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Page 1: Leich fau-ps-copernicanische-wende-handout-10

FAU-Proseminar: Die Copernicanische Wende � Ein Motiv zur Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft, 10. Sitzung, Do 22.12.11, Pierre Leich _________________________________________________________________

Reaktion des Vatikans

Bereits im Jahr 1571 äußerte sich einer der höchsten kirchlichen Würdenträger,

Kardinal Roberto Bellarmin, zur Frage, inwieweit das copernicanische System als Arbeitshypothese benutzt werden könne:

Es ist nicht Sache der Theologen, diese Dinge zu erforschen. Die einen erklären diese Erscheinungen mit der Bewegung der Erde, andere durch Epizyklen und Exzenter, andere mit einer Eigenbewegung der Sterne [�] Wir können also jene Erklärung

wählen, die der Heiligen Schrift am angemessensten scheint. Wenn aber in Zukunft mit

Evidenz bewiesen würde, daß die Sterne sich nicht selbst, sondern mit dem Himmel

drehen, alsdann würde man sehen müssen, die Heilige Schrift so zu erklären, daß sie

nicht im Widerspruch zu einer sicheren Erkenntnis steht; denn der wahre Sinn der Heiligen Schrift kann nicht zu einer anderen Wahrheit, sei es der Philosophie, sei es der Astronomie, im Gegensatz stehen.1

Nachdem der Karmeliterpater Paolo Antonio Foscarini den Versuch unternommen hatte, das copernicanische System zu verteidigen, wurde Bellarmin zur Haltung der Kirche befragt und antwortete am 12. April 1615:

Erstens also scheint es mir, daß Euer Hochwürden und Signor Galilei klug handeln,

wenn sie sich darauf beschränken, hypothetisch und nicht apodiktisch zu sprechen,

wie es auch, nach meiner Auffassung, Kopernikus tat. Sagt man nämlich, die

Annahme, daß die Erde sich bewege und die Sonne stillstehe, wahre den Anschein der

Himmelserscheinungen besser als Exzenter und Epizykel, dann heißt das mit hoher

Vernunft gesprochen und birgt keinerlei Gefahr in sich. So zu sprechen ziemt einem Mathematiker. Doch behaupten zu wollen, die Sonne stände in Wahrheit im Mittelpunkt

des Universums und rotiere bloß um die eigene Achse, ohne von Ost nach West zu

wandern, und die Erde liege in der dritten Sphäre und drehe sich sehr rasch um die Sonne, ist eine sehr gefährliche Stellungnahme, die nicht nur alle scholastischen

Philosophen und Theologen aufbringen muß, sondern auch unseren heiligen Glauben

beleidigt, indem sie der Schrift widerspricht [�] Zweitens sage ich, daß das Konzil von Trient, wie Ihr wißt, eine Auslegung der Schrift

verbietet, die der den heiligen Vätern gemeinen zuwiderläuft. Wenn nun Euer

Hochwürden nicht nur die Kirchenväter, sondern auch die neueren Kommentatoren der

Genesis, der Psalmen, des Predigers Salomon und Josuas lesen, dann werdet Ihr sehen, daß alle darin übereinstimmen, dies wörtlich aufzufassen, das heißt, daß die

Sonne in den Himmeln ist und sich mit ungeheurer Geschwindigkeit um die Erde dreht und daß die Erde von den Himmeln sehr weit entfernt ist, im Zentrum des Universums, ohne sich zu bewegen. Bedenkt denn in Eurer Weisheit, ob die Kirche zustimmen kann, daß die Schrift auf eine Weise erklärt wird, die der Erklärung der heiligen Väter

und aller neueren Kommentatoren, sowohl der lateinischen als auch der griechischen, zuwiderläuft. [�] Drittens sage ich, wenn es einen wirklichen Beweis dafür gäbe, daß die Sonne im

Zentrum des Universums ist, daß die Erde in der dritten Sphäre ist und daß die Sonne

sich nicht um die Erde bewegt, sondern die Erde um die Sonne, dann müßten wir bei

1 Miscellanea Galileiana III, 875; zitiert nach Walter Brandmüller, Der Fall Galilei � ein Konflikt Naturwissenschaft und Kirche?, Stimmen der Zeit, 182. Bd. (1968), Heft 11+12 (Nov.+Dez.), Karlsruhe 1968, S. 401; ebenso: Der Fall Galilei. Wirklichkeit und Legende � Hintergründe und

Folgen, Karlsruhe 1970, S. 18.

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Auslegung von Stellen der Schrift, die das Gegenteil zu lehren scheinen, die größte

Umsicht walten lassen und lieber sagen, wir verständen sie nicht, als eine Anschauung

für falsch erklären, die als wahr bewiesen wurde. Ich bin indessen der Meinung, es gäbe keinen solchen Beweis, da mir keiner vorgelegt wurde. Darzutun, daß die

Erscheinungen gerettet werden, wenn man die Sonne im Zentrum und die Erde in den Himmeln annimmt, ist nicht das gleiche, wie darzutun, daß die Sonne sich de facto im Mittelpunkt und die Erde in den Himmeln befindet. Ich glaube, daß es im ersten Fall

einen Beweis geben mag, habe aber die schwersten Bedenken, was den zweiten betrifft; und im Zweifelsfall soll man die Schrift, wie sie von den heiligen Vätern

ausgelegt wurde, nicht verlassen [�]2

Aus dem Jahr 1616 findet sich in den Akten der Inquisition folgende Eintragung:

Donnerstag, am 25. Februar 1616. Der durchlauchtigste Herr Kardinal Mellinus hat den ehrwürdigen Herren Assessor und Kommissär des heiligen Officiums notifiziert, daß

nach abgegebenem Gutachten der Patres Theologen über die Behauptungen Galileis,

insbesondere, daß die Sonne das Zentrum der Welt und ohne örtliche Bewegung sei,

daß aber die Erde, und zwar auch in täglicher Drehung sich bewege, Seine Heiligkeit dem durchlauchtigsten Herrn Kardinal Bellarmin befohlen habe, den genannten Herrn Galilei vor sich zu rufen und denselben zu ermahnen, die gedachte Meinung aufzugeben; falls er sich zu gehorchen weigern würde, solle ihm der Pater Kommissär

in Gegenwart von Notar und Zeugen Befehl erteilen, daß er ganz und gar sich enthalte,

eine solche Lehre und Meinung zu lehren, zu verteidigen oder zu besprechen; wenn er sich aber dabei nicht beruhigte, so sei er einzukerkern.3

Kurz danach wurde am 5. März 1616 das Dekret zur copernicanischen Lehre veröffentlicht:

Und weil ferner zur Kenntnis vorgenannter heiliger Kongregation gelangt ist, daß jene

falsche, der heiligen Schrift durchaus widersprechende pythagoreische Meinung von der Beweglichkeit der Erde und Unbeweglichkeit der Sonne, welche Nicolaus

Copernicus De Revolutionibus orbium coelestium, sowie Didacus Astunica in lob lehren, sich jetzt verbreitet und von vielen gebilligt wird; wie zu ersehen ist aus einem gedruckten Briefe eines gewissen Karmeliterpaters, dessen Titel lautet: Lettera del R.

Padre Maestro Paolo Antonio Foscarini, Carmelitano, sopra l�opinione de Pittagorici, e

del Copernico, della mobilitá della Terra, e stabilità del Sole, et il nuovo Pittagorico

Sistema del Mondo, in Napoli per Lazzaro Scoriggio 1615, worin genannter Pater zu zeigen versucht, vorgenannte Lehre von der Unbeweglichkeit der Sonne im Mittelpunkte der Welt und von der Beweglichkeit der Erde sei in Übereinstimmung mit

der Wahrheit und widerspreche nicht der heiligen Schrift: darum, damit sothane Meinung nicht zum Schaden der katholischen Wahrheit um sich greife, beschloß man,

genannten Nicolaus Copernicus de revolutionibus orbium und Didacus Astunica in lob zu suspendieren, bis sie verbessert würden, das Buch des Karmeliterpaters Paulus Antonius Foscarini aber ganz zu verbieten und zu verdammen, und alle anderen Bücher, die dasselbe lehrten, gleichermaßen zu verbieten. Wie sie denn durch

gegenwärtiges Dekret alle respektive verboten, verdammt und suspendiert werden. Zu Urkund dessen ist gegenwärtiges Dekret mit Unterschrift und Siegel Sr. Erlaucht und

2 Le Opere di G.G., hg. v. A. Favaro, Bd. XII, S. 171-172 (Dokument 1110*); Übersetzung nach

Arthur Koestler, Die Nachtwandler. Das Bild des Universum im Wandel der Zeit, Bern/Stuttgart 1959, S. 454f.

3 Zitiert nach Karl von Gebler, Galileo Galilei und die römische Curie. Nach den authentischen

Quellen, hg. v. G. Peers, Essen (erstmals erschienen als Die Acten des Galilei�schen Processes, Stuttgart 1877), S. 54.

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Hochwürden des Herrn Kardinals von S. Caecilia, Bischofs von Albano, unterzeichnet

und ausgefertigt worden am 5. März 1616.4

Nach dem Erscheinen des Dialogo wurde gegen Galilei ein Inquisitionsverfahren eingeleitet. Das in italienischer Sprache abgefasste Urteil wurde am 22. Juni 1633, am Sitz des Inquisitionstribunals, im Dominikanerkloster Santa Maria sopra Minerva, in Gegenwart der Kardinäle und Prälaten des heiligen Offiziums gesprochen.

Wir sagen, verkünden, stellen fest und erklären, daß Sie, Galilei, durch die in diesem

Prozeß vorgebrachten und von Ihnen zugegebenen Tatsachen sich diesem Heiligen

Offizium der Ketzerei schwer verdächtig gemacht haben. Sie sind verdächtig, für

wahrgehalten und geglaubt zu haben, daß die Sonne der Mittelpunkt der Welt ist, und

daß sie sich nicht von Ost nach West bewegt, und daß die Erde sich bewegt und nicht

der Mittelpunkt der Welt ist. Sie sind weiter verdächtig, zu meinen, daß man eine

Meinung vertreten und als wahrscheinlich verteidigen dürfe, nachdem erklärt und

festgestellt ist, daß sie der Heiligen Schrift zuwider ist.5

Als Strafe wird Galilei auferlegt:

Damit dein schwerer und verderblicher Irrtum und Ungehorsam nicht ganz ungestraft bleibe und du in Zukunft vorsichtiger verfahren mögest, auch anderen zum Beispiel

dienest, daß sie sich dergleichen Vergehen enthalten, so bestimmen wir, daß das Buch

Dialog von Galileo Galilei durch eine öffentliche Verordnung verboten werde; dich aber verurteilen wir zum förmlichen Kerker bei diesem Heiligen Offizium für eine nach

unserem Ermessen zu bestimmende Zeitdauer und tragen dir als heilsame Buße auf,

in den drei folgenden Jahren wöchentlich einmal die sieben Bußpsalmen zu sprechen,

uns vorbehaltend, die genannten Strafen und Bußen zu ermäßigen, umzuändern, ganz

oder teilweise aufzuheben.6

4 Zitiert nach Emil Strauß, Einleitung zu Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das

Ptolemäische und das Kopernikanische, hg. v. Roman U. Sexl, Karl von Meyenn, Stuttgart 1982, S. XXVI.

5 Ed. naz. XIX; zitiert nach Ludwig Bieberbach, Galilei und die Inquisition, München 1938, S. 103. 6 Zitiert nach Gerhard Prause, Niemand hat Kolumbus ausgelacht. Fälschungen und Legenden der

Geschichte richtiggestellt, München 1991 (erstmals erschienen Düsseldorf/Wien 1966), S. 190f.;

vgl. Anna Mudry, Galilei Galilei, Schriften, Briefe, Dokumente, Bd. 2, Berlin (Ost) 1987, S. 206.