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Eberhard Jung Projektpädagogik als didaktische Konzeption (in: Volker Reinhardt (Hg.): Projekte machen Schule, Schwalbach 2005, S. 13-34) I. Prolog: Zur Aktualität projektpädagogischen Lehrens und Lernens Gegenwärtig werden die Diskurse in der Pädagogik und den Fachdidaktiken in hohem Maße
von der Thematik Bildungsstandards geprägt. Sie basieren auf der im Februar 2003 von einem
Wissenschaftlerteam um Eckhard Klieme veröffentlichten Expertise: Zur Entwicklung
nationaler Bildungsstandards (DIPF 2003, S. 15), die im Auftrag des
Bundesbildungsministeriums und der Kultusministerkonferenz erstellt wurde. Die Expertise
verdeutlicht, dass Bildungsstandards zur Konkretisierung von Bildungszielen nicht auf
Auflistungen von Lehrstoffen und Lerninhalten zurückgreifen und das Erfassen von
Kompetenzen und deren Niveaus ein Abfragen schulischen Wissens weit überragen. Vielmehr
geht es darum, „Grunddimensionen der Lernentwicklung in einem Gegenstandsbereich“
(Fach, Lernbereich) zu identifizieren, der im wissenspsychologischen Sinn als „Domäne“
bezeichnet wird und definiert, was Lernende am Ende einer Lernsequenz wissen und können
müssen (DIPF 2003, S. 15).
Aus bildungspolitischer Perspektive sollen Bildungsstandards bei der Überwindung der
nationalen Bildungsmisere helfen, die seit der Veröffentlichung der TIMMS- und der PISA-
Ergebnisse die gesellschaftliche Diskussion bewegt. Beide Studien orientieren sich
konzeptionell an dem angelsächsischen Literacy-Konzept. Literacy wird als eine universelle
Basiskompetenz zu verstanden, „die eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in
der modernen Gesellschaft ermöglicht“ (Moschner 2003, S. 54). Es gehe um die Vermittlung
fachlicher und überfachlicher Basiskompetenzen, „um die Fähigkeit zur Anwendung
erworbener Kompetenzen in authentischen Lebenssituationen und um die Anschlussfähigkeit
des Wissens“ (Kiper 2003, S. 70f).
Unter Kompetenzen werden im Sinne der Expertise die bei Lernenden angestrebten Ziel- und
Leistungsdispositionen verstanden. Die dazu erforderlichen Kompetenzmodelle
konkretisieren Inhalte und Stufen der Bildung und geben damit eine pragmatische Antwort
auf die Konstruktions- und Legitimationsprobleme traditioneller Bildungs- und
Lehrplandebatten (DIPF 2003, S. 4). Das dabei zu Grunde gelegte Kompetenzkonstrukt
grenzt sich bewusst von dem auf Heinrich Roths „Pädagogischer Anthropologie“ basierenden
und durch berufspädagogische Autoren (z.B. Pätzold 1999, S. 57f; Bader/Müller 2002, S.
177) verfeinerte (und in der Pädagogik verwandte) Konzept beruflicher Handlungskompetenz
als Fach-, Sozial- und Selbstkompetenz ab (DIPF 2003, S. 15). Unter Kompetenzen werden
im Sinne Weinerts die „bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbare kognitive
Fähigkeiten und Fertigkeiten“ verstanden, „um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit
verbundenen motivationalen, volitionalen1 und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten“
bereit zu stellen, „um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und
verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 20022, S. 27f).
Der hier geforderte und umfangreich diskutierte Paradigmawechsel von der output- zur
inputorientierten Curriculumplanung besitzt Folgen für das Unterrichtsgeschehen. Von einem
allgemeinen Verständnis von Kompetenz als Befähigung zur Bewältigung von
Lebenssituationen ausgehend, gelangen Lehr-/ Lernverfahren in den Fokus der Betrachtung,
mit denen das lebensweltlich Bedeutsame, in didaktisch aufbereiteter Weise, von Lernenden
erworben werden kann. Einerseits gilt es, die seit Seneca2 beklagte Kluft zwischen Schule und
Lebenswelt, andererseits die aktuellen Defizite, zwischen den Konstruktionsmerkmalen
traditioneller deutscher Bildungs- und Lehrpläne und den in den internationalen
Vergleichstest geforderten Standards zu überwinden. Dazu sind Unterrichtsverfahren
erforderlich, mit denen Kompetenz in dem von Weinert definierten Sinne vermittelbar ist.
Demnach sollte Unterricht so angelegt sein, dass
- Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeit erworben werden, um anstehende Probleme zu
lösen;
- die erforderlichen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und
Fähigkeiten geweckt und bereitgestellt werden;
- grundlegende Befähigungen zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in der
modernen Gesellschaft erworben werden können;
- erworbene Kompetenzen in authentischen Lebenssituationen erprobt werden können;
- anschlussfähiges Wissen und Können eigenständig erworben und erweitert werden
können.
Über die Frage, ob es denn didaktische Konzeptionen gibt, die geeignet sind, diese hohen
Ansprüche einzulösen, gelangen projektpädagogische Verfahrensweisen in den Fokus der
Betrachtung. Ein erstes Nachschlagen gängiger Definitionen stimmt hoffungsvoll: Im
Rahmen der Projektpädagogik werden Lehr-/ Lernprozesse so organisiert, dass Lernende zum
Lösen komplexer Aufgabenstellungen befähigt werden, was sie zur Bewältigung von
Lebenssituationen qualifiziert (Kaiser 1999, S. 329). Dabei werde das traditionelle
Rollenverständnis zwischen Lehrenden und Lernenden zugunsten der Schaffung
1 Unter Volition wird die willentliche Steuerung von Handlungen und Handlungsabsichten verstanden. 2 „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir" (non vitae, sed scholae discimus) lautet die fast zweitausend Jahre alte Kritik des römischen Philosophen Seneca (4 v. - 65 n. Chr.), in dem er der Schule Lebensferne und Lebensfremdheit bescheinigte (Seneca 1995, S. 626f.).
demokratischer Umgangsformen (Mit- und zunehmende Selbstbestimmung der Lernenden)
überwunden (Kaminski 1999, S. 358). Grundsätzlich ginge es um die „handelnd - lernende
Bearbeitung einer konkreten Aufgabenstellung“ mit den Schwerpunkten Selbstplanung,
Selbstverantwortung und praktischer Verwirklichung (Gudjons 1995, S. 147).
Festzuhalten bleibt, dass der Projektpädagogik, wie keinem anderen didaktischen
Ansatz, eine besondere Bedeutung im Rahmen der Bewältigung gegenwärtiger und
zukünftiger Bildungsherausforderungen zugestanden werden muss. Gemäß den
Erkenntnissen der Bildungskommission NRW könne sie dazu dienen, „die Phänomene
und Probleme unserer Welt genauer kennen zu lernen“ und Lernende befähigen, „die
erworbenen fachlichen Fähigkeiten für die Lösung alltäglicher Aufgaben zu nutzen“.
Deshalb sei der Projektunterricht ein notwendiges, nicht ersetzbares, aber auch
keineswegs zu verabsolutierendes Lehr- und Lernprinzip (Bildungskommission NRW,
S. 96f).
Obwohl diese Erkenntnisse keinesfalls der Euphorie der Bildungsreform der 1970er
Jahre entstammen und auch als wissenschaftlich untermauert und von der
Bildungsverwaltung unterstützt (oder sogar gefordert) angesehen werden können,
stimmt die projektpädagogische Wirklichkeit eher traurig. Noch immer dominiert der
Lehrer zentrierte Unterricht zu mehr als 90% das Unterrichtsgeschehen und die
Projektpädagogik reduziert sich noch zu oft auf die besonderen Aktivitäten in der
Projektwoche. Jedoch bedarf ein didaktischer Ansatz, mit dem die beschriebenen
aktuellen Herausforderungen bewältigbar erscheinen, einer intensiveren
Berücksichtigung in der schulischen Praxis und der Lehrerbildung, wozu konzeptionelle
Durchdringung die Grundlage bildet.
Im Rahmen dieses Beitrags soll die Theorie und Praxis der Projektpädagogik von ihren
theoretischen Grundlagen bis zur unterrichtlichen Umsetzung als didaktische Konzeption
entfaltet werden. Wegen der gegebenen Kürze kann der Frage, wie denn zukünftige Lehrende
bereits in ihrem Studiums zur Beherrschung projektpädagogischer Verfahrensweisen zu
qualifizieren sind, nicht weiter nachgegangen werden (dazu Jung, 2002). Da auch über die
Durchführung von Projektwochen genügend Literatur zu Verfügung steht (z.B. Emer/Lenzen
2002, Kap 4.6; Jäger 1998, Hänsel, 1992, Kap 5, Dunker/Götz 1984), wird der Schwerpunkt
dieses Beitrags auf die Entfaltung des Projektunterricht als „unterrichtliche Normalform“
gelegt und der Überleitung zum Projektunterricht ein Kapitel gewidmet. Der Beitrag schließt
mit einer Einordnung über die Bedeutung der Projektpädagogik im Rahmen der Erziehung zu
demokratischem Verhalten.
II. Die Konzeption3
Der Konzeptionsentwicklung voranzustellen bleibt die Klarstellung, dass das hier entfaltete
Modell der bildend wirkenden lernenden Betätigung eine andere Qualität besitzt, als dass es
in der vereinfachenden Bezeichnung "Projektmethode" zum Ausdruck kommt. Die von
Dewey und Kilpatrick sowie im deutschsprachigen Bereich u.a. von Frey verwandte
Bezeichnung Projektmethode basiert auf einem wissenschaftlichen Verständnis von Methode
als Weg zum Ziel. Das gegenwärtig zumeist verwendete Methodenverständnis begrenzt den
Begriff auf seinen instrumentellen Charakter im Sinne einer Problemlösungsmethode. In
diesem Sinne findet er auch in außerpädagogischen Bereichen (z.B. Projektmanagement)
seine Verwendung. Demgegenüber umschreibt das hier verwandte Projektverständnis ein
philosophisch begründetes, lerntheoretisch reflektiertes, in der Geschichte der Pädagogik
genau zu lokalisierendes didaktisches Modell, welches auf dem Pragmatismus der
amerikanischen Philosophierichtung des ausgehenden 19. Jahrhunderts basiert (Jung 1997, S.
9). Dadurch unterscheidet sich die Projektpädagogik entstehungsgeschichtlich und intentional
von dem auf der kognitiven Lerntheorie begründeten „Handlungsorientierten Unterricht“
und dem auf der kulturhistorischen Schule der sowjetischen Tätigkeitspsychologie
gegründeten „Handelnden Unterricht“ (dazu: Gudjons 1986, S. 35 - 47).
Die Bezeichnung Projekt geht auf das lateinische Wort proicere (vorwerfen, entwerfen,
hinauswerfen) zurück und wird heute im Sinne von Plan, Planung, Entwurf und Vorhaben
verwandt. Dabei ist die Realisierung des Planes fester Bestandteil des Planungskonzepts
(Kaiser 1989, S. 1272 f.). Der Begriff lässt sich nicht auf pädagogische Lehr-/Lernprozesse
begrenzen. Projekte finden in unterschiedlichen Bereichen von Pädagogik, Wissenschaft,
Wirtschaft, Technik und Politik ihre Anwendung, z.B. als Forschungsprojekt, Bauprojekt,
Entwicklungsprojekt, Ausbildungsprojekt und Integrationsprojekt (Jung 2002, S. 1).
II. 1 Wurzeln: John Deweys Pädagogik des Pragmatismus Obwohl Frey (19988, S. 13) auf eine ca. 300-jährige pädagogische Projekttradition verweist,
ist das derzeitige pädagogische Projektverständnis sehr eng mit der Philosophie des
3 Die Konzeptionsentfaltung stellt eine zeitgemäße Bündelung meiner Beiträge: Projekt - Projektunterricht: mehr als eine Methode, Schwalbach (1997) und Projektunterricht – Projektstudium – Projektmanagement, sowi-online-Methodenlexikon (2002) dar. Die verwandte Begrifflichkeit didaktische Konzeption wird mit den Bezeichnungen didaktisches Modell und didaktischer Ansatz synonym gesetzt.
Pragmatismus verwoben. Der Pragmatismus4 (von griechisch pragma = das Getane oder das
was zu tun ist) vertritt eine handlungstheoretische Auffassung von Wissenschaft. Er definiert
das Handeln als den Ursprung aller Dinge und die Nützlichkeit als Maß der Wahrheit
(Schreier 1986, S. 21, 24f). Somit stehen menschliches Handeln und die Bedeutung von
Handlungsprozessen im Mittelpunkt der Erkenntnisfindung und der Wert einer Erkenntnis
wird am Nutzen gemessen, den dieser für das Handeln des Menschen und für die Praxis des
Lebens besitzt (Jank/Meyer 1994, S. 119f).5
Obwohl der Projektbegriff von John Dewey erst in den 1930er Jahren verwandt wurde, ist er
als Nestor der Projektpädagogik zu bezeichnen. Der Philosoph Dewey, Schöpfer eines
umfassenden wissenschaftlichen Werkes, hat seine grundlegenden philosophischen
Erkenntnisse auf wichtige Gebiete menschlicher Erfahrung, insbesondere auf die Ethik, die
Politik, die Ästhetik, die Logik und die Naturphilosophie, übertragen. Er entwickelte seine
Erziehungsphilosophie aus Elementen des philosophischen Pragmatismus und des
psychologischen Funktionalismus. In der Tradition des Pragmatismus besitzen philosophische
Theorien einen instrumentellen Charakter. Erkenntnisse, die nicht an ihren Handlungsfolgen
zu messen sind und somit dem Anspruch auf Bewältigung von Lebenssituationen nicht
gerecht werden, gelten als unüberprüfbar und irrelevant. Statt dessen bildet die Erfahrung die
zentrale philosophisch-pädagogische Kategorie. "Ein Gramm Erfahrung ist besser als eine
Tonne Theorie, einfach deswegen, weil jede Theorie nur in der Erfahrung lebendige und der
Nachprüfung zugängliche Bedeutung hat" formulierte Dewey (1915/2000, S. 193) das Credo
seiner Erziehungstheorie. Dabei entstehen Erfahrungen durch die Wechselbeziehung
zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, wobei konflikthafte Störungen des
Interaktionsablaufs unter Rückgriff auf ein Repertoire von Sinn und Verhaltensmustern durch
Nachdenken und Probehandeln „projektiv“ bewältigt werden (Knoll 1984, S. 664).
Als Bezugssystem der Pädagogik des Pragmatismus lässt sich der „praktisch - theoretische
Handlungszusammenhang als globaler Interaktionszusammenhang“ bezeichnen (Schäfer
1989, S. 1268). Denken konstituiert sich dabei als das mit Erfahrungen zusammenwirkende
absichtliche Bemühen der Verknüpfung von Handlungen und Handlungsfolgen. Fehlt diese
4 Charles Sanders Peirce gilt als Begründer des Pragmatismus, wobei die gängige Lehrmeinung auf die Interpretation seiner frühen Werke durch William James beruht, von deren Inhalt sich der Gründer später weitgehend abwandte (Russel 1996, S. 398). Neben Peirce und James gelten Herbert Mead und John Dewey als Hauptvertreter (dazu: Schreier 1986; Schäfer 1989). 5 Darauf hinzuweisen bleibt, dass der Pragmatismus keinesfalls einen blinden Aktionismus (Handeln um des Handelns willen) fordert, wie es das abgeleitete Adjektiv pragmatisch suggerieren mag, vielmehr bezieht er die konstruktive Bedeutung von Intelligenz, Denken und Sprache mit ein (Schäfer 1989, S. 1264f).
Verknüpfung, werden Handlungen zufällig und planlos. Erzieherisch wertvolle Erfahrungen
führen hingegen über die denkende Verknüpfungen von Handlungen und deren Folgen zu
neuen und verbesserten Anschlusshandlungen und besitzen deshalb einen innovativen
Charakter. Darüber hinaus bilden die im Rahmen der Bewältigung von Situationen erworbene
Fähigkeiten und Fertigkeiten Instrumente des wirksamen Verstehens und Behandelns
nachfolgender Situationen, sie sind transferierbar. Demzufolge dürften Lehr-/Lernprozesse
nicht nur auf eine "Diät aus vorverdauten Stoffen" reduziert werden (Dewey 1963, S. 58).
Vielmehr müssten Erfahrungen vermittelt werden, die wiederum neue Erfahrungen
ermöglichten (ebd. S. 40). Die Kunst des Unterrichtens bestehe somit zum großen Teil darin,
im Rahmen des permanenten situations- und handlungsbezogenen Prozesses der Vermittlung
"denkender Erfahrung" Anregung und Unterstützung zu geben. Dabei seien die neuen
Problemstellungen ausreichend groß zu machen, so dass sie das Denken anregen, sie aber
wiederum so klein zu halten, dass sie die Lernenden nicht überfordern (Dewey 1915/2000, S.
209f).
Lernpsychologische Grundlage für die Entwicklung kritischer Rationalität und demokratisch-
sozialer Haltungen sind die Mit- und zunehmende Selbstbestimmung der Lernenden im
Unterrichtsgeschehen. Diesem Anspruch gerecht werdend, sind die angestrebten Lehr-/
Lernziele sowie die angewandten Vorgehensweisen und Methoden verhandelbar. Dabei dürfe
jedoch keinesfalls (so Dewey) das in das Curriculum eingegangene positive Wissen der
Gesellschaft zugunsten der Vermittlung von Erfahrungswachstum vernachlässigt werden
(Knoll 1984, S. 665). Denken im so verstandenen Sinne heiße nach etwas Unbekanntem zu
fragen, zu suchen, es forschend zu betrachten oder zu erkunden. Dabei sei eigenes Forschen
jedoch keinesfalls ein Privileg von Forschern oder Studierenden. Vielmehr sei alles Denken
Forschung und alle Forschung die eigene Leistung des Durchführenden, selbst wenn der
Forschungsgegenstand „bereits der übrigen Welt restlos und zweifelsfrei bekannt“ sei (Dewey
1915/2000, S. 198).
Diese Merkmale des Denkens überträgt Dewey als „Methode der bildenden Erfahrung“ auf
den Unterricht. Bereits das in den 1890-er Jahren für seine Chicagoer Laborschule entworfene
Unterrichtskonzept „active and social occupations“ enthielt eine denktheoretisch fundierte
„Methode des Projizierens“ (Knoll 1984, S. 664). Deweys „learning by doing“ konstituiert
sich durch folgende Anforderungen:
"1. dass der Schüler eine wirkliche, für den Erwerb von Erfahrungen geeignete Sachlage vor
sich hat - dass eine zusammenhängende Tätigkeit vorhanden ist, an der er um ihrer selbst
willen interessiert ist;
2. dass in dieser Sachlage ein echtes Problem erwächst und damit eine Anregung zum
Denken;
3. dass er das nötige Wissen besitzt und die notwendigen Beobachtungen anstellt, um das
Problem zu behandeln;
4. dass er auf mögliche Lösungen verfällt und verpflichtet ist, sie in geordneter Weise zu
entwickeln;
5. dass er die Möglichkeit und die Gelegenheit hat, seine Gedanken durch praktische
Anwendungen zu erproben, ihren Sinn zu klären und ihren Wert selbständig zu entdecken"
(Dewey 115/2000, S. 218).6
In der Abteilung für Pädagogik, Philosophie und Psychologie der Universität Chicago
angegliederten "Laborschule" entwickelten Dewey und seine Mitarbeiter (ab dem Jahre 1896)
die praktische Umsetzung ihrer Erziehungstheorie. Diese stellte ein didaktisches Experiment
dar, frei von amtlichen Vorschriften und den Einflüssen der vorherrschenden Pädagogik. Ziel
war nicht der Vollzug der theoretischen Konzeption, sondern die situationsbedingte,
wechselseitige Beförderung von Theorie und Praxis (Schreier 1986, S. 12).
Auf die im weiteren Verlauf der amerikanischen Projektpädagogik entstehenden
Akzentuierungen und Typisierungen sowie die handfesten Auseinandersetzungen ihrer
Protagonisten kann an dieser Stelle nur verwiesen werden (dazu: Bossing 1942). Während die
Konzeption des „Gründers“ John Dewey Rationalität und Charakterbildung durch
systematisches Lernen und konkretes Handeln favorisiert, betont der „Reformer“ William H.
Kilpatrick Spontaneität, Bedürfnisbefriedigung und Aktivität (Knoll 1984, S. 667). Er ist es
auch, der das Projektschema: Purposing (Zielsetzung), Planning (Planung), Executing
(Ausführung) und Judging (Beurteilung) entwickelt (dazu Bossing 1942, S. 124), das
zweifelsohne die Verbreitung des „Learning by Doing“ erleichtert, aber auch zur
schematischen Vernutzung als „Projektmethode“ beitrug (Kilpatrik 1935, S. 176ff). Ebenfalls
erweitert er den Projektbegriff über praktische Tätigkeiten hinausgehend auf die
selbstorganisierten Bewältigungen theoretischer Aufgabenstellungen („ernsthaftes
absichtsvolles Tun“), was für die sozialwissenschaftliche Verwendung von größter Bedeutung
ist. Danach definiert sich ein Projekt als „jedes von einer Absicht geleitete Sammeln von
Erfahrungen, jedes zweckgerichtete Handeln, bei dem die beherrschende Absicht als innerer
6 Wie der Dewey-Biograph Martin Suhr belegt, knüpfte Deweys mit seinem Verständnis des Denkens und der methodischen Untersuchung an Sokrates und dessen Methode der „Maieutik“ an, wobei er dessen Vier-Stufen-Schema der Erkenntnisfindung modifizierte (Suhr 1994, S. 45 - 53).
Antrieb (1.) das Ziel der Handlung bestimmt, (2.) ihren Ablauf ordnet und (3.) ihren Motiven
Kraft verleiht“ (Kilpatrick 1921 bei Bossing 1942, S. 117f).
II. 2 Ziele projektorientierten Lehren und Lernens
Eine Lehr-/Lernform, die als didaktisches Modell verstanden werden soll, muss zur eigenen
Legitimation offen legen, welche Ziele durch ihre Anwendung in besonderer Weise
umzusetzen sind. Bereits im Jahre 1989 dokumentiert F.-J. Kaiser (1989, S. 1275)7
inhaltsübergreifende Ziele, die hinsichtlich der hier verwandten Kompetenzdefinition (vgl.
Kap. I) einer Aktualisierung bedürfen:
Ziele des Projektunterrichts
1. Die Lernenden sollen durch den Projektunterricht ihren Neigungen und Interessen
entsprechend Themen bestimmen, diese in bearbeitbare Bereiche gliedern, daraus
eigenständige Aufgabenstellungen entwickeln und diese erarbeiten.
2. Dabei sollen sie
- sich aus eigenem Antrieb heraus und ihren Fähigkeiten entsprechende Ziele setzten,
Wege zum Erreichen der Ziele entwerfen und die zur Zielerreichung notwendigen
Leitungen erbringen;
- selbständig Informationen einholen, sammeln, ordnen, auswerten und kritisch
beurteilen und einsetzen;
3. Die Lernenden sollen durch den Projektunterricht lernen,
- zielstrebig mitgestaltend oder verändernd initiativ zu werden;
- Fähigkeiten entfalten und erproben und dabei sowohl Erfolgserlebnisse als auch
die Grenzen ihres Leistungsvermögens kennen und verarbeiten lernen ;
4. Die Lernenden sollen durch den Projektunterricht erfahren, dass zur Lösung der gesetzten
Ziele und Aufgaben kooperatives Handeln notwendig ist. Dabei sollen sie
- die Notwendigkeit arbeitsteiliger Tätigkeiten erkennen,
- lernen, die kollektiv definierten Ziele zu verfolgen und die eigenen Fähigkeiten im
Gruppenprozess einzubringen und einzuschätzen;
- ihre Anliegen artikulieren und vertreten lernen und sich in sachlicher Diskussion
üben;
- auftretende Problemen (Schwierigkeiten, Spannungen, Konflikte) zielstrebig und in
demokratischer Weise selber lösen.
7 Bezug nehmend auf Struck 1980 und die niedersächsischen Rahmenrichtlinien für die Orientierungsstufe.
5. Die Lernenden sollen durch den Projektunterricht
- die eigenen Arbeitsergebnisse anderen zugänglich und verständlich machen;
- sich die Arbeitsergebnisse anderer als wesentliche Teilergebnisse aneignen und das
Gesamtergebnis verinnerlichen;
- das eigene und gemeinsame Tun am Arbeitsergebnis reflektieren.
Diese Auflistung der extrafunktionalen, den speziellen Projektinhalt überragenden Ziele, die
keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit erheben, verdeutlicht, dass das Projektverfahren
von den Lernenden eine Vielzahl von Befähigungen verlangen, die - mehr als in anderen
Unterrichtsformen - ein erhöhtes Maß motivationaler, volitionaler und sozialer Bereitschaften
und Fähigkeiten erfordern und somit zur Bewältigung von Lern- und Lebenssituationen
befähigen. Dabei synthetisieren traditionelle Funktionen des Lehrens und Lernens. Es sind
Ziele, Planungsschritte und Methoden zu bestimmen und strategische Vorgehensweisen zu
finden. Der Lernprozess ist plangemäß (oder anhand definierter Abweichungen) zu
realisieren, die Ergebnisse sind zu dokumentierten und der gesamte Projektprozess ist kritisch
zu reflektieren, wobei alles diskursiv-kollektiver Vereinbarungen bedarf. Somit wird die
Lernkultur - mehr als in anderen Unterrichtsformen – durch den Erwerb von
- Schlüsselqualifikationen (Teamfähigkeit, Problemlösefähigkeit, Kreativität, ...),
- Prozesswissen (Handlungs-, Orientierungs-, Partizipationswissen, ....),
- demokratischen Handelns (im Treffen von Ziel- und Wegentscheidungen),
- Selbstwirksamkeitsüberzeugung (Anforderungen selbständig erfolgreich meistern) und
- Nachhaltigkeit (gesellschaftlich produktiv werden, Wissen und Können generieren,
....)
bereichert, womit das Zielspektrum und Chancen der Projektarbeit zeitgemäß definiert
werden (Emer/Lenzen 2002, S. 33).
II. 3 Merkmale Sind die Ziele zeitgemäß definiert, gilt es, die besonderen Merkmale des Projektunterrichts zu
verdeutlichen. Für das ältere Projektverständnis hatte Nelson Bossing bereits im Jahre 1942
charakteristische Gemeinsamkeiten definiert. Danach sollte ein Projekt (1.) eine Aufgabe
enthalten, die (2.) einen größeren und wichtigen Arbeitsvorgang zu implizieren, bei dem (3.)
die Verantwortung für die Planung und Ausführung bei den Lernenden zu liegen habe und
(4.) die Bewältigung der Aufgabe eine praktische Tätigkeit beinhalten müsse (Bossing 1942,
S. 118). Im Kilpatrickschen Sinne erweitert, umfasst die Bezeichnung „praktisches Tun“ die
selbstorganisierte Bewältigung theoretischer Aufgabenstellungen. Über den methodischen
Ablauf des Projektverfahrens (die Artikulation) in den Schritten Zielsetzung, Planung,
Ausführung und Beurteilung, schien bereits damals Übereinstimmung zu herrschen (Bonn
1974, S. 471).
Die deutsche projektpädagogische Literatur der bewegten 1970-er Jahre zielt weniger auf den
Erwerb fachspezifischer Erkenntnisse als auf die Ermöglichung problemorientierten
Handelns. Sie definierte den Umweltbezug, den Adressatenbezug, die Produktorientierung,
die Überfachlichkeit, die Durchschaubarkeit, den Sozialbezug und den mehrdimensionalen
Lernbezug als Merkmale (dazu: Jung 1997, S. 18f). Hinsichtlich eines zeitgemäßen
Projektverständnisses generiert Herbert Gudjons (1986, S. 57 - 68) zehn sich gegenseitig
beeinflussende Merkmale des Projektunterrichts, die er eher als „einkreisende
Umschreibungen“ denn als „ausschließliche Definition“ verstanden haben will. Angesichts
der umfänglichen Rezeption der Gudjonsschen Merkmale muss sich im Rahmen dieses
Beitrags auf eine weitgehende Benennung begrenzt werden:
1. Situations- und Umweltorientierung
2. Orientierung an den Interessen der Beteiligten
3. Selbstorganisation und Selbstverantwortung
4. Gesellschaftliche Praxisrelevanz
5. Zielgerichtete Projektplanung
6. Produktorientierung
7. Einbeziehung möglichst vieler Sinne
8. Soziales Lernen
9. Interdisziplinarität
10. Grenzen des Projektunterrichts
Zum Projektmerkmal Produktorientierung bleibt anzumerken, dass es die Generierung des
Lernergebnisses in einem zu erschaffenden und mitteilungsfähigen Produkt umschreibt,
worunter nicht nur technisch-manuelle Handlungsergebnisse zu verstehen sind. Ebenso
können es „persönlich tiefgreifende Erfahrungen, Veränderungen von Haltungen und
Einstellungen" und deren Präsentationen im Sinne Kilpatricks sein. Ein zeitgemäßes und für
sozialwissenschaftliche Anwendungen grundlegendes Produktverständnis begründen
Dunker/Götz anhand der nachstehenden Matrix.
Innere/interne Produkte Äußere/externe Produkte Abgeschlossene Produkte
1.Wissen und Fertigkeiten als abrufbares Repertoire (personen- unabhängig): z.B. Erste-Hilfe-Kurs, Säuglingspflege, Mofa-Führer- schein, Tanzen
2.Vorzeigbare Gegenstände und Aktionen (Petition, Collage, Schaubild, ganzheitliche Darstel- lungen, Ausstellung, Aufführung, Willensbekundung
Offene Produkte
3. Identitätsfördernde und persön- lichkeitsbildende Erkenntnisse, Einsichten, Fähigkeiten, Einstellungen: z.B. Armut in Deutschland, Wehrdienst oder Zivildienst, Nachhaltigkeit, Gewalt von Rechts
4. Verbesserungen von Situationen, handelnde Beeinflussung von Arbeits -, Lern- und Lebensbe- dingungen: z. B. Profil demokra- tische Schule, Jugendliche in unserer Stadt, ausländische Mitschüler
Matrix möglicher Produkte nach Dunker/Götz, 1984, S. 137 (geänderte Darstellung) Die vorangestellten Ziele und Merkmale kennzeichnen den projektpädagogischen
Maximalplan, dessen Einhaltung Lehrende oftmals vor hohe Hürden stellt und die
unterrichtliche Realität (curriculare Vorgaben, begrenztes Zeitbudget, fremdbestimmte
Prüfungsinhalte, räumlich-mediale Ausstattung usw.) zu Eingrenzungen zwingt. Bei
Aufrechterhaltung der Intentionen reduziert die Projektorientierung (oder das projektartige
Lernen) den theoretischen Maximalanspruch auf den jeweiligen Realanspruch (Bonn 1974, S.
472). Projektorientiertes Lernen kennzeichnet sich dadurch, dass es
- weniger auf die reine Vermittlung fachspezifischer Erkenntnisse als auf die Ermöglichung
von problemorientiertem Handeln zielt;
- mehr entdeckende als darstellende Lehrverfahren favorisiert;
- die Lernenden die Ziele im Lehr-/Lernprozess weitgehend selbst finden lässt;
- den Lehrenden von der alleinigen Verantwortung für die Steuerung des Lernprozesses und
der Überprüfung der Lernergebnisse befreit, statt dessen handlungsorientierte
Informationsquellen und Kommunikationsformen (Planspiele, Rollenspiele, Simulationen
usw.) praktiziert, bei denen der Lehrende auch zum Lernenden wird (Jung 1997, S. 22f).
II.4 Methodische Verfahrensweisen
Selbst wenn dieser Beitrag von einem Projektverständnis als didaktische Konzeption ausgeht
und die reine instrumentelle Verwendung als Projekttechnik oder Projektmethode ablehnt,
besitzen didaktische Ansätze immer auch eine methodische Komponente. In Auswertung
realer Projekte exploriert Karl Frey (19988, S. 18ff) drei charakteristische Artikulationen, die
er hinsichtlich implizierter Gemeinsamkeiten zu typischen Projektverläufen generalisiert
(dazu: Jung 1997, S. 23f).
Projektverlauf 1 Projektverlauf 2 Projektverlauf 3
Phase 1
Einfälle äußern
Phase 2 Ideen erklären
Phase 3
Wünsche prüfen und werten
Phase 4 Bedürfnisse veranschaulichen
Phase 5
Vorstellungen beurteilen
Phase 6 Entscheide fällen
Phase 7
Ausführung planen
Phase 8 Vorhaben verwirklichen
Phase 9
Verwirklichung erfahren
Phase 10 Projekt überdenken
Auftrag von außen entgegennehmen
in der Gesamtgruppe diskutieren
Teilgruppe prüft rechtliche
Aspekte
Arbeit in Teilgruppen
Denkmodelle Geldmittel entwerfen klären
mögliche Probleme auflisten
Plenumsdiskussion
Einsetzen einer Planungsgruppe
Metadiskussion
Arbeitsverteilung
Arbeit in den Gruppen
Produkte austauschen
mit Auftraggeber diskutieren
Retrospektive
auswählen eines Gebietes
„finden“ └────▼────┘
eingrenzen
└──▼──┘ verschiedene Aufgaben
┌──── ────┐
Arbeit in kleinen Gruppen
└── ──┘
gemeinsam nachdenken
Fixpunkte einlegen
⎧ ⎯ ⎯ ⎯ ⎯ ⎯ ⎞⎯ ⎞⎯ ⎞ Einzel- und Gruppenarbeit
⏐ ⏐ ⏐ ⏐ ↓ ↓ ↓ ↓
Berichte Arbeitsergebnisse
┌────────▲─────────┐
Diskussion der Ergebnisse Maßnahmen planen,
„Manöverkritik“
Artikulationsschema Projektverläufe (nach Frey 19956, S. 18 - 20; geänderte Darstellung)
Aus diesen typischen Verlaufsstrukturen lassen sich folgende Gemeinsamkeiten
generalisieren:
1. Phase: Ausgangssituation und Projektinitiative
Den Ursprung eines Projektes oder einer projektorientierten Sequenz bildet immer eine
(interne oder externe) Projektinitiative (Initialimpuls, mögliches Thema finden).
2. Phase: Beratung und Abstimmung über die Projektinitiative
Die Projektmitglieder beraten über diese und verständigen sich über das angestrebte Ziel
(zielspezifische und inhaltliche Reflektion).
3. Phase: Entwicklung der Betätigungsgebiete
Die Projektmitglieder entwickeln Betätigungsgebiete, in dem sie ihr Vorhaben planen, ggf.
eingrenzen und realisieren.
4. Phase: Unterbrechung der Tätigkeit (Fixpunkt)
Die vielfältigen Betätigungen werden zur Information aller Projektteilnehmer und zur
Reflexion über das eigene Tun unterbrochen (Fixpunkte, Information, Metadiskussion).
5. Phase: Produktpräsentation und Abschluss
Ein bewusst gesetzter Abschluss oder ein vereinbarter Übergang zu einer anderen Aktivität
beendet das Projekt. Es gilt, das Lernergebnis (Produkt), das Verfahren und evtl.
Abweichungen zur Wirklichkeit zu bewerten (ebd. S. 21; Jung 1997, S. 25).
Nach ähnlichem Verfahren (Analyse realer Projektverläufe, Generierung eines idealtypischen
Verlaufs) haben Emer und Lenzen (2002, S. 120 - 129) eine Verlaufsstruktur in den Phasen:
1. Initiierung, 2. Einstieg, 3. Planung, 4. Durchführung, 5. Präsentation und 6. Auswertung
und 7. Weiterführung ermittelt und durch die Beschreibung wesentlicher Aspekte,
methodischer Schritte und methodischer Kompetenzen ergänzt. Die zeitgemäße Aufbereitung
weist (geringe) Mängel im Kompetenzverständnis und dem Fehlen von Fixpunkten auf, die
im Rahmen der inhaltlichen Vermittlung von Bildungsgegenständen eine besondere
Bedeutung besitzen. Im Rahmen der Fixpunkte wird die Betätigung zur Reflexion und zum
Austausch über den Projektprozess unterbrochen. Dabei wird das Plenum über die Arbeit aller
Gruppen informiert. So erhalten alle(!) Teilnehmer einen Einblick über den aktuellen Stand
der Erkenntnisfindung, stellen Fragen und erhalten Erklärungen und unterbreiten evtl.
spontane weiterführende Lösungsvorschläge. Dadurch erhält die Projektleitung einen
realistischen Überblick über die Arbeitsstände, kann ggf. Hilfen anbieten oder auch
zusätzliche Erschwernisse einbauen. Bei größeren Projekten sind mehrere Fixpunkte
erforderlich. Ist ein Projekt nicht in einem zusammenhängenden Zeitraum realisierbar
(sondern z. B. in 4-stündigen Blöcken über mehrere Wochen) ist es ratsam, jede neue
Arbeitsphase mit einem den Lernstand auffrischenden Fixpunkt einzuleiten.
In reale Projektverläufe ist das gesamt Repertoire handlungsorientierter Methoden integrierbar
(Emer/Lenzen 2002, S. 120), in die 1. Phase (Projektinitiative) motivierende
Verfahrensweisen, wie das Brainstorming oder die Moderatorentechnik. Dabei gilt es,
Lernende für die anstehende Thematik zu sensibilisieren und für den gesamten
Erkenntniserwerb zu motivieren. Wenn es der Zielerreichung dient, können in die zweite
Phase sowohl lehrgangsorientierte Sequenzen als auch das gesamte Spektrum des
Erfahrungslernens (Erkundungen, Befragung, Rollenspiel, Problemanalyse usw., dazu:
Klippert 1988, S. 75ff) integriert werden. In Mind Maps können differenzierte Strukturen
erarbeitet und graphisch dargestellt werden. Mit deren Hilfe sich der
Erkenntnisfindungsprozess strukturieren und Gruppen- oder Einzelaktivitäten ableiten lassen.
Wandzeitungen, Leserbriefe, Texte, Kommentare usw. bis hin zu interaktiven CD-ROMs
stellen Produkte (oder Teilerprodukte) dar, in denen sich das projektpädagogische Ergebnis
vergegenständlicht. Die drei zentralen projektpädagogischen Leitfragen, die motivationale,
inhaltliche, gestalterische, strategische und demokratische Ziele integrieren, könnten lauten:
1. Was müssen wir wissen, verstehen, beurteilen und handelnd bewältigen, um die (selbst-)
gestellten Ziele zu erreichen?
2. Auf welche Weise erwerben wir die dazu erforderlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und
Kenntnisse (Qualifikationen)?
3. Wie können wir unsere Ergebnisse einer relativen Öffentlichkeit angemessen präsentieren?
III. Überleitung: Vom Normalunterricht zu projektorientierten Lehr-/Lernformen Der Auftrag die „Projektpädagogik als didaktische Konzeption“ zu entfalten bedeutet nicht
nur deren theoretischen Gehalt zu erschließen, aus einer umfangreichen Literatur das
Wesentliche herauszufiltern und Ziel gerichtet zu bündeln. Eine didaktische Konzeption sollte
über die Offenlegung der Ziele und die Darstellung möglicher Abläufe hinaus
Handlungsanleitung vermitteln, wie das Gewünschte als unterrichtliche Normalform zu
realisieren und zu festigen ist. Dieser Teil des Beitrags basiert weniger auf der umfangreichen
Literatur zum Thema als auf den langjährigen projektpädagogischen Erfahrungen in Schule
und Hochschule.
Angesichts der registrierten Kluft zwischen den zeitgemäßen Bildungserfordernissen und der
unterrichtlichen Realität erscheint ein Kapitel, das sich mit der Etablierung des
Projektunterrichts als unterrichtlicher Normalform beschäftigt, heute notwendiger denn je.
Trotz konkreter Forderungen und Bildungsplanvorgaben sowie einer über eineinhalb
Jahrzehnte andauernde Methodendiskussionen, nimmt der Lehrer zentrierte Frontalunterricht
noch über 90% der Unterrichtszeit in Anspruch. Wo zum Erreichen unterrichtlicher Ziele ein
angemessener Methodenmix gefordert wäre, in dem auch der lehrer- und lehrgangszentrierte
Frontalunterricht seinen festen Platz hat, scheint noch immer methodische Eintönigkeit
vorzuherrschen.
Lehrkräften, die diesen traurigen Zustand methodischer Einfältigkeit überwinden wollen, wird
empfohlen, dies in kleinen Schritten zu tun und dabei weder sich selbst noch die Lernenden
zu überfordern. Eine pädagogisch sinnvolle Überleitung vom Frontalunterricht zum
Projektunterricht sollte in einer gestuften Schrittfolge von vier aufeinander aufbauenden
Schritten vollzogen werden, wobei je nach Grad der Verfestigung der bisherigen Normalform
und der Neigung neue Wege zu gehen, die Schrittdauer in einzelnen Lerngruppen variieren
kann:
a) Vom Frontalunterricht zur (arbeitsgleichen) Gruppenarbeit
b) Von der (arbeitsgleichen) Gruppenarbeit zur arbeitsteiligen Gruppenarbeit
c) Von der arbeitsteiligen Gruppenarbeit zum projektorientierten Unterricht
d) von der Projektorientierung zum Projekt
Die Implementierung der jeweils nächsten Stufe erfordert die weitgehende Beherrschung der
darunter liegenden.
Schritt a) Vom Frontalunterricht zur (arbeitsgleichen) Gruppenarbeit
Soll vom Frontalunterricht zur (arbeitsgleichen) Gruppenarbeit übergeleitet werden, bedarf es
einer speziellen Erarbeitungsphase, in der sich die Lernenden eigenständig Teile des
Bildungsgegenstands erarbeiten. Voraussetzung bildet eine spezielle Planung dieser Phase
und der beiden Übergänge. Dass dabei über eine Motivationsphase und eine thematische
Hinführung evtl. unter Einsatz von Informationsmedien zur Erarbeitungsphase übergeleitet
wird, bedarf keiner besonderen Begründung. Ein daran anschließendes Lehrer-Schüler-
Gespräch sollte in offenen Fragen enden, die Lernspannung erzeugen und deren
Beantwortung nicht in gewohnter Weise (lehrerzentriert) erfolgen. Die Bearbeitung der im
Rahmen der Unterrichtsvorbereitung antizipierten Problemlage muss anhand strukturierter
Fragen erfolgen, z.B. unter Zuhilfenahme des Mediums Informations- und Arbeitsblatt (oder
bestimmter Buchseiten) auf dem Informationen zur Lösung der Fragestellung und zum
Weiterdenken angeboten werden. Die Lernenden erarbeiten die gestellte Aufgabe
arbeitsgleich. In der Ergebnisphase werden die erzielten Ergebnisse dargestellt, verglichen,
ergänzt, vertieft, problematisiert und als Ergebnis der Lernsequenz gesichert.
Schritt b) Von der arbeitsgleichen Gruppenarbeit zur arbeitsteiligen Gruppenarbeit
Der aufbauende zweite Schritt erfordert eine größere Problemlage, die z.B. aufgrund
unterschiedlicher Standpunkte oder Theorieansätze unterschiedliche Welterklärungen
ermöglicht. Bei ähnlicher Problematisierung und Hinführung, aus der die verschiedenen
Erklärungsansätze deutlich werden, ergeben sich unterschiedliche Problem- und
Fragestellungen, deren Beantwortung unterschiedliche Gruppen erfordern, wobei in einem
frühen Stadium spezielle Motivationen, Interessen und Neigungen der Lernenden nicht zu
ignorieren sind. Natürlich bedarf ein arbeitsteiliger Gruppenunterricht einer intensiveren
Vorbereitung, denn die möglichen Erarbeitungsschwerpunkte müssen antizipiert und materiell
gefüllt werden. Der größte Unterschied zum arbeitsgleichen Gruppenunterricht liegt jedoch in
der Qualität der Ergebnissicherung, denn es darf nicht Ziel eines arbeitsteiligen Vorgehens
sein, dass Lernende zu „Experten“ in dem von der Gruppe erarbeiteten Teilaspekt erzogen
werden. Vielmehr gilt es, den angestrebten Bildungsgegenstand allen Lernenden angemessen
zu vermitteln, was einer entsprechenden Ergebnissicherung bedarf, die das Erarbeitete aller
Gruppen diskutiert, jeweilige Aspekte der Vertiefung aufnimmt und den Erkenntnisgewinn
sichert. Der Zeitbedarf bei arbeitsteiligem Vorgehen steigt pro zusätzlicher Gruppe
überproportional.
c) Von der arbeitsteiligen Gruppenarbeit zur Projektorientierung
Wenn auf dem Weg zu Projekten die projektorientierte Sequenz überschaubar gehalten
werden soll, was unbedingt zu empfehlen ist, kann die Struktur der vorherigen Phase
aufrechterhalten werden. Der Unterschied zwischen arbeitsteiliger Gruppenarbeit und
projektorientierter Lehr-/Lernsequenz kennzeichnet den Übergang vom geschlossenen zum
offenen Curriculum. Die zu erarbeitenden Aspekte ergeben sich aus der implizierten
Problemlage und dem Bestreben der Lernenden diese zu hinterfragen und einer Lösung
zuzuführen. Die zu bearbeitenden Informationen sind nicht mehr am Lehrerschreibtisch
ausgewählt und strukturiert, sondern müssen eigenständig recherchiert, bearbeitet und
präsentiert werden. „Was (Wissen und/oder Können) müssen wir uns aneignen um unsere
Fragestellung (Problem) zu lösen? könnte die entsprechende Leitfrage am Beginn der
projektorientierten Sequenz lauten. Ziel ist es, eine (überschaubare) Problemlage durch
Aktivitäten der Lernenden einer Lösung zuzuführen, wobei das erforderliche Wissen und
Können von den Lernenden eigenständig erworben und in einem mitteilbaren Ergebnis
„Produkt“ gebündelt wird. Für die Ergebnissicherung gilt grundsätzlich das, was in der Phase
des arbeitsteiligen Gruppenunterrichts bereits verdeutlicht wurde. Die Ergebnissicherung
verschärft sich dadurch, dass nicht auf, vom Lehrenden angefertigte Informations- und
Arbeitsblätter zurückgegriffen werden kann, sondern dass es an der Qualität der definierten
Fragestellung, des erarbeitenden Ergebnisses (Produkt) und der Präsentation liegt, ob der
Lernerfolg für alle gesichert ist.
d) Von der Projektorientierung zum Projekt
Der Schritt zum Projektunterricht ist jetzt weitgehend nur noch ein quantitativer. Das Arbeiten
in Gruppen, das zielgerichtete Sammeln von Informationen und deren Verdichten zu
Erkenntnissen sowie das Präsentieren und Diskutieren der Lernergebnisse ist an
überschaubaren Problemstellungen geübt worden, die es jetzt zu vergrößern gilt. Die Planung
des Projektunterrichts durch den Lehrenden erfolgt weniger detailliert und bewegt sich eher
auf einer Hyperebene. Natürlich ist der Sachverstand des Lehrenden eine wesentliche
Voraussetzung für das Gelingen, jedoch kann es nicht darum gehen, alle erforderlichen
Informationen, Erkenntnisse und Handlungsweisen vorzuhalten. Vielmehr geht es um eine
antizipierende Durchdringen des möglichen Projektgeschehens und um die Frage, ob die zur
Lösung des als problematisch empfundenen und zur Bündelung der Erkenntnisse in einem
Bildungsprodukt erforderlichen Informationen, Erkenntnisse und Handlungsweisen überhaupt
und auch im vorgesehenen (und verantwortbaren) Zeiträumen erwerbbar sind. Der geplante
Zeitrahmen muss ausreichen, um
- das Problem zu erkennen, zu diskutieren und Lösungswege zu entwerfen,
- Informationen zu sichten, zielgerichtet auszuwerten, zu diskutieren und für die
Präsentation aufzubereiten,
- in den einzulegenden Fixpunkten den jeweiligen Erkenntnistand und die erlebten
Schwierigkeiten und Erfolge mitzuteilen und so dazu beizutragen, dass alle Lernenden
die Gesamtaufgabe nicht aus dem Blick verlieren.
IV. Hemmnisse
Zur Frage, welche Gründe existieren, die eine weitreichende Anwendung des
Projektunterrichts (und auch anderer, vom lehrer- und lehrgangsorientierten Unterricht
abweichenden Unterrichtsformen) als Normalunterricht verhindern, bleibt einiges
anzumerken.
- Kaiser (1989, S. 1280f) verweist zu Recht auf die Bedeutung schulischer
Rahmenbedingungen und auch darauf, dass erfolgreiche Projektarbeit nicht administrativ
verordnet werden könne, sondern einer besonderen Atmosphäre (Projektförderlichkeit)
bedürfe. Diese sieht er in größeren Schulen, in denen sich Lehrende als wissenschaftliche
Vertreter fest gefügter Fach- und Lehrgangssysteme definieren weniger gegeben. Die dem
Schulfächersystem immanente Schwerfälligkeit könne in kleineren Organisationseinheiten
eher überwunden werden, in überschaubaren Schulen oder in schulischen Teilbereichen.
Projektförderlichkeit erfordert auch, dass die schulischen Arbeitsräume so zu gestalten sind,
dass Lehr-/Lernsituationen nach projektpädagogischen Erfordernissen gestaltet werden
können. Dazu sind die Klassenzimmer der traditionellen Lehr- und Buchschule in
projektpädagogische Lern- und Erlebensräume umzugestalten, was nicht kostenneutral sein
kann. Ebenfalls bedarf es Alternativen zu den üblichen 45- bzw. 90-minütigen Zeittakten.
- Über einen langen Zeitraum legitimierte das nicht Erscheinen von Projekten in Lehr- und
Bildungsplänen, die sich als fachbezogene Zusammenstellungen von Lehr- und
Bildungsinhalten verstanden, die beklagte Projektabstinenz. Diese Ära darf als überwunden
angesehen werden. Über die Forderung nach Methodenwechsel und teilweise
vorgeschriebenen Methoden ist vielerorts Projektcurricula entstanden (beispielsweise in den
in Grund-, Haupt- und Realschule und der Lehrerbildung Baden-Württembergs).
- Lange Zeit galt die abschreckende Erkenntnis, dass die im Projektunterricht erbrachten
Leistungen nicht zu den traditionellen Formen der Leistungsbewertung passten (Emer/Lenzen
(2002, S. 5). Diese Auffassung konfligiert mit einem Bildungsverständnis, das seiner
allokativen Funktion (Dreigliedrigkeit mit entsprechenden Zuweisungsprozessen) einen
ähnlich hohen Stellenwert zugesteht, wie der Qualifikationsfunktion. Da durch die
ausbleibende Entrümpelung der Lehrpläne und andere Faktoren, die unterrichtliche Nettozeit
ohnehin immer knapp war, wurde das Zeitintensive, nur ungefähr Planbare und nicht (oder
nur schwer) Beurteilbare (dazu: Bastian 1997) allzu gerne in die mit „Funelementen“
angereicherte Projektwoche verschoben. Angesichts der Aufnahme von Projektprüfungen in
Schulformabschlussprüfungen einiger Bundesländer kann auch diese Ära als überwunden
angesehen werden.
- Darüber hinaus dokumentieren Emer/Lenzen (2002, S. 38ff) aktuelle Argumente der
Projektkritik. Demnach beurteilt (Liste unvollständig)
- Oelkers den Projektunterricht im Vergleich zum Frontalunterricht für Schüler und
Lehrer als anspruchsvoller, wobei keineswegs sicher sei, ob „die Steigerung der
Anstrengung mit steigender Effektivität verbunden ist“ (Oelkers 1997, S. 26);
- Diederich (1994) bezeichnet den Projektunterricht als eine Sache für Schwärmer und
Utopisten, wobei seine wirkliche Effektivität überschätzt würde;
- Bönsch (1998, S. 132) sieht seine Überlebenschancen nur dann gegeben, wenn sie
realistisch didaktisch-methodisch gefasst werde.
Im Spannungsfeld zwischen „abstrakter Negation und unkritischer Adaption“ schwingt immer
noch die Auffassung mit, dass die Projektpädagogik radikal reformpädagogische Positionen
beinhalte, weshalb sie von den einen gewollt und von den anderen gefürchtet werde
(Emer/Lenzen, 2002, S. 40).
Die inhaltliche Kritik Oelkers (1997, S. 26), der mit Blick auf Geschichtsprojekte die
Schwierigkeiten uneindeutiger historischer Tatbestände und das Vorhandensein
unterschiedlicher Varianten und Wertungen von Welterklärung erkennt, und sich deshalb
nicht einfach (was die Projektpädagogik unterstelle) aus den Lehrbüchern abrufen und
„wahrheitsgetreu nachspielen lassen“, lässt sich aus politikdidaktischer Sicht mit Bezug auf
das Kontroversitätsprinzip des Beutelsbacher Konsenses klären. Klarzustellen bleibt, dass in
Projekten erarbeitete verkürzte Formen der Welterklärung der Problematisierung und der
Erweiterung (Korrektur) bedürfen, z.B. in einen Fixpunkt, in der Phase der inhaltlichen
Weiterführung oder sie werden durch einen lehrgangsorientierten Vorspann gar vermieden.
Natürlich werden gehobene fachdidaktische Standards im Projektunterricht eher angewandt,
wenn sie bereits im Lehrer zentrierten Frontalunterricht ihre Berücksichtigung fanden.
Hinsichtlich der von Oelkers befürchteten mangelnden Effizienz erlaube ich mir zu
erinnern: Vor fast einem viertel Jahrhundert korrigierte Claußen (1981, S. 251ff) das
verkürzte Projektverständnis des Pädagogen und politischen Bildners Gisecke8, in dem
er die in der Projektpädagogik implizierten Chancen der politischen Bildung
hinsichtlich „Selbsttätigkeit, mehrdimensionale Problemdurchdringung und Vielfalt der
Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten“ offen legte. Im direkten Gegensatz
zum Schwärmerischen und Utopistischen warnte er davor, die Projektpädagogik zum
durchgängigen Unterrichtsprinzip zu erheben und moniert die „Unwirtschaftlichkeit“,
alle Informationen nur auf „dem Wege des forschenden und entdeckenden Lernens“
finden zu lassen (Jung 1997, S. 27f). Genau das ist es, was die Bildungskommission
Nordrhein-Westfalen in ihrer Denkschrift „Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft“
deklariert, wenn sie des Nichtzustandekommens sinnvoller Lernzusammenhänge und
die daraus resultierende Lernmüdigkeit als Folge der traditionellen Fächerstruktur
beklagt und zu deren Überwindung das Durchführen zeitlich begrenzter Projekte „als
positive, richtungweisende Beispiele“ fordert (Bildungskommission NRW, S. 101f).
V. Ausblick: Wie politisch ist die Projektpädagogik?
Erziehung zur Demokratiefähigkeit gilt seit langem als wesentliche Aufgabe der politischen
Bildung. Dabei umschreibt der Begriff Demokratie nicht nur eine besondere Herrschaftsform,
sondern auch ein Gesellschafts- und Lebensprinzip (dazu: Himmelmann 2001). In alle
Bereiche „des Demokratischen“ sind junge Menschen einzuüben. Dabei sind nicht nur die
8 Giesecke (19742, S. 95ff) erwähnte (nach eigener Aussage) die „Methode des Projekts“ nur deshalb, weil er vermutete, dass der Leser dies angesichts der damals aktuellen Diskussionen erwarte, denn sowohl in der universitären Fachdidaktik als auch in der Diskussion zur Reform des Schulunterrichts würden Projekte „auf Kosten des herkömmlichen Schulunterrichts zunehmend favorisiert“. In seiner Einschätzung stellen Projekte - im Vergleich zum Planspiel, dem Tribunal, der Provokation, der Sozialstudie, der Produktion, dem Rollenspiel und dem Lehrgang - keine eigenständige Methode (in dem von ihm beschriebenen Sinne) dar, denn es mangele an einer genauen inhaltlichen Kennzeichnung des Kommunikationszieles. Resümierend deklarierte er das Projekt als Gesamtüberschrift für all diejenigen Methoden, die „Lernprozesse anders als nach dem klassischem Muster des sich systematisch Belehren-Lassens organisieren“ (ebd. S. 97).
Gehalte „des Politischen“ bzw. „des Demokratischen“ zu vermitteln, vielmehr gilt es, über die
Festigung demokratischer Verhaltensweisen (Demokratie auf der Mikroebene erfahren und
erlernen) ein demokratisches Miteinander (Demokratie auf der Makroebene leben) zu
manifestieren.
Dass die Sozialisationsagentur Schule bei der Vermittlung des „Gegenstandes des
Demokratischen“ eine besondere Bedeutung zuzugestehen ist, bedarf keiner näheren
Erläuterung. Demokratie-Lernen in schulisch–institutionellen Bezügen muss demokratisches
Wissen und Können vermitteln, wozu entsprechende Prägungen und Verhaltensweisen zu
festigen sind. Diese Aufgabe ist nicht nur im Rahmen der politischen Bildung (als Fach und
Prinzip) zu leisten, sondern durch das gesamte schulische Miteinander. Dort ergänzen sich
manifeste politische Sozialisations- und Bildungsgehalte der expliziten Übertragung von
Inhalten, Werten und Gefühlen durch Formen der latenten politischen Sozialisation. Diese
werden durch die Schul- und Unterrichtsorganisation und durch personale Faktoren
beeinflusst (Jung 2000, S. 198).
Hinterfragt man die dominierende methodische Form des Lehrer zentrierten Frontalunterrichts
hinsichtlich seiner manifesten und latenten politischen Sozialisationsgehalte, dann fallen,
neben dem nicht Erreichen der in Kap. II.2 entfalteten besonderen Ziele, gewisse
Eigenartigkeiten auf, die angesichts seiner Dominanz der unterrichtlichen Verfahrensweise
Bedenklichkeiten auslösen:
- So werden Lernende über weite Bereiche ihres schulischen Erlebens in passiv-reaktive
Rollen gedrängt, die Kompetenzvermittlung in dem von Weinert definierten Sinne
behindert.
- Sie sind einer Rollenverteilung ausgesetzt, die grundsätzlich „in den/die Wissende(n)“
und „die Unwissenden“ differenziert, mit der permanenten Angst der/des „Wissenden“
und „der Unwissenden“ verbunden, als partiell unwissend entlarvt zu werden.
- In der Rolle der/des Wissenden bündeln sich viele das Unterrichtsgeschehen und das
gesamte Lernfeld prägende ungeteilte und deshalb demokratieunübliche Legislativ-,
Exekutiv- und Judikativfunktionen, die auch durch größte Schülerzugewandtheit nur
zu lindern sind.
- Zur Vermittlung des Lerngegenstandes wird sich einer „Fragetechnik“ bedient, die -
da die Antworten dem (oder der) „Wissenden“ bekannt sind - keine Fragen im
eigentlichen Sinn beinhaltet und fließend in beurteilende Funktionen überleiten.
- Ebenfalls sind Formen der thematischen Einführung zu beachten, die Lernende über
einen gewissen Zeitraum im unklaren lassen, welches Thema zur Behandlung ansteht,
geschweige denn, dass es Teil ihrer Lebenswelt wäre, oder dass man sich gar mit
ihnen über die zu vermittelnden Ziele und die dazu einzuschlagenden methodischen
Wege verständigt hätte.
In einem angemessenen Methodenmix eingebettet und mit Schüler zugewandten
Verhaltsweisen und Persönlichkeitsfaktoren gekoppelt, mögen die aufgezählten Aspekte nicht
als problematisch erscheinen, jedoch müssen sie im Rahmen einer alles dominierenden
Monomethode als prägend angesehen werden. Ohne Zweifel widersprechen sie der von
Henkenborg (1997, S. 60) erhobenen Forderung, dass sich Demokratie-Lernen „in einer
kommunikativen Praxis offener und demokratischer Verständigung“ zu vollziehen habe.
In diesem Sinne basiert die politische Begründungsebene für den Projektunterricht auf der
normativen Ebene des Grundgesetztes, in dem die Grundlagen für ein demokratisches
Miteinander gelegt werden, woraus auch Anforderungen für die Schule erwachsen. Jedoch
gehe die umschriebene Sozialisationswirkung mit dissonanten und prägenden Erfahrungen
„mangelnder Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten“ einher (Emer/Lenzen 2002, S.
36). Durch die im Rahmen des Beitrags umfangreich beschriebenen demokratischen Prozesse
und Verfahrensweisen und den damit verbundenen Erwerb von Eigeninitiative,
Selbstständigkeit, Kooperationsfähigkeit usw. sind projektpädagogische Verfahrensweisen
per se als demokratieförderlich zu bezeichnen, auch wenn die fachwissenschaftlichen Inhalte
nicht politischer Art sind. Dabei trägt eine angemessene Häufigkeit zur Verfestigung der
Erkenntnis bei, dass Schule auch auf der Mikroebene einen demokratischen Lebensraum
darstelle. Nur dadurch kann sie dem Anspruch auf Erziehung zum demokratischen Verhalten
entsprechen und intentionale Glaubwürdigkeit erlangen. Auf diese Art und Weise wäre das
von Sander (1997, S. 13) geforderte „Ende der Belehrungskultur“ endlich einzuleiten.
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