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21.09.2016 BARBARISCHE SCHöNHEIT IL SUONAR PARLANTE ORCHESTRA VITTORIO GHIELMI VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG SAISON 2016/2017 ABONNEMENTKONZERT 1

21.09.2016 barbarische schönheit - Nachrichten | NDR.de

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Page 1: 21.09.2016 barbarische schönheit - Nachrichten | NDR.de

21.09.2016

barbarische schönheitiL sUOnar ParLante OrchestraVittOriO GhieLMi VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG

saisOn 2016/2017 abOnneMentkOnzert 1

Page 2: 21.09.2016 barbarische schönheit - Nachrichten | NDR.de

02 | PrOGraMMabfOLGe

sUite: „barbarische schönheit“

Adagio à la Polonoise – Allegro à la Polonoise

(aus: concerto Polonoise tWV 43:b3)

Mazur (arr. Vittorio Ghielmi)

hanaquoise (aus: suite tWV 55:D3)

scaramouche (aus: suite tWV 55:b8)

(beide: arr. Vittorio Ghielmi)

Recitativo Grave

(aus: concerto D-Dur rV 208a „il Grosso Mogul“)

saltus Polonicus und saltus hungaricus (aus:

sammlung Uhrovec, arr. Ghielmi/Palùch/comendant)

La Vielle (aus: suite tWV 55:es3 „La Lyra“,

arr. Vittorio Ghielmi)

arie „solo per voi tra mille“

(aus: „Pastorella venga bella“ tWV 20:62)

Allegro (aus: tWV 42:g12, arr. Vittorio Ghielmi)

Allegro Scherzando

(aus: konzert für cembalo, streicher und b.c.)

Allegro scherzando (arr. il suonar Parlante)

Das konzert wird am freitag, den 11.11.2016, um 20 Uhr

in der sendung „Das alte Werk“ auf nDr kultur gesendet.

Mittwoch, 21. september 2016 | 20 Uhr

hamburg, Laeiszhalle, Großer saal

iL sUOnar ParLante OrchestraVittOriO GhieLMi VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG

GracieLa GibeLLi sOprAN

DOrOthee OberLinGer BLOCKFLÖTE

aLessanDrO taMPieri VIOLINE

stanO PaLÙch VIOLINE

MarceL cOMenDant CYMBALON

konzert a-Moll für blockflöte, Viola da Gamba,

streicher und basso continuo tWV 52:a1

Grave – Allegro – Dolce – Allegro

konzert d-Moll für Violine, streicher und

basso continuo

Allegro – Grave – Recitativo – Allegro

konzert a-Moll für Viola da Gamba, streicher und

basso continuo GWV a:Xiii:14

Allegro ma non tanto – Adagio – Allegro

Pause

„L’augelletto“ arie für sopran, Viola da gamba,

streicher und basso continuo

GeOrG PhiLiPP teLeMann

(1681 – 1767)

frantiŠek Jiranek

(1698 – 1778)

JOhann GOttLieb GraUn

(1702 – 1771)

JOhann aDOLPh hasse

(1699 – 1783)

PrOGraMMabfOLGe | 03

GeOrG PhiLiPP teLeMann

J. P. kirnberGer

(1721 – 1783)

GeOrG PhiLiPP teLeMann

antOniO ViVaLDi

(1678 – 1741)

anOnYMUs

GeOrG PhiLiPP teLeMann

franz benDa

(1709 – 1786)

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iL sUOnar ParLante Orchestra | 05

besetzUnG

Das Bekenntnis zur Musik als einer Form der

Klangrede steckt beim Ensemble Il Suonar Par­

lante schon im Namen. Von „suonare parlante“

sprach Niccolò Paganini, wenn er auf seiner Vio­

line die menschliche Rede nachahmte. Der

Gambist Vittorio Ghielmi fand so den Namen für

sein Ensemble. Mit Il Suonar Parlante unternimmt

er Streifzüge durch die Welten der Alten Musik,

diverser Volksmusiktraditionen und des Jazz.

Gegründet wurde das Il Suonar Parlante­Gam­

ben­Quartett 2002 von Vittorio Ghielmi, Rodney

Prada, Fahmi Alqhai und Cristiano Con tadin.

Nach zwei CDs, die unter den Namen Quartetto

Italiano di Viole da Gamba eingespielt wurden,

fand das Ensemble seine endgültige Besetzung

und fing an, unter seinem heutigen Namen Il

Suonar Parlante bei wichtigen klassischen Musik­

festivals und zusammen mit Jazzmusikern wie

Uri Caine, Kenny Wheeler, Don Byron und Markus

Stockhausen weltweit zu gastieren.

Im Jahr 2007 gründeten Vittorio Ghielmi und

Graciela Gibelli ein größeres Ensemble: Il Suonar

Parlante Orchestra. Seither gastierte das En­

semble regelmäßig bei renommierten Festivals

in ganz Europa und wurde auch als Ensemble in

Residence zu Festspielen wie den Stuttgarter

Festspielen 2010 und dem Segovia Musik­Festi­

val 2011 eingeladen.

Die CD „Barbarian Beauty“ („Barbarische Schön­

heit“), die der Gattung des Konzertes für Viola

da Gamba und Orchester (Konzerte von Graun,

Telemann, Tartini) gewidmet ist, wurde mit dem

moldawischen Cymbalonvirtuosen Marcel

Comendant im Jahr 2012 für das Label „Passa­

caille“ eingespielt. Die CD „The Passion of

Musick“, mit Dorothee Oberlinger für Sony Deut­

sche Harmonia Mundi aufgenommen, gewann

den Echo Klassik Preis 2015.

iL sUOnar ParLante Orchestra

04 | besetzUnG

besetzUnGiL sUOnar ParLante Orchestra

VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG Vittorio Ghielmi

VIOLINEN Alessandro Tampieri

Nicolas Penel

VIOLA Laurent Galliano

VIOLONCELLOMarco Testori

KONTRABASSRiccardo Coelati Rama

CEMBALOShalev Ad-el

CYMBALONMarcel Comendant

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„Was Welschland [Italien] Schmeichelndes in

seine Sätze schließet, / Die ungezwung’ne Mun­

terkeit, so aus der Franzen Liedern fließet, /

Der Briten springendes gebund’nes Wesen, / Ja,

was Sarmatien [Polen] zu seiner Lust erlesen, /

Bei welchem sich der Scherz den Tönen weiht, /

Dies alles wird der deutsche Fleiß zu seines Lan­

des Preis, / Mehr aber noch, die Hörer zu ver­

gnügen, / Durch Feder, Mund und Hand allhier

verfügen.“ Georg Philipp Telemann formulierte in

diesem Kantatentext die Ästhetik des „vermisch­

ten Geschmacks“: Nur durch eine Kombination

der verschiedenen Nationalstile, so glaubten die

deutschen Komponisten im zweiten Drittel des

18. Jahrhunderts, ließe sich die Musik zur Voll­

kommenheit bringen. Telemann verband in sei­

nen Werken nicht nur die Stile der beiden füh­

renden Kulturnationen Italien und Frankreich,

sondern ließ sich auch durch Volksmusik etwa

aus Polen anregen. Er galt als unübertroffener

Meister des „vermischten Geschmacks“, der

allerdings auch am preußischen und am sächsi­

schen Hof gepflegt wurde. Dort spielten neben

italienischen besonders böhmische Musiker

eine wichtige Rolle. Daher berücksichtigt Il Suo­

nar Parlante in seinem Programm außer Tele­

mann vor allem Komponisten aus Berlin (Johann

Gottlieb Graun, Franz Benda) und Dresden

(František Jiránek, Johann Adolph Hasse).

kOnzerte fÜr ViOLa Da GaMbaDrei Konzerte vereint die erste Hälfte des

Abends – das eröffnende von Telemann, der über

diese originär italienische Gattung in seiner ers­

ten, 1718 verfassten Autobiographie Folgendes

schrieb: „Alldieweil aber die Veränderung belus­

tiget, so machte mich auch über Konzerte her.

Hiervon muss bekennen, dass sie mir niemals

Sommerabend an der Weichsel, Holzstich nach einem Gemälde von Wilhelm August Stryowski,1865.

Der Gambist, Dirigent und Komponist Vittorio

Ghielmi wurde in Mailand geboren. Heute ist

Ghielmi einer der wenigen Gambisten, der regel­

mäßig als Solist zu großen Orchestern eingeladen

wird. Als Solist und Dirigent ist er mit diver sen

renommierten Orchestern aufgetreten, so mit

dem Los Angeles Philharmonic Orchestra, dem

London Philharmonia, Il Giardino Armonico, dem

Freiburger Barockorchester oder dem Royal Col­

lege of Music Orchestra. Im Duo mit seinem Bru­

der Lorenzo Ghielmi oder mit Luca Pianca führte

er Kammermusikprogramme in den wichtigsten

Konzertsälen der Welt auf. Als einer der führenden

Alte­Musik­Interpreten teilte er die Bühne mit Kol­

legen wie Gustav Leonhardt, Cecilia Bartoli, Giuli­

ano Carmignola, Christophe Coin, Reinhard Goe­

bel, Giovanni Antonini, Ottavio Dantone, Andràs

Schiff, Thomas Quasthoff oder Viktoria Mullova.

Seine Feldforschungen zu alten Musiktraditi­

onen, die in abgelegenen Teilen der Welt über­

lebten, und die neue Perspektiven zur Deutung

der „alten Musik“ Europas eröffneten, wurden

1997 mit dem „Erwin Bodky Preis“ prämiert.

Seine Zusammenarbeit mit Volksmusikern und

insbesondere mit den Sängern des Cuncordu

de Orosei auf Sardinien wurde im Film „Das Herz

des Tons – eine Musikreise mit Vittorio Ghielmi“

dokumentiert.

Von 2007 bis 2011 arbeitete Vittorio Ghielmi bei

den Salzburger Festspielen als Assistent Riccar­

do Mutis. 2007 konzipierte und dirigierte er die

Uraufführung des Schauspiels „7 mystische

Anblicke“ bei der Semana de Musica Religiosa

in Cuenca (Spanien), wo er mit dem amerika­

nischen Filmemacher Marc Reshovsky und dem

schwedischen Chor „Rilke Ensemble“ zusam­

menarbeitete. Ghielmi war Artist in Residence

beim Musikfest Stuttgart 2010, beim Segovia

Festival 2011 und bei Bozar Brüssels 2011.

Ghielmis zahlreiche CDs haben verschiedene

Kritiker­ und Musikpreise, darunter den Echo

Klassik 2015, gewonnen.

Vittorio Ghielmi ist Professor am Mozarteum

Salzburg und gibt Meisterkurse an verschie­

denen Akademien und Universitäten. Er ist Autor

zahlreicher musikologischer Artikel und hat

diverse, bislang nicht veröffentlichte Werke he­

rausgegeben. Seine weltweit bekannte Methode

für das Viola­da­Gamba­Spiel gilt als Standard­

werk auf ihrem Gebiet.

Vittorio Ghielmi spielt eine Gambe von Michel

Colichon, Paris 1688.

VittOriO GhieLMiViOLa Da GaMba UnD LeitUnG

06 | LeitUnG PrOGraMM | 07

VerMischter GeschMack, barbarische schönheitMUsik VOn GeOrG PhiLiPP teLeMann UnD seinen zeitGenOssen

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08 | PrOGraMM PrOGraMM | 09

recht von Herzen gegangen sind, ob ich deren

schon eine ziemliche Menge gemacht habe.“

Man darf diese oft zitierte Aussage nicht aus

ihrem Zusammenhang reißen, denn als Ursache

für seine Abneigung gab Telemann an, „dass

ich in denen meisten Konzerten, so mir zu

Gesichte kamen, zwar viele Schwürigkeiten und

krumme Sprünge, aber wenig Harmonie und

noch schlechtere Melodie antraf, wovon ich die

ersten hassete, weil sie meiner Hand und Bogen

un bequem waren, und, wegen Ermangelung

derer letztern Eigenschaften, als worzu mein

Ohr durch die französischen Musiquen gewöhnet

war, sie nicht lieben konnte noch imitieren

mochte.“ Daraus wird klar, dass Telemann nichts

gegen die Gattung an sich hatte, sondern nur

eine besondere Spielart verabscheute – die

des Virtuosenkonzerts. Von seinen eigenen

Konzerten sagte er, „dass sie mehrenteils nach

Frankreich riechen“. Sein a­Moll­Konzert TWV

52:a1 gestaltete er nach Art einer italienischen

Kirchensonate viersätzig (langsam – schnell –

langsam – schnell), doch die Instrumentenwahl

weist ins aristokratische Frankreich: Italienische

Konzerte sind meist für die Geige bestimmt;

die Viola da gamba dagegen war ein Lieblings­

instrument Ludwigs XIV., an dessen Hof sie

durch bedeutende Künstler wie Marin Marais

oder Antoine Forqueray gepflegt wurde. Der

Gambe stellte Telemann in seinem Konzert und

in einigen weiteren Kompositionen die Block­

flöte zur Seite. Die sanften, gedeckten Klangfar­

ben der beiden Instrumente schienen ihm offen­

bar besonders gut zusammen zu passen. Ihre

Begrenztheit in Lautstärke und klanglicher Vari­

abilität besiegelte allerdings noch zu Telemanns

Lebzeiten ihren Niedergang: Die Block flöte

wurde durch die Traversflöte, die Gambe durch

das Violoncello vollkommen verdrängt.

Das folgende Konzert von František Jiránek wäre

Telemanns „Hand und Bogen“ mit Sicherheit

unbequem gewesen – schließlich war der böh­

mische Komponist, anders als sein deutscher

Kollege, ein hochvirtuoser Geiger. Jiránek wurde

als Kind von Bediensteten des Grafen Wenzel

Morzin geboren, und in dessen Prager Kapelle

erhielt auch er seine erste Anstellung. 1724

ermöglichte ihm der musikliebende Adelige

einen dreijährigen Aufenthalt in Venedig, wo er

seine Fähigkeiten aller Wahrscheinlichkeit nach

bei Antonio Vivaldi vervollkommnete. Dafür

sprechen neben Jiráneks Kompositionsstil auch

die engen Verbindungen Vivaldis zu Morzin: Letz­

terer ist heute vor allem noch als Widmungsträ­

ger der „Vier Jahreszeiten“ bekannt. Zurück in

Prag spielte Jiránek elf Jahre lang in der Kapelle

des Grafen, die zu den besten des Landes zählte

und von Vivaldi als „virtuosissima orchestra“

gerühmt wurde. Eine neue Stelle musste er sich

nach Morzins Tod und der Auflösung des Orches­

ters im Jahr 1737 suchen. Er fand sie in der

Kapelle des sächsischen Premierministers Hein­

rich von Brühl. In Dresden verbrachte er die letz­

ten vier Jahrzehnte seines langen Lebens, und

dort entstanden auch die meisten seiner Kom­

positionen, darunter das wohl für den eigenen

Gebrauch bestimmte Violinkonzert d­Moll.

„Damals war das berlinische Orchester das glän­

zendste in Europa: Es befanden sich darunter

die berühmten Männer Bach, Benda, Czarth,

Graun, Hesse, Quantz und Richter“, schrieb der

englische Musikgelehrte Charles Burney in sei­

nem „Tagebuch einer musikalischen Reise“.

„Damals“ meinte das Jahr 1752, und „das berlini­

sche Orchester“ war die Hofkapelle Friedrichs

des Großen. Ihre Grundlagen hatte der Preußen­

könig schon lange vor seinem Regierungsantritt

(1740) gelegt. Ab 1732 residierte Friedrich als

Regimentskommandeur in Ruppin; dort ver­

pflichtete er zuerst den Geiger Johann Gottlieb

Graun. Im folgenden Jahr kam Franz Benda hin­

zu, 1735 der jüngere Graun­Bruder Carl Hein­

rich, 1738 Carl Philipp Emanuel Bach und 1741

Johann Joachim Quantz, ein berühmter Flötist

und der „Erfinder“ des Begriffs „vermischter

Geschmack“. Johann Gottlieb Graun wurde Kon­

zertmeister des Orchesters, dem er bis zu sei­

nem Tod im Jahr 1771 treu blieb. Doch auch

außerhalb Berlins war er weithin anerkannt: So

sind zwei seiner Trios in Johann Sebastian Bachs

Handschrift überliefert. Die meisten seiner Solo­

konzerte, die der zeitgenössische Musikschrift­

steller Johann Adam Hiller als „ungemein feurig“

lobte, widmete Graun seinem eigenen Instru­

ment, der Violine. Allerdings schrieb er auch

mindestens acht Konzerte (dazu weitere Werke)

für die Viola da gamba. Sie zeigen eine innige

Vertrautheit mit den technischen Möglichkeiten

des Instruments. Diese Kenntnis verdankte

Graun vermutlich dem befreundeten Gambisten

Johann Christian Hertel, zweifellos aber auch

dem von Burney genannten Kapellmusiker

Ludwig Christian Hesse. Ihn bezeichnete Hiller

als den „größten Gambisten in Europa“.

Johann Adolph Hasse stieg nicht zuletzt auf­

grund bester persönlicher Beziehungen zum

europaweit führenden Komponisten der ernsten

italienischen Oper auf. In Neapel von Nicolo

Porpora und Alessandro Scarlatti ausgebildet,

schloss er Freundschaft mit Pietro Metastasio,

dem dominierenden Librettisten der Opera

seria. Und 1730 heiratete er die berühmte Pri­

madonna Faustina Bordoni, mit der er im folgen­

den Jahr ein Gastspiel in Dresden gab. Dieses

war so erfolgreich, dass ihm der Posten des

Hofkapellmeisters angetragen wurde. Drei Jahr­

zehnte lang wirkte Hasse am Dresdner Hof, des­

sen Orchester kein Geringerer als Jean­Jacques

Rousseau zum vollkommensten in ganz Europa

erklärte. Sein Dienstherr, Friedrich August II.,

war vor allem an italienischer Oper interessiert,

und so schrieb Hasse im Durchschnitt zwei sol­

cher „drammi per musica“ pro Jahr. 1742 ver­

tonte er Metastasios „Didone abbandonata“, die

Geschichte der legendären Gründerin Kartha­

gos, die von dem trojanischen Helden Aeneas

verlassen wird und sich daraufhin das Leben

nimmt. Die Arie „L’Augeletto in lacci stretto“ ist

in ihrer Dresdner Fassung für Sopran, obligate

Flöte und Streicher bestimmt. Handschriftliches

Stimmenmaterial einer Version mit „Viola di

Gamba Concertato“ hat sich jedoch in Paris

erhalten. Dort war die Gambe, die in der italie­

nischen Oper längst keine Rolle mehr spielte,

noch immer sehr beliebt. Hasse hielt sich im

Sommer 1750 auf Einladung des französischen

Hofs einige Monate lang in Versailles auf, und

seine „Didone abbandonata“ wurde dort wahr­

scheinlich am 28. August 1753 aufgeführt.

Bildnis einer Dame mit Viola da Gamba,

Gemälde von Johann Kupetzky, um 1710.

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10 | PrOGraMM PrOGraMM | 11

„barbarische schönheit“Zahlreiche Einzelsätze unterschiedlicher Her­

kunft hat Il Suonar Parlante zur Suite „Barbari­

sche Schönheit“ zusammengestellt, die dem

ganzen Programm den Titel gibt. Dieser Titel

wiederum geht zurück auf eine Passage aus

Telemanns dritter Autobiographie von 1740: „Im

1704ten Jahre wurde ich nach Sorau, zu Seiner

Exzellenz, dem Herrn Grafen Erdmann von Prom­

nitz, als Kapellmeister berufen. [...] Als der Hof

sich ein halbes Jahr lang nach Plesse, einer

oberschlesischen, promnitzischen Standesherr­

schaft, begab, lernete ich sowohl daselbst als

in Krakau die polnische und hanakische [mittel­

mährische] Musik in ihrer wahren barbarischen

Schönheit kennen. [...] Man sollte kaum glauben,

was dergleichen Bockpfeifer [Dudelsackbläser]

oder Geiger für wunderbare Einfälle haben,

wenn sie, so oft die Tanzenden ruhen, fantasie­

ren. Ein Aufmerkender könnte von ihnen in acht

Tagen Gedanken für ein ganzes Leben erschnap­

pen. Genug, in dieser Musik steckt überaus viel

Gutes; wenn behörig damit umgegangen wird.

Ich habe, nach der Zeit, verschiedene große

Konzerte und Trii in dieser Art geschrieben, die

ich in einen italienischen Rock, mit abgewech­

selten Adagi und Allegri, eingekleidet.“ Zu diesen

„Adagi und Allegri“ zählen zum Beispiel die von

Il Suonar Parlante ausgewählten Sätze aus einer

Triosonate und einem „Concerto Polonoise“, die

mit ihren derb­volkstümlichen Rhythmen, gro­

tesken Sprüngen, fantasievollen Verzierungen

und ungewohnten Harmonien deutlichen Volks­

musikcharakter zeigen.

Exotisch­folkloristische Elemente enthalten

oft auch die Orchestersuiten, die Telemann nach

ihren ausladenden Eröffnungssätzen gern

„Ouvertüren“ nannte. Er hatte diese typisch

französischen Stücke ebenfalls schon in seiner

Sorauer Zeit kennen gelernt, „weil der Herr Graf

kurz vorher aus Frankreich wiedergekommen war,

und also dieselben liebte. Ich wurde des Lully,

Campra und andrer guten Meister Arbeit habhaft,

und legte mich fast ganz auf derselben Schreib­

art, so dass ich der Ouvertüren in zwei Jahren bei

200 zusammen brachte.“ Entwickelt hatte sich

die Orchestersuite aus der französischen Oper,

der „Tragédie lyrique“, die stets ausgedehnte Bal­

lettszenen enthielt. Gerne hätten sich die Fürsten

der deutschen Kleinstaaten mit ähnlichen Opern

unterhalten lassen. Doch den Prunk von Versailles

konnten sie sich nicht leisten, und so begnügten

sie sich mit Instrumentalauszügen. Bald schrie­

ben deutsche Musiker selbst solche Suiten –

und zwar ohne vorher eine Oper zu komponieren.

Telemann nahm in seine Suiten neben Tänzen

auch Charakterstücke auf – Stücke mit Titeln wie

„Hanaquoise“ (aus der mährischen Haná­Region),

„Scaramouche“ (so die französische Bezeichnung

der „Commedia dell’arte“­Figur Scaramuccia)

oder „La Vielle“ (Drehleier, an den Bordunbässen

leicht erkennbar).

Neben Telemann tragen Vivaldi und Benda Sätze

zur Suite „Barbarische Schönheit“ bei. Vivaldis

Violinkonzert RV 208 ist in einer deutschen

Abschrift unter dem merkwürdigen Titel „Il

Grosso Mogul“ (Der Großmogul) überliefert.

Handelt es sich um einen scherzhaften Beina­

men ohne tiefere Bedeutung, oder soll die Musik

tatsächlich indische Assoziationen wecken?

Von exotischem Reiz ist jedenfalls das Instru­

mentalrezitativ im Mittelsatz: Die über einen

weiten Tonumfang geführten Melodien enthalten

übermäßige Intervalle und sind recht ungewöhn­

lich harmonisiert. Franz (oder František) Benda

stammte aus einer böhmischen Musikerfamilie,

deren Mitglieder in ununterbrochener Genera­

tionenfolge bis heute aktiv sind. Der „Dynastie­

gründer“ war Jan Jiři Benda, ein Leinenweber,

der nebenher Tanzmusik machte. Sein Sohn

Franz stieß Anfang 1733 zum kleinen Musikkreis

um den späteren Preußenkönig Friedrich II.

und erhielt von Johann Gottlieb Graun Unterricht

sowohl auf der Violine als auch in Komposition.

Vittorio Ghielmi hat ein „Allegro scherzando“

aus Bendas Feder neu arrangiert und dabei dem

Cymbal oder Hackbrett eine besondere Rolle

zugewiesen. Dieses Instrument, das noch heute

in der osteuropäischen Volksmusik zum Einsatz

kommt, wurde zu Telemanns Zeit durch den

Dresdner Hofmusiker Pantaleon Hebenstreit in

die Kunstmusik eingeführt. Hebenstreit ließ sich

von dem Orgelbauer Gottfried Silbermann ein

stark vergrößertes Hackbrett anfertigen, das er

bald virtuos beherrschte und sogar am französi­

schen Königshof vorführte. Es wurde ihm zu

Ehren „Pantale(o)n“ oder (von Telemann) „panta­

lonisches Cymbal“ genannt und gab dank Heben­

streits dynamischer Spielweise wichtige Anre­

gungen zur Entwicklung des Hammerklaviers.

Abgerundet wird die Suite „Barbarische Schön­

heit“ durch einige anonyme Tanzsätze aus der

„Sammlung Uhrovec“, die um 1730 entstand und

nach ihrem Fundort, einer Gemeinde in der heu­

tigen Nordwestslowakei, benannt ist. Die Stücke

vermitteln noch heute eine Ahnung von den

mitreißenden Rhythmen und „wunderbaren Ein­

fällen“ polnischer Geiger, wie sie der junge Tele­

mann in Plesse und Krakau erlebt hatte. Diese

Volksmusiker beeindruckten ihn so, dass er ihrem

„bei der musikverständigen Welt so schlecht

geachteten“ Stil noch Jahre später die folgenden

Verse widmete: „Es lobt ein jeder sonst das, was

ihn kann erfreun. / Nun bringt ein polnisch Lied

die ganze Welt zum Springen, / So brauch ich

keine Müh’, den Schluss heraus zu bringen: / Die

Polnische Musik muss nicht von Holze sein.“

Jürgen Ostmann

Cymbalschlägerin und Polnischer Bock (Dudelsack), Kupferstiche von Johann Christoph Weigel,

aus: Musicalisches Theatrum, Nürnberg ca. 1710.

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12 | teXte

teXte

JOhann aDOLPh hasseL’aUGeLLettO in Lacci strettO

L’augelletto in lacci stretto

perché mai cantar s’ascolta?

Perché spera un’altra volta

di tornare in libertà.

Nel conflitto sanguinoso

quel guerrier perché non geme?

Perché gode con la speme

quel riposo che non ha.

GeOrG PhiLiPP teLeMannsOLO Per VOi tra MiLLe

Solo per voi

tra mille e mille

care pupille

arde il mio core.

Deh rispondete

con dolci faville

con meno rigor

a tanta fé

a tanto amor.

WARUM HÖRT MAN

Warum hört man

ein gefangenes Vöglein singen?

Weil es hofft,

wieder die Freiheit zu erlangen.

Warum ächzt jener Krieger

während des blutigen Kampfes nicht?

Weil ihn schon die Hoffnung beglückt auf die

Erholung, die ihm der Augenblick versagt.

EINZIG NACH EUCH

Einzig nach euch

vor tausend anderen,

teuerste Augen,

sehnt sich mein Herz.

Auf mich als Antwort,

lasst Glutblitze wandern

seid kalt nicht wie Erz

für so viel Treu

in Glück und Schmerz.

VOrschaU | 13

nDr Das aLte Werk

Abo-Konzert 2

Dienstag, 8. November 2016 | 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

Freiburger Barockorchester

Petra Müllejans Leitung

Philippe Jaroussky Countertenor

GEORG PHILIPP TELEMANN

Kantate „Der am Ölberg zagende Jesus“

für Alt, Streicher und B. c.

Kantate „Jesus liegt in letzten Zügen“

für Alt, zwei Oboen, Streicher und B. c.

JOHANN SEBASTIAN BACH

Kantate „Ich habe genug“

für Alt, Oboe, Streicher und B. c. BWV 82

sowie Orchestersätze aus dem Kantatenschaffen

JOHANN SEBASTIAN BACHS

19 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal

nDr chOr

Abo-Konzert 2 | Jubiläumskonzert

Sonntag, 6. November 2016 | 19 Uhr

Hamburg, Hauptkirche St. Nikolai

SALZBURG BAROCK

Philipp Ahmann Dirigent

Bell’Arte Salzburg

Solisten des NDR Chores

GEORG MUFFAT

Missa „In labore requies“

HEINRICH IGNAZ FRANZ BIBER

Missa Alleluia

18 Uhr: Einführungsveranstaltung im Gemeindesaal

kOnzertVOrschaU

Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de

Philippe Jaroussky

Page 8: 21.09.2016 barbarische schönheit - Nachrichten | NDR.de

iMPressUM

Herausgegeben vom

nOrDDeUtschen rUnDfUnkPrOGraMMDirektiOn hörfUnkbereich Orchester, chOr UnD kOnzerteRothenbaumchaussee 132 | 20149 Hamburg

[email protected]

NDR Das Alte Werk im Internet:

www.ndr.de/dasaltewerk

Leitung: Andrea Zietzschmann

Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront

Redaktionsassistenz: Janina Hannig

Redaktion des Programmheftes:

Dr. Ilja Stephan

Der Text von Jürgen Ostmann ist ein

Originalbeitrag für den NDR.

Fotos: [M] Klaus Westermann/NDR, Image Source/

Plainpicture (Titel); L. Montesdeoca (S. 5);

Luis Ghielmi (S. 6); AKG­Images (S. 7, S. 9, S. 10);

Simon Fowler/Erato/Warner Classics (S. 13)

NDR | Markendesign

Gestaltung: Klasse 3b; Druck: Nehr & Co. GmbH

Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

14 | iMPressUM

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Hören und genießenUKW-Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur, im Digitalradio über DAB+

DIE KONZERTE DER REIHE NDR DAS ALTE WERKHÖREN SIE AUF NDR KULTUR

“NILS MÖNKEMEYER

„Musik muss

auch schroffund kratzig sein.

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