiale und er legitimiert die Entscheidungen, die am Ende getroffen werden. Auf dieser langen Wegstrecke war der BLLV in dieser bayerischen Bildungs- wie in der bayerischen Lan-desgeschichte insgesamt ein ganz wesentlicher Akteur – und es spricht alles dafür, dass sich daran auch in der Zukunft nichts ändern wird. Eine der essentiellen Voraussetzungen war – und bleibt – seine parteipolitische Unab-hängigkeit. Das heißt zugleich gewiss nicht, dass er gerade nach seinem Selbstver-ständnis nicht in den bildungs- und gesellschaftspolitischen Konflikten der Zeit Partei ergriffen hätte und ergreift.

Lassen Sie mich an einem Beispiel zeigen, dass auf sehr indirekte Weise, meine eigene Partei, die CSU, davon vermutlich sogar einmal wesentlich profitiert hat:Ausgangspunkt ist die sogenannte Viererkoalition in Bayern von 1954 bis 1957. Bei deren Gründung spielte – da sind sich die Historiker in allen Lagern einig – der dama-lige BLLV-Vorsitzende Wilhelm Ebert eine wesentliche, vielleicht entscheidende Rolle, insbesondere weil es ihm um die damals zentralen bildungspolitischen Anliegen ging, darunter an erster Stelle um die Weiterentwicklung der Lehrerbildung. Diese Koalition währte nur drei Jahre und danach gelangte eine regenerierte CSU wieder in die Regie-rungsverantwortung. Ihr erst gelang dann 1958 eine Neuregelung der Lehrerbildung mit an die Universitäten angebundenen pädagogischen Hochschulen. Im Übrigen zeigt das Beispiel auch, dass Modernisierung einen Prozess darstellt. Sie gelangt eben nie an ein definitives Ende. Der Status von 1958 ist selbstverständlich seit langem gewissermaßen aufgehobene Vergangenheit: Lehrerbildung als Teil des Universitätsprofils ist heute eine Selbstverständlichkeit.

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Die zweite große Zäsur bezeichnet eine Konstellation rund ein Jahrzehnt später. Ich meine die Auseinandersetzung um Konfessionsschule wie (christliche) Gemeinschafts-schule. Auch diese Auseinandersetzung der ausgehenden sechziger Jahre steht in einer langen Kontinuität bayerischer Geschichte über die Zäsur von 1918 hinweg: So war bereits 1869/70, also acht Jahre nach Gründung des BLV, der damalige bayerische Ministerpräsident Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst an einem Schulgesetz gescheitert, das die geistliche Schulaufsicht zurückführen sollte – gegenüber einer dezidiert katho-lisch-ländlichen Majorität nach Neuwahlen, der sogenannten „Patriotenpartei“, in der Zweiten Kammer des Bayerischen Landtages. Diese sehr spezifisch bayerische Mehr-heit begegnete dem damaligen liberalistischen Fortschrittsdenken der Ministerialbüro-kratie höchst misstrauisch – in Ludwig Thomas „Filserbriefen“ findet diese Konstellation ihre erheiternde, historisch aber zugleich wohlbegründete Fortführung. Ziemlich genau ein Jahrhundert später, 1968/69, war es vor allem der Kooperation zwischen dem damaligen BLLV-Präsidenten Wilhelm Ebert und Franz-Josef Strauß zu verdanken, dass der Streit um die Bekenntnisschule nicht in einem weiteren Kultur-kampf eskalierte, der die Atmosphäre im Lande hätte vergiften können. Statt einer sehr heftigen Auseinandersetzung zwischen SPD und FDP wie BLLV auf der einen und CSU wie weitgehend der Katholischen Kirche auf der anderen Seite gelang die Durchsetzung des Modells der christlichen Gemeinschaftsschule in einer Fassung für den Volksentscheid vom 7. Juli 1968, auf die sich schließlich die tragenden politischen Kräfte im Land verständigt hatten. Es war im übrigen eine Zeit, in der auf Bundesebene in einer Großen Koalition von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger mit Vizekanzler Willy Brandt gesamtgesellschaftliche sogenannte „konzertierte Aktionen“ – also kollektive Ab-stimmungsprozesse der in Staat und Gesellschaft verantwortlichen Kräfte – vielfach und erfolgreich praktiziert wurden.

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Innovation bedarf sowohl des demokratischen Streites wie auch des demokratischen Miteinanders. Franz Josef Strauß, Wilhelm Ebert und Hans Maier, letzterer von 1970 bis 1986 Mitglied der Bayerischen Staatsregierung, bildeten für die Folgezeit ein Trio, das die Bildungs- wie die Landespolitik nicht selten streitig, aber eben auch effizient und bei allen Beteiligten engagiert prägte: Hans Maier schreibt in seinen im Frühjahr 2011 erschienenen Memoiren, dass Ebert einerseits Strauß mit Unterlagen über eine angeb-lich zu rigide, ja disziplinierende Personalpolitik des Kultusministeriums gegenüber der Lehrerschaft versorgte, was im Ministerrat mancherlei Ärger produzierte.

Dagegen verbündete Maier sich dann mit der CSU-Landtagsfraktion – insgesamt be-merkenswerte und auch sehr bayerisch-saftige Bündnisstrukturen. Zugleich aber gab Ebert zu Maiers Ausscheiden aus der Staatsregierung 1986 eigens einen Empfang – gewiss, um Verbundenheit gegenüber der großen gemeinsamen Sache und, mit Noblesse, Respekt vor dem Menschen zu bekunden, bei allen Divergenzen in Sach-problemen – so soll es sein.

Im BLLV folgte dann die Ära Dannhäuser von 1984 bis 2007. Ebert und Dannhäuser waren auf ihre je eigene Weise ungemein erfolgreich. Aber schon die Zeitumstände mach-ten es unvermeidlich, dass Inhalte und Vorgehensweisen sich deutlich unterschieden – Zunächst, auch noch im Schatten der Nachkriegszeit, die quantitativen Bedingungen wie Erfolge: Mehr Schüler, dafür mehr Lehrer. Seit Mitte der sechziger Jahre stand dies unter dem Primat einer sogenannten Mobilisierung von Bildungsreserven vor allem im ländlichen Raum. Hinzu kamen die Akademisierung des Lehrerberufs und seine Statusaufwertung. Hingegen die Agenda seit den neunziger Jahren: Wahrnehmung des demografischen Wandels, Migration, Relativierung nationaler Grenzen und zunehmende Internationalität als Referenzebene für Bildung und Bildungsevaluation, dazu die Revolution in Medien und Kommunikation.

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Die Tugend der Verantwortungsethik

Die Vergangenheit hält, zumal für unübersichtliche und schwierige Zeiten – ich nenne nur die Stichworte Migration und Globalisierung – keine Rezepte bereit, die sich schematisch anwenden ließen. Aber die Vergangenheit lehrt uns eben doch, welche Grundsätze und Verhaltensweisen unabdingbar sind, um ein Gemeinwesen verantwort-lich und human entwickeln zu können. Max Weber spricht in diesem Zusammenhang von der Tugend der „Verantwortungsethik“, also einer Haltung, die das sittlich Gebotene mit dem Machbaren vernünftig und vermit-telbar zusammenzubringen sucht, die also weder mit dem Kopf durch die Wand will noch standpunktlos-beliebig kurzfristigen und auch nur vermeintlichen Nutzen erstrebt.

Verantwortungsbewusstsein gepaart mit einem besonderen Selbstbewusstsein hat den BLLV über den Zeitraum von nunmehr fünf Generationen ausgezeichnet. Ich bin sicher, dass Bayern auch künftig auf dieses Kapital zu bauen vermag.

Dr. Ludwig Spaenle Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus

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Bayerische Schulzeitung 22. August 1861

Fast in den meisten deutschen Staaten bestehen schon Lehrervereine und es lässt sich nicht leugnen, dass sie sowohl zur Kräftigung des Lehrerstandes als auch zur Hebung der Volksschule ungemein viel beitragen; es ist ihnen auch rühmend nachzusagen, dass sie frei von Parteigetriebe eifrigst bestrebt sind, das vorgesteckte Ziel zu erreichen und dabei stets das intellektuelle und moralische Gedeihen der vaterländischen Jugend im Auge zu behalten.

Überall, wo solche Vereine existieren, bemerkt man ein reges und tätiges Leben unter der Lehrerwelt; man kann sich überzeugen, dass die Lehrer vom korporativen Geiste durchdrungen, ohne Ausnahme für das Interesse der Schule einstehen und wirklich Gro-ßes leisten. Es ist auch ganz natürlich, dass nur mit vereinter Kraft Großes erreicht und die einem Stande auferlegten Pflichten vollkommen erfüllt werden können. Mögen die einzelnen Glieder noch so tüchtig sein, erst durch die Vereinigung zu einem Ganzen, zu einem Körper wird es ihnen möglich, mit Heftigkeit aufzutreten und durch das harmonische Zusammenwirken das Gelingen des Werkes herbeizuführen. Andere Stände halten schon lange an dem Grundsatze „viribus unitis“ fest und mit dem besten Erfolge. Gestählt von Innen, sind sie geachtet von Außen und selbst die Regierungen berücksichtigen möglichst ihre wohl motivierten Anträge und Bitten. Wir erinnern hier nur an die Handelskammern, die Gewerbevereine, die Apotheker-Gremien, die agronomischen Vereine etc.

Sollen nun wir Lehrer immer und in Ewigkeit isoliert und ohne Vertretung bleiben; wir, die wir für eine höchst wichtige, auf das Volkswohl sehr großen Einfluss ausübende Sache – für die Volkserziehung einzustehen haben; wir, die wir nur durch gehobene Achtung mit Erfolg unserm Berufe uns widmen können und wir, die wir auf Grund unserer Praxis und Erfahrung ein nicht ganz zu ignorierendes Urteil abzugeben vermöchten! – Haben wir nicht gerade in der Gegenwart so recht das Bedürfnis nach Einigung gefühlt? Sollen wir nun nicht zur Realisierung eines bereits gehegten Wunsches schreiten?

aufruf zur gründung

eInes „bayerIschen lehrervereInes“

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Auf denn, teure Amtsbrüder, in allen Gauen unsers lieben Vaterlandes! Zeigt Euch als Männer, die für ihr Amt begeistert sind; gründet einen „Bayerischen Lehrerverein“, der frei von jeder politischen Tendenz nur das Wohl der Schule und der vaterländischen Jugend im Auge behält. Seid gewiss, dass Euer edles Streben vom herrlichsten Erfolge gekrönt sein wird, und dass Regierung und Volk mit Vertrauen auf Euch schauen werden, die Ihr es durch die Tat beweiset, dass Euch heilig Euer Beruf und dass Ihr mit ganzer Kraft ein-stehet für Volk, Thron und Altar!

Am 16. August 1861Kollegialen Handschlag!Die Redaktion der „Bayerischen Schulzeitung“Karl Heiß

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Die Versammlung bayerischer Schullehrer behufs der Gründung eines bayerischen Volksschullehrer-Vereines in Regensburg am 27. Dezember 1861 (Auszüge)

Wenn man teuere Freunde zur Ausführung eines wichtigen Werkes in die Ferne sendet, so ist man sehr gespannt auf deren Zurückkunft, und sind sie endlich wieder in der Heimat angelangt, so fallen Fragen auf Fragen und Alles möchte wissen, wie es gegangen und ob die Sache gelungen. Auch ich glaube schon die Frage so Vieler zu vernehmen: „Was ist denn in Regensburg alles geschehen?“

Nun, nur etwas Geduld, ich werde getreulich erzählen. Wenn ich mit dem Wetter beginne, so dürfen die lieben Leser nicht Wortarmut vermuten, oder glauben, ich werde wässerig, wie Knigge sagt; allein es waren eben gar so schöne Wintertage und die liebe Sonne schien so mild auf uns herab, als ob sie sich freute, dass auch wir uns einmal als Brüder begegnen wollen.

Die meisten von uns kamen schon Donnerstag, den 26. Dezember, in Regensburg an. Wir wurden von den dortigen Herren Kollegen und von denen in Stadtamhof in der herzlichsten Weise empfangen und freundlich in die Gasthöfe begleitet. Abends 7 Uhr trafen wir im kleinen Neuhaussaal zu einer Vorbesprechung zusammen.

Nachdem man sich gegenseitig begrüßt hatte, wobei es natürlich an freudigen Über-raschungen nicht fehlte, setzte ich in einer kurzen Anrede den Zweck der Vorberatung auseinander, bemerkte, dass zwei Statuten-Entwürfe für den bayerischen Volksschul-lehrer-Verein vorliegen und unter die Anwesenden verteilt werden, damit sie sich darüber schlüssig machen könnten, welcher von beiden bei der Hauptversammlung als Grund-lage zu dienen hätte, und hieß endlich die Versammelten herzlich willkommen. Hierauf ergriff Herr Lehrer Marschall das Wort, verbreitete sich über den von ihm angefertigten Statuten-Entwurf und legte der Versammlung an’s Herz, dem begonnenen Werke durch Eintracht die Krone aufzusetzen. Herr Lehrer Stöckl von Landsberg, der Verfasser des zweiten Statuten-Entwurfes, erklärte sodann, dass er, weil beide Entwürfe prinzipiell nicht weit von einander abweichen, den seinen zurückziehe, sich jedoch vorbehalte, bei der Hauptversammlung einige Modifikationen anzubringen. Hierauf beschloss die Ver-sammlung einstimmig, den Entwurf des Herrn Marschall als Grundlage bei der Haupt-Konferenz anzunehmen.

dIe gründungsversammlung

Im hIstorIschen reIchssaal zu regensburg

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Nun wurde zur Feststellung der Geschäftsordnung geschritten und beschlossen:1. Für die Hauptversammlung sind zwei Vorsitzende, zwei Schriftführer und

ein Beisitzer zu wählen. Die Wahl kann durch Akklamation geschehen.2. An den Beratungen können sich sämtliche anwesende Lehrer beteiligen;

beschlussfähig sind aber nur die Bevollmächtigten.3. Die Abstimmungen erfolgen durch Aufstehen und Sitzenbleiben; bei zweifelhafter

Gegenprobe oder bei wichtigen Fragen durch Namensaufruf oder Stimmzettel, je nach Entscheid des Vorsitzenden.

4. Darüber, welche Gegenstände zurückzustellen seien, wenn die Zeit zur Erledigung aller nicht ausreicht, entscheidet die Versammlung; die Reihenfolge der Gegenstände aber wird vom Präsidium festgesetzt.

5. Der Vorsitzende hat das Recht, einen Gegenstand zum Schluss zu bringen, wenn sich die Mehrzahl der Stimmberechtigten dafür ausspricht.

6. Der Vorsitzende erteilt das Wort nach der Reihenfolge der Anmeldungen.7. Derselbe hat das Recht einem Redner das Wort zu entziehen, wenn er vom Gegen-

stand abschweift, Ungehöriges vorbringt, oder zu viel Zeit für sich in Anspruch nimmt.

Bezüglich der Tagesordnung wurde festgesetzt:1. Beginn der Konferenz: 9 Uhr morgens2. Eröffnung der Versammlung durch einen Vortrag des Redakteurs der

Bayerischen Schulzeitung3. Wahl des Präsidiums4. Prüfung der Vollmachten5. Beratung und Beschlussfassung über den Statuten-Entwurf6. Wahl des Hauptausschusses7. Wahl des Vereinsorganes.8. Beratung über den Ort und die Zeit der nächsten 1. Hauptversammlung.

Nachdem somit die Aufgabe der Vorversammlung erfüllt war, verkehrten die Anwesenden in gemütlicher Weise noch einige Zeit und so gegen 11 Uhr trennte man sich, um der Ruhe zu pflegen, damit man den folgenden Tag mit neuer Kraft beginnen könne.

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Noch an diesem Abende wurden Einzeichnungsbogen sowohl für die Herren Bevollmäch-tigten als auch für die übrigen Herren Teilnehmer aufgelegt, um diese Verzeichnisse durch die Güte eines Regensburger Kollegen noch in der Nacht autographiert, so dass sie schon am andern Morgen in die Hände der Versammelten gegeben werden konnten.

Ein von Herrn Lehrer Stöckl in Landsberg entworfenes ausgeführtes und an diesem Abende zur Einsicht aufgelegtes Tableau erregte sowohl bezüglich dessen symbolischer Anord-nung als auch dessen herrlicher Vollendung allgemeine Bewunderung. In dasselbe werden die Namen der Herren Bevollmächtigten, als der Gründer des Vereines, aufgenommen. Das Original bleibt Vereinseigentum und in den Händen des jeweiligen 1. Vorstandes. Es wird dasselbe jedoch auch durch Farbendruck vervielfältigt und haben sich bereits schon viele der in Regensburg anwesenden Lehrer hierauf subskribiert. Es lässt sich auch nicht zweifeln, dass es bald in die Hände der zweiten Vereinsmitglieder übergeben wird, umso mehr der Preis bei großer Beteiligung sehr niedrig zu stehen kommt.

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Am Haupttage (27. Dez.) versammelten wir uns präzis 9 Uhr morgens in dem alten und ehrwürdigen Rathause der Stadt Regensburg, woselbst uns durch die Güte des hoch-löblichen Stadtmagistrates der sogenannte Lottosaal zu unserer Verhandlung eingeräumt wurde. Nachdem der Kommissär, der rechtskundige Magistratsrat Herr Mahr, erschienen war, eröffnete ich die Versammlung und sprach mich in einem längern Vortrage über den Zweck und das Ziel des zu gründenden Vereines aus.

Hierauf folgte die Wahl des Präsidiums. Zum 1. Vorsitzenden wurde der Berichterstatter, zum 2. Vorsitzenden Herrn Lehrer Wölfel in Nürnberg, zum 1. Schriftführer Herr Lehrer Marschall, Vertreter der Stadt Würzburg, zum 2. Schriftführer Herr Seminarlehrer Blum-berger in Freising und zum Beisitzer Herr Lehrer Sturm in Stadtamhof, sämtliche per Akklamation gewählt. Hierauf wurden die Vollmachten der Herren Bevollmächtigten durch das Präsidium geprüft und zu den Akten genommen.

Ehe zur Beratung der Statuten geschritten wurde, stellte der Vorsitzende die Frage an die Anwesenden: „Soll ein bayerischer Volksschullehrer-Verein gegründet werden?“ Ein ent-schiedenes „Ja“ tönte durch den ganzen Saal.

Sodann ging es an die Beratung der Statuten. Nachdem diese Beratung beendigt, schritt man zur Wahl des Hauptausschusses, welche statutengemäß auf der Hauptversammlung und zwar mittels Stimmenzettel und bei absoluter Mehrheit erfolgen muss.Nachdem der ganze Gang der Verhandlungen zu Protokoll konstatiert und dieses von den Mitgliedern des Präsidiums unterzeichnet worden war, erteilte der 1. Vorsitzende dem Rektor der Versammlung, Herrn Lehrer und Jubilarius Schultheiß in Nürnberg das Wort. Derselbe belobte die Versammlung wegen ihres parlamentarischen Taktes, äußerte seine Freude darüber, dass es ihm, dem 78-jährigen Greise, vergönnt war, an dem Werke der Eintracht und Liebe mitzubauen, sprach den heißen Wunsch aus, es möge des Himmels Segen mit dem jungen Vereine immerdar sein. Sodann wies er hin auf die Segnungen deren sich unser Vaterland unter dem Schutze einer wohlwollenden Regierung zu erfreuen hat, Segnungen, von welchen auch dem Lehrerstande ein gut Teil zufließe und schloss mit einem Hoch auf Seine Majestät unsern allergnädigsten König, Max II., in welches die ganze Versammlung mit Begeisterung einstimmte.

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Somit war die Verhandlung beendigt. Der Hauptausschuss begab sich hierauf zu dem stellvertretenden Bürgermeister, Herrn Rechtsrat Mayr, um die Gründung des Vereines zu melden, das Verzeichnis der Mitglieder des Hauptausschusses zu übergeben und zugleich den wärmsten Dank für das freundliche Entgegenkommen des Stadtmagistrates auszu-sprechen. Herr Rat Mayr bemerkte, dass er einen Verein, der eine solch edle Tendenz verfolge, mit Freuden begrüße und ihm das vollste Gedeihen wünsche.

Am Abend des genannten Tages war auch eine Produktion des Regensburger Liederkran-zes, wozu wir sämtliche eingeladen waren. Die einzelnen Stücke wurden mit wahrer Meis-terschaft durchgeführt und die Unterhaltung war eine so angenehme und erfrischende, dass wir uns erst in später Stunde von einander trennten. Zu geeigneter Zeit wurde dem verehrlichen Liederkranze von Herrn Lehrer Marschall in gut gewählten Worten herzlicher Dank für die besondere Aufmerksamkeit ausgesprochen und dieser Toast von Seite des Vorstandes des Liederkranzes, Herrn Assessor Steffaneli, in freundlicher Weise erwiesen und als Gegengruß den anwesenden Lehrern der Singspruch des Liederkranzes in vollem Chor dargebracht. Am 28. Dez., morgens, versammelten sich die meisten der städtischen und fremden Lehrer im Gasthause zum Wirt, um noch vor dem Scheiden ein Paar Stunden gemütlich und herzlich mit einander verkehren zu können. In heiterer Stimmung verbrachte man diese Zeit und man begegnete sich mit einer Innigkeit, die nur aus wahrem kollegiali-schen Bewusstsein fließen konnte. Auch wurden auf die hohe Kammer der Abgeordneten, den Magistrat der Stadt Regensburg, Herrn Rechtsrat Mayr, auf die Regensburger und Stadtamhofer Kollegen, den Gründer und Verleger des Vereinsblattes, den Vorstand des Vereines und auf die daheim weilenden Amtsbrüder Toaste ausgebracht. Als dann Herr Lehrer Kutschmann von Vilshofen von Herrn Landtags-Abgeordneten Föckerer freundlichen Gruß und den herzlichen Wunsch überbrachte, es möge der Verein blühen und gedeihen, ließ man allsogleich ein Telegramm an diesen warmen Vertreter unseres Standes abgehen, in welchem ihm für sein stets bewiesenes Wohlwollen innigster Dank gesagt wurde.

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Endlich nahte die Stunde der Trennung und nur hart ging man von einander. Alle schieden wir jedoch von der alten Ratisblonà mit dem herrlichen Gefühle, für eine edle Sache gear-beitet und unvergessliche Tage verlebt zu haben. – Und jetzt noch einen kleinen Nachtrag. Die Beratung am Haupttage dauerte ununterbrochen von Morgens 9 Uhr bis Nachmittags 3 Uhr. Es waren nahezu 200 Teilnehmer aus den verschiedenen Kreisen gegenwärtig und haben dieselben circa 1 500 Lehrer Bayerns repräsentiert. Rechnet man hiezu noch jene Bezirke, welche zwar keinen Bevollmächtigten gesendet, ihren Beitritt aber bestimmt erklärt haben, so darf man jetzt schon 2 000 Mitglieder rechnen, und es lässt sich mit Gewissheit annehmen, dass sich die Beitritts-Erklärungen mit jedem Tag mehren.

Achdorf, bei Landshut, den 1. Januar 1862Der 1. Vorstand des Bayerischen Volks-Schullehrer-Vereins Karl Heiß

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Einleitungsvortrag des Schullehrers und Redakteurs der Bayerischen Schulzeitung, Karl Heiß zu Achdorf, gehalten bei der Versammlung bevollmächtigter Schullehrer Bayerns zu Regensburg am 27. Dezember 1861

Meine Herren!Am 16. Aug. legte ich den Samen der Konzentration in die Herzen meiner lieben Amts-brüder mit dem vollsten Vertrauen, dass er tiefe Wurzeln schlage, und doch nicht ohne Bangen, es möchte eine ungeweihte Hand dessen Wachstum zu verhindern suchen. Ist nun das Letztere wirklich eingetroffen, da man von einer Seite, von der man es am wenig sten vermuten konnte, durch ätzende Stoffe dem Humus alle Tragfähigkeit benehmen wollte, so schoss dessen ungeachtet der Keim üppig empor, und schon nach wenigen Monaten haben wir einen lebensfrischen Baum vor uns, dessen Äste weithin durch die Gauen un-sers Vaterlandes reichen, und dessen ausgebildete Krone die herrlichsten Früchte erwar-ten lässt. Meine Herren! Schauen wir etwas in die Zukunft und betrachten wir die Früchte, welche unsern mit aller Sorgfalt gepflegten Baum zieren.

Vor allem ist es die Frucht des Gemeinsinns. wenn wir so in unserm Stande Umschau hal-ten, so finden wir nicht überall diese Tugend. Mögen nun hieran die Verhältnisse außer uns in vielfacher Hinsicht die Schuld tragen, soviel ist gewiss, dass es auch bei uns an ech-ter, wahrer Harmonie fehlt. Wir haben nämlich Standesgenossen, die sich selbst an den edelsten Bestrebungen ihrer Amtsbrüder nicht beteiligen, weil sie nach dem Anspruche Horaz: „Wen die Götter hassen, den machen Sie zum Schulmeister“ überall nur Kalamität erblicken und sich und ihre Kollegen als Sündenbock anderer Stände betrachten. Wieder andere sind zwar begeistert für ihren Beruf, wurden aber schon schroff enttäuscht, und sind deshalb von Misstrauen so übermannt, dass sie sich passiv verhalten, wenn es gleich-wohl die heiligsten Standesinteressen betrifft. Außer diesen finden sich welche, die sich aller Kollegialität entschlagen und ihren eigenen Weg gehen, unbekümmert, ob er auch der rechte sei; welche kein gemeinsames Ziel kennen und deshalb auch kein Bedürfnis fühlen, mit ihren Amtsbrüdern gleichen Schritt zu halten. …

eröffnungsrede

des achdorfer lehrers karl heIss

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Ich möchte doch sagen, dass der Gemeinsinn auch bei uns noch sehr der Vervollkomm-nung bedarf. Wir haben zu wenig Sympathie; wir betrachten uns großenteils bloß als ein-zelne Glieder und nicht als geschlossene Kette und doch haben wir alle nur ein Ziel! Unsere Aufgabe ist daher von nun an, des Gemeinsinns zu pflegen. Stets müssen wir der schönen Worte Schillers eingedenk sein: „Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber sein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!“

Alle unsere Bestrebungen gelten daher den Amtsbrüdern, dem ganzen Stande; nicht eng-herzig seien unser Wissen und unsere Erfahrungen verschlossen in unserm Innern; nein, alles werde zum Gemeingute des ganzen Standes. Teilnahme, Wärme, Liebe durchdringe uns alle und heilig sei uns die Standes-Ehre. Meine Herren! Werfen wir uns nicht selbst weg durch unwürdiges und unmännliches Betragen; bedenken wir, dass wir Glieder eines öffentlichen Standes sind und dass es die Standes-Ehre gilt. Wenn wir nun so zur tatkräf-tigen Korporation heranwachsen, wenn wir alle zusammenstehen wie ein Mann, wenn wahre, innige Kollegialität in uns tief gewurzelt hat, so wird uns auch erhöhte geistige Tat-kräftigkeit und erfolgreiche Erfüllung unseres Berufes als reife Frucht entgegenwinken.

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Keinem Stande ist die Fortbildung und geistige Tätigkeit wohl dringender geboten, als dem Lehrerstande. Sind es schon die äußeren Umstände, das Leben der Meisten auf dem Lande, die seltene Berührung mit Gebildeten anderer Stände, ja selbst mit Standes-genossen, welche den Lehrer zwingen wenigstens im geistigen Verkehr mit der gebildeten Welt zu bleiben, wenn er nicht, wie man gewöhnlich sagt, verbauern und versauern will, so verlangt dieses noch gebieterischer sein Beruf. Ein altes Sprichwort sagt: „Stillstand ist Rückschritt“ und wie wahr ist dieser Satz. Welche verderbliche Folge zeiht nicht dieses „Stillstehen“ bei dem Lehrer nach sich. Anstatt Leben in seine Schule zu bringen, bringt er Monotonie in dieselbe und seine Gleichgültigkeit, sein Kaltsinn pflanzen sich auf die Kin-der fort. Ein Lehrer, welcher seine Fortbildung vernachlässigt, ist eine Schale ohne Kern, eine Frucht ohne Saft und Geschmack und seine Schule gleicht einer Haide auf der man vergebens üppige Gewächse und wohlriechende Blumen sucht. …

Es sei ferne von mir, vor fremden Türen kehren zu wollen, allein das muss ich doch bemer-ken, dass manche unter den Lehrern ihre nicht besonders große Amtstätigkeit mit dem Scheingrunde beschönigen wollen. Weihen wir unsere ganze Kraft unsern Standesoblie-genheiten, wenden wir uns mit Ausdauer und Liebe unserm schönen Amte zu, welches uns die Veredlung der Jugend zur Pflicht macht. Stets wollen wir der Pflicht eingedenk sein, welche jedem Gebildeten auferlegt ist, den in Finsternis Lebenden dem wahren Lichte zuzuführen.

Freilich ist notwendig, dass die Volksschule einige Selbstständigkeit erhalte, dass beson-ders die Lehrorgane in der Ausübung ihres Amtes gleich andern Ständen gesetzlich ge-schützt werden und eine feste Stellung angewiesen bekommen. Seit jener Zeit nämlich, in welcher man uns aus dem Zunftverbande gebracht hat (die Münchner Lehrer waren damals die ersten, welche dagegen protestierten) sind wir als gasförmige Waffe, ja als kör-perlose Wesen in sozialer Beziehung zu betrachten; denn es fehlt uns jede sichere Basis in der Gesellschaft. Es gibt wohl keinen Stand, welcher auf der einen Seite so viele Pflichten und auf der andern so wenig oder gar keine Rechte hat, als der Schullehrerstand. …

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Man möchte wohl sagen, dass sich zu viele um die Schule bekümmern; denn fast alles glaubt sich berufen, der Schule und dem Lehrer zu diktieren und jeder will die Schule nach seiner Facon haben. Sehr treffend bemerkt ein gewiegter Schulmann unserer Zeit: Jeder sieht die Volksschule von seinem Standpunkte an. Wer gern Honigschnittchen isst, dem soll die Volksschule Bienenzucht treiben, dem einen soll sie drechseln, dem andern Obst pflanzen, dem dritten Seide spinnen, einem Vierten erscheint sie als ein Anti-Brannt-weininstitut, einem Fünften als ein Zuchthaus zur Verbesserung verdorbener Kinder. Dem Gelehrten ist ihr Treiben zu oberflächlich, dem Unwissenden zu gründlich. Wer zählt die Wünsche, die auf diesem Gebiete laut geworden sind. Das ist natürlich nicht das rechte Interesse und eine solche Teilnahme schadet soviel als gänzliche Abneigung, und dass die Volksschule auch ihre Gegner hat, ist längst erwiesen. Es gibt sogar unter den Glie-dern der gebildeten Stände welche, die die Volksschule als ein ganz überflüssiges Institut betrachten und welche die Lehrer an Schulen, weil sie keine höhere Ausbildung erhalten haben, durchweg als Ignoranten ansehen. Jene sollten freilich bedenken, dass sich ohne Volksschule bald alle Bande der Ordnung lösen müssen. Ebenso sollten sie wissen, dass, wenn auch die Ausbildung der Lehrer nicht von allen Mängeln frei zu sprechen ist, sie doch die allgemeine Bildung fördert und dass jeder strebsame Lehrer vorwärts trachtet und deshalb doch nicht so ganz als Idiot gelten dürfte.

Als eine bedauernswerte Erscheinung muss auch angesehen werden, dass zwischen uns und dem Stande, welcher doch in Bezug auf seinen Beruf uns so nahe steht*, im All-gemeinen wenigstens eine große Kluft besteht, wie sie wohl in keinem andern Lande vorkommen dürfte und doch könnten diese wissenschaftlich gebildeten Männer soviel zur Hebung der Volksschule und der Lehrer an derselben beitragen. Diesem gegenüber ha-ben wir aber, und Gott sei es gedankt auch Freunde, recht viele und aufrichtige Freunde, Freunde in den verschiedenen Ständen; allein diese konnten bis jetzt nicht mit Kraft auf uns und unsere Verhältnisse einwirken, weil sie keinen festen Boden hatten.

Unser Lehrerverein soll nun das allgemeine Interesse erwecken. Wir müssen nämlich selbst die Hand bieten, wir müssen zeigen, dass uns an der Schule und an der Ausbildung des Volkes Alles gelegen ist; wir müssen die Erfolge laut sprechen lassen, dann wird der Volksschule auch von Außen mehr Beachtung geschenkt werden. …

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Meine Herren! Groß ist die Aufgabe, die wir uns stellen; allein vermöchten wir sie auch bei dem besten Willen und rastlosesten Streben nicht durchzuführen; aber wir hoffen mit Zuversicht auf Unterstützung; wir glauben ganz sicher, dass die Erziehung und Veredlung des Menschen eine gemeinsame Sache und unter allen Bestrebungen des menschlichen Geistes den ersten Rang einnehmen werde. Und nun seien Sie herzlichst und tausendmal gegrüßt, meine Herren! die Sie dem Rufe Ihres Mitbruders so freudig gefolgt sind, die sie nicht den weiten Weg, nicht anderweitige Hindernisse gescheut haben, sondern ohne rechts und links zu schauen herbeigeeilt sind, ein Werk zu gründen, das von den segensreichsten Folgen sein wird. Wenn wir auch, meine Herren! nicht heute oder morgen schon diese herrlichen Früchte genießen kön-nen, ja wenn es sogar manchen von uns nicht vergönnt wäre, je von diesen Früchten zu kosten; wir tragen doch alle das Bewusstsein in uns, für eine edle Sache stet und warm eingestanden zu sein und unserem Berufe all unsere Kraft zugewendet zu haben. Es ist erhebend, so viele wackere Kämpen hier vereinigt zu sehen, und Dank, herzlichen Dank Ihnen Allen, die Sie hier versammelt sind. O, ich möchte Jeden aus Ihnen umarmen, und innig an die Brust drücken.

Und nun, meine Herren! frisch an’s Werk, es wird gelingen.

* gemeint sind Gymnasiallehrer

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1823Der Nürnberger Lehrer Johann Konrad Grißhammer ruft am 15. November 1823 zur Gründung des ersten „Allgemeinen Lehrer-vereins für Baiern“ auf. Zweck des überkonfessionellen Vereins ist „die Fortbildung und Vervollkommnung der Mitglieder in ihrem Beruf“. Da wegen der fehlenden Verkehrs-verbindungen noch keine über-regionalen Treffen möglich sind, erscheint 1825 als „verbindendes Mittel“ des Vereins die Zeitschrift „Der Volksschullehrerverein“.

1848Auf der 2. Allgemeinen Lehrerver-sammlung in Schwabach im Jahr 1848 mit ca. 180 Teilnehmern wird der Nürnberger Lehrerverein beauftragt, einen „Zentral-Volks-schullehrerverein“ zu gründen, der die nachweislich existierenden 35 Zweigvereine in ganz Bayern zusammenführen soll. Die Ver-sammlung geht auf einen „An sämtliche Volksschullehrer Bay-erns“ gerichteten Aufruf der Nürn-berger und Fürther Lehrerschaft vom 12.3.1848 zurück. Darin sind erstmals die zentralen bildungs-

1833Der „Allgemeine Lehrerverein für Baiern“ wird verboten, da der Staat nach den Erfahrungen mit dem „Hambacher Fest“ keine Lehrer-fortbildung ohne staatliche Aufsicht duldet. Am 26. Januar 1833 findet die letzte Sitzung statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Verein 243 Mit-glieder aus mindestens 6 der 7 heu-tigen Bezirke Bayerns, außerdem hatten sich Ortsvereine gebildet. Der Schwerpunkt lag in Nordbayern.

aufbruch – wIderstand – stärke

dIe geschIchte des bayerIschen lehrer- und lehrerInnenverbandes

1806 Bayern wird Königreich

1825 Ludwig I wird König

1831 Einführung der Pressezensur, Verschärfung des Vereinsrechts

1834 Höhepunkt der Restaura-tion: Prozesswelle gegen liberale Wortführer

1840 Verbot der Kinderarbeit in Fabriken

1848 Märzunruhen der Studenten in München Rücktritt Ludwigs I., Nachfolger wird Max II.

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1851In Bayern gibt es 96 Lateinschulen (Unterstufe des Gymnasiums), 28 Gymnasien und 10 Lyceen (höhere Töchterschule), mit insgesamt etwa 11 000 Schülern. Daneben existie-ren 7 113 Volksschulen – viele da-von einklassige Landschulen – mit einer knappen Million Schüler.

1850Der Druck auf den „Zentral-Volksschullehrerverein“ und seine Zweigverbände von Seiten des Staates und der Kirche beginnt unmittelbar nach der Vereinsgrün-dung. Nach dem Bayerischen Vereinsgesetz vom 26. Februar 1850 ist es „politischen Vereinen und solchen, die sich mit öffentli-chen Angelegenheiten beschäfti-gen“, verboten, „sich mit anderen solchen Vereinen zu einem ge-gliederten Ganzen zu vereinen.“ Bereits 1849 gibt es obrigkeitliche Androhungen von Dienstentlas-sungen. Es werden tatsächlich Entlassungen von Lehrervereins-mitgliedern ausgesprochen, lokale Mitgliedsvereine werden verboten, Gefängnisstrafen verhängt. Weil der Zentral-Volksschullehrerverein sich auf seiner Versammlung am 22. Juni 1850 u. a. mit dem Ver-hältnis von Staat, Kirche und Schule auseinandersetzen wollte, wird er am 4. Juni 1850 als politischer Verein klassifiziert und aufgelöst.

politischen Forderungen aufge-führt, die später auch in der Denk-schrift des BLV (1863) erscheinen: „1. Freie Stellung der Volksschule und ihrer Lehrer. 2. Gleichstellung der Lehrer mit den Staatsdienern. 3. ... wissenschaftliche Bildung der Lehrer. 4. Vertretung des Standes ... durch Standesglieder. 5. Revi-sion des Lehrplans ... mit Beizie-hung der Lehrer. 6. Verwandlung des Schulgeldes in eine allgemeine Umlage. 7. Gehaltsverbesserung der Lehrer. ... 9. Verleihung eines allgemeinen Schulgesetzes.“

1849 Phase der Liberalisierung: Pressefreiheit, öffentliche Gerichtsverfahren, freies Wahl gesetz, freies Versamm-lungs- und Vereinigungsrecht

Erste Wahl zur Kammer der Abgeordneten (später Bayerischer Landtag)

1854 Die Todesstrafe wird das letzte Mal in Bayern vollzogen

1856 Schulpflicht wird auf sieben Jahre verlängert

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1857Im Normativ über die Bildung der Schullehrer wird die Lehrer bildung neu geordnet. Im Mittelpunkt steht das Bestreben Königs Max II, „den Lehrstoff der Schullehrerbildung auf sein angemessenes, häufig überschrittenes Maß“ zurückzufüh-ren, um die Lehrer vor „Wissens- dünkel, Anmaßung, Unzufrieden-heit und Ungehorsam“ zu schüt-zen, die Folge einer übertriebenen Verstandesbildung seien. Hierzu gehört auch das Verbot der Lek-türe der pädagogischen Schrif-ten Friedrich Adolf Diesterwegs und anderer fortschrittlicher Pä-dagogen.

1861Am 22. August 1861 ruft der Achdorfer Lehrer Karl Heiß zur Gründung des Bayerischen Leh-rervereins auf. Der Gründungsauf-ruf erscheint in der „Bayerischen Schulzeitung“. Der Aufruf stößt bayernweit auf große Resonanz. Am 27. Dezem-ber 1861 versammeln sich etwa 200 Lehrer aus ganz Bayern im Reichstagssaal des Regensburger Rathauses und gründen den Bay-erischen Lehrerverein. Karl Heiß wird zum 1. Vorsitzenden gewählt. Vereinsorgan wird die bereits seit 1857 existierende „Bayerische Schulzeitung“. Der BLV versteht sich von Anfang an als überkon-fessionell. In seinen Reihen finden katholische, evangelische und „is-raelitische“ Lehrer ihre Heimat.

1861 Wilhelm I wird König von Preußen

Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs

1862 Otto Graf Bismarck wird Ministerpräsident und Außenminister

Bismarck löst das preußi-sche Abgeordnetenhaus auf

1859 Eisenbahnlinie Nürnberg – Regensburg eröffnet

Charles Darwin veröffent licht sein Werk „Die Ent ste hung der Arten“ und begründet damit die Evo lutionstheorie

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1866Der Hauptausschuss des BLV be-schließt, eine eigene Vereinszeit-schrift mit dem Titel „Bayerische Lehrerzeitung“ herauszugeben. Die erste Ausgabe erscheint am 3. Januar 1867.

Die bayerische Regierung erlässt ein neues Normativ für die Lehrer-bildung, das wesentliche Forderun-gen des BLV aufgreift. Es löst das restriktive Lehrerbildungsnormativ aus dem Jahr 1857 ab. Allerdings ist die Lehrerbildung weiterhin nach Konfessionen getrennt.

1863Der Bayerische Lehrerverein veröf-fentlicht die erste 80-seitige Denk-schrift mit dem Titel „Denkschrift be-treffend die Zusammenstellung von Materialien zu einem allergnädigst zu erlassenden vollständigen Geset-ze für die Volksschulen in Bayern“.

Kernanliegen der Denkschrift sind die Institutionalisierung der »Volksschule als Staatsanstalt, die Rechtsstellung des Lehrers »als „öffentlicher Diener“ (Beamter), der Verzicht auf die geistliche »Lokalschulaufsicht, die Modernisierung der »Volksbildung und die nachhaltige Verbesserung »der Lehrerbildung.

1863 Gründung der bayerischen Fortschrittspartei

Ferdinand Lasalle gründet in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV)

1864 Ludwig II wird im Alter von 18 Jahren König

1865 Ende des amerikanischen Bürgerkriegs und Abschaffung der Sklaverei in den USA

1866 Krieg Österreich-Preußen. Bayern kämpft an der Seite Österreichs

Sieg Preußens

In der Denkschrift steht der zentrale Satz für das Selbstverständnis des BLV bis in unsere Zeit: „Die Umge-staltung der Lehrerbildung muss als der Kern- und Angelpunkt der ge-samten Schulfrage erklärt werden. Die Lehrerbildung ist das Zentrum, in welchem alle Fäden der Schulre-form nach fachlichen und personel-len Beziehungen zusammenlaufen.“ Die Denkschrift wird Ende Oktober 1863 dem „Hohen Staatsministe-rium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten“ überreicht.

1864Drei der Gründungsmitglieder des BLV rufen in München das Baye-rische Lehrerwaisenstift ins Leben. Den zahlreichen Lehrerwaisen soll die Stiftung „ … das Elternhaus ersetzen durch Unterbringung in geeigneten Familien oder in schon bestehenden Erziehungsinstituten oder eigens zu errichtenden, kon-fessionell getrennten Erziehungs-anstalten. …“

Der Bayerische Lehrerverein hat

4 193 Mitglieder.

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1867Auf der 3. Hauptversammlung des BLV in Augsburg umreißt der 1. Vorsitzende Karl Heiß die Grund-linien des Verbandsverständnisses: „Die Pädagogen sollten sich weder konfessionell noch nach Ständen von einander absperren. Hätte man auf gewisser Seite dies be-achtet, so hätte der Schulstreit nicht mit solcher Erbitterung und von ihr mit solcher Unkenntnis der Errungenschaften der neueren wissenschaftlichen Pädagogik ge-führt werden können.“ Hintergrund ist ein kulturkampfähnlicher Streit um die Frage der Rolle der Kirche und des Staates in der Schule. Er wird mit massiven Anfeindungen und Verleumdungen von Vertretern der evangelischen und der katho-lischen Kirche gegen den BLV geführt. Der BLV orientiert sich an wissenschaftlichen Erkennt-

nissen und distanziert sich offen von einem Schulverständnis, das konfessionell oder weltanschaulich geleitet ist.

Da das Volksschulwesen bislang nicht in Form eines Gesetzes, sondern nur durch Verordnungen geregelt war, wird von der Staats-regierung im Landtag ein Schul-gesetz eingebracht, das wesentliche Teile der Denkschrift des BLV aus dem Jahr 1863 übernimmt. Zent-ral sind hierbei eine Stärkung des Staates gegenüber der Kirche durch Überwindung der geistlichen Schulaufsicht und die Überwindung der konfessionellen Trennung. Das Gesetz trifft auf massiven Wider-stand der Kirchen, die auch die Bevölkerung mobilisieren und wird 1869 im Landtag von der kirchlich-konservativen Mehrheit abgelehnt.

1875Der 1. Vorsitzende des BLV Karl Heiß wird zum Kreisschulinspektor in München berufen. Aus diesem Grunde gibt er sein Amt ab. Auf der Hauptversammlung des BLV im August 1875 in Kaiserslautern wird der Geisenfelder Lehrer Max Koppenstätter offiziell zum neuen 1. Vorsitzenden gewählt.

Der Bayerische Lehrerverein grün-det die Kinder- und Jugendzeit-schrift „Jugendlust“, „... um dem Verlangen der Jugend nach einer guten Lektüre Rechung zu tragen.“ Heute erscheint die Kinder- und Jugendzeitschrift bundesweit un-ter dem Namen „Floh“ und „Floh- kiste“. In Bayern ist sie bis heute eine der wichtigsten pädagogi-schen Kinderzeitschriften.

Der Bayerische Lehrerverein hat 7 172 Mitglieder.

1867 Reichstagswahlen in Preußen

1868 Einführung eines neuen Heimatrechts und der Gewerbefreiheit in Bayern.

1870 Bayern kämpft an der Seite Preußens gegen Frankreich

1871 Proklamation des Deutschen Kaiserreichs Bayern verliert Autonomie

1873 Schulsprengelverordnung

1875 Einführung der Zivilehe im deutschen Reich

1877 Die Serienproduktion von Gartenzwergen wird aufge-nommen

1869 Gründung der klerikal-kon-servativen Zentrumspartei

August Bebel und Wilhelm Liebknecht gründen die Sozialdemokratische Arbei-terpartei (SDAP)

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1883Die Verordnung zur Einrichtung der Volksschulen tritt in Kraft. Die konfessionell getrennten Be-kenntnisschulen werden erneut als Regelschule festgeschrieben. Da-mit scheitern die Bestrebungen des BLV, eine konfessionsunabhängige Simultanschule durchzusetzen.

1878Auf der 7. Hauptversammlung des BLV in Passau wird eine Öffnung des Verbandes für andere Lehrer-gruppen, Frauen und Interessierte beschlossen. Im Antrag heißt es: „Die Aufnahme in den Verein er-halten sämtliche Mitglieder des Schullehrerstandes, gleichviel ob sie ständige, unständige oder in Ruhestand versetzte Lehrer oder Lehrerinnen sind. Auch Lehrer und Lehrerinnen an höheren, sowie an Privatbildungsanstalten, Geistliche, sodann gebildete Per-sonen aus anderen Ständen und beiderlei Geschlechtes können als Mitglie-der beitreten“

1878 Sozialistengesetze verbie-ten sozialistische Organisa-tionen

Abschaffung der Kinder-arbeit

1883 Auswanderungswelle erreicht ihren Höhepunkt (464 000 Personen)

Krankenversicherung wird per Gesetz zur Pflichtver-sicherung

1884 Gründung deutscher Kolonien Süd-West-Afrika (heute Namibia)

1886 Entmündigung und Tod Ludwigs II Prinzregent Luitpold wird König

1887 In Würzburg wird das erste Telefonnetz eingerichtet

1888 Wilhelm II wird deutscher Kaiser

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1896Die allgemeine Unterstützungs-kasse wird gegründet. Sie soll in besonderen Notfällen Familien helfen, wenn durch lange Krank-heit oder Tod des Ernährers oder durch Krankheit der Lehrerwitwe die Familien in Not gerieten. Die Unterstützungskasse hilft auch erwerbsbeschränkten und erwerbs-unfähigen Lehrerwaisen.

1889Der 1. Vorsitzende Max Koppen-stätter stirbt am 24. Mai 1889. Johann Baptist Schubert wird auf der 11. Hauptversammlung des BLV in Landshut im Jahr 1890 als Vorsitzender gewählt.

Schubert ist ein überzeugter Ver-fechter der Trennung von Staat und Kirche ebenso wie von Schu-le und Kirche und von Pädagogik und Theologie. Es gelingt ihm trotz zahlreicher Trennungsversuche von konfessioneller Seite den Bayeri-schen Lehrerverein geschlossen zu halten und ihn als überkonfessio-nellen Lehrerverein für Katholiken, Protestanten und „Kollegen israeli-tischen Glaubens“ zu bewahren.

1890 Rücktritt Bismarcks

Sozialistengesetz wird aufgehoben

1891 Verbot der Sonntagsarbeit

1896 Gründung des Satireblattes Simplicissimus in München

Erste olympische Spiele der Neuzeit in Athen

1893 Sozialdemokraten und Bauernbund werden zum ersten Mal in den Landtag gewählt

1894 Bauernrevolte in der Oberpfalz

1895 Georg Kerschensteiner wird Stadtschulrat

Gründung des Bayerischen Bauernverbandes

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1905Auf seiner Hauptversammlung in Bayreuth widmet sich der BLV intensiv der Frage der staatlichen Fachaufsicht und wendet sich er-neut gegen den Einfluss der Kirche auf die Schule. Des Weiteren for-dert der BLV das Verbot des niede-ren Kirchendienstes für Lehrer. In der Folge kommt es erneut zu ei-ner scharfen Kampagne der Ultra-montanen und der katholischen Kirche gegen den BLV.

Der Bayerische Lehrerverein rich-tet einen „Mobiliar-Feuerversiche-rungs-Verein“ (Feuerschutzverein) für bayerische Lehrer ein. Er wird im Jahr 1909 durch eine Einbruch-diebstahlversicherung ergänzt.

1902Der Bayerische Lehrerverein richtet einen Haftpflichtschutz für Mitglie-der des BLV ein, der die Mitglieder gegen ungerechtfertigte Forderun-gen bei vorgeblicher Haftung vertritt und bei erwiesener Schuld eine an-gemessene Entschädigung leistet.

Der Bayerische Lehrerverein hat 12 863 Mitglieder.

1900Der BLV-Hauptausschuss gründet am 15.11.1900 das „Institut des Rechtsschutzes“ auch Rechts-schutzkommission genannt. Damit steht allen BLV-Mitgliedern kosten-freier Rechtsschutz zu. Arbeitsbe-ginn ist der 1. Januar 1901. Dies ist die Grundlegung der aktuellen Rechtsabteilung des BLLV, die heute ein zentraler Aufgabenbereich des BLLV ist. Der BLLV ist heute der einzige Lehrerverband in Bayern mit hauptamtlichen Juristen.

1900 Das Bürgerliche Gesetz-buch (BGB) tritt in Kraft

Pariser Weltausstellung

Volkszählung zählt 56 345 014 Deutsche, davon 6 176 057 Bayern

1905 Ludwig Thoma veröffentlich die Lausbubengeschichten

1906 Neues Gesetz erlaubt direkte Wahl der Landtags-abgeordneten

Gründung der Volks-hochschule durch Georg Kerschensteiner

1903 In Bayern werden Frauen zum Hochschulstudium zugelassen

Verbindliche Einführung von Rechtschreibregeln

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1910Der Münchner Lehrerverein grün-det in enger Absprache mit dem BLV am 10. März 1910 das Päda-gogisch-Psychologische Institut. Spiritus Rector und Leiter ist der prominente Pädagoge Privatdozent Dr. Alois Fischer. Die Eröffnung des Instituts findet am 20. Okto-ber 1911 statt. Das Institut dient der fachlichen Professionalisierung und Qualifizierung der Lehrer-schaft. 1997 wurde es in die Aka-demie des BLLV übergeführt.

1909Der Hauptausschuss des BLV beschließt den Kauf von Schloss Fürstenstein in Berchtesgaden. In den folgenden Jahren wird es um-gebaut zu einem Lehrererholungs-heim. Da in dieser Zeit für Lehrer kaum Möglichkeiten einer Sommer-frische bestehen, wird das Schloss in den Alpen zu einem beliebten Urlaubsziel. In und unmittelbar nach der Kriegszeit dient es auch Mit-gliedern, die als Soldaten im Krieg waren, als Erholungsheim.

1908 In Bayern existieren 80 000 Fernsprech-anschlüsse

Mit dem neuen Gemeinde-wahlrecht wird in Bayern die Verhältniswahl (Wahl-listen) eingeführt.

1910 Freisinnige und Demo-kraten vereinigen sich zur Fortschrittlichen Volkspartei

1911 In Preußen führt man die Unterrichtsstunde mit 45 Minuten ein

1908In München gründen am 9. Mai 1908 Mitglieder des Verbandes Paedagogia die Arbeitsgemein-schaft Bayerischer Junglehrer (ABJ). Grund ist das gemeinsame Ziel, die materielle Notlage der Junglehrer zu überwinden. Am 16. Mai bereits werden die Anliegen der Vorstand-schaft des BLV vorgetragen. Über die materielle Besserstellung hin-aus definiert die ABJ als Ziel, „die grundlegende Beschäftigung mit moderner Pädagogik, Schulpolitik und Volkswirtschaft“.Ab 1. Januar 1911 erscheint die „Deutsche Junglehrerzeitung“.

Im Zusammenhang mit der Dis-kussion um ein neues Beamten-gesetz wird auch die deutliche Verbesserung der Lehrergehälter diskutiert. Es kommt zu einer kontro versen Auseinandersetzung innerhalb des BLV zur Höhe der Gehaltsforderungen, zur Frage der unterschiedlichen Gehälter für Stadt- und Landlehrer und zur politischen Strategie. Auf einer Versammlung in München, an der 4 000 Lehrer teilnehmen, wird die zukünftige Marschroute festgelegt, die zur Ge-haltsdenkschrift des BLV im Jahr 1909 führt.

1909 Eine in München vorge-legte Untersuchung von Arbeiterfamilien erschüttert die Öffentlichkeit: Von dem Verdienst eines gelernten Arbeiters kann nur eine Familie von bis zu drei Kinder leben.

Die Mehrheit der Arbeiter-familien ist unterernährt.

Bei den Landtagswahlen bleibt Zentrum die stärkste Partei in Bayern

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1914Die Hauptversammlung des BLV vom 3. bis 6. August 1914 wird wegen des Ausbruchs des 1. Welt-kriegs abgesagt. Johann-Baptist Schubert, der nach 25-jähriger Amtszeit als Vorsitzender des BLV sein Amt zur Verfügung stellen wollte, bleibt bis 1919 im Amt.

Kultusminister Eugen von Knilling legt eine „Denkschrift über die Neu-regelung der Dienst- und Gehalts-verhältnisse des Volksschullehrer-personals in Bayern“ vor, die zu deutlichen Verbesserungen führen sollte. In Folge des Kriegsaus-bruches wird die Beratung ver-schoben.

Der BLV hat 16 291 Mitglieder.

1914 Ausbruch des ersten Weltkrieges

1912 In Bayern erhält bei der Landtagswahl das Zentrum die absolute Mehrheit

1913 Ludwig III wird König von Bayern

Gemeinden erhalten das Recht, die Schulpflicht auf acht Jahre zu verlängern

1915 Internationaler Frauenfrie-denskongress in Den Haag

1916 Gründung der Bayerischen Motorenwerke in München

1917 Gründung der Deutschen Vaterlandspartei in Bayern

Hungersnöte in Deutschland

Russische Revolution und Proklamation der Sozialisti-schen Sowjetrepublik

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1919Johann Baptist Schubert gibt im Alter von 72 Jahren sein Amt als 1. Vorsitzender ab. Nachfolger wird Daniel Winkle (geb. 1867). Daniel Winkle entstammt einer In-dustriellenfamilie und wählt aus pädagogischer Überzeugung den Volksschullehrerberuf. Durch einen vielbeachteten Vortrag zur Fachauf-sicht, den er 1905 in Bayreuth bei der 16. Hauptversammlung des BLV hielt, machte er sich über Schwaben hinaus im BLV einen Namen.

1919 wird das Schul- und Lehrer-bedarfsgesetz verabschiedet. Mit der „Verordnung zur Bildung von Lehrerräten für das Volksschulwe-sen“ werden umfangreiche Mitwir-kungsrechte der Lehrer auf allen

Verwaltungsebenen festgeschrie-ben. Dr. Friedrich Nüchter bezeich-net diese Verordnung namens des BLV „als eine Magna Charta unse-rer Selbstständigkeit“. Des Weite-ren wird in diesem Jahr das heftig umstrittene Volksschullehrergesetz verabschiedet, das den Status der Lehrer erheblich verbessert und sie zu Beamten macht.

Am 3. November 1919 wird die ABJ in den Bayerischen Lehrer-verein eingegliedert.

Im Juni 1919 wird der Weimarer Schulkompromiss geschlossen, der für das deutsche Reich verbind-lich eine vierjährige Grundschule festlegt.

1919 Ermordung Kurt Eisners, Wahl von Johannes Hoffmann (SPD) zum Ministerpräsidenten und Ausrufung einer Räterepublik

1918In der kurzen Regierungszeit von Ministerpräsident und Kultusmi-nister Johannes Hoffmann (SPD), der dem ermordeten sozialistischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner nachfolgt, wird am 16. Dezember 1918 die geistliche Schulaufsicht abgeschafft und die Aufsicht un-ter die ausschließliche Kontrolle des Staates gestellt. Johannes Hoffmann ist Volksschullehrer und war Mitglied im BLV in der Pfalz, die von 1816 bis 1935 zu Bayern gehörte. Damit ist der jahrzehn-telange Kampf des Bayerischen Lehrervereins für eine staatliche Schulaufsicht zu einem erfolgrei-chen Ende geführt.

Die Mitgliederzahl verringert sich aufgrund der Kriegswirren, in de-nen viele Kollegen fallen, bis zum Ende des Krieges im Jahr 1918 auf unter 13 000 Mitglieder.

1918 Ende des 1. Weltkriegs durch Kapitulation Deutsch-lands (Versailler Verträge)

Novemberrevolution. Kurt Eisner ruft den „Freien Volksstaat Bayern“ aus, Ludwig III flieht nach Salzburg

Gründung der Bayerischen Volkspartei als politischer Arm des Katholizismus

Friedrich Ebert (SPD) wird erster Reichspräsident

Einrichtung des ersten Bayerischen Landtags

Gründung der Deutschen Arbeiterpartei (Vorläufer der NSDAP)

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1924Höhepunkt der schulpolitischen Revision ist die Auseinanderset-zung um das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, in dem die bayeri-sche Regierung der katholischen Kirche erneut weitgehende Ein-griffsmöglichkeiten in das Volks-schulwesen einräumt. Es kommt zu heftigen Kontroversen mit dem BLV. Das Konkordat wird trotz des Widerstandes am 13.1.1925 vom Landtag verabschiedet.

1925Die Vollversammlung des BLV beschließt am 17. April 1925 die Einrichtung einer „Krankenhilfe“. 1937 wird sie aus dem BLV ausge-gliedert und in einen eigenen Versi-cherungsverein auf Gegenseitigkeit umgewandelt und als „Kranken-kasse bayerischer Erzieher (KbE)“ weiter besteht. 1938 wird sie unter dem Nationalsozialistischen Lehrer-bund (NSLB) als KdE auf ganz Deutschland ausgeweitet. Am 1. November 1945 übernimmt die Bayerische Beamtenkrankenkasse, die bereits damals zur Bayerischen Versicherungskammer gehörte, die bei der KbE versicherten Lehrerin-nen und Lehrer.

1920Der Deutsche Reichstag verab-schiedet das Reichsvolksschulge-setz, das festlegt, dass die Grund-schule von allen Kindern ab dem 6. Lebensjahr besucht werden muss und dass sie vier Jahre dauert. Die von sozialdemokratischen Kräften geforderte sechsjährige Grund-schule wird von den Konservativen als sozialistische Einheitsschule bekämpft und abgelehnt.

Der BLV-Vorsitzende Daniel Wink-le wird 1920 vom Reichsinnenmi-nister als Experte für das Thema Privatschulwesen zur Reichsschul-konferenz nach Berlin eingeladen.

In den Jahren 1920 bis 1925 wer-den von der Regierung des Minis-terpräsidenten Dr. Gustav Ritter von Kahr und Kultusminister Franz Matt – beide Mitglieder der konservati-ven Bayerischen Volkspartei – eine

Reihe der schulpolitischen Refor-men der Regierung Hoffmann wie-der aufgehoben bzw. geändert wie z.B. die Simultanschulverordnung, das Recht auf Eheschließung von Lehrerinnen, der Religionserlass und die Verordnung über Schulpflege, Schulleitung und Schulaufsicht, die die Mitwirkungsrechte der Lehrer-räte festgelegt hatte. Es kommt zu scharfen Auseinandersetzungen mit dem BLV. Eine BLV-Befragung aller Lehrerräte zu ihren Erfahrun-gen mit den neuen Mitwirkungs-rechten führt zu dem sog. „Maul-korberlass“ vom 15.11.1920, der den Lehrerräten verbietet, „einem Privaten gegenüber – das ist für sie auch der Vorsitzende des Bay-erischen Lehrervereins – über ihre dienstliche Tätigkeit und über ihre dienstlichen Wahrnehmungen ohne Erlaubnis der zuständigen Behörde Auskunft zu geben.“

1920 Rücktritt der Regierung Hoffmann nach Kapp-Putsch

Die 1919 gegründete Deutsche Arbeiter Partei wird zur NSDAP umbe-nannt

1925 Eröffnung des Deutschen Museums

Reichspräsident Friedrich Ebert stirbt, Nachfolger wird Paul von Hindenburg

1926 Arbeitslosenversicherung wird per Gesetz eingeführt

1924 3. Bayerisches Konkordat (Staatskirchenvertrag) regelt Nichteinmischung des Staa-tes in innere Angelegenheit der Kirche

Gewinne der Konservativen bei Landtagswahlen

1922 Massenstreik von 160 000 Metallarbeitern

1923 Hitlerputsch in München

Inflation erreicht ihren Höhepunkt: 1 Pfund Brot kostet 33 Milliarden Mark

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1932Der Bayerische Lehrerverein grün-det im Winter 1932/33 das „Kinder-hilfswerk des BLV für die bedräng-ten Grenzgebiete“ zur Unterstützung der Notgebiete des Bayerischen Waldes, des Fichtelgebirges und des Frankenwaldes. Am 11. Feb-ruar 1933 wird es vom Kultus- und Innenministerium genehmigt.

1930Der Bayerische Lehrerverein kauft eine Villa am Bavariaring in München, um dort die kontinuier-lich anwachsende Süddeutsche Lehrerbücherei unterzubringen. Der Buchbestand beim Umzug in das herrschaftliche neue Heim beträgt knapp 60 000 Bände und zahlreiche Zeitschriften. Heute ist am Bava-riaring die Landesgeschäftsstelle untergebracht. Die Süddeutsche Lehrerbücherei steht seit 1987 in der Stadtbibliothek im Kulturzent-rum Gasteig und ist dort benutzbar. Sie umfasst etwa 120 000 teilweise wertvolle Bände.

1933Drei Monate nach der Machtüber-nahme der Nationalsozialisten fin-det in München am 24. und 25. April 1933 eine außerordentliche Hauptversammlung des BLV statt. Bei dieser Versammlung tritt der gesamte Vorstand unter Leitung des 1. Vorsitzenden Daniel Winkle zurück. Als neuer Vorsitzender wird der Münchner Lehrer Josef Bauer gewählt. Bauer ist ein Vertrauter Adolf Hitlers. Er hat die Partei-nummer 34, war zuerst Mitglied der SA und später der SS. Er hatte sich aktiv am Hitlerputsch 1923 beteiligt. 1935 wird er in München Stadtschuldirektor.

1930 Gründung des Bayerischen Rundfunks

Einwohnerzahl 7,7 Mio Bauern (40%),Handwerk, Industrie (32,5%), Arbeiter (38 %) Gewerbetreibende, Beamte (22 %)

1932 Landtagswahl Bayerische Volkspartei (45 Sitze), NSDAP (43 Sitze), SPD (20 Sitze)

554 000 Menschen sind erwerbslos gemeldet

1933 Einrichtung des 1. KZ in Dachau

NSDAP erhält bei Reichs-tagswahlen 43,9 %, Hitler wird Reichskanzler

Bei der 1. Fußballweltmeis-terschaft gewinnt Uruguay gegen Argentinien

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Infolge des „Gesetzes zur Wieder-herstellung des Berufsbeamten-tums“, das bereits im April 1933 verabschiedet wird, werden alle jü-dischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Lehrer entbe-amtet und aus dem Schuldienst entfernt. Gleichzeitig wird im Ge-setz gegen die Überfüllung deut-scher Schulen und Hochschulen festgelegt, die Zahl der jüdischen Schüler und Studenten jeweils auf den Prozentsatz zu beschränken, den die jüdische Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung einnimmt. (1933: 1,5%).

1935In den sog. Nürnberger Rassegeset-zen wird festegelegt, dass jüdische Kinder nicht mehr an staatlichen Schulen unterrichtet werden dürfen, was zu zahlreichen Gründungen kleiner jüdischer Schulen führt.

1936Die Lehrerseminare, deren Besuch nur den Abschluss der Volksschule voraussetzt, werden zur Deutschen Oberschule ausgebaut. Die sechs-jährige Deutsche Oberschule ver-gibt die allgemeine Hochschulreife und berechtigt zum Besuch der staatlichen Hochschulen der Leh-rerbildung. Zehn der in Bayern exis-tierenden Lehrerseminare werden zu Oberschulen, drei zu Hochschu-len für Lehrerbildung (München, Bayreuth, Würzburg) und eine ge-schlossen (Coburg). Die konfessio-nelle Lehrerbildung wird aufgelöst.

1937 Die Ausstellung „Entartete Kunst“ wird in München eröffnet

Alle Lehrer, die kirchlichen Orden angehören, werden aus den Volksschulen entlassen

1935 Versammlungen gegen die Abschaffung der Bekenntnisschulen werden verboten

Nürnberger Rassengesetze beschneiden Juden in allen Bürgerrechten

Gesetz zur Wiederherstel-lung des Berufsbeamten-tums, erster Judenboykott

Ermächtigungsgesetz wird vom Reichstag verabschie-det, die Gleichschaltung beginnt

1934 Gesetz über den Neu-aufbau des Reiches, die Hoheits rechte des Staates Bayern erlöschen. Auf-lösung des Bayerischen Landtags

In Nürnberg findet der Reichsparteitag statt

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1938Der Bayerische Lehrerverein kann sich aufgrund der herausragenden Position des Vorsitzenden Josef Bauer innerhalb der NSDAP relativ lang der Gleichschaltung, d. h. der Auflösung erwehren. Als Abteilung Wirtschaft und Recht innerhalb des Nationalsozialistischen Lehrer bun-des (NSLB) bleibt er bis zum 31. Dezember 1937 formal und vermögensrechtlich, nicht aber welt-anschaulich unabhängig. Zum 1. Januar 1938 geht der BLV schließlich in den Nationalsozialisti-schen Lehrerbund über, seine Ver-mögenswerte werden dem NSLB überschrieben inklusive des Hau-ses am Bavariaring und Schloss Fürstenstein.

Die Bekenntnisschule wird abge-schafft und im ganzen deutschen Reich eine „deutsche Gemein-schaftsschule“ eingeführt. Juden wird der Besuch deutscher Schulen generell verboten.

1941Neben der Volksschule wird eine vierjährige Hauptschule eingeführt. Sie sollen Schüler besuchen, die nach Meinung der Lehrer und Par-teifunktionäre charakterlich dafür besonders geeignet sind, wobei ins-besondere körperliche und geistige Leistungsfähigkeit eine Rolle spiel-ten. Gleichzeitig wird die sechs-jährige Mittelschule (Realschule) abgeschafft.

1939Die Archivmaterialien des BLV wer-den in das Haus des Deutschen Lehrers nach Bayreuth, das1937 errichtet wurde, ausgelagert. Dort fallen sie während eines Bombenan-griffes 1944 dem Feuer zum Opfer.

1938 Klösterliche Privatschulen werden geschlossen

Reichspogromnacht Verfolgung der Juden und Zerstörung von Synagogen und jüdischen Geschäften

1939 Deutschland annektiert Tschechien und Teile der Slowakei

Beginn des 2. Weltkrieges mit dem Einmarsch in Polen

1941 Entfernung der Kruzifixe aus den Klassenzimmern

1943 Die Geschwister Scholl organisieren Widerstand an der Münchner Universität, werden verhaftet und ermordet

1940 Beginn der systemati-schen Deportationen der jüdischen Bevölkerung

Errichtung des KZ Auschwitz

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1945Der frühere Leiter der schulpoliti-schen Hauptstelle im BLV (bis 1933), Dr. Friedrich Nüchter, be-treibt bereits kurz nach Kriegsende die Wiedergründung des BLV. Am 21. August richtet er zusammen mit einigen nicht belasteten frü-heren BLV-Mitgliedern ein Gesuch „petition concerning the reestab-lishing of the Bavarian Teachers Association“ an die amerikanische Militärregierung in Bayern.

Die Bekenntnisschule wird gegen die Vorstellungen der amerikani-schen Besatzungsmacht wieder eingeführt.

1946Am 20. März wird die Wiedergrün-dung des BLV von der amerika-nischen Militärregierung in Berlin genehmigt. In den im Juni veröf-fentlichten „Aufruf zum Zusammen-schluss aller bayerischen Lehrer und Erzieher“ wird ausdrücklich festgehalten, dass der Zusammen-schluss in einem neuen Verband „die Interessen und Vertreter aller Schulgattungen umfassen“ soll. Am 26. August 1946 wird daraufhin in Nürnberg der Bayerische Lehrer-verein neu gegründet. Als 1. Vorsit-zender wird Franz Xaver Hartmann gewählt

1946 Eine neue bayerische Verfassung tritt durch Volksentscheid in Kraft

1. Vollversammlung der UNO in New York

1945 Bayern wird amerikanische Besatzungszone und erhält eine Militärregierung

Ende des 2. Weltkriegs und Kapitulation Deutschlands

1943 Verstärkte Luftangriffe der Alliierten auf bayerische Städte

Schüler werden als Luft-waffenhelfer zum Kriegs-einsatz herangezogen

1944 Große Schäden und zehntausende Tote durch Luftangriffe auf bayerische Städte

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1951Die Vollversammlung des BLV im Juli in Augsburg beschließt nach kontroverser Diskussion mit 196 zu 116 Stimmen einen neuen Namen: Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband. Damit wird der Verbandsname der Tatsache gerecht, dass 28 % der Mitglieder Frauen sind.

Der BLV hat 17 176 Mitglieder.

1948Der 25-jährige Wilhelm Ebert ruft in der 1. Ausgabe der Bayerischen Lehrerzeitung im Juli 1948 zur Neugründung der „Arbeitsgemein-schaft Bayerischer Junglehrer“ auf: „Erste Aufgabe von Jungleh-rern ist es, jung zu sein! Mit ju-gendlicher Begeisterung wollen wir vor unsere Schüler treten und mit heiterem und aufgeschlossenem Herzen unsere schöne Aufgabe meistern. Das Zeichen gesunden jungen Geistes war zu allen Zei-ten ‚Sturm und Drang‘. Wir fühlen diesen Geist, wir wollen nicht mehr säumen. Wir dürfen uns nicht ver-zetteln. Schließen wir uns zusam-men!“ Im Sommer 1948 wird die ABJ wieder gegründet und Ebert zum 1. Vorsitzenden gewählt.

1946Die amerikanische Militärregierung fordert eine Abkehr vom geglieder-ten Schulwesen, die Einführung einer sechsjährigen Grundschule und den Ausbau der Beteiligungs-rechte der Lehrerschaft. Diese Anliegen stoßen auf den massi-ven Widerstand von Kultusminister Alois Hundhammer (CSU), der im Gegenzug einen „Erziehungsplan auf weite Sicht“ vorlegt. Die Be-kenntnisschule wird schließlich als Regelschule in der Bayerischen Verfassung festgeschrieben.

1946 Nürnberger Kriegs- verbrecherprozesse

1947 Erster bayerischer Ministerpräsident wird Hans Ehard (CSU)

1951 Gymnasialzeit wird auf neun Jahre verlängert

Beginn des sog. Wirtschaftswunders

1948 Tägliche Fleischration wird von 435g auf 100g herab-gesetzt

Verkündung der UN-Menschenrechts-konvention

1950 Volkszählung ergibt, dass in Bayern 9 126 010 Menschen leben

Bei Landtagswahlen wird SPD stärkste Fraktion. Hans Ehard (CSU) bleibt Ministerpräsident

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1953Am 1. Februar 1953 finden zeit-gleich in München und Nürnberg zwei Großkundgebungen des BLLV statt. In München nehmen 6 000 und in Nürnberg 3 000 Lehrerinnen und Lehrer teil. Im Mittelpunkt ste-hen die desolate wirtschaftliche Situ-ation der bayerischen Lehrerschaft in der Nachkriegszeit und der Kampf gegen die von der CSU geführten Staatsregierung angestrebten kon-fessionellen Lehrerbildung.

1952 Deutschland tritt unter Bundeskanzler Konrad Adenauer der Europäischen Verteidigungs gemeinschaft bei. Gründung der Euro pä-ischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl

(Montanunion. Sie wird Grundlage der europäi-schen Gemeinschaft)

Deutschland tritt dem Inter nationalen Währungs-fond bei

1953 Aufstand der Bürger gegen das politische System der DDR

Beginn der Bürgerrechts-bewegung in den USA zur Aufhebung der Rassen-trennung

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19551955 wird der 32-jährige Wilhelm Ebert zum 1. Vorsitzenden des BLLV gewählt. Ebert steht für eine Neu-orientierung und einen Neuanfang im Verbandsverständnis: Die junge Demokratie soll auch zum Aufbruch in der Bildungspolitik führen. Ebert setzt sich gegen die Bekenntnis-schule, für eine „demokratische Erziehungsschule“, für den Stufen-lehrer und für eine Gleichwertigkeit der Lehrer ein.

1956 Verlängerung der Amtszeit der Kommunalpolitiker auf sechs Jahre

Einführung der allgemeinen Wehrpflicht

Volksaufstand in Ungarn

1954Der BLLV mischt sich mit Ver-sammlungen in ganz Bayern in den Wahlkampf ein. In einer Kundge-bung in der TH München äußert Wilhelm Ebert bildungspolitische Grundsätze des BLLV: „Trennung schafft Vorurteile“. „Es ist ein welt-fremdes Ideal sich voneinander ab-zuschließen, um dann ungestört in Frieden zu leben.“

Bei den Landtagswahlen am 28. November 1954 erreicht die CSU 83 Mandate (bisher hatte sie 54). Sie triumphiert und kündigt eine konsequente „konfessionelle Lehrerbildung“ an.

Die anderen (vier) Parteien (SPD, Bayernpartei, Bund der Heimat-

1954 Vierer-Koalition ohne CSU, Wilhelm Hoegner (SPD) Ministerpräsident

Aufbau der Bundeswehr

Deutschland wird Fußball-weltmeister gegen Ungarn

vertriebenen und Entrechteten und FDP) erreichen 121 Mandate. Alle ihre Kandidaten hatten in den Ver-sammlungen den BLLV-Forderun-gen zugestimmt. Bei und mit Wal-demar von Knoeringen setzt sich Ebert sofort für ein Viererbündnis auf bildungspolitischer Grundlage ein. In der Zeit dieser Viererko-alition (ohne CSU) mit Wilhelm Hoegner als Ministerpräsident von 1954-1957 verändert sich das Verständnis für eine zukunftsorien-tierte Schule in den Parteien und relevanten Gruppen der Öffent-lichkeit. Der BLLV wird zu einem anerkannten und nicht mehr zu vernachlässigenden bildungspoliti-schen Faktor.

Beseitigung der Rassen-trennung in Schulen in den USA

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1957Der Hauptausschuss des BLV be-schließt den Bau des Münchner Studentenwohnheims. Es wird 1959 eingeweiht und bezogen. Es folgt der Kauf eines kleinen Wohn-heimes in der Altstadt von Regens-burg. Die Studentenwohnheime bilden den Verein Studentenwohn-heime des BLLV e.V.

Der BLLV hat 21 939 Mitglieder.

1958Unter Einsatz seiner berufswissen-schaftlichen Autorität und seines gewachsenen bildungspolitischen Gewichts kämpft der BLLV um die akademische Bildung von Volks-schullehrern und -lehrerinnen. In einem historischen Durchbruch verabschiedet der Landtag am 2. Juni 1958 einstimmig ein Leh-rerbildungsgesetz, mit dem ein Jahrhundert ständischer Diskrimi-nierung endet.

Die zweite Stufe der großen Besol-dungsreform tritt in Kraft. Sie war notwendig geworden, nachdem Bundestag und Bundesrat das Bundesbesoldungsgesetz und das Beamtenrechtsrahmengesetz, das verbindliche Vorschriften für die Beamtengesetzgebung der Län-der macht, verabschiedet hat. Die Volksschullehrer werden in A 10 eingestuft.

1957 Hanns Seidl (CSU) wird Ministerpräsident

Einführung der 45-Stundenwoche

Gründung der Europäi-schen Wirtschaftsgemein-schaft (Sechs Gründungs-mitglieder)

1959 Kubanische Revolution unter Fidel Castro

1961 In Bayern leben 9 494 939 Menschen

Bau der Berliner Mauer

Anwerbeabkommen mit der Türkei

Juri Gagarin (UdSSR) ist erster Mensch im Weltraum

Aufhebung der Rassen-trennung in den USA

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1964Georg Picht prägt den Begriff der „Bildungskatastrophe“, der eine langjährige intensive Diskussion über Bildungsbeteiligung und das Schulsystem anstößt. Im Fokus dieser Diskussion steht, die sozi-ale Benachteiligung in der Schu-le zu verringern und die Zahl der „Höherqualifizierten“ zu erhöhen. Das „katholische Landmädchen“ wird zum Begriff der dreifachen Bildungsbenachteiligung: In ka-tholischen Regionen, in ländlichen Gebieten und bei Mädchen ist die Bildungsbeteiligung am niedrigs-ten. Picht spricht von „Bildungs-reserven“, die es zu aktivieren gilt, um wirtschaftlich konkurrenzfähig zu werden.

1965Die Besoldungsnovelle tritt in Kraft, mit der die Lehrer an Volksschulen als Eingangsstufe A 11 erhalten.

Auf Initiative von Hugo Zirngibl wird die BLLV-Eigenhilfe gegründet, um in Not geratenen Mitgliedern un-bürokratisch und schnell finanziell helfen zu können.

1964 Der bayerische Kultus-minister Theodor Maunz (CSU) tritt wegen Nazivergangenheit zurück

Neuer Kultusminister wird Ludwig Huber

1962An der von Wilhelm Ebert forcierten Einstellung eines hauptamtlichen Studenten- und Junglehrerrefe-renten entzündet sich eine bereits länger schwelende Auseinanderset-zung um den Führungsstil des ers-ten Vorsitzenden. In der Einstellung hauptamtlicher Mitarbeiter sehen Eberts Gegner eine Abwertung der ehrenamtlichen Arbeit im Verband. Da Ebert von der Notwendigkeit der Professionalisierung überzeugt ist, aber die innere Einheit des BLLV nicht gefährden will, tritt er am 2. Juni 1962 als Vorsitzender zu-

rück. Er geht nach Paris und übt seine Tätigkeit als Direktor des Pariser Büros des Weltlehrerverban-des WCOTP und Ständiger Vertre-ter der WCOTP bei der UNESCO hauptamtlich aus. Er arbeitet dabei an führender Stelle mit u. a. an der Magna Charta des Lehrers und den UNESCO-Empfehlungen zum Sta-tus des Lehrers, die am 5. Oktober 1966 verabschiedet werden.Neuer 1. Vorsitzender des BLLV wird Hugo Zirngibl.

Der BLLV hat über 25 000 Mitglieder.

1962 Universitätsgründung in Regensburg

Alfons Goppel wird Minis-terpräsident

Arbeitslosenquote sinkt auf 0,7 %

1963 Ermordung des amerikani-schen Präsidenten John F. Kennedy

Vertrag über deutsch-fran-zösische Zusammenarbeit

Beginn des 1. Auschwitz-prozesses

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1968Die Auseinandersetzung um eine grundlegende Schulreform führt zu einem Volksbegehren der SPD und daraufhin zu einem der CSU. In Verbindung mit dem Parteivor-sitzenden der CSU und Bundes-finanzminister Franz Josef Strauß gelingt Präsident Wilhelm Ebert, dass ein über die beiden Volksbe-gehren hinausgehender Vorschlag des BLLV zur Verfassungsänderung im Einvernehmen mit allen Parteien erarbeitet wird und vom Landtag als dritte Alternative zur Abstimmung steht. Dieser vom BLLV öffentlich massiv unterstützte Vorschlag wird im Volksentscheid am 7. Juli 1968 mit 85% angenommen. Die staat-liche Konfessionsschule wird ab-geschafft zu Gunsten einer für alle Schüler und Lehrer gemeinsamen „Christlichen Schule“. In der folgen-den „großen Schulreform“ werden weit über tausend Zwergschulen geschlossen.

1966Nach dem sog. Hamburger Ab-kommen der Ministerpräsidenten aus dem Jahr 1964 wird eine Wei-terentwicklung der Volksschulen zu einer weiterführenden Schule in der Bundesrepublik angestrebt. Dazu gehört auch die Verlängerung der Schulpflicht auf neun Jahre und die Bestimmung, dass der Begriff der Volksschule nur noch verwendet werden soll, wenn beide Schularten organisatorisch zusammengefasst sind. In Bayern wird das 9. Schul-jahr an der Hauptschule eingeführt und die Landschulreform begon-nen – langjährige Forderungen des BLLV.

1967Auf Bitten herausragender Per-sönlichkeiten im BLLV stellt sich Wilhelm Ebert bei der Hauptver-sammlung des BLLV vom 18. bis 21. Mai 1967 in Regensburg nach fünf Jahren Aufenthalt in Paris er-neut zur Wahl zur Verfügung. Er erhält 422 von 551 abgegebenen Stimmen. Als zentrale Ziele nennt er eine grundlegende Schulreform, wobei die „christliche Gemein-schaftsschule“ nicht das Ziel, son-dern die Voraussetzung sei, eben-so wie eine weitere Reform der Lehrerbildung.

1966 Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, Kanzler ist Georg Kiesinger

1967 Bayerisches Fernsehen beginnt die Ausstrahlung des Telekollegs

Sechs-Tage Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten

1968 Zugangsbeschränkung zu den Hochschulen wird eingeführt

Vatikan spricht sich gegen künstliche Empfängnisver-hütung aus

1969 Die Zahl der in Bayern arbeitenden Migranten übersteigt 200 000

Willy Brandt (SPD) wird Bundeskanzler

Erste Mondlandung

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1974Auf einer BLLV-Kundgebung in Traunstein am 4. März bekundet Finanzminister Ludwig Huber seine Auffassungen zu Lehrerbildung und Lehrerbesoldung, die mit denen des BLLV weitgehend identisch sind: die Abkehr vom Schularten-lehrer zum Stufenlehrer, die Nicht-unterscheidung des Primarstufen-lehrers vom Sekundarstufenlehrer in der Besoldungskonzeption. Hu-ber statuiert: „Die staatspolitische Priorität dieser Neuordnung recht-fertige die Mittel“.

Am 17. Juli wird das Lehrerbil-dungsgesetz mit dem „Stufenleh-rer“ verabschiedet.

In der Bundesrepublik beginnt eine heftige Debatte um eine für alle Schüler gemeinsame Orientie-rungsstufe und die Gesamtschule als Alternative zum gegliederten Schulsystem, die zu nachhaltigen ideologischen Verwerfungen führt. In Bayern bremst Kultusminister Hans Maier mit der CSU diese Be-wegung zu mehr Integration aller Schüler und verhindert deren weite-re Entwicklung. Dies führt zu einer viele Jahre währenden scharfen Konfrontation zwischen der Schul-politik der CSU und dem BLLV.

1974 Energiekrise und Sonn-tagsfahrverbot

Rücktritt von Bundes-kanzler Willy Brandt wegen Guillaume-Affäre

Helmut Schmidt wird Bundeskanzler

1970Die Gesetzgebungskompetenz in Beamtenbesoldung, Versorgungs-recht und Laufbahnrecht wird von Landes- auf Bundesebene ge-hoben. Das zweite Besoldungs-neuregelungsgesetz wird vom Deutschen Bundestag und das zweite bayerische Besoldungsneu-regelungsgesetz vom Bayerischen Landtag verabschiedet. Damit werden Volksschullehrer in die Besoldungsgruppe A 12 und Real- und Sonderschullehrer in die Be-soldungsgruppe A 13 eingestuft.

1970 Einrichtung von Fachhoch-schulen

Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 18 Jahre durch Volksentscheid

Gründung der Universität Augsburg

1972 Olympische Spiele in München, Terroranschlag

Radikalenerlass, Überprü-fung aller Bewerber für den öffentlichen Dienst auf eine Mitgliedschaft in einer extre-mistischen Organisation

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1978Der BLLV gründet zusammen mit Prof. Dr. Hans Schiefele die Aka-demie für Bildungsreform und pädagogische Entwicklung. Ihr gehören zahlreiche prominente Er-ziehungswissenschaftler und Päda-gogen aus der ganzen Bundesrepu-blik Deutschland an. Ziel ist es, die Bildungsreformen in Deutschland wissenschaftlich zu begleiten und Reformkräfte in der Wissenschaft und der Praxis zusammenzuführen.

1975Wilhelm Ebert wird in Berlin zum Präsidenten des Weltlehrerver-bandes WCOTP (World Confede-ration of the Organizations of the Teaching Profession) mit Sitz in Morges bei Genf gewählt. Er übt dieses Amt bis 1978 aus und bleibt noch weitere Jahre im Vorstand der WCOTP.

Bau der Studentenwohnheime in Regensburg und Augsburg.

1977 Ermordung von Arbeit-geberpräsident Hans-Martin Schleyer

Entführung des Verkehrs-flugzeuges Landshut durch die RAF

1978 Franz-Joseph Strauß wird bayerischer Ministerpräsident

Neugründung der Universität Passau

1975 Errichtung von Selbst-schussanlagen an der deutsch-deutschen Grenze

Ende des Vietnamkrieges

Der Europäische Rat tritt das erste Mal zusammen

1976 Der § 218 zur Regelung der Abtreibung wird verab-schiedet

In China endet die Kultur-revolution mit dem Tod Mao Zedongs

Soweto-Aufstand in Süd-afrika gegen das System der Apartheid

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1984Auf der 44. Landesdelegiertenver-sammlung in Augsburg wird Albin Dannhäuser zum neuen Präsiden-ten des BLLV gewählt. Dannhäuser war u. a. Vorsitzender der ABJ, Leiter der schulpolitischen Hauptstelle im BLLV und für drei Jahre Geschäftsführer des Verban-des Bildung und Erziehung (VBE).

In seiner Antrittsrede umschreibt er seine Ziele als neuer Präsident. Schwerpunkte sind die Stärkung der professionellen Unabhängigkeit der Lehrer und die Verbesserung der individuellen Förderung der Schüler.

1986 Atomkatastrophe in Tschernobyl

1986 Hans Maier scheidet als Kultusminister aus. Nachfolger wird Hans Zehetmair (bis 1998)

1979 Erste Wahlen zum Europa-parlament

1980 Gründung der Grünen als Bundespartei

Erster Golfkrieg zwischen Iran und Irak

1981 Großdemonstrationen gegen Atomkraft

Griechenland tritt der Europäischen Wirtschafts-gemeinschaft bei

1982 Helmut Kohl wird Bundeskanzler

Die erste Compact Disc (CD) kommt auf den Markt

1983 Erfindung der Computer-Maus

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1989Im November 1989, wenige Wo-chen nach der Öffnung der Grenze zur DDR, findet das erste deutsch-deutsche Pädagogentreffen auf Ini-tiative des BLLV statt. Aus dieser ersten Begegnung entsteht eine intensive Kooperation zwischen BLLV und Lehrerkollegen in den neuen Bundesländern. Der BLLV unterstützt die Lehrer in den neuen Bundesländern in den 90er Jahren intensiv beim Aufbau unabhängiger Lehrerverbände.

Präsident Albin Dannhäuser fordert die Einführung von Beförderungs-ämtern für Grund-, Haupt-, Förder- und Realschullehrer als Schritt zur Gleichwertigkeit der Lehrer.

1987Der BLLV verabschiedet auf der Landesdelegiertenversammlung in Würzburg das Konzept der „Schule in der Region“. Es fußt auf einem Schulmodell, das Albin Dannhäuser angesichts der ersten demografi-schen Probleme als Leiter der schulpolitischen Hauptstelle im BLLV und als VBE-Geschäftsführer ent-wickelt hat. Kern des Schulmodells ist die Neubewertung der Schule in ihrer regionalen Einbindung. Schul-politisch wird die Möglichkeit integra-tiver Schulkonzepte vor Ort vorge-schlagen. Eine Stärkung der Eigen- verantwortung der Einzelschule ist Voraussetzung dieses Konzeptes, das zuerst in Rheinland-Pfalz rezi-piert und umgesetzt wird.

1987 USA beginnen mit der Vermessung der Welt mit GPS

1988 Max Streibl wird neuer Ministerpräsident

1989 In Berlin fällt die Mauer

Verkündung der UN- Kinderrechtskonvention

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1992Präsident Albin Dannhäuser grün-det das Forum Bildungspolitik in Bayern. Ihm gehören 15 Organisa-tionen an, die Lehrer, Eltern, Schü-ler und andere pädagogische Initia-tiven repräsentieren. Ziel ist es, in Bayern die Zusammenarbeit in der Bildungspolitik über Verbändegren-zen hinaus zu fördern. Bis zum Jahr 2011 ist die Zahl der Mitgliedsorga-nisationen auf 44 angewachsen.

Am 26. September 1992 folgen über 10.000 Eltern, Lehrer und Schüler dem Aufruf des Forums Bildungspolitik, auf dem Münchner Marienplatz gegen Sparmaßnah-

1990Gründung des BLLV-Wirtschafts-dienstes und des BLLV-Reisediens-tes in der Rechtsform einer GmbH, um die wirtschaftlichen Tätigkeiten des BLLV für seine Mitglieder von den ideellen Aktivitäten des BLLV zu trennen.

men an der Schule zu demonstrie-ren. Im gleichen Jahr übergibt Albin Dannhäuser dem Präsidenten des Bayerischen Landtags 198.370 Unterschriften bayerischer Bürge-rinnen und Bürger, die eine bessere Unterrichtsversorgung und eine in-novativere Schulpolitik fordern. Es handelt sich hierbei um die größte Massenpetition in der Geschichte Bayerns.

Das Forum Kindertagesstätten, in dem Erzieherinnen organisiert sind, tritt in den BLLV ein. Damit verstärkt der BLLV seine Aktivitäten im Be-reich der frühkindlichen Erziehung.

1990 Michail Gorbatschow wird Präsident der Sowjetunion

Deutsche Wiedervereinigung

1991 Auflösung der Sowjetunion

1992 Maastrichter Vertrag, Gründung der Europäischen Union

Der erste gesamtdeutsche Bundestag tritt zusammen

Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro beschließt das umweltpolitische Aktions programm für das 21. Jahrhundert die „Agenda 21“

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1993Die BLLV-Landesdelegiertenver-sammlung verabschiedet einen Initiativantrag „Schule 2000 – leis-tungsfähig, demokratisch, mensch-lich“. Er richtet sich gegen die bil-dungspolitische Restauration unter Kultusminister Hans Zehetmair und plädiert für pädagogische Innova-tionen. Er wird Grundlage für das Volksbegehren „Bessere Schulen“. Aufgrund interner Konflikte zieht der BLLV seine Mitarbeit an der Vorbe-reitung des Volksbegehrens zurück. Es wird von anderen Organisationen weiterbetrieben, vom Bayerischen Verfassungsgericht jedoch nicht zugelassen.

Das freiwillige 10. Hauptschuljahr wird eingeführt, eine langjährige Forderung der BLLV.

1994Während des Krieges im ehema-ligen Jugoslawien zwischen 1990 und 1992 sammelt der BLLV 1,5 Mio DM, um Flüchtlingskindern zu helfen. Eine beispiellose Welle der Hilfe wird durch den Aufruf des BLLV an den bayerischen Schulen initiiert. Daraufhin gründet der BLLV-Landesvorstand im Herbst 1994 die BLLV-Kinderhilfe als eigenständigen Verein. Die BLLV-Kinderhilfe unter-stützt seitdem regelmäßig Schulen und Kinderhäuser in der ganzen Welt u. a. in Ruanda, Vietnam, Bulgarien. Schwerpunkt ist das BLLV-Kinder-haus in Ayacucho, Peru.

1993 Max Streibl tritt wegen der „Amigo-Affäre“ zurück

Edmund Stoiber wird Ministerpräsident

2. Internationale Konferenz über Menschenrechte in Wien

1994 Aufhebung des Straftat- bestands der Homosexualität

1995 Norderweiterung der EU (15 Mitgliedstaaten)

Wegfall der Grenzkontrollen in der EU (Schengener Abkommen)

In Deutschland werden der Besitz und die Besitzver-schaffung von Kinder-pornografie strafbar

Verwirklichung des Euro-päischen Binnenmarkts

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1997Der Landesvorstand gründet den Verein Bildungswerk und Akade-mie des BLLV. Vorsitzender wird der langjährige Leiter der berufs-wissenschaftlichen Hauptstelle Prof. Dr. Heinz-Jürgen Ipfling. Die Akademie setzt die Tradition des 1910 gegründeten Pädagogisch-Psychologischen Instituts fort. Im Mittelpunkt des Seminarprogramms stehen persönlichkeitsorientierte, auf die besonderen Aufgaben des Lehrerberufs ausgerichtete Tages-seminare.

1998Der BLLV ruft zu einem Demon-strationszug unter dem Motto „Mehr Geld für Bildung“ auf. Fast 15 000 Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Schüler ziehen durch die Münchner Innenstadt vorbei an der Staats-kanzlei und dem Finanzministerium zur Abschlusskundgebung auf dem Odeonsplatz. Dies ist die größte Demonstration, die in Bayern je-mals für Bildungsthemen durchge-führt wurde. Auf dem Odeonsplatz wird für jeden der 1,3 Millionen bayerischen Schüler je ein symbo-lischer Pfennig in eine übergroße Sparkasse geworfen.

Nachdem die Staatsregierung und das Kultusministerium an ihrem Vorhaben, die bislang vierjährige Realschule auf sechs Jahre zu ver-längern, festhält, beginnen im BLLV die Vorbereitungen auf ein Volksbe-gehren gegen die Einführung der sechsstufigen Realschule.

1998 Monika Hohlmeier wird Kultusministerin (bis 2005)

Rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder

1997 Auf der Kyoto-Konferenz einigen sich die UN-Staaten auf verbindliche Klimaschutzziele

Ein Volksentscheid in Bayern streicht die Todes-strafe aus der bayerischen Verfassung

Gründung der globalisie-rungskritischen Nicht-Regierungs-Organisation ATTAC

Gründung von Google

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2001Im Dezember wird das erste Mal die internationale Vergleichsstudie „Program for International Student Assessement“ kurz PISA von der OECD veröffentlicht. Deutschland liegt in dem Vergleich von 32 Län-dern in fast allen Kategorien im letz-ten Drittel. Mit der Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse verän-dert sich die schulpolitische Diskus-sion in Deutschland grundlegend.

Der BLLV-Landesvorstand setzt auf Initiative des Präsidenten eine Kommission „BLLV – Die Zukunft beginnt heute“ ein, die sich mit der Frage auseinandersetzt, welche Innovationen der BLLV braucht, um in der modernen Informations-gesellschaft als größter Pädago-genverband in Bayern bestehen zu können. Weitreichende Ver-änderungen in Organisation und Erscheinungsbild werden in ver-schiedenen Gremien und auf Re-gionalkonferenzen diskutiert und in die Wege geleitet.

1999Der BLLV startet das Volksbegeh-ren „Die bessere Schulreform“, um die Einführung der sechsstufigen Realschule zu verhindern. Die Be-fürchtungen des BLLV sind eine weitere Verstärkung des Über-trittsdrucks in der Grundschule, ein massives Schulsterben in den ländlichen Regionen und eine Kos-tenexplosion zu Lasten der Unter-richtsversorgung und der Arbeits-bedingungen der Lehrer.

2000508 425 Bürger unterstützten das Volksbegehren, das im Februar 2000 stattfindet. Dies reicht nicht zum Volksentscheid. Die Befürch-tungen des BLLV, dass in vielen ländlichen Regionen die wohn-ortnahen Hauptschulen schließen müssen, stellen sich in kürzester Zeit noch dramatischer dar als vo-rausgesagt.

Nach dem Scheitern des Volks-begehrens wird die sechsstufige Realschule flächendeckend ein-geführt. Die Hauptschule erhält im Gegenzug die Berechtigung, einen mittleren Abschluss zu vergeben. Dafür werden M-Klassen und M-Züge eingerichtet. Außerdem werden Praxisklassen geschaffen.

Im Jahr 2000 überschreiten die Mitgliederzahlen des BLLV kons-tant die 50 000.

1999 In der Schweiz wird das World Wide Web entwickelt

Unterzeichnung eines Abkommens zur Schaffung eines Europäischen Hoch-schulraumes in Bologna

2001 Anschlag auf World Trade Center

2000 Das Recht auf gewalt-freie Erziehung wird in Deutschland gesetzlich festgeschrieben

Microsoft bringt das Betriebssystem Windows 2000 auf den Markt

2002 Einführung des Euro als Bargeld

Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt

Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannes-burg/Südafrika

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2003Der BLLV übergibt dem Bayeri-schen Landtag eine von 102 317 Eltern und Lehrern unterzeichnete Eingabe zur Sicherung der pä-dagogischen Arbeit in der Grund-schule. Forderungen sind bessere Förderung, mehr Unterrichtsstun-den, kleinere Klassen und mehr finanzielle Mittel.

Das achtjährige Gymnasium wird gegen massive Widerstände unter Ministerpräsident Edmund Stoiber eingeführt. Der erste Jahrgang legt im Jahr 2011 das Abitur ab.

2004Der BLLV initiiert die „Aktion Rot-stift – mehr geht nicht!“ Mit ihr soll deutlich gemacht werden, dass Lehrer und Schulleiter den ständi-gen Mehraufgaben, die ohne Be-reitstellung finanzieller und perso-neller Ressourcen erledigt werden sollen, entgegen treten. Zahlreiche Kollegien beteiligen sich an dieser Aktion, die zu heftigen Attacken der Regierungspartei CSU und der Kul-tusministerin auf den BLLV führt.

Die Einführung der sechsjährigen Realschule ist abgeschlossen. Das Ziel einer „Entlastung“ des Gym-nasiums und einer Stärkung der Haupt schule wird nicht erreicht. Sowohl die Übertrittsquoten auf das Gymnasium als auch auf die Real-schulen steigen. Die Hauptschulen verlieren deutlich an Attraktivität.

2004 Facebook wird implementiert

Erste Osterweiterung der EU (25 Mitgliedstaaten)

2003 Beginn des Irakkriegs

Neues Ladenschlussgesetz erlaubt Öffnung bis 20:00 Uhr

Bundesweite Proteste gegen die Sozialgesetz-gebung der Bundes-regierung, insbesondere die Hartz IV Gesetze

Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean mit über 200 000 Toten

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2005Der BLLV gründet unter dem Dach der BLLV-Akademie das „Institut für Gesundheit in pädagogischen Berufen“ als Service-, Informa-tions- und Beratungsstelle für Leh-rerinnen und Lehrer, die aufgrund berufsbezogener Stressbelastun-gen gesundheitliche Probleme haben. Leiter des Instituts ist Prof. Dr. Joachim Bauer von der Univer-sität Freiburg.

Der BLLV ist Mitinitiator des „Bünd-nisses für Toleranz in Bayern“, bei dem sich 20 Organisationen, dar-unter die beiden Kirchen und die israelitische Kultusgemeinde aktiv zum Schutz der Menschenrechte in Bayern gegen rechtsextremisti-sche Angriffe bekennen.

2006Der Bundestag und der Bundes-rat beschließen die Föderalismus-reform. Sie umfasst ein sog. Ko-operationsverbot, das ausschließen soll, dass der Bund in Fragen der Schulpolitik aktiv mit den Ländern zusammenarbeiten kann. Sie setzt damit die 2007 mit der Auflösung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungs-förderung eingeschlagene Zerschla-gung landesübergreifender Koordi-nationsgremien fort.

In Folge der Föderalismusreform fällt die Gesetzgebungskompetenz in Fragen der Besoldung, Laufbahn und Versorgung der Länderbeamte an die Bundesländer zurück. In

2005 Siegfried Schneider wird Kultusminister (bis 2008)

Gewalttätige Unruhen Jugendlicher in Frankreich

2006 Zahl der Arbeitslosen in Deutschland steigt auf über 5 Mio (12,1 %)

Verkündung der UN-Be-hindertenrechtskonvention (Inklusion)

Bayern beginnt ein intensiver Ge-setzgebungsprozess für ein neues Dienstrecht.

Der Dachverband des BLLV, der Bayerische Beamtenbund (BBB), nimmt unter Führung des Leiters der Abteilung Dienstrecht und Be-soldung im BLLV, Rolf Habermann, nachhaltig Einfluss auf das zu ent-wickelnde neue Dienstrecht. Es gelingt in diesem Zusammenhang die strukturelle Diskriminierung der Grund-, Haupt-, Förder- und Real-schullehrer in der Frage eines Be-förderungsamtes zu überwinden. Das neue Dienstrecht tritt 2010 in Kraft.

Joseph Ratzinger wird Papst Benedikt XVI

Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel

Bundestag erhöht Mehr-wertsteuer auf 19 %

Bundestag verabschiedet das Allgemeine Gleich-stellungsgesetz und das Verbraucherinformationsge-setz

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2008Der BLLV initiiert die Aktion „Un-sere Kleinen ganz GROSS“. Über 100 000 Bürgerinnen und Bürger unterstützen die Initiative des BLLV mit ihrer Unterschrift. Im Mittel-punkt stehen die Verbesserung der individuellen Förderung und eine längere gemeinsame Schulzeit. Im Zuge dieser Initiative wird die Zusammenarbeit mit den Eltern verstärkt.

Der BLLV hat 53 917 Mitglieder.

2008 Bei Landtagswahlen verliert die CSU die absolute Mehrheit

Die Freien Wähler ziehen in den Landtag ein

2007Auf der 51. Landesdelegiertenver-sammlung des BLLV in Würzburg wird der Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik, Klaus Wenzel, zum neuen Präsidenten des BLLV gewählt. Klaus Wenzel hat über 30 Jahre in Schulen unterrichtet. 15 Jahre war er Seminarlehrer. Von 1984 bis 2007 leitete er die Ab-teilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV.

Klaus Wenzel setzt als Schwerpunkt seiner Arbeit die Überwindung des Übertrittsdrucks, den Ausbau der individuellen Förderung und die re-gionale Schulentwicklung. In einer Reihe von Positionspapieren zur Lehrerbildung, zur Schulleitung, zum Gymnasium und zur Inklusi-on werden die BLLV-Positionen neu bestimmt und zur Diskussion gestellt. Klaus Wenzel öffnet den BLLV verstärkt für interessierte Lehrerinnen und Lehrer aus der Realschule und dem Gymnasium.

2007 Günter Beckstein wird Ministerpräsident

Zweite Osterweiterung der EU (27 Mitgliedstaaten)

Die erste Weltfinanzkrise belastet die Wirtschaft

Bundestag verabschiedet die Rente mit 67 Jahren

Gründung der neuen Partei Die Linke

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2011Die demografische Entwicklung führt in allen Bundesländern zur Einführung eines zweigliedrigen Schulsystems und zur Abschaffung der Hauptschule auch in CDU-regierten Bundesländern außer in Bayern. Die CSU erklärt den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems zu einem Kern konservativer Werteo-rientierung. Der Bundesparteitag der CDU diskutiert die Forderung nach Einführung eines zweigliedri-gen Schulsystems. Klaus Wenzel wird mit 97 % in seinem Amt bestätigt. Das Forum Bildungspolitik spricht sich im Rah-men seines 20-jährigen Jubiläums für eine zweigliedrige Schulstruktur aus. Ihm gehören inzwischen 44 Organisationen an.

Im BLLV sind über 55 000 Lehre-rinnen und Lehrer aller Schularten, Lehramtstudenten, Pensionisten und Schulsekretärinnen Mitglied. 75 % der Mitglieder sind Frauen.

2009Klaus Wenzel initiiert vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, des geänderten Übertrittsverhaltens und des Schul-sterbens eine Kampagne zum Erhalt der wohnortnahen Schu-le in Bayern unter dem Slogan „Regionale Schulentwicklung“. Hierbei fordert er pragmatische, Schulart übergreifende Modell-versuche. Über 80 Schulen und Gemeinden beantragen beim Kul-tusministerium Modellversuche, die alle mit Formschreiben abgelehnt werden.

Als Antwort auf diese Initiative ent-wickelt das Kultusministerium die Hauptschule zur Mittelschule wei-ter mit verstärkter berufsorientier-ter Ausrichtung. Gefährdete kleine Hauptschulen werden zu Schulver-bünden zusammengefasst.

2011 Die zweite Weltfinanzkrise

Volksaufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und anderen arabischen Ländern

Doppelter Abiturjahrgang verlässt das Gymnasium

2009 Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden

2010 Einführung des elektroni-schen Personalausweises

CSU/FDP Koalition, Horst Seehofer wird Ministerpräsident

Ludwig Spaenle wird Kultusminister

Barack Obama wird erster afroamerikanischer Präsident der USA

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1 Ich habe über diesen Fragenkreis bereits mehrfach gearbeitet und erspare mir deshalb weitgehend detaillierte Belege. Die Bezugsliteratur ist im Literaturverzeichnis angegeben.

Max Liedtke – Professor für Pädagogik an der Universität Erlangen-Nürnberg

1. Von der Schwierigkeit und der Möglichkeit, historische Erfolge zu belegen Die geschichtliche Bedeutung eines Verbandes zu würdigen ist ein schwieriges Ge-schäft. Alle kulturellen und sozialen Phänomene haben viele Väter und Mütter, haben ein im Detail nicht zu durchschauendes Netz an Ursachen und an Rahmenbedingungen. Es gibt auch in der Bayerischen Bildungsgeschichte kein einziges Ereignis, das in einem strengen Sinn einer einzelnen Person zuzuordnen wäre, auch nicht einer exakt isolier-baren Personengruppe.

Aber das schließt Zuordnungen nach dem Grad der Beteiligung nicht aus. So war zum Beispiel Charles Darwin nicht der Erfinder oder der Entdecker der Evolution. Die Wur-zeln der Evolutionstheorie reichen bis in die griechische Antike zurück. Ganz unmittelbar zehrt Darwin von den „Evolutionisten“ des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Aber die Intensität seiner Forschungen und die kausale Interpretation der empirischen Befun-de machen ihn dennoch zum Begründer und zum „Namen“ der modernen Evolutions-theorie. Karl Heiß ist nicht der „Erfinder“ der Lehrervereine, auch nicht der bayerischen. Es gibt ein ganzes Geflecht an hochverdienten bayerischen und außerbayerischen „Vorfahren“, denen er seine Ideen und seinen Erfolg zu danken hat. Aber er hat in güns-tiger geschichtlicher Situation Ideen aufgenommen und sie mit großem bildungspoliti-schen Engagement, mit professionellem organisatorischen Geschick sowie mit hervor-ragendem juristischen Sachverstand umgesetzt, den Bayerischen Lehrerverein (wieder-)gegründet und ihn mit bewundernswerter Ausdauer gegen eine Vielzahl an Hemmnissen und Widerständen auf einen offenkundig dauerhaften Weg gebracht. Er ist – trotz aller „Vorfahren“ und Helfer – der Gründer des Bayerischen Lehrervereins.

Eine vergleichbare Argumentation gilt, wenn man nach der geschichtlichen Bedeutung eines Verbandes fragt. Aber die Argumentation ist hier einerseits schwieriger, anderer-seits leichter. Sie ist schwieriger, wenn es darum geht, den Einfluss eines Verbandes auf

dIe bedeutung des bllv

In der bayerIschen bIldungsgeschIchte1

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komplexe bildungsgeschichtliche Entwicklungen zu belegen. Schon wegen des Ranges der Schule für die individuelle Entwicklung der Kinder, mehr noch für die wirtschaftliche und weltanschauliche Entwicklung der Gesellschaft, ist die Zahl derer, die aktuell und geschichtlich auf die Gestaltung der Schule Einfluss zu nehmen versuchen bzw. Einfluss genommen haben, wesentlich höher, als dies in der bisherigen Geschichte bei einzelnen wissenschaftlichen Entdeckungen, erst recht bei relativ isolierten vereinsrechtlichen An-gelegenheiten der Fall war. Die Argumentation ist leichter, weil in einem Verband viele Individuen miteinander verbunden sind. Daher sind die verbindenden Ideen/Interessen mutmaßlich auch verbreiteter und wirksamer, insbesondere wenn die Verbandsmitglieder noch multiplikatorische Funktionen haben (z. B. Erzieher, Lehrer). Die Argumentation bezüglich der geschichtlichen Wirkungen eines Verbandes ist an erster Stelle aber dadurch leichter, weil durch den Verband Ideen/Interessen eine größere Lebensdauer erhalten, als ein Einzelmitglied sie erreichen könnte. Die Chance einer Idee, wirksam zu werden, hängt von vielen Faktoren ab, aber ganz sicher auch von ihrer Langlebigkeit in einer Gesellschaft. Verbandsgeschichten bieten die Möglichkeit, geschichtlich zu verfol-gen, wo und wann Ideen aufgetaucht und dauerhaft vertreten worden sind und ob sie sich schließlich in welchem Grade in der gesellschaftlichen Realität finden lassen.

2. Von Glanz und Schatten

Durch die „Dauerhaftigkeit“ eines Verbandes erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, nach-haltige Wirkungen zu erzeugen. Die Dauerhaftigkeit hat aber auch ihre Probleme. Ge-schichte ist nicht homogen, sondern hat Brüche. Auch die Bildungsgeschichte. Der BLLV wurde 1861 unter den Bedingungen einer konstitutionellen Monarchie gegrün-det, auch die Vorgeschichte des BLLV, beginnend mit dem „Allgemeinen Lehrerverein in Bayern“ (1823), gehörte zu dieser politischen Epoche. Es kam die Kaiserzeit, die im 1. Weltkrieg gipfelte und endete. Dann folgte die republikanische Phase der Weimarer Zeit, 1933 abgelöst durch die Diktatur der Nationalsozialisten, die – begleitet durch die bislang größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte – in der Katastrophe des 2. Weltkrieges ihr Ende fand. Es folgte die Zeit des wirtschaftlichen Aufbaus und der Wiederherstellung eines demokratischen Staates, die Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West und schließlich nach 1989 die Auflösung des Ost-Westgegensatzes.

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Auch wenn grundlegende bildungspolitische Forderungen des BLLV in all diesen Zeiten weitgehend identisch geblieben sind, das politische Umfeld wechselte in – mitunter – extremer Weise, damit verbunden auch schulische Inhalte und Erziehungsziele. Mit Blick auf die lange Geschichte des BLLV lässt sich keineswegs sagen, der BLLV habe eine durchgängig glanzvolle Geschichte. Natürlich war die Verbandspolitik nicht immer frei von Irrtümern und verbandspolitisch unklugem Verhalten. Es gibt aber auch Phasen, in denen sich der BLLV zu willfährig zum Instrument der Politik hat machen lassen. Dass der BLLV mindestens auf der Führungsebene tiefer im Nationalsozialismus verstrickt war, als es in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit eingestanden wurde, ist unter-dessen bekannt (vgl. Schäffer, Fr. 1995; Liedtke, M./Schneider, M. 1996; Reithmeier, D./Schäffer, Fr. 2012). Noch die Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des BLLV (Guthmann, J. 1961) ist, so sehr ich die Lebensleistung von J. Guthmann schätze, nach meiner Ansicht zu exkulpierend und zu verschleiernd mit dieser Phase der Geschichte des BLLV umgegangen (a.a.O., S. 308-326). Obwohl sich auch viele seinerzeitige Mit-glieder distanziert, ja widerständig verhalten haben, der BLLV war in der Nazizeit durch seine Führungsgruppe nicht nur ein angepasstes „mitläuferisches“ Instrument der Nazis, sondern er war ein überzeugtes, williges Instrument.

Aber auch in der Kaiserzeit hatte der BLLV vielfach nicht die nötige Distanz zu den politischen Zielen der politischen Herrschaft. Der BLLV hat sich in den Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg keineswegs etwa den Kriegsvorbereitungen widersetzt, die schon vor 1900 erkennbar waren, insbesondere nicht dem Aufbau und der Verbreitung von Feind-bildern (z. B. der „Erbfeind“ Frankreich). Lautstarker Widerstand oder auch nur laut-starke Mahnungen waren nicht zu hören. Im Gegenteil, besonders im zeitgenössischen Jugendschrifttum des BLLV wurden diese politischen Ziele immer wieder aufgenommen und – faktisch kritiklos – begleitet. Vermutlich haben die führenden Vertreter des BLLV nicht durchschaut, was hier geschah, und haben bei dem mitgemacht, was wohl Geist der Zeit war. Man mag Gründe finden, Verantwortlichkeiten zu relativieren und Schuld zu mindern. Aber man wird die tiefen Schatten nicht wegwischen können, die auch durch den 1. Weltkrieg, durch dessen „pädagogische“ Vorbereitung und dessen „pädagogi-sche“ Förderung, auf der Geschichte des BLLV liegen. Es gehört nicht nur Glanz zur langen Geschichte des BLLV, auch Schatten gehören dazu. Das soll nicht verschwiegen werden, auch wenn – zu Recht – der Glanz gefeiert wird.

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3. Die bildungsgeschichtlichen Spuren des ältesten bayerischen Lehrerverbandes

Alle großen, bereits im 19. Jahrhundert gegründeten bayerischen Lehrervereinigungen haben auch ihre Vorgeschichte, ob es der BLLV ist, der Philologenverband, der Real-schullehrerverband, der Katholische Lehrerverein (Vorgänger der KEG von 1948) oder der 1898 gegründete Bayerische Lehrerinnenverein. Aber ob man sich auf das ge-schichtliche Wurzelwerk der Verbände bezieht, auf die jeweilige „Vorgeschichte“, oder auf das juristisch fixierte Gründungsdatum, der BLLV ist der älteste Lehrerverband. Mit dem gleichwohl jüngeren Philologenverband verbindet ihn allerdings besonders, dass beide Vereine – auch nach dem juristischen Datum – noch vor der Reichsgründung von 1871 unter den Bedingungen des Königreichs Bayern gegründet worden sind. Aus dieser Geschichte des BLLV mögen sich daher – außer aus den kulturpolitischen Son-derwegen Bayerns – auch die immer wieder beobachtbaren Bemühungen um Eigen-ständigkeit des Verbandes im Kreis der deutschen Lehrerverbände erklären.

Wenn man nach der Bedeutung dieser Verbände in der bayerischen Bildungsgeschichte fragt, wird der Vergleich natürlich schwieriger. Aber es gibt drei Argumente, die sehr schnell vermuten lassen, dass der BLLV, ohne die spezifischen Verdienste der anderen Verbände zu schmälern, wohl auch in diesem Punkt einen Vorsprung hat. Der erste Grund ist die größere Zahl an Mitgliedern. Abgesehen von der Nazizeit war der BLLV immer der mitgliederstärkste Lehrerverband in Bayern und ist es weiterhin. Schon dadurch könnte sein bildungspolitischer Einfluss größer sein bzw. gewesen sein.

Der zweite Grund ist auch ein quantitativer. Auch was die Schülerschaft betrifft, stand der BLLV, vergleicht man ihn mit dem Philologen- und dem Realschullehrerverband, über seine Mitglieder durchgehend mit einem wesentlich größeren Teil der Bevölkerung in Kontakt. Überdies hatte der BLLV durch seine Mitglieder geografisch ein wesentlich dichteres Netz über Bayern gelegt. Zwar war nicht jeder Volksschullehrer im BLLV, auch erreichte der BLLV nicht alle Gemeinden in Bayern, aber was immer der BLLV bildungs-politisch forderte oder umsetzte, betraf in den ersten 6 Jahrzehnten seiner Existenz

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deutlich über 90 % der bayerischen Schülerschaft, auch wenn sich ab 1893 neben dem BLLV der Katholische Lehrerverband, der ausdrücklich mit dem BLLV konkurrierte, und 1898 der Bayerische Lehrerinnenverein etablierten. Zwar steigerte sich im Laufe der Zeit der Anteil der Schülerschaft, die in das besondere Interessensfeld des Philologen-verbandes und des Realschullehrerverbandes fielen, aber durch die Einführung der vier-jährigen Grundschulpflicht (seit 1919) – verbunden mit dem Verbot spezieller „Vorschulen“ bei den weiterführenden Schulen – verschob sich der quantitative Einflussbereich der Verbände auch bis zum 100-jährigen Jubiläum des BLLV (1961) nicht wesentlich. In den dann folgenden Jahren gab es ab dem 5. bzw. 7. Schuljahr zwar eine zunehmend deutliche Gewichtsverlagerung zu den Gymnasien bzw. zu den Realschulen. Aber wiede-rum insbesondere über das traditionelle Interessensfeld „Grundschulen“, aber auch über die Interessenfelder „Hauptschule/Mittelschule“ und „Förderschulen“ besitzt der BLLV bildungspolitisch weiterhin ein sehr bedeutsames, Spuren ziehendes Gewicht, zumal er sich, wie bereits in seiner Gründungsphase, erneut betont als Verband von Lehrern aller Schularten versteht und seit dem Beginn es 21. Jahrhunderts an diesen Schularten deutlich an Mitgliedern gewinnt.

Aber die bildungspolitischen Spuren hängen am stärksten mit den jeweiligen Program-men der Lehrerverbände zusammen. Das ist der dritte Grund, durch den der BLLV in der bisherigen Geschichte die Spitzenposition unter den bayerischen Lehrerverbänden einnimmt. Natürlich ging es bei der Gründung aller Lehrerverbände immer auch um Standesinteressen. Aber es ist in keinem Fall zu bestreiten, dass es allen hier genann-ten Lehrerverbänden zugleich auch um eine Verbesserung „ihrer“ Schulen, um eine Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten ihrer Schülerklientel ging. Der Bayerische Phi-lologenverband, dessen Vertreter es in der Gründungszeit zunächst um die rechtliche und finanzielle Gleichstellung mit den staatlich bediensteten Juristen ging, hat sicher in vieler Hinsicht dazu beigetragen, dass das Gymnasium sich zur erfolgreichsten und attraktivsten Schule der Sekundarstufe II entwickelt hat. Sieht man von den Hoch-schulen und Universitäten ab, haben die Gymnasien so auch in besonderer Weise zur Steigerung und zur Streuung der Wissenskumulation in der Gesellschaft beigetragen.

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In langfristiger schulgeschichtlicher Sicht ist aber wohl noch bedeutsamer, dass der Realschullehrerverband, dem es zunächst zwar auch primär um eine Gleichstellung mit den „Philologen“ ging, erfolgreich für ein neues Verständnis von „Bildung“ gestritten hat. Dem Realschullehrerverband ist wesentlich zu danken, dass der spezifische „Bildungswert“ der naturwissenschaftlichen Fächer, die insbesondere von den Vertre-tern der traditionsreichen humanistischen Gymnasien des 19. Jahrhunderts abgewertet worden waren, an pädagogischer und gesellschaftlicher Anerkennung gewannen. Das war nicht weniger als ein einschneidender bildungsgeschichtlicher Paradigmenwechsel, der vereinsgeschichtlich auch zu erheblichen Umorientierungen im konkurrierenden Philologenverband geführt hat. Eben durch diesen Paradigmenwechsel ist auch erst die von mir dem Philologenverband zugeschriebenen Wissenskumulation möglich geworden. Der Bayerische Lehrerinnenverein, der nach dem 2. Weltkrieg faktisch in den „BLV“ aufgegangen ist und 1951 aus dem „BLV“ erst den „BLLV“ gemacht hat (Bayeri-scher Lehrer- und Lehrerinnenverband), hat sicher nicht nur wesentlich zur Gleichstellung von Mann und Frau im Schuldienst, sondern im gesamten Staatsdienst beigetragen. Der Katholische Lehrerverein kann sich schulgeschichtlich als Verdienst anrechnen, dass sich im umgreifenden Säkularisierungsprozess der letzten drei Jahrhunderte rechtliche und inhaltliche Positionen der Kirche trotz sich intensivierender Gegenströmungen und trotz entsprechend vieler Rückschläge doch immer noch erhalten haben.

Aber die bildungspolitischen Felder, auf denen der BLLV zu streiten hatte, waren erstens größer, zweitens viel schwerer zu bestellen. Sie waren größer, weil – selbstverständlich neben dem standespolitischen Interesse – die Zahl der bildungspolitischen und päda-gogischen Problemen, die Zahl der gesellschaftlichen und pädagogischen Defizite viel größer war. Beispielsweise brauchten Lehrer der weiterführenden Schulen sich neben der üblichen Unterrichtstätigkeit nicht (mindestens nicht im gleichen Umfang) um Fragen der Bildungsfähigkeit und des Bildungsrechtes aller Kinder (u. a. auch der Mädchen, auch der Bauernkinder, auch der Behinderten) zu kümmern, brauchten sich nicht in gleichem Maße um spezifische Unterrichtsmethoden für Kinder, die in irgendeiner Weise beeinträchtigt waren, zu sorgen. Sie hatten auch nicht in gleichem Maße mit all

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den Problemen zu tun, die sich auch schulisch aus dem oft ungünstigen wirtschaftli-chen und sozialen Umfeld der „durchschnittlichen“ Volksschulkinder ergaben. Auch die Lebensbedingungen der – in größter Zahl – ländlichen Volksschullehrer waren bis Ende des 1. Weltkrieges wesentlich schwieriger als die der städtischen Lehrer, erst recht als der Lehrer der weiterführenden Schulen. All dies forderte Wachsamkeit und zusätzliche politische Aktivitäten.

Die bildungspolitischen Felder der Volksschullehrer waren aber auch viel schwerer zu bestellen. Im Gegensatz zu den Gymnasien und den Realschulen (in unterschiedlicher Ausprägung) waren die Volksschulen (ausgenommen zwischen 1937 und 1945) bis 1968 z. B. konfessionsgebunden. Bei bildungspolitischen Fragen, ob in Schule oder Lehrerbildung, ging es oft nicht nur um Zuständigkeiten des Staates oder der Gemein-den, es ging auch um konkordatär oder staatsrechtlich absicherte Zuständigkeiten der Kirchen. Ein leidiges Problem war auch die Schulaufsicht. Seit 1802 war die Volks-schule zwar eine staatliche Einrichtung, aber die lokale Schulaufsicht lag – delegiert durch den Staat – insbesondere auf dem Lande bis 1918 in den Händen des jeweiligen Orts- bzw. Sprengelpfarrers. Bis 1918 hatte der Volksschullehrer auf dem Lande auch durchgängig bestimmte gemeindliche Arbeiten zu übernehmen (z. B. Kirchendienste, Organist, Chorleiter, Gemeindeschreiber). Auch die Zahl der zu betreuenden Schüler lag im Volksschulbereich durchweg deutlich über der Schülerzahl in den weiterführenden Schulen. Der hohe Grad der Probleme, mit denen speziell die Volksschullehrerschaft zu kämpfen hatte, ist auch daran abzulesen, dass der Lehrerverein durch eine unein-sichtige und keineswegs mit besonderer sozialen Sensibilität ausgestatteten Obrigkeit schon zweimal verboten worden war (1832; 1850), bevor überhaupt einer der anderen Lehrerverbände in Bayern gegründet worden ist.

Insoweit war der Aufwand, bildungspolitische Veränderungen zu erzielen, für die Volks-schullehrerschaft wesentlich schwieriger. Weil aber von bildungspolitischen Veränderun-gen in der Volksschule jeweils ein großer Teil der Bevölkerung unmittelbar betroffen ist, sind hier die geschichtlichen Spuren deutlicher wahrzunehmen. Noch deutlicher sind sie, sofern zu den angestrebten oder erfolgten Veränderungen Diskussionen und Be-schlüsse nicht nur über gesetzliche Grundlagen, sondern auch über Verfassungsfragen und konkordatäre Bindungen erforderlich sind bzw. waren. Aus diesen Gründen hat der BLLV nicht zu übersehende Merkzeichen in der Bayerischen Schulgeschichte gesetzt.

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4. Große Ziele, lange Wege, Erfolge

4.1 Große ZieleWelche Ziele waren das? Natürlich zunächst das Ziel, den Bayerischen Lehrerverein zu gründen und damit ein machtvolles Instrument der Verbandsinteressen zu schaffen, ein Ziel, das die bayerische Lehrerschaft bislang mehrfach verfehlt hatte. Doch der Anlass, den Verein zu gründen, war ein Kanon bildungspolitischer Ziele der Lehrerschaft. Diese Ziele sind – mit Datenmaterial unterfüttert und mit eingehenden Begründungen abgesichert – in der Denkschrift des BLLV von 1863 zusammengestellt. Aber genau diese Ziele hatten schon eine ausgedehnte konkrete Vorgeschichte. Ohne Kenntnis dieser Vorgeschichte sind die Dynamik und die Probleme der Umsetzung dieser Ziele kaum zu verstehen.

Die zentralen Ziele des BLLV tauchen in der Vorgeschichte des Verbandes konkret zusammengefasst erstmals in einem auf den 12.3.1848 datierten Aufruf der Lehrer Nürnbergs und Fürths auf. Der Aufruf, verfasst in der „Morgenröthe der Freiheit“ von 1848, wandte sich in der Adresse an „sämtliche Volksschullehrer Bayerns“ und hatte das Ziel, dass „Einheit in unsere Bitten gebracht wird“. Gemeint waren die Forderungen und Anträge, mit denen sich die bayerische Lehrerschaft in der Aufbruchsstimmung der Revolution von 1848 an das Ministerium und an die Bayerische Abgeordnetenkammer gewandt hat bzw. wenden wollte. In dem Aufruf waren in neun Punkten die zentralen Forderungen, mit denen „längst gefühlte Mißstände“ ausgeräumt werden sollten, benannt:

„1. Freie Stellung der Volksschule und ihrer Lehrer. ...“: Konkret war hier – ohne im Grundsatz kirchenfeindlich zu sein – eine konsequentere Trennung von Kirche und Staat gefordert. Es ging um eine Reduzierung des kirchlichen Einflusses innerhalb des staat-lichen, aber eben immer noch konfessionell getrennten und durch vielfältige kirchliche Mitspracherechte bestimmten Schulwesens, insbesondere um die Beseitigung der loka-len Schulaufsicht, die faktisch immer noch in den Händen der Ortspfarrer lag und eben nicht in den Händen ausgebildeter Pädagogen.

„2. Gleichstellung der Lehrer mit den Staatsdienern ...“: Dies war nach heutiger Termi-nologie die Forderung nach einer Verbeamtung der Lehrerschaft, unter staatlicher und nicht unter gemeindlicher Zuständigkeit.

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„3. Eine dem Lehrerberuf entsprechende wissenschaftliche Bildung“: Zwar war seit Be-ginn des 19. Jahrhunderts eine seminaristische Ausbildung der Lehrer vorgeschrieben. Aber das Niveau dieser Ausbildung war immer wieder umstritten und – auch wegen der Besorgnis revolutionärer Umtriebe durch die Lehrer – durchweg auf ein sehr elementa-res inhaltliches Programm beschränkt.

„4. Vertretung des Standes sowohl im Landtage als in der Schulkommission durch Stan-desglieder“: Die Lehrerschaft wollte in Schulfragen konkret mitbestimmen und in ent-scheidenden Gremien nicht lediglich durch Geistliche oder Juristen vertreten sein.

„5. Revision des Lehrplans und zweckmäßige Auswahl der Lehrmittel ... mit Beziehung der Lehrer“: Seit den frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gehörte es zu den zentralen Anliegen der Lehrerschaft, die Volksschule nicht auf ein Minimalprogramm von Religi-ons- sowie Lese- und Schreibunterricht reduzieren zu lassen, vielmehr sollte die Schü-lerschaft rundum gebildet werden. Sie sollte aufgeschlossen sein für „alles Wahre, Gute und Schöne“, ein Postulat, das auch in der Lehrerschaft der frühen Vereinsgründungen für eine umfassende, im Grundsatz unbegrenzte Bildung stand. So hatte auch Johann Konrad Grießhammer, der Gründer des „Allgemeinen Lehrervereins in Bayern“ und auch der 1. Vorsitzende des Nachfolgevereins, des Zentralvolksschullehrerveins, anlässlich der Wiedereröffnung des Nürnberger Lehrervereins 1842 die Trias „alles Wahre, Gute und Schöne“ zitiert (1843, S. 118f.), die Trias, die schließlich auch Eingang in die Bayerische Verfassung von 1946 gefunden hat (Art. 131). In geschichtlicher Sicht ist die Trias „alles Wahre, Gute und Schöne“ kein ästhetisierendes oder gar bloß musisches Dekor von Bil-dung, sondern eine harte Forderung nach inhaltlich/fachlich umfassender Bildung. „6. Verwandlung des Schulgeldes in eine allgemeine Umlage“: Die Eltern hatten für ihre schulpflichtigen Kinder den Lehrern ein Schulgeld in vorgeschriebener Höhe zu entrich-ten. In der Regel sammelte der Lehrer dieses Geld ein. Hier wird eine durch Steuern abzusichernde Finanzierung der Schulen gefordert.

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„7. Eine den Anforderungen der Zeit entsprechende Gehaltsverbesserung der Lehrer, Ge-hilfen und Verweser“: Dieses Anliegen gehört selbstverständlich zu den nie vergessenen Forderungen.

„8. Beschränkung der ... Zeit der Verwesung von Lehrstellen“: Freie Lehrerstellen durch „Verweser“ verwalten zu lassen war für Staat und Gemeinde kostengünstiger als einen vollausgebildeten Lehrer in das Amt zu nehmen.

„9. Verleihung eines allgemeinen Schulgesetzes“: Schulangelegenheiten waren im Grund-satz seit Beginn des 19. Jahrhunderts zwar Staatssache, aber in vielen Details dann doch Kreis- (in heutiger Terminologie Bezirk-) und Gemeindeangelegenheiten. Die Lehrerschaft forderte eine landesweite Vereinheitlichung der Schulangelegenheiten und damit auch eine bessere Absicherung der Rechte der Lehrer.

Dies ist ein Kanon an Forderungen, die keineswegs nur von bayerischen Lehrern dieser Zeit vorgetragen wurden. Ein ähnlicher Kanon findet sich auch bei dem am 3.8.1848 in Dresden gegründeten „Allgemeinen deutschen Lehrerverein“ (vgl. Brinkmann, W./Arnold, B. 1997, S. 572). Wann und wo erstmals ein derartiger Kanon fixiert worden ist, muss vorerst offenbleiben.

Der Aufruf aus Nürnberg/Fürth ist jedenfalls fast ein halbes Jahr älter als der Kanon des „Allgemeinen deutschen Lehrervereins“, dessen Gründungsaufruf auch von dem Nürn-berger Wolfgang Konrad Schultheiß, einziger Vertreter der Lehrerschaft aus dem sei-nerzeitigen Bayern sowie ältester Teilnehmer der Gründungsversammlung des BLLV von 1861, unterschrieben worden ist. Die 1848er Variante des „Allgemeinen Lehrervereins in Bayern“, also der Zentralvolksschullehrerverein, hat vermutlich die Forderungen aus dem Aufruf vom 12.3.1848 in vollem Umfang übernommen und in einem 1848 in Nürn-berg erschienenen, 62 Seiten umfassenden Band veröffentlicht: „Grundsätze und Plan einer künftigen Volksbildung. Eine Denkschrift, den Abgeordneten des Reiches gewidmet“ (Nürnberg. Verlag W. Tümmel, der langjährige Verlag der „Jugendlust“). Ein Exemplar dieser Denkschrift, deren Existenz und deren Versand archivalisch eindeutig belegt ist

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(Schulgeschichtliche Sammlung der Universität Erlangen-Nürnberg), war bisher aber trotz intensiver Recherche nicht mehr auffindbar. Die Denkschrift ist nur aus Zitaten, die sich in A. Därrs Buch über die „Geschichte des Nürnberger Lehrervereins“ (1899) finden, rekonstruierbar. Aber nach den dortigen Auszügen und vom geschichtlichen Umfeld her (u. a. Johann Konrad Grießhammer als 1. Vorsitzender des Zentralvolksschullehrerver-eins) ist zu schließen, dass in dieser Denkschrift die Forderungen vom 12.3.1848 eine zentrale Rolle gespielt haben. Man darf auf diesem Hintergrund annehmen, dass diese Forderungen, mindestens in Bayern, deutlich hörbar waren.

Nun steht außer Frage, dass die 1863 erschienene, 80 Seiten umfassende Denkschrift des BLLV eine eigenständige Leistung des neugegründeten Lehrervereins ist. Sowohl der Grad der Detaillierung wie aber auch der Systematisierungsgrad ist in der Denk-schrift des BLLV von 1863 selbstverständlich größer als im schlichten Forderungskanon von 1848 und wohl auch größer als in der – aber eben auch schon 62 Seiten umfassen-den – Denkschrift des Zentralvolksschullehrervereins von 1849. Dadurch ist die neue Denkschrift des BLLV auch zu einem „klassischen“, immer wieder zitierten, aber auch häufig attackierten programmatischen Fundament der bildungspolitischen Grundsätze des BLLV geworden (vgl. Apel, H. J. 1993). Gleichwohl ist die Denkschrift keineswegs zu einem fixen Dogma des BLLV geworden. Würde es eine „Denkschrift“ des BLLV von 1920, 1980 oder 2000 geben, es wären enorme Weiterentwicklungen, zeitgeschicht-liche Anpassungen und Spezifizierungen zu finden. Aber dennoch gibt die Denkschrift von 1863 einen Maßstab vor, an dem sich markante schulgeschichtliche Erfolge des Verbandes messen lassen. Überdies gibt es elementare bildungstheoretische Grundla-gen, die nicht überholbar sind, so lange es Erziehung und Unterricht geben wird.

4.2 Lange Wege, TeilerfolgeNatürlich ist es das Ziel jeden Verbandes und es muss auch beständiges Ziel bleiben, die von der Mitgliederschaft als Probleme empfundenen Umstände möglichst unver-züglich anzugehen und zu beseitigen. Die konkreten Ziele sind aber vielfach nicht im gewünschten Tempo umzusetzen. Deswegen dämpfte Karl Heiß in der begeisterten Aufbruchsstimmung vom 27.12.1861 überzogene Hoffnungen. Man werde nicht alles von heute auf morgen erreichen können. Er konnte natürlich auch nicht einmal aus-schließen, dass alle unter den anwesenden Gründern die Früchte der vereinten Anstren-gungen des neuen Vereins werden genießen können.

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Insbesondere die frühe Geschichte (die „Vorgeschichte“) der Lehrervereine ist eine Geschichte vielfacher Enttäuschungen. Die Forderungen der Lehrer stießen auf har-te Gegenwehr. Mindestens seit 1830 waren die Lehrer immer wieder revolutionärer Tendenzen verdächtigt worden und wurden misstrauisch überwacht. Mit besonderem Misstrauen sahen die Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, auf die schulpoliti-schen Forderungen der Lehrervereine. Mit der Würzburger Denkschrift vom 14.11.1848 wehrten sich die deutschen Bischöfe gegen die Beschneidung überkommener kirch-licher Rechte. Für Bayern wurden die kirchlichen Positionen durch die bayerischen Bischöfe nochmals am 20.10.1850 in der Freisinger Denkschrift zusammengestellt (Englmann, J. A. 1871, S. 19f.).

Die königliche Regierung bestätigte und gewährleistete 1852 nochmals ausdrücklich die Ansprüche der Kirche. J. A. Englmann kommentierte 1871, dass der Ruf nach Trennung von Schule und Kirche „in Baiern, wie damals im übrigen Deutschland, ohne Änderung des bestehenden Verhältnisses“ vorübergegangen sei (a.a.O., S. 19). Die Enttäuschungen in der großen Mehrheit der Lehrerschaft waren aber noch umfassender. Mit dem Scheitern der Revolution von 1848 scheiterten nach 1832 erneut auch die Lehrervereine (Verbot des Zentralvolksschullehrervereins und seiner Untergliederungen). Auch diese Verbote und die diesen Verboten vorangegangenen öffentlichen Auseinandersetzungen sind – in jenem Jahrhundert allein den BLLV (in seiner Vorgeschichte) betreffende – tiefe Spuren der Schulgeschichte. Die großen Hoffnungen der 1840er Jahre hatten sich zerschla-gen. Die Situation der Volksschule und die Situation der Lehrerschaft verschlechterten sich zu Beginn der 1850er Jahre in allen deutschen Ländern erheblich.

Aber die Forderungen, wie sie im Aufruf vom 12.3.1848 formuliert waren, tauchten doch wieder auf. Sie waren – unausgesprochen – die Grundlage der neuerlichen Vereinsgrün-dung von 1861 und sie waren die grundlegenden Thesen der Denkschrift des BLLV von 1863. Auch das konkrete Anliegen des Aufrufs vom 12.3.1848, der Denkschrift des Zentralvolksschullehrervereins von 1849 und der Denkschrift des BLLV von 1863 war identisch. Es ging darum, Einfluss auf Abgeordnete und auf die Regierung zu gewinnen, um zu einem „vollständigen Gesetze für die Volksschulen Bayerns“ zu kommen, wie die Denkschrift von 1863 es formulierte. Der Aufruf von 1848 hatte als Forderung formu-liert: „Verleihung eines allgemeinen Schulgesetzes.“

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Fragt man nun aber danach, ob und wann denn welche Forderungen umgesetzt worden sind, ergibt sich ein sehr divergierendes Bild an Antworten. Einige Beispiele seien genannt.

Das allgemeine Schulgesetz, das 1848 (Forderung 9), 1849 und 1863 gefordert wor-den ist und dessen konkreterer Fassung die Vorschläge der Lehrer dienen sollten, ist in den 1860er Jahren zwar beraten worden, ist aber 1869 vornehmlich am Widerstand der katholischen Kirche gescheitert. Auch spätere Vorstöße waren vergeblich. Aber das ursprünglich angestrebte „Allgemeine Schulgesetz“ kam nicht zustande.

Doch das Scheitern des intendierten Gesetzes schließt Erfolge in Teilbereichen nicht aus. In der Geschichte des BLLV handelt es sich dabei meist um kleinschrittige Erfolge.

Erste unmittelbare Auswirkungen der Denkschrift von 1863 (Wissenschaftliche Aus-bildung der Lehrer) finden sich bereits im „Normativ über die Bildung der Schullehrer im Königreiche Baiern vom 29. September 1866“. Die Lehrerbildung wurde in der Prä-parandie (Vorbereitungsschule nach der „Werktagsschule“), im Lehrerseminar und in der Schulgehilfenphase besser strukturiert und inhaltlich anspruchsvoller gestaltet. Im Lehrerseminar wurden die schulischen Unterrichtsfächer intensiver vorbereitet. In schul-geschichtlicher Sicht ist festzuhalten, dass durch das Normativ von 1866 in Bayern die Epoche der „Stiehl‘schen Regulative“ eine gesamtdeutsche Phase engherziger Gänge-lung der Lehrerschaft (1854-1872) sechs Jahre früher zu Ende ging als in Preußen.

Ein großer standespolitischer Nebeneffekt war es, dass die Seminarabschlussprüfung ab 1868 als Voraussetzung für die Ableistung des „einjährig freiwilligen Dienstes“ in der bayerischen Armee anerkannt wurde (Guthmann, J. 1961, S. 158) und somit dem Lehrer die Offizierslaufbahn eröffnete. Das war ein Mut machender schneller Erfolg der Vereinsgründer von 1861. Aber relativierend muss man sagen, dass die Forderung nach einer besseren Ausbildung bereits am 12.3.1848 (Forderung 3) und erneut 1849 ge-stellt worden, aber zunächst ohne Erfolg geblieben war. Bis zu einer wissenschaftlichen universitären Lehrerbildung bedurfte es aber noch vieler kleiner Schritte, vieler kleiner Zwischenerfolge. Dieses Ziel war erst 1972 erreicht, also – von 1848 an gerechnet – nach 124 Jahren.

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Auch die Forderung der Denkschrift von 1863 nach einer Revision des Lehrplanes der Volksschulen, insbesondere nach einer quantitativen und qualitativen Veränderung der Unterrichtsfächer zeitigte alsbald Erfolge. Zwar kam es bis 1926 nicht zu dem angestreb-ten landesweiten einheitlichen Lehrplan. Die Lehrpläne blieben bis dahin Kreisangele-genheiten (heutige Bezirke). Aber schon alsbald nach Verabschiedung der Denkschrift von 1863 sind nach den Forderungen der Lehrerschaft beständig Verbesserungen in die Kreislehrpläne eingeflossen.

Relativ schnell war auch die „Verwandlung des Schulgeldes in eine allgemeine Umlage“ (Forderung 6 von 1848, wiederholt 1863) wenigstens in Gang gesetzt. 1870 führte die Stadt München, die sich in den ersten Jahren nach 1869 überhaupt sehr reformfreudig zeigte, als erste bayerische Stadt die Schulgeldfreiheit ein. Andere Städte folgten (z. B. Nürnberg 1883). Eine gesetzliche Festschreibung der Schulgeldfreiheit für alle bayeri-schen Volksschulen erfolgte erst 1919.

Partielle, aber meist sehr kleinschrittige Erfolge hat es ohne Zweifel auch bei der Forde-rung nach Gehaltsverbesserung (1848: Forderung 7, wiederholt 1863) gegeben. Aber diese Frage war auf dem Hintergrund der allgemeinen Gehaltsentwicklung in der Ge-sellschaft ein fortdauerndes Thema und wird es vermutlich bleiben. Eine auf Grund der universitären Lehrerbildung gerechtfertigte Eingliederung der Volksschullehrerschaft in den höheren Dienst steht seit 1972 noch aus.

4.3 Große Schritte, langer AtemEs lassen sich auch große Schritte, tiefgreifende Spuren markieren. Diese geschichtli-chen Markierungen benötigten aber allesamt lange Wege und erforderten von der Leh-rerschaft einen langen Atem.

Zu diesen großen Schritten, zu diesen „großen Daten“, wie J. Guthmann sie nennt (1961, S. 12), zählen sicher die „Gleichstellung der Lehrer mit den Staatsdienern“ (1848: Forderung 2; wiederholt 1863) und das umfassende Forderungspaket „Freie Stellung der Volksschule und ihrer Lehrer“ (1848: Forderung 1; wiederholt 1863).

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Die „Gleichstellung mit den Staatsdienern“, also die Verbeamtung der Lehrer, konnte nach langen, mühevollen Auseinandersetzungen 1919 in den revolutionären Unruhen um die Gründung des Freistaates Bayern durchgesetzt werden, also 71 Jahre nach der ersten belegten Forderung von 1848. Das wurde von der Lehrerschaft nahezu als Quantensprung der Standesgeschichte empfunden. Bei der Bewertung dieser neuen rechtlichen Zuordnung ist zu bedenken, dass der Lehrer bis zu diesem Termin „Gemein-dediener“ und damit sehr unterschiedlichen lokalen Anforderungen ausgesetzt war.

Die Forderung „Freie Stellung der Volksschule und ihrer Lehrer“ ist ein sehr weites und in mancher Hinsicht auch ein spezifisch bayerisches Feld. Lehrervereine anderer deut-scher Länder hatten entsprechende Probleme nicht in gleicher Schärfe. Es hängt sehr eng mit dem Faktum zusammen, dass Bayern bis 1801 ein katholischer Staat war und der kirchlich-katholische Einfluss auch nach diesem Termin dominant blieb. Die entscheidenden Punkte dieser Forderung waren die Beseitigung der sog. „geistlichen Schulaufsicht“ und die Entkonfessionalisierung von Schule und Lehrerbildung.

„Geistliche Schulaufsicht“ ist insoweit ein irreführender Begriff, als das Schulwesen seit 1802 verstaatlicht war, der Staat aber, weil es an qualifiziertem lokalen Personal fehlte und es zugleich wohl auch eine freundliche Geste gegenüber den Kirchen sein sollte, die lokale Schulaufsicht und zumeist auch die Schulaufsicht in den Distrikten (heutige Kreise) an die örtliche Geistlichkeit delegierte. Diese Regelung der Schulaufsicht war schon in den ältesten Lehrervereinen, wie etwa dem Nürnberger Lehrerverein von 1821, ein be-ständiges Ärgernis. Die Forderung nach Auflösung der „geistlichen Schulaufsicht“ gehört daher auch zu den ältesten und immer wiederholten Forderungen der großen Mehrzahl der Lehrerschaft und fehlt in keinem Forderungskatalog der Lehrervereine. Entspre-chend groß war auch die Gegenwehr der Kirche, weshalb sich der BLLV in seiner frühen Geschichte in den betont katholischen Regionen Bayerns auch sehr schwer tat. Zu dem Programm der kirchlichen Gegenwehr zählt auch, dass 1893 unter starkem kirchlichen Einfluss genau wegen jener, auch in der Denkschrift von 1863 explizit aufgeführten Forderung des BLLV, der Katholische Lehrerverein gegründet wurde. Es war daher ein

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sehr markanter Einschnitt in der Schulgeschichte Bayerns, dass die „geistliche Schulauf-sicht“ 1919, also 117 Jahre nach ihrer Einführung, aufgehoben wurde. Dieser Schritt war auch deshalb so bedeutsam, weil nunmehr pädagogisch qualifizierte Personen Auf-sichtsfunktionen, zu denen sie in den größeren Städten aber schon seit 1802 Zugang hatten, übernehmen konnten.

Der Prozess, den man „Entkonfessionalisierung des Volksschulwesens“ nennen kann, verlief noch komplizierter und langwieriger. Auch nach Aufhebung der „geistlichen Schulaufsicht“ von 1919 wurde die bayerische Schule, abgesehen von 1937-1945, als Konfessionsschule beibehalten, die sie seit der Reformation – zunächst unter allei-niger Zuständigkeit der Kirchen – war und auch als staatliche Schule seit 1802 blieb. Mit der Verstaatlichung des Schulwesens konnte die Kirche sich ohnehin nicht abfin-den. Der Münchener Kardinal M. Faulhaber hatte noch in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts diesbezüglich polemisiert und gesagt. „Der Schulgedanke der gebildeten Völker ist beschlagnahmtes Kirchengut“ (zitiert nach Held, H. 1926, S. VIII). Das Inter-esse an der Konfessionsschule war den Kirchen, besonders wiederum der katholischen Kirche, deswegen so besonders wichtig, weil sie auf diesem Weg unmittelbaren Zugriff auf alle schulpflichtigen Kinder ihrer Konfession hatte.

Die Kirche hatte zudem nicht nur Mitspracherechte bei schulischen Inhalten und bei Inhalten der Lehrerseminare, sondern selbstverständlich auch Mitspracherechte bei der Besetzung von Lehrer- sowie Professoren- und Dozentenstellen. Die Entkonfessionali-sierung der bayerischen Volksschulen durch die Umwandlung der Konfessionsschule in die Christliche Gemeinschaftsschule war ein schulgeschichtlicher „Kraftakt“. Es musste dazu die Bayerische Verfassung (Artikel 135) geändert werden. Dies geschah 1968. Wie zu keinem anderen Zeitpunkt seiner Geschichte ist so sauber belegbar, in welch hohem Maße der BLLV bei der Vorbereitung und bei der Durchführung dieses bildungs-politischen Kraftakts beteiligt war. Dies ist eine äußerst tiefgehende schulgeschichtliche

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Spur. Aber im Rahmen der diesbezüglichen Aktivitäten des BLLV war auch noch nie so deutlich, in welchem Maße entscheidende Weichenstellungen einer einzelnen Person zu danken waren, nämlich dem seinerzeitigen Präsidenten des BLLV, Dr. h. c. Wilhelm Ebert. Im Gefolge dieses Prozesses wurde 1972 auch die Lehrerbildung zu einer uni-versitären Lehrerbildung. Auf Grund dieser „großen Daten“ gehört Wilhelm Ebert sicher zu den bedeutendsten Gestalten der Geschichte des BLLV.

4.4 Leistungsfelder: Fortbildung, Soziales Feld, Kulturelles FeldOrganisierter VerbandDer BLLV war in seiner gesamten Geschichte ein geradezu vorbildlich organisierter Ver-band. Die Reihe der verbandsinternen schulischen, sozialen und kulturellen Initiativen und institutionalisierten Aktivitäten lässt sich kaum benennen. Die Verbindungen innerhalb des Verbandes wurden durch ein Netz lokaler, regionaler und landesweiter Treffen und Tagun-gen gesichert, ab 1867 zusätzlich und mit großer Streuweite durch die eigene Verbands-zeitschrift, die zunächst unter dem Titel „Bayerische Lehrerzeitung“ firmierte. Das war das organisatorische Fundament, auf dem die Vereinsarbeit ein Jahrhundert hindurch durch-aus effektiv verlief. Dennoch war es ein großer, allerdings innerhalb des BLLV zunächst sehr umstrittener Professionalisierungsschritt, als um 1962, nachdem der BLLV bereits 25 000 Mitglieder zählte, die bisher nur auf ehrenamtlicher Mitarbeit beruhenden Vereins-leitung durch die Einstellung hauptamtlicher Mitarbeiter ausgebaut wurde.

FortbildungDie breitesten Aktivitäten liefen im Bereich der Lehrerfortbildung auf lokaler und zen-traler Ebene. Institutionelle Niederschläge dieser Aktivitäten waren die 1944/45 dem Krieg zum Opfer gefallenen Schulmuseen von Augsburg (1881-1945) und Nürnberg (1906-1944/45), die in „permanenten Ausstellungen“ nicht etwa schulgeschichtliche Materialien zeigten, sondern neue Lehr- und Lernmittel für den Unterricht. Ein wei-terer institutioneller Niederschlag dieser Aktivitäten war die Gründung der „Landes-bücherei des BLLV“, „eines der schönsten und segenreichsten Werke des Bayerischen Lehrervereins“ (Hans Schreyer, BLZ 1920, S. 15). Die Bücherei hatte sich aus einer „Musterbücherei“ (Bücher für den Lehrer) von 1896, ausgestellt in München anlässlich

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der 13. Hauptversammlung, entwickelt. Die Landesbücherei des BLLV erhielt noch 1920 den Titel „Süddeutsche Lehrerbücherei“ und gehörte zu den drei größten deut-schen Lehrerbibliotheken. 1995 hat der BLLV die Süddeutsche Bücherei, die – ins-besondere nach 1945 stark frequentiert – durch Stiftungen und gezielte Nachkäufe einen Bestand von 165.000 Bänden hatte und schon wegen ihrer Größe die biblio-thekarischen Betreuungsmöglichkeiten des BLLV überforderte, an die Stadt München abgetreten. Aber ohne Zweifel ist auch diese Bibliothek ein markantes Dokument der Fortbildungsarbeit des BLLV, und zwar speziell der Fortbildungsarbeit in der voruniver-sitären Phase der Lehrerbildung. Zu den markantesten Zeugnissen der institutionali-sierten Fortbildungsarbeit des BLLV gehört sicher auch die „Akademie des BLLV“, die auf das vom Münchner Lehrerverein 1910 gegründete Psychologisch-Pädagogische Institut zurückgeht. In ihr bündelt sich gegenwärtig die Fortbildungsarbeit des BLLV. Durch die Einrichtung des Instituts für Gesundheit in pädagogischen Berufen (IGP) unter dem Dach der Akademie setzt sich der BLLV mit dem in den letzten Jahren zu-nehmend virulenten Problem der gesundheitlichen Belastung von Lehrern professionell auseinander. Das Gewicht, das der BLLV der Akademie beimisst, ist auch daran ab-lesbar, dass der gegenwärtige Präsident des BLLV, Klaus Wenzel, seit 2009 persönlich die Leitung der Akademie übernommen hat.

Soziales FeldEin Musterbeispiel der sozialen Initiativen und Aktivitäten und zugleich die erste dauerhaft etablierte Einrichtung des BLLV nach 1861 war die Gründung des Bayerischen Lehrer-waisenstifts im Jahre 1864. Es folgte eine Vielzahl an sozialen Einrichtungen für hilfsbe-dürftige Mitglieder oder deren Familien, darunter auch die Einrichtung des Lehrererho-lungsheims in Berchtesgaden (1909). Auch die Einrichtung von Studentenwohnheimen (nach 1957: München, Regensburg, Würzburg, Augsburg) gehört zu diesen Aktivitäten. Ein Höhepunkt der sozialen Arbeit des BLLV ist sicher die in der Präsidentschaft von Dr. h.c. Albin Dannhäuser 1994 gegründete und weltweit agierende Kinderhilfe.

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Kulturelles FeldAber der BLLV hat im Laufe seiner Geschichte auch sehr deutliche kulturelle Spuren hinterlassen. Im Feld zwischen Schule und Kultur ist die Herausgabe der „Jugendlust“ zu nennen, die Schülerzeitschrift, die der BLLV 1876 gegründet hat und die – seit 1982 unter den Titeln „Floh“ und „Flohkiste“, gestaltet und vertrieben durch den Domino-Verlag – weiterhin, und zwar bundesweit, existiert. Diese Schülerzeitschrift, bis heute reklamefrei, ist schon deswegen eine einzigartige schulgeschichtliche Spur, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit weltweit die älteste noch existierende Schüler-/Jugendzeit-schrift ist. Die „Jugendlust“ hatte in ihrer langen Geschichte natürlich sehr unterschied-liche Gesichter, aber es gibt eine Fülle an Zeugnissen, dass die „Jugendlust“ zur frühen Lektüre ganzer Generationen von Schülern gehörte und dass sie die literarische Welt dieser Schülerschaft mitunter nachhaltig mitbestimmt hat.

Eine große, weit über den Schulbereich hinausreichende kulturelle Spur hat der BLLV auch durch die in seinem unmittelbaren Umfeld entstandenen Lehrergesangvereine ge-zogen. Als Beispiel seien die Lehrergesangvereine München (heute: Oratorienchor), gegründet 1878, Nürnberg, ebenso 1878 gegründet, und Fürth, gegründet 1881, ge-nannt. Die Chöre sind in der Regel anlässlich von Lehrervereinssitzungen entstanden. Diese Chöre mögen heute Chöre unter vielen anderen Chören sein und mitunter, trotz des Namens, nur zu einem kleinen Prozentsatz aus Lehrern bestehen. Sie setzten sich seinerzeit zunächst ausschließlich aus Lehrern zusammen, die im Rahmen ihrer Ausbil-dung immer auch eine musikalische Ausbildung hatten. Auch wenn die Männerchöre alsbald zu „Gemischten Chören“ wurden, dominierten mindestens in den Männerstimmen bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts noch die Lehrer. Mindestens für Nürnberg lässt sich belegen, dass eben dieser Lehrergesangverein die große Oratorienmusik in der städtischen Gesellschaft überhaupt erst hörbar gemacht hat. Das mögen vergan-gene kulturelle Verdienste sein, aber es sind Verdienste, von denen mittelbar auch die Schülerschaft profitierte.

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4.5 Die größten ErfolgeEs ist eine gewisse Gefahr, wenn man sich geschichtlich nur auf die „großen Daten“ kon-zentriert oder auf archivalisch gut belegbare Institutionen. Es gibt Leistungen, die sich in der Datenreihe oft nicht so präzisieren lassen, nicht unmittelbar an Institutionen gebunden sind oder die erst in der Serie von alltäglichem Tun ihr Gewicht erhalten. Das gilt auch für die Frage nach der Bedeutung des BLLV in der Bayerischen Bildungsgeschichte.

Es ist sicher auch von ungeheurem Gewicht, dass sich Lehrer und Lehrerinnen in Vereinen gefunden haben, sich gegenseitig über ihre Arbeit austauschen, sich gegenseitig Mut ma-chen, Hilfestellungen leisten, Freundschaften schließen, sich weiterbilden, gemeinsam die schulische Entwicklung beobachten und versuchen, Einfluss zu nehmen, falls es erforder-lich erscheint. Obwohl die Auswirkungen dieser Aktivitäten sich nicht messen lassen, sie werden nicht gering sein. Die meisten aus dem BLLV gewachsenen Innovationen beruhen vermutlich auf der beständigen Kommunikation unter den Vereinsmitgliedern.

Aber es gibt spezifische Einstellungen und pädagogische Positionen, die große – wenn auch wiederum kaum messbare (mindestens noch nicht gemessene) bildungspolitische und gesellschaftliche Auswirkungen haben.

Alle alles lehrenZu den grundlegenden Positionen des BLLV zählte immer, dass jedem Menschen der Zugang zu allen Bildungsgütern, zu allen Kulturgütern geöffnet sein müsse. Das war in der langen Geschichte der Schule, besonders auch in der christlichen Schule keineswegs immer schon selbstverständlich, sondern bedurfte langer, z. T. bitterer Auseinanderset-zungen. Das Gebot umfassender Bildungsangebote für jeden Menschen ist nachdrücklich erst von J. A. Comenius (1592-1672) vertreten worden. Dessen klassisches Postulat „Omnes, omnia, omnino“ (Alle alles vollständig lehren) stand in Geschichte und Vorge-schichte des BLLV niemals in Zweifel. Insoweit hat der BLLV mit dazu beigetragen, dass Bildungsmöglichkeit als elementares Menschenrecht verstanden werden konnte.

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Die Verschiebbarkeit von BildungsgrenzenUnter anthropologischem Aspekt von mindestens gleichem Rang ist die Einsicht, dass der Begabungsbegriff nicht statisch verstanden werden kann. Da auch jede Fähigkeit des Menschen immer und ausschließlich ein Produkt aus Anlage und Umwelt ist, ist – zunächst mindestens im Grundsatz – auch „Begabung“ durch Veränderung der Faktoren immer modifizierbar. Daher gibt es in strengem Sinn keine statischen Bildungsgrenzen. Die vermeintlichen Bildungsgrenzen sind verschiebbar und zwar in pädagogischer Sicht durch Verbesserung der Erziehungs- und Unterrichtsmethoden. Barbaren, Sklaven und Mädchen sind im klassischen Griechenland, wenn überhaupt, nur als eingeschränkt „bildungsfähig“ angesehen worden. Sie wurden alle einfach dadurch „bildungsfähig“, dass man sie in die Schule ließ. Die Gehörlosen, noch von I. Kant in einem strengen Sinn als „bildungsunfähig“ angesehen – sie könnten nach Kants Meinung allenfalls zu einem „Analogon“ der Vernunft gelangen – wurden durch Verbesserung der Unterrichts- und Kommunikationsmethoden bildungsfähig. Der BLLV hat – auch bereits schon in seiner Vorgeschichte – auf diese Verschiebbarkeit der Bildungsgrenzen gesetzt und sich – ebenfalls schon in seiner Vorgeschichte – um die Bildung der Kinder mit besonderem Förderungsbedarf gekümmert. Er tut dies – leider mit bitterer Unterbrechung während der Nazizeit – bis auf den heutigen Tag. Es ist vielfach nicht bekannt, aber in diesem Zusammenhang eine sehr beziehungsreiche Ergänzung, dass Johann Michael Völckel (auch: Völkel), enger Mitstreiter von Karl Heiss, 1861 Gründungsmitglied des BLLV und 1. Hauptkassier des Vereins, mindestens schon 1836 Lehrer an einer „Taubstummen-schule“ war. Das Setzen auf die Verschiebbarkeit von Bildungsgrenzen und das Bemühen um die Durchsetzung dieses Denkens gehören zu den großartigsten und humansten Leistungen des BLLV in der Schulgeschichte.

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Literatur

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Därr, Andreas (1911): Geschichte des Nürnberger Lehrervereins bzw. des Bezirks-lehrervereins Nürnberg-Stadt. Nürnberg. 1. Auflage 1899.

Denkschrift betreffend die Zusammenstellung von Materialien zu einem allergnädigst zu erlassenden vollständigen Gesetze für die Volksschulen Bayerns. Verfasst von dem Aus-schusse des Bayerischen Volksschullehrervereins. München 1863. 2. Auflage: Augs-burg 1897. 3. Auflage: Die Denkschrift des Bayerischen Lehrervereins. Eingeleitet, ediert und kommentiert von Hans Jürgen Apel. Schriftenreihe „Erziehung, Unterricht, Schule (geschichtliche Serie). In Verbindung mit dem BLLV herausgegeben von Max Liedtke. Bad Heilbrunn 1993.

Ebert, Wilhelm (2009): Mein Leben für eine pädagogische Schule. Im Spannungsfeld von Wissenschaft, Weltanschauung und Politik. 2 Bände. Bad Heilbrunn.

Englmann, Johann, Anton (1871): Das bairische Volksschulwesen. München.

Grießhammer, Johann Konrad (1825): Über einige Klagen wider die Volksschulen unserer Zeit. In: Der Volksschullehrerverein. Nürnberg. S. 103-128.

Grießhammer, Johann Konrad (1843): Über Fortbildung. Zur Wiedereröffnung des Volksschullehrer-Vereines in Nürnberg, am 26.11. 1842. In: Der Wittwen- und Waisen- freund. München. S. 111-120.

Guthmann, Johannes (1961): Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverein. Seine Geschichte. Band II: Ein Jahrhundert Standes- und Vereinsgeschichte. München.

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Liedtke, Max (1987): Zur Diskussion gestellt: Wie alt ist der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverein? Die Vorgeschichte des BLLV im Anschluß an die Protokollbücher des Nürnberger Lehrervereins 1821-1830.

Liedtke, Max (1989a): Lehrervereins-Protokolle Nürnberg 1821-1830. – Aus den Anfängen der Lehrervereinsbewegung. Bad Heilbrunn. 443 Seiten. (Dazu eine Sen-dung des Bayerischen Rundfunks, Studio Nürnberg vom 13.12.1987, 12.05-13.00 Uhr: „Über die Verhandlungen des Vereins der Herren Lehrer an den hiesigen Volks-schulen. – Aus den frühen Protokollen des ältesten Lehrervereins, Nürnberg 1821“).

Liedtke, Max (1989b): Der weite Schulweg der Mädchen. – Historische und systema-tische Aspekte einer Benachteiligung. In: Bayerische Schule. 1989, H. 7. S. 4-10.

Liedtke, Max (1991ff.): Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens. Bad Heilbrunn. 4 Bände. Bd. I:1991; Bd. II: 1993; Bd. III: 1997; Bd. IV: 1997.

Liedtke, Max (1995a): Die Geschichte des BLLV beginnt 1823. – Die Geschichte des Allgemeinen Lehrervereins in Bayern. München.

Liedtke, Max (1995b): Auf der Seite des Alphabets. – Der BLLV und die Süddeutsche Lehrerbücherei. Vortag zur Übergabe der Süddeutschen Lehrerbücherei an die Stadt München am 18.1.1995. In: Bayerische Schule. H. 4, S. 11-15.

Liedtke, Max (1998): Der Lehrergesangverein Nürnberg. – Ein Beitrag zur Geschichte der Chormusik in Nürnberg. In: Brusniak, Fr./Klenke, D. (Hg.): Volksschullehrer und außerschulische Musikkultur. Augsburg. S. 75-126.- In überarbeiteter Fassung als Sendung durch den Bayerischen Rundfunk übernommen (18.1.1998, 12-13 Uhr).

Liedtke, Max (2001b): Jugendlust. – Die Geschichte einer Zeitschrift 1876-2001. Domino-Verlag. München 2001. (Dazu eine Sendung in Bayern2Radio: 12.12.2001, 22.05-23.00 Uhr)

Liedtke, Max/Heim, Miriam (1999): Die Geschichte des Vereins Lehrerheim Nürnberg e.V. Herausgeber: Verein Lehrerheim Nürnberg e.V. Nürnberg 1999. 269 Seiten.

Liedtke, M./Schneider, M. (1996): 175 Jahre Wirkungsgeschichte des BLLV (1821-1996). Schulmuseum der Universität Erlangen-Nürnberg.

Reithmeier, Dieter/Schäffer, Fritz (2012): Der Bayerische Lehrerverein im Nationalsozialismus (erscheint 2012).

Schäffer, Fritz (1995): Josef Bauer - ein „aufrechter“ Nationalsozialist? Politische Biographie des Münchner Stadtschulrats und Vorsitzenden des Bayerischen Lehrer-vereins im Dritten Reich. Bad Heilbrunn.

Schaller, Ernst (2003 und 2007): Die Gründungsgeschichte des Bayerischen Lehrervereins. 2 Bände. Trostberg.

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