1
Unterrichtung bei Betriebsübergang § 613a Abs. 5 BGB; § 112a Abs. 2 BetrVG 1. Die Unterrichtung über die Identität des Betriebserwerbers ist fehlerhaft, wenn eine juristische Person mit den genannten Angaben im Zeitpunkt der Unterrichtung (noch) nicht im Handels- register eingetragen ist. 2. Die fehlende Sozialplanpflicht des Betriebserwerbers nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist ein Umstand, über den die von einem Betriebsübergang betrof- fenen Arbeitnehmer zu unterrichten sind. (Leitsätze des Bearbeiters) BAG, Urteil vom 14. November 2013 – 8 AZR 824/12 Problempunkt Bei einem Betriebsübergang gehen die beste- henden Arbeitsverhältnisse auf den Betriebs- erwerber über. Hierüber und über weitere Ein- zelheiten hat der bisherige Arbeitgeber die betroffenen Mitarbeiter nach § 613a Abs. 5 BGB zu informieren, wobei die Rechtsprechung strenge Vorgaben an den Inhalt der Unterrich- tung macht. Genügt sie diesen Vorgaben nicht, beginnt die einmonatige Frist zum Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses (§ 613a Abs. 6 BGB) nicht zu laufen, so dass Beschäftigte noch Monate oder gar Jahre nach dem Betriebsübergang den Bestand eines Ar- beitsverhältnisses mit dem Veräußerer geltend machen können, wenn das Widerspruchsrecht nicht ausnahmsweise verwirkt ist. Der 8. Senat musste klären, welche Angaben zur Identität des Betriebserwerbers das Unter- richtungsschreiben enthalten muss und ob An- gaben zur fehlenden Sozialplanpflicht von neu gegründeten Erwerbern nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG zum zwingenden Inhalt der Mit- teilung gehören. Der Kläger war in einem Call- center der beklagten V GmbH im Betrieb S tä- tig. Im Januar 2008 erhielten die Arbeitnehmer des Betriebs S – darunter der Kläger – ein Schreiben, in dem sie das Unternehmen über den Verkauf und die Übertragung auf die „a services S GmbH (derzeit noch firmierend als a Zweite GmbH), vertreten durch den Geschäfts- führer F“ mit Wirkung zum 1.3.2008 informier- te. Als Absender wies der Briefkopf die V GmbH und die „a services S GmbH (z.Z. noch a Zweite GmbH)“ aus. Die a Zweite GmbH war Ende 2007 als Vorratsgesellschaft neu gegründet und im Handelsregister des Amtsgerichts G ein- getragen worden. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer waren F und Dr. K. Das Unter- richtungsschreiben enthielt keinen Hinweis da- rauf, dass es sich um eine neu gegründete Gesellschaft handelt. Nach Abschluss eines Be- herrschungs- und Gewinnabführungsvertrags firmierte die a Zweite GmbH im Februar 2008 um zur a services S GmbH. Die Gesellschaft wurde nach einer Sitzverlegung im Mai 2008 beim Amtsgericht S ins Handelsregister einge- tragen. Bei dem Betriebsübergang am 1.3.2008 trat die a services S GmbH als Betriebserwerber auf. Vertragsparteien des Unternehmenskaufver- trags waren die V GmbH und die a Zweite GmbH. Mitte 2010 kündigte die a services S GmbH die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter des Betriebs S wegen Betriebsstilllegung. Der Klä- ger erhob Kündigungsschutzklage gegen diese Gesellschaft und widersprach gegenüber der V GmbH dem Übergang seines Arbeitsverhält- nisses. Er beantragte die Feststellung, dass zwischen ihm und der V GmbH weiterhin ein Arbeitsverhältnis besteht und forderte dort Weiterbeschäftigung zu den ursprünglichen Konditionen. Während der Kläger vor dem ArbG Erfolg hatte, unterlag er vor dem LAG. Entscheidung Das BAG hielt die Revision des Klägers für be- gründet. Die V GmbH hatte den Kläger nicht ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 BGB über die Person des Betriebserwerbers informiert, so- dass die einmonatige Widerspruchsfrist (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) nicht zu laufen begonnen hatte und er dem Übergang seines Arbeitsver- hältnisses weiterhin wirksam widersprechen konnte. Die angeführte „a services S GmbH“ existierte im Zeitpunkt der Unterrichtung noch gar nicht und somit waren auch die Angaben zu Firmen- sitz und Geschäftsführer der Erwerberin nicht korrekt. Eine Gesellschaft mit dieser Firma war im Januar 2008 weder im Handelsregister G noch in S eingetragen. Daher hätten sich die Arbeitnehmer durch Einblick in das Verzeichnis auch keine Klarheit über den Erwerber ver- schaffen können, so das BAG. Der tatsächliche Betriebserwerber a Zweite GmbH ist im Unter- richtungsschreiben auch nicht als solcher auf- geführt, sondern lediglich als noch bestehende Firma. Die Identität des Betriebserwerbers blieb damit insgesamt unklar. Auch ein Hinweis der Beklagten darauf, dass es sich beim Erwerber um eine nicht sozialplan- pflichtige Neugründung nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG handelte, erfolgte nicht. Auf die Sozialplanprivilegierung des Erwerbers müssen Unternehmen nach Auffassung des Senats in dem Informationsschreiben hinweisen, da es sich dabei um mittelbare Folgen des Betriebs- übergangs handelt, die für die wirtschaftliche Absicherung der Beschäftigten ein wesentliches Kriterium für einen Widerspruch darstellen. Das hätte die Arbeitgeberin den Mitarbeitern mittei- len müssen – und zwar unabhängig davon, ob die Betriebsstilllegung bereits zum Zeitpunkt der Unterrichtung geplant war. Konsequenzen Das BAG stellt hohe Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung der Arbeitneh- mer bei einem Betriebsübergang: Zur ord- nungsgemäßen Identifikation des Erwerbers sind Firma, Sitz, Anschrift und gesetzlicher Ver- treter bzw. eine andere natürliche Person mit Personalkompetenz korrekt anzugeben. Das Gericht hat 2006 erwogen, ob schon ein Fehler beim Vornamen des Geschäftsführers zur Feh- lerhaftigkeit führt (BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, AuA 3/07, S. 181). Bei einem Verweis auf das Handelsregister sind die Firma des Betriebserwerbers, das zuständige Register und die entsprechende Nummer zutreffend mit- zuteilen. Befindet sich der Erwerber noch in der Grün- dungsphase oder – wie vorliegend – in einer Umfirmierung, muss er die Umstände genau schildern. Kann er die erforderlichen Angaben noch nicht machen, sollte er dies offenlegen und später ergänzend mitteilen. Erfolgt der Erwerb wie hier über eine Vorratsgesellschaft, ist das zu schildern und die zum Zeitpunkt der Unterrichtung maßgeblichen Einzelheiten (Fir- ma!) mitzuteilen. Von Vereinfachungen sollte man eher Abstand nehmen, weil die Gefahr besteht, dass die Angaben dann zwar leicht verständlich sein mögen, sie aber einer gericht- lichen Prüfung nicht standhalten. Im Hinblick auf das Sozialplanprivileg für Neu- gründungen nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG war bislang umstritten, ob die Beschäftigten darüber zu informieren sind. Der 8. Senat be- jahte dies unabhängig davon, ob eine sozial- planpflichtige Betriebsänderung zum Zeitpunkt der Unterrichtung geplant ist. Das Gericht wei- tet die Mitteilungspflichten beim Betriebsüber- gang damit einmal mehr aus. Praxistipp Handelt es sich beim Betriebserwerber um eine Neugründung i. S. v. § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG, muss der Arbeitgeber die Arbeitnehmer über die fehlende Sozialplanpflicht informieren. Andernfalls ist die Unterrichtung fehlerhaft und die einmonatige Widerspruchsfrist beginnt nicht zu laufen. RA und FA für Arbeitsrecht Dr. André Zimmermann, LL.M., Counsel, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main Rechtsprechung 248 Arbeit und Arbeitsrecht · 4 / 15

Zimmermann AuA 04/15 248 Unterrichtung bei Betriebsuebergang

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Zimmermann AuA 04/15 248 Unterrichtung bei Betriebsuebergang

Unterrichtung bei Betriebsübergang§ 613a Abs. 5 BGB; § 112a Abs. 2 BetrVG

1. Die Unterrichtung über die Identität des Betriebserwerbers ist fehlerhaft, wenn eine juristische Person mit den genannten Angaben im Zeitpunkt der Unterrichtung (noch) nicht im Handels-register eingetragen ist.

2. Die fehlende Sozialplanpflicht des Betriebserwerbers nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist ein Umstand, über den die von einem Betriebsübergang betrof-fenen Arbeitnehmer zu unterrichten sind.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 14. November 2013 – 8 AZR 824/12

Problempunkt

Bei einem Betriebsübergang gehen die beste-henden Arbeitsverhältnisse auf den Betriebs-erwerber über. Hierüber und über weitere Ein-zelheiten hat der bisherige Arbeitgeber die betroffenen Mitarbeiter nach § 613a Abs. 5 BGB zu informieren, wobei die Rechtsprechung strenge Vorgaben an den Inhalt der Unterrich-tung macht. Genügt sie diesen Vorgaben nicht, beginnt die einmonatige Frist zum Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses (§ 613a Abs. 6 BGB) nicht zu laufen, so dass Beschäftigte noch Monate oder gar Jahre nach dem Betriebsübergang den Bestand eines Ar-beitsverhältnisses mit dem Veräußerer geltend machen können, wenn das Widerspruchsrecht nicht ausnahmsweise verwirkt ist.

Der 8. Senat musste klären, welche Angaben zur Identität des Betriebserwerbers das Unter-richtungsschreiben enthalten muss und ob An-gaben zur fehlenden Sozialplanpflicht von neu gegründeten Erwerbern nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG zum zwingenden Inhalt der Mit-teilung gehören. Der Kläger war in einem Call-center der beklagten V GmbH im Betrieb S tä-tig. Im Januar 2008 erhielten die Arbeitnehmer des Betriebs S – darunter der Kläger – ein Schreiben, in dem sie das Unternehmen über den Verkauf und die Übertragung auf die „a services S GmbH (derzeit noch firmierend als a Zweite GmbH), vertreten durch den Geschäfts-führer F“ mit Wirkung zum 1.3.2008 informier-te. Als Absender wies der Briefkopf die V GmbH und die „a services S GmbH (z.Z. noch a Zweite GmbH)“ aus. Die a Zweite GmbH war Ende 2007 als Vorratsgesellschaft neu gegründet und im Handelsregister des Amtsgerichts G ein-getragen worden. Einzelvertretungsberechtigte

Geschäftsführer waren F und Dr. K. Das Unter-richtungsschreiben enthielt keinen Hinweis da-rauf, dass es sich um eine neu gegründete Gesellschaft handelt. Nach Abschluss eines Be-herrschungs- und Gewinnabführungsvertrags firmierte die a Zweite GmbH im Februar 2008 um zur a services S GmbH. Die Gesellschaft wurde nach einer Sitzverlegung im Mai 2008 beim Amtsgericht S ins Handelsregister einge-tragen.Bei dem Betriebsübergang am 1.3.2008 trat die a services S GmbH als Betriebserwerber auf. Vertragsparteien des Unternehmenskaufver-trags waren die V GmbH und die a Zweite GmbH.Mitte 2010 kündigte die a services S GmbH die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter des Betriebs S wegen Betriebsstilllegung. Der Klä-ger erhob Kündigungsschutzklage gegen diese Gesellschaft und widersprach gegenüber der V GmbH dem Übergang seines Arbeitsverhält-nisses. Er beantragte die Feststellung, dass zwischen ihm und der V GmbH weiterhin ein Arbeitsverhältnis besteht und forderte dort Weiterbeschäftigung zu den ursprünglichen Konditionen. Während der Kläger vor dem ArbG Erfolg hatte, unterlag er vor dem LAG.

Entscheidung

Das BAG hielt die Revision des Klägers für be-gründet. Die V GmbH hatte den Kläger nicht ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 BGB über die Person des Betriebserwerbers informiert, so-dass die einmonatige Widerspruchsfrist (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) nicht zu laufen begonnen hatte und er dem Übergang seines Arbeitsver-hältnisses weiterhin wirksam widersprechen konnte. Die angeführte „a services S GmbH“ existierte im Zeitpunkt der Unterrichtung noch gar nicht und somit waren auch die Angaben zu Firmen-sitz und Geschäftsführer der Erwerberin nicht korrekt. Eine Gesellschaft mit dieser Firma war im Januar 2008 weder im Handelsregister G noch in S eingetragen. Daher hätten sich die Arbeitnehmer durch Einblick in das Verzeichnis auch keine Klarheit über den Erwerber ver-schaffen können, so das BAG. Der tatsächliche Betriebserwerber a Zweite GmbH ist im Unter-richtungsschreiben auch nicht als solcher auf-geführt, sondern lediglich als noch bestehende Firma. Die Identität des Betriebserwerbers blieb damit insgesamt unklar.Auch ein Hinweis der Beklagten darauf, dass es sich beim Erwerber um eine nicht sozialplan-pflichtige Neugründung nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG handelte, erfolgte nicht. Auf die Sozialplanprivilegierung des Erwerbers müssen Unternehmen nach Auffassung des Senats in dem Informationsschreiben hinweisen, da es sich dabei um mittelbare Folgen des Betriebs-

übergangs handelt, die für die wirtschaftliche Absicherung der Beschäftigten ein wesentliches Kriterium für einen Widerspruch darstellen. Das hätte die Arbeitgeberin den Mitarbeitern mittei-len müssen – und zwar unabhängig davon, ob die Betriebsstilllegung bereits zum Zeitpunkt der Unterrichtung geplant war.

Konsequenzen

Das BAG stellt hohe Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung der Arbeitneh-mer bei einem Betriebsübergang: Zur ord-nungsgemäßen Identifikation des Erwerbers sind Firma, Sitz, Anschrift und gesetzlicher Ver-treter bzw. eine andere natürliche Person mit Personalkompetenz korrekt anzugeben. Das Gericht hat 2006 erwogen, ob schon ein Fehler beim Vornamen des Geschäftsführers zur Feh-lerhaftigkeit führt (BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, AuA 3/07, S. 181). Bei einem Verweis auf das Handelsregister sind die Firma des Betriebserwerbers, das zuständige Register und die entsprechende Nummer zutreffend mit-zuteilen.Befindet sich der Erwerber noch in der Grün-dungsphase oder – wie vorliegend – in einer Umfirmierung, muss er die Umstände genau schildern. Kann er die erforderlichen Angaben noch nicht machen, sollte er dies offenlegen und später ergänzend mitteilen. Erfolgt der Erwerb wie hier über eine Vorratsgesellschaft, ist das zu schildern und die zum Zeitpunkt der Unterrichtung maßgeblichen Einzelheiten (Fir-ma!) mitzuteilen. Von Vereinfachungen sollte man eher Abstand nehmen, weil die Gefahr besteht, dass die Angaben dann zwar leicht verständlich sein mögen, sie aber einer gericht-lichen Prüfung nicht standhalten. Im Hinblick auf das Sozialplanprivileg für Neu-gründungen nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG war bislang umstritten, ob die Beschäftigten darüber zu informieren sind. Der 8. Senat be-jahte dies unabhängig davon, ob eine sozial-planpflichtige Betriebsänderung zum Zeitpunkt der Unterrichtung geplant ist. Das Gericht wei-tet die Mitteilungspflichten beim Betriebsüber-gang damit einmal mehr aus.

Praxistipp

Handelt es sich beim Betriebserwerber um eine Neugründung i. S. v. § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG, muss der Arbeitgeber die Arbeitnehmer über die fehlende Sozialplanpflicht informieren. Andernfalls ist die Unterrichtung fehlerhaft und die einmonatige Widerspruchsfrist beginnt nicht zu laufen.

RA und FA für Arbeitsrecht Dr. André Zimmermann, LL.M.,

Counsel, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main

Rechtsprechung

248 Arbeit und Arbeitsrecht · 4 / 15