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2014 betterplace lab

Die guten Seiten des Internets: Der betterplace lab Trendreport 2014

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Jetzt über aktuelle Trends wie "Shareconomy", "Unterwachung", "Bauern empowern" & Co lesen, garniert mit coolen Fallbeispielen aus aller Welt. Entweder jetzt und hier. Oder als PDF runterladen. Oder sogar als Buch bestellen (das sind dieses Dinger aus Papier). http://trendreport.betterplace-lab.org/bestellen Dann auch inklusive cooler Reise- und Innovationsberichte vom "lab around the world": http://trendreport.betterplace-lab.org/ Wir danken SAP für die Unterstützung! Das betterplace lab Team.

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2014betterplace lab

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Wie sich die digitale Zivilgesellschaft in Zukunft entwickelt

Herzlich willkommen zum betterplace lab Trendreport 2014! Zum dritten Mal in Folge bündeln wir die interessantesten digital-so-zialen Trends, Cases und Insights der letzten zwölf Monate: neue Online-Fundraisingformate wie die Giving Days (S.!35), span-nende Entwicklungen in der Landwirtschaft (Bauern empowern,

S.!95), Digitale Nothilfe (S.!87) und den politischen Trend der Unterwachung (S.!65)!– um vier der zehn Trends in dieser Ausgabe zu nennen.Aber waren es nicht immer zwölf Trends pro Trendreport? Stimmt. Haben wir diesmal nicht ganz gescha"t. Denn im Frühjahr dieses Jahres gingen wir auf digital-soziale Entdeckungsreise: Während des sechswöchigen lab around the world waren acht Leute unseres Teams in 14 Ländern, von Brasilien über China bis Kenia und Indonesien, um Innovationen und spannende Gesprächspart-ner vor Ort aufzuspüren. Wie bunt der Strauß der Erkenntnis ist, den wir mit-gebracht haben, zeigt das beigelegte Extraheft. Und obwohl dieser globale Blick auf die digitale Zivilgesellschaft zunächst nur ein Blinzeln war, haben wir genug gesehen, um das Potenzial dieser Forschung zu erkennen!– wir werden nun jedes Jahr losziehen. So können wir Underground-Innovationen aufspü-ren, die nicht in den großen Industrienationen entwickelt werden, sondern von Bürgern, Gemeinschaften und Institutionen in ärmeren und medial weniger präsenten Ländern.Besonders freut uns, dass SAP, der weltgrößte Anbieter von Unternehmenssoft-ware, Partner des Trendreports geworden ist. Uns verbindet das Anliegen, die Zivilgesellschaft in Deutschland digital kompetenter und damit zukunftsfä-higer zu gestalten. Zu diesem Zweck scouten und kuratieren wir nicht nur die digital-sozialen Highlights für den Trendreport, sondern haben gemeinsam das Onlinehelden-Programm ins Leben gerufen (S.!60).Wie wichtig digitale Kompetenz für alle ist, die für eine bessere Welt arbeiten, wurde im Zuge des NSA-Überwachungsskandals deutlich. Anders als der Um-schlag vermuten lässt, wollen wir keine Schwarzmalerei betreiben. Aber auch NGOs, Stiftungen und andere soziale Akteure operieren in der digitalen Welt und müssen ihren Daten mehr Aufmerksamkeit schenken. Sie müssen Informa-tionen von Spendern und Begünstigten, darunter sozial schwache Gruppen und potenziell bedrohte Aktivisten, besser schützen. Es gilt, gemeinsam Strukturen und Verhaltensformen zu scha"en, die den Risiken der Digitalisierung der Zi-vilgesellschaft entgegenwirken. Nur so können wir das Potenzial von Internet und Mobilfunk für eine e"ektivere soziale Arbeit nutzen und weiterentwickeln.In diesem Sinne wünschen wir euch eine inspirierende, überraschende Lektüre.

Joana Breidenbach und das betterplace Lab Team

PS: Achtung beim Lesen der Cases: Please try this at home.

Vorwort

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Making-ofAls kleine Au!ockerung des stark qualitativen Trendreports servieren wir hier ein paar quantitative Häppchen.

2.000 Stunden bzw. 250 Personentage haben wir am Trendreport geschrieben (Autoren s. S. 118).

25 Personentage haben wir redigiert.

750 kcal haben wir dabei fürs Treppensteigen ins betterplace-Büro verbraucht (5. Stock, 30 kcal pro Stieg).

3.000 " kosten die Illustrationen.

6.100 " kostet das Layout.

12.500 " kostet der Druck.

4.000 " kostet der Druck der ‚lab around the world‘-Broschüre.

20 Klinken haben wir geputzt, um Geld zur Finanzierung des Trendreports zu bekommen.

20 Türklinken in Deutschland waren zwischenzeitlich fast keimfrei.

542 Menschen haben den Trendreport 2013 bestellt und wurden gebeten, dafür zu spenden.

178 Leute haben im Durchschnitt 9,08 Euro für den Trendreport 2013 gespendet.

2 Minuten und 23 Sekunden verweilen die Besucher unserer Webseite trendreport.betterplace-lab.org.

2,27 Seiten gucken sie sich im Durchschnitt dabei an.

Mit 3.800 Trendreports 2014 werden wir diesmal Menschen aus der Zivilgesellschaft inspirieren, ihr soziales Engagement zu verbessern.

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InhaltVorwort # S. 3

Making-of # S. 4

Übersicht S. 6 $

Anleitung S. 8 $

Digital-soziale Innovationen S. 10 $

1 Hackathons S. 13 $

Cases S. 18 $ /Interview S. 21 $

2 O!ine S. 25 $

Cases S. 30 $

3 Giving Days S. 35 $

Cases S. 39 $

4 Crowdfunding S. 43 $

Cases S. 48 $

5 Shareconomy S. 53 $ Cases S. 57 $

6 Unterwachung S. 65 $

Cases S. 69 $ / Insight S. 72 $

7 Silbersurfer S. 77 $

Cases S. 82 $

8 Digitale Nothilfe S. 87 $

Cases S. 91 $

9 Bauern empowern S. 95 $

Cases S. 99 $ / Insight S. 102 $

10 Facebook fürs Gute S. 107 $

Cases S. 112 $

Onlinehelden S. 60 $

Interview S. 62 $

Schlusswort S. 117 $

Impressum S.118 $

Förderer S.119 $

Index S. 120 $

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Kreativ-kollision

HACKATHONS S.%13 $

Immer häu&ger tref-fen sich Konzepter

und Coder auf Hackathons. Berauscht von Schla!osigkeit, Energydrinks und dem Drang, Ideen Leben einzuhauchen, entwickeln sie erstaunliche so-ziale Innovationen.

1

Teil seinSHARECONOMY S.%53 $

Immer mehr post-materiell eingestellte

Leute teilen sich Werkzeug, Couch und Auto mit anderen. Das schont Geldbeutel und Ressourcen gleichermaßen. Auf Online-Plattformen lassen sich Vertrauen und Abwicklung einfach organisieren.

5Echt

OFFLINE S.%25 $

Spazierengehen ist das neue Mobile, Par-tys sind der bessere

Hangout. Wer sich zu stark auf Online, Webseiten und Apps konzentriert, verpasst das wahre Leben: O'ine werden auch die Strippen fürs Weltver-bessern gezogen.

2

GeldquelleCROWDFUNDING S.%43 $

Schon fast ein Klassi-ker der Finanzierung:

Auf dem mehrere Milliarden schweren Crowdfunding-Markt holen sich Er&nder für Prototy-pen, Musiker fürs erste Album und Gründer für ihr Sozialun-ternehmen Startkapital.

4

WahnGIVING DAYS S.%35 $

Zeitlich begrenzte Aktionstage reißen die Menschen aus der Spen-

denlethargie. An Giving Day tun sich Unternehmen, Medien und soziale Organisationen zusam-men und stacheln die Bevölke-rung an, neue Spendenrekorde aufzustellen.

3

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ParallelweltFACEBOOK

FÜRS GUTE S.%107 $

Bei Facebook lässt sich fast jeder berieseln, Stichwort Katzenvideos. Soziale Orga-nisationen und Initiativen strengen sich an, dort auch wichtige Themen zu verbreiten, und nutzen den Zugang zu 800 Millionen Menschen, um Gutes zu tun.

10Aufblühen

SILBERSURFER S.%77 $

Alte Menschen brau-chen halt etwas län-

ger. Aber nun sind sie im Netz angekommen und holen mäch-tig auf mit Tablets, Tabletten-Apps und Webseiten für ihre Senior-Bedürfnisse. Das Feld der sozialen Innovationen für Alte ist groß und wird gerade erst erschlossen.

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Small Brother

UNTERWACHUNG S.%65 $

Das Volk nutzt Kame-ras, Datenbanken und

Smartphones, um Korruption und schlechtes Benehmen bei Politikern aufzudecken. So sor-gen die Watchdogs für Trans-parenz und bilden ein Gegenge-wicht zur politischen Macht.

6

Digitale Ernte

BAUERN EMPOWERN S.%95 $

Wer Handys sät, ern-tet SMS: Kleinbauern

in armen Ländern verscha(en sich über Info-Dienste Zugang zu wichtigen Informationen und brechen so Wissensmo-nopole auf. Das steigert die Erträge und könnte zu mehr Gerechtigkeit führen.

9

StresstestDIGITALE NOTHILFE S.%87 $

Die Zeit nach Wirbel-stürmen, Erdbeben

oder Terroranschlägen ist ge-prägt von Chaos, Kontrollver-lust und Panik. Doch die vielen Informationen, die Betro(ene in sozialen Netzwerken streuen, werden zunehmend strukturiert genutzt, um besser helfen zu können.

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So funktioniert der Trendreport

Im Internet sprießen täglich unzählige neue digitale Ideen, An-wendungen und Projekte. Uns vom betterplace lab Trendreport entgeht kaum einer dieser CASES, wie wir sie nennen. Aus diesen CASES, die immer eine Innovation mit sich bringen, leiten wir TRENDS ab. Auf trendreport.betterplace-lab.org haben wir bereits fast

600 CASES zusammengetragen: von der App gegen Polizeiwillkür in New York (Stop and Frisk Watch) bis zu digitalen Signalbomben bei Naturkatastrophen in China (Iyiyun).Die CASES untersuchen wir nach gemeinsamen Eigenschaften und identi!-zieren so neue digitale Trends für die Zivilgesellschaft. Wenn wir immer mehr CASES !nden, bei denen alte Menschen mit Tablets und Software ihre Lebens-qualität verbessern, nennen wir den TREND Silbersurfer (S."77). Und wenn Pro-grammierer immer häu!ger mit Konzeptern aus der Zivilgesellschaft Energy-drinks trinken, um tagelang schla#os zu programmieren, ist klar: Hackathons sind ein TREND (S."13). Innerhalb der Trendbeschreibungen versuchen wir, sowohl die Perspektive der Geldgeber (Stiftungen, Spender etc.) zu berücksichtigen als auch jene der so-zialen Organisationen. Doch wie auch auf Seite 10 beschrieben, ist die Institu-tionen-Denke manchmal hinderlich. Menschen engagieren sich immer häu!ger spontan und in informellen Netzwerken für das Wohl der Zivilgesellschaft. Die zentrale Frage, die wir mit den digital-sozialen TRENDS dem Leser stellen: Wie lassen sich diese neuen Ideen und Möglichkeiten auf das eigene Engagement übertragen? Dazu mehr auf der nächsten Seite.Und obwohl wir Digitaloptimisten sind, formulieren wir zu jedem TREND nicht nur die Chancen, sondern auch eventuelle Risiken. Zusammen mit der zeitlichen Entwicklungsstufe des TRENDS soll das helfen, die Relevanz der TRENDS für die eigene Arbeit einzuschätzen. Wie weit die TRENDS zeitlich fortgeschritten sind, lässt sich an den P#änzchensymbolen ablesen: Am Anfang noch underground, entwickeln sich die TRENDS von zarten Trieben zu stabilen Gewächsen.

Zehn TRENDS sind hier versammelt, online erweitern wir den Trendreport stetig. Einige CASES sind so interessant, dass wir ihnen mehr Aufmerksamkeit schen-ken. Wenn beispielsweise die Crowdfunding-Plattform Meu Rio an der Copaca-bana den etablierten TREND Crowdfunding mit neuen Ideen aufmischt, dann schreiben wir ein sogenanntes INSIGHT. Darin analysieren wir ausführlich den Kontext, leiten Mechanismen ab und sprechen mit den Machern"– in diesem Fall waren wir im Rahmen des lab around the world sogar vor Ort.Der Trendreport funktioniert also als Dreiklang aus CASES, TRENDS und INSIGHTS.

PS: Es stört dich ho$entlich nicht, dass wir dich hier duzen. Wir kennen uns ja nun schon drei Jahre ;)

2. 3.1. Dieser Trend steht am Anfang seiner Entwicklung

2. Dieser Trend wächst heran

3. Dieser Trend ist etabliert

1.

Anleitung

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So nutzt du die Trends für deine Arbeit

Viele Cases aus dem Trendreport erscheinen auf den ersten Blick speziell. Du fragst dich: Was hab ich davon, wenn eine Organisation in Indien Bauern mit Videos und Mini-Projektoren landwirtschaftlich schult? (s. Insight Digital Green S.%102). Doch auch wenn du in der Altenp!ege arbeitest, ist mehr als nur der

Trend Silbersurfer (S.%77) interessant für deine Arbeit. Es geht darum, Ideen und ihr Potenzial von der ursprünglichen auf die eigene Situation zu übertragen. Wieso nicht das Prinzip, mit dem Digital Green bestehende Prozesse optimiert, auf die Altenp!ege übertragen? Mit Filmen, die von den Altenp!egern selbst produziert werden, mehr Akzeptanz in der Fortbildung scha(en?Der Trendreport ist ein Buch zum Mitdenken. Wir zeigen dir die Mechanismen, Bedürfnisse und Motivationen hinter den digital-sozialen Innovationen und beschreiben mit den Trends zukünftige Entwicklungen. Cases helfen dir, kon-krete Ideen nachzumachen oder angepasst auszuprobieren%– veranstalte selbst mal einen Hackathon. Trends solltest du mit Blick auf deine Strategie im Hin-terkopf behalten: Wenn sich die Nothilfe weiter digitalisiert%– sind weiterfüh-rende Literatur und Fortbildungen für dich und dein Team sinnvoll? Falls nicht, so hat dich allein schon der Text zum Trend schlauer gemacht ;) Wenn dich nun ein Beispiel aus dem Trendreport besonders inspiriert oder du ei-ne Idee hast, mit der du einen Trend konkret anwenden willst%– dann probier es aus! Es lohnt sich, denn Trends können über einzelne Experimente hinaus auch die Vision deiner Organisation und deiner Arbeit positiv beein!ussen. Lass dich anregen, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, bei bestehen-den Initiativen mitzuwirken und neue spannende Kooperationen einzugehen. Auf diese Weise können neue Geschäftskonzepte und grenzenüberschreitende Partnerschaften entstehen, die dazu beitragen, die Zivilgesellschaft insge-samt zu stärken. Hab den Mut, zu experimentieren und Risiken einzugehen. Wie wir dir dabei helfen können, steht auf Seite 116.

Dies ist bereits die dritte Ausgabe des betterplace lab Trendreports. Viele der Trends aus den Ausgaben 2012 und 2013 sind auch heute noch spannend. Deshalb lohnt sich ein Blick auf trendreport.betterplace-lab.org/trends. Dort &ndest du auch den Trend Produktiv Scheitern, der dir zeigt, wie du selbst aus Misserfolgen noch Lernerfolge machst und damit vor den anderen gut dastehst. Es kann also eigentlich nix mehr schiefgehen!

Anleitung

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2010 haben wir das betterplace lab gegründet, um die Schnitt-stelle zwischen digitalen Technologien und sozialem Handeln zu untersuchen. Wenn beispielsweise eine App medizinische Fern-diagnosen an Menschen in entlegenen Gebieten ermöglicht, geben wir einer solchen Innovation das Prädikat digital-sozial.

Schon bald nutzten auch andere deutsche Institutionen den Begri(, mittlerwei-le taucht er sogar im englischen Sprachgebrauch auf. Diese Verbreitung deutet darauf hin, dass sich immer mehr Menschen die Frage stellen, wie digitale Medien auf die Zivilgesellschaft wirken. Auch neue universitäre Institute wie das Digital Civil Society Lab der Stanford-Universität deuten darauf hin. Doch weder digital noch sozial sind eindeutige Begri(e. Bei sozial denkt man-cher zuerst an soziale Medien wie Facebook oder Twitter. Oder an gesellschaft-liche Ereignisse wie den Bundespresseball. Wir haben in den ersten Jahren sozial hauptsächlich auf den sogenannten sozialen Sektor bezogen; also auf alle Ins-titutionen und Akteure, die im gemeinnützigen Bereich agieren: in Vereinen und gemeinnützigen GmbHs, Stiftungen, CSR-Abteilungen, aber auch in der staat-lichen Entwicklungszusammenarbeit, im Bildungs- und Gesundheitswesen. „So-ziale“ Menschen sind für uns solche, die emphatisch sind und sich um ihre Mit-bürger kümmern. Mit dem Begri( digital hingegen meinen wir die Nutzung von Internet- und Mobilfunktechnologie. Wir gehen davon aus, dass ziviles Engagement immer eines der drei folgenden Ziele verfolgt: Erstens drückt es bestimmte Identitäten und Werte aus (expres-sive Dimension). Zweitens protestiert es für oder gegen bestimmte Themen oder Bevölkerungsgruppen. Drittens dient es der Verteilung von Gütern und Dienst-leistungen, welche der Markt oder die ö(entliche Hand nicht bereitstellen.Beim Schreiben des diesjährigen Trendreports wurde deutlich, dass sich sowohl das Digitale als auch das Soziale stark verändern. So stark, dass wir gerade unsere betterplace lab Vision und Mission dementsprechend überarbeiten. Denn der Begri( digital löst sich zunehmend in Normalität auf: Jeder Aspekt des Lebens wird bald eine digitale Komponente haben. Mit dem Internet of Things beginnt eine neue Phase, in der immer mehr Alltagsgegenstände wie Kühlschränke, Au-tos, Brillen oder Jacken Sensoren und andere digitale Technik enthalten und zu Kommunikationskanälen werden.Zugleich sehen wir, dass der soziale Sektor eine zu eingeschränkte Konstrukti-on ist, um dem zeitgenössischen zivilgesellschaftlichen Engagement gerecht zu werden. Nicht nur werden die Grenzen zwischen NGOs, Kirchen, CSR- Abteilungen und Stiftungen immer durchlässiger. Unsere Trendforschung und weltweite ‚lab around the world‘-Forschungsreise zeigen, dass viel mehr Menschen und Institutionen als nur die des klassischen sozialen Sektors digitale Techniken ent-wickeln und fürs Gemeinwohl einsetzen.Dazu zählen Sozialunternehmer, die soziale Probleme mit kommerziellen Geschäftsmodellen angehen (Beispiel Mikrokredite oder Produkte, die soziale Projekte unterstützen, Quartiermeister etc.). Oder Unternehmen, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden und ihr Handeln oder ihre Ausrichtung entsprechend umstellen. Daneben gibt es viele Mischformen, die For-Pro&t- und Not-For-Pro&t- Rechtsformen und -Strategien kombinieren.

Was sind eigentlich digital-soziale Innovationen?

Digital-soziale Innovationen

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Es gibt auch immer mehr informelle Netzwerke und Aktivistengruppen, die sich punktuell zusammenschließen und scheinbar keine formale rechtliche Hülle be-nötigen. Dazu zählen auch jene, die im Amerikanischen unter dem Begri( „Civic Tech“ zusammengefasst werden: Technologie-a)ne Gruppen, die sich im Bereich Open Data und Open Government einsetzen, um die Kommunikation zwischen Bürgern und Regierung durch technologische Anwendungen zu verbessern. Digi-tale entstehen oft innerhalb dieser Spezialistengruppen. Dem gegenüber stehen die sozial Engagierten, die von den Möglichkeiten überwältigt sind. Hier gilt es, Brücken zu schlagen zwischen jenen, die sich auskennen, und jenen, die die Inno-vationen mit größtmöglicher Wirkung fürs Gemeinwohl einsetzen können.In den vergangenen Jahren haben wir beobachtet, dass etablierte zivilgesell-schaftliche Organisationen digitale Medien schwerpunktmäßig nutzen, um ihre bestehende Arbeit zu verbessern. Oft geschieht dies nur reaktiv, um den Anschluss an die digitale Entwicklung nicht zu verpassen. Die Innovatoren, die digitale Technologien auf neue Art verwenden, oder gänzlich Neues er&nden, stammen dagegen meist nicht aus dem alteingesessenen gemeinnützigen Be-reich%– sie kommen aus den unterschiedlichen Branchen und sozialen Szenen (Hacker, Datenaktivisten etc.), aus neuen Technologieunternehmen, Werbe-agenturen, Universitäten und Co-Working-Büros. Eine für uns sehr spannende Frage für zukünftige Entdeckungsreisen%– ob im Feld oder im Kopf: Wieso emp&nden so viele digital-soziale Pioniere die traditionel-len institutionellen Organisationsformen (seit den 70er-Jahren insbesondere die NGOs) als für sich wenig geeignet? Eine erste Vermutung wäre, dass die Welt-sicht der „alten“ NGOs immer noch in einer Dichotomie zwischen „West und Rest“ verharrt und diese NGOs dazu tendieren, die Empfänger ihrer Arbeit zu Opfern zu stilisieren. Die neuen Akteure dagegen sehen die Welt als eine Einheit, vernetzt durch moderne Kommunikationstechnologien. Sie sehen ein Problem vor der eigenen Haustür oder am anderen Ende der Welt und organisieren sich, um darauf aufmerksam zu machen und es zu lösen. Die dezentrale und tempo-räre Arbeitsweise von beispielsweise Kampagnenmachern passt nicht in die ver-gleichsweise starren bestehenden rechtlichen Rahmen, die auf Vor-Ort-Präsenz und Kontinuität ausgerichtet sind. Und Sozialunternehmen sehen die Begüns-tigten nicht als Opfer, sondern als Kunden.Ebenso interessant ist die Frage, wie diese unterschiedlichen Akteure%– klassische soziale Sektor-Institutionen und neue Netzwerkorganisationen, Non-for-Pro&t- und For-Pro&t-Unternehmungen%– zukünftig koexistieren werden: Werden wir Mischformen zwischen beiden, eine Art Hybridisierung, sehen? Wird eine Form die andere ablösen oder werden sie in Paralleluniversen existieren?Aus diesen Überlegungen folgt, dass sich der betterplace lab Trendreport nicht mehr nur an eine enge Gruppe von Organisationen des sogenannten sozialen Sektors wendet, sondern an alle zivilgesellschaftlich aktiven Menschen. Deshalb verstehen wir heute unter „digital-sozialen Innovationen“ alle Entwicklungen, bei denen Menschen und Institutionen unabhängig von ihrer Rechts- und Finan-zierungsform mit ihren privaten Ressourcen (Zeit und Geld) neue Technologien einsetzen, um das ö(entliche Wohl zu verbessern%– um dafür zu sorgen, dass so viele Menschen wie möglich die Art von Leben führen können, die sie als gut und richtig emp&nden.

Digital-soziale Innovationen

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Hackathons

Ab Mitte der 2000er wurden Hackathons, auch Hackfeste oder Hackdays ge-nannt, sehr populär. Agenturen, Softwarehersteller und große Firmen nutzen das Format seitdem immer häufiger, um in kurzer Zeit Ideen in Codes zu verewigen. „Hack“ steht dabei für die schnelle und spielerische Art, kleine Programme zu schreiben. „Marathon“ spielt auf das Durchhaltevermögen an, das bei Hacka-thons nötig ist: Sie dauern meist zwei oder mehr Tage, geschlafen wird fast nicht. Oft sind Grafiker, Interface-Designer, Konzepter, Geschäftsleute, Datenspezialis-ten, Künstler oder Aktivisten anwesend und helfen, während des Workshops eine funktionsfähige digitale Innovation zu entwickeln"– den Prototyp einer Website, einer App oder andere Software.

Mittlerweile vergeht auch in Deutschland kaum ein Wochenende, an dem nicht gehackt wird. Gemüse? Nicht doch. Konzepter und Ideenentwickler tre#en sich mit Programmierern, trinken tage-lang Energydrinks und bauen aus einer Idee einen Software-Prototyp. So kön-nen auch Ideen getestet werden, die in Alltagsroutinen kaum eine Chance auf Anerkennung haben. Und für Organisatio-nen der Zivilgesellschaft sind Hackathons eine gute Gelegenheit, sonst so knappe Entwickler-Ressourcen zu nutzen. Die pro-duktiven Programmier-Partys vereinen Spaß an der Freude mit dem Drang, etwas Sinnvolles zu scha#en.

Hackathons $ Trend

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Hackathons eignen sich gut, Ideen innerhalb kurzer Zeit in konkrete Produkte zu überführen. Das Format hat bereits viele" Innovationen hervorgebracht und ist deshalb auch für Investoren interessant. Am Prototyp können sie schon ansatz-weise erkennen, ob das Produkt funktioniert. Auch sehen sie, wie Programmierer, Ideengeber und Teams arbeiten, und können Talente identifizieren.

Forschung und Ideenentwicklung zum Schnäppchenpreis

ür Unternehmen sind Hackathons ein kostengünstiges Innova-tionsformat. Google oder Facebook veranstalten beispielsweise regelmäßig interne Hackathons, um neue Produkte zu entwi-ckeln und bestehende zu optimieren. Sowohl der Like-Button als auch die Timeline auf Facebook sind bei Hackathons entstanden.

Immer mehr Unternehmen sponsern auch externe, o#ene Hackathons"– um ihr Image des attraktiven Arbeitgebers zu pflegen.Hackathons variieren in Format und Ausrichtung: Manche haben thematische Schwerpunkte oder konzentrieren sich auf eine Programmiersprache wie Dru-pal, Java Script oder Ruby on Rails. Einige haben nur ein Dutzend Teilnehmer, andere sind große Veranstaltungen mit über 500 Menschen. Es gibt auch dezen-trale, über mehrere Städte verteilte Hackathons (etwa den Global Foursquare Hackathon). Und seit die australische Regierung 2012 beschlossen hat, Daten auf Vorrat zu speichern, feiern immer mehr Menschen Cryptopartys, um sich Verschlüsselungstechniken beizubringen.

Hacken für soziale Innovationen

eit Ende der 2000er gibt es Hackathons auch im sozialen Sektor. Aktivisten, Vertreter von NGOs oder ö#entliche Einrichtungen fungieren dabei als Ideengeber. Sie präsentieren Herausforderun-gen ihrer Arbeit und konzipieren gemeinsam mit Programmierern und anderen Experten technische Lösungen. Die Themenvielfalt

reicht von Katastrophenhilfe (etwa CrisisCommons) über Wasserverschmutzung und Kinderhandel bis zu transparenter Regierungsführung. Manche Hackathons sprechen eine spezifische demografische Zielgruppe wie Jugendliche oder Frauen an (etwa"Geekettes Berlin). Es werden auch Tools für das Management von eh-renamtlichen Mitarbeitern und Spenden-Apps gebaut. Ein kontroverses Beispiel ist die Ablass-App, die auf einem betterplace-Hackathon entstanden ist. Mit der Ablass-App kann man sein Gewissen erleichtern, wenn man gesündigt hat. In der Alltagsroutine von betterplace hätte diese Idee keine Chance auf Realisierung gehabt.

Einen Hackathon zu veranstalten, ist ganz einfach

ackathons zeichnen sich durch ihren kollaborativen Charakter aus; meist arbeiten interdisziplinäre Teams gemeinsam an einem Thema. Die Veranstaltungskultur ist informell und ergebnisori-entiert. Viele Teilnehmer arbeiten die Nacht durch oder schlafen nur kurz vor Ort auf oder unter den Schreibtischen.Der Ablauf folgt einem relativ standardisierten Schema:1. Zu Beginn stellen die Organisatoren das Thema und die He-

rausforderungen vor.

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Hackathons $ Trend

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2. Dann diskutieren die Teilnehmer Ideen und Lösungsansätze, an denen sie arbeiten wollen.

3. Nach dieser Pitch-Phase formieren sich Teams aus Ideengebern, Konzeptern, Programmierern und eventuell anderen Experten.

4. Nun startet die eigentliche Arbeit: Die Ursprungsidee wird verfeinert, ein Konzept erstellt, eine User-Journey geschrie-ben"– wie verhält sich ein potenzieller Nutzer"– und eventu-ell ein clickbarer Prototyp gebaut. Dieser kann mit anderen Teilnehmern oder auf der Straße mit fremden Leuten getestet werden. Zugleich können Grafiker visuelle Elemente wie Logos und Moods entwerfen und Entwickler anfangen, zu program-mieren. Für diese Schritte stehen viele Kreativtechniken zur Verfügung (Design Thinking, Service Design etc.).

5. Am letzten Tag des Hackathons werden die fertigen Tools und Prototypen präsentiert, zum Beispiel informell vor den anderen Teilnehmern oder vor einer Experten-Jury. Viele Hackathons vergeben Gewinne und Preisgelder für die besten Ergebnisse.

Die produktive Partystimmung ist die beste Motivation

ackathons sind Teil der informellen und kollaborativen Open-Source-Kultur der Programmierer und ziehen eine bunte Mi-schung von Teilnehmern an. Diese wollen netzwerken, Gleich-gesinnte kennenlernen und ihre technischen oder kreativen Fähigkeiten austesten und verbessern. Manche wollen einfach

ihre Wochenenden auf produktive Weise verbringen, andere aber sehr kon-kret technologische Lösungen für die Probleme ihrer Organisation konzipie-ren und bauen.Da die wichtigste Ressource von Hackathons die Eigenmotivation der Teilnehmer ist, können sie potenziell sehr kostengünstig durchgeführt werden. Jeder, der einen passenden Raum, einen stabilen Internetzugang und etwas Essen und Trinken bereitstellen kann, kann einen Hackathon ins Leben rufen. Über Veranstaltungs-plattformen wie MeetUp oder Eventbrite können Teilnehmer online rekrutiert und koordiniert werden. Hackathons sind für Teilnehmer entweder kostenfrei oder es wird eine geringe Pauschale für Verpflegung etc. erhoben.Intel, Microsoft oder Edelman sponsern zahlreiche Hackathons. Die Kosten variieren dabei (ohne Preisgelder) zwischen 5.000 und 30.000 Euro. Unternehmen nutzen Hackathons auch, um in den Pausen eigene Produkte vorzustellen, die Entwickler im Idealfall in ihr Hacking einbeziehen. Damit kann die ursprünglich meist kom-merzielle Produktpalette um eine soziale Dimension erweitert werden. Firmen kön-nen mit Hackathons auch Mitarbeitern ein attraktives Format für die Entwicklung ihrer Ideen bieten. Auch bei firmengesponserten Hackathons verbleiben die Rechte grundsätzlich bei den einzelnen Teams und gehen nur in wenigen Ausnahmefällen an die Unternehmen über.

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Mit der auf einem Hackathon entstande-nen Ablass-App kann man sein Gewissen erleichtern, wenn man gesündigt hat.

Hackathons $ Trend

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Aus verschiedenen Welten: Wenn NGOs auf Programmierer tre#en

ach einer ersten Phase informeller Hackathons sind sowohl in der For-Profit-Welt (etwa Angelhack)"als auch im Non-Profit-Be-reich Organisationen entstanden, die Hackathons professionell ausrichten. Social Coding for Good ist ein Zusammenschluss einiger Tech-NGOs und Medienprojekte, zu denen auch Usha-

hidi, die Wikimedia Stiftung und das Guardian Project gehören. Letzteres hat bei Hackathons Apps wie Orbot oder Obscuracam entwickelt. Orbot weitet die Anonymisierungsfunktionen von Tor auf Mobiltelefone aus, während es Obscuracam Bürgerjournalisten in repressiven Staaten ermöglicht, ihre Han-dyaufnahmen mit zusätzlichen Informationen zu versehen oder die Gesichter von gefährdeten Informanten zu verpixeln. SecondMuse ist mit Random Hacks of Kindness und den National Days of Civic Hacking ein anderer Anbieter von Hackathons weltweit.Auch die amerikanische NGO Datakind veranstaltet Hackathons mit philan-thropischen Partnern. Bei einer Veranstaltung gemeinsam mit der Organisati-on DC Action for Kids, die sich um das Wohl von Kindern in Washington D.C. kümmert, trafen Mitarbeiter der NGO mit Entwicklern, Datenexperten und Grafikern aufeinander. Gemeinsam entwickelten sie Tools, mit denen sie ver-schiedene, bislang in PDFs verschlossene Daten analysieren und visualisieren können, um ein besseres Verständnis für die Hebel ihrer Arbeit zu entwickeln. Das Hackathon-Wochenende bildete allerdings nur den Startschuss für eine weiterreichende Zusammenarbeit zwischen Datakind und DC Action, in deren Verlauf interaktive Karten der Stadt entstanden, mit deren Hilfe Aktivisten neue Zusammenhänge herstellen konnten.

Google sponserte 2013 einen der ersten Hackathons der Euro-päischen Union

eit 2009 bringt Code for America die Entwickler-Community mit staatlichen Institutionen in den USA zusammen"– in Form von Stipendien für Programmierer, die für die ö#entliche Verwaltung arbeiten können, oder auf Veranstaltungen wie Hack for Change. Programmierer konzipieren dann gemeinsam mit Vertretern von

Kommunen und Stadtverwaltungen Anwendungen, mit denen politische Prozes-se und ö#entliche Dienstleistungen transparenter, partizipativer und e$zienter werden. So ermöglicht Open 331 die nationale Koordination von Bürgeranliegen, während „Wo ist mein Schulbus?“ Kindern und Eltern in Boston ermöglicht, zu sehen, wo der Schulbus gerade fährt.Die Sunlight Foundation entwickelt auf Hackathons politische Transparenz-Apps. Der Trend der Open-Government-Werkzeuge ist jedoch nicht auf die USA beschränkt. So veranstaltete die EU 2013 ihren ersten Hackathon in Brüssel,

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Sowohl der Like-Button als auch die Timeline von Facebook sind bei Hackathons entstanden.

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gesponsert von Google und Skype, auf dem 54 Programmierer aus 19 Ländern Transparenztools bauten. Soziale Hackathons boomen überall dort, wo eine star-ke IT-Community auf sozial engagierte Organisationen tri#t, von Indien über Kenia bis Südamerika.

Chancen • Mit Hackathons kann man schnell und kostengünstig Ideen entwickeln, testen, anpassen und verwerfen oder weiterentwi-ckeln (à la Lean Start-up).

• Der Ergebnisfokus umgeht die „Da müsste man mal was gegen machen“-Falle und endloses Palavern.

• Das unterhaltsame Format gleicht oft einer hochproduktiven Party und taugt zum Netzwerken.

• Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten arbeiten zusammen und lernen interdisziplinär.

• Unternehmen können eigene Produkte vorstellen, Talente ken-nenlernen, Ideen aufgreifen und ihr Image als fortschrittlicher, engagierter Arbeitgeber pflegen.

• Es besteht Online-Buzz-Potenzial, da Teilnehmer während des Hackathons twittern.

Risiken • Die Erwartungshaltung, dass ein fertiges Produkt dabei her-auskommt: Während eines Wochenendes können die meisten Ideen nur als Konzepte, Clickdummys oder rudimentäre Pro-grammierungen umgesetzt werden.

• Zu viele Ideen bleiben als „abandonware“ im Netz liegen, oft wird der Code nur noch auf Github archiviert.

• Die Tendenz, besonders im kommerziellen Bereich große Prei-se für die Gewinnerprojekte auszurufen, führt Kritikern zu-folge zu einem Konkurrenzgeist und dem Verlust des Gemein-schaftsgefühls.

• Hackathons haben mitunter eine hohe „No-Show-Rate“: Ame-rikanische Anbieter sprechen von 40 Prozent angemeldeter Interessenten, die nicht erscheinen.

Fazit Wer mit Ideen für digitale Produkte Spaß haben möchte, dem sei ein Hackathon empfohlen. Schon in kleinem Rahmen und mit wenig Geld lässt sich so ein Wochenende organisieren. Da Menschen aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam an Lösun-gen arbeiten, ist zumindest Inspiration garantiert. Manchmal kommt auch tatsächlich ein Produkt dabei heraus, das es zur Marktreife scha#t. Aber viel wichtiger ist, dass Hackathons Ideen aus den Köpfen der Menschen befreien und diese Ideen greifbar machen. Während des Herumwerkelns können die Hacker viel praktischer entscheiden, was funktioniert und was wie verbes-sert werden muss. So sind Hackathons eine Spielwiese, auf der mitunter die erstaunlichsten Gewächse sprießen.

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Der National Day of Civic Hacking ist ein Tag, an dem in den USA Bürger, Softwareentwickler und Unternehmer zusammenkommen, um neue tech-nische Lösungen für Probleme in Nachbarschaft,

Stadt oder Land zu finden. In jeder Stadt sieht die Veranstal-tung ein bisschen anders aus"– es kann ein Hackathon, aber auch eine Konferenz oder eine Party sein. 2014 wurde nicht nur in jedem Staat Amerikas gehackt, der National Day of Civic Hacking expandierte auch: 132 Events in 103 Städten und dreizehn Ländern waren nach Angaben der Veranstalter „die größte Zusammenarbeit in der Geschichte“. Dabei ist zum Beispiel die App Enabled City entstanden, eine Karte der Stadt Palo Alto für Menschen mit Gehbehinderungen, die zeigt, wo es Rollstuhlfahrerrampen oder Aufzüge gibt.

National Day of Civic Hackingwww.hackforchange.org

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Random Hacks of Kindness ist eine Initiative, die mit Open-Source-Technologien die Welt verbes-sern will. Menschen aus aller Welt können auf der Website Problemstellungen in Kategorien wie

Landwirtschaft, Transparenz oder Menschenrechte einreichen. Anschließend tun sich Hacker, Kreative und Programmierer on- und o!ine zusammen und entwickeln eine Software oder App, die diese Probleme lösen soll." Auf solchen „Hackathons“ entstehen zum Beispiel Tools zur Wahlbeobachtung in Kenia oder eine App wie Ad Hawk, die die Sponsoren politischer Werbespots in den USA aufdeckt. Mit mehr als 6.000 Mitglie-dern, rund 100 aktuellen Softwarelösungen (Stand: März 2013) und Projektpartnern wie Google, der NASA und der Weltbank sind die Random Hacks of Kindness eine Initiative mit großer ö#entlicher Reichweite.

Random Hacks of Kindnesswww.rhok.org

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Die Meltwater Entrepreneurial School of Tech-nology (MEST) in Accra ist eine Mischung aus Tech-Schule und Inkubator"– und damit der pas-sende Partner für Unicef, um einen digital-sozi-

alen Hackathon in Ghana zu veranstalten. Ruf und Netzwerk von MEST trugen dazu bei, dass Anfang 2014 mehr als 100 Programmierer und Entrepreneurs zum dreitägigen Hacka-thon zusammenkamen. Am Anfang haben Unicef-Mitarbeiter verschiedene Probleme schwer erreichbarer Zielgruppen prä-sentiert. Dann haben die Teilnehmer Fünfer-Teams gebildet, um an einem der Probleme zu arbeiten und einen funktionie-renden Prototyp zu bauen. Eine Jury hat schließlich „Sanity in Sanitation“ als Gewinner gekürt. Das Projekt, das Daten zu Sanitärausstattung und -bedürfnissen im ländlichen Norden Ghanas per Handy sammeln und analysieren will, bekam ein Preisgeld in Höhe 1.100 Euro.

MEST-Unicef Hackathonswww.meltwater.org/event/mest-unicef-hackathon

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Uwe Kylau, Senior Entwickler bei SAP, über grü-ne Wiesen, Innovationsbeschleuniger und warum Hackathons gekommen sind, um zu bleiben.

Uwe, Hackathons sind im Trend. Besonders in der Zivilgesellschaft program-mieren Leute mittlerweile fast jedes Wochenende kleine Programme und Apps. Sogar die Bundesregierung spielt mit dem Gedanken, einen Hackathon zu ver-anstalten. Warum nur?

Weil Hackathons eine sehr gute Plattform sind, auf der sich Menschen mit verschiedener Expertise nicht nur austauschen, sondern auch ausprobieren können. An sich ist es ja nichts Neu-es, dass man Menschen aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammenbringt, um Innovationen zu fördern. Das Besondere an den Hackathons ist nun der Software-Aspekt: Es geht immer darum, etwas zu programmieren. Und am Ende haben meistens alle etwas davon: Sei es ein Prototyp einer App, neue Kontakte oder einfach nur eine spaßige und produktive Zeit.

Die Bundesregierung will also auch mal Spaß haben?!Nein, Hackathons sind vor allem Innovationstreiber. Gerade in staatlichen Institutionen haben die Mitarbeiter kaum Freihei-ten, um Ideen auszuprobieren. Und sie haben auch selten die notwendigen Kompetenzen zur Hand, also etwa Programmierer. Hackathons gleichen einer grünen Wiese, auf der die Menschen sich völlig ungezwungen austoben und einfach mal machen kön-nen. Hackathons leben von dieser Do-it-yourself-Stimmung.

Du hast mit Teilnehmern gesprochen: Was motiviert die Leute, was die Program-mierer, was die Ideengeber?

Es gibt viele Gründe, warum Leute zu Hackathons gehen: Ei-gentlich jeder erfreut sich einfach an der schönen Zeit, die man zusammen verbringt. Und an den Kontakten, die man knüpft. Programmierer nutzen die Gelegenheit gern, um sich potenziel-len Arbeitgebern zu präsentieren, um zu zeigen, was sie können. Manche Studenten ziehen auch von einem Hackathon zum nächs-ten und bessern sich ihr Einkommen mit den Preisgeldern auf. Unternehmen können Ideen testen und ausloten. Man sagt ja, dass von zehn Ideen nur eine wirtschaftlich etwas taugt. Und von zehn, die etwas taugen, kommt eine als neues Produkt auf den Markt. Hackathons wirken hier als Beschleuniger. Da werden Ideen unverbindlich produziert. Auch Start-up-Gründer nehmen

„Dieses Gefühl, gemeinsam etwas gescha#en zu haben!“

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an Hackathons teil, um das Business-Modell zu testen und ein Team zu rekrutieren. Das klappt in ca. 25 Prozent der Fälle.

Wie steht es um den Werdegang der Prototypen: Werden die meisten tatsächlich weiterentwickelt und genutzt oder stauben sie ein, weil sich im Alltag dann nie-mand mehr drum kümmern will oder kann?

Das kommt auf das Ziel des Hackathons an: Geht es eher dar-um, Personal zu rekrutieren, Programmierern eine neue Tech-nologie schmackhaft zu machen, oder einfach um ein inspirie-rendes Wochenende? Wenn das Ziel nicht explizit der Prototyp einer Anwendung ist, landet der Code tatsächlich meistens auf der Halde. Aber viel wichtiger kann sein, dass nun die richtigen Leute weiterhin zusammenarbeiten.

Du hast bereits mehrere Hackathons organisiert: Welche Tipps würdest du Nach-ahmern geben?

Zunächst muss man sich klarmachen, was genau man mit dem Hackathon erreichen will, und das muss man auch deutlich kom-munizieren"– Stichwort Erwartungs-Management. Gut ist auch ein Aufhänger, ein gemeinsames Thema oder gesellschaftliches Ziel, das zusammenschweißt, das die Leute gemeinsam lösen wollen. Dann muss die Mischung der Teilnehmer stimmen. Ne-ben den Ideengebern, Unternehmern, Programmierern und De-signern kann man zum Beispiel auch einen Redner einladen, der die Leute motiviert. Auch wichtig: ein cooler Veranstaltungsort sowie gutes Essen und Trinken. Und Möglichkeiten zum Ab-reagieren, ein Kickertisch etwa oder Meditationsräume. Preise kann man auch vergeben, ob nun Geld oder Sachpreise oder Tre#en mit prominenten und wichtigen Leuten aus der Szene. Das Wichtigste ist jedoch das, was daraus resultiert: eine Wohl-fühlumgebung, damit der richtige Spirit entstehen kann. Die Leute müssen Spaß haben und gemeinsam an einem Strang ziehen wollen. Das führt dann am Ende zu einer tiefen Zufrie-denheit bei den Teilnehmern, dieses Gefühl, gemeinsam etwas gescha#en zu haben.

Wie scha#t man es, die Leute aus den unterschiedlichen Bereichen, also Program-mierer, NGO-Leute und Konzepter, zusammenzubringen? Geht das auch ohne ein gutes Netzwerk, gibt es da eine Online-Plattform oder Ähnliches?

Ein gutes Netzwerk hilft da natürlich. Aber gerade bei Innova-tionen empfehle ich den Blick über den Tellerrand. Man sollte auch mal ungewöhnliche Partnerschaften eingehen, etwa wenn NGOs gemeinsam mit Unternehmen hacken. Mittlerweile gibt es auch Start-ups, die Hackathons organisieren bzw. Software da-für anbieten. Denn das ist nicht mal eben in zwei Wochen getan.

Glaubst du, dass Hackathons nur ein Hype sind, oder wird sich das Format eta-blieren."

So wie Software nicht mehr wegzudenken ist, so werden auch Hackathons bleiben. Vielleicht ist es ein Hype, wenn Firmen wie salesforce eine Million US-Dollar Preisgeld bei einem Hackathon

Hackathons $ Interview

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vergeben. Viele Leute aus der Programmierer-Gemeinschaft kri-tisieren in diesem Falle auch, dass das viele Geld den Spirit zerstöre. Aber Menschen aus verschiedenen Bereichen für eine spaßige und trotzdem produktive Zeit zusammenzubringen, um Probleme zu lösen"– warum sollte man damit aufhören?

Kasten VitaUwe Kylau studierte am Hasso Plattner Institut in Potsdam im Masterstudien-gang Software-Entwicklung. 2007 zog er nach Brisbane, Australien, wo er sei-ne Karriere in der Forschungsabteilung von SAP begann. 2012 kehrte er zum Hauptsitz von SAP nach Walldorf zu-rück, um für die SAP-Entwickler-Com-munity zu arbeiten. Heute beschäftigt

er sich vor allem mit der Entwickler-Kultur bei SAP. Er organi-sierte zahlreiche SAP InnoJam Hackathons und nahm als tech-nischer Experte bei einigen Nicht-SAP-Hackathons teil.

Weiterführende Links:• Hackathon-Management-Plattform: hackerleague.org

• Hackathon-Management-Plattform mit guter Liste der wich-tigsten Hackathons: hackathon.io

• Hackathon-Dienstleister/ -Organisatoren: angelhack.com

• Hackathon-Organisator, Fokus auf Start-up-Bildung: startup-

weekend.com

• Random Hacks of Kindness, möchte „die Welt verbessern mit praktischen Open-Soure-Lösungen“: rhok.org

• Berliner Start-up, das Hackathons speziell für Frauen organi-siert: geekettes.io

• Plattform, die Hacking-Herausforderungen listet, um gute Pro-grammierer für o#ene Stellen zu finden: hackerrank.com

• Plattform, die IT-, Design- und wissenschaftliche Herausforde-rungen crowd-sourced bzw. out-sourced: topcoder.com

• Die US-Regierung crowd-sourced Innovationen: challenge.gov

• Die Regierung von Singapur fördert Innovationen durch Ha-ckathons: upsingapore.com

• Bei diesem Beispiel aus der Weltraumforschung haben extrem viele Menschen mitgemacht: spaceappschallenge.org

• Große Hackathons sind hier zu finden: mhacks.org, pennapps.com, techcrunch.com/events, hackathon.launch.co

• Europas größter Studenten-Hackathon: studenthack.com

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Wenn es könnte, würde das Internet überquellen vor Websites und Diensten, die alle möglichen Bedürfnisse befriedigen wollen. Würde man jedoch die digitalen Leichen aussortieren, bliebe nur noch ein Bodensatz über. Auch im sozialen Sektor finden viele digitale Innovationen keine oder nur wenige Nutzer. Dennsdie meisten erfolgreichen Onlineservices haben eine starke, aber in der öf-fentlichen Wahrnehmung oft ausgeblendete O!ine-Komponente. Beispielsweise ist das beste Rezept für ein erfolgreiches Kickstarter-Projekt ein Artikel in der „New York Times“ oder einer anderen großen Zeitung. Und die Revolution in Tu-nesien erreichte erst eine kritische Masse, nachdem Al Jazeera die Nachrichten von regimekritischen Bloggern klassisch über die Fernseher in die Wohnzimmer von Tunis und Kasserine brachte.

Ein Mythos des Internetzeitalters besagt: Wenn ein neuer Onlineservice gut und cool ist, dann kommen die Menschen in Scharen und nutzen ihn. Einfach so. Ohne dass ein Marketing-Budget nötig ist? Schön wär’s. Selbst wenn einige Websites oder Apps allein wegen ihrer neuen Ideen und Konzepte Aufmerksamkeit erregen, bedarf es kontinuierlicher Anstrengun-gen, um die Menschen bei der Stange zu halten. Eine Folge des Irrglaubens an geniale, von selbst wachsende Internetin-novationen ist es, dass viele Gründer die harte Arbeit unterschätzen, die notwendig ist, um Nutzer zu aktivieren. Zugleich ver-nachlässigen sie das wahre, das analoge Leben, in dem ihr Service funktionieren soll. Dieses Leben ist o!ine.

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Jenseits der Polarität zwischen Cyberutopisten und Technoskeptikern nähern wir uns einem nuancierteren Verständnis der Möglichkeiten von Online- und O!inekanälen. Deshalb ist einer der wichtigsten Trends im digital-sozialen Um-feld, „das Analoge“ oder o!ine, wie wir es nennen.

O!ine sein, um die Menschen online zu erreichen

!ine spielt schon deshalb eine wichtig Rolle, weil reine Online-Produkte und -Projekte Bevölkerungsgruppen ausschließen, die keinen Internetzugang haben bzw. nicht internetkompetent sind. Wenn Regierungen oder zivilgesellschaftliche Organisationen Informationen online präsentieren, erschließen sich diese An-

gebote verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich. Interneta$ne Nutzer finden sich besser zurecht, während Internetferne zunehmend abgehängt werden. Um dem Anspruch, o#en und inklusiv zu sein, gerecht zu werden, müs-sen politische und soziale Initiativen folglich auch o!ine aktiv sein. Dabei geht es nur vordergründig um Zugang zur technischen Infrastruktur. Mindestens ebenso wichtig ist es, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen, darunter arme und alte Menschen, lernen, wie und wozu sie das Internet nutzen können. Dass zum Beispiel staatliche Angebote für e-Partizipation"nicht so leicht zugänglich sind wie gedacht, belegt "die Studie von Miller und Horst zur Internetnutzung in Ghana, die ergab, dass für Slumbewohner das Internet nur aus Chat und ei-ner Handvoll von Websites besteht, während andere Angebote unbekannt waren.

Aus diesem Grund sind Initiativen wie Digital by Default der britischen Regierung oder Outreach-Projekte wie e-democracy so wichtig. Sie verbinden die"Zielgrup-pe mit der Software:"Die Mitarbeiter von e-democracy klopfen an den Haustü-ren amerikanischer US-Städte, um möglichst viele Bewohner eines Stadtviertels in lokale Mailinglisten aufzunehmen und ihnen zu zeigen, wie sie mithilfe von Internet-Nachbarschaftsforen ihr Viertel verbessern können."Leider gibt es in Deutschland bislang keine vergleichbaren überregionalen Bemühungen. Einer Ini-tiative wie D21 geht es hauptsächlich um infrastrukturelle Themen wie Breitband-Zugang, nicht um das gesellschaftliche Problem der digitalen Alphabetisierung.

O!ine lassen sich Bedürfnisse und Gewohnheiten der Ziel-gruppe besser erforschen

ür Internetdienstleistungen ist es essenziell, dass sie die genauen Lebensgewohnheiten, Verhaltensweisen und Bedürfnisse ihrer Zielgruppen kennen. Nicht nur zu viele Entwicklungshilfepro-jekte, sondern auch Engagementplattformen, Anti-Korruptions-Apps und NGO-Websites werden in Londoner, Brüsseler oder

Berliner Büros von gutwilligen Menschen konzipiert, die kein tieferes Verständ-nis für den lokalen Kontext und die realen Bedürfnisse der anvisierten Nutzer

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Viele Online-Plattformen sind erfolgreich, weil die Macher ihre Kontakte in Offline-Netzwerken pflegen.

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haben. Diese erschließen sich oft erst durch O!ine-Recherchen in Form von teil-nehmender Beobachtung und Interviews. Als die britische Firma Participle das Programm The Life plante, welches sich an chronisch problembehaftete Familien und deren Sozialarbeiter richtet, folgte sie einer Reihe von Familien durch ihren Lebensalltag. Dabei stellte sich heraus, dass Familien mit multiplen Problemen (Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, Schulversagen etc.) im Durchschnitt mit 23 verschiedenen Regierungsbehörden zu tun haben. Auf diese Erkenntnis aufbau-end, konzentriert sich das neue Betreuungsprogramm darauf, diese Kommuni-kationsvielfalt zu reduzieren.

Strippen ziehen mit echten Menschen

er Erfolg vieler Online-Plattformen hängt damit zusammen, dass die Macher es verstehen, gute Kontakte zu O!ine-Netzwerken zu unterhalten und diese als Multiplikatoren und Treiber für ihre Arbeit einzusetzen. Artas Bartas, Gründer der Anti-Korrup-tions-Plattform Bribespot, empfiehlt Plattformbetreibern: „Stop

marketing to end-users and instead focus on actors who are most influential in driving the adoption of your social solution.“ Multiplikatoren können Journa-listen, Community-Aktivisten, NGOs, politische Eliten oder Unternehmen sein, die aus eigenem Anreiz mitwirken, da ihnen die Online-Dienstleistung hilft, die eigenen Ziele zu erreichen.Ein Projekt aus dem betterplace-Umfeld illustriert das: Um Jugendliche für soziales Engagement zu mobilisieren, baute Telefonica zwar die Online-Plattform Think Big, auf der sich Jugendliche sehr einfach für 400 Euro Förderung bewerben können. Aber der eigentliche Treiber des Programms, das mittlerweile 1.800 Projekte geför-dert und 37.000"Jugendliche erreicht hat, ist die Kooperation mit einem Netzwerk deutscher Jugendorganisationen. Dieses O!ine-Netzwerk hat zumindest ein finan-zielles Interesse am Erfolg von Think Big, da die einzelnen Organisationen für das Coaching der Jugendprojekte jeweils 600 Euro erhalten."Ohne diese Kontakte, die zum großen Teil auf persönlichen Beziehungen, Besuchen und Telefonaten basie-ren, hätte die Online-Plattform keine große Reichweite erfahren.Bei betterplace.org selbst gingen wir bei der Gründung naiv davon aus, dass zahl-reiche deutsche Spender unsere Seite mit den vielen Grassrootsprojekten und der transparenten Berichterstattung einfach zu schätzen wüssten und allein des-halb über betterplace soziale Projekte fördern würden. Doch schnell merkten wir, dass die Plattform viel schneller wächst, wenn wir starke Multiplikatoren wie Payback"– in Form der Payback Spendenwelt"– oder Vodafone"– in Form von betterplace mobile"– einbinden. Auch sind alle wichtigen Kontakte zu better-place-Unterstützern und Partnerunternehmen o!ine zustande gekommen, also über persönliche Tre#en.

Bauchgefühl und Energie

!ine-Veranstaltungen, bei denen Menschen miteinander in per-sönlichen Kontakt kommen, sind ebenfalls gut geeignet, um vir-tuellen Dienstleistungen oder Produkten ein Gesicht zu geben. Digitale Tools erscheinen oft zu technisch, als dass sie in der Lage wären, Vertrauen zu etablieren. Persönliche Kontakte da-

gegen erzeugen bei uns positive oder negative Bauchgefühle und machen es ein-facher herauszufinden, ob wir ein Produkt sympathisch, relevant oder spannend

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finden. Bei Veranstaltungen, auf denen Menschen mit einer ähnlichen Zielsetzung und Wertvorstellung zusammenkommen, kann eine hohe Energie entstehen, die wiederum eine gute Grundlage für Kooperationen und kreativen Austausch ist. Das Sozialunternehmernetzwerk Ashoka machte beispielsweise die Erfahrung, dass O!ine-Tre#en zwischen Ashoka Fellows ganz eigene Synergien erzeugen. Viele soziale Aktivisten brennen für ihr eigenes Thema und sind sehr von ihrem Alltag absorbiert. Meist fehlt die Zeit, um den Austausch mit anderen selbst zu initiieren. Um gegenseitiges Lernen zu fördern und Kollaborationen anzustoßen, organisiert Ashoka deshalb diesen Austausch, indem die Stiftung ihre Fellows zu entsprechenden Tre#en zusammenruft. Ashoka bezeichnet die Tre#en begeistert als „Feuerwerke“.Auch hier können wir auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Zu Beginn verstan-den wir uns bei betterplace als eine rein virtuelle Plattform. Dann bemerkten wir das Bedürfnis der Zielgruppen, also Unterstützer der Plattform, Spender und NGOs, uns persönlich kennenzulernen: Wer steckt hinter dieser Plattform? Können wir denen trauen? Was ist deren Motivation? Solche Fragen konnten wir online nur unbefriedigend beantworten. Seitdem haben wir begonnen, selbst Veranstaltungen zu besuchen und betterplace vorzustellen. Wir laden auch regel-mäßig Projektmacher zu uns ins Büro ein, veranstalten die jährliche Konferenz labtogether und teilen unser Wissen in Workshops. Diese persönlichen Kontakte führen dazu, dass Gleichgesinnte sich kennenlernen, die sich sonst nicht begegnet wären, da die traditionelle Online-Architektur von Diskussionsforen und Blogs dafür nicht geeignet ist.

Reputation zum Anfassen

nline-Angebote werden oft auch in analoger Form angeboten. So" sind die PDF-Plakate zum Ausdrucken, die wir bei betterplace für Projektverantwortliche anbieten, beliebte Werbeträger, die dann an Bäumen und Ladentheken hängen. Interessierte rei-ßen sich den Streifen mit dem Link zum Projekt ab, um sich zu

Hause online Details genauer anzusehen. Auch der betterplace lab Trendreport startete als reine Online-Plattform. Doch die jährlich erscheinende Druckversi-on hat sich als besonders erfolgreiches Produkt erwiesen. Menschen mögen die haptische Erfahrung, ein schönes Buch in den Händen zu halten. Und auf den Schreibtisch einer Entscheiderin gelangt man mit dem Hingucker viel eher als mit einem Link in einer E-Mail. Mit dem schicken Buch gelingt es uns, ganz an-dere Netzwerke zu erschließen und an wichtigen Stellen Reputation aufzubauen.O!ine ist also eine gute Ergänzung zu Online. So geben immer mehr NGOs ihren erfolgreichen Online-Aktionen auch ein O!ine-Gesicht. Etwa als die englische Fairtrade-Organisation beim March of the Mini Army Papierfiguren von jenen 8.000 Menschen aufmarschieren ließ, die eine entsprechende Online-Petition

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Auf den Schreibtisch der Entscheider gelangt man mit einem Hingucker zum Anfassen viel eher als mit einem Link in einer E-Mail.

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unterzeichnet hatten. In die entgegengesetzte Richtung funktionierte die Oxfam-Aktion Remember Me: Auf Secondhand-Kleidung kann man QR-Codes scannen, die mit der Geschichte des Vorbesitzers verlinkt sind.

Chancen • O!ine lassen sich wichtige Beziehungen verbindlicher knüp-fen.

• Auf Veranstaltungen kann man seiner Online-Seite ein Ge-sicht geben.

• O!ine erreicht man auch Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Internet haben.

• Im persönlichen Gespräch lassen sich die Bedürfnisse der Ziel-gruppen qualitativ hochwertiger erforschen.

Risiken • O!ine-Aktivitäten sind relativ ressourcenintensiv (Zeit, Geld, Wissen) und wenig skalierbar.

Fazit Vor lauter Online-Euphorie, darf nicht vergessen werden, dass „das wahre Leben“ o!ine ist. Online-Kommunikation bleibt stets unverbindlich und distanziert, gerade wenn es darum geht, Men-schen dazu zu bewegen, sich zu engagieren oder zu spenden. On-line-Netzwerke und soziale Medien sind zwar heute unverzicht-bar, um Botschaften zu verbreiten. Doch zusätzlich zu diesem quantitativen Aspekt der Vernetzung (z. B. 7.500 Facebook-Fans) müssen Organisationen o!ine für eine qualitative Komponente sorgen. Veranstaltungen, persönliche Gespräche oder haptische Erlebnisse (Broschüren etc.) sind zwar weniger gut skalierbar, bleiben den Menschen aber besser im Gedächtnis, weil sie direk-ter erlebt werden und entsprechend verbindlichere Emotionen verursachen.

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8.000 Menschen haben in Großbritannien online eine Petition unterzeichnet, um faire Preise für kleine Landwirte zu fordern. Doch was bedeuten 8.000 Klicks? Wie groß ist eine Menge von 8.000

Menschen? Die Fairtrade Foundation visualisierte diese Zahl eindrücklich, indem sie 8.000 Pappfiguren bastelte und diese „Mini-Armee“ aufmarschieren ließ"– vor den Houses of Parlia-ment. Das Beste: Auf den Pappfiguren waren die Gesichter der-jenigen Leute, die die Online-Petition unterzeichnet hatten. Die Unterzeichner hatten zuvor ein Foto von sich hochgeladen und gaben ihren Klicks über die Pappfiguren ein Gesicht. Die Presse war begeistert! March of the Mini Army ist ein gutes Beispiel dafür, wie man aus dem Online-Silodenken ausbrechen kann, um einer Kampagne o!ine neue Lebendigkeit, Authentizität und Qualität zu verleihen.

March ofthe Mini Army www.fairtradeblog.tumblr.com/post/44536365765/the-march-of-the-mini-army

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Die Behörden im Londoner Bezirk Southwark wollten für eine höhere Lebensqualität der älteren Einwoh-ner sorgen, wussten aber nicht wie. Wer nicht fragt, bleibt dumm, und so erfuhren die Beamten durch

persönliche Interviews von den Bedürfnissen, Ängsten und Wün-schen der Senioren. Den meisten waren soziale Kontakte, geistige Fitness und Hilfe bei Alltagsherausforderungen wichtig. Davon ausgehend wurde 2009 das O!ine-Netzwerk „The Circle“ gegrün-det. Jeder Einwohner, der über 50 Jahre alt ist, kann bei seinem Circle für einen Jahresbeitrag von etwa 40 Euro Mitglied werden. Als neues"Mitglied teilt man dem Circle mit, welche Unterstützung man braucht und auch, welche Hilfe man geben kann"– zum Bei-spiel gemeinsam zum Einkaufen fahren oder den Garten umgraben. Jeder Helfer kann entscheiden, ob er seine Arbeitskraft umsonst oder bezahlt anbieten möchte. Eine Online-Plattform hilft dabei, Angebot und Nachfrage zu managen.

The Circlewww.circlecentral.com

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Schon mal eine Kreditkarte in ein Werbeplakat gesteckt? Die PlaCards von Misereor fordern ihre Betrachter genau dazu auf. Die großen Bildschir-me mit integriertem Kreditkartenlesegerät locken

auf Bahnhöfen und Flughäfen mit den Slogans „feed them“ und „free them“. Zieht man seine Kreditkarte durch, spielt der Bild-schirm eine Filmsequenz ab, bei der die Karte wie ein Messer Brot schneidet oder die Fesseln eines Gefangenen durchtrennt. Der Spendenbetrag ist auf zwei Euro festgelegt. Auch interes-sant: Nach der Spende kann Misereor den Kontakt zum Spender halten. Die Organisation nutzt die Kreditkartenabrechnung, um sich zu bedanken und per Link den Spender für ein langfristi-ges Engagement zu gewinnen.

PlaCardmisereor.de/projekte/mut-zu-taten.html

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Giving Days

Giving Days sind kompakte und kollaborative Online-Fundraising-Veranstaltun-gen, bei denen hohe Summen für NGOs gesammelt werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Webbewerben, die NGOs, Stiftungen oder Unternehmen starten, tun sich bei Giving Days meist mehrere Akteure zusammen. Zudem zeichnen sie sich durch ihr zeitlich stark komprimiertes, oft auf 24 Stunden beschränk-tes Format aus.Viele Giving Days werden von regionalen Institutionen ins Leben gerufen, um den Zusammenhalt der örtlichen NGOs zu stärken. So arbeiten beim Give to the Max Day:Greater Washington, beim Give BIG und beim Giving Tuesday Unter-nehmen, Stiftungen und die UN zusammen, um ihre Kräfte für den einen großen Fundraising-Schlag zu sammeln.

2009 kamen beim Online- Fundraising-Wettbewerb „Give to the Max“ in Minnesota innerhalb von 24 Stunden 14 Millionen US-Dollar für über 3.000 lokale NGOs zusammen. Seitdem verzeichnet die USA einen regelrechten Boom sogenannter Giving Days, die in einzelnen Städten, Bundesstaaten oder"– wie der Giving Tues-day"– im ganzen Land zelebriert werden. Immer mehr gemeinnützige Organisati-onen nutzen diese neuen, konzertierten Fundraising-Aktionen.

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Mit einem großen Ruck die Spendenlawine lostreten

ie Ziele der Initiatoren sind divers: Vordergründig geht es dar-um, neue Spenden für NGOs zu generieren. Zugleich scha#en Giving Days aber auch einen sozialen Zusammenhalt, indem sie ein Bewusstsein für regionale Herausforderungen wecken, das Potenzial lokaler Solidarität nutzen und so die regionale Identität

stärken. Giving Days bündeln die sonst oft fragmentierten Aktivitäten einzelner gemeinnütziger Organisationen auf einer neuen regionalen Ebene und versuchen, Netzwerksynergien zu erzeugen. Da sie nicht auf einzelne wohlhabende Philan-thropen abzielen, sondern möglichst viele „kleine“ Spender aktivieren wollen, tragen sie auch zur Demokratisierung des sozialen Engagements bei.Außerdem machen Giving Days die Arbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen sicht-bar und ermöglichen ihnen, ihre Beziehungen zu Spendern und Unterstützern zu intensivieren.Giving Days verstehen sich als Werkzeuge, um die Online-Fundraising- und Kom-munikations-Fähigkeiten von NGOs zu stärken. Eine zentrale Online-Fundraising-Plattform bildet das technologische Rückgrat aller Aktivitäten und macht NGOs und Spender mit neuen digitalen Möglichkeiten des sozialen Engagements vertraut.

NGOs profitieren von der Reichweite der Medien und den Sponsorengeldern der Unternehmenspartner

ie Organisatoren eines Giving Days kommen üblicherweise sechs bis acht" Monate vor dem großen Tag zusammen und schmie-den eine Allianz mit weiteren Partnern. Dazu zählen besonders Sponsoren für Preisgelder sowie Medien und Werbeagenturen, die beim Marketing helfen. Da Giving Days innerhalb weniger

Jahre in den USA so beliebt geworden sind, gibt es mittlerweile eine Reihe von Leitfäden, die bei der Organisation eines Spendentags helfen. So stellt das Gi-ving Day Playbook der Knight Foundation Materialien von Muster-E-Mails und Facebook-Seiten bis hin zu Kalenderplanern zur Verfügung.Die Aufgabe der Giving-Day-Initiatoren ist es, eine komplette Infrastruktur für den Tag zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören neben der Online-Fundraising-Plattform auch Marketing-Dienstleistungen. Partner stellen Werbeflächen z.B. in Form von großflächiger Plakatierung von Bussen, Radiodurchsagen oder TV-Spots zur Verfügung. Print- und Online-Medien schalten Anzeigen und berichten in den Wochen vor dem Spendentag über die Arbeit der teilnehmenden NGOs. Das gebündelte und in der Region sichtbare Marketing bedeutet, dass die spen-densammelnden NGOs sich nur noch um die möglichst e#ektive Ansprache und Aktivierung ihrer Netzwerke kümmern müssen. Da viele NGOs bislang noch wenig Erfahrung im Bereich Online-Fundraising und Social Media haben, bemühen sich die Organisatoren, im Vorfeld entsprechende Kapazitäten aufzubauen. Sie stellen Leitfäden oder Webinare bereit bzw. bieten O!ine-Workshops mit Experten an.

Wer am besten Spenden sammelt, wird mit Prämien belohnt

m möglichst viele Spender zu aktivieren, haben sich Gamifizie-rungsstrategien als nützlich erwiesen. Giving Days rufen Preise in verschiedenen Kategorien aus. Dabei belohnen die meisten nicht die Höhe der eingesammelten Spenden, sondern versuchen,

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möglichst viele Menschen zum Engagement zu motivieren. Preise oder Matching-gelder werden dementsprechend für die NGO mit den meisten Einzelspendern ausgerufen. Peer2Peer-Fundraising wird belohnt, indem die NGO, deren Spen-der selbst am meisten weitere Spender aktivieren kann, gewinnt. Andere Kate-gorien zeichnen die Organisation mit den meisten neuen Twitterfollowern aus oder etablieren einstündige Fundraising-Wettbewerbe am Vor- oder Nachmittag des Giving Days.Alle Aktivitäten werden transparent über Spendenplattformen wie Razoo abge-wickelt. Organisationen und Spender können auf Leaderboards sehen, wo sie im Wettbewerb gerade stehen und wie viele Spenden schon zusammengekommen sind. Auf diese Weise können sie strategisch ihre Netzwerke aktivieren.

Giving Days erreichen dank der Massenmedien sehr viele Menschen

iving Days haben sich zu einer regelrechten Bewegung entwickelt, da sie es scha#en, viele Spenden für NGOs zu generieren. Wäh-rend des Give To the Max Day Minnesota 2013 konnten über 17 Millionen US-Dollar Spenden von über 52.000 Spendern für fast 4.500 NGOs eingesammelt werden. The Big Give in Ohio brachte

den 569 teilnehmenden Organisationen über 10 Millionen US-Dollar Spenden, während bei dem North Texas Giving Day 2013 über 25 Millionen US-Dollar von 75.000 Spendern für rund 1.300 lokale NGOs"zusammenkamen. Die Tendenz ist steigend: Pittsburgh Gives brachte im ersten Jahr (2009) rund 1,5 Millionen US-Dollar, 2013 waren es schon über sieben Millionen.Giving Days erzeugen außerdem meist eine grosse Medienresonnanz: So wurde 2011 in mehr als 60 Artikeln über den Give To the Max: GreaterWashington berichtetet. Der Hashtag dominierte auf twitter und sorgte für hohe Aktivitäten auf den betref-fenden facebook-Seiten der Partner und sozialen Organisationen. Über diese Kanäle, sowie per Mund zu Mundpropaganda konnten viele Spender angesprochen werden.

Promis wie Bill Gates sorgen für noch mehr Wumms

ie Evaluationen belegen, dass die überwältigende Anzahl der teilnehmenden NGOs Giving Days als Erfolg bewerten. Die Spen-denergebnisse gehörten oft zu den höchsten, die die NGOs je ver-zeichnet hatten. Arbeitsaufwand und Ergebnis standen in einem guten Verhältnis zueinander: Die meisten Teilnehmer gaben an,

unter 30 Stunden Zeit investiert zu haben. Dies war nur möglich, weil die ge-samte Marketingleistung für den Giving Day zentral bei den Organisatoren lag. Viele konnten neue Spender erreichen und gaben an, auch in Zukunft vermehrt im Bereich Online-Fundraising aktiv werden zu wollen.Während die oben genannten Beispiele regionale Veranstaltungen beschreiben, ist der Giving Tuesday seit 2012 eine landesweite Kampagne in den USA. Nach Thanksgiving und vor dem Beginn der Weihnachtssaison lenkt sie die Aufmerk-samkeit der Konsumenten auf die eigentliche Bedeutung der Feiertage und ani-miert sie im Namen der Nächstenliebe, an soziale Einrichtungen zu spenden. Der erste Giving Tuesday wurde auch dank der Tweets von Bill Gates, Penélope Cruz und Susan Sarandon zu einem großen Erfolg: 2.500 NGOs nahmen teil und erhielten über zehn Millionen US-Dollar Online-Spenden. 2013 steigerte sich das Spendenvolumen des Giving Tuesdays um 90 Prozent auf über 19 Millionen

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US-Dollar. Die Höhe der einzelnen Spenden betrug im Durchschnitt 142 US-Dollar (102 im Jahr davor, Details bei philanthropy.com).

Giving Days lohnen sich besonders für kleine und mittlere NGOs

iving Days sind besonders für kleine und mittelgroße NGOs geeignet. Große Organisationen taten sich bei der Teilnahme dagegen schwerer. Das lag zum Teil daran, dass ihre internen Kommunikationsstrukturen für relativ kurzfristige und spon-tane Wettbewerbe zu behäbig sind. Zugleich erschien der Ar-

beitsaufwand in Relation zu den zu erwarteten Gewinnen relativ groß und viele Fundraiser gaben an, sie würden stattdessen lieber in etablierte Formate wie die Fundraising-Dinner zum Jahresende investieren.Während Social-Media-Experten wie Beth Kanter schon von einer Giving-Day-Bewegung in den USA sprechen, ist das Format außerhalb der Vereinigten Staa-ten bis auf wenige Experimente noch nicht verbreitet. Zwar gibt es auch hier kompakte, auf 24 Stunden begrenzte Fundraiser wie die Telethons oder den deutschen RTL Spendenmarathon. Doch diese laufen im Fernsehen und haben keine Online-Fundraising-Komponente.

Chancen • Giving Days sind eine für NGOs e$ziente Art, Spenden zu sam-meln, da die Marketingaktivitäten von Partnern gestemmt werden.

• Lokale NGOs können ihre Bekanntheit steigern und ein Be-wusstsein für die gemeinsamen Herausforderungen und Leis-tungen einer Region scha#en.

• Giving Days sind eine gute Gelegenheit, die Kompetenzen der teilnehmenden NGOs im Bereich Online-Fundraising und On-line-Kommunikation zu stärken.

• Die Arbeit der Giving Days verteilt sich auf viele Schultern und Partner können sich jeweils mit ihren Kompetenzen einbringen.

Risiken • Bislang ist ungewiss, ob das Format auch außerhalb der USA funktioniert.

• Es müssen etwaige Transaktionskosten, die beim Online-Fund-raising anfallen, o#engelegt werden (Razoo nimmt von jeder Spende 2,7 Prozent Gebühr).

• Wenn das Marketing nicht genug Menschen in der Ö#entlich-keit erreicht, droht ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis.

• Die Erfolge von Giving Days sagen nichts darüber aus, ob Men-schen insgesamt mehr spenden.

Fazit Giving Days konzentrieren soziales Engagement in Form von Spenden auf ein Großereignis. Mit viel Tamtam und PR fiebern NGOs, Unternehmen und Medien dem großen Tag entgegen, um neue Spendenrekorde aufzustellen. Die mediale Wucht kann nicht nur auf regionaler Ebene kleinen NGOs helfen, mehr Auf-merksamkeit zu bekommen. Giving Days emanzipieren das Spen-denwesen auch von der Weihnachtszeit. In Deutschland würde ein Giving Day für frischen Wind sorgen. Langfristig muss aber noch untersucht werden, ob Giving Days insgesamt zu einer ak-tiveren und engagierteren Zivilgesellschaft führen.

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Wenn Städte Helden sein könnten, wäre Minne-sota ein Giving-Day-Superheld: Schon am ersten Giving Day 2010 haben die Menschen dort 14 Mil-lionen US-Dollar gespendet, 2012 waren es bereits

16 Millionen. Der letzte Giving Day vom 14. November 2013"– in Minnesota läuft er unter dem Titel „Give to the Max“"– brach-te mehr als 17 Millionen US-Dollar Spenden ein. Über 50.000 Menschen haben für 4.500 NGOs gespendet. Aber nicht nur wer das meiste Geld sammelt, wird bei Give to the Max geehrt: Auch besonders kreative Kampagnen bekommen Preise. Alle Spenden wurden über die Plattform GiveMN, die auf der Inf-rastruktur von Razoo aufbaut, abgewickelt.

Give to the Maxgivemn.razoo.com

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Der Dienstag nach Thanksgiving ist jetzt weltweit der #GivingTuesday. Das Hashtag ist Teil des Namens und zeigt, dass es sich hier vor allem um eine Social-Media-Kampagne handelt, die Geben

und Gutes-Tun via Twitter, Facebook usw. thematisieren und verbreiten will. Die Kampagne hat aber auch wichtige O#-line-Komponenten. Die teilnehmenden NGOs sind aufgefor-dert, sich etwas ganz Besonderes für den #GivingTuesday aus-zudenken. Zum Beispiel eine persönliche Belohnung für die Spender, einen Tag der o#enen Tür oder ein Event, an dem sich jeder ehrenamtlich einbringen kann. Am ersten #Giving-Tuesday Ende 2012 wurden 10 Millionen US-Dollar gespendet (abgewickelt über die Online-Plattform Blackbaud), 2013 war es schon doppelt so viel. Am 2. Dezember ist der #GivingTu-esday des Jahres 2014.

Giving Tuesdaycommunity.givingtuesday.org

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Die Online-Plattform Razoo spielt eine wichtige Rolle bei den Giving Days in den USA. Sie ist die Spendenzentrale für alle Teilnehmer des Events, leicht zu bedienen und Giving-Days-erprobt. Auch

einem Ansturm von Tausenden Spendern hält sie stand und zeigt in Echtzeit den Spendenstand an. Auch an Tagen, die kei-ne Giving Days sind, können Nutzer die Plattform verwenden. Zum Beispiel indem sie eine eigene Spendenseite auf Razoo anlegen, über die sie für „ihre“ ausgewählte Organisation als Fundraiser Geld sammeln. Besonders erfolgreiche Fundraiser werden in einem Ranking gelistet und bekommen so Anerken-nung und Lob für ihr Engagement. 230 Millionen US-Dollar wurden auf diesem Weg schon gesammelt. Razoo finanziert sich über eine Bearbeitungsgebühr von fünf Prozent für NGOs und acht Prozent für private Fundraiser.

Razoorazoo.com

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Crowdfunding

Crowdfunding ist eine Spezialform des Online-Fundraisings. Online-Fundraising betreiben meist etablierte oder längerfristig angelegte soziale Initiativen auf ihrer Website oder einer Spendenplattform wie Global Giving oder betterplace.org."Der Begri# Crowdfunding hingegen wird meist dann verwendet, wenn die Geld suchen-den Projekte ihren Unterstützern bestimmte konkrete Gegenleistungen in Aussicht stellen. Das geht beim Spendensammeln nicht: In Deutschland dürfen Organi-sationen über die Ausstellung von Spendenquittungen hinaus keine materiellen Gegenleistungen anbieten, da die Spenden sonst nicht mehr steuerabzugsfähig wären. (Verwirrend: Manche Crowdfunding-Plattformen stellen für gemeinnützige Projekte auch Spendenquittungen aus.)

Crowdfunding ist ein wichtiger Trend zur Finanzierung von Projekten und Innova-tionen geworden. Immer mehr Menschen versuchen die Crowd von ihren Ideen zu überzeugen, das nötige Startkapital sammeln sie immer öfter online bei Privatpersonen. Plattformen wie Kickstar-ter, Indiegogo oder Startnext haben sich mit ihren Geschäftsmodellen etabliert und konkurrieren auf einem mehrere Milliar-den Euro schweren Crowdfunding-Markt.

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Crowdfunding-Aktionen sind im Vergleich zum Online-Fundraising zeitlich und thematisch meist stärker fokussiert: Es geht darum, ein in sich abgeschlosse-nes Projekt oder Produkt in einem bestimmten Zeitraum zu finanzieren. Viele Kunst- und Kulturprojekte haben sich in den letzten Jahren auf diese Art finan-zieren können; bei Kickstarter sind Tanz-Projekte die erfolgreichste Kategorie. Die größten Summen kommen meist für die Entwicklung innovativer Produkte zusammen. Aber auch Projekte mit sozialer Zielsetzung sind auf Crowdfunding-Plattformen vertreten.

Schon die Freiheitsstatue wurde über Crowdfunding finanziert

ft erscheint die Unterscheidung zwischen Spenden- und Crowd-funding-Plattformen willkürlich. Crowdfunding ist als Begri# momentan en vogue und so nutzen ihn viele Spendenplattfor-men (die also keine Gegenleistungen anbieten) für ihre Vermark-tung"– etwa die gerade in Deutschland gestartete Plattform So-

cial Impact Finance, auf der eine Handvoll ausgewählter Sozialunternehmer Spenden sammeln. Eine weitere Spielart des Crowdfunding ist das Crowdinves-ting: Interessenten erwerben online Unternehmensbeteiligungen an Start-ups, die noch in der Startfinanzierungsphase sind. In den USA scha#te Präsident Obamas JOBS Act eine gute rechtliche Basis für diese niedrigschwellige Finan-zierungsform von Start-ups.Ein historischer Vorläufer des Crowdfundings ist das Subskriptionsmodell, mit dem im 17. und 18. Jahrhundert Bücher vorfinanziert wurden. Schon damals erhielt der Sponsor eine Gegenleistung, indem sein Name auf dem Titelbogen genannt wurde. 1885 wurde dann die Freiheitsstatue in New York ebenfalls mithilfe von Schwarmfinanzierung, so der deutsche Name, errichtet.Als eine der ersten Crowdfunding-Plattformen im Internet ermöglicht Sellaband Musikern und Bands seit 2006, ihre Aufnahmen, Konzerte und Promotion vorzufi-nanzieren. 2008 wurde Indiegogo gegründet, Kickstarter folgte kurz darauf. Mitt-lerweile gibt es auf allen Kontinenten Crowdfunding-Plattformen: in Frankreich ulule und kisskissbankbank, in Großbritannien sponsume, in Spanien Lanzanos und Verkami, in Deutschland Startnext, in Ghana Slicebiz etc.

Knapp 40 Prozent des Crowdfunding-Geldes fließen in soziale Projekte

n den letzten Jahren erhielten eine Reihe von spektakulären Crowdfunding-Aktionen große Medienaufmerksamkeit. So sprengten auf Kickstarter gleich mehrere Projekte ihre selbst gesetzten Finanzierungsbedarfe und schossen über die Millio-nengrenze. Bei den meisten handelte es sich um Vorfinanzierun-

gen von Produkten wie dem Pebble oder Form 1. In Deutschland gelang es einer Filmfirma, für den geplanten Film zur TV-Serie „Stromberg“ innerhalb von einer Woche eine Million Euro einzusammeln.Die Szene ist sehr dynamisch und stark wachsend. Einer Studie zufolge hatte der weltweite Crowdfunding-Markt 2012 ein Volumen von 2,7 Milliarden US-Dollar. Davon sollen mehr als eine Milliarde (38 %) sozialen Projekte zugute-gekommen sein. Die meisten Crowdfunding-Initiativen gibt es in Nordamerika. Der Markt in Europa wächst, und in Südamerika, Afrika und Asien entstehen erste Plattformen.

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Zugleich entsteht rund ums Crowdfunding eine neue Szene. Philanthropie-Exper-tin Lucy Bernholz vermutet, dass es im Zuge der Professionalisierung mittlerweile Hunderte, wenn nicht Tausende Beratungsfirmen gibt, die Start-ups und Pro-jektmachern beim Crowdfunding helfen. Die Plattformen selbst finanzieren sich über Gebühren. So zahlen Projektmacher neben den Transaktionsgebühren (2 bis 5 % der Spendensumme) weitere 4 bis 9 % Nutzungsgebühren an die Betreiber.

Vorteile des Crowdfundings

islang war es für einzelne Künstler, Erfinder oder Sozialunter-nehmer schwierig, sich Gehör zu verscha#en, geschweige denn Geld zu sammeln. Denn die wenigsten haben Zugang zu Finan-zierungsformen wie Bankenkrediten, ö#entliche Förderprogram-men oder die Finanzierung durch sogenannte Venture Capital

oder Business Angels. Doch übers Crowdfunding können sich Menschen und Initiativen mit guten Ideen einer weltweiten Ö#entlichkeit präsentieren und sie für ihre Belange begeistern.

Weitere Vorteile:1. Crowdfunding ermöglicht es Projektmachern, auf unkompli-

zierte Weise Startkapital zu sammeln. Kitepatch beispielsweise ist ein kleines, chemikaliengetränktes Pflaster für die Haut, das Moskitos verscheucht. Nachdem die Prototypen an der University of California Riverside entwickelt worden waren, kamen die für den Feldversuch in Uganda notwendigen Mittel per Crowdfunding zusammen.

2. Durch Crowdfunding können Sozialunternehmer ihre Arbeit skalieren. Für viele Innovatoren ist es schwierig, ausreichend finanzielle Mittel aufzutreiben, um ein erfolgreiches Pilotpro-jekt zur Marktreife bringen zu können. Hier können Crowd-funding-Kampagnen helfen. So gelang es der Macherin von LivelyHoods, einem Programm welches jungen Kenianern bei der Jobsuche hilft, einen zweiten Standort zu finanzieren.

3. Crowdfunding-Projekte können über klassische Medien große Reichweite bekommen und so das Bewusstsein für wichtige so-ziale Themen verbreiten. So konnte Simon Gri$ths, Gründer des Unternehmens Who Gives A Crap, eine große Ö#entlich-keit dafür sensibilisieren, dass 2,4 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Toiletten haben. Seine Idee war es, Klopapier zu verkaufen und 50 Prozent des Erlöses in Sanitärprojekte zu investieren. Die 50.000 US-Dollar Startkapital sammelte er auf einem Klo hockend. Er übertrug das Live-Video von sich so lange, bis das Spendenziel erreicht war.

4. Über Crowdfunding können institutionelle Förderer ermes-sen, ob ein Projekt Marktpotenzial hat. Eine große Zahl von Unterstützern deutet auf eine gewisse Nachfrage hin, die Pro-jektmacher nutzen können, um sich damit bei größeren Geld-gebern zu bewerben.

Die Tatsache, dass Crowdfunding eine Art Reality Check für neue Ideen ist, hat eine Reihe von Stiftungen dazu bewegt, in diesem Bereich aktiv zu werden. Die Knight Foundation hat eine eigene Seite aufgebaut, über die Förderprojekte Geld sammeln können. Je nachdem, wie viele Unterstützer die Projekte vorweisen

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können, gibt die Stiftung eigene Fördergelder dazu. Ebenso startete die Skoll Foundation auf der Plattform Crowdrise eine Crowdfunding Challenge für 57 Sozialunternehmer, bei der jede externe Spende verdoppelt wurde. Insgesamt kamen über 3,4 Millionen US-Dollar zusammen.

Ohne gute Geschichte kein gutes Crowdfunding

ie das oben genannte Beispiel von Who Gives A Crap zeigt, zeich-nen sich erfolgreiche soziale Crowdfunding-Aktionen durch ihre besonderen Geschichten aus, die man gerne im Freundeskreis weitererzählt. Auch Maria Springer versah ihre LivelyHoods-Kampagne mit einem besonderen Twist. Sie startete mit 25 Pflas-

tern im Gesicht, von denen sie für jede 1.000-Dollar-Spende eines entfernte. Nach 25 Tagen waren alle Pflaster weg, und sie hatte 27.074 US-Dollar von 251 Unterstützern gesammelt.Da sich Geschichten am besten über Videos verbreiten lassen, raten viele Crowd-funding-Plattformen ihren Nutzern, sich in einem zu präsentieren. Regelmäßige Updates auf der Plattform und in Social-Media-Kanälen halten die Unterstützer auf dem Laufenden. Erfolgreiche Projekte legen einen Grundstock für die Fi-nanzierung, indem sie zuerst Freunde und Bekannte aktivieren, die das Projekt in ihre eigenen Netzwerke tragen. Wenn es ein Projekt dann noch in die Massen-medien scha#t, kommt es oft zu einer weitere Spendenwelle.

Ganz oder gar nicht"– und andere Mechaniken der Crowdfun-ding-Plattformen

in wichtiges Erfolgskriterium sind beim Crowdfunding auch die Gegenleistungen. Dies können symbolische, aber auch ma-terielle Dankeschöns sein, die Unterstützer im Gegenzug für ihre Spende und nach Abschluss des Projekts erhalten. Je nach Spendenhöhe sind die Gegenleistungen gesta#elt, wobei kleine

Beträge beispielsweise dadurch belohnt werden, dass der Name des Spenders im Vorspann eines Films oder Buchprojekts erscheint. Für größere Beträge bekommt man das Produkt zugeschickt oder kann an einer exklusiven Veran-staltung teilnehmen.Crowdfunding-Plattformen unterscheiden sich in ihrer Mechanik. So können über Kickstarter bislang nur Projekte mit Sitz in Nordamerika und Großbritannien fi-nanziert werden. Die Plattform selbst kuratiert und selektiert die Projekte stark. Im Gegensatz dazu ist Indiegogo eine o#ene Plattform, auf der Projekte aus über 200 Ländern vertreten sind. Jene Projekte, die einen hohen sogenannten Gogo-Faktor haben (Aktivität der jeweiligen Kampagne), werden von Indiegogo auf der Homepage und in Social-Media-Kanälen besonders gefördert.Auf manchen Plattformen, darunter Kickstarter, bekommen Projektmacher ihre Gelder nur dann ausgezahlt, wenn die von ihnen angegebene Mindestsumme er-reicht wurde. Andernfalls fließt das Geld wieder an die Spender zurück, da das

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Mittlerweile gibt es Hunderte Beratungs-firmen, die beim Crowdfunding helfen.

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Projekt nur mit der gesamten Summe realisiert werden kann. Auf Indiegogo kann man neben einer solchen „fixierten Finanzierung“ auch eine „flexible Finanzie-rung“ auswählen, bei der die Projektmacher alle eingegangenen Gelder erhalten.

Chancen • Innovatoren können relativ schnell und unbürokratisch Start- und Skalierungskapital bekommen.

• Spender können Teil eines Projekts werden und an dessen Er-folg teilhaben.

• Menschen können an vielen neuen kreativen Prozessen im Be-reich Kunst, Kultur, Produktdesign und Soziales partizipieren.

• Crowdfunding ist eine gute Möglichkeit, die Resonanz einer neuen Idee zu testen.

• Das Risiko für Geldgeber ist begrenzt, da viele Plattformen nur dann auszahlen, wenn die für die Realisierung benötigte Summe zusammengekommen ist.

Risiken • Die Tatsache, dass eine gute Idee online viele Unterstützer gewinnt, sagt wenig über den realen Erfolg des Projekts aus. Gutes Marketing kann dazu verleiten, unsinnige Projekte zu finanzieren.

• Crowdfunding kann den ö#entlichen Sektor dazu verleiten, ehe-mals staatliche Aufgaben auf private Initiatoren und Geldge-ber abzuwälzen. Eine Reihe von Plattformen wie Citizinvestor, Spacehive oder das finnische Brickstarter richten sich explizit an Bürger, die in ihren Kommunen Projekte realisieren wollen. Es erscheint jedoch wenig sinnvoll, dass Bürger in Zukunft selbst für einzelne Straßenlaternen oder die Begrünung eines Parks zahlen sollen.

• Erfolgreiche Projekte erzielen oft ein Vielfaches ihres ursprüng-lichen Finanzbedarfs, es ist jedoch nicht immer möglich, dieses Geld sinnvoll einzusetzen.

Fazit Crowdfunding hat sich als Finanzierungsmethode für neue Pro-dukte und künstlerische Werke (Musik, Bücher etc.) etabliert. Wer eine Idee realisieren möchte, umgeht komplizierte und zeit-aufwendige Förderprogramme oder klassische Finanzierungs-methoden und stellt stattdessen ein überzeugendes Video auf einer Crowdfunding-Plattform ein. (Wenn sich das Projekt al-lerdings nicht bald selbstständig herumspricht (Viralität), kann die Aktivierung von Menschen und Netzwerken viel Zeit in An-spruch nehmen.) Zentraler Erfolgsfaktor beim Crowdfunding ist die Überzeugungskraft des Konzeptes oder der Geschichte. Insgesamt ist Crowdfunding ein Beispiel für das Verknüpfungs-potenzial des Internets: Privatpersonen und ihre Bedürfnisse su-chen und finden sich schnell und unkompliziert (Long Tail). So werden alte und teilweise behäbige Strukturen umgangen bzw. herausgefordert.

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SliceBiz ist eine Crowdfunding-Plattform für die Finanzierung von sozialen Start-ups in Ghana. Obwohl innovative Ideen durch Hubs und Wett-bewerbe immer stärker gefördert werden, sei es

selbst für die besten Ideen in Ghana immer noch schwierig, sich zu finanzieren, sagt der Gründer von SliceBiz, William Senyo. Auf SliceBiz kann man in ausgewählte und überprüfte Sozial-unternehmen investieren und im Gegenzug mit einer kleinen Gewinnbeteiligung rechnen. Eine große Chance sieht Gründer Senyo in den westafrikanischen Migranten im Ausland, die ihre Heimat finanziell unterstützen wollen. SliceBiz startete im März 2014 und ist noch in der Beta-Phase. Die Macher haben große Pläne: Ab 2015 will die Plattform das Angebot auf ein Nachbarland und schließlich auf ganz Afrika ausweiten.

SliceBiz slicebiz.com

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Ulule ist die erste europäische Crowdfunding-Plattform und funktioniert in sechs Sprachen. Auf der Plattform werben verrückte, kreative und halsbrecherische Projekte um Unterstützung: von

der Goulash Disko in Kroatien bis hin zur Rettung der letz-ten Lemuren auf Madagaskar. Privatpersonen, Vereine oder Unternehmen präsentieren auf der Plattform ihr Projekt, ihr finanzielles Ziel und die Länge der Crowdfunding-Kampagne. Dafür reizen sie mit Gegenleistungen als Dankeschön für die finanzielle Unterstützung (z.B. eine DVD bei einem finanzier-ten Kurzfilm). Sobald das Ziel erreicht ist, erhält der Projekt-macher das gesammelte Geld. Nur in diesem Fall nimmt Ulule eine Provision von acht Prozent. Wird das finanzielle Ziel nicht erreicht, so bekommen alle Unterstützer ihr Geld zurück. Über 5.000 Projekte haben sich auf Ulule erfolgreich startfinanziert (Erfolgsquote 67 Prozent), mehr als 17 Millionen Euro aus über 130 Ländern wurden dafür gesammelt.

Ululede.ulule.com

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Yomken ist die erste gemeinnützige Open-Inno-vation- und Crowdfunding-Plattform in der ara-bischen Welt. Auf Yomken schildern Kleinun-ternehmer Probleme und die entsprechenden

Lösungsansätze. Zum Beispiel hat ein Metallhändler eine Idee, wie er Getränkedosen recyceln kann. Nur wie und wo er die-se dann weiterverkaufen kann, weiß er noch nicht. Auf Yom-ken bittet er um Hinweise und finanzielle Unterstützung für Dosenpressen. Unterstützer können also mit Ideen oder Geld helfen. Für Geld gibt’s eine gepresste Dose oder ein anderes Dankeschön. Eine Gruppe von Ehrenamtlichen bewertet die angebotenen Lösungen, um die beste für die Umsetzung zu wählen. Ist der nötige Geldbetrag zusammen und eine Idee aus-gewählt, initiieren der Kleinunternehmer und der Problemlöser gemeinsam die Produktion. Yomken bedeutet im Arabischen „es ist möglich“.

Yomkenyomken.com

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Shareconomy

Das Internet macht’s der Shareconomy leicht: Kontaktaufnahme, Kommunikation und Bezahlung lassen sich mit wenigen Klicks oder Berührungen des Touchscreens abwickeln. Auf einer Karte wird die nächstgelegene, verfügbare Bohrmaschine an-gezeigt. Oder der nächste freie Raum, den man für eine Veranstaltung braucht. Und natürlich das nächste Auto einer Carsharing-Firma. Ursache für diesen Trend ist ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft. Nachhaltigkeit ist in aller Munde, und knapper werdende Energie und Rohsto#e führen zu dem Verlangen, Ressour-cen e$zienter zu nutzen, um die Umwelt zu entlasten. Seit der Wirtschaftskrise

In materiell gesättigten Gesellschaften streichelt Besitz schon lange nicht mehr das Ego. Immer mehr Menschen empfin-den zu viele Dinge sogar als Belastung, kehren der konsumorientierten Überfluss-gesellschaft den Rücken und leben mini-malistisch. (In Anlehnung an die Lohas spricht man auch von Lovos, Lifestyle of Voluntary Simplicity.) Doch wer ein Loch in die Wand bohren will, braucht eine Bohrmaschine. Weil so ein Werkzeug aber aus Mangel an benötigten Löchern vor allem ungenutzt herumliegt, verleihen sich Menschen immer häufiger Werkzeuge und allerlei andere Dinge. Mithilfe entspre-chender Online-Plattformen und sozialer Medien kann man den Verleiher in der Nähe einfach kontaktieren. So entsteht eine neue Shareconomy.

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2007/2008 hinterfragen immer mehr Menschen das eigene Konsumverhalten. Dass sich Online-Kampagnen wie The Story of Stu# viral verbreiten, zeigt, dass das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Dies gilt allerdings nur für materiell gesättigte Gesellschaften, wozu auch Südkorea zählt: Der Bürgermeister von Seoul, Won-soon Park, erklärte die Hauptstadt 2012 zur Sharing City.Der Trend zum Tauschen und Teilen ist also eine Gegenbewegung zur Überpro-duktions- und Wegwerfkultur. Das Umweltbundesamt stellte schon 1997 in seinem Bericht „Nachhaltiges Deutschland"– Wege zu einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung“ fest, dass die „Umorientierung des Konsums im Hinblick auf eine Nutzung der Produkte anstelle ihres Besitzes“ ein „bedeutsamer neuer Aspekt“ ist.Eine private Bohrmaschine wird im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 45 Stun-den genutzt, obwohl sie 300 Stunden problemlos scha#en würde. Wird die Bohr-maschine geteilt, wird auch die Nutzungsdauer besser ausgeschöpft. Außerdem müssen weniger Maschinen hergestellt werden. Der geteilte Konsum reduziert so die Gütermengen und schont Ressourcen, ohne dass wir unseren Lebensstan-dard senken müssen. Die NGO Peers.org zeigt, wie Shareconomy-Initiativen dazu beitragen, eine nachhaltige Welt zu scha#en: Carsharing in den USA kann den nationalen CO2-Ausstoß um 27 % reduzieren.

Das Internet verändert unsere Einstellung zu Besitz

ie grundsätzliche Idee des geteilten Konsums ist nicht neu: Wohngemeinschaften, Büchereien, Baugenossenschaften und Waschsalons sind Beispiele für bestehende gemeinschaftliche Nutzungsformen, die es schon seit Jahrzehnten gibt. Doch die aktuelle Bewegung nutzt digitale Kanäle und erhöht dadurch

Reichweite und Vielfalt. Plattformen wie Peerby, Fairleihen und Kleiderkreisel machen es möglich, Dinge, die man nur vorübergehend braucht, in der" Nachbar-schaft zu leihen. Tauschgeschäfte zählen auch zur Shareconomy, weil bestehende Ressourcen gemeinsam genutzt werden, statt sie neu zu kaufen.Als Vernetzungs- und Verwaltungstool ermöglicht das Internet nicht nur, Dinge innerhalb großer Gruppen zu teilen. Es hat mit seinem kollaborativen Wesen auch die Einstellung der Menschen verändert. Sie erfahren täglich im Internet, dass dort exklusives Eigentum nicht nötig ist, um Dinge nutzen zu können. Bei-spiele wie Wikipedia, Creative-Commons-Lizenzen oder cloudbasierte Dienste wie Dropbox zeigen, dass weite Bereiche des Netzes auf dem Prinzip des Tei-lens aufgebaut sind.

Wer leiht, lernt neue Leute kennen

ine wichtige Voraussetzung der internetgestützten Leih-, Miet- und Tauschmodelle ist Vertrauen. Vertrauen darauf, dass Dinge von unbekannten Menschen gut behandelt und Abmachungen eingehalten werden. „Vertrauen ist die neue Währung“, postu-liert auch Rachel Botsman, die zusammen mit Roo Rogers das

viel zitierte Buch „What’s mine is yours. The Rise of Collaborative Consumption“ geschrieben hat. Damit Vertrauen entstehen kann, haben User ein Nutzerprofil und Bewertungsmöglichkeiten. Zunehmend werden auch Social-Media-Profile also etwa Facebook-Profile für den Aufbau von Vertrauen im Netz hinzugezogen.So entstehen innerhalb der Leih- und Tauschnetzwerke neue Gemeinschaf-ten zwischen Privatpersonen, ob beim Tre#en zum Kleidertausch, wenn Autos

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gemeinschaftlich genutzt werden oder in Communitys wie WHYown.it, in der man sein Freundes-Netzwerk nach den benötigten Dingen durchsuchen kann.

Richtiger Used-Look durch Jeans-Leasing

ouchsur&ng.org, die aktuell größte Plattform für kostenfreie Schlaf-plätze in privaten Wohnungen, hat eine aktive Community von 6 Millionen Menschen in mehr als 100.000 Städten weltweit. Im Jahr 2012 wurden mehr als vier Millionen Sofas „gesurft“. Der

Community-Marktplatz Airbnb hat Wohnungs-Sharing berühmt gemacht. Pri-vate Vermieter können ihr Zuhause an Menschen vermieten, die eine Unterkunft fernab des Pauschaltourismus suchen. Mehr als zehn Millionen Übernachtungen wurden über Airbnb gebucht. Und auch das Carsharing wächst kontinuierlich: Anfang 2012 nutzten laut dem Bundesverband CarSharing insgesamt 220.000 Menschen ein geteiltes Auto. Aller Voraussicht nach werden diese Zahlen wei-ter steigen. Dafür sprechen die Ergebnisse einer Umfrage zum Umweltbewusst-sein (2010), nach der 26 Prozent der Autofahrer Carsharing attraktiv finden. In vielen Städten weltweit gibt es mittlerweile Bike- oder Carsharing-Angebote. In Deutschland können Menschen Autos von Privatpersonen über Tamyca, Nach-barschaftsauto und Autonetzer leihen.

Auf der einen Seite gibt es den „Nutzen statt Besitzen“-Ansatz wie z.B. Carsha-ring oder „Jeansleasing“, wobei Dinge temporär zugänglich gemacht werden, das Eigentum verbleibt dabei beim Anbieter"– der ein Unternehmen oder eine Privatperson sein kann. Diese Form des Konsums ohne Eigentum wird auch Pro-duct Service Systems genannt. Auf der anderen Seite gibt es eigentumsbasierte Ansätze wie z.B. Tauschbörsen oder Reparaturangebote wie Netcycler, bei denen Dinge für wenig bis kein Geld oder für eine kleine Gegenleistung ihre Besitzer wechseln, aber weiter Eigentum einer Person bleiben"– deshalb spricht man auch von Redistribution Markets.

„Ich hab noch Auflauf übrig!“

m Bereich der Sharing-Dienstleistungen haben sich in den letz-ten Jahren viele neue Geschäftsmodelle herausgebildet. Dazu gehören ö#entliche Angebote (Public Sharing) wie kommunale Fahrradverleihsysteme sowie Sharing- und Pooling-Plattformen, die geteilten Konsum von Privat zu Privat ermöglichen. Beispiele

sind hier Frents, Leihdirwas oder Flinc, die App für kurzfristige Mitfahrgelegen-heiten innerhalb eines sozialen Netzwerks.Der Shareconomy-Ansatz entwickelt sich weiter und wird dabei in immer mehr Bereichen des alltäglichen Lebens integriert. So wird beim Coworking die Büro-fläche geteilt, Taxis und Gärten werden gemeinschaftlich genutzt, Parkplätze und Fähigkeiten werden geteilt, ja sogar Jobs. „Lebensmittel teilen statt wegwerfen“

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Eine private Bohrmaschine wird nur 45 Stunden genutzt, obwohl sie 300 Stunden schaffen würde.

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heißt es bei foodsharing.de. Wer Reste von der letzten Party übrig hat, in den Ur-laub fährt oder als Bäcker ständig Brötchen wegschmeißen muss, kann die Le-bensmittel bei foodsharing.de kostenlos anbieten. Umgekehrt finden Nutzer über die Plattform Nahrungsmittel in ihrer Umgebung, die sie bei Bedarf schnell ab-holen können. Auch kann man sich zum gemeinsamen Kochen verabreden, um überschüssige Lebensmittel loszuwerden.

Chancen • Tauschen, Teilen und Mieten spart Ressourcen (Energie, Roh-sto#e) und reduziert den individuellen CO2-Fußabdruck.

• Shareconomy spart Kosten und Müll.• Die Shareconomy fördert soziale Interaktionen und bringt Men-

schen zusammen.• Die Shareconomy fördert eine neue Art des Wirtschaftens, die

auf Wir statt Ich basiert"– kommunal statt Kapital.

Risiken • Das Angebot ist bisher stark fragmentiert und unübersichtlich (schreckt neue Nutzer ab).

• Ein Nachweis über die tatsächliche Wirkung der Shareconomy bezüglich Ressourcenschonung ist noch nicht erbracht.

• Die größeren gesellschaftlichen Konsequenzen der Sharing Economy sind unklar: Standards in Bezug auf Sicherheit und Arbeitsschutz könnten umgangen werden. Neue informelle Ein-nahmequellen gehen momentan oft an der Steuer vorbei, sodass dem Staat wichtige Einnahmequellen verloren gehen, die fürs ö#entliche Wohl eingesetzt werden könnten."

Fazit Das „grüne Bewusstsein“ in Deutschland und anderen Indust-rieländern führt zu einem Bedeutungsverlust von materiellem Besitz. Immer mehr Menschen möchten Ressourcen schonen. Internet und soziale Netzwerke ermöglichen nun das neue Kon-sumverhalten des Teilens und Tauschens. Das Potenzial dieses Trends ist groß. Doch obwohl sich die alternativen Nutzungs-strategien ausbreiten, sind sie noch Nischenphänomene. Doch die verschiedenen Angebote und die zunehmende Professionali-sierung der Leih-Industrie steigern das Vertrauen in die Share-conomy insgesamt, was zu größerer Beliebtheit und Reichweite führen kann. Ein entscheidender Faktor für den dauerhaften Erfolg der Shareconomy-Bewegung wird der Aufwand für das Ausleihen sein"– je geringer, desto besser.

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2003 ursprünglich als NGO gegründet, ist Couch-surfing einer der Vorreiter in der digitalen Shareco-nomy. Das Prinzip des Gastfreundschaftsnetzwerks ist einfach: Als Nutzer kann man entweder einen

freien Schlafplatz anbieten oder einen suchen. Ob in Berlin oder Bangkok, bei sieben Millionen Mitgliedern wird man schnell fündig. Gegenleistungen, also etwa selbst einen Schlafplatz bereitzuhalten, sind nicht nötig, aber gern gesehen. Geld zu verlangen oder zu bezahlen ist verboten. Die Gäste können ihren Gastgeber bewerten und Kommentare abgeben. Da es in der Vergangenheit vereinzelt zu Übergri#en und Missbrauch kam, hat Couchsurfing mehrere Sicherheitsprinzipien entwickelt, die aber optional sind. Es wurde beispielsweise ein Bürgschaftssys-tem der Mitglieder untereinander eingeführt. Kritik erntete die Plattform wegen ihrer zunehmenden Kommerzialisierung ab 2011 und der damit verbundenen Umstellung der Geschäftsbe-dingungen und Unternehmensstruktur zu einer GmbH. Dadurch wurden Mitglieder der ersten Stunde, die sich als Aktivisten für die Idee des Couchsurfings sahen, abgeschreckt und wechselten zu anderen Plattformen wie BeWelcome.

Couchsurfingcouchsur&ng.org

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In Deutschland werden jedes Jahr Lebensmittel im Wert von etwa 22 Millionen Euro weggewor-fen. „Nicht hinnehmbar!“ fanden die Gründer von Foodsharing und baten erfolgreich auf der

Crowdfunding- Plattform Startnext um Unterstützung für ihre Idee. Als Nutzer kann man auf Foodsharing.de virtuelle Essenskörbe mit seinen Essensresten erstellen, diese dann an örtliche Fair-Teiler (also Verteilstationen) bringen oder von anderen Mit-gliedern abholen lassen. Fehlen einem einmal ein paar Zutaten, kann man nachsehen, ob diese in der Nachbarschaft verfügbar sind"– und hat man selbst mal nur Milch und Eier im Haus, kann man sich mit jemandem, der Mehl hat, zum Pfannkuchen-backen verabreden. Die Idee kommt gut an: Mehr als 9.000 Essenskörbe wurden schon verteilt und 40.000 Nutzer haben bislang mitgemacht (Stand: Juni 2014). Bevor es in den Urlaub geht und Lebensmittel im Kühlschrank verschimmeln, lohnt sich auf jeden Fall ein Besuch bei Foodsharing.

Foodsharingfoodsharing.de

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Auf der Jobsharing-Börse Tandemploy, die im März 2014 online ging, können Arbeitnehmer einen „Tandempartner“ suchen und sich eine Arbeitsstelle mit ihm teilen. Aus einer Vollzeit-

stelle sollen so zwei Teilzeitstellen werden. Auch Unterneh-men können auf Tandemploy Jobsharing-taugliche Stellen aus-schreiben oder direkt ein „Tandem“, also zwei Partner, die sich bereits gefunden haben, engagieren. Das Interesse von allen Seiten"– sowohl von Arbeitnehmern als auch Unternehmen"– sei bemerkenswert, schreiben die Gründerinnen des Berliner Start-ups, das mit dem EXIST-Gründerstipendium unterstützt wurde, in ihrem Blog. Zu den Unternehmen, die schon mitma-chen, zählen die Barmenia Versicherungen und das staatliche Bauamt Landshut.

Tandemploytandemploy.com

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Digitales Wissen fürsoziale Organisationen"–das Onlinehelden- Programm

Der Trendreport zeigt, welche Innovationen für unsere Zivilgesellschaft zukunftsweisend sind. Doch gerade kleine und mittlere NGOs fühlen sich ob der vielen Apps, Werkzeuge

und Möglichkeiten des Internets etwas überrannt. Das digitale Potenzial ist groß"– vielleicht sogar etwas zu groß?

Damit soziale Organisationen nicht den Überblick verlieren, hat better-

place.org zusammen mit SAP das Onlinehelden-Programm gestartet. In einer Mischung aus Schulung und Wettbewerb lernen sozial Engagierte, das Internet optimal für ihre Arbeit zu nutzen. Dazu schauen sie sich zunächst auf onlinehelden.org kleine Lehrfilme an zu dendrei Themen: • Online-Fundraising

• Social Media• Digital Storytelling.

Die Dozenten sind Mitarbeiter von betterplace.org, Kenner der Metiers und haben auch noch Spaß dabei, wie auf dem Foto oben zu sehen ist: Den-nis Buchmann (l.), Kathleen Ziemann und Björn Lampe. Sie verraten in den Filmen nicht nur Tipps und Tricks, sondern zeigen auch, wie die Themen ineinander übergehen und sich gegenseitig ergänzen. Kein Er-folg in sozialen Medien ohne gutes Storytelling. Und kein gutes Online-Fundraising ohne Social Media.Denn die Lehrfilme sind zwar kostenlos und für jeden zugänglich. Doch die Plätze auf der zweiten Stufe des Onlinehelden-Programms sind begrenzt: Während eines zweitägigen Workshops, dem sogenannten

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Campus, arbeiten 30 ausgewählte NGOs bzw. bis zu zwei Mitarbeiter pro Orga-nisation an ihren speziellen Herausforderungen. Und weil sehr viele Experten vor Ort sind, ist die Beratung individuell und persönlich.Nach dem Campus fehlt dann nur noch ein Schritt, um ganz oben auf dem Trepp-chen stehen zu können. Denn dann startet die Wettbewerbsphase: Wer wird On-lineheld 2014? Die Organisationen legen sich ins Zeug, um möglichst viele Punkte in jenen drei Kategorien abzuräumen, in denen sie zuvor so viel Neues gelernt haben. Ein bisschen nach dem Motto: Wer hat gut aufgepasst ;)Eine Jury wählt knapp zwei Monate später, auf der betterplace labtogether Kon-ferenz, die Onlinehelden 2014 und belohnt sie mit Hardware, Software und an-deren Preisen, die dabei helfen, das Internet zu nutzen. Doch Gewinner sind alle Teilnehmer des Onlinehelden-Programms: Je mehr Engagierte sich die Lehrvideos anschauen, desto weiter verbreitet sich die digitale Kompetenz in der Zivilgesell-schaft. Und alle, die beim Campus dabei waren, gehen mit praktischen Tipps nach Hause, mit denen sie direkt ihre konkreten Probleme lösen können.Das Onlinehelden-Programm will also eine Brücke sein: Hier stehen viele verun-sicherte sozial engagierte Menschen und schauen nach dort, wo sich das Inter-net immer weiter entwickelt. Deshalb ist es so wichtig, die Zivilgesellschaft mit digitalem Sachverstand zu stärken.

Was Bewerber zum Onlinehelden-Programm sagen:Die Themen Google sowie Newsletter und Social Media Buttons auf der Homepage würden einen sehr großen Beitrag zu unse-rer Arbeit leisten. Auch der umsichtigere Umgang mit Facebook und vor allem die Nutzung der Statistiken dort sind Themen, mit denen sich unser Verein noch mehr beschäftigen sollte. In einem der Videos wurde auch ein Online-Spendenformular auf Facebook erwähnt. Darüber möchte ich unbedingt mehr erfah-ren. — Theresia Knechte, Verein Waisenhaus Tamale in Beucha.

Alle Themen des Onlinehelden-Programms sind sehr spannend und sicherlich gewinnbringend für uns :-) Für mich persönlich ist es das Online-Fundraising, da wir im Internet noch zu we-nige Chancen nutzen. — Stefanie List, Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis.

Da wir unsere Zielgruppe (Menschen mit Migrationshintergrund) selbst zu Wort kommen lassen wollen, um die jeweilige Commu-nity zu erreichen, interessiert uns v. a. Storytelling. Zu viele An-gebote zum Thema Bildungsgerechtigkeit erreichen Menschen mit Migrationshintergrund nicht. Wir wollen Storytelling nutzen, um hier eine Brücke zu bauen. Aber eigentlich inhalieren wir alle Themen, die in den Videos präsentiert werden. Auf diesem Wege vielen Dank für dieses tolle Angebot! — Vera Klauer, elhana Lernpaten.

Für uns sind besonders die Videos zum Digital Storytelling in-teressant, da wir hierin viel Neues erfahren haben und genau in diesem Bereich gerne aktiver werden möchten. Auch die Videos zum Bereich Social Media sind für uns interessant. Danke für die tolle Unterstützung! Alle Videos sind sehr übersichtlich und gut nachzuvollziehen! — Tina Lauer, Kham Nomadenhilfe

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Gabriele Hartmann, bei SAP für das gesellschaft-liche Engagement in Mittel- und Osteuropa zuständig, über 4.000 Euro für ein Klettergerüst, Schmerzpunkte und die Wichtigkeit des Online-helden-Programms für NGOs.

Gabriele, es gibt Tausende Möglichkeiten für SAP, sich für die Zivilgesellschaft zu engagieren. Warum fördert ihr nun ausgerechnet das Onlinehelden-Programm?

Die Vision von SAP ist es, dass mithilfe von Software das Le-ben von Menschen verbessert wird. Dies erreichen wir nicht nur durch unsere Produkte, dies gilt auch in besonderem Maße für unser Engagement. Wir wollen mit dem Onlinehelden-Programm dazu beitragen, dass gemeinnützige Organisationen technologi-sche Möglichkeiten besser nutzen, damit sie Köpfe und Hände frei haben, ihre eigentliche Arbeit zu tun.

Läuft es nicht eher so, dass Vereine und Initiativen bei Unternehmen nach Spon-soring oder Geldspenden fragen statt nach Wissen?

Leider ist es noch oftmals so, dass NGOs nach 4.000 Euro für ein Klettergerüst oder nach Preisen für ihre Tombola fragen. Das war gestern. Immer mehr Unternehmen sehen sich nicht mehr als bloßer Geldgeber, sondern als Partner, der mehr zu geben hat. Darum sehen wir unsere Aufgabe vielmehr im sogenannten „Capacity Building“, im Aufbau von Kompetenzen. Wir bringen den Leuten lieber bei, wie sie selbst z.B. Crowdfunding betreiben können oder mit welcher Art der Ansprache sie Unternehmen besser erreichen. Mit unserer Technologie-Expertise wollen wir eine Art Hilfe zur Selbsthilfe leisten: Gemeinnützige stark ma-chen, für die Herausforderungen unserer Zeit"– ob es um Mittel-bescha#ung geht oder um personelle Ressourcen.

Man könnte auch einfach nur ein paar gute Lehrfilme produzieren, online stellen und mit viel PR an viele NGOs schicken. Warum gibt’s beim Onlinehelden-Programm noch einen aufwendigen, zweitägigen Campus, bei dem nur 30 NGOs teilnehmen können?

Klar kann man online viel bewirken, und deshalb sind die Fil-me auch wichtig. Aber ohne das persönliche und vertiefende Gespräch bleibt die Wirkung oberflächlich. Nur im echten Aus-tausch kann man den speziellen Kontext der NGOs berücksich-tigen und so praktische Hilfe leisten, die die NGOs auch in ihrer täglichen Arbeit anwenden können.

„Dass NGOs nach Preisen für ihre Tombola fragen, war gestern.“

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Masse statt Klasse?Ja, Masse ist nicht unser Ziel. Wir wollen die NGOs ermutigen und ihnen anhand von Erfolgsbeispielen zeigen: So schwierig ist’s gar nicht! Außerdem ist der Workshop eine wichtige Gelegenheit für uns, um selbst zu lernen: Welche Bedarfe haben die NGOs? Wo genau brauchen sie Unterstützung? Was sind die Schmerz-punkte? Eine Art Puls-Check. Außerdem ist das Onlinehelden-Programm 2014 auch ein Pilot, mit dem wir besonders auf dem Campus testen können, was funktioniert und was nicht. Damit wir entscheiden können, ob und wie wir weitermachen.

Als das Onlinehelden-Programm gestartet ist, war noch nicht klar, welche Preise die Teilnehmer gewinnen können. Trotzdem haben sich so viele beworben und investieren nun relativ viel Zeit. Wie erklärst du dir das?

Es ist ähnlich wie bei dem Programm „Gute Sache“, bei dem wir, gemeinsam mit anderen Unternehmen, upj und der Bertelsmann Stiftung, zusammenarbeiten: Wir sehen ganz klar, dass sich die NGOs über ihre Mängel und Bedürfnisse im Klaren sind. Sie wissen genau, was ihnen fehlt. Und der Bedarf an technischem Wissen ist sehr groß. Dass die NGOs uns nun die Tür einrennen, liegt auch daran, dass es kaum vergleichbare Bildungsprogram-me gibt. Jedenfalls keine, die kostenlos sind.

SAP ist ja einer der strategischen Partner von betterplace.org. Das heißt, ihr un-terstützt uns langfristig und nicht nur finanziell. Wir profitieren – siehe das In-terview mit deinem Kollegen und Hackathon-Experten Uwe Kylau auf Seite"21"– auch von eurer Expertise. Doch wie profitiert ihr von uns?

Wir profitieren dreifach: Erstens lernen wir von der Kreativität und Innovationskraft von betterplace. Als eines der wirklich kreativen Sozialunternehmen habt ihr immer große Ideen. Zweitens, ganz praktisch: Unser SAP Solidarity Fund läuft über betterplace.org, d.h., wir nutzen eure technische Infrastruktur, eure Spendenplatt-form. Wenn wir zum Spenden aufrufen, erzielen wir unglaublich tolle Ergebnisse über betterplace.org. Und drittens bekommen wir über euch Einblick in Bedürfnisse der sozialen Organisationen. Ihr habt eine große Reichweite und durch die gemeinsamen Pro-jekte erhalten wir einen guten Einblick in die Vielfalt, aber auch in die Bedürfnisse gemeinnütziger Organisationen in Deutschland.

Kasten VitaGabriele Hartmann hat in Barcelona, Heidelberg und Lynchburg, USA, die Fächer Theologie, Politische Wissen-schaften und Germanistik studiert. Nach Stationen bei verschiedenen PR-Agenturen in Frankfurt kam sie 2002 zu SAP. Hier ist Gabriele seit 2010 für das gesellschaftliche Engagement des

Unternehmens in Mittel- und Osteuropa zuständig. In ihrer Frei-zeit engagiert sie sich für den SAP Solidarity Fund.

SAP $ Interview

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Unterwachung

Korruption und Bestechung sind weltweit ein Problem: Jährlich wird etwa eine Billion US -Dollar Bestechungsgeld gezahlt, schätzt die Weltbank. In Deutschland soll Korruption einen jährlichen Schaden von etwa 250 Milliarden Euro verur-sachen. Laut Korruptionsbarometer von Transparency International sind es vor allem Parteien und der ö#entliche Sektor, die sich immer wieder bestechen las-sen. Doch aufgepasst, die Bürger sind wachsam.

Vor der Wahl gelogen, mehr als nur eine Pralinenschachtel angenommen oder gar dem besten Kumpel einen Millionenauftrag zugeschanzt: Politiker und Staatsangestellte arbeiten nicht immer im Auftrag des Volkes, sondern manchmal auch allzu sehr im eigenen Interesse. Immer mehr Menschen wehren sich dagegen und schauen ihren Vertretern „da oben“ ganz genau auf die Finger"– sie überwachen von unten und nutzen dafür Apps und Online-Plattformen.

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Small Brothers are watching you

gal ob man es Watching, Sousveillance oder Unterwachung nennt, das Prinzip bleibt gleich: Bürger beobachten Politiker, Polizisten oder Beamte"– und machen publik, wenn diese gegen Gesetze verstoßen, lügen oder sich unmoralisch verhalten. Mit-hilfe der Ö#entlichkeit üben sie Druck auf die Verantwortlichen

aus und fordern Konsequenzen: etwa den Rücktritt des entsprechenden Politi-kers, eine Strafanzeige oder eine Gesetzesänderung. Der Bürger wird so zum Watchdog, wird zum Wachhund, der bellt, wenn jemand legale oder moralische Grenzen überschreitet.Viele Teams von Watchdogs tun sich online zusammen, sammeln und konden-sieren Informationen. Ein Beispiel dafür ist die südafrikanische Plattform Cor-ruption Watch: Dort gehen im Schnitt täglich drei Berichte über Korruption aus Behörden, Unternehmen oder Wohltätigkeitsorganisationen ein. Die Watchdog --Organisation verbreitet diese Informationen in Blogs, Printmedien und dem Fernsehen, damit möglichst viele Menschen davon erfahren. Und mit der App frisk and watch können New Yorker schnell und von unterwegs aus zeigen, wenn sie grundlos von der Polizei durchsucht wurden. Damit will die Organisation auf ein unfaires Gesetz aufmerksam machen.

Das Vladometr guckt Politikern in der Ukraine auf die Finger

ie Beispiele zeigen: Das Internet hilft den Menschen bei der Un-terwachung, weil sie online viele Informationen einfacher finden, dokumentieren und verbreiten können. Gregor Hackmack von der deutschen Organisation Abgeordnetenwatch, sagt: „Dank des Internets können sich kleine Watchdog -Organisationen mit gro-

ßer Wirkung international ausbreiten. Vorher konnte man zwar das Parlament beobachten, aber es gab keine Möglichkeit, mit den Ergebnissen kostengünstig die Massen zu erreichen, weil man einfach keinen Zugang zu den Massenmedien wie Fernsehen oder Zeitungen hatte.“

Auf Abgeordnetenwatch.de können Bürger online Fragen an Parlamentarier stellen. Die Plattform verö#entlicht deren Antworten und fasst zum Beispiel auch Ne-beneinkünfte der Abgeordneten zusammen. Mit dem ukrainischen Vladometr überprüfen Aktivisten schon seit 2011, ob Machthaber"– egal ob vor oder nach der Revolution"– ihre Versprechen auch wirklich einhalten. Und die indische Website I paid a bribe hat mittlerweile über 26.000 Berichte (Stand: Mai 2014) alltäglicher Bestechung von Menschen im eigenen Land gesammelt, von kleinen Extrazahlungen, um im Zug einen Sitzplatz zu bekommen, bis zu großen „Ge-bühren“, um am Wahltag zum Wahllokal vorgelassen zu werden. Viele der Platt-formen zeigen Verstöße übersichtlich auf einer Landkarte und gehören damit auch zu unserem Trend Kartismus.

DKein Unterwacher ist davor gefeit, sich zu irren und Menschen zu Unrecht zu beschuldigen.

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Unterwachung ist Teil des aktiven Bürgertums

urch Unterwachung können sich Menschen nicht nur Gehör ver-scha#en, sondern bekommen auch Zugang zu Informationen über politische Akteure und deren Verhalten"– wie beispielweise über die Verwendung der Gewinne von ghanaischen Bergbauge-sellschaften (Where my money dey?) oder Wahlunregelmäßig-

keiten in Zimbabwe (Zimbabwe Election Irregularities).So entsteht eine ganz neue Art der politschen Transparenz und Teilhabe im Netz. Der amerikanische Wissenschaftler Michael Schudson stellt sogar die These vom „monitorial citizen“, vom überwachenden Bürger, auf: Da es in unserer komple-xen Welt nicht mehr möglich ist, alles zu wissen und vollständig informiert Ent-scheidungen zu tre#en, entwickelt sich die politische Teilhabe von Bürgern hin zum digitalen Beobachten"– und Einschreiten, wenn etwas nicht richtig läuft. Ein aktiver Bürger zu sein heißt laut Schudson, ständig als Unterwacher ein Auge auf seine Politiker zu haben.

Unterwachung kann in China zu Lynchmobs führen

m Idealfall werden durch den kritischen Blick der Bürger auf die Machenschaften der Politiker wichtige Debatten angesto-ßen, die eine bessere Gesetzgebung zur Folge haben. Abge-ordnetenwatch hat die Ergebnisse ihrer Erhebungen zu den teilweise sehr hohen Nebeneinkünften von Parlamentariern

immer wieder in den Medien angeprangert. Seit 2007 müssen Abgeordnete in Deutschland ganz genau o#enlegen, was sie nebenbei verdienen"– und sich der ö#entlichen Kritik stellen.Mit Unterwachung war ursprünglich nur gemeint, dass Menschen sich gegen staatliche Überwachung wehren und den Spieß umdrehen, indem sie selbst zu Überwachern des Staates werden. Der US- amerikanische Forscher Steve Mann hat diesen Begri# seit den 1970ern geprägt. Das heißt aber nicht, dass Bürger mit ihren Beobachtungen oder Schlussfolgerungen immer im Recht sein müssen: Das chinesische Internet -Phänomen Renrou Sousuo, auf Deutsch Suchmaschi-ne für Menschenfleisch, beschreibt, wie Online- Communitys gemeinschaftlich di#amierende Informationen über Personen zusammentragen und diese an den Pranger stellen. Zum Beispiel wenn Parteifunktionäre mit unverhältnismäßigem Reichtum protzen. Das kann bis zu Todesdrohungen und Lynchmobs vor den Häusern der Betro#enen gehen"– und wird von der chinesischen Regierung ge-duldet." Zwar ist dieses Beispiel recht extrem, doch kein Unterwacher ist davor gefeit, sich auch mal zu irren und Menschen zu Unrecht zu beschuldigen.

Chancen • Unterwachung ermöglicht allen Bürgern, ihre Erfahrungen von Machtmissbrauch zu teilen und sich gegen Ungerechtigkeit und Kriminalität einzusetzen.

• Apps und Plattformen gegen Korruption oder Bestechung

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Es entsteht eine neue Art der politschen Transparenz und Teilhabe im Netz.

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lassen eine digitale politische Ö#entlichkeit entstehen, die als Gegengewicht zu politischer Macht fungieren kann.

• Ehrliche Politker und Staatsangestellte machen Regierungen e$zienter. Davon profitiert die ganze Gesellschaft.

Risiken • Unterwachung per App und Online -Plattformen kann immer nur ein Anstoß für Diskussionen sein. Es reicht nicht, Infor-mationen transparent darzustellen, sie müssen auch gezielt kommuniziert und strategisch eingesetzt werden, wenn sich die Realität verändern soll.

• Die wenigsten Unterwacher sind Spezialisten und können ihre Erfahrungen von Ungerechtigkeit deshalb nicht immer richtig einordnen. Die Gefahr besteht, Menschen fälschlicherweise zu beschuldigen, weshalb gute professionelle Moderatoren auf den Websites und Apps wichtig sind.

Fazit Gründe für Unterwachung gibt es genug: Überall auf der Welt verstoßen Politiker und Staatsangestellte gegen Gesetze oder missbrauchen ihre Macht. Mit digitalen Medien ist es nun ein-facher, diese Missbräuche aufzudecken und mit den Enthüllun-gen schnell eine große Masse von Menschen" zu erreichen. Ganz von allein ändern sich die Verhältnisse aber nicht: Unterwacher brauchen immer auch Profis, die den Online- Protest moderieren, auf Richtigkeit prüfen und die Aufmerksamkeit der Medien auf ihre Enthüllungen lenken.

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Bribespot ist eine Website zur Korruptionsbe-kämpfung, mit der Menschen Korruptionsvorfäl-le weltweit melden und orten können. Über eine App für iPhone oder Android lokalisiert Bribe-

spot automatisch den Standort des Melders, der dann seine Geschichte anonym schildern kann. Wie viel hat er wofür an wen zahlen müssen? Weil alle Einträge auf der Karte gezeigt werden, lassen sich Korruptionsbrennpunkte erkennen. Ob Uni-Professoren, Zollbehörden oder Streifenpolizisten"– es gibt schon einige unerfreuliche Geschichten zu lesen. Aber der Erfolg von Bribespot hängt auch vom Mitmachen ab: So wurden in Russland erst vier Fälle von Bestechung gemeldet, in Afghanistan noch keiner.

Bribespot bribespot.com

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Mit dem Vladometr aus der Ukraine werden ö#ent-liche Versprechen von Politikern überprüft und bewertet. Die Website listet Aussagen von Poli-tikern, die unabhängige Journalisten und Exper-

ten evaluieren. Farbige Symbole zeigen, ob ein Versprechen in Bearbeitung ist, umgesetzt oder gebrochen wurde oder ob ein Kompromiss gefunden wurde. Je nachdem wie gut die Politi-ker hierbei abschneiden, werden sie in den Kategorien Heilige, Teufelchen, Publikumslieblinge und Newcomer auf der Start-seite aufgeführt. Die Vladometr-Betreiber geben an, die Platt-form gegründet zu haben, um einen unabhängigen Gegenpol zur ukrainischen Medienlandschaft zu scha#en, die sich fest in der Hand der Oligarchen befinde.

Vladometrvladometr.org

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Renrou Sousou ist chinesisch und bedeutet „Such-maschine für Menschenfleisch“. Damit ist keine bestimmte Plattform oder Website gemeint, son-dern ein Phänomen, das sich auf Suchmaschinen

und in sozialen Netzwerken abspielt und je nach Einzelfall irgendwo zwischen Aufklärungskampagne, Shitstorm und vir-tuellem Lynchmob anzusiedeln ist. Vor allem korrupte Politiker und Unternehmer geraten in das Visier von Renrou Sousou. Die Teilnehmer durchsuchen das Internet nach Bildern, auf denen die Zielpersonen mit teuren Autos und Uhren zu sehen sind oder an dubiosen Partys und Geschäftsessen teilnehmen. Die Ergebnisse dieser Kampagnen und die folgende ö#entli-che Empörung haben schon häufig zu Amtsenthebungen und Rücktritten geführt. Allerdings beschränken sich die Personen-jagden längst nicht mehr nur auf sachlich recherchierte Infor-mationen. So geraten bisweilen auch unbescholtene Chinesen in den Fokus der Menschenfleischjäger. So zum Beispiel 2008, als Nationalisten eine Jagd auf vermeintliche „Volksverräter“ ausriefen"– Chinesen, die nicht zu 100 Prozent die Olympi-schen Spiele befürworteten. Die chinesische Regierung duldet Renrou Sousou bislang. Wohl nicht zuletzt, weil es die Wut der Ö#entlichkeit kanalisiert und beim Thema Korruption ein strukturelles Problem in Einzelfälle aufspaltet.

Renrou Sousoude.wikipedia.org/wiki/Renrou_Sousuo

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Braucht die Welt wirklich noch eine Petitionsplatt-form? Wir können doch schon über Avaaz und Change einfach, schnell und weltweit politische Forderungen verbreiten, Unterstützer finden und

Druck auf Politiker und Unternehmen ausüben?! Ja, aber das brasilianische Beispiel Meu Rio (Mein Rio) zeigt, dass Platt-formen mit lokalem Fokus unverzichtbar sind: Meu Rio verbin-det Online-Kampagnen mit Kollaborations-Tools und kann sich besser den örtlichen Anforderungen anpassen. So funktioniert digital-lokale Bürgerbeteiligung an der Copacabana.

Auf den ersten Blick scheint Meu Rio nur eine weitere Petitionsplattform zu sein. „Doch Online-Petitionen sind auf kommunaler Ebene nicht immer das richtige Werkzeug“, schreibt Meu-Rio-Gründerin Alessandra Orofino in einem Zeitungs-artikel. Viele Probleme und Anliegen sind speziell und lokal verankert, betre#en vielleicht nur einige Hundert Menschen in einem Viertel und können somit nicht die entsprechenden Zahlen aggregieren, um allein durch Unterschriften Druck auf-zubauen. Das tri#t vor allem auch dann zu, wenn eine Online-Petition die nächste jagt"– Vorsicht, Clicktivism! Meu Rio setzt deshalb auf Echtzeit-Kommunikation. Das Herz der Meu-Rio-Web-site ist das „Panela de Pressao“, der Schnellkochtopf, in den man als „Koch“ oder „Köchin“ sein Anliegen gibt und um Unterstützung wirbt.Jedes Anliegen wird vom Meu-Rio-Team überprüft, freigeschaltet und dem richtigen politischen Ansprechpartner zugeordnet. So wird auch wirklich nur jenen Politikern Dampf gemacht, die etwas verändern können. Das Team startet dann eine Sent-a-Message-Kampagne (Bürger können Politikern mit einem Klick vorformulierte Mails oder SMS schicken), organisiert Anrufe, macht auf Facebook und Twitter Druck oder kombiniert alles miteinander. Spannend ist, dass Meu Rio eben nicht nur on-line Unterschriften für eine Petition sammelt, die dem Politiker dann überreicht werden. Die Plattform organisiert den direkten Draht zum Politiker. Beispielsweise hat Meu Rio einen Algorithmus programmiert, der automatisch eine Telefonver-bindung zwischen den Unterstützern und dem Büro des Politikers herstellt, sobald die Leitung frei ist. So können auch schon einige Hundert Unterstützer, die nach-einander persönlich anrufen, deutlich machen, dass ihnen ein Anliegen wichtig ist.

Schulen schließen für die Fußball-WM? Meu Rio hilft!

Doch Meu Rio bietet mehr als kluge Online-Kampagnen. Die beiden Gründer Migu-el Lago und Alessandra Orofino sehen Meu Rio eher als Mobilisierungsplattform, die den lokalen Bezug und die Stärken digitaler Kommunikation auf innovative Weise verbindet. Wie der Name verrät, beschränkt sich das Engagement auf Rio de Janeiro"– ein Meu São Paulo ist in Planung. Der lokale Bezug ist dabei die große Stärke. Denn das Netzwerk an Unterstützern kann mehr beisteuern als nur Klicks für die eigene Stimme, wie folgendes Beispiel verdeutlicht.

Meu RioUnterwachung $ Insight

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Eine Erfolgsgeschichte, die Gründer Miguel (s."Foto oben) gern erzählt, ist die der Friedensreich-Schule. Das Gebäude steht in unmittelbarer Nähe des großen WM-Stadions Maracanã, und 2012 gab es regelmäßig Gerüchte, dass die Schu-le wegen Umbau-Maßnahmen in Vorbereitung der Fußball-Weltmeisterschaft geschlossen werden muss. Im September 2012 hatten die betro#enen Eltern ei-ne formale Petition mit 20.000 Stimmen bei Sergio Cabral, dem zuständigen „Governador“ für Bildung, eingereicht. In einem Brief versprach dieser daraufhin, dass die Schule nicht geschlossen wird. Als dann drei Wochen später die Medien verkündeten, dass die Bauarbeiten beginnen, startete eine lokale Protestwelle. Gemeinsam mit Eltern und Schülern rief das Meu-Rio-Team eine Kampagne ins Leben. Denn wenn es um prozessuale Probleme geht"– also um Kampagnen zur politischen Transparenz und Beteiligung"–, unterstützt das Team einzelne Anlie-gen mit besonderen Anstrengungen. Meu Rio hat dafür eine Liste von Kriterien erarbeitet. Projekte müssen unabhängig, überparteilich, ö#entlich, faktenbasiert, mobilisierend, kreativ, friedlich und dialogorientiert sein sowie mit den Themen Transparenz und Partizipation zu tun haben.

2.000 Unterwacher passen auf die Schule auf

Mit nur 600 Anrufen und begleitender Pressearbeit gelang es, noch mal so viel Druck zu erzeugen, dass Cabral einlenkte. Da zu dem Zeitpunkt Sommerferien in Rio waren, sorgten sich einige Eltern allerdings dennoch, schließlich wurde das Versprechen schon einmal gebrochen. Auf der Livestream-Überwachungsseite, eine Funktion, die Meu Rio ebenfalls für alle Projekte anbietet, haben fast 2.000 „Wächter“ abwechselnd sichergestellt, dass rund um die Schule nichts passiert. Als Unterstützer der Protestaktion konnte man so nicht nur seine Meinung kund-tun, sondern z. B. auch eine Stunde „Unterwachung“ spenden, indem man die Bilder der Live-Kamera im Auge behielt. Auch konnte man Teil des Netzwerks werden, das per Mausklick alarmiert werden kann, um vor Ort zu protestieren. Trotz der Ferien konnten die engagierten Bürger so sicherstellen, dass die Schu-le erhalten bleibt. (Und später ist Deutschland mit noch besserem Karma im Maracanã-Stadion Fußball-Weltmeister geworden, hurra!)Das Beispiel zeigt, was die Plattform interessant macht: Meu Rio bietet neben Pe-titionen weitere Werkzeuge, sogenannte „Aplicativos“. Für jedes Anliegen können

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diese unterschiedlich kombiniert werden. Zusätzlich zum Livestream gibt es die Möglichkeit, einen Watchblog einzurichten oder Verbesserungsvorschläge auf ei-ner Ideenplattform zu sammeln. Auf Meu Rio geht es also nicht nur darum, mit einem Mausklick dagegen zu sein"– der Vorwurf des Clicktivismus wird Petiti-onsplattformen oft gemacht. Meu Rio sorgt dafür, dass engagierte Unterstützer sich intensiv und am Ort des Geschehens einbringen können.

Was bringt der Stadt Big Data, wenn die Bürger nicht mitentscheiden können?

In den letzten zwei Jahren liefen über 200 Kampagnen mit mehr als 150.000 Unter-stützern auf Meu Rio. Durchschnittlich ein Drittel der Kampagnen ist erfolgreich. Wenn das Meu-Rio-Team sieht, dass mehrere Forderungen zu einem Thema for-muliert werden, bündeln sie diese und übernehmen manchmal auch das Agenda Setting. Leonardo Eloi, Kampagnendirektor, betreut dann auch mal die Ö#entlich-keitsarbeit und nutzt sein Journalistennetzwerk. Ein andauerndes Problem in Rio de Janeiro ist beispielsweise die Abwasserentsorgung"– vielleicht sogar das größte Infrastrukturproblem der 6-Millionen-Einwohner-Stadt. In der Vergangenheit ha-ben die Medien die Wasserverschmutzung allerdings nur dann thematisiert, wenn es die Strände betraf und damit zum sichtbaren Problem für alle wurde. Im Dezember 2013 startete Meu Rio deshalb den „Sommer der Abwasserentsorgung“. Insgesamt hat das Netzwerk sechs Kampagnen unter diesem thematischen Dach gestartet, um gemeinsam online mehr Druck zu erzeugen. Die Menschen haben Protestaktionen und Informationsveranstaltungen mithilfe der Plattform überall in der Stadt orga-nisiert. So wurde das Meu-Rio-Netzwerk sichtbar und bot den Medien verschiedene Anlässe zur Berichterstattung. (Ob das Engagement auch politische Konsequenzen hat bzw. das Wasser sauberer wird, muss sich noch zeigen.)Auch die Müllentsorgung oder die Preise für den ö#entlichen Nahverkehr sor-gen regelmäßig für Proteste und Ärger in Rio. Dabei gelten Rios Bürgermeister Eduardo Paes und die Stadtverwaltung als Vorreiter auf dem Weg zu einer digi-talen „smart city“, eines Konzeptes, das vor allem von großen Firmen wie IBM vorangetrieben wird. Mithilfe von Big Data, also massenhaft aggregierten Daten zu Verkehr, Wetter oder Wasserversorgung, sollen städtische Probleme besser und vor allem e$zienter gelöst werden. Das von IBM geförderte Rio Center of Operations ist ein gutes und eindrucksvolles Beispiel dafür. Ein Großteil der Be-völkerung sei allerdings auch von diesen Anstrengungen ausgeschlossen"– vor allem aber von den Entscheidungen, die getro#en werden, kritisiert Alessand-ra in einem Hu$ngton-Post-Beitrag. Genau das wollten sie und Miguel mit der Gründung von Meu Rio im Oktober 2011 ändern. Beide hatten sich nach einer längeren Zeit im Ausland dafür entschieden, nach Brasilien zurückzukommen. Miguel hatte in Paris studiert, Alessandra in New York und war dann in Kolum-bien bei Purpose, einem Inkubator und Accelarator, der unter anderem hinter dem Erfolg von Avaaz steckt.

Ob Reich oder Arm: Die Menschen unterstützen Meu Rio per Mitgliedsbeitrag

In ihren internationalen Netzwerken sammelten sie knapp eine Million US-Dol-lar Startkapital für die ersten zwei Jahre. Heute macht diese Finanzierung nur noch zehn Prozent aus. Im vergangenen Jahr bekam die Organisation 475.000 US-Dollar vom Omydiar Network und 500.000 US-Dollar von Google. Vor allem das Omydiar Network hilft auch beim Capacity Building dieses Social Business und versucht, gemeinsam mit den knapp zehn Mitarbeitern ein nachhaltiges

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Geschäftsmodell zu entwickeln. Nach der aktuellen Idee soll ein Mischung aus Crowdfunding und Mitgliedschaft die laufenden Kosten decken. Ca. 600 Unter-stützer zahlen schon monatlich im Schnitt umgerechnet fünf Euro. Die Hälfte dieser Unterstützer kommt aus den reichen Stadtteilen, aber immerhin 150 Un-terstützer kommen auch aus ärmeren Vierteln. Bis Ende 2014 will das Meu-Rio-Team die Zahl der Zahlenden auf 3.000 erhöhen (8.000 sind für eine langfristige finanzielle Unabhängigkeit nötig).Meu Rio bleibt spannend. Die Mischung aus Online- und O!ine-Beteiligung am politischen und zivilgesellschaftlichen Geschehen entwickelt sich weiterhin mit Schwung"– und das in einer der innovativsten Millionen-Städte Südameri-kas, die bereits als Silicon Beach bezeichnet wird. Das echte lokale Engagement scheint den Clicktivismus hinter sich zu lassen und den Graben zur O!ine-Welt zu schließen"– dank 150.000 engagierten Bürgern, die mitmachen.

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Silbersurfer

Die Digitalisierung der Silberhaarigen birgt ein großes soziales Potenzial für die gesamte Gesellschaft"– nicht zuletzt, weil der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung immer größer wird. In Deutschland sind derzeit rund 33 Millionen Menschen, also mehr als 40 Prozent der Bevölkerung, älter als 50 Jahre. Sie ge-hören nicht mehr zum „alten Eisen“, sondern zu den „Best Agern“: Ältere strot-zen vor Lebenslust, sind zufrieden, engagiert und fühlen sich im Durchschnitt zehn Jahre jünger, als sie sind (so charakterisiert die aktuelle Altersstudie der Generali die Mehrheit der 65- bis 85-Jährigen).

Sie skypen mit den Enkeln, organisieren ihr Ehrenamt mithilfe von Online-Plattformen, schreiben als Zeitzeugen für digitale Archi-ve und drehen YouTube-Tutorials übers Strudelrollen. Die Silver Surfer, Menschen über 50, sind im Internet unterwegs. Und sie werden immer mehr: Waren Anfang des Jahrtausends nur vier Prozent der über 60-Jährigen in Deutschland online, sind es 2013 bereits 43 Prozent. Bei den 50- bis 59-Jährigen liegt der Online-Anteil schon bei 83 Prozent. Auf vielfältige Weise wird das Internet zukünftig die Lebensqualität der Älteren verbessern.

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Die Best Ager fördern und fordern sich online

iele Unternehmen haben längst erkannt, dass altersgemischte Teams leistungsfähiger sind, da sich junge und ältere Mitarbeiter oft sehr gut ergänzen. Und wer sagt, dass mit der Pensionierung die Karriere vorbei sein muss? Eine zweite Karriere im sozialen Sektor vermittelt das „Encore Fellowship Network“ für pensio-

nierte Führungspersönlichkeiten großer Unternehmen. Für sechs bis zwölf Monate arbeiten sie in einer NGO und können so ihr wertvolles Wissen weitergeben. Wer sich als Rentner im Ausland engagieren möchte, kann sich über einen Freiwilli-gendienst wie „Volunteer 50plus“ für ein Jahr in einem Hilfsprojekt irgendwo auf der Welt einbringen.Auch für Bildung ist nach dem Beruf wieder mehr Zeit. Die „jungen Alten“ gehen immer öfter wieder zur Uni, zum Beispiel zur „Online Universität U3A“."Über das Universitätsnetzwerk können sie auch neue soziale Kontakte knüpfen. Und sie qualifizieren sich auch für neue Beschäftigungs- und Einsatzmöglichkeiten und bleiben damit länger aktive Teilnehmer der Gesellschaft.

Erinnerungen digital archivieren und spielerisch aktivieren

as Wissen der Älteren ist nicht nur von ökonomischem Wert: Historische Forschungs- und Storytelling-Projekte entdecken die Wissensschätze der Alten und spornen sie an, zu virtuellen Archi-ven beitzuragen. Auf dem Onlineportal „Gedächtnis der Nation“ erzählen über 1.000 Zeitzeugen von ihrer persönlichen deutschen

Geschichte des letzten Jahrhunderts und machen diese für die nachfolgenden Generationen zugänglich. So umfassend und kostengünstig war Zeitzeugenfor-schung noch nie.Die meisten Silver Surfer nutzen das Internet aber vor allem, um soziale Kon-takte zu pflegen: 94 Prozent der europäischen Onliner über 55 Jahre schreiben regelmäßig E-Mails, 60 Prozent sind in einem sozialen Netzwerk aktiv: Allein 1,98 Millionen Deutsche über 55 sind bei Facebook registriert. Und Netzwerke wie „Seniorbook“ wollen eine Kommunikationsplattform auch für jene sein, die sich auf den überladenen Facebook-Profilen mit dem vielen Denglisch nicht so gut zurechtfinden. Nachbarschaftsnetzwerke wie „The Circle“ oder „Contact the Elderly“ aus England ergänzen das Online-Angebot geschickt um O!ine-Aktivi-täten. Bei The Circle finden ältere Menschen Hilfe, wenn sie z.B. jemanden su-chen, der bei Gartenarbeit oder Einkäufen helfen kann. Und Contact the Elder-ly organisiert „Tea Times“ bei wechselnden Gastgebern"– inklusive Fahrdienst.

Wenn sich Alzheimer-Patienten verirren, hilft GPS, sie wieder-zufinden

in Drittel der Silver Surfer telefoniert über das Internet, z.B. mit Skype, vor allem, um mit der Familie Kontakt zu halten. Auch spezielle Tools für Omas und Opas gibt es schon: Das für Seni-oren entwickelte Modul „Speak Set“ hilft ungeübten Onlinern, Videogespräche ganz einfach über den Fernseher zu führen. Mit

der App „A Story before Bed“ können Großeltern ihren Enkeln per Video sogar aus der Ferne vorlesen. Und mit „Mindings“ können alle Familienmitglieder Fo-tos, SMS-Nachrichten und Kalendererinnerungen bequem vom Handy aus an die

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Oma zu Hause schicken. Diese Tools tragen dazu bei, ältere Familienangehörige regelmäßig in das aktuelle Familiengeschehen einzubeziehen.Verschiedene digitale Tools für Pfleger oder Familienangehörige helfen auch bei der Betreuung von Angehörigen: Die „Tweri Alzheimer Caregiver App“ verwendet eine geografische TrackingSoftware für das Smartphone des Betro#enen. Wenn er sich verirrt und aus einem bestimmten Radius entfernt, werden Angehörige automatisch über den letzten Standpunkt des Patienten informiert. Das System „Care@Home“ (noch in der Pilotphase) besteht aus einem Mix verschiedener technischer Module, z.B. einer App, einer Bedienerkonsole und Sensoren. Fa-milienangehörige werden auf dem Handy benachrichtigt, falls Hilfe gebraucht wird. Über die Konsole kann man auch miteinander sprechen. Zwar ersetzen diese technischen Hilfsmittel keine sachkundige Betreuung. Sie können aber die Familiensorgen in den Anfangsstadien von Altersverwirrung mildern. Und für die alten Menschen gilt: Vor allem in den ersten Stadien der Krankheit räumt die App ihnen noch eine gewisse Autonomie ein.

Auf dem Tablet mit dem Memory-Spiel aus eigenen Fotos De-menz bekämpfen

erade wenn körperliche Fähigkeiten im Alter nachlassen, können Apps und Online-Anwendungen hilfreich sein. Mit „VizWiz“ kön-nen sehbehinderte Menschen Antworten zu Gegenständen oder Räumen erhalten, die sie nicht mehr erkennen"– beispielsweise im Supermarkt. Die App versendet automatisch ein Bild an Helfer

im Web, die Rückmeldung zur jeweiligen Frage geben. Die App „VoiceReading“ verwandelt gedruckte Texte in Tondateien.Auch bei der individuellen Erinnerungspflege können digitale Tools helfen: Das digitale Kartenspiel „Memory Match“ macht aus eigenen alten Fotos ein Memory-Spiel für das Tablet. Auf diese Weise können Ältere die Erinnerung an wichtige Momente des eigenen Lebens trainieren. Das hat möglicherweise auch einen gesundheitlichen Wert: Gezieltes Gedächtnistraining kann dazu beitragen, den Krankheitsverlauf bei Demenz zu verlangsamen. So ist beispielsweise Dr. Kawa-shimas Gehirnjogging unter Senioren sagenhaft beliebt"– verspricht es doch eine dauerhaft bessere Gedächtnisleistung.

Tablets sind die besten Geräte für Alte

edikamente regelmäßig einzunehmen, Besuche beim Arzt und Schmerzen sind weitere Aspekte des Alterns. Apps wie „Arznei-wecker“ oder „Easy Pill“ erinnern an die Einnahme von Medika-menten und verwalten den Medikamentenvorrat. Auch Schmerz-tagebücher gibt es mittlerweile als App (z.B. „MyPainDiary“).

Bei „uMotif“ steht das Selbstmanagement des Patienten im Vordergrund. Er bzw. sein Pfleger sammelt alle Daten rund um seinen Gesundheitszustand und sendet

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Wenn sich Opa verirrt, werden die A ngehörigen automatisch über seinen GPS-Standpunkt informiert.

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diese an den behandelnden Arzt. Der kann zeitnah und fundiert mit Diagnosen und Empfehlungen darauf reagieren. Derzeit wird diese Anwendung in britischen Krankenhäusern getestet, vor allem mit Parkinsonpatienten.Damit die Chancen digitaler Tools genutzt werden können, müssen die bisherigen Nonliner ins Internet gelockt werden. Ältere Menschen zögern, sich digitale Wel-ten zu erschließen, weil es ihnen oft an Computerkompetenz mangelt und sie hohe Kosten bei Anscha#ung und Wartung der Hardware scheuen. Tablets können hier helfen. Die Handhabung ist im Vergleich zu „richtigen Computern“ intuitiver und einfacher. Es gibt schon viele gute Ideen, um Ältere an Tablets heranzuführen: Die Kampagne Grandparents gone wired des New Yorker Onlinekampagnenportals „dosomething.org“ belohnte Jugendliche mit einem Stipendium, wenn sie alte Men-schen im Umgang mit Tablet, Internet und Co. schulten. Die in Irland entwickelte App „Zilta“ verwandelt ein normales Tablet in ein altersgerechtes Gerät. Klare Menü- und Auswahloptionen sorgen für ein sehr überschaubares Menü mit nur sechs Unterpunkten, andere Inhalte bleiben im Hintergrund.

Online-Wettbewerbe wie „Wir versilbern das Netz“ der Organisation Wade sammeln und prämieren Ideen, mit denen Senioren fürs Internet begeistert werden. Die EU-weite Initiative „iAge“ bietet entsprechende Trainings- und Mentorenprogramme. Aber auch kleine Initiativen wie das „Mousemobil“ vom Diakonischen Werk oder das Tablet-Programm der Stiftung digitale Chancen, bei dem Senioreneinrichtungen Tablets mit Internetflatrate bekommen, er-leichtern den Einstieg ins Internet und tragen dezentral zur Verringerung der digitalen Kluft bei.

Chancen • Immer mehr Ältere gehen online. (Mitte des Jahrhunderts zäh-len die Digital Natives ohnehin schon zu den Senioren.)

• Online-Senioren sind ein Gewinn für die Zivilgesellschaft. So kann gezielte Weiterbildung von Senioren auch dazu beitragen, das Risiko der Altersarmut zu senken.

• Tools und Software können in Zeiten großer Familienmobilität die Silbersurfer zumindest online in die Familie integrieren.

• Der Seniorenalltag kann mit Apps einfacher gestaltet werden.• Krankheiten können mit digitaler Unterstützung lückenloser

begleitet werden, die Kommunikation zwischen Arzt und Pati-ent vereinfacht werden.

Risiken • Benachteiligung oder gar Isolation und Ausgrenzung droht, wenn es nicht gelingt, die digitale Kluft zwischen den Genera-tionen zu überwinden.

• Nicht alles, was für Senioren gemacht ist, muss auch gut für Senioren sein. Unter den vielen Angeboten für Silbersurfer ist auch viel Schrott.

• Senioren sind möglicherweise auch im Internet leichte Beute für Betrüger oder Datendiebe.

So umfassend und kostengünstig war Zeitzeugenforschung noch nie.

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• Digitale Tools können helfen, dürfen persönliche Fürsorge aber nicht ersetzen.

Fazit Digitale Technologien helfen Silbersurfern dabei, im Alter aktiv, unabhängig und integriert zu bleiben. Das soziale Potenzial ist groß, sowohl bezüglich der vielen Menschen, die davon profi-tieren, als auch im Hinblick auf die Anwendungsmöglichkeiten. Heute hat fast jeder Aspekt aus dem Alltag der meisten Men-schen eine digitale Komponente. Dieses große Potenzial gilt es nun auch für alte Menschen zu erschließen. Tablets, Smartpho-nes und andere Touch-Geräte eignen sich dazu besonders gut, da die Menüs und Bedienung leicht für Alte angepasst werden können. Trotzdem ist es wichtig, Senioren auf dem Weg in die digitale Welt zu begleiten und ihnen entsprechende Kompeten-zen beizubringen.

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Das Encore Fellowship Network (EFN) ermöglicht hoch qualifizierten älteren Mitarbeitern großer Unternehmen eine sinnstiftende zweite Karriere im sozialen Sektor. NGOs bekommen durch die-

ses Programm für sechs bis zwölf Monate einen zusätzlichen Experten an die Seite, der mit dem Blick von außen die Orga-nisation, ihre Struktur und Arbeit verbessert und unterstützt. 2009 mit zehn Fellows und neun NGOs gestartet, wuchsen die Encore Fellowships rasch zu einem Netzwerk von 200 Orga-nisationen in zwanzig amerikanischen Großstädten. Weil das Programm so gut ankam, entschloss sich Encore.org ein sogenann-tes Network-Scaling-Model zu entwickeln, mit dem das EFN sich weiterverbreiten konnte. Dabei funktioniert Encore.org als Hub für viele weitere Netzwerkmitglieder, die nach Bewerbung und Prüfung durch EFN ihr eigenes Fellowship inklusive Finanzie-rung und Bewerberbetreuung vor Ort aufbauen.

Encoreencore.org

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Mingings will ältere und technisch ungeübte Men-schen in die digitale Kommunikation ihrer Familien integrieren. Besonders auf einem Tablet hilft die App dabei, Online-Dienste wie digitale Kalender,

WhatsApp oder Instagram gewissermaßen zu übersetzen. Das funktioniert so: Die App überträgt Bild- und Text-Nachrichten aus den Social-Media-Anwendungen der Familienmitglieder, ohne die vielen verschiedenen Newsstreams anzuzeigen. Oberfläche und Bedienung sind sehr einfach gestaltet, denn die App zeigt nur eine Nachricht nach der anderen an"– schön groß und gut les-bar. Mit der Schaltfläche „Got It!“ gibt der Nutzer sein Okay und kann die Nachricht kommentieren. Das soll die älteren Verwand-ten ins digitale Familienleben einbinden und dient nebenbei dem Zweck, kontinuierlich Lebenszeichen voneinander zu erhalten.

Mindingsmindings.com

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Die „Tweri Alzheimer Caregiver App“ nutzt GPS, um Menschen zu orten, die sich verirrt haben. Entfernt sich der Alzheimer-Patient aus einem bestimmten Radius, meldet sein Smartphone

Angehörigen automatisch seinen Standpunkt. Der Verirrte kann auch selbst einfach einen Hilferuf versenden, auch wenn er noch im definierten Radius unterwegs ist. Die App hilft den Betreuern von Menschen mit Alzheimer-Krankheit und den Betro#enen selbst vor allem in den ersten Stadien der Krank-heit, da sie ihnen noch eine gewisse Autonomie einräumt. Ent-wickelt wurde die App unter anderem von der spanischen Ver-einigung der Alzheimer-Angehörigen.

Tweri Alzheimer Apptweri.com

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Digitale Nothilfe

2007 wurden zum ersten Mal digitale Daten systematisch genutzt, um eine Krise zu dokumentieren. Nach den Wahlen in Kenia waren dort bürgerkriegsähnliche Unruhen ausgebrochen. Um einen Überblick über die Lage zu bekommen, ent-wickelte die kenianische NGO Ushahidi einen SMS-basierten Krisenservice. Alle Kenianer wurden aufgefordert, Gewaltausbrüche per SMS an eine zentrale Num-mer zu melden. Diese Nachrichten erschienen dann auf einer digitalen Karte, die das Ausmaß der Gewalt verdeutlichte. Die Software wurde seitdem kontinuierlich weiterentwickelt und als Open-Source-Software zur Verfügung gestellt. Mittler-weile ist sie auch in anderen Krisen- und Katastrophenfällen verwendet worden.Zum Beispiel spielte Ushahidi 2010 beim Erdbeben in Haiti eine große Rolle, um die Lage vor Ort in Echtzeit analysieren zu können. Einer Gruppe weltweit verstreuter Engagierter gelang es, SMS von Betro#enen mit Social-Media-Mel-dungen zu kombinieren und so eine Detailübersicht der Lage zu erstellen. So wussten Helfer vor Ort, wo Menschen in Ruinen verschüttet waren, Hilfsgüter verteilt wurden und welche Straßen passierbar waren.

Drohnen liefern bei Überschwemmungen überlebenswichtige Daten, Krisenkarten unterstützen die Kommunikation von Hilfs-mannschaften und Apps geben Schutz-anweisungen, wenn der Hurrikan wütet. In der letzten Dekade hat sich die Nothilfe digitalisiert. Doch das ist erst der Anfang: Algorithmen und Software spielen eine immer wichtigere Rolle beim Erkennen von Krisen und deren Bewältigung.

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Big Crisis Data: Bessere Übersicht und Analyse der Krisensi-tuation

ie digitale Nothilfe entwickelt sich weiter: Als 2012 Hurrikan Sandy große Teile der USA verwüstete, konnten Helfer auf Apps und Krisenkarten zurückgreifen. Und immer mehr Apps ermög-lichen es, direkt Hilferufe auszusenden. So entwickelte die Agen-tur Iyiyun aus China anlässlich des Erdbebens in Lushan 2013

nicht nur interaktive, nutzergenerierte Karten, auf denen Kriseninformationen in Echtzeit hochgeladen werden konnten, sondern auch die „ Signalbombe“. Wenn Nutzer diese App in Notfällen aktivieren, werden Hilferufe sofort über verschie-dene soziale Netzwerke geschickt. Und 2013"– nachdem Taifun Haiyan auf den Philippinen wütete"– kamen zum ersten Mal Drohnen in einem Katastrophenge-biet zum Einsatz.Während einer Katastrophe kommen unglaublich viele Daten zusammen"– diese zu sinnvollen Informationen zu aggregieren, ist eine zentrale Herausforderung der digitalen Nothilfe. Patrick Meier von den Crisis Mappern sagt: „Haiti was our first battle with big data"– what I call big crisis data. We had hundreds of volunteers monitoring social media and news online and we were just completely overwhelmed.“Ein Beispiel aus einer Studie des Pew Institutes zeigt, dass die Qualitätskontrolle bei großen, invalidierten Datenmengen wichtig ist: Während des Hurrikans Sandy wurden eine halbe Million Fotos auf Instagram verö#entlicht und über 20 Millionen Tweets versandt. Aber nur 34 Prozent davon enthielten nützliche Informationen.

Daten werden massenhaft automatisch erzeugt"– sie zu über-prüfen ist viel Handarbeit.

ie neue Generation von Katastrophen-Tools basiert daher auf der Annahme, dass wir schnelle, automatisierte Systeme brauchen, um diese Datenmassen nützlich zu machen. Digitale Tools wie AIDR (Artificial Intelligence for Disaster Response) oder Twitris können Nachrichten aus dem Internet anhand von Schlagwör-

tern und Algorithmen bestimmten Kategorien zuordnen. Aus den Ergebnissen werden in Echtzeit Krisenkarten erstellt, auf denen das Ausmaß der Zerstörung kartiert wird und akute lokale Bedarfe aufgezeigt werden.Allerdings müssen die Ergebnisse immer noch durch Menschen überprüft wer-den: Tausende freiwillige digitale Katastrophenhelfer sichten, verifizieren, geo-referenzieren, übersetzen und analysieren die Krisen-Daten. In der Standby Task Force engagieren sich beispielsweise Menschen aus 95 Ländern, die 85 verschie-dene Sprachen sprechen.

Wandel in NGOs: Vom digitalen Misstrauen zu regem Interesse

a Software Fotos noch nicht automatisch lesen kann, müssen Menschen händisch beschreiben, was auf ihnen zu sehen ist. Ein-fach zu bedienende Tools wie ImageClicker helfen dabei. Dort geben die Freiwilligen auf einer Skala an, wie groß die Zerstörung ist"– das hilft dabei, die Wiederaufbauarbeiten besser zu koor-

dinieren. Um die Verwüstung durch Wirbelsturm Sandy besser einzuschätzen, durchforsteten Freiwillige der Organisationen Palantir und Team Rubicon Satel-litenaufnahmen der betro#enen Gebiete und taggten sie je nach Zerstörungsgrad.

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Viele der digitalen Krisenhelfer-Organisationen koordinieren sich im Dachver-band Digital Humanitarian Network. Das DHN dient auch als Anlaufstelle für etablierte humanitäre Organisationen"– von UN-OCHA bis zum Amerikanischen Roten Kreuz"–, die digitale Helfer für ihre Einsätze brauchen. Denn nach einer ersten Phase des Misstrauens haben UN-Organisationen und große NGOs gute Erfahrungen mit technologie-getriebenen Gruppen gemacht und arbeiten immer öfter mit ihnen zusammen. So hat das Amerikanische Rote Kreuz gemeinsam mit Dell ein Digital Operations Center erö#net, um die Kommunikation über soziale Netzwerke im Katastrophenfall besser steuern zu können.

Wenn’s die Regierung nicht hinbekommt, machen wir’s halt selbst

on den digitalen Medien profitieren nicht nur Nothilfeprofis. Auch Bürger können sich e#ektiver organisieren. Die Betro#e-nen sind ohnehin die Helfer der ersten Stunde und für etwa 90 Prozent der Hilfeleistungen verantwortlich. So haben sich zum Beispiel 2013, als weite Teile Deutschlands überflutet waren,

Tausende von Laienhelfern über Facebook und Google Maps koordiniert. In öf-fentlichen Gruppen wie „Fluthilfe Dresden“ oder „Deggendorf räumt auf“ verab-redeten sie sich zum Schleppen von Sandsäcken oder sorgten für Notunterkünfte.Aber nicht nur in Deutschland gibt es einen guten Grad an Selbstorganisation: Auf Java organisiert sich die Crowd bei einem Ausbruch des hochaktiven Vulkans Merapi unter anderem über Twitter, und zwar e#ektiver, als es ihre Regierung je vermochte. Mit dem hashtag #jalinmerapi informiert das selbst organisierte Katastropheninformationsnetzwerk über die nächsten Evakuierungsrouten, si-chere Unterkünfte, Trinkwasservorkommen und Mahlzeiten. Dadurch verschiebt sich auch Macht, was nicht alle Hilfsorganisationen befür-worten: Denn je öfter Bevölkerungen sich selbst Informationen, Gelder, Kleidung, Baumaterialien oder Essen besorgen, desto häufiger konkurrieren sie mit den Leistungen etablierter Hilfsorganisationen und machen diese teilweise überflüssig.

Wer Twitter und Facebook beobachtet, ist schneller vor Ort

ehörden und Hilfsorganisationen nutzen auch immer öfter soziale Medien, um direkter mit Betro#enen zu kommunizieren. So ver-folgte die philippinische Regierung 2012 eine Social-Media-Stra-tegie im Vorfeld von Taifun Pablo: Sturmwarnungen wurden über Radio, TV und das o$zielle Twitterkonto der Regierung (@govPH)

verbreitet. Mit dem o$ziellen Twitter-Hashtag #PabloPH versehene Mitteilungen wurden auf einer Karte angezeigt und dienten UN-OCHA zur frühzeitigen Scha-denserkennung. Diese Kommunikationsstrategie erwies sich als sehr erfolgreich, da sie Medien verwendete, die bei der Bevölkerung sehr populär sind.Auch die US-Katastrophenbehörde FEMA nutzt soziale Netzwerke, um zeitnah über Notfälle informiert zu sein, aber auch um schneller Informationen an betro#ene

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Big Data kann Naturkatastrophen und Krankheitsepidemien vorhersagen.

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Bevölkerungen zu verschicken. Während der Wirbelsturmsaison sind FEMA-Ret-tungsteams dank des Social Media Monitorings durchschnittlich 12 bis 24 Stunden schneller als zu O!ine-Zeiten in den betro#enen Regionen. Und die UN brauchen für einen ersten Lagebericht heute nur noch zwei statt fünf bis sieben Tage.

Das Orakel-Potenzial von Big Data zur Krisenvorhersage nutzen

witter selbst hat das Nothilfe-Potenzial seines Netzwerks erkannt und startete 2013 die twitter alerts. Darüber können Menschen den Nachrichten auf verifizierten Konten folgen und laufen nicht Gefahr, Fehlmeldungen und Gerüchten zu erliegen.Doch schon bevor es zu Katastrophen kommt, können digitale

Medien wirksam werden. Denn Big Data kann als Seismograf für anbahnende Krisen wie Naturkatastrophen oder Krankheitsepidemien fungieren. Die UN-Organisation Global Pulse sammelt zum Beispiel Daten aus sozialen Netzwerken und von Mobilfunkanbietern. Und die World Meteorological Organization nutzt ein weltweites Geflecht aus Satelliten, Wetterstationen und Kommunikations-zentren, um hydrologische und seismografische Risiken zu berechnen und die bedrohte Bevölkerung frühzeitig warnen zu können.

Chancen • Nothelfer bekommen schneller Informationen zu Krisen und können schneller reagieren. "

• Nothilfe kann durch Kartografie der Schäden, Bedarfe"und Hilfsleistungen besser koordiniert werden.

• Betro#ene und Helfer können sich unabhängiger und besser selbst organisieren.

Risiken • Weniger digitalisierte Bevölkerungsgruppen"– Arme, Landbe-wohner, Frauen, Kinder"– könnten übersehen werden (Digital Divide).

• Während Katastrophen brechen Kommunikationstechnologien oft zusammen. Es gilt, Alternativen zur Hand zu haben.

• Gefahr der Falschinformation: Während des Hurrikans Sandy kursierte das Gerücht, Haie schwämmen auf dem Broadway.

• Viele Beamte und NGO-Mitarbeiter sind im Bereich Social Me-dia und digitale Werkzeuge nicht ausreichend geschult.

Fazit Im Vergleich zu anderen Bereichen des sozialen Engagements hat sich die Nothilfe sehr schnell digitalisiert. Das liegt einerseits an der Dringlichkeit von Katastrophen, andererseits sind große Hilfsorganisationen und Regierungsbehörden mit relativ großen Budgets ausgestattet. Nachdem kleine Initiativen wie Ushahidi Innovationen hervorgebracht und getestet haben, haben die Gro-ßen ihre Skepsis gegenüber digitalen Anwendungen abgelegt. Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft arbeiten in die-sem Bereich erstaunlich gut zusammen. Auch die Bevölkerung greift im Katastrophenfall immer öfter auf Online-Plattformen und soziale Medien zurück und emanzipiert sich dadurch von Regierungsbehörden und NGOs. Diese flexiblen Netzwerke re-agieren erstaunlich gut auf Katastrophen und erhöhen die Re-silienz der in der Umgebung lebenden Gesellschaft.

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Mit dieser App taggen und bewerten digitale Katast-rophenhelfer Bilder von Schäden in Krisengebieten. Zuletzt war die App nach dem Tropensturm Yolanda im Einsatz. Hat man sich als Volunteer registriert,

werden einem automatisch Tweets oder Facebook-Posts mit Bil-dern geschickt, die man auf einer Skala nach Zerstörung und Relevanz bewertet. Das hilft den Einsatzkräften vor Ort, Priori-täten zu setzen, was gerade in Zeiten hoher Dringlichkeit sehr wichtig ist. Mit dieser App kann prinzipiell jeder zu einem Kri-senhelfer werden: 244 Freiwillige haben bisher an dem Projekt teilgenommen und mehr als 1.500 Aufgaben erledigt.

Image Clickercrowdcrafting.org/app/MM_ImageClicker/

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Mit der Mobile Disaster Relief App können Katast-rophenhelfer ihren Standort markieren, Fotos vom Ausmaß des Problems hinzufügen und notieren, welche Ausrüstung und wie viele Helfer benötigt

werden. Logistik und Absprachen lassen sich über die App sehr viel leichter koordinieren. Die Leute von Hurricane Hackers, Wavesforwater.org und 1love.org haben Mobile Disaster Relief in einem dreitägigen Hackathon (siehe Trend Hackathon S.13) nach dem Hurrikan Sandy entwickelt.

Mobile Disaster ReliefMobile Disaster Relief gibt’s im Appstore von Apple.

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Ob es in Kiew stürmt, in Nijmegen die Erde bebt oder in Austin, Texas ein Großbrand wütet: In sozialen Medien berichten Menschen live darü-ber. Doch angesichts der Fülle von Nachrichten ist

es wichtig, relevante Infos aus dem allgemeinen Social-Media-Rauschen herauszufiltern. Twitcident kann das: Die App aus den Niederlanden ist eine webbasierte Anwendung, die Twit-ter-Nachrichten in Echtzeit filtert und in zuverlässige Infos und Updates für Kommunen, Polizei oder Rettungsdienste verwan-delt. Tweets können zum Beispiel nach Ort oder Schlagwort gefiltert werden. So verhinderte Twitcident bei der jährlichen Benefiz-Veranstaltung „Serious Request“ in Enschede ein Ver-kehrschaos und Menschenaufläufe, indem es Twitter-Meldun-gen auswertete und die Veranstalter darauf reagierten. Die App kam bisher vor allem bei Massenveranstaltungen in Holland zum Einsatz und ist noch nicht ö#entlich verfügbar.

Twitcidenttwitcident.com

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Bauern empowern

In Ländern Subsahara-Afrikas wird das Bruttoinlandsprodukt durchschnittlich zu einem Drittel von der Landwirtschaft getragen. Und ein Viertel aller Beschäf-tigten arbeitet in der Landwirtschaft. Doch landwirtschaftliche Regionen sind meist durch extreme Armut geprägt. Und um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, muss die Lebensmittelproduktion bis zum Jahr 2050 um 70 Prozent steigen. Dabei spielen nicht nur multinationale Großkonzerne eine Rolle. Viel wichtiger ist, dass die vielen Subsistenz- und Kleinbauern weltweit produktiver werden und nicht noch weiter hinter die technische Entwicklung der Großen zurückfallen. Sie müssen konkurrenzfähig werden. Digitale Werkzeuge können dabei helfen.

Ob Wetterbericht auf dem Handy, Online-Märkte oder Apps, um Kühe zu managen: Heute ernten Kleinbauern in ärmeren Ländern immer mehr Früchte der digita-len Innovationen und emanzipieren sich so von Mittelsmännern und großen Unter-nehmen. Ein Handy mit Empfang bedeutet auch für Kleinbauern, Wissensmonopo-le aufbrechen zu können. Dieses Wissen ist wichtig, damit die Ernten der Kleinen größer ausfallen. Und das trägt zum Empowerment der Produzenten am Fuße der Wohlstandspyramide bei.

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In den letzten Jahren ist der Gebrauch von Handys in ländlichen Gebieten stetig gewachsen: Zwar ist es schwer, verlässliche Zahlen zu finden, aber man weiß, dass 90 Prozent der Weltbevölkerung mit Mobilfunk versorgt sind. In Entwicklungs-ländern haben zwei von drei Menschen einen Mobilfunkvertrag. Handys haben viele neue Möglichkeiten mit sich gebracht, von denen in der letzten Zeit die Menschen vor Ort zahlreiche Innovationen zur Marktreife gebracht haben, um ihr Leben zu erleichtern. Der Markt der digitalen Innovationen für die Landwirt-schaft ist bereits gut ausgereift. Zu den etwas älteren Unternehmen gesellen sich nun auch mehr und mehr junge Start-ups, wodurch der Wettbewerb zunimmt.

Wissen ist der beste Dünger

m Kleinbauern das landwirtschaftliche Leben leichter zu machen, ist es wichtig, dass sie die richtige Information zum richtigen Zeit-punkt bekommen. Das Medium erster Wahl ist hier das Handy. Das klassische Beispiel sind Informationen über aktuelle Marktpreise. Normalerweise verkauft ein ländlicher Bauer seine Erzeugnisse

an einen lokalen Händler, der diese dann in eine Stadt bringt, um sie dort weiter-zuverkaufen. Das Problem ist allerdings, dass der Bauer nicht weiß, ob der Preis des Zwischenhändlers fair ist, da er ja keinen Überblick über die Preise auf dem Markt hat. Services wie Esoko, 2005 in Ghana gegründet, oder Reuters Market Light, 2007 in Indien gegründet, schließen diese Wissenslücke. 150.000 Bauern in zehn Ländern informieren sich mit Esoko über Marktpreise, 1,2 Millionen mit Reuters Market Light. Diese mittlerweile großen internationalen Firmen bekom-men nun auch Konkurrenz durch kleinere und lokale Start-ups wie Habari Mazao. „Es hilft einem Kleinbauern aber nicht, die Preise seiner Erzeugnisse in der Stadt zu kennen, wenn er nicht dorthin fahren kann, um sie zu verkaufen“, meint Edi-son Gbenga Ade, Gründer von AgriPro Hub. Das Start-up ho#t, internationaler Online-Marktführer für Produzenten und Großhändler zu werden. Der bereits etablierte Big Player Farmforce macht etwas Ähnliches, indem er Landwirte da-bei unterstützt, ihre Erzeugnisse zu bündeln und Gewinne zu teilen, sobald ein Käufer gefunden wurde.

iCow: Kuh-Management mit dem Handy

raktische Informationen spielen auch eine wichtige Rolle, wenn Kleinbauern produktiver werden wollen. Tipps und Tricks zum Anbau der verschiedenen Nutzpflanzen sind zwar etwas schwie-riger zu vermitteln"– besonders wenn nur SMS als Kanal vor-handen ist. Doch das ghanaische Start-up FarmerLine hat eine

Lösung gefunden: Sprachnachrichten in den lokalen Sprachen statt SMS"– so wird auch die Hürde des Analphabetismus umgangen. Digital Green hingegen verbreitet landwirtschaftliches Wissen in Indien durch Videos, die dank kleiner tragbarer Projektoren noch das kleinste Dorf erreichen.

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150.000 Bauern in zehn Ländern infor-mieren sich mit Esoko über Marktpreise.

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In Kenia können Viehzüchter mit dem Service iCow Informationen zu ihrer Herde eingeben und sie bekommen personalisierte Updates und Reminder, etwa zum Melken und Impfen. Und in Tansania benutzen Ka#ee-Genossenschaften die digi-tale Buchführungs-Hilfe Co#ee Transparency: Die alte Zettelwirtschaft war kaum mobil, aber nun schicken sich die Bauern ihre Verkaufsdaten und Betriebskosten per Handy. Das macht nicht nur die Produktion e$zienter, sondern ist auch ein praktisches Format, um bei Banken nach Krediten zu fragen.Farmable ist ein weiteres Beispiel und nennt sich eine „Crowdfarming Revoluti-on“. Crowd-Investing tri#t es besser: Leute können kleine Summen in eine Kuh investieren. Nachdem die Kuh ausgewachsen war, geschlachtet und ihr Fleisch verkauft wurde, bekommen die Mikroinvestoren ihre Dividende. Farmable ar-beitet auch mit RFID-Chips, dank derer die Bauern ihre Herde online verfolgen können (u.a. Diebstahlschutz).

Handy als Fernbedienung für Wasserpumpen

benfalls von zentraler Bedeutung für den Ertrag: das Wetter und seine Vorhersage. Besonders jetzt, da der Klimawandel für Un-regelmäßigkeiten sorgt, müssen Bauern auf Dürre, Regengüsse oder Stürme vorbereitet sein. Ein Beispiel der vielen SMS-Wet-terdienste ist WeatherSafe. Das Start-up aus dem Gründerzen-

trum der European Space Agency (ESA) analysiert Daten von Wettersatelliten und sendet lokale Vorhersagen per SMS an Ka#eebauern. Kilimo Salama hat es sogar gescha#t, unbemannte, vernetzte Wetterbeobachtungsstellen mit mobilen Zahlungsmöglichkeiten zu kombinieren, um Kleinbauern Mikroversicherungen gegen schlechtes Wetter anzubieten.Mit dem in Indien mittlerweile recht weit verbreiteten Nano Ganesh können Land-wirte ihre Bewässerungsanlagen über ihr Handy steuern. Das bedeutet, dass sie weniger Zeit und Geld für Mobilität aufbringen müssen und gleichzeitig besser mit mangelhafter Stromversorgung umgehen können.

Bauernverbände: Mehr Wumms durch Multiplikatoren

in klarer Trend, der sich bei den Informationsdiensten für Klein-bauern abzeichnet, ist die Alles-in-einem-Lösung: Marktpreise werden zusammen mit Wettervorhersagen und Ratschlägen zum Anbau etc. in einem Paket verschickt. Doch nur wenige Anbieter sind in direktem Kontakt mit den Bauern. Die meisten Online-

Anbieter gehen über landwirtschaftliche Verbände. Die Verbände wirken oft als wichtige Multiplikatoren: So wurde Esoko nicht für die Bauern, sondern für die Verbände entwickelt, die den Service dann streuen. Dank Esoko können die Verbände auch zentral gesteuert Botschaften auf die Handys ihrer Mitglieder schicken. In Guinea Bissau half das vor Kurzem, um koordiniert auf eine Pest reagieren zu können.Außerdem lassen sich über die Verbände kostengünstig viele Bauern erreichen. Da die Produkte für die Kleinbauern bezahlbar sein müssen und deshalb ent-sprechend günstig sind, wäre ein Vertrieb per Einzelansprache nicht rentabel. Scha#en es die Anbieter aber, eine gewisse kritische Masse für ihren Service zu gewinnen, arbeiten sie sogar profitabel und erzielen gleichzeitig indirekt eine soziale Wirkung, da sich die Lebensumstände vieler Menschen verbessern.

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Chancen • Kleinbauern sind die Produzenten am Fuße der Wohlstands-pyramide. Digitale Innovationen sind hier gut skalierbar und können breit wirken.

• Dank der Infrastruktur der landwirtschaftlichen Verbände müssen Bauern nicht einzeln akquiriert werden. Innovationen können deshalb zum kleinen Preis angeboten werden und sich schnell verbreiten.

• Bauern empowern bedeutet, Armut dort zu bekämpfen, wo sie besonders weit verbreitet ist. Wirtschaftlich erfolgreichere Kleinbauern können zu einer langfristigen Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Menschen beitragen.

Risiken • Wissen ist nur Mittel zum Zweck. Wenn ein Bauer beispielswei-se den Marktpreis kennt, nützt ihm das wenig, wenn er seine Erzeugnisse nicht zum Markt transportieren kann.

• Viele Kleinbauern sind Analphabeten"– abgesehen von ihren technischen Kompetenzen. Ohne grundlegende und technische Bildung bleibt das Potenzial der digitalen Werkzeuge an vielen Stellen ungenutzt.

• Digital Divide: Um anspruchsvoller internetbasierte Dienste anbieten zu können, muss die Internetinfrastruktur in ländli-chen Gegenden ausgebaut werden.

• Steve Wiggins vom Overseas Development Institute schätzt, dass zukünftig nur einer von drei Kleinbauern von der kom-merziellen Landwirtschaft wird leben können. Deshalb muss, um langfristig den Menschen am unteren Ende der Wohlstands-pyramide zu helfen, das Wirtschaftswachstum unbedingt auch in anderen Bereichen gefördert werden.

Fazit Das Internet ist in ländlichen Gebieten zwar immer noch nicht weit verbreitet, Handys aber benutzen die Menschen in fast je-dem Winkel der Welt. Deshalb basieren die meisten Angebote für Kleinbauern auf SMS oder Sprachnachrichten. Inhaltlich geht es darum, die Produktivität zu steigern, Management und Logis-tik zu verbessern oder die Marktpreise transparent zu machen. Immer mehr große Stiftungen und auch die staatliche Entwick-lungszusammenarbeit erkennen, dass digitale Werkzeuge großes Potenzial haben, wenn es darum geht, Bauern zu empowern. Die erste Welle der Feature-Phone-Anwendungen (internetunabhän-gig) schwappt gerade über die Äcker der Kleinbauern in ärmeren Ländern. Die zweite Welle der internetbasierten Anwendungen für Smartphone und Co. wird weit ausdi#erenziertere Apps mit sich bringen. Doch dazu muss das Internet noch weiter in die ländlichen Gebiete vordringen.

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Die Produktion von Ka#ee ist aufwendig und dau-ert von der Ernte bis zum Verkauf der Bohnen mehrere Monate. Deshalb müssen viele Ka#ee-Kooperativen große Finanzierungslücken über-

brücken."Co#ee Transparency, ein Projekt der NGO Tech-noServe, hilft Kooperativen in Tansania, Kenia, Ruanda und Äthiopien bei der Buchhaltung und dem Zugang zu Krediten. Der Buchhalter der Kooperative sendet regelmäßig SMS (kos-tet ca. 0,03 Cent/SMS) mit Informationen zum Absatz, zu den Einnahmen, zur Verwendung des Kapitals und zum Lagerbe-stand. Die Daten werden automatisch in eine Datenbank ein-gepflegt und den Kapitalgebern auf einer Online-Plattform"in Echtzeit zugänglich gemacht. Das ermöglicht den Banken, die Rentabilität der Ka#ee-Produzenten einzuschätzen und ent-sprechend informiert Kredite zu vergeben.

Co#ee Transparencyco(eetransparency.com

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Esoko (früher TradeNet) ist ein Pionierdienst im Bereich der SMS-Marktpreis-Informationen. Das For-Profit-Unternehmen ist seit 2005 beeindru-ckend gewachsen"– sowohl geografisch als auch mit

Blick auf die angebotenen Dienstleistungen"– ein Paradebeispiel des „Bundling“. Esoko ist heute in zehn afrikanischen Ländern tätig und kooperiert mit zahlreichen NGOs und EZ-Agenturen. Es gibt Dienstleistungen für Kleinbauern (etwa eine Ratgeber-hotline) und für Verbände (SMS-Umfragen unter Mitgliedern und Networking-Werkzeuge). Laut eigener Schätzung erreicht Esoko 150.000 Kleinbauern (Stand: Februar 2014).

Esokoesoko.com

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Für indische Bauern ist es recht mühselig, ihre Felder zu bewässern: Den Strom für die Pumpen gibt es meistens nur nachts, und die Wege zu den verschiedenen Feldern sind oft lang und gefähr-

lich. Wenn sie aber nachts ständig zu den Feldern laufen müs-sen, um die Pumpen zu bedienen, können die Bauern tagsüber nicht auf den Feldern arbeiten oder ihre Waren verkaufen. Dieses Problem beobachtete der indische Ingenieur Santosh Ostwal auch bei seinem Großvater, der durch ein amputiertes Bein zusätzlich eingeschränkt war: Santosh entwickelte darauf-hin"Nano Ganesh, einen"kleinen Kasten, mit dem Bauern per Handy die Pumpen an- und ausschalten können. Über Tonsi-gnale können auch Analphabeten hören, ob es gerade Strom gibt, und mit einem Code die eigenen Pumpen ansteuern. Mehr als 15.000 Bauern nutzen das Gerät schon, das je nach Aus-stattung zwischen acht und 80 Euro kostet. 2009 gewann San-tosh den"Nokia Calling All Innovators Award"– mittlerweile verhandelt er mit Investoren und Ministerien verschiedener indischer Bundesstaaten, um Nano Ganesh für alle Bauern im Land zugänglich zu machen."

Nano Ganeshnanoganesh.com

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Digital Green ist Indiens erfolgreichste Organi-sation, die partizipative Lehrvideos für und mit Bauern produziert. Damit revolutioniert sie die traditionelle Hilfsindustrie, die mit Fortbildungen

für ländliche Kleinbauern, altmodischen Top-Down-Prozessen und Formularbergen zwar viel Aufwand, aber nicht unbedingt viel Wirkung erzeugt hat. Digital Green kooperiert mit beste-henden Organisationen und hilft ihnen, ihre Arbeit mit digi-talen Mitteln zu optimieren.

Trotz des großen IT-Sektors ist Indien noch immer ein Bauernstaat: 120 Millionen landwirtschaftliche Betriebe gibt es im Land, die meisten davon sind kleine Ein-familienbetriebe. Diese Familien sind meistens nur wenig gebildet und haben kei-nen Zugang zu modernen Anbautechniken oder Erfolgsbeispielen, von denen sie lernen könnten, ihre Erträge zu erhöhen oder natürliche Ressourcen zu schonen. Deshalb gibt es in Indien schon lange die Agricultural-Extension-Programme"– groß angelegte Weiterbildungsprogramme für Kleinbauern, bei denen landwirt-schaftliche Berater in die Dörfer kommen und die besten Anbaumethoden vermit-teln. Doch obwohl das indische Landwirtschaftsministerium über 100.000 dieser Berater beschäftigt, haben immer noch viele Bauern keinen Zugang zu diesen Informationen, besonders die kleinen Landwirte in entlegenen Regionen. Das liegt daran, dass die Berater in jedes Dorf einzeln fahren und es ihnen nur schwer ge-lingt, die traditionell eingestellten Bauern von neuen Methoden zu überzeugen.

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Mit Kuh-Urin Insekten vertreiben

Diese Probleme der Akzeptanz und Skalierbarkeit löst die Non-Profit-Organisa-tion Digital Green mit lokal produzierten Videos und digitaler Technologie: Die landwirtschaftlichen Berater filmen gemeinsam mit den Bauern Videos, in denen sie erfolgreiche Methoden vorstellen, zeigen diese in den Dörfern und setzen eine speziell angepasste Software zur Dokumentation und Analyse ihrer Arbeit ein. Partizipativ produzierte Videos sind nicht nur anschaulicher und lebensnäher für die Bauern, sondern haben auch eine höhere Umsetzungsrate. Die Annahme vieler Bauern lautet nämlich: Was im Fernsehen gezeigt wird, muss richtig sein, besonders, wenn ein erfolgreicher Bauer aus dem Nachbardorf es vormacht. So erklärt etwa ein Bauer aus Madhya Pradesh, wie man Insekten mit Kuh-Urin vertreibt. Und seine Kollegen erfahren auf Hindi, wie viel Wasser Auberginen brauchen, auf Malayalam, welches das beste Futter für welche Hühner ist, und in der Regionalsprache Kannada, wie sie das Saatgut am besten vorbereiten. Die Informationen sind besonders praktisch, da sie auf ihre lokalen Gegebenheiten abgestimmt sind.

Eine Million Bauern in 11.000 Dörfern sollen profitieren

Die Idee für die regional produzierten Videos hatte Rikin Gandhi, 33, der bei Microsoft Research India’s Programm „Technology for Emerging Markets“ an landwirtschaftlichen Beratungsthemen forschte. Der in den USA aufgewachse-ne Inder gründete Digital Green 2008 auf Basis seiner Forschungsergebnisse. Finanziert werden die Programme nicht von den Bauern selbst, sondern von verschiedenen internationalen Stiftungen wie der von Bill und Melinda Gates, der Vodafone Foundation India, der indischen Deshpande Foundation und dem britischen Entwicklungshilfeministerium (DFID). Mittlerweile arbeitet Digital Green auch mit der Natural Rural Livelihood Mission (NRML), einer Initiative des indischen Ministeriums für ländliche Entwicklung, zusammen und kooperiert mit den Regierungen mehrerer Bundesstaaten, um die Video-Methode in deren Weiterbildungsprogramme für Bauern zu integrieren. Vor Ort kooperiert Digital Green mit 20 kleineren Nonprofits, die die staatlichen Fortbildungsprogramme umsetzen und Berater in die Dörfer schicken. Auf die-se Weise haben sie bislang 4.300 Dörfer erreicht und 260.000 Videoscreenings veranstaltet. 450.000 Tipps und neue Methoden wurden bereits umgesetzt, seit Digital Green 2008 mit der Aufzeichnung begonnen hat. Bis 2015 wollen sie eine Million Bauern in 11.000 Dörfern erreichen.

Dank COCO funktioniert die Erfolgsanalyse auch o!ine

So funktioniert Digital Green im Detail: Die landwirtschaftlichen Berater der Partner-NGOs bekommen von Digital Green zunächst eine zehntägige Ausbildung, in der sie lernen, wie sie gemeinsam mit den Bauern Inhalte entwickeln, Videos drehen, schneiden und Software und Geräte von Digital Green nutzen können.

Die Annahme vieler Bauern: Was im Fernsehen gezeigt wird, muss richtig sein.

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Dann identifizieren sie mit den Bauern relevante Themen und Erfolgsbeispiele und erstellen vor Ort in den Communitys Lehrvideos. Diese sind dann im regi-onalen Dialekt und an die lokalen Gegebenheiten angepasst, damit die Bauern vor Ort die Tipps auch direkt umsetzen können. Diese Videos werden in bestehenden Dorf- und Bauern-Netzwerken von den Mit-arbeitern der NGOs gezeigt und die Inhalte gemeinsam besprochen. Dafür haben sie den von Digital Green bereitgestellten Pico-Projektor (s."Foto S."102), einen batteriebetriebenen Beamer mit Lautsprechern, dabei, auf dem die Videos ge-speichert sind. Die Mitarbeiter der Partner-NGOs tragen ihre Ergebnisse"– also welche Videos sie wie vielen Menschen gezeigt haben und welche Tipps von wem umgesetzt wurden"– in die Connect-Online-Connect-O!ine-Software COCO von Digital Green ein. Dafür nutzen sie Smartphones, Tablets oder auch Desktop-computer. Sobald das entsprechende Gerät Internetzugang hat, läd COCO die Informationen automatisch auf die Server von Digital Green hoch. Sreenivas Reddy, 25, Software-Entwickler von Digital Green, erklärt: „Da wir meist in Dörfern ohne Internetzugang und Elektrizität arbeiten, brauchten wir ein System, das auch o!ine funktioniert. Wir haben dafür die Open-Source-Technologie von Google o!ine verwendet, und unsere Software ist auch jedem frei zugänglich.“ So wissen die Mitarbeiter von Digital Green in der Zentrale zeitnach, welche Videos gut funktionieren und wo die Berater vor Ort noch Än-derungen vornehmen müssen.Die Strategie von Digital Green ist aus drei Gründen besonders erfolgreich:

• Digital Green entwickelte kein neues System mit eigener Lo-gistik und Verwaltung, sondern unterstützt und verbessert das bestehende System der Agricultural Extensions mithilfe von digitalen Technologien. 80 Prozent der Arbeit ist weiterhin die analoge Arbeit von Menschen mit Menschen vor Ort, 20 Pro-zent ist unterstützende Technologie. „Wir helfen mit Technik und Know-how, damit unsere Partner besser arbeiten können“, sagt Deeptha Umapathy, Managerin für Forschung und Ent-wicklung bei Digital Green.

• Die Bauern vor Ort sind an der Produktion und Weiterentwick-lung der Lehrvideos beteiligt. Damit sind die Inhalte für sie relevant, gut verständlich und von Menschen gemacht, denen sie vertrauen"– das ist nicht nur beispielhafte Hilfe zur Selbst-hilfe, sondern erhöht mit der Akzeptanz auch signifikant die Zahl der Umsetzungen der gezeigten Tipps.

• Die Methoden von Digital Green wurden wissenschaftlich un-tersucht und als zehnmal so e$zient wie traditionelle land-wirtschaftliche Beratungsprogramme bestätigt. Diese wissen-schaftliche Untermauerung der Arbeit hat es der Organisation erleichtert, mit Geldgebern und lokalen Regierungen zusam-menzuarbeiten, bei denen oft die nachgewiesene E$zienz und Wirkung Voraussetzung für Kooperationen ist.

Mittlerweile arbeiten bei Digital Green über 60 Mitarbeiter, und die Organisation überträgt ihr Erfolgsmodell gerade auch testweise auf neue Gebiete in Subsahara-Afrika. Lakshmi Iyer, Direktorin der Afrika-Programme von Digital Green, dazu: „Wir expandieren nach Ghana, Tansania, Mosambik und Äthiopien. Dort kooperieren wir mit dem DFID, dem britischen Ministerium für internationale Entwicklung, und den jeweiligen

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Landwirtschaftsministerien. Wir wollen hier erst einmal verste-hen, was die speziellen Probleme und Themen sind, bevor wir loslegen.“ Auch wenn sich das Erfolgsmodell von Digital Green nicht direkt auf die deutsche Landwirtschaft übertragen lässt"– nur wenige moderne Agrarökonomen haben Bedarf an neuen Anbautipps"–, ist der Ansatz und die Struktur der Stiftung doch spannend:• Analoge Prozesse werden da digitalisiert, wo es sinnvoll ist. Die

Videotechnik wird ausschließlich zur Unterstützung und Op-timierung bestehender Strukturen eingesetzt. Ließe sich das nicht auf einige Prozesse in der Nothilfe oder der Altenpflege übertragen, um nur zwei Beispiele zu nennen?

• Die Software COCO ist online und o!ine nutzbar und hilft, eine dezentrale Organisationsstruktur zentral zu überwachen und zu analysieren. So kann Digital Green schlanke Strukturen bewahren und aus der Zentrale heraus agieren, ohne ständig im Feld arbeiten zu müssen.

• Alle Prozesse von Digital Green sind darauf ausgerichtet, mehr soziale Wirkung zu erzielen, also mehr Bauern hervorzubrin-gen, die ihre Lebensumstände dank produktiverer Landwirt-schaft verbessern. Und die einfach dargestellte Wirkung"– zehn-mal so e$zient!"– hilft Spendern, Investoren und Interessierten, die Arbeit der Organisation besser zu verstehen.

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Facebook fürs Gute

Im März 2014 hatte Facebook mehr als 800 Millionen aktive Nutzer, das sind fast 12 Prozent der Weltbevölkerung. Davon sind über 80 Prozent nicht aus den USA, sondern aus Indien, Brasilien, Indonesien, Mexiko und vielen anderen Län-dern. Und weil weltweit mittlerweile über 1,75 Milliarden Menschen mit ihrem Smartphone online gehen können, ziehen neue Nutzergruppen in die sozialen Netzwerke ein. Vom deutschen Philanthropieforscher über den indonesischen Umweltaktivisten bis hin zur mazedonischen Kleinbäuerin"– alle nutzen Facebook. Diese mächtige digitale Infrastruktur kann das Leben von Menschen weltweit vereinfachen und verbessern. Jeder Facebook-Nutzer hat im Durchschnitt etwa 300 Kontakte. Erreichen seine Botschaften auch nur einen Bruchteil seines Netzwerkes, so hat eine Facebook-Meldung das Potenzial, eine erhebliche Reichweite zu bekommen und eine Be-wegung auszulösen"– sie kann einen „Tipping Point“ erreichen.

Klar macht es Spaß, Katzenfotos zu liken, Fotos von seinem Essen zu teilen oder das nächste Reiseziel zu posten. Doch wieso nicht auch mal Facebook fürs Gute nut-zen? Etwas Sinnvolles im weltweit größten sozialen Netzwerk tun? Gerade weil man dort so viele Menschen erreichen kann, wird Facebook zunehmend auch zu einem richtigen Arbeitsgerät. NGOs sammeln hier Spenden, bei Katastrophen werden lebenswichtige Informationen geteilt und immer mehr Menschen nutzen Facebook für ihren politischen Protest.

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Für den Sog, den diese Netzwerkkommunikation entwickeln kann, ist der Arabi-sche Frühling ein viel zitiertes Beispiel. Als im Dezember 2010 in Ägypten und den Nachbarländern die Menschen auf die Straße gingen, schrieben die Medien von einer „Facebook-Revolution“ und „Twitter-Rebellion“, weil die Proteste ih-ren Ursprung in den sozialen Netzwerken genommen hatten. Nachrichten über Ungerechtigkeiten des Regimes verbreiteten sich online wie ein Lau#euer und lösten heftige Diskussionen aus. Dass in Ägypten soziale Medien ein Ort politischer Diskussion sind, zeigt die Global-Attitudes-Umfrage des PEW-Insituts: 62 Prozent der befragten Ägypter diskutieren dort über Politik (gegenüber 38 Prozent in den USA). Zu den Auslö-sern der Proteste zählte aber auch, dass Mubarak die Internet- und Mobilfunkver-bindungen kappte. Um dagegen zu protestieren, gingen Tausende auf die Straße und trafen sich auf dem Tahrir-Platz. Der anfängliche Online-Protest wurde in die O!ine-Welt getragen"– er hatte seinen Tipping Point erreicht.

Was dem Einzelnen nur ein Klick, kann der Gemeinschaft viel bringen

uf diesen Tipping-Point-E#ekt ho#en auch viele NGOs, die Fa-cebook als einen wichtigen Bestandteil ihrer Kampagnen nut-zen. Aktivisten-Netzwerke und Online-Petitions-Plattformen achten zunehmend darauf, dass die Aktivitäten ihrer Unter-stützer über Facebook gespiegelt werden. Zum Beispiel indem

sie geplante Protest-Demos über das Facebook-Veranstaltungs-Tool verö#entli-chen"– und jeder mit einem Klick auch seine Facebook-Freunde einladen kann. Mit nur wenig Aufwand kann sich jeder hinter die Botschaft seiner Wahl stel-len. Anfang 2013 tauchte beispielsweise das rosarote Logo der Human Rights Campaign plötzlich auf Tausenden Profilbildern auf. Die Leute unterstützten so den Kampf um die Gleichstellung homosexueller Paare. Der Einzelne mag zwar nicht viel getan haben. Aber die Summe macht’s: Die Kampagnenwebsite von Human Rights wurde an einem einzigen Tag von 700.000 Besuchern ge-klickt, das Logo wurde tausendfach kopiert, imitiert, geteilt"– es verbreitete sich wie ein Virus. Die Kampagne vom Human-Rights-Netzwerk erreichte zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute und wurde dadurch viral. Und das wie-derum ist auch den klassischen Medien, die mit ihrer Reichweite nach wie vor wichtig sind, eine Meldung wert.

OP-Kappen und Pestizid-Infos direkt über Facebook

acebook scha#t eine digitale Infrastruktur für Verbindungen zwischen Menschen, die vorher nicht miteinander in Kontakt waren. Zum Beispiel verkaufen die Schneiderinnen vom Sus-tainable Project in dem Slum Kibera in Nairobi ihre genähten

OP-Kappen via Facebook an Ärzte aus aller Welt. Das ist viel einfacher einzu-richten und zu bedienen als eine eigene Website. Um die Facebook-Seite aktuell

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Die UN nutzen Facebook, um Obstbauern in Mazedonien beim Pestizideinsatz zu bremsen.

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zu halten, braucht man auch keinen Computer"– ein billigeres Smartphone mit entsprechender App reicht. Und das Entwicklungsprogramm der UNDP nutzt Facebook, um Obstbauern in Mazedonien beim Pestizideinsatz zu bremsen. Per SMS und Facebook-Gruppe bekommen die Bauern in der Prespa-Region Nachrichten, wann gegen was ge-spritzt werden sollte. Dimitrija Sekovsk von der UNDP: „Diese Lösung kostet uns weniger als 1.000 US-Dollar in der Entwicklung"– und ist ein innovativer Weg, die Bauern in der Region zu erreichen.“ Doch nicht nur Organisationen profitieren von Facebook als Netzwerk. Auch kleine Aktionen von einzelnen Menschen können eine große Reichweite bekommen und viel bewegen. So hat zum Beispiel die brasilianische Schülerin Isadora Faber eine Facebook-Seite gegründet, auf der Schüler sich gegenseitig bei Mobbing helfen und Probleme an ihrer Schule diskutieren können. Isadoras Facebook-Gemeinschaft erreicht mittlerweile über 600.000 Menschen"– und macht auf Missstände im bra-silianischen Schulsystem aufmerksam.

Im Katastrophenfall bilden sich spontan spezielle Zielgruppen

eil Facebook so weit verbreitet ist, eignet es sich gut, um im Katastrophenfall schnell und einfach Helfer zu gewinnen und zu koordinieren. Ein Beispiel sind die zahlreichen Fluthelfer-Facebook-Gruppen, die sich gründeten, als im Sommer 2013 Ostdeutschland unter Wasser stand. Die Facebook-Seite „Flut-

hilfe für Dresden“ bekam innerhalb von nur vier Tagen mehr als 40.000 Fans, die gemeinsam Sandsäcke stapelten, sich online zum Stullenschmieren verabredeten und die Aufräumarbeiten nach der Flut koordinierten. Diese Art, Facebook zu nutzen, ist nicht auf Deutschland beschränkt: In Indonesien organisieren sich die Bewohner am Vulkan Jalin Merapi in Facebook-Gruppen, um sich im Falle eines Ausbruchs warnen und helfen zu können. Das eigene Netztwerk ist diesem Falle sogar schneller als die Behörden.

Der Datenschutz bei Facebook ist vielen deutschen NGOs nicht geheuer

iese Netzwerk-E#ekte nutzen soziale Organisationen auch für das Fundraising. Laut der amerikanischen Non-Profit-e-Marketing-Studie ist ein Facebook-Fan für eine NGO etwa 214 US-Dollar pro Jahr wert. Der Spenden-Software-Anbieter Blackbaud geht davon aus, dass etwa 34 Prozent der Facebook-Nutzer über das

Netzwerk Spenden für ihre Lieblingsorganisation sammeln. Facebook hat eigens Spendensammel-Apps entwickelt, von denen aber nur wenige wirklich genutzt werden und andere bereits eingestellt wurden (etwa die App Facebook Gifts, mit der man Online-Geschenke in Spenden umwandeln konnte). Es gibt auch die Donate App"– einen Facebook-eigener Spendenbutton. Die meisten deutschen Organisationen setzen aber auf eigene Fundraising-Lösungen"– vor allem wegen des ungenügenden Datenschutzes bei Facebook. Für den deutschen Markt gibt es noch kaum Zahlen darüber, wie viele Spenden über Facebook gesammelt werden. Das NGO-Meter, unser Benchmarking für Online-Fundraising, identifiziert Facebook vor allem als wichtige Verweisquelle der NGO-Webseiten. Das Online-Fundraising direkt bei Facebook spielt demnach noch keine relevante Rolle"– gespendet wird auf der Homepage.

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Alzheimer-Verwirrung nachempfinden und Schuhe auf Braut-händler werfen

tatt direkt nach Spenden zu fragen, setzen viele Organisationen bei Facebook daher eher auf einen direkten Draht zu ihren Spen-dern und spielerisches, niedrigschwelliges Engagement. Beispiele sind die YouAlarm- von Save the Children (s. Case S. 113) oder Ärzte ohne Grenzen (MSF), denen man Zugri# auf sein Profil er-

lauben konnte für wichtige Hilfsaufrufe. Mit der Aktion „Mein Profil für MSF“ gewann die Organisation innerhalb einer Woche mehr als 5.000 FB-Fans hinzu. Die niederländische Alzheimer-Gesellschaft markierte Facebook-Nutzer willkür-lich auf Fotos und Veranstaltungen, auf denen sie nie waren. Durch diese digitale Verwirrung sollten die Menschen ein Gefühl für Alzheimer bekommen"– und sich dann für die Alzheimer-Gesellschaft einsetzen. Facebook-Spiele wie Angry Brides verbinden ernste Themen mit Spaß. Um gegen Zwangsheirat und Mitgifthandel in Indien zu protestieren, werfen Spieler virtuell Schuhe nach Brauthändlern.

I like"– I care"– I fear

in Kritikpunkt an Facebook: Vielen sozialen Organisationen ist die Kommunikation dort zu banal für ihre ernsten Themen. Unicef bringt es in einem Video auf den Punkt: „Likes don't save lifes“. Und wer möchte schon ein Foto von einem verletzten Kind mit einem „Daumen hoch!“ versehen? Deshalb hat die New Yorker

Werbeagentur DDB den „I Care“-Button erfunden. Damit sollen Facebook-Nutzer ihr Mitgefühl bei traurigen Nachrichten ausdrücken.Aber auch als Unternehmen steht Facebook oft in der Kritik. So wurde im Juni 2014 bekannt, dass das Unternehmen mit einer Manipulation seines Newsfeed-Algorithmus die Emotionen von ausgewählten Nutzern beeinflusst hatte"– indem es überwiegend schlechte oder positive Nachrichten anzeigte. Dieses Beispiel macht deutlich, was viele Faceook-Nutzer nicht wissen: Der Newsfeed im Nutzer-profil zeigt keineswegs alle Posts und Nachrichten aus dem eigenen Netzwerk an. Vielmehr wird durch ein undurchsichtiges Verfahren, den sogenannten edge rank, gefiltert, was im Feed gerade zu sehen ist. Hinzu kommen häufige Änderungen der Privatsphäre-Einstellungen, die den Nutzern mal mehr, mal weniger Rechte an ihren Daten, Bildern und Kontakten zubilligen. Das Unternehmen verfolgt au-ßerdem auch auf Webseiten außerhalb von Facebook nahezu jeden Klick seiner eingeloggten Nutzer. Wer Facebook fürs Gute nutzt, sollte sich dessen bewusst sein und sensible Daten schützen.

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40.000 Fans, die gemeinsam Sandsäcke stapelten, sich online zum Stullenschmie-ren verabredeten und die Aufräumarbeiten nach der Flut koordinierten.

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Chancen • Mit Facebook können Helfer im Katastrophenfall einfach ak-tiviert und koordiniert werden.

• NGOs können ihre Botschaften im Idealfall kostengünstig und weit verbreiten.

• Auch in armen Ländern verbreitet sich Facebook mit Smartpho-nes und mobilem Internet. Akteure der Entwicklungszusam-menarbeit können via Facebook Begünstigte direkter erreichen.

• Weil Facebook so einfach zu bedienen ist, eignet es sich auch als Website-Ersatz für kleine soziale Initiativen.

• Als Gegengewicht zu staatlich kontrollierten Medien kann Fa-cebook auch kritische Stimmen aus einem repressiven Regime an die Ö#entlichkeit tragen.

Risiken • Facebook ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, das die Daten seiner Nutzer verkauft. Das kann Aktivisten in Gefahr bringen.

• Die Reichweite von kostenlosen Beiträgen ist im Vergleich zu bezahlter Werbung recht niedrig.

• Themen mit Tiefgang haben es bei Facebook eher schwer.• NGOs sollten auf Anfragen ihrer Fans schnell reagieren kön-

nen, da diese sonst frustriert sein können.• Facebook zu nutzen bedeutet auch, ein Stück weit die Kont-

rolle über die eigene Botschaft abzugeben, da diese in sozialen Netzwerken schnell ein Eigenleben entwickeln.

Fazit Weil Facebook eine so weitverbreitete digitale Infrastruktur ist, lohnt es sich, diese für gute Zwecke zu nutzen. Zum Beispiel, um Helfer im Katastrophenfall zu koordinieren, Wissen an Klein-bauern weiterzugeben, kleinen NGOs ein virtuelles Zuhause zu verscha#en oder Protest-Botschaften zu verbreiten. Zu bedenken ist dabei nur, dass Facebook ein Unternehmen ist, das mit den Daten seiner Nutzer Geschäfte macht.

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Israel Loves Iran ist eine Social-Media-Kampagne des israelischen Grafikers Ronny Edry und sei-ner Frau Michal Tamir. Die beiden wollten den gegenseitigen, sich aufschaukelnden Drohungen

der Regierungen in Jerusalem und Teheran etwas entgegen-setzen. Den Anfang machte ein einziges Bild auf Facebook, auf dem Edry und seine Tochter zu sehen waren"– versehen mit der Bildunterschrift: „Iranians, we love you, we will never bomb your country“. Das Bild wurde schnell zum Lau#euer und inspirierte Abertausende Facebooknutzer, es in ähnlichem Stil nachzuah-men. Auf ihrem Blog sammelten Ronny und Michal die Werke, die nicht mehr ausschließlich aus Israel kamen, sondern bald auch von Iranern. Unter dem Slogan „My Israeli friends, I do not hate you; I do not want war. Love, peace.“ bekundeten diese im Gegenzug ihre Sympathien für die Israelis. Viele Teilnehmer der Aktionen trafen sich auch in Drittländern und fotografier-ten sich beim gemeinsamen Ka#ee.

Mittlerweile gibt es auch die andere Facebook-Seite: „Iran Loves Israel“.

Israel loves Iranthepeacefactory.org/israel-loves-iran

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Bei Überschwemmungen, Dürre oder Erdbeben ist es besonders wichtig, schnell und unbürokra-tisch Hilfe zu leisten. Mit „YouAlarm“ hat Save the Children eine App entwickelt, mit der Menschen

via Facebook Katastrophen-Nachrichten im Namen von Save the Children verbreiten können. Über die App gibt man Save the Children die Erlaubnis, im Fall einer Katastrophe über das eigene Profil eine Statusmeldung zu verö#entlichen"– man ver-leiht quasi seine Facebook-Identität. Bei den Freunden wirkt der Aufruf dann verbindlicher, weil er aus dem sozialen Umfeld und nicht nur von einer relativ anonymen Organisation kommt. Mit dieser Innovation erho#t sich Save the Children, im Not-fall möglichst viele Menschen in kürzester Zeit zu erreichen und ein großes Unterstützungsnetzwerk für schnelle Hilfe und viele Spenden zu aktivieren. Nach 60 Tagen wird YouAlarm automatisch deaktiviert.

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Im September 2013 war in vielen Stadtteilen in Dakar die Trinkwasserversorgung unterbrochen. Hunderte Haushalte saßen buchstäblich auf dem"Trockenen"– während bei ihren Nachbarn das

Wasser aus dem Hahn sprudelte."Um dieses Problem zu lösen, entwickelte eine Gruppe von Programmierern spontan wäh-rend einer Nacht"eine einfache"Facebook-App. Per Kontaktliste konnten sich die Menschen, die Wasser brauchten, mit denen, die Wasser hatten, zusammentun. Per"Facebook-Message wur-de anschließend die Abholung organisiert. Innerhalb von vier Tagen hat die Facebook-App mehr als 700 Wasserlieferungen ermöglicht.

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Wer das liest, ist schlau.

Glückwunsch! Du hast den Trendreport bis zur letzten Seite durchgeackert. Wir geben zu: Das ist zwischendurch auch mal ein bisschen viel Text, aber bilden tut's doch ungemein, oder? Du willst jetzt mehr über die Zukunft der Zivilge-sellschaft wissen? In anderen Formen, mit mehr Bildern, in kleineren Häppchen oder speziell auf deine Bedürfnisse zugeschnitten? Wir helfen dir: auf unserer jährlichen Veranstaltung dem "betterplace labtogether", in Studien und Kon-zepten, in Vorträgen oder Workshops. Melde dich einfach bei uns%– und werde noch schlauer!

+49 30 76 76 44 88 46 [email protected]

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Zur digitalen Veränderung des Menschseins

Beim Zusammenstellen der Trends der letzten zwölf Monate ha-ben wir uns auch dieses Mal gefragt: Werden wir auch zukünftig so viele interessante und wichtige neue Entwicklungen aufspü-ren können? Wieder lautet die Antwort: Ja! Es gibt weiterhin neue Trends, denn die Digitalisierung des sozialen Sektors und

des zivilgesellschaftlichen Engagements schreitet voran. Die sozialen Akteure entwickeln immer noch neue Werkzeuge, Strategien und Praktiken. Wenn wir heute in Innovationsforen und Laboren vom Internet of Things oder von Bioha-cking hören, dann werden diese Entwicklungen bald auch in der Welt genutzt, um Gutes zu tun. Und manchmal sind es sogar die Weltverbesserer, die zuerst einen neuen Trend prägen, der dann später die Wirtschaft oder Ö(entlichkeit beein!usst. So entwickelte sich der Trend zum Teilen, die Shareconomy im Non-Pro&t-Bereich, bevor Plattformen wie Airbnb an&ngen, über Gebührenmodelle damit Geld zu verdienen.Bei den Trends und Cases geht es aber nicht nur darum, dass NGOs, Stiftungen, Sozialunternehmen, CSR-Abteilungen, Aktivisten und engagierte Bürger mit di-gitalen Medien arbeiten und dadurch die Wirksamkeit ihrer Arbeit verbessern. Die Veränderungen sind viel radikaler: Im Zuge der Digitalisierung entstehen neue Kulturformen und neue Weltbilder, neue Institutionen, Verhaltensformen und Werte. Digitalisierung verändert unser Menschsein an sich. Dadurch wan-deln sich die grundlegenden Gegebenheiten sozialen Handelns. Und wie jede Entwicklung geht auch diese mit neuen, bislang unbekannten Widersprüchen, Chancen und Risiken einher.Eine solche Spannung sehen wir heute beispielsweise zwischen Transparenz und Schutz der Privatsphäre. Digitale Plattformen, Datensammlungen und Kar-tierungen ermöglichen es, wie nie zuvor Informationen zu aggregieren und zu ordnen. Dadurch werden Informationen, Bedarfe und Dienstleistungen zugäng-licher und können besser analysiert und aufeinander abgestimmt werden. Aber mit der Transformation von Informationen in Einsen und Nullen geht auch die Frage einher, wem diese ganzen Daten gehören und wofür sie verwendet werden dürfen. Lucy Bernholz, Philanthropie-Expertin und Gründerin des Digital Civil Society Lab der Stanford-Universität, stichelte auch uns neulich mit Fragen wie: „Lagert ihr die Daten zu euren NGOs sicher? Fragt ihr die NGOs, bevor ihr mit ihrem geistigen Eigentum arbeitet oder gar Geld verdient?“Solch ethische und rechtliche Fragen werden immer öfter auftauchen. Fragen, mit denen sich die Zivilgesellschaft beschäftigen muss, wenn sie das Feld nicht vollständig privatwirtschaftlichen oder staatlichen Akteuren überlassen will. Grundlage einer solchen Diskussion ist die Kenntnis davon, wie soziales Handeln durch digitale Medien verändert wird. Und genau zu diesem Wissen möchte der betterplace lab Trendreport beitragen. Mit diesem Buch und kontinuierlich mit jedem neuen Trend und Case auf trendreport.betterplace-lab.org.

Schlusswort

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Impressum

Impressumbetterplace lab Trendreport 2014

Herausgebergut.org gemeinnützige AG betterplace lab, Schlesische Straße 26, 10997 Berlin

trendreport.betterplace-lab.org

AutorenJoana Breidenbach, Ben Mason, Medje Prahm, Angela Ullrich, Kathleen Ziemann

RedaktionDennis Buchmann

KorrekturAxel Fischer

Art-Direktion, Layout und Illustrationenonlab: Nicolas Bourquin, Pepita Köhler, Golden Cosmos: Doris Freigofas%& Daniel Dolz

DruckRuksaldruck GmbH & Co. KG, Berlin

Über das betterplace labBringt uns das Internet mehr als Shopping-Exzesse, Schwarmdummheit und süße Katzenbilder? Ja. Das betterplace lab glaubt an das Gute im Internet. In immer mehr Ecken der Welt nutzen Menschen erfolgreich digitale Technologien, um soziale Probleme zu lösen: von Social Businesses in Kenia über Hilfsorganisationen in Indien bis zu Aktivisten in Brasilien%– in Form von Websites, Apps oder Mobilfunk-Services. Als Deutschlands bekanntestes digital-soziales Forschungsinstitut analysiert das betterplace lab diese Innovationen und beschreibt aufkommende Trends im bet-terplace lab Trendreport. Mal vom Berliner Bürostuhl aus, mal bei der Feldforschung auf einer indischen WIFI-Rikscha hockend.Darüber hinaus vergleicht das betterplace lab im NGO-Meter die Leistungsfähigkeit von Online-Fundraising, erstellt erkennt-nisreiche Studien, hält inspirierende Vorträge und veranstaltet jährlich die coolste Veranstaltung an der Schnittstelle zwischen Innovation und Gemeinwohl, das bet-terplace lab together. Unser Hintergrund: Der „Think-and-Do-Tank“ betterplace lab wurde 2010 gegründet und ist Teil der gut.org gemeinnützigen Aktiengesellschaft, die auch betterplace.org betreibt, Deutschlands größte Online-Spendenplattform.

Über die AutorenAnja Adler ist Kommunikations- und Social-Media-Beraterin. Zurzeit schreibt sie ihre Doktorarbeit zur Rolle von Software für politische Beteiligungsprozesse. Sie ist Teil des erweiterten betterplace lab Netzwerks. [email protected]

Joana Breidenbach ist promovierte Kulturanthropologin und Mitgründerin von bet-terplace.org, wo sie auch im Vorstand ist. Sie hat das betterplace lab 2010 gegründet und leitet es. [email protected]

Jella Fink ist Mistress of Arts in Ethnologie und hat sich auf die Rolle von Medi-en für die Zivilgesellschaft spezialisiert. Sie war Praktikantin im betterplace lab. jella&[email protected]

Ben Mason ist Engländer und studierte Philosophie und Germanistik in Oxford. Er treibt die Internationalisierung des Trendreports voran. [email protected]

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SAP unterstützt betterplace.org und das betterplace lab schon seit mehreren Jahren als strategischer Partner. Das Softwareunternehmen bringt uns nicht nur &nanzi-ell, sondern auch inhaltlich mit seiner Expertise voran (s. Interview S. %21). Und wir unterstützen die SAP dabei, mit ihrer Corporate Social Responsibility im digital-sozialen Bereich bestmöglich zu wirken. Als Marktführer für Unternehmenssoftware unterstützt die SAP SE Firmen jeder Größe und Branche, ihr Geschäft pro&tabel zu betreiben, sich kontinuierlich anzupassen und nachhaltig zu wachsen. Vom Back O)ce bis zur Vorstandsetage, vom Warenlager bis ins Regal, vom Desktop bis hin zum mobilen Endgerät%– SAP versetzt Menschen und Organisationen in die Lage, e)zienter zusammenzuarbeiten und Geschäftsinformationen e(ektiver zu nutzen als die Konkurrenz. Mehr als 253.500 Kunden setzen auf SAP-Anwendungen und -Dienstleistungen, um ihre Ziele besser zu erreichen. sap.de

Die BMW Stiftung Heribert Quandt ist dem betterplace lab schon lange verbun-den. Seit 2013 unterstützt sie die Produktion des Trendreports. Die BMW Stiftung inspiriert und unterstützt Menschen, sich für das Gemeinwohl und für eine zu-kunftsfähige Gesellschaft einzusetzen. Dazu arbeitet sie weltweit mit Partnern zusammen. Gemeinsam suchen sie in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nach innovativen Lösungsansätzen, die Menschen und Kulturen miteinander verbinden und den sozialen Zusammenhalt stärken. bmw-stiftung.de

Vielen Dank, liebe Förderer, durch eure Unterstützung ist der Trendreport 2014 noch schöner geworden :)

Für jedes weitere &nanzielle Feedback sind wir ebenfalls dankbar. www.trendreport.betterplace.org

Förderer

Mareike Müller ist Mistress of Arts in Kommunikation, sozialer Wandel und Entwick-lung der%Universität Complutense in Madrid. Sie war Praktikantin im betterplace lab. [email protected] Prahm ist Mistress of Arts in Philosophie und Ökonomie und hat erforscht, wie NGOs ihre Wirkung verbessern können. Im betterplace lab ist sie seit 2012 In-nenministerin. [email protected]

Thomas Rößl hat Geschichte und Fachjournalistik studiert, arbeitete danach beim BUND Sachsen-Anhalt in der Ö(entlichkeitsarbeit und war Praktikant im better-place lab. [email protected]

Angela Ullrich ist promovierte Volkswirtin und interessiert sich besonders für die Ökonomie des Non-Pro&t-Sektors. Für das betterplace lab analysiert sie unter anderem den deutschen Spendenmarkt. [email protected]

Kathleen Ziemann ist Kulturwisseschaftlerin und hat unter anderem über Minder-heitensprachen auf Facebook geforscht. Seit September 2012 ist sie Trendreporterin im betterplace lab. [email protected]

Impressum

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App

Arzt, ÄrzteBauern

BegünstigteBig DataBribespotChallenge.govCivic HackingCode for AmericaCo(ee TransparencyCommonsCouchsur&ngCrowdfunding

CSRDaten

Digital GreenDigitale NothilfeDisaster Relief EchtzeitE)zienzEncoreEntwicklungs-zusammenarbeit EsokoFacebook

Foodsharing Geldgeber Give to the MaxGiving DaysGiving TuesdayGlobal GivingGlobal PulseHackathons

Haiti Ideen

Image Clicker Innovationen

Insight

Israel Loves Iran KatastrophenhilfeKeniaKilimo Salama Marketing Meu Rio MindingsMini Army Mobilfunk O'ine

Online-FundraisingOnlinehelden

6, 7, 8, 9, 10, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 21, 25, 26, 55, 60, 65, 66, 67, 68, 69, 78, 79, 80, 83, 84, 87, 88, 91, 92, 93, 98, 109, 110, 114, 118 79, 803, 7, 9, 95, 96, 97, 98, 100, 101, 102, 103, 104, 108, 109, 1113, 11, 11174, 88, 89, 9027, 692316, 181697, 99

14, 54576, 8, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 58, 7410, 1173, 7, 11, 13, 14, 16, 20, 74, 79, 80, 87, 88, 90, 97, 99, 110, 110, 1179, 96, 102, 103, 104, 1053, 7, 87, 889241, 72, 87, 88, 93, 9910478, 8210, 98, 111

96, 97, 1007, 10, 14, 16, 29, 36, 37, 40, 54, 61, 72, 78, 89, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 11956, 588, 45, 47, 62, 10435, 37, 393, 6, 35, 36, 37, 38, 40, 4135, 37, 4043906, 8, 13, 14, 15, 16, 17, 20, 21, 22, 2387, 886, 8, 9, 13, 14, 15, 17, 21, 22, 25, 43, 45, 48, 50, 63, 80913, 6, 7, 9, 10, 11, 14, 21, 22, 23, 25, 43, 60, 90, 95, 96, 98, 1183, 8, 9, 72, 73, 74, 75, 102, 103, 104, 105112143, 17, 19, 45, 87, 97, 99, 1189725, 27, 36, 37, 38, 47, 1098, 72, 73, 74, 7578, 8328, 303, 10, 90, 96, 108, 1186, 19, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 36, 40, 75, 78, 103, 104, 105, 1083, 35, 36, 37, 38

60, 61

Open DataOpen Government Partizipation PhilanthropiePlaCardPolitik

Random Hacks of KindnessRazooRenrou Sousou ShareconomySilbersurferSliceBiz SMS

Spender

Stiftung TabletsTandemploy The CircleTransparenzTweriTwitcident Twitter

Ulule UNUnicefUnterwachungUshahidi Video

Vladometr WasserWeltbank YomkenYouAlarmZivilgesellschaft

111126, 7345, 107, 117327, 65, 66, 67, 68, 70, 71, 72, 108, 11916, 19, 23

37, 38, 39, 41716, 53, 54, 55, 56, 57, 1177, 8, 9, 77, 80, 8144, 487, 72, 78, 87, 96, 97, 98, 99, 100, 1093, 8, 27, 28, 32, 36, 37, 40, 41, 46, 47, 105, 1103, 8, 10, 16, 28, 35, 45, 46, 63, 80, 98, 103, 105, 1177, 8, 79, 80, 81, 1045931, 787, 16, 17, 19, 67, 73, 11779, 849310, 17, 37, 40, 72, 89, 90, 93, 10844, 4935, 89, 90, 10820, 1103, 7, 65, 66, 67, 68, 7316, 87, 907, 9, 45, 46, 47, 61, 78, 96, 102, 103, 104, 105, 11066, 7014, 74, 89, 97, 103, 109, 11419, 6650110, 1133, 4, 8, 9, 10, 11, 13, 21, 26, 36, 38, 60, 61, 62, 75, 80, 117, 118

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ISBN 978*3*00*046817*9

Die gute Seite des Internets: trendreport.betterplace-lab.org

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