08 0908 Stil - Annika Hennebach › 2008 › 03 › faden_laptop.pdfSo hat ausgerechnet das Internet...

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    32 zitty 9-2008 | 24. APRIL - 7. MAI

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    Erfolgreiche Online-Portale wie Etsy und

    DaWanda führen zu einer Rennaissance des

    Handwerks Text: Annika Hennebach

    Früher nähte die Mutter, um Geld zu sparen. Heute näht die Tochter um kreativ zu sein undnebenher vielleicht noch ein bisschen Geld zu ver-dienen. Denn durch das Internet hat sich in denletzten Jahren ein neuer Markt entwickelt, aufdem handwerklich hergestellte Produkte ge- undverkauft werden und der auf einfachem Wege dieSehnsucht nach dem Einzigartigen, Individuellenstillt. Die Sehnsucht, einen Satz zu hören wie:„Nein, dieses T-Shirt ist nicht aus dem Sweatshop“.Oder: „Nein, dieses Kuscheltier gibt es nicht imKaufhaus, es wurde für mich gemacht“. „Willst du lieber den Sternchen- oder den gestreif-ten Stoff?“, fragt Suse Bauer in ihrer Email. Die stu-dierte Künstlerin aus Berlin näht Häschen, Mon-ster und andere Kreaturen aus bunten Stoffen fürihr Label „revoluzzza“. Jedes Produkt ist vomSchnitt bis zu den gestickten Augen ein handge-machtes Einzelstück, auf das der Käufer viel Ein-fluss haben kann. Denn der Kontakt zu Suse Bauer verläuft sehr persönlich – wenn auch rein virtuell. „Revoluzzza“ ist einer von inzwischen 10.000Shops voller Handarbeiten, Einzelstücke und limitierter Editionen auf dem Internet-MarktplatzDaWanda. Über 140.000 unterschiedliche Pro-

    men, das sie täglich miterleben kann. „Ohne dasInternet würde ich nicht nähen“ sagt gar Suse Bauer, die ihre Stoffroboter, Lavendelhäschen undWichtelmänner nicht in einem der vielen Kinder-oder Szeneläden im Prenzlauer Berg anbieten will.„Da wüsste ich ja gar nicht, wer das Produktkauft.“ Durch intensiven Mail-Kontakt weiß diezweifache Mutter, die selbstständig als Grafikerinund Konzepterin arbeitet, außerdem fleißig bloggtund näht, genau, was sie wem bisher verkauft hat:„So speziell ist der Kontakt zu den Käufern.“Schließlich arbeitet sie ja auch eine Zeit lang an ihren „Viechereien“ und hängt an ihrem Werk. Der Preis für diese emotionale Komponente, dieden kreativen und künstlerischen Produkten in-newohnt und die besonders Frauen schätzen, wirdin den seltensten Fällen materiell aufgerechnet.Ein kleiner Stoffhase von „revoluzzza“ etwa kostet16 Euro plus Versandkosten. Das ist für ein hand-gemachtes Einzelstück verhältnismäßig günstig,denn die „Products with love“, die auf DaWandazu kaufen sind, werden ohne zusätzliche Kostenwie Laden-Miete produziert. Außerdem sind dadie vielen tausend Mitglieder, die über ihre Kommentarfunktionen den Markt kontrollieren. So hat ausgerechnet das Internet – Inbegriff ge-sichtsloser Globalisierung und Motor der Verein-heitlichung des Angebotes an Produkten – eine Renaissance des Kunsthandwerks ermöglicht. Esist zu einem neuen Nährboden für traditionelleHandarbeiten geworden, auf dem durch den indi-viduellen und kollektiven Einfluss der Konsumen-ten völlig neue kreative Produkte und Design-objekte entstehen. Und sogar für die (männliche)Handarbeits-Zukunft ist bereits gesorgt: Suse Bauers vierjähriger Sohn Levin hat gerade seineeigene Nähmaschine bekommen.

    www.dawanda.de

    (Deutsche Handelsplattform für Handgemachtes)

    www.etsy.com

    (Amerikanische Handelsplattform für Handgemachtes)

    www.revoluzzza.de

    (Seite von Suse Bauers Näharbeiten)

    www.selfmademom.de

    (Suse Bauers Blog über handarbeitende Mütter)

    dukte von Handytäschchen, Kissenbezügen aus70er Jahre-Retrostoffen über gestrickte Totenkopf-Broschen, selbst gesiedete Seifen und Tupfen-röcke bis hin zu gefilzten Tragetaschen oder Wand-tattoos werden dort angeboten. Alles hat mit Basteln, Stricken, Nähen, Malen, Häkeln oderSiebdrucken zu tun.„Die Produkte dürfen nur nicht industriell gefer-tigt oder offensichtlich gebraucht sein“, sagt Claudia Helming, die 2006 mit Michael Pütz DaWanda in Berlin gegründet hat. Vor kurzem sinddie beiden mit ihrem Team in größere Räume nachMitte gezogen und verpassen der Internetseite einen Relaunch. Inzwischen beschäftigen sie zehnMitarbeiter. Denn das Geschäft mit dem Handwerkim Internet boomt. Für die Betreiber der Seite, diepro Verkauf fünf Prozent Umsatz kassieren, aberauch für die insgesamt 70.000 Mitglieder – 80 Pro-zent davon Frauen –, die dort ihr Profil angelegthaben und mit Hilfe verschiedener Suchfunktio-nen in dem riesigen Angebot stöbern, die Produk-te kommentieren und beurteilen.Social-Shopping heißt der Trend aus den USA, beidem sich die Käufer untereinander wie auch mitden Verkäufern über die Produkte auf einer Inter-net-Handelsplattform austauschen – wie auf einem echten Marktplatz eben. Pionier auf diesemGebiet ist immer noch Etsy, 2005 in Brooklyn gegründet, eine wunderschön gestaltete Shops-in-Shop-Seite für Handgemachtes, die inzwischen750.000 Mitglieder zählt, Tendenz weiter stei-gend. Etsys sowie DaWandas Erfolg belegt nichtnur die Faszination für handgefertigte Einzel-stücke, sondern auch die Macht des Kunden aufdem Markt.Erst die Email-Anfrage einer Kundin brachte SuseBauer auf die Idee, Mutterpasshüllen zu nähen, inschönen Stoffkombinationen und mit Applikatio-nen verziert. „Das ist für mich mit das Spannend-ste: wie sich da so ein neuer Markt entwickelt, dermanche Produkte erst möglich macht – Produkte,die sonst nie entstanden wären“, sagt Portal-Betreiberin Claudia Helming zu diesem Phäno-

    24. APRIL - 7. MAI | zitty 9-2008 33

    Stoffhase von Revoluzzza

    Virtuell einkaufen:

    So sieht Suse Bauers

    Seite auf dawanda.de aus

    Arbeitsplatz einer modernen Kunsthandwerkerin

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