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21.09.2016
barbarische schönheitiL sUOnar ParLante OrchestraVittOriO GhieLMi VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG
saisOn 2016/2017 abOnneMentkOnzert 1
02 | PrOGraMMabfOLGe
sUite: „barbarische schönheit“
Adagio à la Polonoise – Allegro à la Polonoise
(aus: concerto Polonoise tWV 43:b3)
Mazur (arr. Vittorio Ghielmi)
hanaquoise (aus: suite tWV 55:D3)
scaramouche (aus: suite tWV 55:b8)
(beide: arr. Vittorio Ghielmi)
Recitativo Grave
(aus: concerto D-Dur rV 208a „il Grosso Mogul“)
saltus Polonicus und saltus hungaricus (aus:
sammlung Uhrovec, arr. Ghielmi/Palùch/comendant)
La Vielle (aus: suite tWV 55:es3 „La Lyra“,
arr. Vittorio Ghielmi)
arie „solo per voi tra mille“
(aus: „Pastorella venga bella“ tWV 20:62)
Allegro (aus: tWV 42:g12, arr. Vittorio Ghielmi)
Allegro Scherzando
(aus: konzert für cembalo, streicher und b.c.)
Allegro scherzando (arr. il suonar Parlante)
Das konzert wird am freitag, den 11.11.2016, um 20 Uhr
in der sendung „Das alte Werk“ auf nDr kultur gesendet.
Mittwoch, 21. september 2016 | 20 Uhr
hamburg, Laeiszhalle, Großer saal
iL sUOnar ParLante OrchestraVittOriO GhieLMi VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG
GracieLa GibeLLi sOprAN
DOrOthee OberLinGer BLOCKFLÖTE
aLessanDrO taMPieri VIOLINE
stanO PaLÙch VIOLINE
MarceL cOMenDant CYMBALON
konzert a-Moll für blockflöte, Viola da Gamba,
streicher und basso continuo tWV 52:a1
Grave – Allegro – Dolce – Allegro
konzert d-Moll für Violine, streicher und
basso continuo
Allegro – Grave – Recitativo – Allegro
konzert a-Moll für Viola da Gamba, streicher und
basso continuo GWV a:Xiii:14
Allegro ma non tanto – Adagio – Allegro
Pause
„L’augelletto“ arie für sopran, Viola da gamba,
streicher und basso continuo
GeOrG PhiLiPP teLeMann
(1681 – 1767)
frantiŠek Jiranek
(1698 – 1778)
JOhann GOttLieb GraUn
(1702 – 1771)
JOhann aDOLPh hasse
(1699 – 1783)
PrOGraMMabfOLGe | 03
GeOrG PhiLiPP teLeMann
J. P. kirnberGer
(1721 – 1783)
GeOrG PhiLiPP teLeMann
antOniO ViVaLDi
(1678 – 1741)
anOnYMUs
GeOrG PhiLiPP teLeMann
franz benDa
(1709 – 1786)
iL sUOnar ParLante Orchestra | 05
besetzUnG
Das Bekenntnis zur Musik als einer Form der
Klangrede steckt beim Ensemble Il Suonar Par
lante schon im Namen. Von „suonare parlante“
sprach Niccolò Paganini, wenn er auf seiner Vio
line die menschliche Rede nachahmte. Der
Gambist Vittorio Ghielmi fand so den Namen für
sein Ensemble. Mit Il Suonar Parlante unternimmt
er Streifzüge durch die Welten der Alten Musik,
diverser Volksmusiktraditionen und des Jazz.
Gegründet wurde das Il Suonar ParlanteGam
benQuartett 2002 von Vittorio Ghielmi, Rodney
Prada, Fahmi Alqhai und Cristiano Con tadin.
Nach zwei CDs, die unter den Namen Quartetto
Italiano di Viole da Gamba eingespielt wurden,
fand das Ensemble seine endgültige Besetzung
und fing an, unter seinem heutigen Namen Il
Suonar Parlante bei wichtigen klassischen Musik
festivals und zusammen mit Jazzmusikern wie
Uri Caine, Kenny Wheeler, Don Byron und Markus
Stockhausen weltweit zu gastieren.
Im Jahr 2007 gründeten Vittorio Ghielmi und
Graciela Gibelli ein größeres Ensemble: Il Suonar
Parlante Orchestra. Seither gastierte das En
semble regelmäßig bei renommierten Festivals
in ganz Europa und wurde auch als Ensemble in
Residence zu Festspielen wie den Stuttgarter
Festspielen 2010 und dem Segovia MusikFesti
val 2011 eingeladen.
Die CD „Barbarian Beauty“ („Barbarische Schön
heit“), die der Gattung des Konzertes für Viola
da Gamba und Orchester (Konzerte von Graun,
Telemann, Tartini) gewidmet ist, wurde mit dem
moldawischen Cymbalonvirtuosen Marcel
Comendant im Jahr 2012 für das Label „Passa
caille“ eingespielt. Die CD „The Passion of
Musick“, mit Dorothee Oberlinger für Sony Deut
sche Harmonia Mundi aufgenommen, gewann
den Echo Klassik Preis 2015.
iL sUOnar ParLante Orchestra
04 | besetzUnG
besetzUnGiL sUOnar ParLante Orchestra
VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG Vittorio Ghielmi
VIOLINEN Alessandro Tampieri
Nicolas Penel
VIOLA Laurent Galliano
VIOLONCELLOMarco Testori
KONTRABASSRiccardo Coelati Rama
CEMBALOShalev Ad-el
CYMBALONMarcel Comendant
„Was Welschland [Italien] Schmeichelndes in
seine Sätze schließet, / Die ungezwung’ne Mun
terkeit, so aus der Franzen Liedern fließet, /
Der Briten springendes gebund’nes Wesen, / Ja,
was Sarmatien [Polen] zu seiner Lust erlesen, /
Bei welchem sich der Scherz den Tönen weiht, /
Dies alles wird der deutsche Fleiß zu seines Lan
des Preis, / Mehr aber noch, die Hörer zu ver
gnügen, / Durch Feder, Mund und Hand allhier
verfügen.“ Georg Philipp Telemann formulierte in
diesem Kantatentext die Ästhetik des „vermisch
ten Geschmacks“: Nur durch eine Kombination
der verschiedenen Nationalstile, so glaubten die
deutschen Komponisten im zweiten Drittel des
18. Jahrhunderts, ließe sich die Musik zur Voll
kommenheit bringen. Telemann verband in sei
nen Werken nicht nur die Stile der beiden füh
renden Kulturnationen Italien und Frankreich,
sondern ließ sich auch durch Volksmusik etwa
aus Polen anregen. Er galt als unübertroffener
Meister des „vermischten Geschmacks“, der
allerdings auch am preußischen und am sächsi
schen Hof gepflegt wurde. Dort spielten neben
italienischen besonders böhmische Musiker
eine wichtige Rolle. Daher berücksichtigt Il Suo
nar Parlante in seinem Programm außer Tele
mann vor allem Komponisten aus Berlin (Johann
Gottlieb Graun, Franz Benda) und Dresden
(František Jiránek, Johann Adolph Hasse).
kOnzerte fÜr ViOLa Da GaMbaDrei Konzerte vereint die erste Hälfte des
Abends – das eröffnende von Telemann, der über
diese originär italienische Gattung in seiner ers
ten, 1718 verfassten Autobiographie Folgendes
schrieb: „Alldieweil aber die Veränderung belus
tiget, so machte mich auch über Konzerte her.
Hiervon muss bekennen, dass sie mir niemals
Sommerabend an der Weichsel, Holzstich nach einem Gemälde von Wilhelm August Stryowski,1865.
Der Gambist, Dirigent und Komponist Vittorio
Ghielmi wurde in Mailand geboren. Heute ist
Ghielmi einer der wenigen Gambisten, der regel
mäßig als Solist zu großen Orchestern eingeladen
wird. Als Solist und Dirigent ist er mit diver sen
renommierten Orchestern aufgetreten, so mit
dem Los Angeles Philharmonic Orchestra, dem
London Philharmonia, Il Giardino Armonico, dem
Freiburger Barockorchester oder dem Royal Col
lege of Music Orchestra. Im Duo mit seinem Bru
der Lorenzo Ghielmi oder mit Luca Pianca führte
er Kammermusikprogramme in den wichtigsten
Konzertsälen der Welt auf. Als einer der führenden
AlteMusikInterpreten teilte er die Bühne mit Kol
legen wie Gustav Leonhardt, Cecilia Bartoli, Giuli
ano Carmignola, Christophe Coin, Reinhard Goe
bel, Giovanni Antonini, Ottavio Dantone, Andràs
Schiff, Thomas Quasthoff oder Viktoria Mullova.
Seine Feldforschungen zu alten Musiktraditi
onen, die in abgelegenen Teilen der Welt über
lebten, und die neue Perspektiven zur Deutung
der „alten Musik“ Europas eröffneten, wurden
1997 mit dem „Erwin Bodky Preis“ prämiert.
Seine Zusammenarbeit mit Volksmusikern und
insbesondere mit den Sängern des Cuncordu
de Orosei auf Sardinien wurde im Film „Das Herz
des Tons – eine Musikreise mit Vittorio Ghielmi“
dokumentiert.
Von 2007 bis 2011 arbeitete Vittorio Ghielmi bei
den Salzburger Festspielen als Assistent Riccar
do Mutis. 2007 konzipierte und dirigierte er die
Uraufführung des Schauspiels „7 mystische
Anblicke“ bei der Semana de Musica Religiosa
in Cuenca (Spanien), wo er mit dem amerika
nischen Filmemacher Marc Reshovsky und dem
schwedischen Chor „Rilke Ensemble“ zusam
menarbeitete. Ghielmi war Artist in Residence
beim Musikfest Stuttgart 2010, beim Segovia
Festival 2011 und bei Bozar Brüssels 2011.
Ghielmis zahlreiche CDs haben verschiedene
Kritiker und Musikpreise, darunter den Echo
Klassik 2015, gewonnen.
Vittorio Ghielmi ist Professor am Mozarteum
Salzburg und gibt Meisterkurse an verschie
denen Akademien und Universitäten. Er ist Autor
zahlreicher musikologischer Artikel und hat
diverse, bislang nicht veröffentlichte Werke he
rausgegeben. Seine weltweit bekannte Methode
für das VioladaGambaSpiel gilt als Standard
werk auf ihrem Gebiet.
Vittorio Ghielmi spielt eine Gambe von Michel
Colichon, Paris 1688.
VittOriO GhieLMiViOLa Da GaMba UnD LeitUnG
06 | LeitUnG PrOGraMM | 07
VerMischter GeschMack, barbarische schönheitMUsik VOn GeOrG PhiLiPP teLeMann UnD seinen zeitGenOssen
08 | PrOGraMM PrOGraMM | 09
recht von Herzen gegangen sind, ob ich deren
schon eine ziemliche Menge gemacht habe.“
Man darf diese oft zitierte Aussage nicht aus
ihrem Zusammenhang reißen, denn als Ursache
für seine Abneigung gab Telemann an, „dass
ich in denen meisten Konzerten, so mir zu
Gesichte kamen, zwar viele Schwürigkeiten und
krumme Sprünge, aber wenig Harmonie und
noch schlechtere Melodie antraf, wovon ich die
ersten hassete, weil sie meiner Hand und Bogen
un bequem waren, und, wegen Ermangelung
derer letztern Eigenschaften, als worzu mein
Ohr durch die französischen Musiquen gewöhnet
war, sie nicht lieben konnte noch imitieren
mochte.“ Daraus wird klar, dass Telemann nichts
gegen die Gattung an sich hatte, sondern nur
eine besondere Spielart verabscheute – die
des Virtuosenkonzerts. Von seinen eigenen
Konzerten sagte er, „dass sie mehrenteils nach
Frankreich riechen“. Sein aMollKonzert TWV
52:a1 gestaltete er nach Art einer italienischen
Kirchensonate viersätzig (langsam – schnell –
langsam – schnell), doch die Instrumentenwahl
weist ins aristokratische Frankreich: Italienische
Konzerte sind meist für die Geige bestimmt;
die Viola da gamba dagegen war ein Lieblings
instrument Ludwigs XIV., an dessen Hof sie
durch bedeutende Künstler wie Marin Marais
oder Antoine Forqueray gepflegt wurde. Der
Gambe stellte Telemann in seinem Konzert und
in einigen weiteren Kompositionen die Block
flöte zur Seite. Die sanften, gedeckten Klangfar
ben der beiden Instrumente schienen ihm offen
bar besonders gut zusammen zu passen. Ihre
Begrenztheit in Lautstärke und klanglicher Vari
abilität besiegelte allerdings noch zu Telemanns
Lebzeiten ihren Niedergang: Die Block flöte
wurde durch die Traversflöte, die Gambe durch
das Violoncello vollkommen verdrängt.
Das folgende Konzert von František Jiránek wäre
Telemanns „Hand und Bogen“ mit Sicherheit
unbequem gewesen – schließlich war der böh
mische Komponist, anders als sein deutscher
Kollege, ein hochvirtuoser Geiger. Jiránek wurde
als Kind von Bediensteten des Grafen Wenzel
Morzin geboren, und in dessen Prager Kapelle
erhielt auch er seine erste Anstellung. 1724
ermöglichte ihm der musikliebende Adelige
einen dreijährigen Aufenthalt in Venedig, wo er
seine Fähigkeiten aller Wahrscheinlichkeit nach
bei Antonio Vivaldi vervollkommnete. Dafür
sprechen neben Jiráneks Kompositionsstil auch
die engen Verbindungen Vivaldis zu Morzin: Letz
terer ist heute vor allem noch als Widmungsträ
ger der „Vier Jahreszeiten“ bekannt. Zurück in
Prag spielte Jiránek elf Jahre lang in der Kapelle
des Grafen, die zu den besten des Landes zählte
und von Vivaldi als „virtuosissima orchestra“
gerühmt wurde. Eine neue Stelle musste er sich
nach Morzins Tod und der Auflösung des Orches
ters im Jahr 1737 suchen. Er fand sie in der
Kapelle des sächsischen Premierministers Hein
rich von Brühl. In Dresden verbrachte er die letz
ten vier Jahrzehnte seines langen Lebens, und
dort entstanden auch die meisten seiner Kom
positionen, darunter das wohl für den eigenen
Gebrauch bestimmte Violinkonzert dMoll.
„Damals war das berlinische Orchester das glän
zendste in Europa: Es befanden sich darunter
die berühmten Männer Bach, Benda, Czarth,
Graun, Hesse, Quantz und Richter“, schrieb der
englische Musikgelehrte Charles Burney in sei
nem „Tagebuch einer musikalischen Reise“.
„Damals“ meinte das Jahr 1752, und „das berlini
sche Orchester“ war die Hofkapelle Friedrichs
des Großen. Ihre Grundlagen hatte der Preußen
könig schon lange vor seinem Regierungsantritt
(1740) gelegt. Ab 1732 residierte Friedrich als
Regimentskommandeur in Ruppin; dort ver
pflichtete er zuerst den Geiger Johann Gottlieb
Graun. Im folgenden Jahr kam Franz Benda hin
zu, 1735 der jüngere GraunBruder Carl Hein
rich, 1738 Carl Philipp Emanuel Bach und 1741
Johann Joachim Quantz, ein berühmter Flötist
und der „Erfinder“ des Begriffs „vermischter
Geschmack“. Johann Gottlieb Graun wurde Kon
zertmeister des Orchesters, dem er bis zu sei
nem Tod im Jahr 1771 treu blieb. Doch auch
außerhalb Berlins war er weithin anerkannt: So
sind zwei seiner Trios in Johann Sebastian Bachs
Handschrift überliefert. Die meisten seiner Solo
konzerte, die der zeitgenössische Musikschrift
steller Johann Adam Hiller als „ungemein feurig“
lobte, widmete Graun seinem eigenen Instru
ment, der Violine. Allerdings schrieb er auch
mindestens acht Konzerte (dazu weitere Werke)
für die Viola da gamba. Sie zeigen eine innige
Vertrautheit mit den technischen Möglichkeiten
des Instruments. Diese Kenntnis verdankte
Graun vermutlich dem befreundeten Gambisten
Johann Christian Hertel, zweifellos aber auch
dem von Burney genannten Kapellmusiker
Ludwig Christian Hesse. Ihn bezeichnete Hiller
als den „größten Gambisten in Europa“.
Johann Adolph Hasse stieg nicht zuletzt auf
grund bester persönlicher Beziehungen zum
europaweit führenden Komponisten der ernsten
italienischen Oper auf. In Neapel von Nicolo
Porpora und Alessandro Scarlatti ausgebildet,
schloss er Freundschaft mit Pietro Metastasio,
dem dominierenden Librettisten der Opera
seria. Und 1730 heiratete er die berühmte Pri
madonna Faustina Bordoni, mit der er im folgen
den Jahr ein Gastspiel in Dresden gab. Dieses
war so erfolgreich, dass ihm der Posten des
Hofkapellmeisters angetragen wurde. Drei Jahr
zehnte lang wirkte Hasse am Dresdner Hof, des
sen Orchester kein Geringerer als JeanJacques
Rousseau zum vollkommensten in ganz Europa
erklärte. Sein Dienstherr, Friedrich August II.,
war vor allem an italienischer Oper interessiert,
und so schrieb Hasse im Durchschnitt zwei sol
cher „drammi per musica“ pro Jahr. 1742 ver
tonte er Metastasios „Didone abbandonata“, die
Geschichte der legendären Gründerin Kartha
gos, die von dem trojanischen Helden Aeneas
verlassen wird und sich daraufhin das Leben
nimmt. Die Arie „L’Augeletto in lacci stretto“ ist
in ihrer Dresdner Fassung für Sopran, obligate
Flöte und Streicher bestimmt. Handschriftliches
Stimmenmaterial einer Version mit „Viola di
Gamba Concertato“ hat sich jedoch in Paris
erhalten. Dort war die Gambe, die in der italie
nischen Oper längst keine Rolle mehr spielte,
noch immer sehr beliebt. Hasse hielt sich im
Sommer 1750 auf Einladung des französischen
Hofs einige Monate lang in Versailles auf, und
seine „Didone abbandonata“ wurde dort wahr
scheinlich am 28. August 1753 aufgeführt.
Bildnis einer Dame mit Viola da Gamba,
Gemälde von Johann Kupetzky, um 1710.
10 | PrOGraMM PrOGraMM | 11
„barbarische schönheit“Zahlreiche Einzelsätze unterschiedlicher Her
kunft hat Il Suonar Parlante zur Suite „Barbari
sche Schönheit“ zusammengestellt, die dem
ganzen Programm den Titel gibt. Dieser Titel
wiederum geht zurück auf eine Passage aus
Telemanns dritter Autobiographie von 1740: „Im
1704ten Jahre wurde ich nach Sorau, zu Seiner
Exzellenz, dem Herrn Grafen Erdmann von Prom
nitz, als Kapellmeister berufen. [...] Als der Hof
sich ein halbes Jahr lang nach Plesse, einer
oberschlesischen, promnitzischen Standesherr
schaft, begab, lernete ich sowohl daselbst als
in Krakau die polnische und hanakische [mittel
mährische] Musik in ihrer wahren barbarischen
Schönheit kennen. [...] Man sollte kaum glauben,
was dergleichen Bockpfeifer [Dudelsackbläser]
oder Geiger für wunderbare Einfälle haben,
wenn sie, so oft die Tanzenden ruhen, fantasie
ren. Ein Aufmerkender könnte von ihnen in acht
Tagen Gedanken für ein ganzes Leben erschnap
pen. Genug, in dieser Musik steckt überaus viel
Gutes; wenn behörig damit umgegangen wird.
Ich habe, nach der Zeit, verschiedene große
Konzerte und Trii in dieser Art geschrieben, die
ich in einen italienischen Rock, mit abgewech
selten Adagi und Allegri, eingekleidet.“ Zu diesen
„Adagi und Allegri“ zählen zum Beispiel die von
Il Suonar Parlante ausgewählten Sätze aus einer
Triosonate und einem „Concerto Polonoise“, die
mit ihren derbvolkstümlichen Rhythmen, gro
tesken Sprüngen, fantasievollen Verzierungen
und ungewohnten Harmonien deutlichen Volks
musikcharakter zeigen.
Exotischfolkloristische Elemente enthalten
oft auch die Orchestersuiten, die Telemann nach
ihren ausladenden Eröffnungssätzen gern
„Ouvertüren“ nannte. Er hatte diese typisch
französischen Stücke ebenfalls schon in seiner
Sorauer Zeit kennen gelernt, „weil der Herr Graf
kurz vorher aus Frankreich wiedergekommen war,
und also dieselben liebte. Ich wurde des Lully,
Campra und andrer guten Meister Arbeit habhaft,
und legte mich fast ganz auf derselben Schreib
art, so dass ich der Ouvertüren in zwei Jahren bei
200 zusammen brachte.“ Entwickelt hatte sich
die Orchestersuite aus der französischen Oper,
der „Tragédie lyrique“, die stets ausgedehnte Bal
lettszenen enthielt. Gerne hätten sich die Fürsten
der deutschen Kleinstaaten mit ähnlichen Opern
unterhalten lassen. Doch den Prunk von Versailles
konnten sie sich nicht leisten, und so begnügten
sie sich mit Instrumentalauszügen. Bald schrie
ben deutsche Musiker selbst solche Suiten –
und zwar ohne vorher eine Oper zu komponieren.
Telemann nahm in seine Suiten neben Tänzen
auch Charakterstücke auf – Stücke mit Titeln wie
„Hanaquoise“ (aus der mährischen HanáRegion),
„Scaramouche“ (so die französische Bezeichnung
der „Commedia dell’arte“Figur Scaramuccia)
oder „La Vielle“ (Drehleier, an den Bordunbässen
leicht erkennbar).
Neben Telemann tragen Vivaldi und Benda Sätze
zur Suite „Barbarische Schönheit“ bei. Vivaldis
Violinkonzert RV 208 ist in einer deutschen
Abschrift unter dem merkwürdigen Titel „Il
Grosso Mogul“ (Der Großmogul) überliefert.
Handelt es sich um einen scherzhaften Beina
men ohne tiefere Bedeutung, oder soll die Musik
tatsächlich indische Assoziationen wecken?
Von exotischem Reiz ist jedenfalls das Instru
mentalrezitativ im Mittelsatz: Die über einen
weiten Tonumfang geführten Melodien enthalten
übermäßige Intervalle und sind recht ungewöhn
lich harmonisiert. Franz (oder František) Benda
stammte aus einer böhmischen Musikerfamilie,
deren Mitglieder in ununterbrochener Genera
tionenfolge bis heute aktiv sind. Der „Dynastie
gründer“ war Jan Jiři Benda, ein Leinenweber,
der nebenher Tanzmusik machte. Sein Sohn
Franz stieß Anfang 1733 zum kleinen Musikkreis
um den späteren Preußenkönig Friedrich II.
und erhielt von Johann Gottlieb Graun Unterricht
sowohl auf der Violine als auch in Komposition.
Vittorio Ghielmi hat ein „Allegro scherzando“
aus Bendas Feder neu arrangiert und dabei dem
Cymbal oder Hackbrett eine besondere Rolle
zugewiesen. Dieses Instrument, das noch heute
in der osteuropäischen Volksmusik zum Einsatz
kommt, wurde zu Telemanns Zeit durch den
Dresdner Hofmusiker Pantaleon Hebenstreit in
die Kunstmusik eingeführt. Hebenstreit ließ sich
von dem Orgelbauer Gottfried Silbermann ein
stark vergrößertes Hackbrett anfertigen, das er
bald virtuos beherrschte und sogar am französi
schen Königshof vorführte. Es wurde ihm zu
Ehren „Pantale(o)n“ oder (von Telemann) „panta
lonisches Cymbal“ genannt und gab dank Heben
streits dynamischer Spielweise wichtige Anre
gungen zur Entwicklung des Hammerklaviers.
Abgerundet wird die Suite „Barbarische Schön
heit“ durch einige anonyme Tanzsätze aus der
„Sammlung Uhrovec“, die um 1730 entstand und
nach ihrem Fundort, einer Gemeinde in der heu
tigen Nordwestslowakei, benannt ist. Die Stücke
vermitteln noch heute eine Ahnung von den
mitreißenden Rhythmen und „wunderbaren Ein
fällen“ polnischer Geiger, wie sie der junge Tele
mann in Plesse und Krakau erlebt hatte. Diese
Volksmusiker beeindruckten ihn so, dass er ihrem
„bei der musikverständigen Welt so schlecht
geachteten“ Stil noch Jahre später die folgenden
Verse widmete: „Es lobt ein jeder sonst das, was
ihn kann erfreun. / Nun bringt ein polnisch Lied
die ganze Welt zum Springen, / So brauch ich
keine Müh’, den Schluss heraus zu bringen: / Die
Polnische Musik muss nicht von Holze sein.“
Jürgen Ostmann
Cymbalschlägerin und Polnischer Bock (Dudelsack), Kupferstiche von Johann Christoph Weigel,
aus: Musicalisches Theatrum, Nürnberg ca. 1710.
12 | teXte
teXte
JOhann aDOLPh hasseL’aUGeLLettO in Lacci strettO
L’augelletto in lacci stretto
perché mai cantar s’ascolta?
Perché spera un’altra volta
di tornare in libertà.
Nel conflitto sanguinoso
quel guerrier perché non geme?
Perché gode con la speme
quel riposo che non ha.
GeOrG PhiLiPP teLeMannsOLO Per VOi tra MiLLe
Solo per voi
tra mille e mille
care pupille
arde il mio core.
Deh rispondete
con dolci faville
con meno rigor
a tanta fé
a tanto amor.
WARUM HÖRT MAN
Warum hört man
ein gefangenes Vöglein singen?
Weil es hofft,
wieder die Freiheit zu erlangen.
Warum ächzt jener Krieger
während des blutigen Kampfes nicht?
Weil ihn schon die Hoffnung beglückt auf die
Erholung, die ihm der Augenblick versagt.
EINZIG NACH EUCH
Einzig nach euch
vor tausend anderen,
teuerste Augen,
sehnt sich mein Herz.
Auf mich als Antwort,
lasst Glutblitze wandern
seid kalt nicht wie Erz
für so viel Treu
in Glück und Schmerz.
VOrschaU | 13
nDr Das aLte Werk
Abo-Konzert 2
Dienstag, 8. November 2016 | 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
Freiburger Barockorchester
Petra Müllejans Leitung
Philippe Jaroussky Countertenor
GEORG PHILIPP TELEMANN
Kantate „Der am Ölberg zagende Jesus“
für Alt, Streicher und B. c.
Kantate „Jesus liegt in letzten Zügen“
für Alt, zwei Oboen, Streicher und B. c.
JOHANN SEBASTIAN BACH
Kantate „Ich habe genug“
für Alt, Oboe, Streicher und B. c. BWV 82
sowie Orchestersätze aus dem Kantatenschaffen
JOHANN SEBASTIAN BACHS
19 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal
nDr chOr
Abo-Konzert 2 | Jubiläumskonzert
Sonntag, 6. November 2016 | 19 Uhr
Hamburg, Hauptkirche St. Nikolai
SALZBURG BAROCK
Philipp Ahmann Dirigent
Bell’Arte Salzburg
Solisten des NDR Chores
GEORG MUFFAT
Missa „In labore requies“
HEINRICH IGNAZ FRANZ BIBER
Missa Alleluia
18 Uhr: Einführungsveranstaltung im Gemeindesaal
kOnzertVOrschaU
Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de
Philippe Jaroussky
iMPressUM
Herausgegeben vom
nOrDDeUtschen rUnDfUnkPrOGraMMDirektiOn hörfUnkbereich Orchester, chOr UnD kOnzerteRothenbaumchaussee 132 | 20149 Hamburg
dasaltewerk@ndr.de
NDR Das Alte Werk im Internet:
www.ndr.de/dasaltewerk
Leitung: Andrea Zietzschmann
Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront
Redaktionsassistenz: Janina Hannig
Redaktion des Programmheftes:
Dr. Ilja Stephan
Der Text von Jürgen Ostmann ist ein
Originalbeitrag für den NDR.
Fotos: [M] Klaus Westermann/NDR, Image Source/
Plainpicture (Titel); L. Montesdeoca (S. 5);
Luis Ghielmi (S. 6); AKGImages (S. 7, S. 9, S. 10);
Simon Fowler/Erato/Warner Classics (S. 13)
NDR | Markendesign
Gestaltung: Klasse 3b; Druck: Nehr & Co. GmbH
Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.
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14 | iMPressUM
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“NILS MÖNKEMEYER
„Musik muss
auch schroffund kratzig sein.
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