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Schweiz am Sonntag, Nr. 13, 30. März 2014

REISEN | 49

ouristenführer Sòsò, 60,braucht nur einen Satz zu sa-gen, und seine Gäste hängenihm an den Lippen: «Ich ver-brachte fünf Jahre auf Rob-

ben Island.» Er hatte sich 1976 als Stu-dent an einer Demonstration beteiligt –das reichte damals aus, um wegen Sabo-tage verurteilt und auf die Sträflings-insel vor Kapstadt verbannt zu werden.Dorthin, wo Nelson Mandela 18 seiner27 Jahre in Gefangenschaft verbrachte.

Doch warum nur ist Sòsò bis heutefreiwillig auf Robben Island geblieben?«Das ist ein Heilungsprozess, deshalb binich heute nicht mehr verbittert.» Sòsòführt uns in den Hochsicherheitstrakt –und präsentiert uns feierlich die vierQuadratmeter grosse Zelle von «VaterMandela», wie er seinen ehemaligen Mit-gefangenen und ersten schwarzen Präsi-denten Südafrikas nennt. «Bitte schön –jetzt schaut rein und macht Fotos, einernach dem anderen!»

Die adrett renovierten Baracken,der gut gelaunte Sòsò, all die Touristen –

Tdie Szenerie wirkt etwas gar idyllisch.Schliesslich war Robben Island eines derübelsten Gefängnisse mit Hunderten po-litischer Gefangener. Auch der aktuelleStaatspräsident Jacob Zuma sass hierein. Er war einer jener ANC-Aktivisten,die nach ihrer Gefangenschaft gebilde-ter waren als vorher. Denn die Intellek-tuellen unter den Gefangenen brachtenden anderen lesen, schreiben, rechnenbei – damit sie bereit seien, wenn sie ei-nes Tages an die Macht im Staat kämen.

IM FEBRUAR 1990 wurde Nelson Mandelavon einem Tag auf den anderen aus derHaft entlassen, im Mai 1994 wurde erPräsident, bis über seinen Tod hinausgilt er als moralischer Kompass, weil ermit seiner Losung «Vergebung statt Ver-geltung» den friedlichen Wandel Südaf-rikas ermöglichte. Ohne Mandela wärees in Südafrika ziemlich sicher zum Bür-gerkrieg zwischen Weissen und Schwar-zen gekommen.

Wie vermarktet sich Südafrikazwanzig Jahre nach dem Ende der Ras-sentrennung touristisch? Die Einladungdes Afrika-Spezialisten Travelhouse/Afri-cantrails (Hotelplan) für eine Gruppe

Schweizer Journalisten erfolgte ein paarWochen vor dem Tod Mandelas am 5.Dezember.

Erste Station: Johannesburg, die 4,4-Millionen-Metropole. Wer hier nach Spu-ren Mandelas sucht, findet gleich zweiHäuser: das eine befindet sich imQuartier der Reichen. Dort versteckensich prunkvolle Villen hinter stachel-drahtgesicherten Mauern, Schilder mitder Aufschrift «armed response» weisendarauf hin, dass auf Eindringlinge scharfgeschossen wird. Eine dieser Villen ge-hört der Familie Mandela (die derzeitum das Erbe streitet), ein Trakt wurde ineine Intensivstation umgebaut, alsMandelas Ende nahte. Nach seinem Todbelagerten Dutzende Journalisten dasEingangstor, um den Leichenwagen zufotografieren.

Der Gegensatz zum zweiten Mande-la-Haus könnte kaum grösser sein. Essteht in Soweto, der Township von Jo-hannesburg, dort, wo die Schwarzenzwangsweise wohnen mussten. In einemdieser Backsteinhäuser lebte NelsonMandela bis zu seiner Verhaftung 1964.Heute ist hier ein Museum eingerichtet– mit Original-Bett und Schreibtisch

Mandelas, mit Briefen aus Robben Is-land, die er seiner damaligen Frau Win-nie schrieb. Sie wohnt übrigens nochheute ein paar Strassen entfernt.

DIE APARTHEID, die strikte Trennungzwischen Weissen und Schwarzen, wirktauf heutige Besucher wie ein Relikt ausdüsterer Zeit. Dabei sind seither erstzwanzig Jahre vergangen. Das gesamteLand war zweigeteilt: Es gab Siedlungenfür Weisse und Siedlungen für Schwar-ze. Busse für Weisse und Busse fürSchwarze. Geschäfte für Weisse und Ge-schäfte für Schwarze. Und natürlich be-stimmten die Weissen über alles, ob-wohl sie nur knapp 10 Prozent der Bevöl-kerung ausmachten. Wie war das da-mals als Weisser in Südafrika: War ei-nem bewusst, dass Unrecht geschieht?Andrew, unser Reiseführer, wurde 1962geboren. Bis 30 lebte er auf der privile-gierten Seite der Apartheid. Er wirdwortkarg und sagt: «Wir sind damit auf-gewachsen. Wir kannten nichts anderes– und haben es auch nicht hinterfragt.»

Zweite Station: Kapstadt. Eine derschönsten Städte der Welt, wenn dasWetter mitspielt. Immerhin: Es kann in-

nert Minuten ändern, so stark wehen dieWinde hier. In den Lokalen an der Was-serfront pulsiert das Leben. Frühmor-gens bringt uns die Schweizer Luftseil-bahn auf den 1087 Meter hohen Tafel-berg, ein flacher, steiler Steinhaufen, derdank seines dichten Gesteins nicht derErosion zum Opfer gefallen ist. Ausflugans Kap der Guten Hoffnung – ein Para-dies für Naturfreunde: in dieser Gegendwachsen rund 8000 Pflanzenarten, vieledavon endemisch. Weingüter laden zumDegustieren ein, edle Tropfen sind fürwenige Franken zu haben. Die Küsten-strassen eignen sich für Velotouren underinnern an die Côte d’Azur.

UND DANN DAS: Überall Scherben – dasSeitenfenster unseres Busses wurde ein-geschlagen. Zwei Rucksäcke mit Laptopsund Kameras fehlen, aus den Koffernwurden die Kleider herausgerissen. DieDiebe waren wählerisch: Gore-Tex-Re-genjacken nahmen sie mit, ebenso einluxuriöses Damen-Necessaire und eineteure Frühlingsjacke. Die lockere Atmo-sphäre von Kapstadt hat uns vergessenlassen, dass wir uns in einem Land mitgrosser Armut befinden und mit jähr-lich mehr als 15 000 Tötungsdelikten (inder Schweiz sind es um die 50). Reiselei-ter Andrew ist ein Häufchen Elend: «Mei-ne Güte! Wie sollen da die Touristenkommen, wenn so etwas passiert?»

Klar, es ist dumm gelaufen, dassausgerechnet eine Gruppe Journalistenausgeraubt wird, die über die SchönheitSüdafrikas berichten sollte. Aber wassind ein paar abhandengekommene Ge-genstände im Vergleich zu dem, was dieMenschen dieses Landes durchgemachthaben? Wer sieht, mit welcher Grandez-za Nelson Mandela seinen Peinigern ver-gab, der würde sich kleinlich fühlen,wenn er sich seine Reise durch ein klei-nes Ungemach verderben liesse.

Auf den Spuren von Nelson Mandela● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●

VON CHRISTIAN DORER AUS KAPSTADT(TEXT UND BILDER)

Vor 20 Jahren endete in Südafrika die Apartheid. Heute nutzt das Land die Erinnerung daran auch touristisch

Mandela-Statue vor dem Regierungsgebäude in Pretoria; ehemaliger Gefangener auf Robben Island und heutiger Touristenführer Sòsò; Andenken vor dem Haus, in dem Mandela 2013 starb.

0 400Kilometer

SIMBABWE

NAMIBIA

LESOTHO

MO

SA

MB

IK

BOTSWANA

PretoriaJohannesburg

Kimberley

Zugstrecke

Kapstadt

RobbenIsland

DurbanSÜDAFRIKA

SÜDAFRIKADIE GESCHICHTE VON ROHAN VOS ist dieGeschichte eines Mannes, der seinenTraum verwirklicht hat: den Traum ei-ner eigenen Eisenbahn. Vor 25 Jahrenfuhr sein erster Zug – heute besitzt derehemalige Schrotthändler mehr als hun-dert Eisenbahnwagen, dazu Dampf-, Die-sel- und Elektrolokomotiven. Mit ihnenorganisert er Luxusreisen im Süden Afri-kas – von Swapkopmund an der Atlan-tikküste Namibias bis Dar es Salaam amIndischen Ozean von Tansania.

Ich habe den Klassiker gebucht: die1600 Kilometer von Kapstadt nach Preto-ria, der Hauptstadt Südafrikas. 49 Stun-den Eisenbahnromantik, in denen jederGast wie ein König behandelt wird. ImBahnhof von Kapstadt begrüsst Firmen-chef Vos jeden Gast mit Handschlag. Manspürt: Er ist Patron einer Firma, die eineSeele hat. Dazu passt, dass er seine Loko-motiven zuerst nach seinen Töchtern,dann nach seinen Tieren benannt hat.

Wir werden zu unserem rollendenLuxushotel begleitet: einem 400 Meterlangen Zug, bestehend aus 19 dunkel-grünen Wagen. Mit dabei sind 63 Gästezumeist gehobeneren Alters und Ein-kommensklasse – und 30 Angestellte,die uns verwöhnen werden. Es gibt dreiKategorien von Zimmern, ich logiere inder mittleren: einer Suite von 11 Qua-

dratmetern, darin ein Doppelbett, zweiFauteuils, schwerer Teppich, eigenes Ba-dezimmer mit Dusche, alles im Stil der1920er-Jahre gehalten. Rovos ist der Ori-ent-Express Afrikas – und einer der luxu-riösesten Züge weltweit.

EISENBAHNFANS entzücken sich am ma-lerischen Streckenverlauf durch Wein-berge und Täler, an Tunnels und Brü-cken. Sie verbringen viel Zeit auf dem of-fenen Aussichtswagen am Schluss desZuges. Und kulinarisch bleiben keineWünsche offen: mittags und abendswerden in den beiden Speisewagen 4-Gang-Gourmetmenüs serviert – Hum-mer, Rindsfilet, Lachs –, alles frisch zu-bereitet in der Küche, die einen ganzenWagen füllt. Abends gilt der Dresscode

Abendkleid beziehungsweise Anzug mitKrawatte. Handys und Computer sindausserhalb der Suiten generell verboten– als der Zugchef das zu Beginn erklärt,klatschen die Gäste.

In den Nächten steht der Zug einpaar Stunden lang still, sodass auch die-jenigen Schlaf finden, denen das beimRuckeln nicht gelingt. «Etwa die HälfteunsererPassagiere schläft bereits in derersten Nacht gut», sagt Zugchef Garethvan Wyk. Dann hängt es auch von Erfah-rung und Begabung des Lokführers ab:Den einen gelingt das sanfte Anfahrendeutlich besser als den anderen …

In Pretoria, der Endstation, besitztRovos Rail einen eigenen Bahnhof mitangrenzender Werkstatt. Rohan Voskauft in ganz Südafrika ausgediente Per-sonenwagen aus den 1920er- bis 1950er-Jahren zusammen. Seine Handwerkerhöhlen die Wagen aus, restaurieren dentechnischen Teil und gestalten das Inte-rieur neu, mit edlem Holz aus Zimbab-we und Burma. «So gelingt es uns, denCharme von damals herzustellen», sagtVos. «Diesen hätte man mit neuen Wa-gen nicht.» Der Patron entwickelt seinenTraum weiter: Schritt um Schritt sollder Wagenpark auf 160 steigen – dennschon heute ist die Nachfrage grösser alsdie Züge, die Rovos anbieten kann. (CHD)

Im Luxuszug von Kapstadt nach Pretoria

Rovos Rail – Zugreisen mit Stil. HO

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