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zbw Leibniz-Informationszentrum WirtschaftLeibniz Information Centre for Economics
Scheuerle, Andreas J.
Working Paper
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
Tübinger Diskussionsbeiträge, No. 61
Provided in Cooperation with:University of Tübingen, School of Business and Economics
Suggested Citation: Scheuerle, Andreas J. (1996) : Rationale Klienteltheorie undParteienkooperation, Tübinger Diskussionsbeiträge, No. 61
This Version is available at:http://hdl.handle.net/10419/104895
Wirtschaftswissenschaftliche F akultät
der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Rationale Klienteltheorie
und
Parteienkooperation
Andreas Scheuerle
Tübinger Diskussionsbeiträge
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Rationale Klienteltheorie
und
Parteienkooperation
Andreas Scheuerle
Tübinger Diskussionsbeitrag Nr. 61
Februar 1996
Wirtschaftswissenschaftliches Seminar
Mohlstraße 36, D-72074 Tübingen
e-mail: andreas.scheuerle@uni-tuebingen.de
Inhaltsverzeichnis
A. EINLEITUNG 1
B. DER IDEOLOGISCHE KONJUNKTURZYKLUS BEI RATIONALEN
ERWARTUNGEN 3
B.l. DAS MODELL 3
B.l.l Das ökonomische System 3
B.1.2 Das politische System 4
B.l.3 Der Zeitablauf innerhalb der Legislaturperiode 7
B.2. Dm HERLEITUNG DES IDEOLOGISCHEN KONJUNKTURZYKLUS .9
B.3. DIE GESTALT DES IDEOLOGISCHEN KONJUNKTURZYKLUS 12
B.3.1 Der Zyklus im Zeitablauf 12
B.3.2 Der Zyklus im Phillipsraum 14
B.4. DIE VERMEIDUNG DES IDEOLOGISCHEN KONJUNKTURZYKLUS DURCH
KOOPERATION 17
B .4.1 Möglichkeiten zur Vermeidung 17
B.4.2 Die Vermeidung durch Kooperation 19
B.4.2.1 Die Entscheidung zur Kooperation 19
B .4.2.1.1 Die erwarteten Gesamtkosten einer Legislaturperiode ohne
Regelbindung 21
B.4.2.1.2 Die Kosten der Regelbindung 23
B.4.2.1.3 Die Entscheidung zur Kooperation 24
B.4.2.2 Die Entscheidung zur Täuschung 25
B.4.2.2.1 Täuschung in der ersten Hälfte der Legislaturperiode 26
B.4.2.2.2 Täuschung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode 27
C. SCHLUßBEMERKUNGEN 29
i
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Kostenfunktion einer Linkspartei in Isokostenliniendarstellung 6
Abb. 2: Kostenfunktion einer Rechtspartei in Isokostenliniendarstellung 6
Abb. 3: Der ideologische Zyklus bezüglich der Inflationsrate 12
Abb. 4: Der ideologische Zyklus bezüglich der Arbeitslosenquote 13
Abb. 5: Der ideologische Konjunkturzyklus bei einer linken Regierung 15
Abb. 6: Der ideologische Konjunkturzyklus bei einer rechten Regierung 15
Abb. 7: Die Kostensituation einer Linkspartei 21
Abb. 8: Die Kostensituation einer Rechtspartei 21
Abb. 9: Vergleich der erwarteten Gesamtkosten und der Regelbindungskosten einer
Linkspartei 25
Abb. 10: Vergleich der erwarteten Gesamtkosten und der Regelbindungskosten einer
Rechtspartei 25
Abb. 11: Erwartete Mehrkosten der Parteien bei Kooperation in Abhängigkeit der
Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei 30
Abb. 12: Erwartete Mehrkosten der Parteien bei Kooperation in Abhängigkeit des
Diskontierungsfaktors 30
Abb. 13: Wahlsieg, Wahlniederlage, Kooperation und Täuschung im Fall einer
Rechtsregierung 31
Abb. 14: Wahlsieg, Wahlniederlage, Kooperation und Täuschung im Fall einer
Linksregierung 31
Abb. 15: Erwartete Mehrkosten bei Täuschung in der ersten Legislaturperiodenhälfte
in Abhängigkeit des Diskontierungsfaktors 32
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Der Zeitablauf in der Legislaturperiode 8
Tab. 2: Entscheidungsmatrix einer Linkspartei 20
ii
Abkürzungsverzeichnis
9 relatives Gewicht der Arbeitslosenquote
K Kostenfunktion
KPK kurzfristige Phillipskurve
LPK langfristige Phillipskurve
P Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei
Q Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Rechtspartei
t Zeit
T Ende der Legislaturperiode
u Arbeitslosenquote
un natürliche Arbeitslosenquote
Z Zielfunktion
a Parameter der Phillipskurve
ß 1 Gewicht der Arbeitslosenquote
ß2 Gewicht der Inflationsrate
e Schock
K Inflationsrate
rte Inflationserwartungen
p Diskontierungsfaktor der Parteien
a Standardabweichung
•*- Linkspartei
Rechtspartei
•(°) Opposition
Kooperation (Regelbindung)
•(c) Täuschung
•* Optimalwert im Normalfall
• Zielwerte
iii
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 1
A Einleitung
Der Gedanke, daß sich Politiker bei ihren Handlungen nicht allein am Gemeinwohl orientie
ren, ist inzwischen nicht mehr neu. Seit K. WICKSELL1, A. SCHUMPETER2 und A. DOWNS3
weiß man, daß Politiker, wie alle anderen Wirtschaftssubjekte, durch ihre Entscheidungen
und Aktionen versuchen, den eigenen Nutzen zu maximieren. Mit der Veröffentlichung von
William D. NORDHAUS4 aus dem Jahr 1975 wurde dieser Gedanke das erste Mal konse
quent auf die Erklärung konjunktureller Schwankungen (Political Business Cycles) ange
wendet. Im Vordergrund dieses Ansatzes stand das Interesse der Politiker, wiedergewählt
zu werden, um sich den Nutzen aus der Regierungstätigkeit, z.B. Einkommen, Macht und
Prestige, zu sichern. In Anlehnung an NORDHAUS5 sprechen wir daher auch von den oppor
tunistischen Zyklen. Eine neue Perspektive wählte D. HffiBS6 1977 mit seiner Partisan
Theory (oder auch Klienteltheorie7), indem er unterstellte, daß Parteien nicht einer homo
genen Wählerschaft gegenüberstehen, sondern daß es mindestens zwei verschiedene Gesell-
schafitsgruppen mit unterschiedlichen Präferenzen bezüglich Arbeitslosigkeit, Inflation,
Staatsausgaben oder Staatseinnahmen gibt. Dementsprechend wenden sich die Parteien die
sen unterschiedlichen Gruppen zu und vertreten deren Interessen. Es kommt somit zu einer
Ideologisierung der Parteien. Unterscheidet man zwei Parteien, eine Links- und eine
Rechtspartei, so vertritt die Linkspartei die Interessen der Wähler mit geringen bis mittleren
Einkommen, wohingegen sich die Rechtspartei für die Wähler mit mittleren bis hohen Ein
kommen einsetzt. Im Gegensatz zu den opportunistischen Zyklen besteht nun der Nutzen
der Parteien in der maximalen Durchsetzung der ideologischen Ziele. Mit dem Aufkommen
der Theorie der Rationalen Erwartungen, die die auf adaptiven Erwartungen beruhenden
Modellaussagen opportunistischer und ideologischer Zyklen unwirksam machten, kam die
Forschung auf dem Gebiet politischer Konjunkturzyklen für einige Jahre zum Stillstand.
Erst durch die Anwendung der Spieltheorie wurde es möglich, auch im Neuklassischen Mo-
1 Wicksell« Knut: Finanztheoretische Untersuchungen nebst Darstellungen und Kritik des Steuerwesens Schwedens, Jena 1896.
2 Schumpeter. Joseph A.: Capitalism, Socialism and Democracy, New York 1942. 3 Downs. Anthony: An Economic Theory of Democracy, New York 1957. 4 Nordhaus. William D.: The Political Business Cycle, in: Review of Economic Studies, Vol. 42 (1975),
S. 169-190. 5 Nordhaus. William D.: Alternative Approaches to the Political Business Cycle, in: Brooking Papers on
Economic Activity, Vol. 1 (1989), pp. 1-48. 6 Hibbs. Douglas A.: Political Parties and Macroeconomic Policy, in: American Political Science Review,
Vol. 71 (1977), pp. 1467-1487. ' Kirchgässner fuhrt den Begriff der Klientelhypothese ein. In Anlehnung hieran übersetzen wir den Be
griff "Partisan Theory" mit "Klienteltheorie". Siehe Kirchgässner. Gebhard: Bewußt erzeugte und duldend hingenommene Arbeitslosigkeit: Zum Problem der Arbeitslosigkeit aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie, Manuskript, St. Gallen 1995.
2 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
dellrahmen opportunistische (Rational Political Business Cycles)8 und ideologische Zyklen
{Rational Partisan Theory, auch Rationale Klienteltheorie) zu modellieren. Letzteren wer
den wir uns in diesem Papier zuwenden. In Kapitel B wird zunächst ein verallgemeinertes,
auf Arbeiten von A. ALESINA9 bzw. A. ALESINA u nd J. SACHS10 basierendes Modell darge
stellt und erläutert. In diesem Modell werden durch die gleichzeitige Berücksichtigung
ideologischer Unterschiede der Parteien sowohl hinsichtlich der Gewichtung des Arbeitslo-
sigkeits- und Inflationsproblems als auch hinsichtlich unterschiedlicher Seigrößen für diese
Variablen die verschiedenen Ansätze ALESINAS bzw. ALESINAS und SACHS integriert. Im
Anschluß daran wird untersucht, wie diese Zyklen verhindert werden können. Im Zentrum
der Betrachtungen steht hierbei die Frage, ob dies durch eine Kooperation beider Parteien
möglich ist. Frühere Untersuchungen11 kamen zu dem Ergebnis, daß eine Kooperation sei
tens der Linkspartei nicht glaubwürdig ist. Wir stellen uns hier die Frage, ob dieses Ergeb
nis weiterhin Gültigkeit besitzt, wenn wir die Annahme einer einperiodigen Legislaturperi
ode, wie sie z.B. von H. WAGNER12 getroffen wurde, aufheben und dem Gedanken
ALESINAS folgend die Legislaturperiode als einen aus zwei Teilperioden bestehenden Zeit
raum betrachten. Außerdem tragen wir der speziellen Entscheidungssituation der Parteien
unter Risiko Rechnung, indem wir das Bernoulli-Prinzip als Entscheidungskriterium berück
sichtigen. Mit einigen Schlußbemerkungen in Kapitel C endet diese Arbeit.
8 Rogoff. Kenneth SV Sibert. Anne C.: Elections and Macroeconomic Policy Cycles, in: Review of Economic Studies, Vol. 55 (1988), pp. 1-16. Rogoff. Kenneth S.: Equilibrium Political Budget Cycles, in: American Economic Review, Vol. 80 (1990), pp. 21-36. Persson. Torsten / Tabellini. Guido: Macroeconomic Policy, Credibility and Politics, Chur 1990.
9 Alesina. Alberto: Macroeconomic Policy in a Two-Party System as a Repeated Game, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 102 (1987), pp. 651-678. Alesina. Alberto: Macroeconomics and Politics, in: Fischer, Stanley (ed.): NBER Macroeconomic A n-nual, Cambridge (MA) 1988, pp. 13-52.
10 Alesina. Alberto / Sachs, Jeffrey: Political Parties and the Business Cycle in the United States, 1948-1984, in: NBER Working Papers No. 1940, 1986. Alesina. Alberto / Sachs, Jeffrey: Political Parties and the Business Cycle in the United States, 1948-1984, in: Journal of Money, Credit and Banking, Vol. 20 (1988), pp. 63-82.
11 Wagner. Helmut: Demokratie und Inflation, in: Jahrbücher für Nationalökomonie und Statistik, Bd. 207 (1990), S. 356-373.
12 Vgl. Wagner. Helmut: Demokratie und Inflation, a.a.O., S. 363.
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 3
B Der ideologische Konjunkturzyklus bei rationalen
Erwartungen
B.l Das Modell
B.l.l Das ökonomische System
Ausgangspunkt der Analyse ist eine Phillipskurve bei rationalen Erwartungen und Gültigkeit
der Natürlichen-Arbeitslosenquoten-Hypothese. Unter der natürlichen Arbeitslosenquote
verstehen wir die nicht inflationsbeschleunigende Arbeitslosenquote NAIRU (Non-
Accelerating-Inflationary-Rate-of-Unemployment). Eine Arbeitslosenquote unterhalb der
NAIRU ist nur kurzfristig und unter Inkaufnahme einer beschleunigten Inflation zu realisie
ren. Abweichungen von der natürlichen Arbeitslosenquote sind ausschließlich bei nicht anti
zipierter Inflation (rct * rcf) möglich: Ist die Inflationsrate höher als erwartet, so sinkt we
gen bestehender Verträge zumindest kurzzeitig der Reallohn, wodurch eine größere Be
schäftigung möglich wird. Im Fall einer unerwarteten Deflation ist aus denselben Gründen
eine kurzfristige Erhöhung der Arbeitslosenquote die Folge.
Wenn in diesem Zusammenhang von rationalen Erwartungen gesprochen wird, müssen
zwei Dinge unterschieden werden: rationale Erwartungen und vollkommene Voraussicht.
Von rationalen Erwartungen im Sinne MUTHs13 wird immer dann gesprochen, wenn die
Wirtschaftssubjekte alle ihnen zur Verfügung stehenden relevanten Informationen unter
ausreichender Kenntnis des relevanten theoretischen Modells zur Erwartungsbildung heran
ziehen. Sofern die verarbeiteten Informationen vollständig sind und keine Schocks auftreten,
entsprechen die auf diesen Erwartungen beruhenden Vorhersagen künftiger Ereignisse den
Vorhersagen der unterstellten ökonomischen Theorie. Während MUTH die rationalen Er
wartungen noch mikroökonomisch im Rahmen eines Cobweb-Modells analysierte, wurde
dieser Ansatz Anfang der 70er Jahre auf die MakroÖkonomik übertragen. Danach entspre
chen rationale Inflationserwartungen ftir eine Periode t, sofern alle Informationen der Vor
periode (lt-i) ausgewertet worden sind, der tatsächlichen Inflationsrate zuzüglich auf
Schocks et basierender Abweichungen. Da diese Schocks jedoch normalverteilt sind mit
einem Erwartungswert von null und einer Varianz von af, entsprechen sich im Durch
schnitt die erwarteten und die tatsächlichen Werte.
(1-1)
13 Muth. John F.: Rational Expectations and the Theory of Price Movements, in: Econometrica, Vol. 29 (1961), pp. 315-335.
4 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
(1-2) 7lf - Et-i^tl 't-1
= 7it+et et = N(O,<|)
Mit dem Ansatz der rationalen Erwartungen ist es also durchaus vereinbar, daß es trotz der
rationalen Erwartungsbildung zu Abweichungen der tatsächlichen von den erwarteten Wer
ten kommt. Dies ist entweder auf die Existenz von Schocks zurückzuführen, die jedoch im
folgenden vernachlässigt werden, oder aber auf die Tatsache, daß die Wirtschaftssubjekte
oft nur unvollständige Informationen besitzen.
B.1.2 Das politische System
Die Regierung, die von einer Links- oder einer Rechtspartei gestellt werden kann14, ver
sucht zu jedem Zeitpunkt, ihre ideologischen Ziele bezüglich der Arbeitslosenquote und der
Inflationsrate durch Veränderungen des Geldmengenwachstums weitestgehend durch
zusetzen.15 Die unterschiedlichen ideologischen Standpunkte können wie folgt spezifi
ziert werden:
• Die Zielwerte der Parteien bezüglich der Inflationsrate n1 und der Arbeitslosenquote Q'
können sich unterscheiden.16 Allgemein kann angenommen werden, daß die Linkspartei
keine geringere Inflationsrate (ftL > JtR) und/oder eine geringere Arbeitslosenquote
(uL < un < uR) als die Rechtspartei anstrebt. Die anvisierte Arbeitslosenquote der
Linkspartei wird geringer, die der Rechtspartei größer oder gleich der natürlichen Ar
beitslosenquote sein. Die Abweichungen der Zielarbeitslosenquoten von der natürlichen
können entweder durch die Unkenntnis der exakten natürlichen Arbeitslosenquote oder
aber durch ideologische Unterschiede erklärt werden. Es ist jedoch auch durchaus denk-
14 Wir beschränken die Betrachtung auf Einparteienregierungen. Eine Erweiterung auf Koalitionsregierungen ist möglich, da i.d.R. auch Koalitionsregierungen im Rechts-Links-Spektrum eingeordnet werden können. Als problematisch kann sich jedoch hierbei das Kriterium für die Einordnung erweisen: Ist eine Koalitionsregierung beispielsweise als links einzustufen, wenn der Regierungschef von der Linkspartei gestellt wird, oder wenn bestimmte Schlüsselministerien von Vertretern der Linkspartei besetzt werden, oder gar wenn schon ein einziger Minister von der Linkspartei gestellt wird?
15 Dem liegen zwei Annahmen zugrunde: Erstens wird unterstellt, daß die Inflationsrate direkt und ohne Zeitverzögerungen durch die Geldmenge gesteuert werden kann sowie zweitens, daß die Geldmenge und damit die Geldpolitik durch die Regierung bestimmt wird. Dies ist um so erstaunlicher als z.B. die FED in den USA zu den eher unabhängigen Zentralbanken gehören. Zu den Möglichkeiten der Beeinflussung unabhängiger Zentralbanken siehe beispielsweise Chappel. Henry W. / Havrilesky, Thomas M. / McGreeor. Rob Roy: Partisan Monetary Policies: Presidential Influence Through the Power of Ap-pointment, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 108 (1993), S. 185-218. Havrilesky. Thomas M.: Outside Influences on the Monetary Policy: A Summary of Recent Findings, in: Contemporary Politics, Vol. 12 (1994), pp. 46-51. Havrilesky. Thomas M.: The Political Economy of Monetary Policy, in: European Journal of Political Economy, Vol. 10 (1994), pp. 111-134.
16 Der hochgestellte Index i steh t für die hochgestellten Indices R und L. Diese weisen auf eine Rechtsbzw. Linkspartei hin.
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 5
bar, daß die Rechtspartei zwar eine höhere Arbeitslosenquote als die Linkspartei präfe-
riert, daß diese jedoch ebenfalls geringer als die natürliche Arbeitslosenquote ist. Eine
derartige Präferenz kann durch einen wahltaktischen Kompromiß erklärt werden, der der
Rechtspartei einen Teil der Stimmen der linken Wählerschaft verschaffen soll.
• Abweichungen von den Zielwerten der Arbeitslosenquote bzw. der Inflationsrate (ßi,
bzw. ß'2) können von den Parteien unterschiedlich stark gewichtet werden. Dabei wird
unterstellt, daß die Linkspartei Abweichungen der Inflationsrate von ihrem Zielwert ge
ringer gewichtet als die Rechtspartei (ß^ < ߣ), genauso wie die Rechtspartei Abwei
chungen der Arbeitslosenquote von ihrem Zielwert ein geringeres Gewicht beimißt (ßV >
ß?)-
Soweit es der Regierungspartei nun nicht möglich ist, ihre ökonomischen und ideologischen
Ziele im gewünschten Umfang umzusetzen, entstehen ihr Kosten, die durch folgende Funk
tion abgebildet werden:
(1-3) K'= Y (ut-D')2+-y (jit-ft')2 mit i = L, R
Graphisch lassen sich diese Kostenfunktionen als Isokostenliniendiagramm darstellen.17 Das
Kostenminimum ergibt sich dann, wenn jeweils die Inflationsrate und die Arbeitslosenquote
ihre Zielwerte erreichen. Wie leicht zu ersehen ist, erreicht eine Linkspartei (Abb. 1) ihr
Kostenminimum bei einer geringeren Arbeitslosenquote und einer gleichen Inflationsrate als
die Rechtspartei (Abb. 2). Sämtliche Abweichungen erhöhen die Kosten quadratisch18 und
nach Maßgabe des Gewichtes.
17 Für die Abbildungen 1 und 2 wurden folgende Parameter verwendet:
ßi ß? fk ßz =R K ~L ir GR
2 1 1 2 0 0 3 5
18 Die quadratisch formulierte Kostenfunktion berücksichtigt das Wissen der Parteien, daß eine Übererfüllung eines Ziels wegen des kurzfristigen Phillips-Trade-Offs zu einer suboptimalen Entwicklung des anderen Ziels führt.
6 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
Abb. 1: Kostenfunktion einer Linkspartei in Iso- Abb. 2: Kostenfunktion einer Rechtspartei in Iso-kostenliniendarstellung. kostenliniendarstellung.
Ziel der Regierung ist also die Minimierung der Kosten innerhalb der Legislaturperiode,
was mit einer maximalen Durchsetzung der ideologischen Ziele gleichbedeutend ist. In die
Zielfunktion Z gehen daher die Kosten aller Perioden in Form der gewichteten Summe der
quadrierten Abweichungen der Inflationsrate von ihrer Zielvorgabe sowie der Arbeitslo
senquote von ihrem Zielwert, die mit der Zeitpräferenzrate der Parteien abdiskontiert p (0 <
p < 1) werden.19
(1-4) ZL = 2pt" 4p• (un - uL -03(711 ~nf))2 + (nt ~ ^L)2
t=o L
(1-5) ZR=Xpl- • (un - üR -ot3(TCt — Ttf))2 + • (7Ct -
Die Parteien unterscheiden sich also in Folge der unterschiedlichen ideologisch bestimmten
Parameter in ihren Kosten- bzw. in ihren Zielfunktionen.
Die Wähler werden als rational handelnde Individuen beschrieben, die über die Wirtschaft
und die Parteiprogramme informiert sind. Ihnen sind also die Zielfunktionen beider Parteien
((1-4) und (1-5)), das ökonomische System (1-1), wie auch die Wahlsiegwahrscheinlichkeit
P der Links- und die der Rechtspartei (Q = 1 -P) bekannt. Obwohl die Wähler auf Grund
dieser Informationen ihre Erwartungen rational bilden, ist es ihnen dennoch vor der Wahl
wegen deren ungewissen Ausgangs unmöglich, in der ersten Teilperiode die Inflationsrate
korrekt zu erwarten. Da sich die Wähler aber in Folge von Meinungsumfragen oder auf
19 Durch die Berücksichtigung eines Diskontierungsfaktors wird der Tatsache Rechnung getragen, daß u.U. künftige Perioden weniger stark ins Gewicht fallen können.
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 7
Grand eigener Einschätzungen ein Bild über die Wahrscheinlichkeiten eines Wahlsieges der
einzelnen Parteien machen können, bilden sie ihre Inflationserwartungen als gewichteten
Durchschnitt beider möglicher Inflationsraten: Die Inflationsrate die sich bei einem
Wahlsieg der Linkspartei ergeben würde, wird mit deren subjektiver Wahlsiegwahrschein
lichkeit P multipliziert und zu der Inflationsrate einer Rechtspartei gewichtet mit deren
subjektiver Wahlsieg Wahrscheinlichkeit Q hinzuaddiert. In der zweiten Hälfte der Legisla
turperiode kennen die Wähler die Regierungspartei und können daher korrekte Erwartungen
bilden.
(1-6)
P • 7ij,L + Q • 7C('R vor Wahlen (t = o)
e * L 7It = V"
l*t *,R
nach einem Wahlsieg der Linkspartei (t = 1)
nach einem Wahlsieg der Rechtspartei (t = 1)
B.1.3 Der Zeitablauf innerhalb der Legislaturperiode
Für die Erklärung des ideologischen Konjunkturzyklus ist der Zeitablauf innerhalb der Le
gislaturperioden von entscheidender Bedeutung. In dem unterstellten politischen System
wird die Regierungszeit in zwei Teilperioden t unterteilt.20 Unter den in den USA gegebe
nen Verhältnissen bedeutet dies, daß eine Teilperiode t zwei Jahren entspricht. Dies bedeu
tet, daß im folgenden die Vertragslänge, insbesondere die Länge der Tarifverträge, zwei
Jahre umfaßt.21
Der Zeitablauf innerhalb der Legislaturperiode hat nun folgende Gestalt. Die Wahlperiode
(t=0) beginnt damit, daß die Wähler die Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei P und
damit indirekt auch die der Rechtspartei Q beobachten. Daraufhin sind sie in der Lage, ihre
Inflationserwartungen gemäß (1-6) zu bilden und auf diesen basierend ihre Nominallöhne
festzusetzen. Nun findet die Wahl statt und mit dem Feststehen des Wahlergebnisses erwei-
20 Die erste Teilperiode erhält den Index 0, die zweite den Index 1. Das Ende der Legislaturperiode ist somit bei t = T = 1 erreicht.
21 Unterstellt wird ein Lohnbildungsmodell wie das von Fischer (1977) oder Taylor (1980), wonach die Lohnempfänger ihre Verträge über die Nominallohnentwicklung auf eine längere Frist abschließen. Fischer. Stanley: Long-Term Contracts, Rational Expectations, and the Optimal Money Supply Rule, in: Journal of Political Economy, Vol. 85 (1977), pp. 191-205. Taylor. John: Aggregate Dynamics and Staggered Contracts, in: Journal of Political Economy, Vol. 88 (1980), pp. 1-23. In FISCHERS Modell entspricht im ersten Jahr, unmittelbar nach der Lohnsetzung, die erwartete der tatsächlichen Inflationsrate, im darauf folgenden können jedoch unerwartete Verä nderungen eintreten - beispielsweise Schocks durch geldpolitische Maßnahmen - und somit das Wachstum des Sozialprodukts beeinflussen.
8 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
sen sich die Inflationserwartungen als zu hoch oder zu niedrig, so daß die Reallöhne eben
falls zu hoch bzw. zu niedrig ausfallen und die Arbeitslosenquote steigt bzw. sinkt. In der
zweiten Hälfte der Legislaturperiode ist den Wählern die Regierungspartei bekannt, weshalb
die Wähler die Inflationsrate korrekt antizipieren können. Es kommt daher zu keinen infla
tionären Überraschungen, so daß die Arbeitslosenquote wieder auf ihr natürliches Niveau
fallt bzw. steigt.
Legislaturperiode
Periode 0 Periode 1
vor der Wahl Wahl
Periode 1
1. Die Wähler bilden ihre subjektive Einschätzung der Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei P.
2. Die Wähler bilden ausgehend von diesen subjektiven Wahlsiegwahrscheinlichkeiten die gewichteten Inflationserwartungen.
1. Die Wahl findet statt.
2. Die Inflationserwartungen erweisen sich als zu hoch oder zu niedrig.
3. Die Arbeitslosenquote steigt bzw. sinkt.
1. Die Wähler kennen die Regierungspartei und können korrekte Inflationserwartungen bilden.
2. Die Arbeitslosenquote sinkt bzw. steigt auf ihr natürliches Ausmaß.
3. Es folgt die nächste Periode mit neuen Wahlen. Der Ablauf entspricht der Periode 0.
Tab. 1: Der Zeitablauf in der Legislaturperiode.
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 9
B.2 Die Herleitung des ideologischen Konjunkturzyklus
Die Regierung wird also die Inflationsrate so wählen, daß unter den Gegebenheiten des
ökonomischen Systems (1-1) und den Inflationserwartungen (1-6) ihre Kosten minimal
werden. Die notwendigen Bedingungen für die Kostenminima der Links- und der Rechts
partei lauten daher wie folgt:
(2-1) TCJ'1-=(1-gL)ftL+gL-7tf+g u-ü1- I „i_ _ «-ßi «3 J mt 9 a2.ßL+ßL
(2-2) n(R = (1 - g") • ffR + gR • TT f + gR • fun-aR>| R <x2ß?
[—J mt 9
L R g und g sind die relativen Gewichte der Arbeitslosenquote der Links- bzw. Rechtspartei.
Sie können jeweils Werte zwischen null und eins annehmen, sofern allerdings die Inflations
rate und die Arbeitslosenquote Bestandteil der Kostenfunktion der Parteien sind, muß gel
ten: 0 < gL < 1 und o < gR < 1
Da nun die Inflationserwartungen davon abhängig sind, ob die Wähler mit Sicherheit wis
sen, welche Partei die Regierung stellt, verändert sich somit auch das Optimierungskalkül
der Parteien mit dem Informationsstand der Wähler. Unterstellen wir der Einfachheit halber
zunächst Sicherheit bezüglich der ideologischen Ausrichtung der Regierung - eine Situati
on, wie sie in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode vorliegt -, so gilt immer, daß die
erwartete Inflationsrate gleich der tatsächlichen ist. Die unter diesen Bedingungen optimale
(diskretionäre) Inflationsrate einer Links- bzw. einer Rechtspartei lautet dann wie folgt:22
22 Zu unterscheiden ist zwischen der Zielinflationsrate einer Partei und deren diskretionärer Inflationsrate. Die Zielinflationsrate ist neben der Zielarbeitslosenquote und dem relativen Gewicht der Arbeitslosigkeit Ausdruck der Präferenzen einer Partei. Die diskretionäre Inflationsrate resultiert aus der Minimierung der Kosten der jeweiligen Partei unter Berücksichtigung der Nebenbedingungen des ökonomischen Systems. Solange die Ziele der Parteien bezüglich Inflation und Arbeitslosigkeit nicht konfliktionär sind, entsprechen sich die Zielinflationsrate und die diskretionäre Inflationsrate.
10 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
Man kann an dieser Stelle folgende Punkte festhalten:
• Wenn die Parteien eine geringere Arbeitslosenquote als die natürliche anstreben, so wird
c.p. die diskretionäre Inflationsrate unter beiden Parteien größer als deren Zielwert sein.
• Wenn, wie angenommen, der Zielwert der Arbeitslosenquote der Linkspartei kleiner als
der der Rechtspartei ist, dann ist c.p. die diskretionäre Inflationsrate der Linkspartei grö
ßer als die der Rechtspartei. L R • Wenn die relativen Gewichte beider Parteien bezüglich der Arbeitslosigkeit (g und g )
größer als null sind, dann fällt c.p. die diskretionäre Inflationsrate unter beiden Parteien
größer als deren Zielinflationsrate aus.
Wenden wir uns der ersten Hälfte der Legislaturperiode zu. Nun kennen die Wähler die
künftige Regierungspartei zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse noch nicht, so daß sie die
Inflationserwartungen gemäß Gleichung (1-6) als mit den entsprechenden Wahlsiegwahr-
scheinlichkeiten gewogenes Mittel der Inflationsraten beider Parteien in der ersten Hälfte
der Legislaturperiode bilden. Diese nun veränderten Inflationserwartungen werden von den
Parteien bei der Bestimmung der optimalen Inflationsrate berücksichtigt. Man setzt daher
die Gleichung (1-6) in die notwendigen Bedingungen für ein Kostenminimum ein, eliminiert
die Inflationsrate der jeweiligen Oppositionspartei und löst nach der Inflationsrate der Re
gierungspartei auf. Somit ergeben sich für die erste Hälfte der Legislaturperiode folgende
optimalen Inflationsraten:
(2-5) TC*'L = ÄL-l-^--QcP(l-cf)
+ ÄRQ- + gL-un-aL+(aL-aFt)Q
(2-5) TC*'L = ÄL-l-Q.gP-p.g/-
+ ÄRQ-1-Q-sF-P.gf
+ gL-otJl-Q-gR-P-c/"j
(2-6) 7IQ,R = ÄR • "i-sF-p-sf-fi-sf1)'
+ uL P- &V-&) 1 + gR-un-aR-(aL-aR)-cf-p
(2-6) 7IQ,R = ÄR • 1-Q^-Pgf
+ uL P-1_Q.gR_p.^-
+ gR-a[l-Qg"-P^]
Die Inflationsraten beider Parteien in der ersten Hälfte der Legislaturperiode sind c.p. um so
höher, je größer die Zielwerte der Inflationsrate, je kleiner die Zielwerte der Arbeitslosen
quote und je größer die relativen Gewichte der Arbeitslosenquote beider Parteien sind sowie
je größer die Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei und die natürliche Arbeitslosen
quote sind.
Setzt man nun die entsprechenden Inflationsraten in die Phillipskurve ein, so erhält man die
Arbeitslosenquoten einer Links- und einer Rechtsregierung in der ersten Hälfte
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 11
(2-7) u^ = un-iQ1-^ + ——i-|(ffR-ÄL)a(1-g'")(1-gR) + öLs^(1-gR)-QRgR(1-gL)]
(2-8) Uo'R = u n-i Q1-^+ 1Q • [(fiL - itR) • a(1 - s/-)(1 - g") + 0 V(1 •- fiH - QL^(1 - &)]
und der zweiten Hälfte der Legislaturperiode.
(2-9) U;-L = un
(2-10) Ui,R = un
Da in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode inflationäre Überraschungen wegen der
Kenntnis der Regierungspartei ausgeschlossen sind, wird sowohl unter einer Links- als auch
unter einer Rechtsregierung die natürliche Arbeitslosenquote realisiert.
Die Arbeitslosenquote in der ersten Hälfte der Legislaturperiode ist unter beiden Parteien
c.p. um so höher, je größer die Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei und je größer
die natürliche Arbeitslosenquote sind. Die positive Abhängigkeit von der Wahlsiegwahr
scheinlichkeit der Linkspartei läßt sich wie folgt begründen: Bei einer hohen Wahlsiegwahr
scheinlichkeit der Linkspartei und einem Sieg der Rechtspartei fällt die unerwartete Deflati
on sehr hoch aus, so daß es zu einem starken Anstieg der Arbeitslosenquote kommt. Bei
einem Wahlsieg der Linkspartei ist die inflationäre Überraschung nur sehr klein, so daß die
Arbeitslosenquote nur in geringem Umfang sinkt. Weiterhin kann man zeigen, daß die Aus
wirkungen auf die Arbeitslosenquote um so geringer ausfallen, je näher die ideologischen
Positionen der beiden Parteien beieinander liegen, da dann der Erwartungsfehler der Wähler
immer geringer wird. Konkret bedeutet dies, daß unter einer Linksregierung die Arbeitslo
senquote in der ersten Hälfte der Legislaturperiode c.p. um so höher ausfällt, je größer das
Arbeitslosenziel der Linkspartei, das Inflationsziel und das relative Gewicht der Arbeitslo
senquote der Rechtspartei sind sowie je kleiner das Arbeitslosenziel der Rechtspartei, das
Inflationsziel und das relative Gewicht der Arbeitslosenquote der Linkspartei sind. Je höher
dagegen Arbeitslosenziel der Rechtspartei, das Inflationsziel und das relative Gewicht der
Arbeitslosenquote der Linkspartei sind sowie je kleiner das Arbeitslosenziel der Linkspartei,
das Inflationsziel und das relative Gewicht der Arbeitslosenquote der Rechtspartei sind,
desto größer ist die Arbeitslosenquote der ersten Hälfte der Legislaturperiode unter einer
Rechtsregierung.
12 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
B.3 Die Gestalt des ideologischen Konjunkturzyklus
B.3.1 Der Zyklus im Zeitablauf
Wie sieht nun der ideologischen Konjunkturzyklus bei rationalen Erwartungen im Zeitablauf
aus? Wir unterstellen, daß beide Parteien eine Inflationsrate von null anstreben. Während die
Rechtspartei eine Arbeitslosenquote in Höhe der natürlichen zum Ziel hat, liegt der Zielwert
der Linkspartei unterhalb dieser. Weiterhin ist das relative Gewicht der Arbeitslosenquote
der Linkspartei größer als das der Rechtspartei.23 Betrachtet man die Inflationsrate, so
kann man feststellen, daß sie generell unter einer Linksregierung höher als unter einer
Rechtsregierung ist.
* L *.R /».. ^ « . 7tt' > rct' für t = 0,1
Doch während die Inflationsrate im ersten Teil der Legislaturperiode einer linken Regierung
geringer als in der zweiten Teilperiode ist, gilt für Regierungen aus dem rechten Lager ge
nau das Gegenteil Verantwortlich dafür sind die mit der Wahlsiegwahrscheinlichkeit ge
wichteten Inflationserwartungen, die sich nach einem Wahlsieg der Linkspartei (Rechts
partei ) als zu gering (als zu hoch) erweisen.
23 Die den Abbildungen 3 und 4 zu Grunde liegenden Parameter wurden wie folgt gewählt:
ßi ß? ß2 ߧ ffL ÜL ÖR P a n u 2 1 1 2 0 0 3 5 0,5 1 5
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 13
Die Arbeitslosenquote unterscheidet sich dagegen nur in der ersten Hälfte der Legislatur
periode, in der zweiten ist sie unabhängig von der Regierungspartei gleich ihrem natürlichen
Niveau. Bei einem Wahlsieg der Linkspartei fällt die Arbeitslosenquote in der ersten Hälfte
der Legislaturperiode unter ihr natürliches Niveau, während sie unter einer rechten Regie
rung über dieses hinaus steigt. Sobald jedoch die Erwartungen in der zweiten Hälfte rational
und unter Sicherheit gebildet werden können, steigt (sinkt) die Arbeitslosenquote bei einer
linken (rechten) Regierung wieder auf ihr natürliches Niveau.
6,0
5,0 -•
4,0
u 3, 0 -•
2,0 -
1,0
0,0 0 0 1 0 1
t ( in Legislaturperiodenhälften) 0 0
Linkspartei -O— Rechtspartei
Abb. 4: Der ideologische Zyklus bezüglich der Arbeitslosenquote.
Man kann also festhalten, daß linke Regierungen zumindest in der ersten Hälfte der Legis
laturperiode geringere Arbeitslosenquoten und über den gesamten Verlauf der Legislatur
periode höhere Inflationsraten als rechte Parteien aufweisen.
14 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
B.3.2 Der Zyklus im Phillipsraum
Für die Erklärung des ideologischen Konjunkturzyklus bei rationalen Erwartungen ist der
Zeitablauf innerhalb der Legislaturperiode von entscheidender Bedeutung. Vor Beginn der
Legislaturperiode und damit vor der Wahl binden sich die Wirtschaftssubjekte in den Tarif
verhandlungen an einen bestimmten Nominallohn. Da diese jedoch eine Reallohnsenkung
vermeiden wollen, werden sie die erwartete Inflationsrate bei der Festsetzung der Nominal
löhne mit berücksichtigen. Gebe es weder Schocks noch Wahlen, so könnten die Wirt
schaftssubjekte in Folge der rationalen Erwartungen die Inflationsrate korrekt vorhersagen
und in den Verträgen antizipieren. Dies ist jedoch vor Wahlen trotz rationaler Erwartungen
der Wähler und trotz deren Kenntnis der Zielfunktionen der Parteien wegen des noch unbe
kannten Wahlausgangs nicht möglich. Sie behelfen sich daher gemäß (1-6) mit dem ge
wichteten Durchschnitt beider möglichen Inflationsraten. Da wie oben abgeleitet die tat
sächliche Inflationsrate unter der linken Partei größer als unter der rechten ist, erweisen sich
die Erwartungen in der ersten Hälfte der Legislaturperiode bei einem Wahlsieg der
Linkspartei zu niedrig und bei einem Sieg der Rechtspartei zu hoch.
* L o * R «0 > *0 > *6
Erst in ti können die Wirtschaftssubjekte, nun unter Sicherheit, korrekte Inflationserwar
tungen bilden und ihren Verträgen zu Grunde legen. Doch nun zum Fall eines Wahlsiegs
der Linkspartei. Ausgangspunkt sind die gemäß (1-6) gebildeten Inflationserwartungen und
die auf diesen basierende kurzfristige Phillipskurve KPKQ (siehe Abb. 5). Nach der Wahl in
to versucht die Regierung ihre ideologischen Ziele in die Realität umzusetzen. Dazu bedient
sie sich des Geldmengenwachstums als wirtschaftspolitische Kontrollvariable. In diesem
Beispiel einer Linksregierung setzt ein beschleunigtes Geldmengenwachstum ein, das zu
einem Inflationsanstieg (TIQ,L) führt. Die Inflationserwartungen erweisen sich demgemäß als
zu gering (n*,L - JCQ > 0), so daß in Folge der nicht antizipierten Inflation bei konstanter
kurzfristiger Phillipskurve KPKo die Arbeitslosigkeit unter ihr natürliches Niveau sinkt (man
erreicht Xo). Dieser Zustand währt jedoch nur solange, bis die Wirtschaftssubjekte ihre Er
wartungen in den Verträgen der nächsten Teilperiode der Wirtschaftspolitik anpassen kön
nen. Unter Kenntnis des politischen Lagers der Regierungspartei steigen in diesem Fall die
Inflationserwartungen, so daß sich keine andere als die natürliche Arbeitslosenquote ein
stellen kann. Dieser Anstieg der Inflationserwartungen ist jedoch mit einer Verschiebung
der kurzfristigen Phillipskurve (nach KPK-i) verbunden, weshalb die Inflation in der zweiten
Teilperiode (t-|) nochmals steigt ( ).
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 15
Abb. 5: Der ideologische Konjunkturzyklus bei einer linken Regierung.
Steht wieder eine neue Wahl bevor, so werden erneut die Inflationserwartungen gemäß
(1-6) als gewichteter Mittelwert gebildet, so daß sie zwangsläufig sinken. Unter der An
nahme einer unveränderten Wahlsiegwahrscheinlichkeit P verschiebt sich daher die kurzfri
stige Phillipskurve KPKi wieder nach unten (KPKo). Der ideologische Zyklus unter einer
Linkspartei vollzieht sich also bei unveränderter Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei
als eine Bewegung zwischen XQ und Xi.
Abb. 6: Der ideologische Konjunkturzyklus bei e iner rechten Regierung.
Gewinnt jedoch die Rechtspartei die Wahl in to, so erweisen sich die Inflationserwartungen
wegen der Verringerung des Geldmengenwachstums als zu hoch; es kommt also zu einer
unerwarteten Deflation (no,R -KQ < 0). Zunächst hat dies zur Folge, daß bei konstanter kurz-
16 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
fristiger Phillipskurve KPKo die Arbeitslosigkeit auf UQ,R steigt (siehe Abb. 6). In der zweiten
Hälfte der Legislaturperiode kennen die Wirtschaftssubjekte die Regierungspartei und kön
nen die geringere Inflationsrate JI},R in ihren Verträgen durch geringere Inflationserwartun
gen antizipieren. Die kurzfristige Phillipskurve verschiebt sich daher nach unten (KPK-|) und
die Inflationsrate sinkt auf 7ii'R. Da jetzt die erwartete und die tatsächliche Inflationsrate
übereinstimmen, fällt die Arbeitslosenquote wieder auf ihr natürliches Niveau. Bei den näch
sten Tarifverhandlungen stellt sich jedoch wieder die Unsicherheit über den Wahlausgang
ein, so daß die Wähler erneut bei der Bildung der Inflationserwartungen auf ihr gewichtetes
Mittel zurückgreifen müssen. Demzufolge steigt die erwartete Inflationsrate, so daß sich die
kurzfristige Phillipskurve wieder nach oben verschiebt, bei unveränderten Wahlsiegwahr
scheinlichkeiten nach KPKQ.
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 17
B.4 Die Vermeidung des ideologischen Konjunkturzyklus
durch Kooperation
B.4.1 Möglichkeiten zur Vermeidung
Verschiedene Ansätze zur Vermeidung dieser ideologischen Zyklen sind diskutiert worden.
Allen gemeinsam ist der Gedanke, eine Situation zu schaffen, die es den Wählern erlaubt,
die Inflationsrate mit Sicherheit zu antizipieren. So kann zum Beispiel die Zeitspanne zwi
schen der Wahl und der Amtseinführung der neuen Regierung vergrößert werden.24 Nach
der Wahl bleibt die alte Regierung noch solange im Amt, bis davon ausgegangen werden
kann, daß die Wähler alle ihre Erwartungen nun in Kenntnis der neuen Regierungspartei und
somit unter Sicherheit rational gebildet und diese in ihren neuen Entscheidungen und Ver
trägen umgesetzt haben.
Bisher wurde angenommen, daß die Zentralbank, oder zumindest das geldpolitische Instru
mentarium, vollständig unter der Kontrolle der Regierung steht. Hebt man diese Annahme
auf, so haben die Politiker keine Möglichkeit mehr die Inflationsrate direkt zu steuern und
der ideologische Konjunkturzyklus verschwindet. Untersuchungen25 zeigen, daß die durch
schnittliche Inflationsrate und der Grad der Unabhängigkeit eng miteinander verbunden
sind. Ebenfalls in diese Richtung geht ROGOFFS26 Vorschlag, die Geldpolitik einem ultra
konservativen Zentralbanker, d.h. mit einer extremen antiinflationären Einstellung, zu
übertragen. Die Wähler erwarten eine niedrige Inflationsrate und werden in ihren Er
wartungen auch nicht getäuscht. Das Ergebnis ist ein Verharren der Wirtschaft bei der na
türlichen Arbeitslosenquote und bei einer sehr niedrigen Inflationsrate.
Doch selbst bei der unbestritten weitgehend unabhängigen Deutschen Bundesbank sind es
beispielsweise Politiker, die die Mitglieder des Direktoriums auswählen. Es ist also schon
allein durch das Recht auf Auswahl der Mitglieder ein gewisser Einfluß auf die Zentralbank
möglich. Genau diesen Sachverhalt greift WALLER27 in seinem Ansatz auf, in dem es dem
24 Vgl. ChappeH. Henry W. Jr. / Keech. William R.: Party Differences in Macroeconomic Policies and Outcomes, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 76 (1986), pp. 71-74.
25 Siehe beispielsweise Cukierman. Alex / Webb. Steven B. / Nevapti. Bilin: Measuring the Indepen-dence of Central Banks and its Effect on Policy Outcomes, in: World Bank Economic Review, Vol. 6 (1993), pp. 353-398 oder Alesina. Alberto / Summers. Lawrence H.: Central Bank Independence and Macroeconomic Performance: Some Comparative Evidence, in: Journal of Money, Credit and Banking, Vol. 25 (1993), pp. 151-162.
26 Rogoff. Kenneth: The Optimal Degree of Commitment to an Intermediate Monetary Target, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 100 (1985), pp. 1169-1190.
27 Waller. Christopher J.: Monetary Policy Games and Central Bank Politics, in: Journal of Money, Credit and Banking, Vol. 21 (1989), pp. 422-431.
18 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
Wahlsieger erlaubt ist, ein Mitglied des geldpolitischen Entscheidungsgremiums zu bestim
men. Von diesem Mitglied wird angenommen, daß es die Politik der Partei, die es berufen
hat, vertritt. WALLER k ommt zu dem Schluß, daß je größer die Anzahl der Mitglieder des
geldpolitischen Entscheidungsgremiums ist und je seltener ein Wechsel der Regierungs
partei stattfindet, desto geringer die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines ideologischen
Konjunkturzyklus ist.
Auf der Seite der Wähler könnte durch eine Indexierung der Löhne oder eine Verschie
bung der Vertragsabschlüsse auf einen Zeitpunkt nach der Wahl die Ungewißheit bezüg
lich der ideologischen Ausrichtung der Regierungspartei und somit auch bezüglich der zu
erwartenden Inflationsrate beseitigt werden. Auf diese Weise werden die nicht antizipierba
ren Veränderungen der Inflationsrate und somit auch die Beschäftigungsschwankungen
vermieden.
Ein anderer Ansatz wird im folgenden aufgezeigt, nämlich die Möglichkeit, beide Parteien
zu einer Kooperation zu veranlassen, im Zuge derer sich die Parteien vor den Wahlen auf
eine nach der Wahl zu setzende Inflationsrate einigen und diese auch ankündigen. Den
Wählern ist es auf diese Weise möglich, die Inflationsrate korrekt zu antizipieren.
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 19
B.4.2 Die Vermeidung durch Kooperation
Wir betrachten also nun die Möglichkeit, daß sich beide Parteien noch vor den Wahlen und
auch vor den Vertragsabschlüssen auf eine bestimmte Inflationsrate einigen und diese be
kannt geben.28 Die Wähler können sich somit schon in der ersten Hälfte der Legislaturperi
ode auf die kommende Inflationsrate einstellen und entsprechende Verträge abschließen, so
daß die tatsächliche Arbeitslosenquote immer gleich der natürlichen ist. Es gilt also:
(4-1) *Sr)4"=*<t,)fl=*(tr)-"f
(4-2) u(t,)J- = uir)'R = u(,r) = u"
für t = (0,1)
Setzt man (4-1) in die Gleichungen (1-4) und (1-5) ein, so ergibt sich (4-3) als optimale
regelgebundene Inflationsrate.
(A Jr)'L - Jf)'R - -,r8-n (4"jj 7tj — — U
Da bei einer solche Absprache der beiden Parteien die tatsächlichen der natürlichen Ar
beitslosenquote entspricht und da Inflation für die Parteien kein Selbstzweck ist
(fcL = 7tL =0 ),29 besteht auch kein Anreiz zur Inflationierung, weshalb die optimale regel
gebundene Inflationsrate gleich null ist.
B.4.2.1 Die Entscheidung zur Kooperation
Es stellt sich nun die Frage, ob die beiden Parteien überhaupt einen Anreiz haben, eine sol
che Kooperation einzugehen. Da wir es hier mit einer Risikosituation zu tun haben, d.h. da
den Parteien zwar die möglichen Umweltzustände - Sieg oder Niederlage - und die Kosten
der jeweiligen Strategien - Kooperation oder Unterlassung - bekannt sind, es ihnen aber
unmöglich ist, zu bestimmen, welcher Umweltzustand eintritt, können sie lediglich die Ein
trittswahrscheinlichkeiten der Umweltzustände, die Wahlsiegwahrscheinlichkeiten P und Q,
28 Um die Analyse zu vereinfachen, gehen wir im folgenden davon aus, daß beide Parteien eine Inflationsrate von null anstreben, ferner, daß die Rechtspartei eine Arbeitslosenquote in Höhe der natürlichen Arbeitslosenquote, die Linkspartei eine geringere zum Ziel hat.
29 Ein Selbstzweck könnte darin bestehen, Staatsausgaben durch Münzgewinne zu finanzieren. Wenn auch diese Finanzierungsart für die Bundesrepublik Deutschland kaum eine Bedeutung hat, so dennoch für Länder wie z.B. Portugal, deren Münzgewinn im Zeitraum 1979 bis 1986 11,9 % der Steuereinnahmen ausmachte (siehe Drazen. Allan: Monetary Policy, Capital Controls and Seignorage in Open Econo-mies, in: Cecco. Marcello / Giovanni. Alberto (eds.): A European Central Bank? Perspectives on Monetary Unification after ten Years of the EMS, Cambridge (MA) 1989, pp. 13-32).
20 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
zur Entscheidungsfindung heranziehen. Es wird angenommen, daß sich die Parteien in einer
solchen Risikosituation gemäß dem Bernoulli-Prinzip für diejenige Strategie entscheiden,
die zu dem höchsten Erwartungsnutzen bzw. zu den geringsten erwarteten Kosten fuhrt.
Man gewichtet also die Kosten der Strategien unter den einzelnen Umweltzuständen mit
deren Eintrittswahrscheinlichkeit.
Wahlergebnis
Sieg Niederlage
P Q
Linkspartei
Keine Kooperation ZL Linkspartei Kooperation zi'V-
Tab. 2: Entscheidungsmatrix einer Linkspartei.
Eine Partei (hier die Linkspartei), die ihre zu erwartenden Kosten minimieren möchte, wird
sich also dann für eine Kooperation mit der anderen Partei entscheiden, wenn die Summe
aus den erwarteten Kosten im Falle eines Wahlsieges und den erwarteten Kosten im Falle
einer Niederlage, im folgenden auch als erwartete Gesamtkosten der Legislaturperiode be
zeichnet, größer ist als die erwarteten Kosten der Kooperation der Form i.30
P • ZL + Q • z(°),L > P • Z^'L + Q • Z^,L
(4-4) P • ZL + Q • z(°)'L > (P + Q) • z(r)'L
PZL+Q-Z^,L>Z^,L
Auf gleichem Wege erhält man das Entscheidungskalkül für die Rechtspartei:
(4-5) Q • ZR + P • z(°),R > z(r),R
Um zu klären, ob oder unter welchen Umständen beide Parteien einen Anreiz zur Koopera
tion haben, müssen wir also zunächst die Kosten für die Fälle eines Wahlsiegs, einer Wahl
niederlage und einer Kooperation bestimmen.
30 Unsere Vorgehensweise unterscheidet sich in diesem Punkt von der Wagners und Hamachers. (Hamacher. Stefanie: Glaubwürdigkeitsprobleme in der Geldpolitik: Institutionelle Lösungsansätze auf spieltheoretischer Grundlage, Stuttgart 1995.)
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 21
B.4.2.1.1 Die erwarteten Gesamtkosten einer Legislaturperiode ohne Regelbindung
Wie man in den vorangegangenen Abschnitten erkennen konnte, erreicht die Linkspartei ihr
Kostenminimum im Sinne der Realisierung der Zielvorgaben nie, die Rechtspartei nur in der
zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Beiden Parteien entstehen daher Kosten im Fall eines
Wahlsieges. Man erhält diese, indem man die Inflationsraten und Arbeitslosenquoten beider
Legislaturperiodenhälften unter Partei i in deren Kostenfunktion einsetzt:
(4-6) Z*'L = ZL(7Co,L,KVL,Uo'L,un)
(4-7) Z*'R = ZR(no'R,0,u*oR,un)
Doch es entstehen den Parteien natürlich auch Kosten wenn sie die Wahlen verlieren. Dann
sind sie gezwungen die Wirtschaftspolitik der Konkurrenzpartei und damit einen weitaus
geringeren Zielerreichungsgrad hinzunehmen. Zur Ermittlung der Oppositionskosten, also
der Kosten im Fall einer Wahlniederlage, setzt man die Inflationsraten und Arbeitslosen
quoten beider Hälften der Legislaturperiode unter der Regierungspartei j in die Kostenfunk
tion der Oppositionspartei i ein. Die Oppositionskosten der Links- und der Rechtspartei
lauten also wie folgt:
(4-8) Z(o)'L = ZL(^R,0,uSR,un)
(4-9) Z(o)'R = ZR(7to'L,7t;'L,Uo'L,un)
Mit steigender Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei P erhöhen sich für sie die Ko
sten eines Wahlsieges, da es in immer geringer werdendem Umfang möglich ist, durch eine
unerwartete Erhöhung der Inflationsrate die gewünschte Reduzierung der Arbeitslosen
quote unter ihr natürliches Niveau zu erreichen. Gleichzeitig wird bei einer Niederlage das
Ausmaß der Überraschung und damit der reale Effekt, der jedoch in eine unerwünschte
Richtung weist, immer größer. Somit sind sowohl die Kosten eines Wahlsieges, als auch die
einer Wahlniederlage positiv von der Wahlsiegwahrscheinlichkeit P der Linkspartei abhän
gig, wobei jedoch für jede beliebige Wahlsiegwahrscheinlichkeit P die Kosten des Wahlsie
ges geringer sind als die Oppositionskosten (siehe Abb. 7).
22 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
Um die zu erwartenden Gesamtkosten einer Legislaturperiode zu ermitteln, müssen die
Wahlsiegkosten und die Oppositionskosten mit deren Eintrittswahrscheinlichkeiten (P und
Q) gewichtet und zusammengefaßt werden. Mit steigender Wahlsiegwahrscheinlichkeit der
Linkspartei nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, die Wahlsiegkosten in Kauf nehmen zu müs
sen und sinkt die Wahrscheinlichkeit, die Oppositionskosten tragen zu müssen. Insgesamt
sind die erwarteten Gesamtkosten der Legislaturperiode positiv von der Wahlsiegwahr
scheinlichkeit der Linkspartei abhängig. Selbstverständlich sind die erwarteten Gesamtko
sten auch vom Diskontierungsfaktor p abhängig. Je höher dieser ist, desto stärker werden
die Ereignisse in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode berücksichtigt und desto höher
fallen die erwarteten Gesamtkosten aus.
Für die Rechtspartei, die eine Inflationsrate von null und die natürliche Arbeitslosenquote
anstrebt, bedeutet eine steigende Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei wegen des
damit verbundenen Anstiegs der Inflationserwartungen eine größer werdende Nachwahke-
zession mit einer zu hohen Arbeitslosenquote und eine deutlich über dem Zielwert liegende
Inflationsrate. Die Kosten eines Wahlsieges sind daher auch für die Rechtspartei eine positiv
abhängige Funktion der Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei (siehe Abb. 8). Die
Oppositionskosten steigen ebenfalls wegen der in Folge der zunehmenden Inflationserwar
tungen höheren Inflationsrate unter der Linksregierung in der ersten Hälfte der Legislatur
periode. Auch für die Rechtspartei gilt, daß bei jeder beliebigen Wahlsiegwahrscheinlichkeit
der Linkspartei P die Kosten eines Wahlsieges geringer als die Kosten einer Wahlniederlage
sind. Gewichtet man diese Kosten jeweils mit der entsprechenden Eintrittswahrscheinlich
keit (Q und P), so zeigt sich, daß auch für die Rechtspartei die erwarteten Gesamtkosten
eine positiv abhängige Funktion der Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei sind. Wie
bei der Linkspartei steigen c.p. auch bei der Rechtspartei die erwarteten Gesamtkosten mit
einem zunehmendem Diskontierungsfaktor. Lediglich bei einer Wahlsiegwahrscheinlichkeit
der Rechtspartei von eins hat er keinen Einfluß. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 23
Rechtspartei in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ihre Zielwerte realisieren kann und
ihr daher keine Kosten entstehen und gleichzeitig der Erwartungswert der Oppositionsko
sten gleich null ist. Mit steigender Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei wirkt sich
c.p. eine Erhöhung des Diskontierungsfaktors zunehmend kostenerhöhend aus.
B.4.2.1.2 Die Kosten der Kooperation
Binden sich beide Parteien für die gesamte Legislaturperiode, so erhält man die Kosten der
Kooperation, indem man die kooperative Inflationsrate (4-3) und die kooperative Arbeitslo
senquote (4-2) in die Zielfunktionen beider Parteien einsetzt. Die Kooperationskosten sind
von der Wahlsiegwahrscheinlichkeit unabhängig und unter den getroffenen Annahmen31 nur
für die Linkspartei positiv von deren Diskontierungsfaktor p abhängig:
Da die Regelbindungslösung nicht das Kostenminimum der Linkspartei darstellt, erwachsen
ihr in jeder Periode Kosten, die nach Maßgabe des Diskontierungsfaktors berücksichtigt
werden. Je höher dieser ist, desto höher sind auch die Regelbindungskosten. Die
Rechtspartei erreicht dagegen unter den gegebenen Annahmen bei Regelbindung ihr Ko
stenminimum, weshalb die Regelbindungskosten für sie unabhängig von ihrem Diskontie
rungsfaktor gleich null sind.
(4-10) Z(r)-L = zL(o, 0,un, un) = |L(1 + p)- (un - üL)2
(4-11)
31 Siehe Fußnote 28, Seite 19.
24 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
B.4.2.1.3 Die Entscheidung zur Kooperation
Bei Berücksichtigung dieses Entscheidungskalküls und unter der getroffenen Annahme, daß
beide Parteien eine Inflationsrate von null anstreben, ist die Linkspartei nur bei einer Wahl
siegwahrscheinlichkeit von P gleich null und die Rechtspartei nur bei einer Wahlsiegwahr
scheinlichkeit von Q gleich Eins zwischen einer Kooperation und deren Unterlassung indif
ferent. In allen anderen Fällen ziehen beide Parteien eine Kooperation beliebiger Art vor.32
Dieses im Vergleich zu anderen Analysen neue Ergebnis ist ausschließlich auf die Berück
sichtigung der gesamten Legislaturperiode und des Bernoulli-Prinzips zurückzuführen.33
In Abb. 9 und Abb. 10 sind die erwarteten Gesamtkosten und die Kooperationskosten bei
der Parteien in Abhängigkeit der Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei für zwei ver
schiedene Diskontierungsfaktoren abgetragen. Für alle Parteien ist die Kooperation unab
hängig von der Ausgestaltung eine schwach dominante Strategie, d.h. für jede Wahlsieg
wahrscheinlichkeit der Linkspartei sind die Kooperationskosten kleiner oder gleich den
Wahlsiegkosten. Ferner zeigt sich, daß die Kooperationskosten vom Typ der Rechtspartei
unabhängig vom Diskontierungsfaktor gleich null sind, während sich die Linkspartei höhe
ren und mit steigendem Diskontierungsfaktor wachsenden Kooperationskosten gegenüber
sieht. Bildet man die Differenz zwischen den Regelbindungskosten und den erwarteten Ge
samtkosten, so zeigt sich, daß eine Kooperation zwar beiden Parteien Vorteile, zumindest
jedoch keine Nachteile bringt, daß aber die Rechtspartei einen größeren Nutzen hieraus zie
hen kann.34
32 Bei Zulassung positiver Inflationsziele kann die Kooperation auch zu höheren Kosten führen. 33 Vgl. Wagner. Helmut: Demokratie und Inflation, a.a.O., S. 363 oder Hamacher. Stefanie: Glaubwür
digkeitsprobleme in der Geldpolitik: Institutionelle Lösungsansätze auf spieltheoretischer Grundlage, a.a.O., S. 98. Vergleicht man - wie Wagner oder Hamacher - statt der erwarteten Gesamtkosten nur die Wahlsiegkosten der ersten Hälfte der Legislaturperiode mit den Regelbindungskosten, so ist die Linksregierung in unserem Zahlenbeispiel erst ab einer Wahlsiegwahrscheinlichkeit von ca. 53,59% bereit zu kooperieren.
34 Siehe Abb. 11 und 12 im Anhang 1. Hier sind die Mehrkosten einer Kooperation für beide Parteien abgetragen. Die Mehrkosten der Kooperation ergeben aus den Ungleichungen (4-4) und (4-5).
Mehrkosten der Linkspartei: z^r',L - (p • ZL + Q • Z^,L)
Mehrkosten der Rechtspartei: - (Q . zR + P • 2^°^)
Man erkennt, daß unter den getroffenen Annahmen für alle Parteien eine Kooperation keine Nachteile verspricht und daß bei jeder beliebigen Wahlsiegwahrscheinlichkeit P der Linkspartei und bei jedem beliebigen Diskontierungsfaktor p die Mehrkosten der Kooperation der Rechtsregierung kleiner oder gleich denen der Linksregierung sind.
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 25
18,0-
16,0 - •
14.0 ••
1£0-
j 10,0 - •
• 8 ,0--
6,0-p = 0,5
4,0 • •
2.0-
p X 0,1
0,0 A 1 1 1 1 1 1 1 I 1 1 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
P erwartete Gesamtkosten — -Kooperationskosten
— erwartete Gesamtkosten • Kooperationsketten
25,0 x
20,0 • •
15,0
10,0--
5,0 • •
p * 0,5 /
/P-ai/ / / • / / /
y'
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 P
erwartete Gesamtkosten — — — erwartete Gesamtkosten ••Kooperationskosten Kooperationskosten
Abb. 9: Vergleich der erwarteten Gesamtkosten Abb. 10: Vergleich der erwarteten Gesamtkosten und der Kooperationskosten einer Links- und der Kooperationskosten einer Rechtspartei. partei.
B.4.2.2 Die Entscheidung zur Täuschung
Eine Kooperation wird jedoch nur dann zustande kommen, wenn auch garantiert ist, daß
sich beide Parteien an die Vereinbarung halten, denn nur dann gelingt es ihnen, ihre Kosten
zu verringern. Ist allerdings eine verbindliche Regelung nicht möglich, könnte für die Partei
en ein Anreiz bestehen, die Wähler, die die kooperative Inflationsrate schon in ihren Verträ
gen berücksichtigt haben, zu täuschen und durch eine überraschend höhere oder geringere
Inflationsrate auf eine Isokostenlinie mit einem geringeren Kostenniveau zu gelangen.35
Die optimale Inflationsrate bei einer Täuschung JI[C^ erhält man, wenn man in Gleichung
(2-1) und (2-2) jeweils die kooperative Inflationserwartungen (in unserem Beispiel von null)
einsetzt. Nachdem die Wähler den wahren Charakter der Regierungspartei erkannt haben,
erwarten diese in der darauf folgenden Hälfte der Legislaturperiode die diskretionäre Infla
tionsrate der zweiten Legislaturperiodenhälfte des Normalfalls der entsprechenden Partei.
Will die Regierungspartei unerwünschte in- oder deflationären Überraschungen vermeiden,
muß sie den Erwartungen gerecht werden und die diskretionäre Inflationsrate setzen. Dies
hat zur Konsequenz, daß in der zweiten Teilperiode die tatsächliche gleich der natürlichen
Arbeitslosenquote ist. Für die Linkspartei ergibt sich somit
35 Siehe beispielsweise Abb. 13 im Anhang 2.
26 Rationale Klienteltheorie und Kooperation
(4-12) 7tjc),L=gL(un-uL) (4-13)
(4-14) Ji$L=<'L (4-15)
u[°)'L = un -|l-gLj + uL gL
(4-15) u$jL = un
und für die Rechtspartei:
(4-16) K(°>R=0 = ^ (4-17) uPR=u"
(4-18) = 0 = rc[r),R = 7tj'R (4-19) uj^;R=un
Da die Täuschung sowohl in der ersten als auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode
möglich ist, gliedert sich die Anreizanalyse in diese beiden Teilperioden.
B.4.2.2.1 Täuschung in der ersten Hälfte der Legislaturperiode
Betrachtet man die Täuschungsinflationsrate der Rechtspartei, so erkennt man schon an
dieser Stelle, daß diese nicht von der Kooperationslösung abweichen wird. Dies war ohne
hin schon zu vermuten, da die Kooperationslösung dem Kostenminimum der Rechtspartei
entspricht. Da die Täuschungsinflationsrate der Kooperationsinflationsrate entspricht, müs
sen auch die Täuschungskosten den Kooperationskosten entsprechen. Um die Kosten der
Täuschung zu ermitteln, setzen wir für die erste Hälfte der Legislaturperiode die Täu
schungsinflationsrate und -arbeitslosenquote in die Zielfunktion der entsprechenden Partei
ein, für die zweite Hälfte jeweils die Inflationsrate und Arbeitslosenquote des Normalfalls,
Die Rechtspartei besitzt keinen Anreiz zur Täuschung und da zudem zwischen beiden Stra
tegien kein Unterschied besteht, bleibt die Rechtspartei der Kooperation faktisch immer
treu.36
Anders sieht der Sachverhalt für eine Linkspartei aus. Sie besitzt dagegen durchaus einen
Anreiz zur Täuschung, da sie durch ein unerwartetes Abweichen von der Kooperation, bei
den gegebenen Inflationserwartungen von null, während der ersten Hälfte der Legislaturpe
riode über eine unerwartete Inflation die Arbeitslosenquote reduzieren kann. In der zweiten
Hälfte der Legislaturperiode erwarten die Wähler daraufhin jedoch die höhere Inflationsrate
des Normalfalls, was zu deutlich höheren Kosten als bei der Kooperation führt.
(4-20)
36 Siehe hierzu auch Abb. 14 im Anhang 2.
Rationale Klienteltheorie und Kooperation 27
(4-21) r(C°),L=ZLf7l[)C)'Lt7i;'L,U[)C)'L)Un ß^un-üL)2 ß^2+p(ß"f + ß^'
^(ßl+ßz)
Ob die Linkspartei also ein Interesse an der Täuschung der Rechtspartei und der Wähler
hat, ist daher maßgeblich davon abhängig, ob die Kostenvorteile in der ersten Hälfte der
Legislaturperiode durch die Nachteile in der zweiten Hälfte kompensiert werden oder nicht.
Ausschlaggebend hierfür ist die Höhe des Diskontierungsfaktors p der Linkspartei. Ist die
ser gering, d.h. werden die Ereignisse der zweiten Hälfte der Legislaturperiode nur gering
gewichtet, so besteht ein Anreiz zur Täuschung.37 Es zeigt sich, daß eine Täuschung unter
bleibt, wenn gilt:
(4-22) p>-y-2-— ßi+ßs
Somit ergibt sich in der ersten Hälfte der Legislaturperiode für die Rechtspartei kein und für
die Linkspartei nur bei einem geringen Diskontierungsfaktor ein Anreiz zur Täuschung. Eine
Kooperation der Linkspartei ist also in der ersten Hälfte der Legislaturperiode zunächst
nicht a priori unglaubwürdig.
B.4.2.2.2 Täuschung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode
Auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode bleibt für die Rechtspartei das obige Er
gebnis bestehen: Die Rechtspartei besitzt keinen Anreiz zur Täuschung, da die Kooperation
gewährleistet, daß sie sich in ihrem Kostenminimum befindet.
Betrachtet man jedoch die Linkspartei so zeigt sich, daß diese sich die Inflationserwartun
gen von null zu Nutze machen kann, um durch eine Inflationsrate in Höhe von zu ver
suchen, die Arbeitslosenquote und damit auch ihre Kosten zu reduzieren ohne dafür bestraft
zu werden. Die Kosten der Täuschung sind in dieser Periode immer kleiner als die der Ko
operation.
zN'L-z(r>'L= f.,»- nM2
2/ (un -0Lf
Da die Wähler jedoch die Anreizsituation der Linkspartei kennen erwarten sie die Täu
schung. Für die Linkspartei existiert ein solcher Anreiz zur Inflationierung solange wie die
Inflationserwartungen kleiner als sind.38 Die Wähler erwarten daher diese Inflationsrate,
37 Siehe hierzu auch Abb. 13 im Anhang 2. 38 Bei einer Täuschung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode wird letztendlich die entsprechende
Inflationsrate des Normalfalls von der Regierung gesetzt und von den Wählern erwartet. Diese ergibt sich aus der Inflationsrate bei Täuschung und den entsprechenden Erwartungen:
28 Rationale Klienteltheorie und Kooperation
so daß der Linksregierung nichts anderes übrig bleibt, als diese auch zu realisieren, um ihre
Kosten minimal zu halten. Insgesamt führt diese Lösung jedoch zu höheren Kosten als bei
der Kooperation. Die Linkspartei befindet sich somit in einem Gefangenendilemma, dessen
einzige stabile Lösung, das Nash-Gleichgewicht, bei Setzung und Erwartung der diskretio
nären Inflationsrate der zweiten Hälfte der Legislaturperiode T^'L vorliegt. Betrachtet man
die erwarteten Kooperationskosten39 und die erwarteten Täuschungskosten der zweiten
Hälfte der Legislaturperiode zum Zeitpunkt der Kooperationsentscheidung - also vor den
Wahlen - so ergibt sich ein vollkommen anderes Bild: Da die Linkspartei zu diesem Zeit
punkt noch mit einer möglichen Wahlniederlage rechnen muß, sind für jeden denkbaren
Diskontierungsfaktor die erwarteten Täuschungskosten größer als die erwarteten Koopera
tionskosten. Es handelt sich hierbei also um das wohl bekannte Phänomen der zeitlichen
Inkonsistenz optimaler Pläne.
Wenn nun aber bei einem Sieg der Linkspartei zwangsläufig in t=1 deren diskretionäre In
flationsrate erwartet wird, so verliert letztendlich die Androhung dieser Erwartung in t=0 an
Bedeutung. Die Linkspartei wird daher schon in t=0 versuchen die Wähler und die
Rechtspartei zu täuschen.40 Die Kooperationslösung ist somit nicht glaubwürdig und wird
daher auch nicht zustande kommen, obwohl sich beide Parteien durch eine solche besser
stellen würden.
Fassen wir zusammen:
Eine Täuschung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode lohnt sich für
• die Linkspartei nicht, da die Wähler die diskretionäre Inflationsrate erwarten und somit
eine Verringerung der Arbeitslosigkeit ausgeschlossen ist. Dennoch muß die Linkspartei
diesen Erwartungen gerecht werden, um eine deflationäre Überraschung verbunden mit
einem Anstieg der Arbeitslosenquote zu vermeiden;
• die Rechtspartei nicht, da sie sich ohnehin in ihrem Kostenminimum befindet.
*tviL = 9L'Xsr |un-aL)=It;'L x=0
39 Die erwarteten Kooperationskosten erhält man, wenn für die erste Hälfte der Legislaturperiode Kooperation unterstellt wird und fiir die zweite Hälfte berücksichtigt wird, daß die mit der Wahrscheinlichkeit P gewählte Linkspartei die Wähler täuscht und die mit der Wahrscheinlichkeit Q gewählte Rechtspartei an der Kooperation festhält.
Z^4- =Ko(o,unj+ p •jWf(iili1un) + QK\(o,un)]
Die erwarteten Täuschungskosten sind die Summe aus den Kosten bei Kooperation in der ersten Hälfte und Täuschung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode.
ziC,)A=Ko(0."n) + p-K^,un) 40 Man erhält also die für endlich wiederholte Spiele hinlänglich bekannte Lösung des Chain-Store-
Paradoxons.
Rationale Klienteltheorie und Kooperation 29
Eine Täuschung in der ersten Hälfte der Legislaturperiode lohnt sich für
• die Linkspartei, da die Wähler ohnehin in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode die
diskretionäre Inflationsrate erwarten und somit die Bestrafung in jedem Fall, ob mit oder
ohne vorausgegangener Täuschung eintritt;
• die Rechtspartei nicht, da sie durch die Kooperation sich ohnehin in ihrem Kostenmini
mum befindet.
Durch die Ausdehnung der Betrachtung auf eine aus zwei Teilperioden bestehende Legis
laturperiode und die Berücksichtigung des Bernoulli-Prinzips als Entscheidungsregel finden
wir also das Ergebnis des Einperiodenfalls, daß eine Kooperation der Linkspartei nicht
glaubwürdig ist, bestätigt.41
C Schlußbemerkungen
Wir haben gesehen, daß es offensichtlich für beide Parteien einen Anreiz gibt, ideologische
Zyklen durch Kooperation zu vermeiden. Da der ideologische Konjunkturzyklus bei ratio
nalen Erwartungen nicht bewußt von den Parteien ausgelöst wird, sondern lediglich eine
Folge der falschen Inflationserwartungen der Wähler ist, erscheint dies plausibel. Allerdings
taucht hier das für endlich oft wiederholte Spiele typische Problem der Zeitinkonsistenz auf.
Nach Einigung auf eine kooperative Inflationsrate besitzt einer der Spieler, hier die
Linkspartei, einen Anreiz, von dieser Vereinbarung abzuweichen. Es bietet sich daher an,
die ohnehin nicht besonders realitätsnahe Annahme eines finiten Spiels aufzugeben und Re
putationseffekte bei infiniten Spielen zu betrachten. Die obige Analyse zeigte, daß wegen
des endlichen Zeithorizonts das sogenannte Chain-Store-Paradoxon auftritt. Dies gibt ande
rerseits Anlaß zur Hoffnung daß bei unendlich wiederholten Spielen der Drohmechanismus
wirksam bleibt. So könnte die Täuschung durch die Linkspartei beispielsweise in der näch
sten Legislaturperiode nach einem erneuten Wahlsieg der Linkspartei zu höheren Inflati
onserwartungen in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode fuhren.42 Es ist weiterhin
denkbar, daß eine Täuschung zu einer Verringerung der Wiederwahlchancen führt und auf
diese Weise die Linkspartei diszipliniert wird. Eine Modellierung dieser Aspekte im Zu
sammenhang mit der rationalen Klienteltheorie muß an dieser Stelle jedoch unterbleiben.
41 Zum Vergleich das Ergebnis Wagners: "Von daher ist eine kooperative Festlegung oder Selbstverpflichtung einer Linkspartei nicht glaubwürdig". Siehe Wagner. Helmut: Demokratie und Inflation, a.a.O., S. 364.
42 Würden in der ersten Hälfte die Inflationserwartungen schon steigen, so hätte dies bei einem Wahlsieg der Rechtspartei einen stärkeren Anstieg der Arbeitslosenquote zur Folge. Eine solche Strategie der Wähler wäre also nicht rational.
30 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
Anhang 1
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Linkspartei:erwartete Mehrkosten bei K ooperation Rechtspartei: erwartete Mehrkosten bei Kooperation
Abb. 11: Erwartete Mehrkosten der Parteien bei Kooperation in Abhängigkeit der Wahlsiegwahrscheinlichkeit der Linkspartei.
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Linkspartei:erwartete Mehrkosten bei Kooperation Rechtspartei: erwartete Mehrkosten bei Kooperation
Abb. 12: Erwartete Mehrkosten der Parteien bei Kooperation in Abhängigkeit des Diskontierungsfaktors.
Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation 31
Abb. 13: Wahlsieg, Wahlniederlage, Kooperation Abb. 14: Wahlsieg, Wahlniederlage, Kooperation und Täuschung im Fall einer Linksregie- und Täuschung im Fall einer Rechtsregierung.43 rung.44
Anhang 2
Eine Bewegung entlang der kooperativen kurzfristigen Phillipskurve KPK^ führt für eine Linksregierung zu einer Isokostenlinie mit einem geringeren Kostenniveau. Insofern besteht also ein Anreiz zur Täuschung. Allerdings erwarten dann die Wähler in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode die höhere Inflationsrate des Normalfalls, so daß nur noch der Punkt realisierbar ist. Dieser liegt auf einer Isokostenlinie mit einem höheren Kostenniveau als bei der Kooperationslösung. Je höher also der Diskontierungsfaktor der Linkspartei ist, desto stärker fallen die negativen Eff ekte des Täuschens ins Gewicht und desto wahrscheinlicher bzw. glaubwürdiger ist die Kooperation.
Im Fall der Kooperation und im Normalfall entsprechen sich die kurzfristigen Phillipskurven (KPK1
und KPK^). Die optimale Kombination aus Arbeitslosenquote und Inflationsrate bei Kooperation ist gleich derjenigen des Normalfalls in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode und gleich dem Kostenminimum. Eine Täuschung durch ein Abweichen von dieser Kombination entlang der Phillipskurve KPK1 führt daher lediglich zu Isokostenlinien mit höheren Kostenniveaus. Es besteht also für die Rechtspartei kein Anreiz zur Täuschung
43 In die Abbildung sind ergänzend die Kombinationen aus Arbeitslosenquote und Inflationsrate, die sich im Fall der Opposition (weiße Kreise), im Normalfall (schwarze Kreise) und bei Kooperation (weißes Quadrat) ergeben, eingezeichnet. Ein schwarzes Quadrat kennzeichnet die Täuschungslösung in der ersten Hälfte der Legislaturperiode.
44 In die Abbildung sind ergänzend die Kombinationen aus Arbeitslosenquote und Inflationsrate, die sich im Fall der Opposition (schwarze Kreise), im Normalfall (weiße Kreise) und bei Kooperation (weißes Quadrat) ergeben, eingezeichnet.
32 Rationale Klienteltheorie und Parteienkooperation
Anhang 3
— — Rechtspartei: erwartete Mehrkosten bei Täuschung Linkspartei: erwartete Mehrkosten bei Täuschung
Abb. 15: Erwartete Mehrkosten bei Täuschung in der ersten Legislaturperiodenhälfte in Abhängigkeit des Diskontierungsfaktors.
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