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Originalarbeit
Zusammenfassung Die poststrukturalistischen neueinschreibungen (reiteratio-nen) des Konzepts der ambivalenz geben wichtige anhaltspunkte für seine Wei-terentwicklung, insbesondere um bildungsprozesse im Kontext von diskursiven normierungen des Subjekts fassen zu können. Der beitrag erläutert aus diesem bildungstheoretischen erkenntnisinteresse erstens die reiterationen, das heißt die neueinschreibungen des ambivalenzbegriffs im Kontext von Derridas theorie und Praxis der Dekonstruktion, zweitens das Verhältnis von ambivalenz und ambiguität im Kontext von Derridas theorie der „différance“ und butlers theorie der „Per-formativität“, um schließlich die bildungstheoretisch relevanten implikationen von ambivalenz im Kontext von butlers Subjekttheorie zu fokussieren.
Deconstruction of “ambivalence” Poststructuralistic reiterations of the concept of ambivalence from the perspective of educational theory
Abstract Focusing on the relation between discourse and subject formation, the poststructuralistic reiterations and resignifications within the concept of ambiva-lence provide important aspects for a contemporary conceptualization of ambiva-lence, especially within the framework of educational theory (bildungstheorie). From this point of view the paper explores firstly the notion of “ambivalence” in the context of Derrida’s theory and practice of deconstruction and secondly the
Forum Psychoanal (2011) 27:359–371DOi 10.1007/s00451-011-0088-2
Dekonstruktion der „Ambivalenz“Poststrukturalistische Neueinschreibungen des Konzepts der Ambivalenz aus bildungstheoretischer Perspektive
Miriam Haller
Online publiziert: 18. november 2011© Springer-Verlag 2011
Dr. M. Haller ()Humanwissenschaftliche Fakultät, Centrum für Alternsstudien, Pädagogisches Institut I für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne, Universität zu Köln, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln, DeutschlandE-Mail: miriam.haller@uni-koeln.de
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relation between “ambivalence” and “ambiguity” considering Derrida’s theory of “différance” and Butler’s theory of “performativity”. Finally the article outlines the meaning of “ambivalence” in Butler’s theory of the subjectivation process.
Das Weiterschreiben des Ambivalenzkonzepts
Ein wichtiger Strang für ein Weiterschreiben des Konzepts der Ambivalenz findet sich in Diskursen über die Postmoderne und den theorien des so genannten Post-strukturalismus. insbesondere Jacques Derridas theorie der Dekonstruktion und Judith butlers Subjekttheorie bieten in der auseinandersetzung mit dem Konzept der ambivalenz anschlussmöglichkeiten für die Psychoanalyse und die Soziologie. aber auch für eine kulturwissenschaftlich fundierte bildungstheorie sind ihre lesarten des Konzepts der ambivalenz anregend. Für eine zeitgemäße theorie von bildung bieten ihre neueinschreibungen des ambivalenzkonzepts wichtige anhaltspunkte. Deshalb fragt der beitrag aus dieser bildungstheoretischen Perspektive erstens nach den reiterationen, das heißt den neueinschreibungen des ambivalenzbegriffs im Kontext von Derridas theorie und Praxis der Dekonstruktion, zweitens nach dem Verhältnis von „ambivalenz“ und „ambiguität“ im Kontext von Derridas theorie der „différance“ und butlers theorie der „Performativität“, um vor diesem Hinter-grund schließlich drittens den Fokus auf bildungstheoretisch relevante implikationen der neueinschreibungen des ambivalenzkonzepts in Judith butlers Subjekttheorie zu richten.
Ambivalenz und die Dekonstruktion dualistischen Denkens
Poststrukturalistischen ansätzen ist gemeinsam, dass sie sich kritisch auf ein Denken in Dualismen beziehen. ist dann das ambivalenzkonzept überhaupt mit poststruktu-ralistischen ansätzen zu vereinbaren? „ambivalenz“ scheint schließlich ein Denken in Dualismen, in „polaren gegensätzen“ zu implizieren.1 auf den ersten blick mögen also die positiven Konnotationen des begriffs der ambivalenz in den theorien Der-ridas und butlers erstaunen auslösen. Jedoch ist daran zu erinnern, dass auch post-strukturalistische ansätze nicht davon ausgehen, man könne „einfach so“ aus einem dualistischen Denken aussteigen. Käte Meyer-Drawes Hinweis darauf, dass „[d]ua-listische Strukturen unserem Denken so tief eingraviert [sind], da[ss] der anspruch sie vermeiden zu können, von vornherein zu hoch gesteckt“ (Meyer-Drawe 1990, S. 10) sei, ist Derrida und butler nicht fremd. Derridas theorie der Dekonstruk-tion ist ein differenztheoretisches Denken, das sich zwar kritisch auf ein Denken in gegensätzen bezieht, aber selbst immer wieder an die grenzen des eigenen ansatzes stößt und diese auch benennt.
Das Problem dualistischen Denkens sieht Derrida darin, dass ihm nicht „die gegenüberstellung zweier termini, sondern eine Hierarchie und die Ordnung einer Subordination“ (Derrida 1988c, S. 313) zugrunde liege. Dualistisches Denken ten-
1 Vgl. lüscher (2011, in diesem Heft).
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diere zu einer Hierarchisierung der gegensätze: einer normativ aufgeladenen hierar-chischen binarität. Die aufwertung des jeweils einen positiv besetzten Pols basiere auf der abwertung und dem Versuch der exklusion des jeweils „anderen“. Da der ausstieg aus dem dualistischen Denken nicht einfach zu bewerkstelligen sei, könne sich dessen Dekonstruktion „nicht auf eine neutralisierung beschränken oder unmit-telbar dazu übergehen: sie mu[ss] durch eine doppelte gebärde, eine doppelte Wis-senschaft, eine doppelte Schrift eine Umkehrung der klassischen Opposition und eine allgemeine Verschiebung des Systems bewirken“ (Derrida 1988c, S. 313).
ambivalenz als Doppelwertigkeit
Die mehrfache Wiederholung des „Doppelten“ in dieser zentralen Passage seines textes „Signatur ereignis Kontext“ unterläuft Derrida – so darf man getrost anneh-men – nicht ohne grund. in unserem Zusammenhang führt die betonung des Dop-pelten hin zu einer ersten reiteration, einer ersten verschiebenden Wiederholung und neueinschreibung des Konzepts der ambivalenz: Das Konzept der ambivalenz wird aus der zweiwertigen logik des entweder/oder herausgelöst und in eine logik eingeschrieben, die man als logik einer dynamischen Doppelwertigkeit bezeichnen könnte. „ambivalenz“ bezeichnet in diesem Kontext die konsequente irritation der als selbstverständlich erscheinenden, diskursiv gesetzten „Positiv-negativ-Wertun-gen“ dualistischen Denkens. ambivalenz, verstanden als Doppelwertigkeit, entzieht hierarchischen binarismen ihren geltungsanspruch oder klammert ihn zumindest ein – falls die bewegung der Dekonstruktion denn glücken sollte.
Da in der Doppelwertigkeit beide Pole einer Opposition gleichzeitig gültigkeit beanspruchen, werden einseitig hierarchisierende Wertungen verschoben und auf-geschoben. es kommt zu einer infragestellung und Dynamisierung konventioneller Wertzuweisungen.2 Der ambivalenzbegriff der Dekonstruktion nimmt „ambiva-lenz“ insofern beim Wort als lat. ambo mit „beide“ und valere mit „gelten“ übersetzt werden kann. ambivalenz erscheint als Möglichkeit zu einem ausstieg aus einem Denken in hierarchischen binarismen, wenn weder die relation der beiden Pole in Äquivalenz (gleichwertigkeit) überführt wird, noch die relation der beiden Pole in bivalenz (also in die zweiwertige logik der entweder-oder-entscheidung für einen der Pole) aufgelöst wird und die relation der beiden Pole auch nicht dialektisch „auf-gehoben“ wird.
Vielmehr dient ambivalenz dazu, die entscheidung zwischen den beiden Polen immer wieder aufs neue aufzuschieben. Die beiden Pole können dabei insofern verschoben werden, als ein „Dazwischen“ formuliert wird, das sich vom entweder/oder und vom Weder/noch entfernt und ein Sowohl-als-auch einbringt. ambivalenz lässt sozusagen die zur entscheidung drängende Struktur der Differenz implodieren; sie führt zum Versagen der konventionellen Wertmaßstäbe.
es ist demnach nicht das Ziel der Dekonstruktion, ambivalenz/Unentscheidbar-keit zu überwinden, vielmehr geht es darum, sie herzustellen – und zwar als unent-
2 Vgl. zu ambivalenz und Dynamisierung den beitrag von lüscher (2011, in diesem Heft).
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scheidbare, auf Dauer gestellte ambivalenz. ambivalenz meint bei Derrida deshalb konsequente Unentscheidbarkeit. Das ist eine Resignifikation, die Derridas Ambiva-lenzbegriff von denjenigen Konzeptionen unterscheidet, die ambivalenz vorrangig als Belastung sehen und ihre Aufmerksamkeit auf Möglichkeiten der Auflösung von ambivalenz lenken.3
ambivalenz als konsequente Unentscheidbarkeit
Wozu soll Unentscheidbarkeit gut sein? Derrida bezeichnet die „Unentscheidbarkeit“ zwischen den Polen einer Opposition als die „bedingung der Möglichkeit und sogar der Wirksamkeit“ der Dekonstruktion hierarchischer binarismen (Derrida 1988b, S. 182). Unentscheidbarkeit müsse nämlich nicht zwangsläufig aporetisch in eine Sackgasse führen. Vielmehr sieht Derrida in Situationen der Unentscheidbarkeit ein Potenzial, das bisher Undenkbare denkbar werden zu lassen. Die dynamisierende bewegung des „Oszillierens zwischen polaren gegensätzen“ (lüscher 2009, S. 44), die bei lüscher als zentrales Merkmal der ambivalenz beschrieben wird, steigert Derrida in der eindrücklichen Metapher des Weberschiffchens. „Das Hin- und Her-fahren der Unentscheidbarkeit spielt die rolle des Weberschiffchens und webt einen text, es erzeugt einen Weg der Schrift durch die aporie hindurch, sofern das mög-lich ist. es ist unmöglich, aber niemand hat je behauptet, da[ss] die Dekonstruktion, da[ss] eine derartige technik oder Methode möglich sei; sie wird allein gemessen am Unmöglichen und dem, was noch als undenkbar verkündet wird, gedacht“ (Derrida 1988b, S. 183). Mit dem sprachlichen bild des Weberschiffchens, das einen text webt, beschreibt er die Praxis der Dekonstruktion, denn das Oszillieren zwischen den gegensätzen, das Hin- und Herfahren zwischen ihnen bleibt nach Derrida nicht ohne Spur: es produziert einen neuen text. Wie das Zitat aus Derridas Memoires. Für Paul de Man aber auch belegt und demonstriert, nimmt die Dekonstruktion auch zu sich selbst eine ambivalente Haltung ein; insbesondere zu dem Versuch, sie als technik oder Methode zu etablieren. Dekonstruktionen von hierarchischen binarismen lassen sich als Praxis (oder auch als „Kunst“) beschreiben, die glücken oder scheitern kann: Sie sind nicht unabhängig vom Kontext; sie kommen nicht immer zum gleichen ergebnis. Zusammenfassend sei mit Jonathan Culler die bewegung der Dekonstruk-tion nochmals auf den Punkt gebracht: „ein gegensatz, der dekonstruiert wird, wird nicht zerstört oder aufgegeben, sondern neu eingeschrieben“ (Culler 1988, S. 148).
im Hinblick auf ein Weiterschreiben des Konzepts der ambivalenz bleibt festzu-halten, dass „ambivalenz“ im Kontext der theorie der Dekonstruktion als unent-scheidbare Doppelwertigkeit konzipiert wird, die die logik hierarchischer binari-tät unterläuft. Dazu setzt die Praxis der Dekonstruktion auf rhetorische Figuren der „ambiguität“, der Doppeldeutigkeit, um ambivalenz als unentscheidbare Doppel-wertigkeit zu produzieren.
3 Vgl. zur Veränderung der wertenden einschätzung von ambivalenz und ihren zunehmend positiven Konnotationen den beitrag von lüscher (2011, in diesem Heft).
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Dekonstruktion der „ambivalenz“
Ambivalenz und Ambiguität. Von der „différance“ zu Judith Butlers Konzept der „Performativität“
Zur erläuterung der Praxis der Dekonstruktion bringt Derrida den begriff der ambi-guität ins Spiel. er beschreibt die Dekonstruktion als eine „sich ganz in der Struktur der ambiguität … produzierende bewegung“ (Derrida 1995, S. 125). Um ihrem Vor-haben gerecht zu werden, verweigert sich die Dekonstruktion eindeutigen begriffen bzw. zeigt die Doppeldeutigkeit vermeintlich eindeutiger begriffe auf. Die Dekonst-ruktion setzt auf Signifikanten, die unentscheidbar doppeldeutig sind.
ambivalenz und ambiguität
ambivalenz und ambiguität werden oft in einem atemzug genannt.4 Die geschichte des begriffs der ambiguität lässt sich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen (berndt und Kammer 2009, S. 15). im Allgemeinen Handwörter-buch der philosophischen Wissenschaften, nebst ihrer Literatur und Geschichte bestimmt Wilhelm traugott Krug ambiguität als „Zweideutigkeit“: „im ausdrucke, wo sie grammatische und logische a[mbiguität] heißt, entsteht sie meist aus einem verworrenen Denken, zuweilen aber auch aus Unkenntni[ss] der Sprache, indem man dadurch verleitet wird, die Wörter so zu brauchen und zu verbinden, da[ss] sie einen zwiefachen (vielleicht gar mehrfachen) Sinn zulassen … Findet die Zweideutigkeit im Charakter statt, so heißt sie moralische a[mbiguität], auch Duplicität, und ist ein um so größerer Fehler, je weniger einem Menschen von solchem Charakter beizukom-men, da er, wie ein aal, jedem entschlüpft, der ihn irgendwo festhalten will“ (Krug 1832, S. 120). Ambiguität bezieht sich in dieser frühen Definition also sowohl auf eine sprachlich-logische als auch auf eine charakterlich-moralische Dimension. letz-tere wird später durch den psychologischen begriff der ambivalenz aufgegriffen.
Vor dem Hintergrund der begriffsgeschichtlichen Herleitung ist nun zu fragen, wie sich im Kontext von Derridas theorie der „différance“ und butlers an Der-rida anknüpfender Performativitätstheorie der Zusammenhang von ambiguität und ambivalenz bestimmen lässt. Wenn sich ambiguität von ambivalenz insofern unter-scheidet, als ambiguität auf die ebene der Sprache bezogen ist und ambivalenz auf die Ebene der Wertung oder des Wertempfindens, so lässt sich mit Helmuth Kiesel ihr Zusammenhang folgendermaßen bestimmen: „Die ambivalenz auf der Wertebene äußert sich als ambiguität auf der ausdrucksebene“ (Kiesel 2009, S. 307). Kiesel betont somit die expressive und konstative Dimension von ambiguität als ausdruck von ambivalenz. Frauke berndt und Stephan Kammer verweisen jedoch darauf, dass ambiguität auch performative effekte nach sich ziehen und ambivalenz auf der Wertebene überhaupt erst produzieren kann.5 auf diesen performativen effekt der
4 lüscher verweist in seinem beitrag (lüscher 2011, in diesem Heft) darauf, dass ambiguität und ambi-valenz bisweilen sogar synonym gebraucht werden (vgl. zum begriffsverständnis und der begriffsver-wendung von ambivalenz und ambiguität im zeitgenössischen psychologischen Diskurs (Ziegler 2010, S. 125–171).5 in diesem Sinne sprechen Frauke berndt und Stephan Kammer von „strukturaler ambiguität“ als einer „antagonistisch-gleichzeitige Zweiwertigkeit generierenden Matrix“: ambiguität ist also nach diesem
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ambiguität setzt die Praxis der Dekonstruktion, um ambivalenz auf der Wertebene herzustellen. Zur Dekonstruktion eines Denkens in normativ aufgeladenen Opposi-tionen wird die Doppeldeutigkeit von begriffen aufgezeigt, oder es werden begriffe „erfunden“, mit denen die Oppositionen nicht dialektisch „aufgehoben“ werden und die sich auch nicht auf die Seite eines der beiden terme oder Pole schlagen. Die Überwindung dualistischen Denkens in hierarchischen binarismen ist an die sprach-liche Herausforderung gebunden, neue Sprachspiele zu (er)finden.
ambivalenz und „différance“
In Jacques Derridas Theorie der „différance“ ist die „différance“ als Grundfigur der Dekonstruktion ein solch doppeldeutiger begriff, dem rhetorische Wirksamkeit zur ambivalenzproduktion zugetraut wird: Die „différance“ ist weder Schrift noch Stimme. Die „différance“ ist sowohl Schrift als auch Stimme. Dabei bleibt die „dif-férance“ trotzdem selbst eine Unterscheidungsfigur. Sie setzt sich von einer „„nor-malen“, das heißt unkritisch gesetzten Differenz durch das grafemische „a“ ab, das eben nur gelesen und nicht gehört werden kann (Wagner-egelhaaf 2009, S. 47). Der Unterschied der „différance“ zur „différence“ ist zwar da, aber auch wieder nicht, denn er ist unhörbar. Die wertende Unterscheidung zwischen Stimme und Schrift wird aufgehoben und verschoben; sie wird unentscheidbar. Sarah Kofman zeigt auf, wie die Dimension der unentscheidbaren ambiguität den begriff der „différance“ mit anderen zentralen begriffen in Derridas Schriften verbindet:
Diese neuen bezeichnungen ( marques) nennt Derrida per analogie Unent-scheidbare. Diese begriffe sind „Scheineinheiten“, die sich dem philosophischen Oppositionsprinzip widersetzen, die seiner Organisation zuwiderlaufen … Das Pharmakon, entnommen Platon‚ ist weder das Heilmittel noch das gift, weder das gesprochene Wort noch die Schrift, das Supplement, entnommen rousseau, ist weder ein Mehr noch ein Weniger, weder ein Draußen noch die ergänzung eines Drinnen, weder etwas akzidentelles noch etwas Wesentliches usw.; das Hymen, entnommen Mallarmé, ist weder die Vereinigung noch die trennung, weder identität noch Differenz, weder der Vollzug noch die Jungfräulichkeit, weder der Schleier noch die entschleierung, weder das Drinnen noch das Drau-ßen usw.; … Weder/noch heißt zugleich oder oder … Das gemeinsame dieser bezeichnungen: Sie alle streichen die Opposition zwischen dem Drinnen und dem Draußen (Kofman 1988, S. 32 f.; vgl. auch Derrida 1988a, S. 38).
Die „différance“ ist ebenso unentscheidbar „zwischen Sprechakt und Schrift an[ge-]siedelt“ (Derrida 1988a, S. 31) wie zwischen konstativer und performativer Funk-tion der Sprache. Derridas theorie der „différance“ zeigt auf, wie die in Widerstreit gesetzten gegensätze immer wieder aufs neue, in ständiger Wiederholung und rast-loser bewegung aufeinanderprallen, aber sich durch diese bewegung auch verän-dern, denn die diskursive Wiederholung der widerstreitenden gegensätze wiederholt sich niemals identisch. Wiederholung produziert unweigerlich Differenz. auf diese
Definitionsversuch die logisch-sprachliche, das heißt die zeichenhafte Matrix, die Ambivalenz erzeugt (berndt und Kammer 2009, S. 10).
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Weise beschreibt Derrida das innovative und transformative Potenzial des Diskur-ses: aus dekonstruktivistischer Perspektive erscheint kultureller Wandel als Prozess abweichender, aufschiebender diskursiver Wiederholungen von Unterscheidungen. Diesen Prozess bezeichnet Derrida, austins Sprechakttheorie aufgreifend, als per-formativen Prozess.
Judith Butlers Konzept der Performativität
Judith butler verbindet diese dekonstruktivistische Perspektive auf die Performa-tivität des Diskurses mit dem Diskursbegriff Michel Foucaults. Derridas Konzept der Performativität dient ihr dazu, nicht nur die das Subjekt normierende und regu-lierende Wirkungsmacht des Diskurses (im anschluss an Foucault) zu beschreiben, sondern stärker als Foucault die Möglichkeiten der transformation diskursiver Sub-jektivierungsmacht in den blick zu nehmen. in der analyse von abweichenden, auf-schiebenden Wiederholungen kultureller einschreibungen sieht sie die Chance, Stra-tegien aufzuzeigen, wie identitätsregulierende, auf binarismen beruhende normen wie geschlechternormen, aber auch die diskursive Forderung nach einer kohärenten identität des Subjekts dekonstruiert werden können (butler 2001, S. 83). butler fasst also mit dem begriff der Performativität die „ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkungen erzeugt, die er benennt“ (butler 1997a, S. 22). gleichzeitig gibt ihr Derridas ansatz die „Möglichkeit, Performativität in Ver-bindung mit transformation zu denken, mit dem bruch mit früheren Kontexten, die Möglichkeit, Kontexte zu inaugurieren, die erst noch wirklich werden müssen“ (but-ler 2006, S. 236). außerdem koppelt butler den Performativitätsbegriff – über Der-ridas sprachphilosophische Profilierung des Begriffs hinausgehend – an das theater- und medienwissenschaftliche Konzept der „performance“.6 Sie macht also zusätzlich den semantischen aspekt der aufführung und der Darstellung diskursiver Setzungen des Subjekts durch Körper und Stimme stark.7
Mit diesem mehrdeutigen begriff der Performativität beschreibt butler die diskur-sive Forderung nach kohärenter identität des Subjekts als einen diskursiv regulier-ten, ständig wiederholten akt der aufführung sozialer normen. Sie kann aber auch Möglichkeiten einer Subversion dieser diskursiven Formationen des Subjekts mitbe-denken: auch wenn nach butler das Subjekt nicht als souveränes Subjekt zu denken
6 Vgl. Wirth (2009, S. 322): „Die ambiguität des angelsächsischen ausdrucks performance hat dazu geführt, dass sich in diesem Wort zwei unabhängige bedeutungen überschneiden. ‚Performativ‘ kann sich auf die gelingensbedingungen von Sprechakten, aber auch auf die medialen Verkörperungsbedingungen von Äußerungen beziehen.“7 Vgl. butler (1991): „in excitable Speech, i sought to show that the speech act is at once performed (and thus theatrical, presented to an audience, subject to interpretation), and linguistic, inducing a set of effects through its implied relation to linguistic conventions. if one wonders how a linguistic theory of the speech act relates to bodily gestures, one need only consider that speech itself is a bodily act with specific linguis-tic consequences. thus speech belongs exclusively neither to corporeal presentation nor to language, and its status as word and deed is necessarily ambiguous. this ambiguity has consequences for the practice of coming out, for the insurrectionary power of the speech act, for language as a condition of both bodily seduction and the threat of injury.“
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ist, es vielmehr immer schon durch den Diskurs formiert ist, wird es doch durch den Diskurs nicht abschließend und nicht vollständig bestimmt.
Das Subjekt müsse zwar, um Subjekt zu sein, den anrufungen des Diskurses ant-worten, und sei gezwungen, die normen, die es konstituieren, zu wiederholen, aber auch die Wiederholungen von identitätsregulierenden normen lassen sich nie „iden-tisch“ wiederholen.
Diese Perspektive eröffnet sich für butler durch Derridas theorie der „différance“. Jede Wiederholung impliziert Differenz. Die Unmöglichkeit identischer Wiederho-lungen der norm birgt demnach die Möglichkeit der transformation von normen. Mit bezug auf Derridas theorie der Dekonstruktion fokussiert butler stärker als Fou-cault auf Möglichkeiten subjektiver Handlungsfähigkeit („agency“) – auch wenn es sich in ihrer Konzeption um eine radikal bedingte Handlungsfähigkeit handelt. Der Zusammenhang von ambivalenz und Handlungsfähigkeit8 wird von butler dabei in besonderer Weise hervorgehoben.
Ambivalente Subjektivationen als Möglichkeit von Handlungsfähigkeit. Judith Butlers Theorie der Selbst-Bildung
Was bedeuten diese Überlegungen für eine bildungstheoretische Perspektive auf ambivalenz? aus bildungstheoretischer Perspektive erscheint Judith butlers theorie insofern besonders interessant, als der bildungsbegriff, der selbst zwischen transi-tiver, intransitiver und reflexiver Bedeutung changiert, immer auch die Frage nach dem Verhältnis von menschlicher Selbst- und Fremdformung, von Macht und Ohn-macht der bildung aufwirft.
Das Subjekt als „Schauplatz“ von ambivalenz
Judith butler schlägt sich weder auf die Seite der theorien, die den Subjektbe-griff zur „notwendigen Vorbedingung der Handlungsfähigkeit“ erklären, noch auf die Seite derjenigen, die den Subjektbegriff als „Zeichen von ‚Herrschaft‘“ gleich ganz verwerfen (butler 2001, S. 15). ihre Subjekttheorie dreht sich um die Frage, wie „das Subjekt als bedingung und instrument der Handlungsfähigkeit zugleich effekt der Unterordnung als Verlust seiner Handlungsfähigkeit sein“ kann (butler 2001, S. 15). Konsequent arbeitet sie die dem Subjektbegriff inhärente ambiguität von Macht und Ohnmacht des Subjekts heraus. Diese ambiguität – die bildung des Selbst, die gleichzeitig eine Unterwerfung ist – betont butler mit dem neologismus der „Subjektivation“.9 Dieser begriff arbeitet mit der Doppeldeutigkeit von „subjec-
8 Vgl. zum Zusammenhang von ambivalenz und Handlungsfähigkeit auch den beitrag von lüscher (2011, in diesem Heft).9 Vgl. zum begriff der Subjektivation die anmerkung des Übersetzers reiner ansén in der deutschen Übersetzung von The Psychic Life of Power (butler 2001, S. 187): „Der englische begriff ‚subjection‘ bedeutet zwar im alltäglichen gebrauch lediglich ‚Unterwerfung‘ (und auch ‚abhängigkeit‘), erinnert aber durch die lateinische Wurzel auch an das ‚subjectum‘ und damit an den Prozeß der Subjektwerdung. Dieser im vorliegenden buch entscheidende Doppelaspekt wäre im Deutschen nur durch die umständliche Verwendung von ‚Unterwerfung/Subjektwerdung‘ wiederzugeben. Daher wird hier für den begriff ‚sub-
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tion“ (Unterwerfung, abhängigkeit) und Subjektwerdung.10 Den begriff der „Sub-jektivation“ grenzt butler vom begriff der Sozialisation ab. Sie ist der auffassung, dass „die meisten Soziologen und Soziologinnen davon ausgehen, dass Sozialisa-tion die Verinnerlichung von normen voraussetzt. Sie nehmen an, dass das Subjekt schon konstruiert ist und dann erst dieses oder jenes Objekt internalisiert“ (butler 2002a, S. 126). butler hingegen geht davon aus, „dass das Subjekt durch soziale normen gebildet wird. auf diese Weise bilden soziale normen die bedingung und Struktur des Subjekts, die bedingung seines erscheinens und die andauernde Form seines Widerstands“ (butler 2002a, S. 126). Widerstand gegen diese Formation des Subjekts ist in butlers Perspektive eben deshalb möglich, weil das Subjekt durch den Diskurs weder einseitig noch erschöpfend bestimmt werde und weil das Subjekt „durch seine Reflexivität gekennzeichnet [sei], seine Fähigkeit, sich selbst – die Art seiner Hervorbringung und bildung selbst – zum gegenstand zu machen. in dem Augenblick, in dem seine Reflexivität entsteht, bildet das Subjekt selbst eine ganz spezifische Form der Macht“ (Butler 2002a, S. 128 f.).
in Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung arbeitet butler in ihren dekonstruierenden lektüren von Hegels, nietzsches, althussers, Freuds und Fou-caults Subjekttheorien die jeweiligen reartikulationen heraus, mit denen das Subjekt als gleichzeitig heteronom und autonom bestimmt wird. Das Subjekt wird durch diese relektüren erkennbar als „Schauplatz“ (topos) einer ambivalenz, „in welcher das Subjekt sowohl als effekt einer vorgängigen Macht als auch als Möglichkeitsbedin-gung für eine radikal bedingte Form der Handlungsfähigkeit entsteht“ (butler 2001, S. 19). Dabei wird deutlich, dass Versuche, den Pol von Ohnmacht und abhängigkeit zugunsten einer eindeutigen aufwertung des Pols der autonomie auszuschließen, die regulative Funktion des autonomiegedankens selbst verschleiern. auch die diskur-sive bestimmung als autonomes Subjekt ist eine Form von Unterwerfung. butlers relektüren lenken angesichts einer tendenz zur „Vereindeutigung“ und Festlegung des Subjekts auf autonomie die aufmerksamkeit auf die den Subjekttheorien doch inhärent bleibende Doppeldeutigkeit. Schließlich berge die „unauflösbare Zweideu-tigkeit“ [im Original: „irresolvable ambiguity“, anm. d. Verfasserin] in der Unter-scheidung „zwischen der Macht, die das Subjekt formt, und der ‚eigenen‘ Macht des Subjekts“ (butler 2001, S. 19) die Möglichkeit, ja die notwendigkeit, die identitäts-regulierenden effekte diskursiver Formationen des Subjekts immer wieder aufs neue zu reartikulieren. „Re“-Iteration, „Re“-Artikulation oder „Re“-Signifikation versteht sie „„in the sense of already done and … in the sense of done over, done again, done
jection‘, soweit der Kontext seine bedeutung nicht eindeutig auf einen seiner beiden aspekte einschränkt, konsequent der neologismus ‚Subjektivation‘ verwendet; mit dem entsprechenden englischen neolo-gismus ‚subjectivation‘ gibt die autorin in Kapitel 3 auch das französische ‚assujettissement‘ Foucaults wieder.“ Während Foucault mit ‚assujettissment‘ jedoch nur die „diskursive identitätserzeugung“ als „die diskursive Forderung, ein kohärentes Subjekt zu werden“ (butler 2001, S. 83) als Form der Unterwerfung des Subjekts beschreibe, weist butler in ihrer relektüre der Subjekttheorien von Hegel, nietzsche, alt-husser und Freud auf, dass die diskursiven Setzungen des Subjekts als kohärentes und autonomes Subjekt selbst nicht ohne ambivalenz auskommen. in dieser ambivalenz der diskursiven Setzung des Subjekts erkennt Butler die dem Subjekt eigene Macht, die Normen zu resignifizieren.10 Vgl. als Überblick zur erziehungswissenschaftlichen auseinandersetzung mit theorien der Subjektiva-tion: ricken (2007).
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anew““ (butler 1997b, S. 18) als ein ständiges „doing“ und „undoing“, ein Sprach-Handeln, das diskursiv gesetzte normen wiederholt, aber auch verändern kann.
reiterierte ambivalenz als ermöglichung von Handlungsfähigkeit
Mit der betonung der dem Subjekt- ebenso wie dem identitätsbegriff inhärenten ambiguität löst butler beide aus einer logik der Zweiwertigkeit bzw. der Wider-spruchsfreiheit und reiht sie ein in Derridas „begriffe“ der Unentscheidbarkeit: „Wenn das Subjekt weder durch die Macht voll determiniert ist noch seinerseits voll-ständig die Macht determiniert (sondern immer beides zum teil), dann geht das Sub-jekt über die logik der Widerspruchsfreiheit hinaus, es ist gleichsam ein auswuchs, ein Überschu[ss] der logik. Die behauptung, das Subjekt gehe über das entweder/oder hinaus, besagt nicht, da[ss] es in irgendeiner selbstgeschaffenen Freizone lebt. Das Hinausgehen ist kein entkommen, und das Subjekt geht genau über das hinaus, an was es gebunden ist. in diesem Sinn kann das Subjekt die ambivalenz seiner eige-nen Konstitution nicht ersticken. Schmerzlich, dynamisch und vielversprechend, ist dieses Schwanken zwischen dem Schon-Da und dem noch-nicht ein Scheideweg, der jedem einzelnen Schritt seiner Überquerung anhängt, eine sich ständig wieder-holende ambivalenz [im Original: „reiterated ambivalence“, anm. d. Verfasserin] im Kern der Handlungsfähigkeit [im Original: „at the heart of agency“, anm. d. Ver-fasserin]“ (butler 1997a, S. 18). Sprachlich-diskursive ambiguität, die ambivalenz auf der Wertebene erzeugt, verhindert die Statik und endgültigkeit einer eindeutigen Festlegung des Subjekts und ermöglicht reartikulationen und reiterationen, die das jeweils abgewertete und ausgegrenzte andere wieder mit ins Spiel bringen – ohne dass die Macht diskursiver normierungen geleugnet würde und ohne dass angenom-men würde, man könne „einfach so“ aus ihnen aussteigen. Da Subjekte nicht außer-halb der diskursiven Ordnung, die sie selbst als Subjekte konstituiert, sprechen und handeln können, haben sie nur die Möglichkeit, die normen dieser Ordnung immer wieder aufs neue zu wiederholen, zu zitieren. Dabei können sich die normen ver-schieben, wenn ihre Doppeldeutigkeit aufgezeigt wird bzw. sie doppeldeutig zitiert werden.
Vor dieser Praxis der reiterierend resignifizierenden Dekonstruktion ist bei Butler auch das Konzept der ambivalenz nicht gefeit, das Freud in Trauer und Melancho-lie11 entfaltet. butler greift es in Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung auf und schreibt es in ihrer relektüre neu ein.12 Die Pointe ihrer argumentation mün-det darin, dass die die „Melancholie auszeichnende ambivalenz“ – nach butlers les-art – überhaupt erst Reflexivität als Form einer Rückwendung des Ich gegen sich selbst ermöglicht, in der das ich sich selbst zum Objekt wird. So kommt sie am ende ihrer relektüre zu dem Schluss, dass es „ohne ambivalenz überhaupt kein „man“
11 Vgl. Freud (1969, S. 427–447).12 in diesem buch geht es ihr „um eine psychoanalytische Kritik an Foucault“, da sich ihres erachtens „die Subjektivation und insbesondere der Vorgang, bei dem man zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung wird, ohne die psychoanalytische erklärung der formativen und generativen Wirkungen von restriktion und Verbot gar nicht verstehen“ lasse, aber zugleich auch darum, „einige romantisierende Vorstellun-gen vom Unbewu[ss]ten als notwendigem Widerstand kritisch unter die lupe“ zu nehmen (butler 2001, S. 84).
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[im Original: „one“, anm. d. Verfasserin] zu geben [scheint], was heißen soll, da[ss] die für die Selbstwerdung erforderliche fiktive Verdoppelung die Möglichkeit einer strengen identität ausschließt“13 (butler 2001, S. 184). regulative Forderungen nach der Überwindung von ambivalenz zugunsten kohärenter (oder „strenger“) identi-tät werden durch diese dekonstruktive Resignifikation des Ambivalenzkonzepts ad absurdum geführt.14
reiterierte ambivalenz als ermöglichung transformatorischer Selbst-bildung
butler zeigt auf, wie die Konstitution des Selbst doch immer im Kraftfeld gesell-schaftlicher Machtstrukturen zu denken ist; jedoch stellt butler stärker als Foucault die Frage nach der Möglichkeit einer – wenn auch radikal bedingten – subjektiven Handlungsfähigkeit ins Zentrum ihrer Überlegungen. Das macht ihre theorie für bil-dungstheoretische ansätze besonders anschlussfähig. Freilich bedeutet „bildung“, aus dieser Perspektive gesehen, „gerade nicht Selbstfindung, Selbsterhaltung oder Selbstverwirklichung auf dem grunde einer Überfülle an Möglichkeiten, die nur noch zu verwirklichen sind“, sondern wäre mit Meyer-Drawe als „eine konflikthafte Lebensführung, ei[n] spezifische[r] Prozess der Subjektivation, der eingespannt bleibt zwischen reiner autonomie und bloßer Heteronomie“ zu beschreiben (Meyer-Drawe 2007, S. 86). Die unentscheidbare und deshalb zu ständiger reiteration und resigni-fikation drängende Ambivalenz von Autonomie und Heteronomie des Subjekts wäre aus dieser Perspektive dann als Möglichkeit einer Handlungsfähigkeit zu sehen, die auf die performative generierung neuer Figuren des Selbst- und Weltverhält-nisses zielt. in dieser Form der Handlungsfähigkeit des Subjekts scheint bei butler die Möglichkeit einer „Selbst-bildung … im Ungehorsam gegenüber den Prinzipien, von denen man geformt ist“ auf – wobei das Selbst jedoch in dieser Form der Selbst-bildung seine „Deformation als Subjekt riskiert“ (butler 2002b, S. 265). ambivalenz erscheint aus dieser Perspektive nicht mehr als Hindernis, das es im blick auf die regulative idee eines „einheitlichen“ ambivalenzfreien Subjekts zu überwindenden gilt, sondern als impulskraft von transformatorischen bildungsprozessen. Das „ein-heitliche Subjekt“ erscheint hingegen in butlers Perspektive als „eines, das schon weiß, was es ist, das in derselben Weise in ein gespräch eintritt, wie es das gespräch beendet, das es unterlässt, die eigenen epistemologischen gewissheiten in der begeg-nung mit dem anderen zu riskieren … und die Selbstveränderung ironischerweise im namen des Subjekts ablehnt“ (butler 2009, S. 361). Wenn sich bildung als „trans-formation grundlegender Figuren des Welt- und Selbstbezugs“ (Koller et al. 2007, S. 7) beschreiben lässt, dann ist nach butler das einheitliche Subjekt „ironischer-weise“ dadurch gekennzeichnet, dass es sich transformatorischen bildungsprozessen zu verweigern sucht. Für eine zeitgemäße bildungstheorie ermöglicht butlers Per-spektive eine neue Sicht auf das Konzept der ambivalenz, die hilft, bildungsprozesse im Kontext von diskursiven normierungen des Subjekts fassen zu können.
13 Vgl. im Original, S. 198: „indeed, there appears to be no ‚one‘ without ambivalence, which is to say that the fictive redoubling necessary to become a self rules out the possibility of strict identity.“14 Vgl. als ausführlichere interpretation von butlers bezug auf die Psychoanalyse: Campbell (2001, S. 35–48).
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M. Haller
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Dekonstruktion der „ambivalenz“
Miriam Haller, Dr. phil., erziehungswissenschaftlerin, Stellvertretende leiterin des Centrums für alternsstudien, Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln; geschäftsführerin des arbeits-bereichs gasthörer- und Seniorenstudium der Universität zu Köln. arbeitsschwerpunkte: Kulturwissen-schaftliche alter(n)sstudien, erwachsenenbildung, geragogik.
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