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Wolfgang Hagen Der anthropische Äther der Revolution, der "Big Rip" und die Quintesenz. Anmerkungen zur Persistenz kosmologischer Ontologien 1 Die Themen, über die ich jetzt sprechen will, sind diejenigen, die mir einfielen, als ich über „Shaky Grounds“ und jene anderen Konstellationen unsicheren Wissens nachgedacht habe, die uns hier zusammen bringen. Ich gestehe sofort, dass es im wesentlichen zwei Assoziationen mit starkem Halluzinationscharakter waren. Die erste beträfe – Stichwort „schwankender Grund“ – den Zustand der heutigen Medientheorie im Allgemeinen. Aber davon spreche ich nur sehr indirekt. Bei der anderen geht es um die dunkle Materie der Astrophysik. Einige von Ihnen wird sie besser bekannt sein unter dem Namen, den man dafür seit der Antike bereithält: Quinta Essentia oder - Äther. Und nun muss ich es in meinem Vortrag nur noch hinkriegen, um die verborgenen Abgründe herum zu kommen, die sich hier sofort auftun. Der erste Abgrund liegt im Äther selbst, - ein Begriff so alt wie alles Denken über Kosmos, Mensch und Natur im Abendland von den Griechen an, heute aber wieder hoch aktuell in der so genannten astrophysikalischen Kosmologie. Der Äther, ich rede über einen vorgeblich uns alle umgebenden Stoff, den aber gesehen, befühlt, gerochen, geschmeckt, gemessen oder bewiesen noch niemand hat. Deshalb ist ein weiterer Abgrund noch tückischer. Er betrifft die Theoriefähigkeit, über den Äther überhaupt zu sprechen oder nachzudenken, ohne in ihm zu versinken. Dass ich hier Medientheorien ins Spiel bringe und ihnen einen Zustand des Schwankens und Schwoiens zuschreibe, die epistemologisch bestenfalls nur noch vom Begriff des Äthers selbst überboten wird, darf sie nicht wundern. Wenn es überhaupt ein erstes Medium gibt, das nicht je schon etwas anderes war, ein Element beispielsweise, als da wären Feuer, Wasser, Luft, Erde oder Schrift, dann ist es der Äther. Sein klassischer Definitionskontext und seine Ortsbestimmung, also der Raum, Vortrag auf der Konferenz “Revolving Stars, Shaky Grounds: Konstellationen unsicheren 1 Wissens in Kunst, Wissenschaft Technik.” Dresden, Festspielhaus Hellerau, 04. bis 06.07. 2014.

Wolfgang Hagen Der anthropische Äther der Revolution, der ... · David Hartleys „Observations of Man, his frame, his duty and his expectations“ gilt als eines der ganz frühen

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  • Wolfgang Hagen

    Der anthropische Äther der Revolution, der "Big Rip" und die Quintesenz.

    Anmerkungen zur Persistenz kosmologischer Ontologien 1

    Die Themen, über die ich jetzt sprechen will, sind diejenigen, die mir einfielen, als ich über „Shaky Grounds“ und jene anderen Konstellationen unsicheren Wissens nachgedacht habe, die uns hier zusammen bringen. Ich gestehe sofort, dass es im wesentlichen zwei Assoziationen mit starkem Halluzinationscharakter waren. Die erste beträfe – Stichwort „schwankender Grund“ – den Zustand der heutigen Medientheorie im Allgemeinen. Aber davon spreche ich nur sehr indirekt. Bei der anderen geht es um die dunkle Materie der Astrophysik. Einige von Ihnen wird sie besser bekannt sein unter dem Namen, den man dafür seit der Antike bereithält: Quinta Essentia oder - Äther.

    Und nun muss ich es in meinem Vortrag nur noch hinkriegen, um die verborgenen Abgründe herum zu kommen, die sich hier sofort auftun. Der erste Abgrund liegt im Äther selbst, - ein Begriff so alt wie alles Denken über Kosmos, Mensch und Natur im Abendland von den Griechen an, heute aber wieder hoch aktuell in der so genannten astrophysikalischen Kosmologie. Der Äther, ich rede über einen vorgeblich uns alle umgebenden Stoff, den aber gesehen, befühlt, gerochen, geschmeckt, gemessen oder bewiesen noch niemand hat. Deshalb ist ein weiterer Abgrund noch tückischer. Er betrifft die Theoriefähigkeit, über den Äther überhaupt zu sprechen oder nachzudenken, ohne in ihm zu versinken. Dass ich hier Medientheorien ins Spiel bringe und ihnen einen Zustand des Schwankens und Schwoiens zuschreibe, die

    epistemologisch bestenfalls nur noch vom Begriff des Äthers selbst überboten wird, darf sie nicht wundern. Wenn es überhaupt ein erstes Medium gibt, das nicht je schon etwas anderes war, ein Element beispielsweise, als da wären Feuer, Wasser, Luft, Erde oder Schrift, dann ist es der Äther.

    Sein klassischer Definitionskontext und seine Ortsbestimmung, also der Raum,

    Vortrag auf der Konferenz “Revolving Stars, Shaky Grounds: Konstellationen unsicheren 1Wissens in Kunst, Wissenschaft Technik.” Dresden, Festspielhaus Hellerau, 04. bis 06.07. 2014.

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    worin Aristoteles den Äther ansiedelt hat und in dieser Ansiedelung nur die Vorsokratiker resümiert, das ist der Himmel, der Kosmos. αἰθήρ - ἐν τῷ aϊδίῳ τω ἄνω σώµατι, zu deutsch Der Äther liegt „in den ewig unsichtbaren oberen Körpern des Himmels“ . 2

    Ich zitiere hier nicht etwa deshalb Griechisch, weil es eine Zeit lang für manche höchste medientheoretische Pflicht geworden war, altgriechisch zu lesen. Ich zitiere die aϊδίῳ τω ἄνω σώµατι, um daran zu erinnern, dass es nicht die alten Griechen waren, sondern es die Aristotoles-Reconquista des Heiligen Thomas von Aquin zu Wege gebracht hat, dass nicht nur in dem scholastischen Diskurs ein Begriff des Mediums Wurzeln fasste, den es bei Aristoteles und in der Antike nicht gab, sondern dass es derselbe Thomas von Aquin war, der auch das urtümlichstes Element der aristotelischen Naturlehre redefiniert und neu benamt hat, nämlich die Quinta Essentia, das fünfte Element, vulgo den Äther. Die Quintessenz bewahre ich mir aber für den Schluss auf.

    Bis dahin, zumal weil es um Epistemologien geht, also um die Reflexion auf das Wissen der Wissenschaften, will ich die lange und wechselvolle Geschichte des Äthers nicht bei Aquin oder bei Descartes wieder aufnehmen, sondern bei Newton.

    Newton deshalb, weil er, wie Sie vermutlich alle wissen, als erster den Begriff des Äthers aus der

    Himmelsmechanik radikal ausgeschlossen hat. Die Principia Mathematica der Newtonsschen Naturphilosophie, auf denen das Wissen der Neuzeit wesentlich gründet, operieren ätherfrei.

    Was bei Newton zum Zuge kamen, war statt alter Ätherkosmologie ein neuer, revolutionärer Begriff von Epistemologie. Epistemologie, also die Lehre von dem Wissen des Wissens, hieß fortan, mit Folgen, die erst Hilbert und Goedel

    Aristoteles, Peri Psyches, B.7, 418b,7.2

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    sollten bewältigen können, mathematische Axiomatik.

    Ein kurzer Rückblick auf die newtonschen Gesetze klärt die Frage, was hier mit Axiomen gemeint ist:

    Das Trägheitsaxiom. Es setzt einen absoluten und völlig abstrakten Raum voraus. Der muss leer sein, keine körperliche, keine störenden Fluida. Ein Körper bleibt in Ruhe oder bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit, wenn keine Kraft auf ihn wirkt.

    Das Aktions-Axiom. Es unterstellt, dass Kräfte punktförmig wirken und über infinitesimale Punkte integrierbar sind. Unendlich kleiner als diese Unendlichkeit ist bei Newton nichts mehr, auch keine Äther-Stäubchen nicht. Erst Georg Cantor wird eine zweite, mächtigere Unendlichkeit ins Spiel bringen, bei der er auch tatsächlich an den Äther gedacht hat. Aber zurück zum Newton: Die zeitliche Änderung des Impulses ist proportional zur äußeren Kraft, die auf den Körper wirkt.

    Das Reaktionsaxiom. Es postuliert eine absolute Symmetrie. Bei Wechselwirkung zweier Körper ist die Kraft, die auf den ersten Körper wirkt umgekehrt gleich der Kraft, die der zweite auf den ersten ausübt. Bei Wechselwirkung zweier Körper ist die Kraft, die auf den ersten Körper wirkt umgekehrt gleich der Kraft, die der zweite auf den ersten ausübt. actio = reactio.

    Bei all diesen axiomatischen Eigenschaften, die die mechanische Physik Newtons setzt, ist epistemologisch unterstellt, dass das physikalische Inertialsystem absolut, zeitlos und unbewegt bleibt, - oder besser noch: Die Axiome axiomatisieren nicht nur den Äther weg, sondern auch jeden anderen nur irgendwie denkbaren Raumstoff gleich mit. Sie sind, um mit Lacan zu reden, ein absolutes Signifikat ohne Signifikant. Pure Mathematik.

    Und der ganze Clou beim Newton ist, wie sie sich erinnern werden, dass die drei Axiome ja außerdem noch revolutionär in den tatsächlichen Himmel hinein wachsen, auf der Erde wie auf dem Firmament des Himmels Geltung haben und dort, vereint mit dem Dritten Kepplerschen Gesetz, die Newtonsche Gravitationsformel

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    bilden. Newton entwickelt das Alles mit einem epistemologisch ganz unerbittlich klaren Induktionismus. Nach Newton gilt: Was nicht ableitbar ist aus Axiomen, was nicht aus gut verifizierten empirischen Messungen stammt und im Verbund mit den vorausgesetzten Axiomen keine Vorhersagen über neue messbare Phänomene erlaubt, das ist nicht. Das existiert nicht. Das ist nicht real. Die entsprechenden Herleitungen der Masse und Dichte eines Planeten aus dem Gravitationsgesetz sind ja ein beliebter Stoff in den Abiturleistungsklassen Physik.

    Die Bedeutung dieser Mathematisierung des Raums, die Newton hier vornahm, kann man sich historisch gar nicht einschneidend genug denken. Die wichtigste, sowohl epistemologisch wie philosophisch folgenreichste Implikation seines axiomatischen Induktionismus war, dass die Himmelsgesetze irdischen Regeln folgen, dass es Gesetze gibt, die im Himmel und auf Erden gelten, und der berühmte fallende Apfel vom Baum die gleiche Gravitationskonstante aufweist wie die Venus und ihre Monde. Diese Rekombination aller irdischen Kräfte als kosmische und aller kosmischen als irdische, das war es, was die Euphorien über Newtons neue Lehrer hervor.

    „Ob man auf Berkeley oder Hume in England schaut, oder auf 'sGravesande und Musschenbroek in den Niederlanden, oder auf Condillac und D'Alembert in Frankreich, der Refrain auf Newton war überall derselbe: Spekulative Systeme und Hypothesen waren out; ab sofort hatten wissenschaftliche Theorien ausschließlich zu handeln von Einheiten, "that could be observed or measured.“ Kants Begriff des 3

    synthetischen und analytischen Urteils, sowie sein Raum- und Zeitbegriff als Transzendentalien schließen hier an und legten endgütig die philosophische Grundlagen für den immwe noch erfolgreichsten Abschnitt der Neuzeit im Übergang zur Moderne, nämlich die Basis für die wissenschaftlich formalisierte materialistische

    Industriephysik des späten 19ten und des 20sten Jahrhunderts.

    Aber man weiß auch, wie konsequent inkonsequent Newton selbst dachte und schrieb. Alles jenseits der axiomatisch ohnehin nicht existierenden Signifikantenebene konnte Newton, anders als Leibniz, freimütig einräumen.

    Laudan, Larry (1981): The Medium and its Message: A Study of Some Philosophical 3Controversies About Ether, in: Cantor, G. N. / Hodge, Michael Jonathan Sessions (1981): Conceptions of ether : studies in the history of ether theories 1740 - 1900, Cambridge [u.a.] : Cambridge Univ. Press, 157-85, 158.

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    Actio in distans? Also Fernwirkungen ohne Zeitverbrauch, der Gravitation? Von den Axiomen der Principia her klar gesetzt. Äther? Nein, eigentlich ganz ausgeschlossen, liest man in den Principia, weil ein Äther die reine Mathematik der Planetenbahnen ja nur stören könnte. Und doch gibt es in den Handschriften Newtons Tausende von Seiten lang Spekulationen über die Zusammensetzung genau dieses Stoffes, den seine Theorie axiomatisch ausgeschlossen hatte. Denn schließlich blieb ja auch die Axiomatik voller Rätsel: Warum, z.B., das inverse r-Quadrat der Planetenanziehung in der Natur zutrifft, kann die Mathematik selbst nicht explizieren. Es genügt ja, sagt der eine Newton, dass sie, die Mathematik, beweist, dass alles im Himmel sich so bewegt wie auf der Erde. So eskamotiert der eine Newton mit seiner Axiomatik zwar den Äther aus der Gravitationstheorie, aber einen leeren Raum der ätherlosen Kontinuitäten geistiger Sofortakte lehnte der andere Newton dennoch ebenso strikt ab. Und zwar deutlich

    „That … one Body may act upon another at a Distance thro’ a Vacuum, without the Mediation of anything else, … is to me so great an Absurdity, that I believe no Man who has in philosophical Matters a competent Faculty of thinking, can ever fall into it” 4

    Das war die Lage um 1745, als der irische Physiker und Mathematiker Bryan Robinson seine „Dissertation on the Aether of Sir Isaac Newton“ publizierte. Also genau die Stellen und Handschriften an die Öffentlichkeit brachte, die Newton peinlichst unter Verschluss gehalten hatte. Obwohl dieses Buch, wie wir heute wissen, nur ein Bruchteil der spekulativen Äther-Physik Newtons enthielt, muss es wie eine Erlösung gewirkt haben. Wie als wäre der Signifikant der Neuen Epistemologie endlich wieder freigelassen worden, und endlich seien all die

    fehlenden Erklärungen aus den Principia und der Optik gefunden. löste diese Veröffentlichung in England einen Dammbruch an Äther-Theorien aus.

    Schon „ein Jahr später erschien z.B. Benjamin Wilson's “Essay towards an explication of the phaenomena of electricity”, direkt abgeleitet aus den Ätherspekulationen Newtons. Und noch

    wichtiger, wenige Jahre darauf, Benjamin

    Newton, Letter to Bentley, in: Newton, Isaac (1958): Papers and Letters On Natural 4Philosophy and related documents, Cambridge: Havard University Press 1958, 8.

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    Franklins Theorie der Elektrizität, die auf den Behauptung eines Fluidums basierte, das aus elementaren Korpuskeln bestehen sollte, die sich, wie es die Newtonschen Gesetze vorgegeben hatten, einander gleichermaßen anziehen wie abstoßen. Wieder wenig später, der Schweizer Physiker George LeSage, der ein ätherisches Erklärungsmodell der Gravitation und aller chemischen Kombinationen lieferte. 5

    Dieses halbe Jahrzehnt wilder Theoriebildung um den Äther kulminierte schließlich in David Hartley “Observations on man” (1749); ein Buch, das die Arbeit Newtons selbst, die Arbeit des Wissenschaftlers und damit die Arbeit des Wissens zum Thema macht. David Hartleys „Observations of Man, his frame, his duty and his expectations“ gilt als eines der ganz frühen Werke

    einer Art von dynamischen Psychologie, gut mehr als zwei Jahrhunderte, bevor mit Charcot und Janet in Frankreich und William James in Amerika die heute gebräuchliche Wissenschaftsform der dynamischen Psychologie entstand. Wie Richard Allen in der Stanforder Enzyklopädie schreibt, ist dieser David Hartley erst im letzten, nämlich im 20ten Jahrhundert völlig in Vergessenheit geraten. Nach seiner letztmaligen Erwähnung in den „Principles of Psychologie“ von William James 1891 versank er in den Spalten der „Shaky Grounds“ der weltweit inzwischen alles beherrschenden empirischen Ich-Psychologien. Ganz zu Unrecht muss man sagen. Mitte des 18. Jahrhunderts erlebten seine Arbeiten noch zahllose Auflagen, und das nicht nur, weil er den psychologischen Physiologismus vorweg nahm, sondern vor allem anderen in den Finger in die Wunde der Inkonsistenz der Newtonianische Physik gelegt hatte. Wie konnte es sein, dass einer, der den Satz „hypotheses non fingo" – ich mache keine Hypothesen – in Stein gemeisselt hatte, zugleich überquoll vor tiefsinnigsten Spekulationen über einen Äther, der Licht und Gravitation sowie, aber vielleicht auch Gedanken und Gefühle transferiert?

    Noch einmal Newton: Hypotheses seu metaphysicæ, seu physicæ, seu qualitatum occultarum, seu mechanicæ, in philosophia experimentali locum non habent.

    Laudan, 158.5

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    Hypothesen, seien es metaphysische, seien es physische, seien es okkulte, seien es mechanische haben in der Experimentalphilosophie keinen Ort. Hieß es in den Principia. In hac philosophia propositiones deducuntur ex phænomenis, & redduntur generales per inductionem. Sic impenetrabilitas, mobilitas, & impetus corporum & leges motuum & gravitatis innotuerunt. In dieser Philosophie werden Aussagen aus Phänomenen abgeleitet und allgemein gemacht durch Deduktion. So sind die Undurchdringlich kein, die Mobilität, die Beschleunigung, die Gesetze der Bewegung und der Gravitation gefunden worden. 6

    “I frame no hypotheses.” Und der Newtonianer Hartley antwortet direkt: “It is in vain to bid an inquirer form no hypothesis” . Hartley unterläuft Newtons 7

    algebraischen Induktionismus, indem er die Sprache der Induktion, also die Algebra, für konjektural erklärt. Hartley schreibt, dass Sprache schlechthin nichts anderes sei als eine besondere Art von Algebra, und diese Algebra ihrerseits sei “nothing more than the language . . . peculiarly fitted to explain quantity of all kinds”. 8

    Sprache, das ist: “Bringing an unknown quantity into a relation, answers, in philosophy, to the art of giving names, expressing nothing definite . . . and then inserting these names . . . in all the enunciations of the phenomena, to see whether, from a comparison of these terms with each other, something definite in manner, degree, or mutual relation might result”. 9

    Hartley epistemologische Dekomposition von Newton läuft nach dem einfachen Umkehrschluss so: Wenn, was Newton induktiv beweist, die Mechanik der ponderablen Natur nach einer mathematischer Algebra darstellbar ist, dann muss diese Algebra sich selbst ebenfalls durch eine ponderable Mechanik erklären lassen können. Einfacher gesagt: Wer induktive Algebra schreibt, muss zeigen, wie die Natur das auch tut, und wer Hypothesen macht, muss zeigen, wie auch die Natur Hypothesen macht. Hartleys Hypothese ist, dass Menschen ohnehin nur Hypothesen prozedieren können, oder genauer gesagt: dass Menschen nichts anders als Assoziationen bildende Lebewesen sind. Assoziationen sind indessen ihrerseits nichts als Produkte aus mechanischen Stoß- und Stoßreaktionsbildungen zwischen Ätherpartikeln und Nerven. „In seinen „Observations on man” erklärt uns Hartley den

    Newton, 1726, 529.6

    Hartley, David (1749): Observations On Man, His Frame, His Duty, And His Expectations, 7Vol 01, Nachdruck London 1749, prop. 87

    Hartley, 808

    Hartley, 879

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    Körper als von einem Äther durchzogen, in welchem die Attraktionen und Repulsion der Ätherkörperchen ununterbrochen oszillieren und auf diese Weise vielfältige Vibrationen entstehen, die einen stets “nervösen” Äther erzeugen, der seinerseits wieder Erklärung gibt für eine bemerkenswerte Fülle von Phänomenen: ‚gefühlvolle Freude und Schmerz“, (pp. 34-44), „sleep“ (45-55), „the generation of simple and complex ideas“ (56-84), „voluntary and involuntary muscular motions“ (85-114), „the sensation of heat“ (118-25), „ulcers“ (Magengeschwüre) (127), Paralyse (132-4), taste (151-79), smell (180-90), sight (191-222), hearing (223-38), sexual desire (239-42), memory (374-82), and die Leidenschaften (368-73), alles erklärt durch einen vibrierenden Äther nach dem Muster der Newton-Äthers in der Optik, der die Lichtbrechungen erklären könnte. 10

    Wenn heute zeitgenössische Neurologen wie Wolf Singer oder Gerhard Roth die pseudoontologische These vertreten, es gäbe keinen Freien Willen, sondern nur assoziativen Ketten von Neuroinformationen, dann haben sie in David Hartley’s „Observations of Man“ ihren direkten Vorläufer. Assoziationen sind nach Hartley die Repräsentationen physiologischer Äther Bewegungen, die auf unsere Nerven einwirken.

    „Our first and principle key to the knowledge of the external world … We call the touch the reality, light the representative.”(OM 1, prop. 30). Wahrnehmung ist ein Automatismus, der aus der gewichteten Zuordnung von Körperattraktionen zu Nervenrepulsionen besteht:

    “If any sensation A, idea B, or motion C, be associated . . . with any other sensation D, idea E, or muscular motion F, it will, at last, excited, the simple idea belonging to sensation D, the very idea E, or the very muscular motion F” (OM 1, prop. 20). Assoziationen sind Ergebnisse von Sinneseindrücken und bilden sich zu Ideen, Algebra und Wahrheit durch “counter-associations“ aus, also zum Beispiel durch den Unsinn, den wir Nacht träumen und Ähnliches.

    Mit Hartley wird nicht nur Newtons Axiomatik an den Äther gekoppelt, sondern zugleich der Äther zum Äther der Wahrnehmung. Ab jetzt soll unser Wissen aus dem Äther selbst kommen, weil ja nur dieser alles durchdringende Äther garantiert, dass Axiome und logische Schlüsse in dieser Welt möglich sind, was ja voraussetzt, dass diese Welt intelligibel genug ist, um einer mathematischen Logik zu folgen, was aber Newton mit seiner Axiomatik ja allererst bewiesen hat. Mit einem Wort: der intelligible Äther, der auch unseren Körper durchzieht, ist die Voraussetzung für jede mechanische Axiomatik der newtonschen Bewegungs- und Gravitations-Gesetze

    Laudan, 160.10

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    Richard Allens und Larry Laudans Lektüren dieses vergessenen Buches, denen ich hier weitgehend folge, machen deutlich: Um 1750 ist Newtons Induktionismus, der bekanntlich die Schwerkraft der Himmels mit den Fallgesetzen irdischer Äpfel auf menschliche Köpfe herunterzurechnen erlaubt, eine Hypothese, die eine viel weitgehender Hypothese generiert: Nämlich dass der Mensch, his „frame“, „his Duty, and his Expectations“ gekoppelt sind an ein intellegibles Medium ausser ihm und in ihm zugeich, das ihn denken lässt, was er denkt, inklusive den Äther selbst. Anders nämlich könnte er nicht erkennen, dass dieses Medium intelligible und also axiomatisierbar ist.

    “We do, and must, upon our entrance into the world, begin with idolatry to external Things, and, as we advance in it, proceed to the idolatry of ourselves” 11

    Wenn wir nur genauer hinsehen, bis an die Halluzinationsgrenze trunken von den Shake Grounds in diesem Seelneäther, so schimmert aus diesen Sätzen nicht nur schon die Dialektik der Schellingschen Weltseele durch, die um die Jahrhundertwende 1800 den deutschen Idealismus eröffnen wird, sondern auch die Systemtheorien Ernst von Foersters und Niklas Luhmanns, die ja von Schelling bekanntlich nicht so weit entfernt sind und von nichts anderem handeln als von der Idolatrie der Weltbeobachtung durch ein selbstverzücktes Selbst.

    Man könnte aber auch davon sprechen, und sieht eigentlich sehr deutlich, dass Hartley eine anthropisches Prinzip postuliert, wie es drei Jahrhunderte später in der astrophysikalischen Kosmologie von Brandon Carter formuliert wurde: In der vereinfachten Form lautet es: »conditions that are observed in the universe must allow the observer to exist.« Dass vielleicht nicht schon das ganze Universum, dass aber immerhin die

    Medien einem anthropischen Prinzip solcher Art gehorchen, ist eine Erkenntnis, die wir der Systemtheorie ohnehin schon verdanken. Es gibt die Massenmedien, sagt Luhmann, weil die Massenmedien die Massenmedien beobachten. Und damit eine entscheidende Beobachtungsleistung erbringen, die die Gesellschaft als Gesellschaft konstituiert.

    Hartley, David (1749): Observations on Man, his Frame, his Duty, and his Expectations, 11Vol 02, Nachdruck London, prop. 4

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    Aber vielleicht kann man Hartley sogar als Vorläufer auch des so genannten starken anthropisches Prinzip benennen, das nach John Wheelers Formulierung aus dem Jahr 1975 folgendermaßen lautet:

    „The Universe starts small at the big bang, grows in size, gives rise to life and observers and observing equipment. The observing equipment, in turn, through the elementary quantum processes that terminate on it, takes part in giving tangible "reality" to events that occurred long before there was any life anywhere.” Mit einem 12

    Wort, - das hier definierte, so genannte Partizipatorische Anthropische Prinzip besagt: Das Universum hat den Menschen hervorgebracht, aber erst der Mensch durch seine Beobachtung hat das Universum hervorgebracht.“ Ich werde noch auf die Not zurückkommen, die eine offenbar festgefahrene astrophysikalische Kosmologie seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts dazu bringt, sich in einer solchen Ausdifferenzierung anthropischer Prinzipien zu verlieren.

    Hartleys anthropischer Äther von 1749 eröffnet eine neue epistemologische Epoche der Ätherspekulation, die in vier oder fünf Generationenschritten zur Entwicklung der empirischen Psychologie führen wird, sowie gleichermaßen die mathematischen Definition der Elektrizität unterstützt und damit zur Entwicklung der elektronischen Massenmedien beiträgt.

    Dieses Bild, das um 1785 eine entscheidende Achse dieser Entwicklung markiert, das kennen sie vielleicht. Es zeigt Benjamin Franklin, wie er den Mesmerismus aus Paris vertreibt. Das Baquet in der Mitte, das mesmeristische Trance-Utensil der Seancen, um das die Verzückten saßen und auf den Trip kamen, ist zerstört und in Stücke geflogen, Franz Anton Mesmer, der die vorrevolutionäre

    Aristokratie gleich reihenweise in Trance versetzt hatte, wird auf fliegenden Zauber-Besen davongetrieben, lächerlich gemacht und abgestoßen von dem newtonianischen Kommissionsbericht Benjamin Franklins, den Herr Franklin, extra aus Amerika herangekarrt, wie eine mosaisch leuchtende Gesetzestafel dem ganzen Spuk entgegen hält, wobei er von Lavoisier assistiert wird. Was für ein trügerisches

    Wheeler, John Archibald (1981): Bohr, Einstein, and the Strange Lesson of the Quantum, 12in: Mind in Nature. Edited by Richard Q. Elvee, New York: Harper and Row, 18.

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    Bild! Franklin hatte zwar 1784 im Auftrag des Königs tatsächlich an einem Kommissionsbericht mitgewirkt und die wesentlichen Experimente betreut, die bewiesen, dass ein tierischer Magnetismus, so wie von Mesmer behauptete, nicht existiert. Aber Franklins Bericht war, wie man aus Robert Darntons großartiger Dissertation lernen kann, wenig bedeutungsvoll für den Fortgang der Dinge in Paris. Denn der große Meister Messmer selbst hatte sich schon vor Monaten aus der Hauptstadt abgesetzt und seine Schüler in Stich gelassen, von denen manche zum Revolutionär mutieren sollte, während Mesmer selbst ohnehin nur seiner Tantiemen wegen im Hintergrund mancher Sitzungen noch dabei geblieben war, denen er im übrigen kaum folgen konnte, weil er nahezu kein französisch sprach. Und verließ Jahre vor der Revolution Paris ganz freiwillig.

    Wenn vom vorrevolutionären Mesmerismus in Frankreich gesprochen werden soll, dann ist zu sprechen von Guillaume Kornman(1741-80), Nicolas Bergasse, Jacques

    Pierre Brissot und vor allem von Jean-Louis Carra, dem girondistischer Revolutionär und wichtigsten Schüler Franz Anton Mesmers. Jean-Louis Carra liefert in schneller Folge die besten Zusammenfassungen der mesmeristischen Praktiken für das gierige Pariser Publikum und macht daraus eine umfassende newtonianische Theorie einer neuen sozialen Physik. Quetelet, der

    Begründer der Sozialstatistik, wird an sie ein halbes Jahrhundert später anschließen. Carras Nouveaux principes de physique (Paris 1781) liefert nicht mehr und nicht weniger als eine Äthertheorie der Revolution.

    „Moralische Ursachen, wie z. B. ungerechte Gesetzgebung, beeinträchtigten die Atmosphäre und somit die Gesundheit“, gibt Carra zu verstehen, “genauso wie physische Ursachen Krankheit hervorriefen; und umgekehrt könnten physische Ursachen moralische Wirkungen hervorbringen, sogar in breitem Umfang. »Dieselben Wirkungen finden jeden Augenblick in der Gesellschaft statt,

    und man hat sie noch nicht in ihrer ganzen Bedeutung erkannt, weil man, wie ich meine, noch nicht zureichend das Moralische mit dem Physischen verbunden hat.«

    Während der Revolution gründete Carras seine republikanischen Parolen auf die Voraussage aus seinen Nouveaux principes de physique (1781-82), Frankreich

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    werde eine Republik werden, “weil das große physische System des Universums, welches das moralische und politische System der Menschheit steuert, selbst eine wahrhafte Republik darstellt”. 13

    Dieser universale Äther der Revolution, den die Revolutionäre für einen Äther des Universums hielten und der zugleich immer auch in den Séancen

    ein Äther der Hypnose, der Trance, der mediumistischen Medien war, denken Sie nur an Jean Paul Marats Dilirien, aber auch den Robespierreschen Mordfuror, das schwappt jetzt über ganz Europa hinweg, auch nach Amerika, wo unter anderem Edgar Allen Poe den Faden aufzunehmen sucht, im vergeblichen Versuch, mit mesmeristischen Hoax und Betrug, mit Trance und Halluzination, das zu werden, was so viele seiner Zeitgenossen damit geworden waren, nämlich reich und berühmt.

    Aber auch Benjamin Franklin, Gründervater der USA und amerikanischer Bürger im vorrevolutionären Paris, der dem König angeblich so wichtige Hilfestellung leistete, die Ideologien der klassenübergreifenden Revolutions-Ekstasen zu zerstören, dieser Benjamin Franklin selbst hing sehr wohl am Äther seiner eigenen Fluidaltheorie der Elektrizität. Sie werden wissen, dass Franklin den Blitzableiter erfunden hat, weil er das elektrische Ätherfluidum in der ganzen Atmosphäre vermutete. Franklins Fluidaltheorie besagt, newtonianisch, dass Elektrizität ein die Atmossphäre ausfüllendes Medium ist, das sich aus zwei einander abstoßenden Partikeln zusammensetzt, nämlich Plus und Minus. Franklin ist es, der diese Begriffe eingeführt hat, Plus und Minus, und darüber hinaus die Begriffe Ladung und Batterie und Kondensat und viele andere Namen mehr, die heute noch elektrische Bedeutung haben.

    So wie Carras mesmeristischer Äther der magnetischen Halluzinationen sich dann tatsächlich im 19ten Jahrhundert über Bairds Hynose-Theorien, über Charcot und Janet bis hin zu Freud theoriebildend

    Darnton, Robert (1983): Der Mesmerismus und das Ende der Aufklärung in Frankreich, 13München [u.a.] : Hanser, 96.

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    verflüssigt, so könnte man es auch von Benjamins Franklins Äther sagen,

    dass der genau im Jahr 1800 Alessandro Volta zu jenen Experimentationen den Weg bereitete, die zum Nachweis atmosphärischer Elektrizität führten und über diesen Umweg zur Entdeckung der elektrolytischen Batterie. An die Stelle von Frankins Äther treten wissenschaftsgeschichtlich gesehen danach zunächst Faraday’s Kraftlinien, jene Lines of Force, und dann deren mathematische Beschreibungen, die Clerk Maxwell vorbehalten blieb, dessen vektor-geometrische Voraussagen des Elektromagnetismus Heinrich Hertz experimentell nachweisen sollte.

    Ich streife das hier nur, kann aber, wieder aus Amerika kommend, weder Mary Baker Eddy übergehen noch die berühmte Madame Blavatski, also nicht die Gründerin der Christian Science von 1866, der noch heute weltweit tätigen christlichen Wissenschaftler, und auch nicht die der Theosophischen Gesellschaft von 1875, aus der u.a. die Anthroposophen hervorgegangen sind. Vor allem Blavatskis auratisch

    überladene Äthertheorien wirken in allen Chakras, Tantras und Manipuras heutiger Alltags-Yoga-Praktiken immer noch nach, die über den kolonialen indisch-asiatischen Umweg des viktorianischen Spiritismus von Amerika und England aus zu uns gelangt sind, wie man in dem schönen Äther-Buch von Joe Milutis sehr gut nachlesen kann.

    Über diese in unserer Gegenwartsmoderne so alltäglich gewordenen astralen Äther, und damit über Andrew Jackson Davis, diesen großen us-amerikanischen ebenso genialen wie betrügerischen Begründer des Modern Spiritism um 1850, nebst seinen Schülerinnen Helena Blavatski und Mary Baker-Eddy, will ich hier weiter nicht sprechen, sondern es nur bei der Erinnerung belassen, dass diese

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    angeblich so fernöstlich autochtonen Praktiken in Wahrheit mit dem mesmeristischen Carra-Konzept des Äthers geradezu durchtränkt sind. Viele Pariser Mesmeristen flohen in die USA - und so dort entstand dieser Synkretismus des moderne Spiritismus, und kam, als eine Art Reimport, von den USA nach Europa, vor der Jahrhundertwende 1900 wieder zu uns zurück.

    Dass Einstein 1905 den Äther abgeschafft hat, in den harten Naturwissenschaft der Relativitätstheorie, nämlich genau zu dem Zeitpunkt, als das erste technische Äthermedium genannt Radio in die Welt kam, ist auch so eine notorische Halbwahrheit.

    Einstein stellt zunächst einmal fest

    „Die mißlungenen Versuche, eine Bewegung der Erde relativ zum „Lichtmedium" zu konstatieren, führen zu der Vermutung, dass dem Begriffe der absoluten Ruhe nicht nur in der Mechanik, sondern auch in der Elektrodynamik keine Eigenschaften der Erscheinungen entsprechen“

    Das hieß zunächst einmal Außerkraftsetzen der Newtonschen Raum-Zeit-Dimension durch Relativierung. Ich übergehe hier das sogenannte Michelson/Morley-Experiment von 1883, auf das Einstein sich hier bezieht, in dem es nicht gelungen war, einen Lichtäther, also ein Medium des Lichts, an das Hertz und Helmholtz noch so fest geglaubt hatten, empirisch nachzuweisen. Das berühmteste Nullergebnis der Naturwissenschaftsgeschichte, Nullbewegung, Null und Nichts, kein Äther beweisbar. In Bezug auf den Elektromagnetismus, also die Strahlung, die die elektronischen Massenmedien auch heute noch definiert, hat Einstein diesen Äther dann in der Tat wegdefinieren können: „Die Einführung eines „Lichtäthers"“, schreibt er weiter, „wird sich insofern als überflüssig erweisen, als nach der zu entwickelnden Auffassung weder ein mit besonderen Eigenschaften ausgestatteter „absolut ruhender Raum" eingeführt, noch einem Punkte des leeren Raumes, in welchem elektromagnetische Prozesse stattfinden, ein Geschwindigkeitsvektor zugeordnet wird.“ 14

    Das galt für den Elektromagnetismus, der ja bekanntlich aus dieser unvorstellbaren Geometrie rechtwinklig aufeinander aufbauenden Magnet- und Elektrofelder besteht, die sich transversal fortpflanzen und relativistisch bleiben, egal, welche Inertialsysteme sie beobachten, bei konstanter Lichtgeschwindigkeit von c. Diese Verüberflüssigung des Lichtäthers allerdings galt eben nur für das Licht, nicht aber für die Mechanik, und nicht für bewegte oder gar beschleunigte Massen, wie sie dann in der Allgemeinen Relativitätstheorie von 1916 von Einstein Thema wurden.

    Einstein, Albert (1905): Zur Elektrodynamik bewegter Körper, in: Ann. Phys. 17, , 891-921, 14891ff.

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    Bereits 1918 ist aber auch bei Einstein der Äther wieder da: „Während aber nach der speziellen Relativitätstheorie ein Raumteil ohne Materie und ohne elektromagnetisches Feld als schlechthin leer, d. h. durch keinerlei physikalische Grossen charakterisiert erscheint, hat nach der allgemeinen Relativitätstheorie auch der in diesem Sinne leere Raum physikalische Qualitäten, welche durch die Komponenten des Gravitationpotentials mathematisch charakterisiert sind. Man kann diesen Sachverhalt sehr wohl so auffassen, dass man von einem Äther spricht, dessen Zustand von Punkt zu Punkt stetig variiert. Nur muss man sich davor hüten, diesem 'Äther' stoffähnliche Eigenschaften (z.B. an jeder Stelle eine bestimmte Geschwindigkeit) zuzuschrieben." 15

    Die allgemeine Relativitätstheorie stellt eine Relation dar zwischen einer vierdimensionalen Raum-Metrik auf der linken Seite zu den Massen-Energie-Potentialen auf der rechten Seite der Gleichung her.

    Die ART integriert zudem die Gravitationskonstante Newtons und konnte so zunächst im Sonnensystem ein eigenartiges, mit dem Gravitationsgesetz nicht vereinbares

    Phänomen erklären, das mit der Umlaufbahn des Planeten Merkur zusammenhängt. Einsteins Formel behauptete, dass sich hier der Raum minimal gekrümmt wird und das wurde empirisch nachgewiesen. Paul Lazarsfeld, Pionier der empirischen Sozial- und Medienforschung, hat darüber promoviert. Die ART sagte zudem das vordem unbekannte Phänomen der Ablenkung von Lichtstrahlen durch die Sonne, die sie streifen, exakt voraus.

    Aber so wie sie hier dasteht, erwies sich die Gleichung, auf die universellen Massen im Universum projiziert, dennoch als untauglich. Wenn mann unterstellt, dass das Universum am Anfang homogen, isotrop und statisch war, und dabei weiss, dass die Gravitation Newtons eine stets anziehende Kraft darstellt, dann kann die Lösung für diese elegante Gleichung nur sein: Das Universum kollabiert, wenn man es mit statischen Anfangsmassen

    Kostro, Ludwik (2000): Einstein and the ether, Montreal : Apeiron, 20315

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    definiert. Man könnte zwar die Terme auch etwas anders setzen, aber dann würde es einfach nur unendlich wachsen.

    Also musste Einstein einen weiteren Term in Grundgleichung der Allgemeinen Relativitätstheorie hinein schmuggeln, der nicht aus der Theorie folgte. Später wird Einstein zugeben, das sei die „größte „Eselei“ seines Lebens gewesen. Möglicherweise war

    es mehr als das. Gemeint ist die kosmologische Konstante

    Lambda, die Einstein mit nahe Null annahm, um eine Stabilität des Universums zu erreichen, dessen Räume die allgemeine Relativitätstheorie so aufspannen sollte wie Newtons Gravitationsgleichung die Bahnen der Planeten.

    Ohne den Lambda-Term kein stabiles Universum. Da Einstein hat eine theoriefremde Konstante eingesetzt und konnte zeitlebens keine weitere physikalische Interpretation dafür angegeben außer der, dass dieses Vorgehen der astronomischen Vorstellungswelt seiner Zeit um 1916 entsprach, die von einem immerwährenden, konstanten Universum ohne Anfang und Ende ausging.

    Allerdings – genau das ist irgendwie schief gegangen. Man kann in Simon Singhs glänzenden Big Bang Buch nachlesen, wie die Geschichte gelaufen ist. Henrietta Leavitt entdeckt noch in den 1910er Jahren die Cepheiden, also weit entfernte hell leuchtende Sterne in großen Galaxien, mit einer durch ihren Lichtpuls verobjektivierbaren Helligkeit. Das erlaubte Distanzmessungen, die wiederum Edwin Hubble 1929 vornahm und jene alles vorherige umstürzende, grundstürzende

    Skala veröffentlichte, die sie hier sehen, aus der sehr schlicht und einfach hervorgeht: Je weiter eine Galaxie entfernt ist, umso schneller bewegt sie sich fort. Eine Art Luftballon-Effekt. Daraus war um 1930 und ist bis heute nur ein astrophysikalischer Schluss sinnvoll, nämlich der, dass das Universum sich ausbreitet und zwar, wie es zunächst schien, mit einer konstanten

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    Geschwindigkeit.

    Auf der beschleunigten Schlussgeraden meines Vortrags, in die ich nun eingemündet bin, will ich sie wahrhaftig nicht weiter mit diesem Schnellkurs in Astrophysik nerven, sondern gleich schon das Resümee ziehen: Seit Edwin Hubble, also seit Beginn der 1930er Jahre befinden wir uns wieder in einer Epoche der Kosmologie; - die aber, wenn wir das recht verstanden haben, die Neuzeit mit Newton schon einmal verabschiedet hatte? War es nicht Newtons größte Tat gewesen, die Gravitation des Himmels auf die Erde zu holen, um ihre irdische Identität zu beweisen? Ist nicht, wenn auch immer noch sehr ungenau, mit Cavendish und anderen die Gravitationskonstante als Kilogramm-Maß bestimmt worden und damit als eine auf unserem Planeten vorfindliche Himmelskraft?

    Seitdem Hubbles Expansionsgesetz tausendfach empirisch immer wieder nachgewiesen wurde, ist Lambda, dieser eselige Term in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, immer fragwürdiger geworden. Seit 1998 ist nämlich noch die Vermutung hinzugekommen, dass sehr weit entfernt liegenden Galaxien sich sehr viel schneller fortbewegen als in einer lineare Abhängigkeit von Entfernung

    und Fluchtgeschwindigkeit. Das bedeutet, sie beschleunigen sich, und auch diese Beschleunigung in der Expansion des Universums ist seither wiederum tausendfach empirisch nachgewiesen worden seither, nämlich wieder durch Hubble, aber diesmal durch das Orbitalteleskop gleichen Namens. Damit sollte feststehen, dass wir es in der Astrophysik mit einer epistemologisch völlig neuen, und offenbar zugleich sehr alten Lage zu tun haben.

    Für die Fluchtgeschwindigkeiten im Universum ist, legt man Einsteins Terme zugrunde, nunmehr eine kosmologische Konstante zuständig, deren physikalischer Sinn völlig ungeklärt ist. Irdisch ist er nicht und himmlisch im Sinne einer stelaren Materialität auch nicht. Bei Lambda muss es sich nämlich um eine positive Gravitationskraft handeln, denn sie wirkt gegen die Anziehung der Massen. Sie stellt Newton auf den Kopf und wird derzeit interpretiert als „Dunkle Materie“.

    Die astrophysikalische Kosmologie ist zum Äther zurückgekehrt. Seit etwa 15 Jahren besteht Common Sense unter den etwa 5000 Astrophysikern auf der Welt,

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    dass mindestens 95% des Universums aus Strahlung und aus Materienformen besteht, die mit unserer so genannten baryonischen Welt, also Atom-, Protonen-, Quark-, Elektronen- und Leptonen-Materie offenbar nichts zu tun hat, die nicht wechselwirkt, nicht leuchtet und irgendwie antigravitative Kräfte entfaltet. Wenn dem so ist, dann ist es auch mit der alten aristotelisch-aquinatischen Quinta

    Essentia nicht mehr weit.

    Um die dunkle Materie und dunkle Energie zu erklären, haben Jermeiah Ostriker und Paul Steinhardt um die Jahrtausendwende eine

    ganz ausdrücklich so benannte Theorie der

    Quintessenz vorgelegt und sie ähnelt epistemologisch dem, was an Ätherspekulationen im 18ten und vor allem im 19ten Jahrhundert gang und gäbe war. Aus einem Hauptseminarpapier der Universität Ulm entnehme ich die folgenden Sätze: „Quintessenz ist zeitlich veränderlich und stellt eine Energieform mit negativem Druck dar, der die Expansion immer mehr beschleunigt. Man stellt sie sich als Quantenfeld mit kinetischer und potentieller Energie vor.

    Dabei ist ein möglicher Ansatz für ein Quintessenz-Modell der, dass die Quintessenz mit dem Urknall entstand, aber quasi erst "eingeschaltet wurde" (gemeint ist: merklich auf die Entwicklung des Universums Einfluss genommen hat), als nach 300 000 Jahren der strahlungsdominierte Kosmos in ein materiebeherrschtes Universum überging.

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    Die beschleunigende Kraft der Dunklen Energie entfaltete sich "spürbar" (erkennbar, messbar) allerdings erst nach 10 Milliarden Jahren.“

    Ende der Halluzinationen auf schwankenden Grund …

    Und dabei habe ich ja noch über den Urknall kein Wort verloren. Im Angesicht dieser Astrophysik-Kosmogonie aus hoch fluktuierenden transenergetischen Hypervakua in Zeitdimensionen von 10 hoch minus 43 Sekundenschritten, wo nach einer zehnmilliardstel Sekunde eine als „Inflation“ bezeichnete Aufblähung des Universums um den Faktor 1050 erfolgte, bei immer noch 100 Milliarden Grad, Atomkerne Elektronen zu binden begannen, das Universum durchsichtig wurde und auf eine Strahlungstemperatur von 2,7° Kelvin gedehnt wurde: die heute so oft gemessene „Kosmische Hintergrundstrahlung“ - gegen diese Geschichte, wenn es denn eine ist, verblassen alle überlieferten klassischen antiken, indischen, chinesischen, griechischen oder ägyptischen Weltentstehungs-Mythen zu platten Gutenachtgeschichten.

    Aber dieser Big Bang ist seit den Nukleosynthese-Arbeiten von George Gamow und Ralph Alpher aus den 1940er Jahren eine gleichermaßen astro- und teilchenphysikalisch konsistente Annahme. Seitdem auch ihre besagte Voraussagen einer 2,7 Kelvin-Hintergrundstrahlung im gesamten Universum hundertfach durch Messungen bestätigt worden sind, ist der Big Bang unter den 5000 Astrophysikern der Welt unumstritten. Es bleibt

    aber dabei - über die eigentliche Quintessenz, also über die dunkle Strahlung und Masse, wissen wir nichts.

    Eine Variante der Quintessenz-Theorien sagt den Big Brunch voraus, eine andere den Big Rip, das schlagartige Zerreisen des gesamten Universums von den Rändern her in 50 Milliarden Jahren.

    Endgültiges Ende der Halluzination auf durch Schwankung zerrissenem Grund.

    Wer von weit entfernt davon rauschenden Quintessenzen dunkler Materie im Universum spricht, sollte sich über die Wiederkehr ätherverzückter Chakra-Jünger auf Erden nicht wundern. Eine Wissenschaft, die dekretiert, 95 Prozent des Universums hätten physikalische Eigenschaften, die nichts mit einer uns bekannten

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    baryonischen Massenenergie zu tun haben, und hinzufügt, dies sei fundierte Wahrheit einer Wissenschaft, die sich dadurch epistemologisch beweist, dass nach ihren Maßgaben auf der Erde doch Alles fehlerlos und perfekt funktioniere, eine solche gespaltene Epistemologie erscheint mir äquivok zu allen Politiken, die die fundamentalistische Reifizierung einer medialen Weltordnung für die gegebene Aufgabe der Zeit halten.

    Wer das anthropische Prinzip auf den Kosmos appliziert, demzufolge das Universum existiert, um den Beobachter zu erschaffen, um dessentwillen es entstanden ist, redet einer Medientheorie gleichen Musters das Wort. Anthropisch gedacht wären Medien dann nichts als ein Äther, der die Menschen erschafft, damit sie ihn als ihre Voraussetzung erschaffen können. So hatte es schon David Hartley gemeint und tatsächlich sind die epistemologischen Voraussetzungen dafür, die sozialen Medien tatsächlich sozial zu nennen und zu glauben, sie seien sozial, keine anderen, obwohl sie doch, wie wir mehr und mehr sehen, das Soziale tendenziell eher abschaffen, das Soziale, die Gesellschaft. Denn die Gesellschaft - und da sollten wir antispekulative Newtonianer bleiben, - die Gesellschaft ist kein Ätherprodukt, und keine Äthermaterie, so sehr die Drift des Denkens in der digitalen Medienwelt seit zwei Jahrzehnten dahin tendiert, genau das anzunehmen. Der Fluchtpunkt aller digitalen Ökonomien derzeit ist es, einen ätherischen Cyberraum aus zwar global, aber zugleich nur schwach verlinkten Individuen zu bilden; sie vereint ein neuer Kosmos, aber nicht die Gesellschaft.

    Da uns aber die Astrophysik seit eben diesen 1990er Jahren schon vorexerziert, wie es geht, in einem kosmologischen Äther sich zu verlieren, wird es hohe Zeit, dass die Episteme der astrophysikalischen Kosmologie einer kulturwissenschaftlichen Dekonstruktion unterzogen wird. Auf den Shaky Grounds unseres Wissens wären wir dafür allerdings mindestens schon ein halbes Jahrhundert zurück.

    Absolutes Ende aller Halluzinationen.