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1 Konversionsberichte des 17. bis 19. Jahrhunderts als Selbstzeugnisse gelesen: Ergebnisse und Forschungsperspektiven Gesine Carl und Angelika Schaser* Im Rahmen der Forschergruppe „Selbstzeugnisse in transkultureller Perspektive“ 1 wurden Selbstzeugnisse aus verschiedenen Regionen der Welt (Europa, Asien, Lateinamerika) vom 15. bis zum 20. Jahrhundert untersucht, um festzustellen, welche Informationen diese Texte über das Personkonzept 2 der jeweiligen Autoren und Autorinnen bieten. Dabei sollten euro- zentrierte Vorstellungen von der Entstehung eines (westlichen) Individuums in Frage gestellt und durch diachrone Vergleiche sowie die Einbeziehung nichteuropäischer Gebiete hinter- fragt werden. Die in den Selbstzeugnissen zum Ausdruck kommende Individualität, so die gemeinsame Ausgangsthese, kann nur ein Teil eines Personkonzepts sein. 3 Selbst der Mensch der westlichen Moderne nahm sich nicht nur als Individuum wahr. Er konzipierte, imaginierte und präsentierte sich je nach Situation, nach Lebensalter, Familienstand, Zeitalter, Kultur- kreis, Staatsform, sozialer Herkunft, religiöser Zugehörigkeit, Geschlecht, Beruf, Erfahrungen und Netzwerken in Selbstzeugnissen als unabhängige Persönlichkeit und/oder als Teil eines Paares, einer Familie, einer Gruppe, einer Kultur, einer Nation, eines Staates und der Mehr- heitsgesellschaft oder als Außenseiter, Angehöriger einer Minderheit oder als Fremder. Am Anfang unserer Untersuchungen standen drei Fragen, mit denen das Projekt umrissen wurde. Wie soll Konversion definiert und welche Kriterien sollen für die Auswahl der zu be- arbeitenden Konversionsberichte, die in großer Zahl gedruckt und ungedruckt vorliegen, her- *Zitierweise: Gesine Carl, Angelika Schaser: Konversionsberichte des 17. bis 19. Jahrhunderts als Selbstzeugnisse gelesen: Ergebnisse und Forschungsperspektiven, in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen, hg. von Gesine Carl und Angelika Schaser [2013], <http://www.konversionsen.uni-hamburg.de>. 1 Näheres dazu siehe unter http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fg530/index.html [zuletzt eingesehen: 18.04.2016]. 2 Das Personkonzept stand im Zentrum der Untersuchungen der Forschergruppe. Vgl. dazu: Claudia ULBRICH und Gabriele JANCKE, Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, in: Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, hg. v. Claudia ULBRICH und Gabriele JANCKE, Göttingen 2005, S. 7– 27. 3 ULBRICH und JANCKE (wie Anm. 2), S. 15.

Ergebnisse Carl Schaser - konversionen.uni-hamburg.de · des Begriffs selbst zu erklären – Lewis R. Rambo spricht in diesem Zusammenhang von einer „built-in ambiguity“ 4 –,

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Konversionsberichte des 17. bis 19. Jahrhunderts als Selbstzeugnisse

gelesen: Ergebnisse und Forschungsperspektiven

Gesine Carl und Angelika Schaser*

Im Rahmen der Forschergruppe „Selbstzeugnisse in transkultureller Perspektive“1 wurden

Selbstzeugnisse aus verschiedenen Regionen der Welt (Europa, Asien, Lateinamerika) vom

15. bis zum 20. Jahrhundert untersucht, um festzustellen, welche Informationen diese Texte

über das Personkonzept2 der jeweiligen Autoren und Autorinnen bieten. Dabei sollten euro-

zentrierte Vorstellungen von der Entstehung eines (westlichen) Individuums in Frage gestellt

und durch diachrone Vergleiche sowie die Einbeziehung nichteuropäischer Gebiete hinter-

fragt werden. Die in den Selbstzeugnissen zum Ausdruck kommende Individualität, so die

gemeinsame Ausgangsthese, kann nur ein Teil eines Personkonzepts sein.3 Selbst der Mensch

der westlichen Moderne nahm sich nicht nur als Individuum wahr. Er konzipierte, imaginierte

und präsentierte sich je nach Situation, nach Lebensalter, Familienstand, Zeitalter, Kultur-

kreis, Staatsform, sozialer Herkunft, religiöser Zugehörigkeit, Geschlecht, Beruf, Erfahrungen

und Netzwerken in Selbstzeugnissen als unabhängige Persönlichkeit und/oder als Teil eines

Paares, einer Familie, einer Gruppe, einer Kultur, einer Nation, eines Staates und der Mehr-

heitsgesellschaft oder als Außenseiter, Angehöriger einer Minderheit oder als Fremder.

Am Anfang unserer Untersuchungen standen drei Fragen, mit denen das Projekt umrissen

wurde. Wie soll Konversion definiert und welche Kriterien sollen für die Auswahl der zu be-

arbeitenden Konversionsberichte, die in großer Zahl gedruckt und ungedruckt vorliegen, her-

*Zitierweise: Gesine Carl, Angelika Schaser: Konversionsberichte des 17. bis 19. Jahrhunderts als Selbstzeugnisse gelesen: Ergebnisse und Forschungsperspektiven, in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen, hg. von Gesine Carl und Angelika Schaser [2013], <http://www.konversionsen.uni-hamburg.de>.

1 Näheres dazu siehe unter http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fg530/index.html [zuletzt eingesehen: 18.04.2016]. 2 Das Personkonzept stand im Zentrum der Untersuchungen der Forschergruppe. Vgl. dazu: Claudia ULBRICH und Gabriele JANCKE, Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, in: Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, hg. v. Claudia ULBRICH und Gabriele JANCKE, Göttingen 2005, S. 7–27. 3 ULBRICH und JANCKE (wie Anm. 2), S. 15.

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angezogen werden? Und können Konversionsberichte überhaupt als Selbstzeugnisse gelesen

werden? Die Literaturwissenschaft hat bislang vor allem die Kennzeichen des Genres und die

Stereotypen der Konversionserzählung herausgearbeitet. Wir haben nach dem Personkonzept,

dem historischen Kontext und den spezifischen Bedingungen gefragt, unter denen diese Be-

richte entstanden sind. Dabei interessierte uns, ob und in welchem Maße Ähnlichkeiten und

Änderungen in diesen Texten über einen längeren Zeitraum festzustellen sind. Dazu haben

wir deutschsprachige Konversionserzählungen aus dem Zeitraum vom 17. Jahrhundert bis

zum Ersten Weltkrieg untersucht.

Definition von Konversion

Nach einer eindeutigen und allgemein akzeptierten Definition des Konversionsbegriffs sucht

man bis heute vergeblich. Dies ist zum einen mit der Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit

des Begriffs selbst zu erklären – Lewis R. Rambo spricht in diesem Zusammenhang von einer

„built-in ambiguity“4 –, zum anderen liegt es daran, dass die Definition von Konversion im

Wesentlichen durch das jeweilige Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft mitbestimmt

wird. Beispielsweise kennt die katholische Kirche nur den Übertritt zur eigenen Kirche, wäh-

rend ein Katholik, der eine andere Konfession annimmt, lediglich als „Ausgetretener“ wahr-

genommen wird.5 Zudem wird das Phänomen von ganz verschiedenen Forschungsrichtungen

wie etwa der Religionspsychologie, der Religionssoziologie, der Geschichts- und der Litera-

turwissenschaft untersucht, die jeweils unterschiedliche Kriterien und Methoden anwenden.6

Als kleinster gemeinsamer Nenner aller Definitionen von Konversion ist das Moment des

Wandels zu betrachten; Peter L. Berger und Thomas Luckmann sehen die religiöse Konversi-

on sogar als das „historische Urbild der Verwandlung“ an.7 In der Bibel wird das Phänomen

der Konversion mit dem hebräischen Wort shub beziehungsweise mit den griechischen Voka-

4 Lewis R. RAMBO, Understanding Religious Conversion, New Haven [u. a.] 1993, S. 3. 5 Vgl. den Artikel „Convertiten“ in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge, 19. Bd., hg. v. Johan Samuel ERSCH und Johan Gottfried

GRUBER, Leipzig 1829, S. 226–227. Zur Entwicklung des Konversionsbegriffs und der Konversionsforschung vgl. auch: Gesine CARL, Zwischen zwei Welten? Übertritte von Juden zum Christentum im Spiegel von Konversionserzählungen des 17. und 18. Jahrhunderts, Hannover 2007, S. 41–77; Ines PEPER, Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes um 1700. Wien [u. a.] 2010, S. 26–28, 234–235. 6 Angelika SCHASER, „Zurück zur heiligen Kirche“. Konversionen zum Katholizismus im säkularisierten Zeitalter, in: Historische Anthropologie 15, 2007, 1, S. 1–23, S. 2–7. 7 Peter BERGER und Thomas LUCKMANN, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M. 1994, S. 169.

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beln (epi)strephein und metánoia (innere Umkehr) benannt, die „alle einen dramatischen

Wandel, eine Wendung von einer Auffassung zu einer anderen oder eine Rückkehr zu einer

früheren Auffassung bezeichnen“.8 Aus den lateinischen Wörtern conversio (Umdrehung,

Umwandlung) und convertere/-i (umwenden, umkehren) beziehungsweise aus vertere (wen-

den, kehren, drehen) entstanden schließlich die Begriffe „Konversion“, „Konvertit“ und

„konvertieren“, die im deutschen Sprachraum im späten 18. Jahrhundert als Bezeichnung für

einen innerchristlichen Konfessionswechsel verwendet wurden.9 Ines Peper hat den Begriff

„Convertit“ inzwischen auch in deutschsprachigen Quellen des 17. Jahrhunderts nachweisen

können.10 Da das Christentum seit seinen Anfängen einen Ausschließlichkeitsanspruch erhob,

meinte der lateinische Begriff conversio mindestens zwei Phänomene: Die Bekehrung, also

„die durch göttliche Gnade vermittelte Hinwendung des Menschen zu Gott […] und die Not-

wendigkeit, die vorige Religionsgemeinschaft zu verlassen.“11 Wegen der Mehrdeutigkeit des

Terminus conversio ist auch der deutsche Begriff „Konversion“ nicht immer eindeutig von

„Bekehrung“ abzugrenzen, zumal sich die beiden Begriffe während ihrer Entwicklungsge-

schichte wiederholt überschnitten und auch der Bekehrungsbegriff im Laufe der Jahrhunderte

mehrere Bedeutungsverschiebungen erlebte.12 Dass vor dem späten 18. Jahrhundert conversio

nur in der Bedeutung von „Bekehrung“ gebräuchlich gewesen sein soll, erscheint daher eben-

so fraglich wie die Meinung, dass die Einführung des Begriffes „Konvertit“ das Ende des

konfessionellen Zeitalters markiere,13 denn seit der Reformation wurden nicht nur wertende

und diffamierende Begriffe wie „Abfall“, „Apostasie“, „Ketzerei“ und „Häresie“ für den Re-

8 Monika WOHLRAB-SAHR und Volkhard KRECH [u. a.], Religiöse Bekehrung in soziologischer Perspektive. Themen, Schwerpunkte und Fragestellungen der gegenwärtigen religionssoziologischen Konversionsforschung, in: Religiöse Konversion. Systematische und fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive, hg. v. dens., Konstanz 1998, S. 7–35, hier S. 8. 9 Vgl. Hubert MOHR, Konversion/Apostasie, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. III., hg. v. Hubert CANCIK, Stuttgart [u. a.] 1993, S. 436–445, S. 437. Dieter BREUER, Konversionen im konfessionellen Zeitalter, in: Konversionen im Mittelalter und in der Frühneuzeit, hg. v. Friedrich NIEWÖHNER und Fidel RÄDLE, Hildesheim [u. a.] 1999, S. 59–69, S. 60. Ute MENNECKE-HAUSTEIN, Konversionen, in: Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993, hg. v. Wolfgang

REINHARD und Heinz SCHILLING, Münster 1995, S. 242–257, S. 244. 10 PEPER (wie Anm 5), S. 26. Der bislang früheste Nachweis stammt aus einer 1672 in Mainz erschienenen kontroverstheologischen Schrift. 11 PEPER (wie Anm. 5), S. 27. 12 Zum Bedeutungswandel des Bekehrungsbegriffs siehe u. a.: CARL (wie Anm. 5), S. 47–49. 13 Vgl. BREUER (wie Anm. 9), S. 60.

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ligionswechsel benutzt, sondern es fanden auch nichtwertende Bezeichnungen wie „Religi-

onsveränderung“ und andere neutrale Umschreibungen Verwendung.14

Die Vieldeutigkeit der Begriffe „Konversion“ und „Konvertit“ bleibt auch für das

19. Jahrhundert charakteristisch. Bekehrung blieb weiter als Synonym für Konversion ge-

bräuchlich, wenn etwa „Convertiten“ als „von einer Kirche zur andern Bekehrte“15 bezeichnet

wurden oder Konversion mit „Umwandlung, Bekehrung, Übertritt zu einer anderen Religi-

onspartei“ gleichgesetzt wurde.16 Auf welchen Ebenen sich dieser Wandel vollziehen und wie

umfassend beziehungsweise tiefgreifend er ausfallen muss, um als Konversion gelten zu kön-

nen, wird bis heute kontrovers diskutiert. Ein häufiges, jedoch nicht konsequent angewandtes

Unterscheidungskriterium ist der Religions- beziehungsweise Konfessionswechsel, der in

vielen Definitionen von Konversion als unverzichtbar gilt,17 während „Bekehrung“ eher die

Hinwendung zu einem spirituelle(re)n Leben meint, die sich auch im Rahmen einer Religi-

onsgemeinschaft vollziehen kann, der man zuvor nur nominell angehörte.

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird unter einer Konversion ausschließlich der

Wechsel von einer Religion oder Konfession zu einer anderen verstanden, so dass beispiels-

weise Bekehrungsberichte aus pietistischen Kreisen oder die bewusste Hinwendung zu der

eigenen Religionsgemeinschaft nach einer Phase der Indifferenz nicht in die Quellenauswahl

einbezogen wurden.18

Eine derartige Konversion setzt das Wissen über mindestens zwei unterschiedliche Glaubens-

systeme beziehungsweise die Erfahrung konfessioneller Pluralität voraus, die häufig durch

14 Vgl. PEPER (wie Anm. 5), S. 26–27. 15 Convertiten, in: Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit oder neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. 7. Bd., hg. v. H.A. PRERER, 2. Aufl., Altenburg 1841, S. 307. 16 Konversion, in: Brockhaus Konversations-Lexikon, 10. Bd., 14. Aufl., Berlin [u. a.] 1894, S. 608–609. 17 Vgl. u. a. Peter GERLITZ, Konversion I. Religionsgeschichtlich, in: Theologische Realenzyklopädie. Bd. XIX, Berlin [u. a.] 1990, S. 559–563, hier S. 559. Eine deutlich weiter gefasste Definition vertreten hingegen Snow und Machalek, die Konversion als einen Wech-sel des „Diskursuniversums“ verstehen: Konversion ist demnach „the displacement of one universe of discourse by another or the ascendance of a formerly peripheral universe of dis-course to the status of a primary authority“ (David A. SNOW und Richard MACHALEK, The Sociology of Conversion, in: Annual Review of Sociology 10, 1984, S. 167–190, hier S. 170). 18 Dabei haben wir uns auf die innerchristlichen Konversionen beschränkt und die Konversionen von Juden zum Christentum ausgeblendet. Ebenso wurden Fürstenkonversionen, die als Sonderfälle zu betrachten sind, nicht untersucht. Zu beiden Themenfeldern liegen aktuelle Publikationen vor bzw. es sind Arbeiten dazu im Entstehen.

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Reisen oder Migration zustande kam. Zudem ergab sich der Kontakt mit Angehörigen anderer

Konfessionen in Grenzgebieten oder gemischtkonfessionellen Territorien.19 Eine Grenzregion

wie das Elsass erwies sich im 19. Jahrhundert als wichtige Kontaktzone für katholische Kon-

versionen.

Damit die Konversion rechtlich anerkannt wurde, war ein öffentliches Bekenntnis zur neuen

Konfession erforderlich,20 eine rein innerliche Hinwendung reichte nicht aus. Die christlichen

Konfessionen erkannten im 17. und 18. Jahrhundert die Taufe bei Konversionen gegenseitig

an. Im 19. Jahrhundert sind jedoch immer wieder Fälle zu verzeichnen, in denen Konvertiten

vor ihrem Wechsel zur katholischen Kirche nochmals getauft wurden, da die protestantische

Taufe angezweifelt wurde. Vor dem Übertritt musste ein(e) Konfessionswechsler(in) in der

Frühen Neuzeit in jedem Fall an einer religiösen Unterweisung teilnehmen, sich einem Exa-

men unterziehen und ein Glaubensbekenntnis vor Zeugen ablegen. Bei einer Konversion zum

Protestantismus fand dieses Bekenntnis meist in Form einer „Revokationspredigt“ vor der

aufnehmenden Kirchengemeinde statt, während die Zeugenschaft bei Übertritten zum Katho-

lizismus, wie etwa bei Joseph Jörger, manchmal nur aus dem Geistlichen bestand, der den

Konvertiten auf seinem Weg zum Konfessionswechsel begleitet hatte. Insgesamt äußerten

sich die Konvertiten im 17. und 18. Jahrhundert meist gar nicht oder nur sehr vage zu der

Übertrittszeremonie.

Im 19. Jahrhundert fanden das entscheidende Gespräch und der Übertritt zum Teil auch ohne

Öffentlichkeit vor ausgewählten Zeugen statt. Soweit die Handlung beschrieben worden ist,

wurde dann jedoch die Ablegung des Glaubensbekenntnisses vor der Gemeinde vollzogen.21

Bei gebildeten Konvertiten konnte die religiöse Unterweisung auch in wenigen Tagen absol-

viert werden. Bei einer Konversion zum Katholizismus mussten die Kandidat(inn)en außer-

dem ihrem protestantischen Bekenntnis abschwören, woraufhin sie die absolutio ab haeresi

19 Vgl. Kim SIEBENHÜNER, Konversion 1. Allgemein, in: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 6, Stuttgart [u. a.] 2007, Sp. 1171–1174, Sp. 1173. 20 Johann Heinrich ZEDLERS, Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste. Bd. 6, Halle [u. a.] 1733, Sp. 1172. 21 Die ausführlichste Beschreibung findet sich bei Wilhelm Gustav Werner Volk (d. i. Ludwig Clarus): Aus dem Leben einer Convertitin. Mitgetheilt von Ludwig CLARUS, Schaffhausen 1859, S. 125–142, der sich zu Beginn dieser Passage ausdrücklich an die Protestanten wendet und deren „wahrheitswidrige Darstellungen“ mit dem detaillierten Bericht über den Konversionsakt korrigieren will.

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erhielten.22 Dies gab im 19. Jahrhundert Protestanten regelmäßig Anlass zu behaupten, die

Konvertiten müssten „die Protestanten verfluchen“, um so eine klare Trennungslinie zwischen

sich, ihrer Herkunftsfamilie und den ehemaligen Glaubensbrüdern zu ziehen.

Da in diesem Projekt die überlieferten Konversionserzählungen im Mittelpunkt stehen, wer-

den hier alltägliche, „pragmatische“ Konversionen nicht mit einbezogen, bei denen Personen

ohne schriftliche Begründungen anlässlich einer Eheschließung oder Ähnlichem die Religion

wechselten. Als Konversionsberichte wurden von uns Texte identifiziert, in denen sich Kon-

vertiten mit ihrer eigenen Konversion in einer separaten Schrift oder im Rahmen einer größe-

ren Abhandlung schriftlich auseinandersetzten. Als literarische Vorbilder, die häufiger zitiert

werden oder die Textgestaltung zumindest implizit beeinflussen, sind dabei die Konversions-

erzählungen von Paulus und Augustinus anzusehen: Auf der einen Seite steht das einmalige,

plötzliche und unvorhersehbare Bekehrungserlebnis des Apostels auf der Straße nach Damas-

kus, das übernatürliche Züge trug und einen radikalen persönlichen Wandel auslöste, auf der

anderen Seite die allmähliche, prozesshafte Wandlung des Kirchenvaters durch Lektüre und

Lernen.

Diese beiden Modelle übten auch auf die Konversionsforschung lange Zeit einen prägenden

Einfluss aus, wobei dem paulinischen Paradigma die größere Vorbildwirkung zukommt.23 Bis

in das 19. Jahrhundert wurde jedoch in allen Konversionsberichten das Spannungsverhältnis

zwischen dem plötzlichen Wandel und dem lang andauernden Prozess, mit denen eine Kon-

version charakterisiert werden kann, selten völlig zugunsten eines Modells aufgelöst. Wenn

auch in manchen Konversionserzählungen ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass von kei-

nem augustinischen Erlebnis zu berichten sei, so finden sich doch immer wieder Situationen

und Ereignisse beschrieben, in denen Konvertiten Erkenntnisse, Gefühle und Ahnungen als

wichtige Zäsuren auf dem Weg zur Konversion markieren.

Der Vergleich von Paulus und Augustinus wirft zugleich eine weitere Frage auf, die in der

Konversionsforschung nach wie vor kontrovers diskutiert wird: Die Frage nach dem göttli-

chen und dem menschlichen „Anteil“ im Konversionsprozess,24 die bei der Auswertung von

22 Vgl. Heike BOCK und Gesine CARL, Konversion 2. Christliche Konfessionen, in: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 6., Stuttgart [u. a.] 2007, Sp. 1174–1177, Sp. 1174–1175. 23 Vgl. Franz WIESBERGER, Bausteine zu einer soziologischen Theorie der Konversion. Soziokulturelle, interaktive und biographische Determinanten religiöser Konversionsprozesse, Berlin 1990, S. 9–10. 24 Vgl. Falk WAGNER, Bekehrung II. 16.–20. Jahrhundert, in: Theologische Realenzyklopädie. Bd. V, Berlin [u. a.] 1980, S. 469–480, S. 469.

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Selbstzeugnissen wiederum Rückschlüsse darauf zulässt, inwieweit sich der/die Konvertit(in)

als aktiv Forschende(r) oder aber als passives „Objekt“ der göttlichen Führung konzipiert.

Dieser Aspekt ist vor allem bei der Untersuchung von Mehrfachkonversionen von Bedeutung,

da ein(e) Mehrfachkonvertit(in) vor der Herausforderung stand, die erste, zunächst auf göttli-

che Einwirkung zurückgeführte Konversion nachträglich als eigene Fehlentscheidung darzu-

stellen, da andernfalls das Postulat der Unfehlbarkeit Gottes nicht mehr aufrechtzuerhalten

gewesen wäre.

Im 19. Jahrhundert ist eine klare Verschiebung hin zur Betonung des Prozesshaften und des

eigenen aktiven Anteils an der Konversion zu verzeichnen. Träume und Traumdeutungen, die

in den Konversionsberichten der Frühen Neuzeit immer wieder auftauchen, fehlen in denen

des 19. Jahrhunderts. Die eigenständige Suche und das Rationale der Konversion werden be-

tont, augustinische Erlebnisse werden hingegen weitgehend in Abrede gestellt. Das ist nur

zum Teil den klaren (kirchen-)rechtlichen Bedingungen für die Anerkennung von Konversio-

nen geschuldet. In den Personkonzepten dieser Konversionsberichte spielen Autonomie und

Selbstverantwortung eine wachsende Rolle.

Quellenauswahl

In einem zweiten Schritt mussten wir eine rigide Quellenauswahl treffen, da bislang keine

Bibliographie zu den Konversionsberichten existiert und die bibliographierten Texte zum Teil

mehrere hundert Seiten umfassen. Zudem sind selbst die publizierten Texte zum Teil schwer

zugänglich. Als Historikerinnen, die Selbstzeugnisse nicht nur textimmanent erforschen, ha-

ben wir bevorzugt Konversionsberichte untersucht, die öffentlich diskutiert wurden und für

die sich weitere Informationen zu dem Autor beziehungsweise der Autorin finden ließen. Aus

forschungsrelevanten, aber auch aus pragmatischen Gründen haben wir uns bald darauf be-

schränkt, gedruckte Konversionsberichte zu untersuchen, die innerchristliche Konversionen

ins Zentrum stellen. Denn während es inzwischen eine reiche und vielfältige Literatur zu jü-

disch-christlichen Konversionen gibt,25 ist erst seit wenigen Jahren ein verstärktes Interesse an

25 Für die Frühe Neuzeit: CARL (wie Anm. 5), Themenschwerpunkt: Juden – Christen – Juden-Christen. Konversionen in der Frühen Neuzeit, hg. v. Jutta BRADEN und Rotraud RIES, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 15, 2005, 2, S. 271–301; Elisheva CARLEBACH, Divided Souls. The convert critique and the culture of Ashkenaz, 1750–1800, New York 2003; Annekathrin HELBIG, Konversion 3, jüdische, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 6, Sp. 1177–1181; Martin JUNG, Die württembergische Kirche und die Juden in der Zeit des Pietismus (1685–1780), Berlin 1992; Judaeus conversus. Christlich-jüdische

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innerchristlichen Konversionsberichten in der Frühen Neuzeit zu verzeichnen.26 Innerchristli-

che Konversionen, die im 19. Jahrhundert stattfanden, wurden bislang erst in Ansätzen von

Konvertitenautobiographien des 18. Jahrhunderts, hg. v. Johannes GRAF, Frankfurt a. M. 1997. Für das 19. Jahrhundert: Jutta BRADEN, „So lange der Staat den Charakter eines christlichen noch beibehält [...]“. Das erfolglose Gesuch der Mathilde Grell um Aufnahme in das Judentum in Hamburg 1850, in: Aus den Quellen. Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte. Festschrift für Ina Lorenz zum 65. Geburtstag, hg. v. Andreas BRÄMER, Hamburg 2005, S. 267–275; Deborah HERTZ, Why did the Christian Gentleman Assault the Jüdischer Elegant? Four Conversion Stories from Berlin, 1816–1882, in: Yearbook Leo Baeck Institute 40, 1995, S. 85–106; DIES., Theilhaber's „Racial Suicide“ or Scholem's „Flight of the Avant-Garde“? Interpreting Conversion Rates in 19th Century Berlin, in: Preußens Himmel breitet seine Sterne [...]. Beiträge zur Kultur-, Politik- und Geistesgeschichte der Neuzeit. Festschrift zum 60. Geburtstag von Julius H. Schoeps, hg. v. Willi JASPER, Hildesheim [u. a.] 2002, S. 339–355; Anna L. STAUDACHER, Jüdische Konvertiten in Wien. 1782–1868, 2 Bde., Frankfurt a. M. [u. a.] 2002; DIES., …meldet den Austritt aus dem mosaischen Glauben. 180 000 Austritte aus dem Judentum in Wien, 1868–1914. Namen-Quellen-Daten, Frankfurt a. M. [u. a.] 2009; Klaus SCHMIDT, Andreas Gottschalk. Armenarzt und Pionier der Arbeiterbewegung. Jude und Protestant, Köln 2002. 26 Heike BOCK, Pfarrer und Mönche in Gewissensnot: Eidgenössische Geistliche zwischen den Konfessionen im 17. Jahrhundert, in: Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, hg. v. Ute LOTZ-HEUMANN, Jan-Friedrich MIßFELDER [u. a.], Gütersloh 2007, S. 353–392; DIES., Konversion: Motive, Argumente und Normen. Zur Selbstdarstellung von Proselyten in Zürcher Bittschriften des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Frühneuzeitliche Konfessionskulturen. 1. Nachwuchstagung des VRG Wittenberg 30.09.–02.10.2004, hg. v. Thomas KAUFMANN, Anselm SCHUBERT [u. a.], Gütersloh 2008, S. 153–174; DIES., Konversionen in der frühneu-zeitlichen Eidgenossenschaft: Zürich und Luzern im konfessionellen Vergleich, Luzern, Univ. Diss. 2007; BOCK, CARL (wie Anm. 22), Sp. 1174–1177; Gesine CARL, Catholic – Lutheran – Catholic: Strategies of Justification and Conceptions of the Self in the Conversion Narratives of Johannes Ferdinand Franz Weinberger (1687–90), in: The Medieval History Journal. Vol. 12, 2009, 2, July-S. 327–353; Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, hg. v. Ute

LOTZ-HEUMANN, Matthias POHLIG [u. a.] Gütersloh 2007; Religious Conversion in Medieval and Early Modern Societies: The Medieval History Journal 12, 2009, 2, s. dort auch die Ein-leitung von JUNEJA und SIEBENHÜNER, S. 169–189 und das darin enthaltene umfangreiche Literaturverzeichnis, S. 184–189; Gesine Carl: Mit dem Wanderstab durch die Wüste – Die Konversionserzählung Johannes Ignatius Wittibars (1701), [2009], in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen <https://www.konversionen.uni-hamburg.de>. – DIES., „Drumb Gönner! gönne mir die Milde deiner Gab'n...“ – Die Konversionserzählung Andreas Wangau-tzkys (1689) als Instrument der Lebenshilfe, [2009], in: Digitale Quellenedition Konversions-erzählungen, <https://www.konversionen.uni-hamburg.de>. – DIES, Katholik – Lutheraner – Katholik. Rechtfertigungsstrategien und Selbstentwürfe in den Konversionserzählungen von Johannes Ferdinand Franz Weinberger (1687/ 1690), [2009], in: Digitale Quellenedition Kon-versionserzählungen, <https://www.konversionen.uni-hamburg.de>. – DIES., „… von Gott wunderbahrer Weiß beruffen worden“ ‒ Die Konversionserzählung Joseph Jörgers (1710), [2009], in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen <https://www.konversionen.uni-hamburg.de>; DIES., „Aus der Verwirrung zu der Ordnung“ – Innerchristliche Konversionen in der Frühen Neuzeit als Grenzüberschreitung und Raumwechsel, in: Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 19), hg. v. Andreas

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Historiker(inne)n untersucht.27 Wir konzentrieren uns hier auf Selbstzeugnisse aus dem

deutschsprachigen Raum.28 Untersucht wurden für die Frühe Neuzeit die Schriften von ca. 40

BÄHR, Peter BURSCHEL [u. a.], Köln [u. a.] 2007, S. 219–235; Claudia ULBRICH, Person and Gender. The Memoirs of the Countess of Schwerin, in: German History 28, 2010, S. 296–309. Vgl. auch die Forschungsberichte von Jörg DEVENTER, Konversion und Konvertiten im Zeit-alter der Reformation und Konfessionalisierung. Stand und Perspektiven der Forschung, in: Aschkenas 15, 2005, S. 257–270; Angelika SCHASER, Inclusion et exclusion. La recherche sur les conversions religieuses en Allemagne à l’époque moderne, in: Religion ou confession. Un bilan franco-allemand sur l’époque moderne (XVIe-XVIIIe siècles), hg. v. Philippe BUTTGEN und Christophe DUHAMELLE, Millau 2010, S. 577–594. 27 Erste Arbeiten haben vorgelegt: Edith SAURER, Romantische KonvertitInnen. Religion und Identität in der Wiener Romantik, in: Paradoxien der Romantik. Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft in Wien im frühen 19. Jahrhundert, hg. v. Christian ASPALTER [u. a.], Wien 2006, S. 229–255; Kurt ALAND, Über den Glaubenswechsel in der Geschichte des Christen-tums, Berlin 1961; Christian HEIDRICH, Die Konvertiten. Über religiöse und politische Bekeh-rungen, München [u. a. ] 2002; Angelika SCHASER, Kulturkonflikte und Kulturtransfer am Beispiel von Konversionen zum Katholizismus im 19. Jahrhundert, in: Kulturtransfer und Kulturkonflikt, hg. v. Mark ARENHÖVEL, Maja RAZBOJNIKOVA-FRATEVA [u. a.], Dresden 2010, S. 106–122; DIES., Katholischer Propagandaprofessor an protestantischer Universität? Zur Konversion des Historikers Albert von Ruville (1909), [2008], in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen, https://www.konversionen.uni-hamburg.de. – DIES., Heimatlos in Zwischenwelten. Die Konversion der Frauenrechtlerin und Wissenschaftlerin Elisabeth Gnauck-Kühne zum Katholizismus (1900), [2008], in: Digitale Quellenedition Konversions-erzählungen, https://www.konversionen.uni-hamburg.de. – DIES., Konversionserzählung in Gedichten. Zur Konversion der „Sängerin des heiligsten Sakraments“ Cordula Wöhler (1870), [2015], in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen, https://www.konversionen.uni-hamburg.de. – DIES., Endstation „poetisches Heidentum“. Georg Friedrich Daumer als Su-chender (1858), [2008], in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen, https://www.konversionen.uni-hamburg.de. – DIES., „Glut im Herzen, Eis im Kopf“. Zur Konversion Ida Gräfin von Hahn-Hahn (1850), [2015], in: Digitale Quellenedition Konversi-onserzählungen, https://www.konversionen.uni-hamburg.de; DIES., Einsam auf der Suche nach der Wahrheit? Familie in (Auto-)Biographien von Konvertiten im langen 19. Jahrhun-dert, in: Familiengeschichten. Biographie und familiärer Kontext seit dem 18. Jahrhundert, hg. v. Christian von ZIMMERMANN und Nina von ZIMMERMANN, Frankfurt a. M. [u. a.] 2008, S. 245–268; DIES., La conversione al Cattolicesimo di Elisabeth Gnauck-Kühne all'inizio del Novecento, in: Genesis. Revista della Societá Italiana delle Storiche 6, 2007, S. 101–114; DIES. (wie Anm. 6), S. 1-3. Zu Frankreich: Frédéric GUGELOT, La conversion des intellectuels au catholicisme en France (1885–935), Paris 1998; La Conversion aux XIXe et XXe siècles, hg. v. Nadine-Josette CHALINE und Jean-Dominque DURAND, Artois 1996; Literaturwissen-schaftliche Untersuchungen von Konversionsberichten des 19. Jahrhunderts: Maria WOJTCZ-

AK, Aus zwei Glaubenswelten. Bekenntnisse konvertierter Autorinnen (1850–1918), Frank-furt a. M. [u. a.] 2006; Claude-Alexandre FOURNIER, 'Le récit de soi, la dimension religieuse et le dévoilement de l'identité', in: La conversion religieuse; Analyses psychologiques, anth-ropologiques et sociologiques, hg. v. Pierre-Yves BRANDT und Claude-Alexandre FOURNIER (dir.), Genève 2009, S. 101–124; Maria-Cristina PITASSI und Daniela Solfaroli CAMILLOCCI, Les modes de la conversion confessionnelle à l'époque moderne: autobiographie, altérité et construction des identités religieuses, Florence 2010. Wichtige Beiträge zu Konversionen zum

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Konvertiten, von denen 10 Konversionsfälle detaillierter ausgewertet wurden. Sofern Gegen-

schriften, Rezensionen oder andere ergänzende Quellen erschließbar waren, wurden diese in

die Analyse einbezogen. Dabei ließ sich nur eine Frau als Autorin ausfindig machen, deren

Konversionserzählungen sich für die Fragestellungen des Projekts als ergiebig erwiesen. Es

handelt sich um die Mehrfachkonvertitin Martha Elisabeth Zitter, die im Januar 1678 aus dem

Ursulinenkloster in Erfurt flüchtete und in Gotha zum lutherischen Glauben übertrat, diesen

Schritt jedoch schon wenig später bereute und im Juni desselben Jahres in Bamberg zum Ka-

tholizismus zurückkehrte. Die anderen Quellen wurden von Männern verfasst, die nach eige-

ner Aussage überwiegend aus höheren sozialen Schichten stammten und eine sorgfältige

Schul- und meist auch Universitätsausbildung genossen hatten. Das am häufigsten genannte

Studienfach ist die Theologie. Der einzige Autor, der sich explizit als „unstudirt“ bezeichnet,

ist der Buchbinder Johann Georg Obitz.29 Viele der Autoren, die zu einer protestantischen

Konfession übertraten, waren vor der Konversion als Ordensgeistliche tätig oder übten außer-

halb einer Klostergemeinschaft das Priesteramt aus. Sofern in den Quellen überhaupt von fa-

miliären Beziehungen die Rede ist, wird lediglich die Herkunftsfamilie erwähnt, was darauf

schließen lässt, dass die meisten Autoren zum Zeitpunkt des Konfessionswechsels ledig wa-

ren. Auch in den Schriften der Konvertiten, die katholisch wurden, finden sich keinerlei Hin-

weise auf eigene Familiengründungen.

Fünf dieser Autoren (Johannes Höfer, Joseph Jörger, Johann Elers, Johann Georg Obitz und

Karl Georg Weiß/Albus) traten zwischen 1630 und 1782 zum Katholizismus über, drei von

ihnen (Andreas Wangautzky, Johannes Ignatius Wittibar und Johannes Georg Stauffer) nah-

men zwischen 1685 und um 1730 den lutherischen Glauben an.30 Johannes Ferdinand Franz

Islam in Deutschland hat Monika Wohlrab-Sahr geliefert: Monika WOHLRAB-SAHR, Konver-sion zum Islam in Deutschland und den USA, Frankfurt a. M. [u. a.] 1999. 28 Bei der Bezeichnung der Konvertiten richten wir uns nach der jeweiligen Zielkonfession, d. h. unter „katholischen“ und „protestantischen“ Konvertiten werden Personen verstanden, die zum Katholizismus bzw. zum Protestantismus übertraten. 29 Johann Georg OBITZ, Der aufrichtige und überzeugte Convertit, Johann Georg Obitz, Hochfürstlich-Bischöflicher und Domkapitlischer Buchbinder in Augsburg, Augsburg 1787, S. 5. 30 Stauffer gibt den Zeitpunkt seiner Konversion nicht an; eine seiner beiden Konversionserzählungen erschien im Jahr 1734, wobei jedoch nicht erschließbar ist, wie lange der Übertritt damals bereits zurücklag (Johannes Georg STAUFFER, Labyrinthus; Oder: Irr-Garten Päbstischer Lehre, Aus welchem so viele Verirrte und im Finstern herum Wandelnde, ohne Erkänntniß derselben, und Erleuchtung Göttlichen Wortes, nicht können geführet werden, Wurde Allen resp. Hoch- und Geehrtesten Maecenaten, Hrn. und Gönnern Wie auch Allen Bekennern Evangelischer Wahrheit / Zur gütigen und liebreichen Aufnahme /

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Weinberger ist, ebenso wie Zitter, zu den Mehrfachkonvertiten zu zählen – er trat zunächst

1687 vom Katholizismus zum Luthertum über und machte diesen Schritt etwa ein Jahr später

wieder rückgängig.

Etwas anders stellt sich die Situation für die Quellenauswahl zum 19. Jahrhundert dar. Im

Mittelpunkt der Untersuchung für das 19. Jahrhundert stehen 13 Konversionsberichte von

Personen, die zwischen 1827 und 1910 zum Katholizismus konvertierten (neun Männer, drei

Frauen) und sieben Berichte von männlichen Konvertiten, die zwischen 1823 und 1895 vom

Katholizismus zum Protestantismus konvertierten.31 Auch hier ist die überwiegende Zahl der

In schuldigster Ehrerbietung und Demuth vorgestellet von Dero Allerseits unterthänigst-demüthigsten Knecht / Johanne Georgio Stauffero, Vormahligen Dominicaner-Mönchen, o. O. 1734). 31 Katholische Konvertiten: Joseph Probst (1803–1882, Konv. 1827, Schrift: Ueber Protestantismus und Katholizismus oder Darlegung der Gründe, die einen Protestanten bewogen, zur katholischen Kirche zurückzukehren. In drei Briefen von J. Probst. Speyer 1827); Johann Georg Eßlinger (1790–1837), Konv. 1831, Schrift: Der Mensch denkt, Gott lenkt. Oder : Zuschrift an den E. Kirchenrath Zürich’s um ihm meinen bevorstehenden Uebertritt zur katholischen Kirche anzuzeigen von G. Eßlinger gew. protestantischer Feldprediger des 1sten Schweizer- oder 7ten Infanterie-Regiments der königl. franz. Ex-Garde. Mit einer Zueignung und zwey Beylagen. 1831). Friedrich Emanuel Hurter (1787–1865, Konv. 1844, Schrift: Friedrich HURTER, Geburt und Wiedergeburt. Erinnerungen aus meinem Leben. 3 Bde., Schaffhausen 1845), Albert Hetsch (1812–1876, Konv. 1847. Schrift: Der Konvertit Albert Hetsch auf seinem Entwicklungsgang vom Pantheismus zum Lichte der Wahrheit. Freiburg 1886. Übers. aus dem Franz. / mit einer Einl. von Bischof Perraud von Autun); Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805–1880; Konv. 1850, Schrift: Ida von HAHN-HAHN: Von Babylon nach Jerusalem, Mainz 1851); Wilhelm Werner Gustav Volk (1804–1869, Konv. 1855 , pseud. Ludwig Clarus, Schrift: Simeon. Wanderungen und Heimkehr eines christlichen Forschers von Ludwig Clarus, 3 Bde., Schaffhausen 1862–63); Caroline Volk, geb. Hausbrand († 16.11.1858, Konv. 1855, Schrift: Aus dem Leben einer Konvertitin. Mitgetheilt von Ludwig Clarus. Schaffhausen 1859); Georg Friedrich Daumer (1800–1875, Konv. 1858, Schrift: Georg Friedrich DAUMER, Meine Conversion, Mainz 1859); Reinhold Baumstark (1831–1900, Konv. 1869) und Hermann Baumstark (1839–1879, Konv. 1870, Schrift: Unsere Wege zur katholischen Kirche. Von Reinhold Baumstark und Hermann Baumstark, Freiburg 1870); Cordula Wöhler (1845-?, Konv. 1870, Schrift: Cordula PEREGRINA, Aus Lebens Liebe, Lust und Leid, ein Pilgersang zur Abendzeit, Innsbruck 1898). Elisabeth Gnauck-Kühne (1850–1917, Konv. 1900) Schrift: http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/konversionen/konversionserzaehlungen/ordner_gnauckkuehne/index.html, [2008], Albert von Ruville (1855–1934, Konv. 1909, Schrift: Albert VON RUVILLE, Zurück zur heiligen Kirche. Erlebnisse und Erkenntnisse eines Convertiten, Berlin 1910). Protestantische Konvertiten: Aloys Henhöfer (1789–1862, Konv. 1823, Schrift: Christliches Glaubensbekenntniß des Pfarrers Henhöfers von Mühlhausen: seiner Gemeinde und seinen ehemaligen Zuhörern und Freunden gewidmet, Heidelberg 1823). Heinrich König (1790–1869, Konv. 1836, Schrift: Heinrich KÖNIG, Auch eine Jugend. Erinnerungen und Bekenntnisse, Leipzig 1861; Heinrich KÖNIG, Ein Stillleben. Erinnerungen und Bekenntnisse. In zwei Theilen, Brockhaus 1861); Eduard Josef Köhler (?–1866, Konv. 1857, Schrift: Eduard

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ausgewählten, gedruckten Konversionsberichte von Männern geschrieben worden und bei den

protestantischen Konvertiten dominieren die unverheirateten, ehemaligen katholischen Geist-

lichen (Jean-Baptiste Corneloup, Aloys Henhöfer, Graf Paul von Hoensbroech, Leopold von

Sedlnitzky). Zwei weitere stammen aus dem Bildungsbürgertum und verdienten ihren Le-

bensunterhalt als Schriftsteller und Gerichtssekretär (Heinrich König) sowie als Kunsthistori-

ker (Anton Springer).

Unter den katholischen Konvertiten findet sich dagegen eine breitere berufliche und soziale

Differenzierung. Hier finden sich neben ehemaligen evangelischen Pfarrern (Johann Georg

Eßlinger, Friedrich Emanuel Hurter), ein Lehrer (Joseph Probst), ein Arzt (Albert Hetsch),

bürgerliche Schriftsteller und eine adelige Schriftstellerin (Ida von Hahn-Hahn). Die männli-

chen Schriftsteller kombinierten ihre Publikationstätigkeit meist mit anderen Erwerbstätigkei-

ten. So war Georg Friedrich Daumer Schriftsteller und Pädagoge, Wilhelm Werner Gustav

Volk verdiente seinen Lebensunterhalt weitgehend als Jurist und Geheimer Regierungsrat,

Reinhold Baumstark arbeitete ebenfalls als Jurist und Landgerichtspräsident. Albert von Ru-

ville arbeitete als Historiker und Cordula Wöhler, die aus einer Pfarrers-Familie stammte, war

als Magd, Haushälterin und Erzieherin tätig. Caroline Volk verfasste als Ehefrau und Haus-

frau ihren Konversionsbericht für ihren Mann, der diesen nach ihrem Tod kommentiert und

redigiert herausgab.32 Dazu kommen Gegenschriften, Berichte und Kommentare zu den Kon-

versionen sowie Konversionsberichte weiterer Konvertiten, die sich aus verschiedenen Grün-

den als nicht so ergiebig erwiesen haben wie die 19 im Mittelpunkt stehenden. Die ausge-

wählten Konvertiten publizierten umfangreich, drei von ihnen (Ida von Hahn-Hahn, Georg

Friedrich Daumer, Albert von Ruville) verdienten ihren Lebensunterhalt überwiegend als

Schriftsteller. Vier der Konvertiten waren Adelige (Ida Gräfin von Hahn-Hahn, Albert von

Ruville, Leopold von Sedlnitzky, Graf Paul von Hoensbroech), die meisten stammten, soweit

bekannt, aus bürgerlichen Familien: Hurter war Angehöriger des Schaffhauser Stadtpatriziats,

Joseph KÖHLER, Erinnerungen eines ehemaligen Jesuitenzöglings. 2 Bde., Leipzig 1862); Leopold v. Sedlnitzky (1787–1871, Konv. 1863, Schrift: Selbstbiographie des Grafen Leopold Sedlnitzky von Choltitz. Fürstbischofs von Breslau. Nach seinem Tode aus seinen Papieren herausgegeben. Mit Aktenstücken. Berlin 1872); Anton Springer (1825–1891, Konv. 1872 oder 1873, Schrift (vom Sohn herausgegeben): Anton SPRINGER, Aus meinem Leben. Mit Beitr. von Gustav Freytag und Hubert Janitschek, Berlin 1892); Graf Paul von Hoensbroech (1853–1925, Konv. 1895, Paul VON HOENSBROECH, Mein Austritt aus dem Jesuitenorden, Berlin 1893); Jean-Baptiste Corneloup (1865–1909, Konv. vermutl. 1895, Schrift: Jean-Baptiste CORNELOUP, Mein Übertritt. Bekenntnisse eines ehemaligen Ordenspriesters, Leipzig 1901). 32 CLARUS, Leben einer Konvertitin (wie Anm. 21).

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Volk Vertreter des Erfurter Bildungsbürgertums, Daumers Vater arbeitete als Kürschnermeis-

ter und Geschäftsmann in Nürnberg, Cordula Wöhlers Vater amtierte als evangelisch-

protestantischer Pfarrer, von Ruvilles Vater war preußischer Generalmajor.

Unsere Projekte sind als Grundlagenforschung zu verstehen, die wir als Sonden nutzen, um

ein großes, weitgehend unbekanntes Terrain zu erkunden. Wir präsentieren hier erste Ergeb-

nisse, die auf einer Auswahl von Konversionsberichten aus dem deutschen Sprachraum beru-

hen. Sowohl in der Frühen Neuzeit wie auch im 19. Jahrhundert intendierten Konversionsbe-

richte, die der gelehrten Welt beziehungsweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wur-

den, eine apologetische und eine Exemplum-Funktion. Inwieweit die Konversion der hier

behandelten frühneuzeitlichen Autor(inn)en beziehungsweise die Art ihrer Begründung tat-

sächlich eine vorbildhafte Wirkung entfaltete, bleibt aufgrund der Quellenlage meist offen;

lediglich aus der Konversionserzählung Jörgers geht explizit hervor, dass zwei seiner Schwes-

tern seinem Beispiel folgten. Im 19. Jahrhundert hingegen wurden zumindest Argumente und

Motive aus den oft in hohen Auflagen erschienenen Berichten und den weit verbreiteten An-

thologien nachweislich von unbekannten Konvertiten und Konvertitinnen übernommen, wenn

sie ihren Übertritt oder ihren Wunsch nach Übertritt vor kirchlichen oder weltlichen Instanzen

anzeigten.

1. Konversionserzählungen als Selbstzeugnisse gelesen

Um Konversionserzählungen als Selbstzeugnisse lesen zu können, wurden von uns gedruckte

Konversionserzählungen in den Mittelpunkt unserer Untersuchungen gestellt, in denen auto-

biographische Informationen zu dem Konvertiten/der Konvertitin zu finden waren. Dabei ist

zu berücksichtigen, dass diese publizierten Texte in höherem Maße von (Selbst-)Zensur ge-

prägt sein dürften, als dies bei ungedruckten Konversionserzählungen der Fall ist. Die Quellen

geben also vermutlich in erster Linie Aufschluss darüber, welches Personkonzept die Schrei-

benden nach außen vermitteln wollten: an eine Leserschaft, die sie erst noch von ihrer Auf-

richtigkeit und Vertrauenswürdigkeit überzeugen mussten. In dieser Schreibsituation wäre

beispielsweise die Erwähnung weltlicher Konversionsmotive kontraproduktiv gewesen, so

dass man zusätzliches Quellenmaterial heranziehen muss, um über derartige Motive Auf-

schluss zu bekommen.

Die im Rahmen dieser Forschungsprojekte ausgewerteten Konversionsberichte sind von un-

terschiedlicher Länge (von ca. 6 bis 2.500 Seiten), und bestehen in der Regel aus sehr vielfäl-

tigen Textteilen und -sorten (Vorwort des Herausgebers, des Autors/der Autorin und/oder

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eines Geistlichen, Widmung, Einleitung, Inhaltsverzeichnis, Texte mit und ohne Anmerkun-

gen, Korrespondenzen, Gedichte, eigene Nachdichtungen von Kirchenliedern, Predigttexte,

Anhänge, Anzeigen des Verlags). Da viele Konvertit(inn)en auch direkt oder indirekt aus

Schriften zu ihrer Konversion und Rezensionen zu ihren vor und/oder nach der Konversion

veröffentlichten Texten zitierten, liefern diese Texte oft auch biographische Informationen aus

fremder Feder, die zumeist von den Konvertit(inn)en in ihren Konversionsberichten nicht nur

dokumentiert, sondern auch kommentiert wurden. Über diese Angaben hinaus können auch

aus den Bemerkungen zu den Schreibsituationen, aus den Formen und Praktiken des Schrei-

bens sowie aus den expliziten oder impliziten Funktionen der Publikation dieser Konversi-

onsberichte Schlüsse für das Personkonzept der Konvertiten gezogen werden.

Zu Schreibsituationen von Konvertiten

Die Schreibsituationen von Konvertiten sind sehr unterschiedlich, so dass weder über Anlass,

Motive, Raum und Zeit noch Lebensalter und -situation verallgemeinernde Schlussfolgerun-

gen gezogen werden können. Einige Charakteristika, die im Folgenden erläutert werden sol-

len, treffen jedoch auf mehrere der frühneuzeitlichen Quellen zu: So ist bei der Auswertung

frühneuzeitlicher Konversionserzählungen etwa zu beachten, dass Schreib- und Publikations-

situation nicht immer identisch sind: Mehrere Autoren erwähnen, dass sie die Geschichte ih-

rer Konversion zunächst nur für sich selbst oder für bestimmte Adressaten in ihrer Familie

geschrieben hätten und die Veröffentlichung erst später, auf Bitten beziehungsweise Auffor-

derungen von außen, zustande gekommen sei. Joseph Jörger beispielsweise nennt als Auslö-

ser für die Publikation die Bitten seiner beiden Schwestern, die sich nach der Lektüre seiner

Motiva ebenfalls für den katholischen Glauben entschieden hatten und daraufhin den Wunsch

äußerten, dass er diese Aufzeichnungen durch den Druck auch anderen zugänglich machen

möge.33 Zudem bestehen einige dieser Quellen aus mehreren selbständigen Textteilen, die

33 Joseph JÖRGER, Motiva, Oder Haubt-Ursachen / Welche mich bewogen / Die Lutherische Sect in meinen vorigen jungen Jahren zu verlassen / und den allein seeligmachenden Catholischen Glauben anzunehmen; Zu welchen von Gott wunderbahrer Weiß beruffen worden / und mit Hindannsetzung aller weltlichen Ehr und Hochheit / den geistlichen Ordens-Stand erwöhlt habe. Auff viler Verlangen an Tag geben Von Josepho Jörger / Deß heiligen Cistercienser-Ordens in dem Fürstlichen Stifft und Closter Lilienfeld Capitularen / und der Zeit Administratoren zu Bergau. Gedruckt zu Wienn / Bey Johann Jacob Kürner einem Löbl. Ni. Oe. Landschafft Buchdrucker / im Jahr 1719, Dedicatio. (Die Seitenzählung beginnt erst mit der Vorrede.) Jörger war bereits um 1670 zum Katholizismus übergetreten, hatte eine Veröffentlichung der Beweggründe seines Glaubenswechsels jedoch offenbar zunächst nicht

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häufig zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschrieben wurden und sich an verschiedene Adres-

saten richteten.

Ein großer zeitlicher Abstand zwischen dem Konfessionswechsel und der Publikation der

Konversionserzählung ist häufig ein Indiz dafür, dass der Rechtfertigungsdruck für den

Schreibenden geringer war, da er sich in seinem neuen Lebensumfeld inzwischen etabliert

hatte und sich vor den Angehörigen der gewählten Konfession nicht mehr unmittelbar bewei-

sen musste. Der Konversionsbericht von Johann Georg Obitz, der erst Jahrzehnte nach seinem

Übertritt zum Katholizismus erschien, stellt hier jedoch ein Gegenbeispiel dar: Obitz spricht

explizit davon, dass „gelehrte und ungelehrte Lutheraner“ wiederholt „Einwürfe“ gegen die

Beweggründe seiner Konversion erhoben hätten, deren Widerlegung er daher seiner Schrift

hinzufügt, ohne jedoch nähere Angaben über diese Kontroverse zu machen.34

Unter den Konvertiten des 19. Jahrhunderts sind auch Schriftsteller(innen) und Gelehrte zu

finden, die die Publikation ihres Konversionsberichts professionell geplant haben müssen, so

dass diese kurz nach der erfolgten Konversion oft in mehreren Auflagen erscheinen konnten

(Konversionen zum Katholizismus von Friedrich Hurter, Ida von Hahn-Hahn und Albert von

Ruville).35 Wilhelm Werner Gustav Volk erklärte autobiographische Schriften, die er vor sei-

ner Konversion veröffentlicht hatte, zu einem Teil seines Konversionsberichts und beschäftig-

te sich so über Jahrzehnte in vier umfangreichen Publikationen mit seiner Konversion. Andere

Konversionsberichte wurden erst nach dem Tod der Konvertiten veröffentlicht, wie etwa die

Selbstbiographie des 1871 gestorbenen Leopold von Sedlnitzky, des ehemaligen katholischen

Bischofs von Breslau, die 1872 und damit neun Jahre nach seiner Konversion veröffentlicht

wurde.

Gemeinsam ist den Schriften der apologetische Charakter: Wer konvertierte, stand vor der

Herausforderung, seinen Glaubenswechsel plausibel zu begründen und dabei deutlich zu ma-

chen, dass es bei der Konversion ausschließlich um die Annahme der „wahren“ Religion und

intendiert. 34 OBITZ (wie Anm. 28), S. 62–63. Obitz war bereits 1733 in Ingolstadt zum Katholizismus konvertiert; sein Konversionsbericht erschien erstmals 1774. 35 „Geburt und Wiedergeburt“ von Friedrich Hurter erreichte bis 1867 vier Auflagen. „Von Babylon nach Jerusalem“ von Ida Gräfin Hahn-Hahn erschien 1851 bereits in zweiter Auflage, dann als Bd. 31 einer Ausgabe „Gesammelte Werke“, Regensburg 1904. Innerhalb der Sammlung Deutsche Literatur von Frauen von Catharina von Greiffenberg bis Franziska von Reventlow, hg. v. Mark LEHMSTEDT, Frankfurt a. M. 2005 und 2007 (Berlin) in einer auf 115 Seiten gekürzten Ausgabe. Der Konversionsbericht von Albert von Ruville erreichte im Erscheinungsjahr 1910 bereits 28 Auflagen und 1916 (Bonn) eine weitere Titelauflage.

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die Sicherung des Seelenheils gegangen war, während Aufstiegsambitionen oder andere welt-

liche Motive in den Texten keine Rolle spielten. Der Übertritt wurde mit den dogmatischen

Differenzen der beiden Kirchen begründet und in der Regel nicht mit moralischen oder psy-

chologischen Entwicklungen. Dieser „Beweiszwang“ bestand in der Frühen Neuzeit offenbar

gegenüber bis zu fünf Adressaten(gruppen): Ein Konvertit musste seinen Schritt in jedem

Falle vor den Angehörigen seiner neuen Glaubensgemeinschaft rechtfertigen, um dort als

vollgültiges Mitglied akzeptiert und integriert zu werden – die apologetische Funktion der

Konversionserzählung stellte also keineswegs einen Selbstzweck dar, sondern war für die

weitere Lebensgestaltung nach dem Konfessionswechsel von entscheidender Bedeutung. Als

besonders wichtige Adressaten innerhalb dieser Gruppe erweisen sich häufig Landesherren

oder einflussreiche Geistliche, die der Konvertit in einer Widmung explizit anspricht, um

ihnen für ihre Unterstützung zu danken und/oder sie um weitere Förderung zu bitten: durch

finanzielle Zuwendungen und vor allem durch Hilfe bei der Erschließung neuer Arbeitsmög-

lichkeiten. Diese potentiellen Förderer waren vor allem für Konvertiten zum Protestantismus

als Adressaten von großer Bedeutung, da diese in jedem Fall vor der Herausforderung stan-

den, sich beruflich neu zu etablieren, während einem Konvertiten zum Katholizismus zumin-

dest theoretisch die Option offen stand, in einer Ordensgemeinschaft ein soziales Netzwerk zu

finden, das seinen Lebensunterhalt fortan absicherte. Hinzu kam oftmals die Intention, auch

die Angehörigen der Herkunftskonfession zu überzeugen und sie möglichst sogar zu veranlas-

sen, dem eigenen Beispiel zu folgen.

Bei einer Mehrfachkonversion hingegen stellte sich die Aufgabe, die Mitglieder der zeitweilig

verlassenen Konfession um Verzeihung zu bitten und sich vor ihnen für den eigenen „Fehl-

tritt“ möglichst überzeugend zu rechtfertigen. Zitter richtet sich dabei nach ihrer Rückkehr

zum Katholizismus nicht nur an ihre Mutter, sondern explizit auch an ihre frühere Klosterge-

meinschaft im Erfurter Konvent der Ursulinen, um, wie es im Titel ihrer Rekonversionsschrift

heißt, die „Ehr“ des von ihr „höchstbeleidigten Gottseeligen […] Ordens“ wiederherzustel-

len.36 Andere Konvertiten sind als intendierte Adressaten nur bei Obitz nachzuweisen, doch

36 Der Titel dieser Schrift lautet vollständig: Martha Elisabeth ZITTER, Gründliche Vorstellung Der Heiligen Römisch-Catholischen Lehr von dem Geistlichen Stand / und dessen Gelübden; Verdienst der guten Werck; Anruffung der Heiligen; Ablaß; Beicht; Fegfewer; und Hochheiligstem Sacrament deß Altars: Oder Aufferwachtes Gewissen und Wahrhaffte Ursachen Welche mich Schwester Marthen Elisabeth von JESU bewogen Von dem Lutherthumb und Hof-Leben Zu der H. Catholischen Kirchen under die Clösterliche Zucht widerumb zuruck zu tretten. In einem Schreiben an meine liebe Mutter Frau Mariam

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auch gegenüber dieser Gruppe musste man auf eine lückenlose “Beweisführung“‘ bedacht

sein, denn wer im Verdacht stand, aus rein weltlichen Gründen konvertiert zu sein, drohte

durch sein Negativbeispiel den Ruf aller Konvertiten zu schädigen. Darüber hinaus lassen

viele frühneuzeitliche Konversionserzählungen ein Bedürfnis nach Rechtfertigung und Ver-

pflichtung des Autors gegenüber sich selbst und vor Gott erkennen.

Grosso modo gilt dies auch für die Konversionsberichte des 19. Jahrhunderts, mit der Ände-

rung, dass die Familie in der Regel nicht mehr als Adressatengruppe genannt wurde und die

Konvertiten sich in diesen Schriften allgemein an die Leserschaft wandten, um sich damit in

die Welt der gebildeten Elite einzuschreiben. Daumer, von Ruville und Volk sprachen explizit

auch Gelehrte an und verstanden ihre Texte als Beiträge zum wissenschaftlichen Diskurs. Ob

man daraus allerdings den Schluss ziehen kann, dass die Familie als sozio-ökonomische

Gruppe innerhalb der Gesellschaft im 19. Jahrhundert zugunsten anderer Einheiten an Bedeu-

tung verlor, scheint fraglich. Festgestellt werden kann, dass die Konvertit(inne)en, die eine

eigene Familie hatten, diese zum großen Teil bewusst aus ihren Konversionserzählungen aus-

blendeten (von Hahn-Hahn, von Ruville). Die eigene Familie findet in der Regel nur dann

Erwähnung, wenn der Konversionsbericht in eine autobiographische Darstellung nach her-

kömmlichen Mustern eingebettet wird. Dies ist zum Beispiel bei Volk der Fall, dessen Orien-

tierung an Goethes Wilhelm Meister schon an den Titeln zweier Bände seiner autobiographi-

Margaretham vormahls Zitterin / anjetzo H. Obristen Lieutenants Johann Hübners gewesenen Hochfürstl: Bamberg: Commendantens in Cronach Eheliebste / etc. etc. Zu schuldigster Rettung der Ehr deß von mir höchstbeleidigten Gottseeligen Ursuliner Ordens; und zu Christlicher Bekantnuß deß allein seeligmachenden Catholischen Glaubens / reumüthigst angezeigt. In Verlegung Johann Eliae Höffling / Bibliop. Academ. Getruckt zu Bamberg / In der Hochfürstl: Truckerey / durch Johann Jacob Immel. Im Jahr 1678. Zitter kehrte nach ihrer Rekonversion in die Ordensgemeinschaft zurück, lebte aber fortan in einem anderen Konvent in Kitzingen. Vgl. Hieronymus BRÜCKNER: Gründliche Widerlegung der angegebenen Ursachen / Welche Jungfer Marthen Elisabeth Zitterin / jetzo Nonne des Ursuliner Klosters zu Kitzingen in Francken am Mayn / unter dem Namen von JESU / bewogen haben sollen / Die Evangelische Religion / und den Fürstl. Sächs. Hof zum Friedenstein / zu welchen Sie vorher / auf ihre darzu genommene Zuflucht / aufgenommen worden / wieder zu verlassen. Darinnen die Päbstischen Lehren von dem Kloster-Stande / und dessen dreyen Gelübden; ingleichen von der Rechtfertigung durch Wercke; Anruffung verstorbener Heiligen; Ablaß; Fegfeuer; Gebrauch des H. Abendmahls unter einer Gestalt; und Unfehlbarkeit der Römischen Kirchen und deren Oberhaupts / des Pabsts zu Rom examiniret werden / Zur Ehre Gottes / und der werthen Posterität zur Nachricht aufgesetzet und herausgegeben von Hieronymo Brücknern / J. U. L. Lehn-Secretario daselbst / Cum Consensu Superiorum. Gotha / In Verlegung Salomon Reyhers / Gedruckt bey Christoph Reyhern Anno 1679.

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schen „Religionsbiographie“ deutlich wird: Glaubenslehrjahre eines im Protestantismus er-

zogenen Christen37 und Simeon. Wanderungen und Heimkehr eines christlichen Forschers.

Wie hoch der Rechtfertigungsdruck war, wird auch daran ersichtlich, dass viele Konvertiten

als Reaktion auf Gegenschriften weitere Publikationen folgen ließen, in denen sie sich um

eine akribische Widerlegung aller Kritikpunkte bemühten. Die Vorwürfe einfach unkommen-

tiert stehen zu lassen, war anscheinend keine denkbare Handlungsoption.

Im Falle einer Mehrfachkonversion erlangte die Selbstrechtfertigung einen besonderen Stel-

lenwert und wurde zugleich zu einem fast unerreichbaren Ziel, da man bei der Widerlegung

der eigenen früheren Konversionserzählung auch plausibel machen musste, wie es zu der da-

maligen Fehlentscheidung überhaupt kommen konnte, ohne dabei den Eindruck zu erwecken,

ein wankelmütiger, oberflächlicher Mensch zu sein, der zu undurchdachten Handlungen neigt.

Die intendierten Adressaten der Konversionserzählungen sind für die Erforschung der Per-

sonkonzepte von Konvertiten in zweifacher Hinsicht relevant: Zum einen lässt die Wahl der

Adressaten Rückschlüsse darauf zu, in welchen sozialen Zugehörigkeiten sich die Konvertiten

sahen beziehungsweise welche Zugehörigkeiten sie anstrebten. Zum anderen bewirkt das Ne-

beneinander mehrerer Adressaten mit unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen Erwar-

tungshaltungen, dass die Konvertiten im Verlauf ihrer Konversionserzählung verschiedene

Komponenten ihres Personkonzepts akzentuieren, wobei zum Teil auch Spannungen oder

Brüche erkennbar werden.

Die angestrebte Zugehörigkeit zur neuen Konfession war nicht ausschließlich religiöser Na-

tur, sondern besaß auch eine unmittelbar lebenspraktische Komponente, da ohne eine berufli-

che Perspektive keine dauerhafte Etablierung in der neuen sozialen Umgebung möglich war.

Diese Notwendigkeit der beruflichen Neuverortung bestand insbesondere bei jenen Konverti-

ten, die vor ihrem Glaubenswechsel Pfarrer oder Ordensgeistliche gewesen waren und damit

eine Tätigkeit ausgeübt hatten, die an eine bestimmte Konfessionszugehörigkeit gebunden

war. Um sich andere Perspektiven zu eröffnen, konzipieren sich diese Autoren in ihren Kon-

versionserzählungen als umfassend gebildete Theologen, die es würdig sind, auch im neuen

konfessionellen Umfeld eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen.

Gegenüber der Herkunftskonfession wird häufig ein Konflikt zwischen notwendiger Abgren-

zung und dem weiterhin bestehenden Wunsch nach Zugehörigkeit erkennbar, den einige

Konvertiten dahingehend aufzulösen suchen, dass sie zwischen „Sache“ und „Person“ trennen

37 [Gustav Wilhelm Volk]: Glaubenslehrjahre eines im Protestantismus erzogenen Christen, Münster 1852.

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oder, wie Volk, immer wieder an das Katholische im Protestantismus erinnerten.38 Sie lehnen

also die Glaubenslehren dieser Konfession ab, ohne jedoch deren Anhänger pauschal zu ver-

urteilen und ihnen ihre menschlichen Qualitäten abzusprechen. Eine vollständige Überwin-

dung dieses Dilemmas war allerdings nur dann denkbar, wenn sich die früheren Bezugsperso-

nen ebenfalls zur „Rückkehr zur katholischen Kirche“ entschlossen und damit eine erneute

Gemeinschaft auf der anderen Seite der konfessionellen Grenze ermöglichten. Um dieses Ziel

zu erreichen, richten in der Frühen Neuzeit mehrere Autoren an ihre Herkunftsfamilien expli-

zite Bekehrungsappelle. Im 19. Jahrhundert forderten die Autoren von Konversionsberichten

die Leserschaft auf, ihre Argumentation nachzuvollziehen und damit zumindest nach der Lek-

türe ihre Entscheidung zu akzeptieren, wenn sie (noch) nicht zur Konversion bereit sein soll-

ten.

Das Bemühen um (neue) soziale Bezüge konnte in der Frühen Neuzeit wiederum im Kon-flikt

mit der Betonung der eigenen Weltabgewandtheit und Jenseitsorientierung stehen, die ebenso

unverzichtbar war, um sich gegen den Vorwurf abzusichern, aus nicht-religiösen Gründen

konvertiert zu sein. Beispielsweise betont Jörger schon im Titel seiner Konversionserzählung,

dass er nach dem Übertritt zum Katholizismus bewusst auf „alle weltliche Ehr und Hochheit“

verzichtet und sich für ein bescheidenes Leben im Zisterzienserorden entschieden habe. Zu-

gleich stellte die Akzentuierung der Beziehung zu Gott jedoch auch einen Weg dar, um sich

schreibend darüber hinwegzutrösten, dass frühere Zugehörigkeiten durch den Konfessions-

wechsel beeinträchtigt oder zerstört worden waren und der Zugang zum neuen Lebensumfeld

nur eingeschränkt und unter Schwierigkeiten möglich war. Das folgende Zitat aus der Kon-

versionserzählung Wittibars, der sich hier explizit an Gott richtet, möge als Beispiel dienen:

„Auf dich stehet all mein Sinn / hier bin ich gantz verlassen / Meine Freunde thun mich has-

sen / sie thun nicht wie vor hin.“39 Der Abbruch sozialer Beziehungen wird dabei häufig als

38 So z.B. bei der Beschreibung der Herrnhuter Brüdergemeine in: CLARUS, Simeon (wie Anm. 31), Bd. 3, S. 289–292. 39 Johannes Ignatius WITTIBAR, Geistlicher Wander-Staab / Welcher mich von vielen gefährlichen Wegen / sonderlich von dem breiten Papistischen Irr-Wege zu dem zwar sehr kleinen Wege / welcher durch Distel und Dorn / das ist: durch Trübsahl / Creutz / Armuth / und Noth / zur Seligkeit führet / die wahre Luther- und Evangelische Lehre so weit begleitet / und dem geneigten Leser in Christo durch dieses kleine / von mir erdichtes andächtig / und geistliches Liedlein meinen Stand an Tag zu geben / und in aller Demuth vorgestellet. Sammt einer kleinen beygefügten Passions-Rede von dem schmertzhafften / und an dem Trost-losen Oelberg in dem traurigen Blut-Bad Schwimmenden JESU. Durch Johannem Ignatium Wittibar, Converso Franciscanum minorum Conventualium. Gedruckt / im Jahr Christi / 1701, S. 6. Wittibar macht über Ort und Zeitpunkt seiner Konversion zum lutherischen

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notwendiger Preis für die Erlangung der Seligkeit dargestellt, für den man durch die unmittel-

bare Zugehörigkeit zu Gott mehr als entschädigt wird.

Für diejenigen Konvertit(inne)en, die zum Katholizismus übertraten, konnte der Eintritt in

einen Orden einen Weg darstellen, um den Wunsch nach neuen sozialen Zugehörigkeiten mit

dem Streben nach Weltabgewandtheit in Einklang zu bringen. Die Klostergemeinschaft ge-

wann als neue Bezugsgruppe häufig eine große Bedeutung. Bei der Annahme einer protestan-

tischen Konfession gab es eine derartige Möglichkeit nicht – und gerade für die Autor(inn)en,

die vorher einem Orden angehört hatten und an das Leben in einer Gemeinschaft mit einem

stark strukturierten Alltag gewöhnt waren, dürfte die soziale Neuverortung besonders schwie-

rig gewesen sein. Am deutlichsten wird dies in der Konversionserzählung von Johannes Ig-

natius Wittibar, der sein Gefühl der Verlassenheit zum Leitmotiv erhebt, das er phantasievoll

und wortgewaltig ausgestaltet.40

In den Konversionsberichten des 19. Jahrhunderts werden sowohl von den Katholiken als

auch von den Protestanten weniger Weltabgeschiedenheit und Jenseitsorientierungen, sondern

die Eigenständigkeit der Entscheidung und die Unabhängigkeit gegenüber Mehrheitsmeinun-

gen beziehungsweise die Furchtlosigkeit vor zu erwartenden beruflichen und wirtschaftlichen

Nachteilen betont. Die Beziehungen zu Angehörigen der neuen Religionsgemeinschaft wer-

den so aufgewertet, dass der Verlust der Kontakte zu Personen der vorherigen Konfessions-

gruppe, die die Konversion nicht akzeptieren wollten, zwar als schmerzlich, aber verkraftbar

erscheint. Einige heben in diesen Konversionserzählungen ihre Verortung in elitären Kreisen

hervor, die die Religionsgrenzen überschritten und die Toleranz der „wahrhaft Gebildeten“

betonten. Auffällig bei Konversionen zum Katholizismus im 19. Jahrhundert ist neben der

Betonung der eigenständigen Suche auch, dass nun zum Teil der Vorbildcharakter der Fröm-

migkeit der Katholiken als Argument für eine Konversion zum Katholizismus ins Feld geführt

wird. Als anziehende Elemente des Katholizismus und Konversionsmotive werden weiter die

katholische Mystik, die Tradition, die Marienverehrung und der Unfehlbarkeitsanspruch der

katholischen Kirche genannt. So beschäftigte sich Daumer ausführlich mit dem Marienkult

und Volk verfasste mehrere Werke zu Mystikerinnen.41 Trotz eigener intellektueller Suche

Glauben keine Angaben; der Text lässt jedoch darauf schließen, dass er in Hamburg konvertiert war und seinen „Geistlichen Wander-Staab“ kurz danach publiziert hatte. 40 WITTIBAR (wie Anm. 39), S. 6, 9–12. 41 Georg Friedrich DAUMER, Die Glorie der Heiligen Jungfrau Maria. Legenden und Gedichte nach span., ital., latein. und deutschen Relationen und Original-Poesien durch Eusebius Emmeran, Nürnberg 1841; [Wilhelm Gustav Werner VOLK], Die Tyroler

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wird die Autorität der katholischen Kirche als heilsam hervorgehoben und in Abgrenzung

dazu werden die Differenzen unter den protestantischen Konfessionen betont.

Formen und Praktiken des Schreibens

Bei der Untersuchung der Formen und Praktiken des Schreibens ist zwischen zwei Narrativen

zu unterscheiden, die folgende Charakteristika aufweisen: In einem weiter gefassten Narrativ

geht es um die allgemeine theologische Begründung des Konfessionswechsels sowie um kir-

chenrechtliche und/oder -historische Fragen, wobei die Autoren auf eine rationale und in-

tersubjektiv nachvollziehbare Argumentation bedacht sind. Als Authentisierungs- und Autori-

sierungsstrategien werden die Bezugnahme auf die Bibel, die Kirchenväter und andere kirch-

liche Autoritäten verwendet, wodurch die Autoren zugleich unter Beweis stellen, dass sie sich

mit ihrer Zielkonfession ernsthaft und sorgfältig auseinandergesetzt und ihre Entscheidung

nicht leichtfertig getroffen haben.

Was auf der einen Seite in den Texten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert in ähnlicher Weise

abgehandelt wird, sind die Hauptthemen der Kontroverstheologie, wie die Unterschiede bei

der Bibelexegese und dem generellen Stellenwert der Bibel (etwa im Vergleich zu den Schrif-

ten der Kirchenväter und der mündlichen Vermittlung von Glaubenslehren in der Predigt), bei

den Frömmigkeitspraktiken, beim Charakter des Abendmahls, bei der Lehre von den Sakra-

menten, in der Liturgie, bezüglich der Stellung des Papstes, der Einzelbeichte, der Marienver-

ehrung sowie der Heiligenverehrung generell. Doch auf der anderen Seite entwarf jeder Kon-

vertit und jede Konvertitin einen eigenen Rahmen für die persönliche Geschichte und reagier-

te damit auf die jeweilige historische Situation, so dass jede Konversionserzählung ein Unikat

darstellt.

Gegenstand eines enger gefassten Narrativs ist der persönliche Weg zur Konversion, der in

den frühneuzeitlichen Quellen auf zweierlei Weise beziehungsweise auf zwei Ebenen legiti-

miert wird: Zum einen führen die Autoren ihren Konfessionswechsel auf eine intensive, kriti-

sche Auseinandersetzung mit Glaubensfragen zurück, die sich durch eigene Lektüre und/oder

in Gesprächen realisierte; zum anderen berichten sie über göttliche Zeichen in Gestalt von

wegweisenden Träumen, wundersamen Erscheinungen oder aber Erkrankungen und anderen

ekstatischen Jungfrauen: Leitsterne in die dunklen Gebiete der Mystik. 2 Bde., Regensburg 1843; Leben und Schriften der heiligen Hildegard, zum 1. Male verdt. u. hg. v. Ludwig CLARUS, Regensburg 1854; Leben und Offenbarungen der heiligen Brigitta, neu bearb. u. hg. v. Ludwig CLARUS, 4 Bde., Regensburg 1856.

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Schicksalsschlägen, die retrospektiv ebenfalls als Einwirkungen der göttlichen Vorsehung

gedeutet werden. Die Faszination durch den neuen Glauben erscheint damit nicht als eine rein

intellektuelle, sondern als ein Einfluss, der den gesamten Menschen erfasste und zudem den

Bereich des alltäglichen Fühlens und Erlebens bei weitem überstieg. Obitz stellt diese ge-

fühlsmäßige Faszinationskraft sogar explizit als spezifisches Merkmal des Katholizismus dar,

während er das Luthertum mit Gefühlskälte korreliert.42 Dass die emotionale Komponente

auch im lutherischen Glauben durchaus eine Rolle spielte, verdeutlicht die Konversionserzäh-

lung Wittibars, die als einen Textbaustein eine so genannte „Passions-Rede“ über das Leiden

Jesu am „Trost-losen Oelberg“ enthält.43 In diesem Predigttext, der sich am Genre der protes-

tantischen Passionspredigt orientiert, gibt Wittibar eine eindrucksvolle, sehr emotionsgelade-

ne Darstellung der Angst und Verlassenheit, die Christus in Gethsemane auszustehen hatte

und ermöglicht seinen Leser(inne)n damit einen Zugang zum Glauben, der über die intellek-

tuelle Auseinandersetzung mit der christlichen Lehre hinausgeht. Zugleich akzentuiert er auf

diese Weise sein eigenes Gefühl der Verlassenheit nach dem Verlust seiner früheren sozialen

Bezugsgruppen und zieht zumindest implizit gewisse Parallelen zwischen seinem Konversi-

onsprozess und der Passion Christi.

Im 19. Jahrhundert lassen sich diese beiden Legitimationswege in leicht abgewandelter Form

erkennen. Die intensive Auseinandersetzung mit Glaubensfragen spielt weiterhin eine wichti-

ge Rolle in den Konversionserzählungen. Die Rationalität der Entscheidung für die Konversi-

on wird betont und mit einer häufig unbewussten Führung Gottes verbunden, die der Konver-

tit erst im Rückblick erkennen konnte. So sah etwa Hurter alle wichtigen Begegnungen, aber

auch die eigenen, nicht realisierten Pläne als Fügung und Führung Gottes an.44 Daumer, von

Ruville und Volk präsentierten ihre Entscheidung für die Konversion als Ergebnis harter Ar-

beit und intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Daumer betont auch seinen

aktiven Part bei der Suche nach der Wahrheit, inszeniert dabei seine Konversion als klassi-

sches Augustinisches Erlebnis, wenn er schreibt:

Es war in einer fürchterlichen, schlaflosen Nacht, wo die klare, volle Gewißheit durchaus ver-fehlter Lebenswege und schmählich vereitelter Hoffnungen, Anstrengungen und Aufopferun-gen mit zermalmender Wucht auf meine Seele fiel. Da zuckte in mir ein Gedankenblitz, eine Erinnerung, die mich mit einem Male auf einen ganz neuen Standpunkt der Betrachtung ver-

42 OBITZ (wie Anm. 29), S. 21 u. 59. 43 WITTIBAR (wie Anm. 39), S. 7–12. 44 HURTER (wie Anm. 31), 1. Bd., S. 23–25, 2. Bd., S. 329, 3. Bd., S. 436–437.

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setzte und den Wendepunkt bildete, von welchem aus ich zuallererst meiner gegenwärtigen Anschauungsweise entgegengeführt wurde. Ich erhob mich und griff nach einer im Bücher-wuste vergrabenen Abhandlung von Carl Rodier, die ich zwar schon vor Jahren gelesen, aber gänzlich vergessen hatte, und die mir jetzt auf einmal von unendlichem Interesse war. Ich las sie von Neuem und ergriff ihren Inhalt mit unsäglicher Begierde und Befriedigung. Diese Erinnerung, dieser Fund – sie ersparten mir einen Selbstmord, einen Verfall in Wahnsinn, Stumpfheit, Blödsinn und dergleichen. O was kann ein Wort, ein Gedanke zu rechter Zeit für ein Kleinod, für eine Wohlthat sein; was können sich daraus für Wirkungen und Folgen erge-ben!45

Erkrankungen spielen in diesem Zusammenhang ebenfalls eine große Rolle, sie werden nun

aber eher als Zeichen gedeutet, dass der Verbleib in der „falschen“ Religionsgemeinschaft

und die fehlende Konsequenz, der Erkenntnis auch die Konversion folgen zu lassen, krank

machten. Volk beispielsweise durchlebte verschiedene Krankheiten und Verstimmungen, be-

vor er im katholischen Süden konvertierte und genas. Erst die Begegnung mit dem Pater Peter

Singer in Salzburg machte seiner „erschlaffenden Nervenverstimmung, welche auf der ganzen

Reise meine Begleiterin war“ ein Ende. Solange dessen „seelenvoller Blick auf mir ruhte,

[verschwand] alles Krankheitsgefühl in mir.“46 Seine Frau entschied sich angesichts einer

lebensbedrohenden Krankheit, nicht protestantisch sterben zu wollen.47 Interessant in diesem

Zusammenhang ist, dass Krisen, die durch den Tod nahe stehender Personen ausgelöst wur-

den, als Ursache und Motiv für Konversionen nur indirekt anklingen oder explizit ausge-

schlossen werden. So dementieren Hurter und von Ruville ausdrücklich, dass der Tod ihrer

Kinder sie zur Konversion veranlasst hätte,48 und von Hahn-Hahn nennt den Namen By-

strams, dessen Tod sie stark erschüttert haben dürfte, in ihrem Bericht nicht.49

Von Träumen berichteten Konvertiten im 19. Jahrhundert meist nicht mehr. Vielleicht be-

fürchteten sie damit die Rationalität der Argumentation zu gefährden. Die Betonung der Le-

bendigkeit und Wärme des Katholizismus in Kombination mit der Unterstellung, dass Her-

zenskälte und der Ausschluss der Nichtgebildeten Charakteristika des Protestantismus bilde-

ten, dominieren im 19. Jahrhundert die katholischen Konversionsberichte. Trotz dieses aus

der Frühen Neuzeit tradierten Gegensatzes werden besonders von den männlichen Konverti-

ten zum Katholizismus nicht die „herzergreifenden“, gefühlsbetonten Elemente der Konversi-

45 DAUMER (wie Anm. 31), S. 11–12. 46 CLARUS, Simeon (wie Anm. 31), Bd. 3, S. 257. 47 CLARUS, Leben einer Konvertitin (wie Anm. 21), S. 192. 48 HURTER (wie Anm. 31), 2. Bd., S. 138–144; VON RUVILLE (wie Anm. 31), S. 14. 49 von HAHN-HAHN (wie Anm. 31), S. 10, 30–31.

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on, sondern die rationale Grundlage des Entschlusses zur Konversion in den Vordergrund

gerückt.

An wiederkehrenden inhaltlichen Elementen in den Konversionserzählungen lassen sich über

die Diskussion der Hauptthemen der Kontroverstheologie hinaus die Erinnerung an frühe(re)

Kontakte mit der jeweiligen Konfession, zu der man später wechselte sowie die Abgrenzung

gegenüber der verlassenen Glaubensgemeinschaft feststellen. Weiter wird in den Texten das

Bemühen um das Festlegen eines point of no return deutlich, die Konzentration auf die Ver-

gangenheit und die Gegenwart. Der Konversionsprozess wird zum Teil mithilfe von Meta-

phern als eine langwierige und schwierige Reise dargestellt, die „in der Wahrheit“ und im

Seelenfrieden endet. Die Langwierigkeit und die Komplexität des Konversionsprozesses kor-

respondiert mit der häufigen Erwähnung von Krisenerfahrungen wie Krankheit, Tod, Un-

glück, berufliche Probleme sowie die Versuche von Verwandten und Bekannten, Konversi-

onswillige im Guten oder unter Androhung verschiedenster Konsequenzen von ihrem Vorha-

ben abzuhalten. Typisch scheint auch der Wechsel zwischen normativer und autobiographi-

scher Ebene zu sein, wobei der Ich-Erzähler mehr oder weniger bescheiden hinter die Schilde-

rung der kirchlichen Verhältnisse und der konfessionellen Auseinandersetzungen treten kann.

Neben der konfessionellen Zugehörigkeit werden in der Regel weitere Zugehörigkeiten in den

Konversionsberichten deutlich, wie etwa die weiterhin bestehende Zugehörigkeit zur Her-

kunftsfamilie oder (etwa beim Buchbinder Obitz) zu einem bestimmten Berufsstand – aber

auch und vor allem die unmittelbare Beziehung zu Gott und die Zugehörigkeit zur Gemein-

schaft der „wahren“ Christen, die um Christi willen Verzicht und Leid auf sich nehmen.

Mit dieser doppelten Rechtfertigung der Konversion korrespondieren zwei Elemente des Per-

sonkonzepts der Schreibenden, die sich ergänzen oder auch in einem Spannungsverhältnis

stehen können: Einerseits beschreiben die Autoren sich als gewissenhaft und akribisch For-

schende auf der Suche nach dem „wahren“ Glauben und weisen sich so eine aktive Rolle im

Konversionsprozess zu, andererseits konzipieren sie sich als willige „Objekte" der göttlichen

Leitung und nehmen eine passive Rolle ein.

Charakteristisch für dieses engere Narrativ der Konversionserzählungen ist auch, dass der

Konfessionswechsel nicht als Bruch, sondern eher als Rückkehr zu einem bereits in der Kind-

heit angelegten, gottgewollten Lebensplan dargestellt wird, wodurch die eigene Lebensge-

schichte mehr Kontinuität und innere Logik erhält. Die Konversion erscheint in diesem Kon-

text als die eigentliche Erfüllung des Taufbundes. Zudem erwähnen einige Autoren, dass es in

ihrer Familie bereits früher Konversionen oder zumindest Konversionsabsichten gab, so dass

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der eigene Glaubenswechsel in eine Traditionslinie eingeordnet wird. Bei katholischen Kon-

vertiten wird diese Argumentationsstrategie zum Teil dahingehend fortgesetzt, dass man auch

den katholischen Glauben selbst mit Kontinuität und einer verlässlichen Tradition korreliert.

Die innere Logik des eigenen Lebensweges wird außerdem durch die positive Konnotation

der frühen Begegnungen mit Vertretern des „wahren“ Glaubens unterstrichen, die im Text als

Vorzeichen des späteren Konfessionswechsels fungieren.

Dass man unter diesen Umständen nicht bereits früher konvertiert war, wird damit begründet,

durch Eltern und Lehrer über den „wahren“ Glauben gar nicht beziehungsweise falsch infor-

miert worden zu sein. Wangautzky beschreibt die Lebensphase vor der Konversion sogar mit

Hilfe von Krankheitsmetaphorik und bringt dadurch zugleich implizit zum Ausdruck, dass er

für das Leben im „falschen“ Glauben nicht verantwortlich zu machen sei, da man an einer

Krankheit üblicherweise keine Schuld trägt.50 Derselben Argumentationsstrategie begegnet

man auch bei Mehrfachkonvertiten, die ihre vorübergehende Annahme einer anderen Konfes-

sion als Zustand des Krankseins oder gar des Todes darstellen, aus dem sie schließlich durch

die göttliche Gnade errettet worden seien.

Eine weitere verbreitete Rechtfertigungsstrategie der frühneuzeitlichen Autoren besteht in der

Betonung der mit der Konversion verbundenen Nachteile, Verluste und Opfer, die zur Absi-

cherung gegen den Vorwurf diente, aufgrund von weltlichen Motiven konvertiert zu sein.

Eine allzu deutliche Hervorhebung der Verluste hätte jedoch wiederum den Verdacht erwe-

cken können, dass man die Konversion bereue, so dass es sich als Ausweg aus diesem Di-

lemma anbot, den Verlust zum Verzicht umzudeuten und ihn damit als bewusste und freiwil-

lige Handlung darzustellen. In diesem Zusammenhang werden wiederholt bestimmte Bibel-

stellen zitiert, in denen die auf Erden erlittenen Verluste angesichts der ewigen Seligkeit bis

hin zur Bedeutungslosigkeit bagatellisiert (Matth. 5, 10–12; 10, 37; 19, 21. 29; Lk. 14, 26)

und in einen Heilsplan eingebettet werden. Gleichzeitig erscheinen die Aufgabe weltlicher

Annehmlichkeiten und der Abbruch sozialer Beziehungen geradezu als ein notwendiger Preis

für die Erlangung der ewigen Seligkeit. So schreibt Elers beispielsweise, dass er nicht auf die

50 Andreas WANGAUTZKY, Revocatio Sincera Ernstlicher Abfall von der angebohrnen Papistischen / und hingegen wohlbedächtlicher Zufall und hertzliche Bekehrung zu der wahren Evangelisch-Lutherischen Religion Andreae Wangautzky Nobil: Samogetae. Welche Durch unwiedersprechlichen Antrieb des Heiligen Geistes / und öfftere Besuchungen der Handel-Stadt Königsberg / Anno 1685. geschehen / und zu mehrer Bezeugung Ewiger Beständigkeit hiermit öffentlich / vermittelst refutirten Brieffes bekennet wird. Sey getreu bis in den Todt / so will ich dir die Crone des Lebens geben. Hamburg / Gedruckt im Jahr Christi 1689, S. 2–3.

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göttliche Gnade hätte hoffen dürfen, wenn er nicht „mit dem Heil[igen]. Genesio allen vor-

mahligen weltlichen Lustbarkeiten […] abgesaget“ hätte.51 Dieses religiöse Konzept der

Nachfolge Christi im Leiden wird auch in der Konversionserzählung Wittibars deutlich, wo-

bei er einen expliziten Vergleich mit Christus jedoch vermeidet, da dies den „Gattungsnor-

men“ der lutherischen Passionspredigt widersprochen hätte.52 Zum Personkonzept frühneu-

zeitlicher Konvertiten gehörte also offenbar auch die Komponente des weltabgewandten, ver-

zichtsbereiten Asketen, die bei Konversionen zum Katholizismus zum Teil noch durch die

Identifikation mit einem Heiligen verstärkt wird.

Auch im 19. Jahrhundert wird die Kontinuität und nicht der Bruch sowie der unredliche Reli-

gionsunterricht und das Krankmachende des Lebens im falschen Glauben weiter betont.

Daumer und Volk erklären Schriften, die sie vor ihrer Konversion verfassten, zu Teilen ihres

Konversionsberichts. Hurter betont seine Zuflucht zum Schlagen des Kreuzzeichens für seine

Kindheit,53 Wöhler erinnert daran, dass ihr die Mutter Gottes „schon lange bevor ich daran

dachte, katholisch zu werden“ viel bedeutete.54 In fast allen katholischen Konversionsberich-

ten finden sich Hinweise darauf, wie katholische Architektur, Symbole, Frömmigkeitsprakti-

ken und einzelne Katholiken die späteren Konvertiten berührt und beeindruckt hatten.

Die Konvertiten des 19. Jahrhunderts waren jedoch meist der Welt zugewandt, sie wollten

auch nach ihrer Konversion beruflich reüssieren. Deshalb stilisieren sich männliche Konverti-

ten in der Regel nicht mehr zu Opfern (diese Rolle blieb einer Konvertitin wie Cordula Wöh-

ler überlassen), sondern zu mutigen, intellektuell überlegenen, umfassend Gebildeten, die

ihren Erkenntnissen Handlungen folgen lassen. In diesen Darstellungen handelten Konvertiten

51 Johann ELERS, Joannis Elers Phil. & Med. Stud. Allen wohl- und übel-wollenden ausgezahlter Neu-Jahrs-Wechsel; Oder: Motiva, Warumm er die Lutherische Kirche verlassen / und sich Anno 1700. den 6. Decembr. am Fest des Heil. Nicolai bey denen hiesigen R.R.P.P. Dominicanis zu St. Maria Magdalena mit der Einigen / Heiligen / Catholischen und Apostolischen Kirchen vereiniget. Denen Irrenden zum unterricht und Nachfolge / Ihme selbst aber zum Trost verfasset. Cum Indultu Superiorum. Augspurg / Gedruckt bey Joseph Gruber / Buchdruckern. Zufinden bey Johann Stretter / bey unser Lieben Frauen Thor, Anno 1701, S. 8. 52 Luther hob gerade die Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit des Leidens Christi hervor, das kein Mensch, auch die Heiligen und Märtyrer nicht, jemals mit ihm erleiden kann und soll. Vgl. Walter ZWANZGER, Christus für uns gestorben. Die evangelische Passionspredigt (Calwer Theologische Monographien, Bd. 11), Stuttgart 1985, S. 257–258; Elke AXMACHER, „Aus Liebe will mein Heyland sterben“: Untersuchungen zum Wandel des Passionsverständnisses im frühen 18. Jahrhundert (Beiträge zur theologischen Bachforschung 2), Neuhausen [u. a.] 1984, S. 15. 53 HURTER (wie Anm. 31), 1. Bd., S. 104 f. 54 PEREGRINA (wie Anm. 31), Vorrede S. XII.

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konsequent nach ihrer Überzeugung und blieben damit ihrem gefestigten Charakter und wis-

senschaftlichen Prinzipien auch unter extremen Anfeindungen treu. Ein Autor wie Georg

Friedrich Daumer (1800–1875), der 1858 zum Katholizismus konvertierte, lässt dabei erken-

nen, wie schmerzhaft es für ihn war, als verkanntes Genie von der Gesellschaft zum Außen-

seiter degradiert zu werden.

Daumer, dessen berufliches und intellektuelles Leben durch mehrfache Brüche gekennzeich-

net ist, zeichnete von sich eher das Bild eines Suchenden denn das eines Konvertiten, der sein

Ziel gefunden hatte. Vom Protestantismus hatte er sich über den Islam und das Judentum dem

Katholizismus genähert. Neun Jahre vor seinem Übertritt zum Katholizismus war er noch

durch eine scharfe antichristliche Schrift hervorgetreten, in der er Christentum mit Kanniba-

lismus und Menschenopfern in Verbindung brachte.55 Mit der Gründung einer neuen (Welt-

)Religion scheiterte er in den Jahren 1848 bis 1850, wodurch er zunächst bei Verlagen aller

Couleur vor verschlossenen Türen stand. Die Auseinandersetzungen mit der verlassenen Re-

ligionsgemeinschaft werden von Daumer und anderen Autoren im Stil eines wissenschaftli-

chen Disputs geführt. Dem Gegner wird dabei immer Unkenntnis in Religionsangelegenhei-

ten vorgehalten, zum Teil in versöhnlichem, zum Teil in polemischem Ton. Die Konversion,

die man rechtfertigt, wird als logische Schlussfolgerung präsentiert.

Das engere Narrativ der Konversionserzählungen ist in der Frühen Neuzeit durch eine klare

antithetische Struktur gekennzeichnet, die sich zum Beispiel in der Verwendung von

Schwarz-Weiß-Kontrasten zur Charakterisierung der beiden Konfessionen beziehungsweise

der Lebensphasen vor und nach der Konversion manifestiert. In diesem Kontext begegnen

häufig Formulierungen aus dem Wortfeld von „Finsternis“ und „Licht“ beziehungsweise

„Blindheit“ und „Erleuchtung“. Bei Konversionen zum Katholizismus wird der neu ange-

nommene Glaube auch mit „Wahrheit“, „Einigkeit“ und „Ordnung“ korreliert, während die

Herkunftskonfession mit Worten wie „Verwirrung“ und „Spaltung“ beschrieben, als „Laby-

rinth“ dargestellt oder schlichtweg als „Babel“ bezeichnet wird. Diese Tendenz zur pauschali-

sierenden Gegenüberstellung von „wahr“ und „falsch“ wird auch und gerade bei Mehrfach-

konvertiten erkennbar, die vor der besonderen Herausforderung standen, das Argumentati-

onsgebäude ihrer ersten Konversionserzählung schreibend zu dekonstruieren.

Als Authentisierungs- und Autorisierungsstrategien werden im engeren Narrativ die Ichform,

die Einfügung direkter Rede und zum Teil, etwa bei Jörger und Obitz, der Verweis auf andere

55 S. dazu Karlhans KLUNCKER, Georg Friedrich Daumer. Leben und Werk 1800–1875, Bonn 1984, S. 2, 69–91.

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(bekannte) Konvertiten verwendet. Gelegentlich wird der Konversionserzählung auch zusätz-

liches „Beweismaterial" hinzugefügt, wie etwa das beim Konfessionswechsel abgelegte Glau-

bensbekenntnis, oder es werden Personen genannt, die bei Bedarf bezeugen können, dass sich

alles so zugetragen habe, wie der Autor es berichtet.56 Dieselben Strategien werden auch im

19. Jahrhundert noch eingesetzt. Plakativ zeigt das etwa der Titel des Konversionsberichts

von Hahn-Hahn, die auch vom „Licht der Erkenntnis“ wie von der „Rüstung aus Licht“ des

Erzengels spricht.57 Auch Hurter setzt Wahrheit mit Lichtfülle gleich58 und Daumer wird „be-

siegt […] durch was seiner [des „Nazareners“] am würdigsten ist und was in diesem Falle

allein fruchten konnte, durch Geist und Licht.“59

Diese Authentisierungs- und Autorisierungsstrategien werden im 19. Jahrhundert durch die

Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse ergänzt. Nicht nur Bibelstellen, Schriften der

Kirchenväter, berühmter Theologen und bekannter Konvertiten, sondern zunehmend auch

Arbeiten von Historikern, Juristen und Staatsbeamten, die keine dezidiert konfessionsbezoge-

nen Stellungen vertraten, werden zitiert, um eigene Positionen zu legitimieren. Wenn sich die

Schwarz-Weiß-Muster der Frühen Neuzeit auch weiter in den Konversionsberichten des

19. Jahrhunderts finden, so werden sie nun durch differenziertere Betrachtungen ergänzt, die

die konfessionellen Auseinandersetzungen im Stil eines wissenschaftlichen Disputes abhan-

deln und durch die besseren Argumente zu überzeugen suchen.

2. Funktion der publizierten Konversionserzählungen im historischen Kontext

Bezüglich des historischen Kontextes, in dem die frühneuzeitlichen Konversionsberichte ent-

standen, betrachtet die jüngere Forschung allgemeingültige Aussagen als schwierig und prob-

lematisch: In den neueren Arbeiten zu innerchristlichen Konversionen in der Frühen Neuzeit

56 Zu dieser Vorgehensweise vgl. auch BOCK (wie Anm. 26), S. 153–174, S. 166: „Schriftliche Konversionsbescheinigungen bzw. die Benennung von Personen, die den vollzogenen Glaubensübertritt eines fremden Proselyten bezeugen konnten, spielten für die Anerkennung von Proselyten in Zürich eine große Rolle.“ Für das 19. Jahrhundert sei hier z.B. auf Volk verwiesen, der festhält, dass seine „Schrift auch von Protestanten gelesen zu werden wünscht“ und deshalb den formalen kirchlichen Akt der Konversion mit dem Verweis auf die beiden Zeugen ausführlich schildert sowie das abzulegende Glaubensbekenntnis im Wortlaut hinzufügt, um die „unterschobene[n] abscheuliche[n] Glaubensbekenntnisse“, die unter Protestanten im Umlauf waren, zu widerlegen, CLARUS, Leben einer Convertitin (wie Anm. 21), S. 125–126. 57 HAHN-HAHN (wie Anm. 31), S. 7, 231. 58 HURTER (wie Anm. 31), 2. Bd., S. 44–45. 59 DAUMER (wie Anm. 31), S. 34.

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wird der Westfälische Friede nicht mehr als entscheidende Zäsur oder gar als Ende der kon-

fessionellen Auseinandersetzungen bezeichnet, sondern es wird vielmehr betont, dass der

Grad der konfessionellen Identität und das Verhältnis der Konfessionen zueinander in unter-

schiedlichen Lebenszusammenhängen und sozialen Kontexten, ja selbst innerhalb derselben

Gemeinde, deutlich variieren konnten.60 Diese These wird durch die Ergebnisse des vorlie-

genden Projekts insofern unterstützt, als sowohl vor dem Dreißigjährigen Krieg wie auch

währenddessen und danach ein Nebeneinander von scharfer konfessioneller Polemik und Stel-

lungnahmen in moderaterem Tonfall zu erkennen ist. So ist die Abgrenzung von der Her-

kunftskonfession bei Elers beispielsweise deutlich ausgeprägter als bei Jörger, obwohl ihre

Schriften fast zeitgleich (1701 beziehungsweise 1710) publiziert wurden.

Explizite Darstellungen von Kriegshandlungen oder Schilderungen des durch den Krieg ge-

prägten Alltagslebens sucht man in den Quellen vergeblich. Zwar erwähnen einige Autoren,

dass sie aufgrund ihrer (geplanten) Konversion verfolgt worden seien oder dass ihre Her-

kunftsfamilie ihnen die finanzielle Unterstützung entzogen habe beziehungsweise sie bringen

ihre Angst vor derartigen Repressalien zum Ausdruck, doch begegnet man solchen Äußerun-

gen auch in Texten, die erst nach dem Krieg entstanden.

Deutliche Anzeichen für eine größere interkonfessionelle Toleranz und eine sinkende Bedeu-

tung des Konfessionswechsels werden erst in einigen wenigen Konversionserzählungen aus

dem letzten Drittel des Untersuchungszeitraums erkennbar: So berichtet Obitz von einem aus-

führlichen Gespräch mit einem Lutheraner, der ihn zunächst zur Rekonversion überreden

wollte, seine Argumentation schließlich jedoch akzeptierte und die Begegnung mit dem fol-

genden versöhnlichen Fazit beendete:

Nachdem ich diesem Herrn Beichtvater meine Bewegursachen umständlich erzählet und vor-gelegt hatte, gab mir dieser Herr nach einem 3 stündigen Gespräche zur Antwort: weil ich von allem belehret wäre, und solche Beweggründe hätte, sollte ich itzt bleiben, wie ich wäre; ich könne auf diesem Glauben sicher selig werden. Diese Antwort haben mir viele andere gelehr-te Herren Prediger in andern Städten gegeben.61

60 Vgl. u. a. Thomas KAUFMANN, Einleitung: Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, in: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, hg. v. Kaspar VON GREYERZ [u. a.], Gütersloh 2003, S. 9–15, S. 14 und Hartmut LEHMANN, Grenzen der Erklärungskraft der Konfessionalisierungsthese, in: ebd., S. 242–249, hier S. 246–247. 61 OBITZ (wie Anm. 29), S. 56.

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Karl Georg Weiß/Albus, der 1782 in Prag zum Katholizismus übertrat, schreibt dem Wechsel

der Konfessionszugehörigkeit kaum noch Auswirkungen auf sein Personkonzept zu, sondern

stellt diesen Schritt als eine rein pragmatische Handlung dar, die keine gravierenden inneren

Veränderungen mit sich brachte: Er macht kein Hehl daraus, dass er aufgrund einer materiel-

len Notlage konvertierte und dabei ohnehin nur die überkonfessionellen Elemente des Chris-

tentums für sich anerkannte.

Die intendierten Funktionen frühneuzeitlicher Konversionserzählungen sind ähnlich vielfältig

wie ihre intendierten Adressaten. Ein zentraler Stellenwert kommt dabei der apologetischen

Funktion zu, deren verschiedene Facetten und Adressaten(gruppen) bereits weiter oben erläu-

tert wurden. Zudem enthalten viele Texte Bekehrungsappelle, die jedoch nicht auf die häufig

explizit angesprochene Herkunftsfamilie beschränkt blieben – in diesem Fall wäre eine Publi-

kation der Konversionserzählungen auch nicht erforderlich gewesen –, sondern sich generell

an die Mitglieder der Konfession richteten, die man verlassen hatte. Inwieweit diese missiona-

rischen Absichten zum Erfolg führten, ließ sich bisher nicht nachweisen. Im 19. Jahrhundert

wandten sich die Autor(inne)en in der Regel ebenfalls an die Mitglieder der neuen und der

verlassenen Religionsgemeinschaft sowie an eine oft nicht näher definierte Öffentlichkeit.

Schriftsteller und Schriftstellerinnen beziehungsweise Personen, die gewohnt waren, schrift-

lich über ihr Tun zu reflektieren, integrierten ihre Konversionsberichte oft in umfangreiche

Lese- und Rezensionsprotokolle, indem sie aus bereits veröffentlichten oder unveröffentlich-

ten Exzerpten schöpften. Die behandelten und beurteilten Texte können als Leseliste der

Konvertit(inn)en dienen. Auch war es üblich, aus eigenen Briefen beziehungsweise aus Brie-

fen an genannte und nicht genannte Korrespondenzpartner zu zitieren oder Brieffragmente

dieser Personen in den Bericht zu integrieren. Was die eigenen Publikationen betrifft, konnten

einige Konvertiten Texte, die von ihnen vor und nach der Konversion veröffentlicht wurden,

miteinander in Verbindung setzen und damit ihre Werte- und Prinzipientreue im religiösen

Wandel deutlich werden lassen. So erklärte etwa Wilhelm Volk seine beiden autobiographi-

schen Bände, die vor der Konversion erschienen waren, zu einem integralen Teil seiner „Reli-

gionsbiographie“, deren dritten Teil er sieben Jahre nach seiner Konversion zum Katholizis-

mus veröffentlichte.62 Andere, wie etwa Ida von Hahn-Hahn, distanzierten sich dagegen öf-

fentlich von ihrem Werk, das sie vor der Konversion verfasst hatten. Hahn-Hahn unterstrich

62 CLARUS, Simeon (wie Anm. 31).

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damit die Unterschiede zwischen ihren Romanen vor 1850 und den Texten, die sie nach der

Konversion publizierte.

Die meisten im Rahmen dieses Forschungsprojektes ausgewerteten Konversionserzählungen

beinhalten detaillierte theologische Abhandlungen, die weit über die persönliche Konversi-

onsgeschichte hinausgehen und häufig umfangreiche selbständige Textteile bilden. Dies lässt

auf eine propagandistische Funktion schließen, die zum Teil durch Vorworte des Verlegers

oder des Herausgebers unterstützt wird. Die frühneuzeitlichen Konversionsberichte erweisen

sich damit als wichtiger Teil der Kontroversliteratur beziehungsweise sogar als Ausgangs-

punkt polemischer Debatten, da sie Gegenschriften auslösten, auf die der/die Konvertit(in)

wiederum mit einer Verteidigung reagierte. Aufgrund der Quellenlage bleibt dabei jedoch

unklar, ob beziehungsweise inwieweit Konversionserzählungen im kontroverstheologischen

Diskurs anders wahrgenommen und bewertet wurden als die Schriften von Autoren, die kei-

nen Konfessionswechsel vollzogen hatten.

Im 19. Jahrhundert schrieben sich die Konvertiten mit gelehrten theologischen, politischen

und historischen Abhandlungen in die jeweiligen Gruppierungen ein, die sie zur geistigen

Elite erklärten. „ Namedropping“ erweist sich hier als eine zentrale Methode, um die Zugehö-

rigkeit zur katholischen oder evangelischen gebildeten Elite zu verdeutlichen.

Durch die Erwähnung berühmter Konvertiten ordnen sich die Schreibenden in eine entspre-

chende Traditionslinie ein und machen deutlich, dass sie sich ihres Status als Konvertit(in)

keineswegs schämen. Ganz im Gegenteil, bekannte Konvertiten bestätigten die Logik und die

Richtigkeit der eigenen Konversion. Ein explizites Bemühen um die Zugehörigkeit zu einer

solidarischen (Leidens-)gemeinschaft von Konvertiten war jedoch nur vereinzelt nachweisbar.

Für das 19. Jahrhundert sind Kontakte und Begegnungen zwischen Konvertiten, die zeitgleich

beziehungsweise hintereinander Konversionsberichte veröffentlichten, belegt. So berichtet

etwa Volk von der „persönliche[n] Bekanntschaft Hurters, der mich doch daheim so mächtig

angezogen“63, und erwähnt nach der Konversion seine enge Freundschaft mit dem Konverti-

ten Georg Philipps.64

Darüber hinaus verfolgten die Autor(inn)en mit der Publikation ihrer Schriften nicht zuletzt

auch ganz pragmatische Absichten: In den Konversionserzählungen, die ehemaligen Förde-

rern der Konvertit(inn)en, zum Beispiel Landesherren oder hochrangigen Geistlichen, ge-

63 CLARUS, Simeon (wie Anm. 31), Bd. 3, S. 204. 64 CLARUS, Aus dem Leben einer Convertitin (wie Anm. 21), S. 45, 75; CLARUS, Simeon (wie Anm. 31), Bd. 3, S. 201.

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widmet waren, ging es zum einen um die Begleichung einer „Dankesschuld“, zum anderen

um die Sicherung weiterer Unterstützung, um eine materielle Notlage überbrücken und/oder

sich im neuen konfessionellen Umfeld wieder beruflich etablieren zu können. Zudem waren

die Schreibenden oftmals darum bemüht, potentielle neue Gönner für sich zu gewinnen –

durch explizite Bitten um Hilfe, aber auch und gerade durch die Betonung ihrer intellektuellen

Fähigkeiten und ihres hohen Bildungsstandes. Diese Selbstempfehlung wird auf der Ebene

der Textgestaltung unter anderem darin erkennbar, dass die Schreibenden lateinische Wen-

dungen gebrauchen oder ganze Textpassagen in lateinischer Sprache abfassen. Zur Demonst-

ration des eigenen wissenschaftlichen Renommees werden häufig berühmte Studienorte und

Professoren oder andere angesehene Bezugspersonen erwähnt; gelegentlich wird auch aus-

drücklich über eigene akademische Erfolge berichtet oder auf frühere Publikationen verwie-

sen. Neben dieser allgemeinen Selbstdarstellung als Gelehrter begegnet man wiederholt auch

einer speziellen Selbstempfehlung als Theologe: Die Konvertiten demonstrieren ihr fundiertes

Fachwissen und beschreiben ihre akribischen, unermüdlichen Bemühungen bei der Suche

nach dem „wahren“ Glauben und stellen auf diese Weise erneut unter Beweis, dass ihre Kon-

versionsentscheidung vernunftgeleitet und theologisch klar begründbar ist. Außerdem integ-

rieren manche Autoren Predigttexte in ihre Konversionserzählungen, wobei Wittibar mit der

protestantischen Passionspredigt ein konfessionsspezifisches Genre auswählte, das auch von

Luther selbst kultiviert worden war.65 Durch diese Schreibstrategie konnte er verdeutlichen,

dass er die Glaubenslehren der neuen Konfession nicht nur verinnerlicht hatte, sondern auch

in der Lage war, sie mitreißend und in der angemessenen Form zu vermitteln.

Konvertiten schrieben sich mit ihren Berichten in eine Erinnerungsgemeinschaft der jeweili-

gen Konfession ein, die regelhaft eine Herausforderung für die verlassenen Religionsgemein-

schaften bildete, da mit diesen Entwürfen der „wahren Kirche“ immer ein Monopolanspruch

verbunden wurde. Die Geschichte des eigenen Lebens, die sich Konvertiten in ihren Konver-

sionserzählungen aneigneten, wurde von Herausgebern, Verlegern und Biographen im 19.

Jahrhundert für den Propagandaeinsatz instrumentalisiert und damit die Geschichte der Kon-

vertiten gleichsam enteignet. Als wichtiges Ergebnis kann herausgestellt werden, dass die

Konversionserzählungen das Personkonzept und die Mehrfachzugehörigkeiten der Konverti-

ten deutlich werden lassen und die Analyse des theologischen und politischen Kontexts, in

65 Zur protestantischen Passionspredigt siehe u. a.: ZWANZGER (wie Anm. 52); AXMACHER (wie Anm. 52).

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den die engere Konversionserzählung gestellt wird, über weite Strecken den gesellschaftli-

chen Stellenwert der konfessionellen Auseinandersetzungen verdeutlicht.

Das 19. Jahrhundert zeigt sich im Spiegel der religiösen Konversionen als ein Übergangszeit-

alter, in dem christliche Normen und Werte weiter einen großen Einfluss auf die Personkon-

zepte der Menschen, auf Ehe, Ehedispense und Scheidungen und damit auf Ordnungsvorstel-

lungen und Religionsübertritte ausübten. Der konfessionelle Staat, der sich zum Nationalstaat

wandelte, drängte in ganz Europa auf der Verwaltungsebene die Kirchen zurück, wenn auch

weiterhin der konfessionellen Tradition geschuldete klare Unterschiede zwischen dem katho-

lischen West- und Südeuropa, dem protestantischen Nordeuropa und dem hauptsächlich or-

thodoxen Osteuropa erkennbar blieben.66 Mit der Einführung eines staatlichen Personen-

standsregisters und der Zivilehe sowie dem Versuch, konfessionelle Diskriminierungen zu

beseitigen und die Religionsfreiheit zu etablieren, bahnten sich Neuerungen an, die altherge-

brachte Regeln revolutionierten. Zwischen religiösen Handlungen und Verwaltungsakten bei

wichtigen Stationen im menschlichen Leben (Geburt, Heirat, Scheidung, Tod) sollte nun un-

terschieden werden. Das Ziel – die Trennung von Kirche und Staat – war rasch formuliert.

Die Umsetzung dieses Zieles erfolgte jedoch in einem Prozess, der sich nur langsam und ge-

gen den Widerstand von Kirchen und deren Vertretern durchsetzen sollte. Fragen nach der

Authentizität und der Rechtmäßigkeit von Personenstandsregistern, die traditionell in Kirchen

und zunehmend von staatlichen Stellen geführt wurden, wurden in den konsultierten Archiv-

beständen intensiv und kontrovers diskutiert und spiegeln die Schwierigkeiten des Staates

wider, eine Modernisierung der Verwaltung durchzusetzen, die kirchliche und gesellschaftli-

che Ordnungsvorstellungen an zentralen Punkten berührte. Die Diskussion von publizierten

Konversionsberichten, die oft leidenschaftlich, oft polemisch geführt wurde,67 weist darauf

hin, dass Religion für Menschen im 19. Jahrhundert noch große Bedeutung hatte und dass

auch der Katholizismus einem Prozess der Politisierung unterlag, wie sich an der Entstehung

und der Entwicklung wichtiger Wallfahrtsorte wie Lourdes oder der Diskussion um die Aus-

66 Réné RÉMOND, Religion und Gesellschaft in Europa. Von 1789 bis zur Gegenwart, München 2000, S. 173. 67 Beispiele dazu finden sich reichlich in den Gegenschriften. Aus protestantischer Sicht befasste sich Friedrich Nippold systematisch mit katholischen Konversionsberichten. Friedrich NIPPOLD, Welche Wege führen nach Rom? Geschichtliche Beleuchtung der römischen Illusionen über die Erfolge der Propaganda, Heidelberg 1869 und ders., Der Confessionswechsel in unserem Jahrhundert. Protestantische Monatsblätter für innere Zeitgeschichte. Studien der deutschen Gegenwart, Sieben und zwanzigster Band, Januar bis Juni 1866, S. 333–377.

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stellung des Heiligen Rocks in Trier zeigte. Die Säkularisierung erweist sich im Spiegel dieser

Diskussionen als Prozess, der in unterschiedlichen Tempi und über verschiedene Stadien wäh-

rend des langen 19. Jahrhunderts auf vielfachen Widerstand gestoßen ist und letztlich ein dy-

namisches Verhältnis zwischen Staat und christlichen Kirchen begründete, das die Macht der

Kirchen schmälerte, aber nicht beendete.

Gegen diesen einsetzenden Modernisierungsprozess stellte sich der sogenannte Kulturkampf,

eine Protestbewegung, die sich nicht nur im Deutschen Reich Bahn brach und katholisches

Selbstbewusstsein mit der Moderne, dem Nationalstaat und den Prinzipien der Wissenschaft

zu vereinbaren suchte. Durch die nach 1803 einsetzenden Säkularisierungsmaßnahmen, die

den Verlust vieler katholischer Wissenschafts- und Bildungszentren mit sich brachten, waren

Katholiken in die Defensive geraten. Unter diesem Druck versuchten sie ihre Position im

deutschen Kultur- und Bildungssystem wieder zu stärken. Katholische Intellektuelle sahen es

als ihre Aufgabe an, die Vereinbarkeit des Glaubens mit der Moderne unter Beweis zu stel-

len.68

Auch Daumer, von Ruville und Volk waren von dieser Mission getrieben. Doch die politische

und soziale Entwicklung ließ auch die Reformforderungen innerhalb der Kirchen wachsen.

Mit den freireligiösen Gemeinden, in denen sich seit den 1840er Jahren vor allem Protestan-

ten und Protestantinnen, aber auch Katholiken und Katholikinnen (sowie wenige Juden und

Jüdinnen) zusammenschlossen, entstand eine religiöse Oppositionsbewegung.69 Ihre Mitglie-

der traten aus der Kirche aus, gründeten neue Religionsgemeinden und verfolgten im Zusam-

menhang mit ihrer Religionskritik demokratisch-utopische Gesellschaftsentwürfe, in denen

auch die Anfänge der Frauenemanzipation zu sehen sind.70 Wenn diese Dissidenten auch in

der Minderheit blieben, so leiteten sie mit ihrem vollzogenen Kirchenaustritt einen Entkirchli-

chungs- und Entchristianisierungsprozess ein, der langfristig neue Optionen für die Verortung

von Menschen im gesellschaftlichen Raum bieten sollte. Zunächst führte diese Bewegung

jedoch gerade im Katholizismus zu einer noch stärkeren Hinwendung zu Traditionen, zu de-

nen nun auch die Zentralisierungsmaßnahmen des Vatikans und die Machtkonzentration in

68 Christopher DOWE, Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 171), Göttingen 2006; Thomas

NIPPERDEY, Religion und Gesellschaft: Deutschland um 1900, in: Historische Zeitschrift 246, 1988, S. 591–615; Ders., Religion im Umbruch 1870–1918, München 1988. 69 Sylvia PALETSCHEK, Frauen und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841-1852, Göttingen 1990, S. 244. 70 PALETSCHEK (wie Anm. 69), S. 252.

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Rom erklärt wurden. In der Abwehr der Reformforderungen sollte die Autorität des Papstes

als Garant für die „wahre Kirche“ eine wachsende Rolle spielen.

Die Konversionsberichte der Katholiken richteten sich daher nicht nur gegen die Protestanten,

sondern stellten sich auch gegen die separatistischen Bewegungen innerhalb der katholischen

Kirche. Auf der einen Seite wurde die Ausdifferenzierung des Protestantismus als warnendes

Beispiel für den Katholizismus beschworen, auf der anderen Seite wurde nicht nur die Autori-

tät des Papstes gerechtfertigt, sondern auch versucht, den Katholizismus mit der Moderne zu

versöhnen. Der Übertritt in die katholische Kirche wurde nicht nur als rationale, folgerichtige,

moderne Entscheidung dargestellt. Es wurde auch immer wieder das klassenübergreifende,

demokratische Element des Katholizismus beschworen und die die These aufgestellt, dass der

Katholizismus ein Glaubensangebot auch für die Ungebildeten beinhalte, während die breite

Masse im Protestantismus mit den intellektuellen Herausforderungen einer selbständigen Bi-

bellektüre eigentlich ausgeschlossen würde.71 Die Mittlerfunktion des katholischen Priesters

wurde hier nicht als Bevormundung, sondern als Voraussetzung für die aktive Teilnahme am

kirchlichen Leben gesehen, während man in diesen Konversionsberichten den ungebildeten

Gläubigen im Protestantismus vom Gemeindeleben ausgeschlossen sah.

Diese positive Konnotation von geistlicher Autorität begegnet uns bereits in katholischen

Konversionsberichten der Frühen Neuzeit, in denen die selbständige Bibellektüre der protes-

tantischen Laien als Ursache dafür gesehen wird, dass über bestimmte theologische Fragen

unter den Protestanten kein verbindlicher Konsens, sondern eine verwirrende „Uneinigkeit“

herrsche, die einen ungebildeten Gläubigen überfordern und zu Glaubenszweifeln verleiten

könne. Zudem wird die eigene Bibellektüre mit Anmaßung und übertriebener Wertschätzung

der eigenen Meinung korreliert; Zitter postuliert in diesem Zusammenhang sogar, dass der

von demütiger Unterwerfung unter den göttlichen Willen geprägte „wahre“ Glaube mit dem

eigenständigen kritischen Nachdenken über religiöse Fragen unvereinbar sei.72 Gleichzeitig

wurden von katholischen Konvertiten im 19. Jahrhundert auch Brücken zwischen der Mystik,

dem Wunderglauben und den modernen Naturwissenschaften geschlagen, die zeigen sollten,

dass Katholizismus mit der Moderne sehr wohl vereinbar sei.73 Wie bei den Protestanten, bei

71 So betont von Ruville, dass der Protestantismus für Ungebildete aufgrund der hohen Anforderungen an eigene intellektuelle Leistungen praktisch unzugänglich sei; von RUVILLE (wie Anm. 31), S. 15–16. 72 ZITTER (wie Anm. 36), S. 90. 73 Diese Brückenschläge trafen auch diverse lebensreformerische Strömungen, in denen - wie bei den Konvertiten – nach dem „wahren“ Glauben gesucht wurde. (Vgl. Anselm DÖRING-

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denen die selbständige Bibellektüre als ein wesentliches Element der eigenen Kompetenz und

damit des eigenen Personkonzepts dargestellt wurde, unterstrichen auch die Katholiken ihre

intellektuelle Eigenständigkeit, die in ihren Augen mit der Anerkennung der päpstlichen Au-

torität in Verbindung stehen konnte.

Preußen beziehungsweise das Deutsche Reich wurden dabei von Katholiken nicht als religi-

onspolitisch neutrale, sondern als protestantische Länder charakterisiert. Die Säkularisierung

schärfte den Blick für die konfessionelle Basis des Staates. Die Benachteiligung der Nichtpro-

testanten wurde aufgezeigt, die gleichberechtigte Teilhabe der Katholiken am Staatsleben und

im Bildungsbereich wurde eingeklagt. Die Entscheidung für den Katholizismus wurde als

eine selbstständige reflektierte Wahl präsentiert, die der Konvertit oder die Konvertitin unter

göttlicher Führung aus rationalen Gründen vorgenommen hatte.74 Der aktive Part des Konver-

titen und die göttliche Führung stehen in den Konversionsberichten des 19. Jahrhunderts in

einem ambivalenten, dynamischen Verhältnis und konnten unterschiedlich gewichtet sein.

Beide Elemente tauchen jedoch in den untersuchten Konversionsberichten auf. Im Mittel-

punkt stand bei den katholischen Konvertiten die Zuverlässigkeit und Unbeirrbarkeit einer

traditionsgefestigten Institution, die allen Zweifeln zum Trotz die wahre Lehre bewahrt und

weitergegeben hatte. Die Berufung auf frühere Konvertiten, die Heilsgeschichte und die gött-

liche Offenbarung geriet im 19. Jahrhundert bei den meisten in den Hintergrund und wurde

relativiert. In den Mittelpunkt der Konversionserzählungen wurde die Suche nach der Wahr-

heit und nach der eigenen Erkenntnis gestellt, sowie der aktive Part der Konvertiten bei der

Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft.

3. Ergebnisse

Interpretation von Konversionserzählungen als Selbstzeugnisse

In den frühneuzeitlichen Quellen fehlen Ausführungen zu rein geschichtlichen Themen oder

zu politischen Themen außerhalb des kontroverstheologischen Bereichs fast völlig; die Theo-

MANTEUFFEL, Suchbewegungen der Moderne, in: Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert, hg. v. Friedrich Wilhelm GRAF und Klaus GROßE KRACHT, Köln [u. a.] 2007, S. 175–202). 74 Dies wird von allen männlichen Konvertiten betont. Besonders deutlich bei Hurter (HURTER (wie Anm. 31), 3. Bd. 1845, hier S. 436–440) und Daumer (DAUMER (wie Anm. 31), hier S. 31). Auch Hahn-Hahn betont die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis (VON HAHN-HAHN, (wie Anm. 31), hier S. 1). Die beiden anderen Frauen betonen dagegen, nicht nur vom Verstand, sondern auch vom Herzen, von Ahnungen und Gefühlen geleitet worden zu sein.

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logie erweist sich als Leitwissenschaft: Der größte, häufig selbständige Textteil ist die allge-

meine theologische Abhandlung, während die persönliche Konversionsgeschichte sich zum

Teil auf wenige einleitende Seiten beschränkt oder nur aus vereinzelten Bemerkungen er-

schließbar ist. Aus diesen Texteilen wie auch indirekt durch Lücken und Andeutungen wird

das Personkonzept deutlich.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts tritt dabei in den meisten Beschreibungen des Konversionspro-

zesses die Orientierung an einer rationalen Argumentation in den Vordergrund, in der der

aktive Part der Konvertiten bei der Erkenntnissuche betont wird, selbst wenn von katholi-

schen Konvertiten die Wissenschaftsgläubigkeit beziehungsweise die protestantisch geprägte

Wissenschaftskultur in Deutschland kritisiert wird. In den Konversionsberichten des „langen

19. Jahrhunderts“ wird in der Regel der quantitativ größte Teil des Textes nicht dem Akt der

Konversion gewidmet, sondern es werden meist die Geschichte und die Gegenwart des eige-

nen Landes, der eigenen Nation, der Kirche(n), des eigenen Berufsstandes, der eigenen

Schicht sowie die intellektuelle Entwicklung, die Weltsicht und die politischen Einstellungen

in den Vordergrund gestellt. Eingewoben in den Text werden Teile aktueller Publikationen,

Besprechungen neu erschienener Bücher, Auszüge aus Zeitungsartikeln zur eigenen Konver-

sion oder zur Konversion anderer Personen, amtliche Dokumente, Teile aus eigenen, älteren

Publikationen und aus Briefen genannter und nicht genannter Korrespondenzpartner. Dabei

werden gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen ebenso deutlich wie die Kritik an der Ge-

genwart. Berufliche Netzwerke und soziale Kontakte werden ausschnittsweise dargestellt, die

Erwähnung der eigenen Familie tritt im Laufe des 19. Jahrhunderts dagegen immer weiter

zurück. Im Gegenzug dazu wird der neuen Religionsgemeinschaft, die als Wahlfamilie konzi-

piert wird, Raum gegeben, wobei hier wie in anderen autobiographischen Texten

„Namedropping“ eine übliche Methode ist, um anzuzeigen, mit welchen bekannten Personen

der Zeitgeschichte man in Verbindung steht. In den Konversionserzählungen schlägt sich im

Vergleich zu denen der Frühen Neuzeit die Säkularisierung in der zunehmenden Behandlung

weltlicher Themen nieder.

Die Auswertung von Konversionserzählungen als Selbstzeugnisse kann Aufschluss über die

Erfahrungen und die Selbstentwürfe der Konvertiten sowie über ihre (angestrebten) Verortun-

gen in der Gemeinde, im beruflichen Kontext, in der Gesellschaft oder generell „in der Welt“

geben. Beides wird an der Behandlung und Beurteilung von Normen und Werten, an der Kri-

tik der Gegenwart, der Darstellung der Vergangenheit und in der Auswahl der (intendierten)

Adressaten sichtbar, gegenüber denen die Autoren häufig unterschiedliche oder gar gegen-

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sätzliche Komponenten ihres Personkonzeptes betonen. In den Texten finden sich somit

(Selbst-)Empfehlungen und Autorisierungsstrategien, die Hoffnungen und Erwartungen, zum

Teil auch Zukunftskonzepte sowohl für die persönliche Situation wie für die Gesellschaft, die

die Welt im Ganzen aufscheinen lassen. Selbst- und Fremdwahrnehmung werden teils direkt

thematisiert, teils lassen sie sich indirekt erschließen.

Während die Konvertiten wohl meist bemüht waren, als Katholiken unter Katholiken oder als

Protestanten unter Protestanten zu gelten, so wurden sie in den Gemeinden als etwas Beson-

deres, eben als Konvertiten, empfunden. In den Texten werden verschiedene Zugehörigkeiten,

gewünschte wie von außen erzwungene, beschrieben und erörtert. Ob sich Konvertiten der

Gruppe der Konvertiten zugehörig fühlten oder ob sie sich einer solchen Gruppenbildung ent-

gegenstemmten oder entzogen, ist nicht immer zu erkennen. Sie wurden von ihren ehemaligen

Glaubensbrüdern als Konvertiten definiert und dieser Zwangsgemeinschaft zugeordnet. Zum

Teil verkehrten sie auch bevorzugt innerhalb dieser Gruppe. Auf die meisten Personkonzepte

innerchristlicher Konvertiten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert dürfte wohl zutreffen, dass sie

in der „Paradoxie einer dauerhaften Übergangsphase“75 zwischen den Welten standen, sie

gehörten nicht mehr zu ihrer Herkunftswelt und sie waren in der neuen christlichen Umge-

bung nicht gleichberechtigt integriert. Sie gehörten der einen Kirche nicht mehr und der ande-

ren noch nicht ganz an.

Relevant für die Erschließung der Personkonzepte von Konvertiten ist auch die Textgestal-

tung, insbesondere die „Dramaturgie“ des Textes, die sich unter anderem darin äußert, dass

ein raffinierter Spannungsbogen aufgebaut wird oder bestimmte symbolisch besetzte Leitmo-

tive gezielt an Schlüsselstellen im Text platziert werden, um die (gottgewollte) Folgerichtig-

keit der eigenen Konversionsgeschichte zu verdeutlichen – und sich möglicherweise zugleich

als versierter Erzähler zu präsentieren, der Lesenswertes zu bieten hat.

Die Funktionen der Konversionserzählungen und der Umgang mit Konvertiten und

Konversionserzählungen als Gradmesser für die konfessionelle Verfasstheit der Gesell-

schaft

Obwohl die konfessionellen Auseinandersetzungen über Konversionen im 19. Jahrhundert an

Schärfe gegenüber den konfessionellen Streitigkeiten in der Frühen Neuzeit nicht verloren

hatten, gibt es einen wichtigen Unterschied im Vergleich der beiden Zeiträume: Konversi-

75 CARL (wie Anm. 5), S. 535.

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onswillige hatten im 19. Jahrhundert mehrere Optionen, wenn sie ihre Herkunftsreligion ver-

lassen wollten. Eine der neuen und zunehmend genutzten Möglichkeiten war dabei der Wech-

sel in die Konfessionslosigkeit. Wenn die Zahl der Menschen, die keiner Kirche angehörten,

bis zum Ersten Weltkrieg auch verschwindend gering war, so etablierte sich doch gegen Ende

des 19. Jahrhunderts eine kleine Gruppe von Atheisten und Agnostikern, die sich dem traditi-

onellen Zwang der Kirchenzugehörigkeit entzogen.76 Statistisch messbar geworden ist diese

Gruppe „durch die Einführung einer neuen Spalte in die Kirchen- und die staatliche Religi-

onsstatistik“.77 Die Kirchenzugehörigkeit scheint von einer wachsenden Zahl von Menschen

als Privatangelegenheit betrachtet worden zu sein, die zum Teil vom Zentrum an den Rand

eines vielschichtigen Personkonzepts verwiesen wurde. Das mag ein Grund dafür gewesen

sein, dass die Skandalisierung von Konversionsfällen gerade bei Eintritten in die protestanti-

sche Kirche im 19. Jahrhundert bestenfalls bei vormaligen katholischen Priestern gelang. In

deutschen Gebieten erschien der Weg von der katholischen zur evangelischen Kirche der pro-

testantischen Bevölkerung in der Regel als ein angemessener Schritt, um sich Richtung Mo-

derne zu bewegen. Dagegen wurde die „Rückkehr“ in die katholische Kirche von denselben

Kreisen als „Rückfall“ in vormoderne Zeiten gewertet. Ganz anders wurden dagegen die in-

nerchristlichen Konversionen von den Katholiken eingestuft, die in der Tradition seit dem 16.

Jahrhundert Protestanten als fehlgeleitete Katholiken zu interpretieren gewohnt waren, denen

man einmal mit mehr und einmal mit weniger Geduld gegenüberstand. Konvertiten, die zum

Katholizismus übertraten, hatten in dieser Sicht den von ihren Vorfahren begangenen Fehler

korrigiert, während Menschen, die aus der katholischen Kirche austraten, eben diesen Fehler

aus weltlichen, meist sehr durchsichtigen Gründen begingen. Um die berufliche Situation zu

verbessern, um sich der Familie des Ehepartners anzupassen oder weil die Prämissen des ka-

tholischen Glaubens nicht richtig verstanden wurden, konvertierten in den Augen der Katho-

liken Glaubensbrüder, ohne dabei die fatalen Auswirkungen zu bedenken, die dieser Schritt

für ihr persönliches Seelenheil und die „Einheit der Kirche“ bedeuten musste.

76 Lucian HÖLSCHER, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, Kapitel Ausblick: Die religiöse Lage zu Beginn des 20. Jahrhunderts, S. 401–407, hier S. 401–402. Vgl. auch Datenatlas zur religiösen Geographie im protestantischen Deutschland. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. 4 Bde., hg. v. Lucian HÖLSCHER, Berlin [u. a.] 2001. (Bd. 1 Norden, Band 2 Osten, Band 3 Süden, Band 4 Westen). Die Statistiken sind für die einzelnen Landeskirchen aufgeführt. 77 HÖLSCHER (wie Anm. 76), S. 402.

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Inwieweit die frühneuzeitlichen Konversionsberichte ebenfalls in einer breiteren Öffentlich-

keit oder aber nur in theologischen Fachkreisen diskutiert wurden, ist nicht bei allen zu bele-

gen, da teilweise keine Gegenschriften erschließbar waren oder über deren Verbreitung und

Rezeption nichts bekannt ist. Die Mehrfachkonversion Zitters ist jedoch ein Indiz dafür, dass

das Phänomen der Skandalisierung von Konversionsfällen auch in der Frühen Neuzeit bereits

existierte: Zitters erste Konversionserzählung erlebte innerhalb weniger Wochen fünf Aufla-

gen und sorgte für überregionales Aufsehen, was vermutlich auch mit den dramatischen Um-

ständen ihres Glaubenswechsels zusammenhing, der mit einem wagemutigen Sprung vom

Dach eines Erfurter Klosters begann.78

Wenn auch der Glaube und die Kirchenzugehörigkeit im Laufe des 19. Jahrhunderts in der

evangelischen wie in der katholischen Bevölkerung zunehmend als Teil des Privatlebens an-

gesehen wurde, so wurde doch in katholischen wie in evangelischen Gemeinden der Austritt

von Gemeindemitgliedern meist mit einer schwachen Persönlichkeit, Wankelmut, Charakter-

schwäche und fehlender Orientierung in Verbindung gebracht. Wurden die „Neuen“ als echte

Glaubensbrüder betrachtet? In Verteidigungsschriften und Stellungnahmen stellten sich die

Kirchen offiziell meist hinter ihre jeweiligen Konvertiten. Zu manchen Konversionen, von

denen man annehmen kann, dass manche Geistliche an deren Dauerhaftigkeit Zweifel hatten,

findet man nur dürre oder gar keine Stellungnahmen. Besonders Konversionen von Frauen

scheint man gerne mit Zweifeln begegnet zu sein, da man befürchtete, das „schwache Ge-

schlecht“ würde den Einflüsterungen durch andersgläubige Väter, Ehemänner und Brüder

erliegen können. Im Falle der frühneuzeitlichen Mehrfachkonvertitin Zitter führte dieses

Misstrauen außerdem zu Zweifeln daran, dass die unter ihrem Namen erschienene Rekonver-

sionsschrift tatsächlich (allein) aus ihrer Feder stammte: Hieronymus Brückner, der Zitter

nach ihrer Flucht aus dem Kloster eine Zeitlang in seinem Haus in Gotha aufgenommen hatte,

erklärt in seiner Gegenschrift, dass hinter Zitters „Gründlicher Vorstellung“ mindestens ein

„gelehrter Pabstischer Mann [...] verborgen liege“.79 Dabei differenziert er zwischen Verstan-

78 Martha Elisabeth ZITTER, Gründliche Ursachen welche Jungfer Marthen Elisabeth Zitterinn bewogen / das Frantzösische alias Weiß-Frauen Kloster in Erffurt / Ursuliner Ordens / zuverlassen / und sich zu der waaren Evangelischen Religion zubekennen. In einen Schreiben an ihre Mutter (Tit.) Frau Maria Margaretha ietzo (Tit.) Herrn Johann Hübners von Rosenberg / Obr-Leutenants / und Fürstl. Bamberg. Commendantens in Cronach Eheliebste / Angezeiget / und zu Abwendung ungleicher Nachrede zum fünfftenmal gedruckt / und mit einer Zugabe C. S. H. P. vermehret. Jena bey Johann Gollnern, 1678. Zu den Umständen der Flucht aus dem Kloster siehe ZITTER (wie Anm. 36), S. 77–78. 79 BRÜCKNER (wie Anm. 36), S. 4. Auch Zitter selbst macht in ihrer Rekonversionsschrift ihr

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deskräften, die er ihr durchaus zugesteht und fundiertem theologischen Fachwissen, das er ihr

abspricht und infolgedessen ihre Autorschaft anzweifelt.80 Wenn auch das Misstrauen gegen-

über Konvertiten nicht immer zu belegen ist, so kann man doch feststellen, dass der Tatbe-

stand, nicht in die jeweilige Gemeinschaft geboren worden zu sein, sondern erst nachträglich

dorthin gewechselt zu sein, stets Erwähnung fand.

Forschungsperspektiven

Literaturberichte zu Konversionen zeigen, dass die Forschungen, mit Ausnahme der jüdisch-

christlichen sowie der biographischen Untersuchung bekannter (fürstlicher) Konvertiten (der

Frühen Neuzeit), erst am Anfang stehen. Bislang existiert weder zu den publizierten Konver-

sionsberichten der Frühen Neuzeit noch zu denen des 19. Jahrhunderts eine modernen An-

sprüchen genügende Bibliographie. Die Listen, die von uns erstellt wurden, können nicht den

Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Einige Titel konnten zudem trotz intensiver Recher-

chen nicht aufgefunden werden. Eine Datenbank, in der nicht nur die Titel von Konversions-

berichten, sondern auch die in Bibliotheken und Archiven vorhandenen Bücher mit Signatur

aufgenommen werden, wäre ein geeignetes Arbeitsmittel für die zukünftige Untersuchung

von Konversionsberichten.

Ein zweites Desiderat stellt die Digitalisierung der Konversionsberichte dar. Da viele der Be-

richte in Fraktur gedruckt sind, ermöglichen auch PDF-Dokumente keine ausreichenden

Suchfunktionen. Hier haben wir probeweise ABBYY FineReader-Programme eingesetzt. Das

Ergebnis dieser Textkonversionen war jedoch wenig zufriedenstellend. Aufgrund dieser Prob-

leme haben wir in der Regel mit Exzerpten gearbeitet, was für die Analyse der Texte erhebli-

che Nachteile mit sich brachte, da neu erkannte Zusammenhänge und Fragen in einem späte-

ren Forschungsstadium eine wiederholte Ausleihe und weitere Durchsicht der oft sehr um-

fangreichen Schriften nötig machten.

Grundlagenforschung steht sowohl hinsichtlich der Quellensuche als auch der tieferen Analy-

se der Quellen aus. So könnte noch systematischer Zitaten aus anderen Konversionsberichten

nachgegangen werden und die vertikalen wie die horizontalen Zusammenhänge in den Kon-

Geschlecht zum Thema, indem sie ihr lutherisches Intermezzo als Irrweg einer „betrüglichen Mainung“ darstellt und die damalige Schwäche ihrer Urteilskraft mit ihrer Zugehörigkeit zum „Gebrechlichen Weybsvolck“ erklärt. Auf diese Weise sucht sie ihre Verantwortung(sfähigkeit) zu reduzieren – sowohl für ihre erste Konversion wie auch für deren schriftliche Begründung; ZITTER (wie Anm. 36), S. 66. 80 BRÜCKNER (wie Anm. 36), S. 4.

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versionserzählungen herausgearbeitet werden. Aus welchen älteren Konversionsberichten

wird (immer wieder) zitiert? Welche zeitgenössischen Konversionsberichte waren bekannt

und wurden direkt oder indirekt thematisiert?

Auf der Rezeptionsseite gibt es weitere Forschungsdesiderate. Wir beschränken uns auf veröf-

fentlichte Gegenschriften und Rezensionen zu den Konversionsberichten. Die Untersuchung

von ausgewählten Zeitschriften hat jedoch gezeigt, dass auch in Abhandlungen, in deren Zent-

rum nicht Konversionen oder Konversionsberichte stehen, zum Teil auf Konversionsberichte

eingegangen wird. Korrespondenzen und die Tagespresse könnten intensiver ausgewertet

werden, um die Reichweite und die Dauer der Diskussionen besser einschätzen zu können.

Wurden die Konversionen lokal, regional, im deutschen Sprachraum oder auch über die deut-

schen Sprachgrenzen hinaus thematisiert? Wie viele Personen waren an polemischen Ausei-

nandersetzungen beteiligt? Und in welchem Argumentationszusammenhang wurde aus Kon-

versionsberichten zitiert?

Zudem könnte ein Vergleich gedruckter und ungedruckter Konversionsberichte von Interesse

sein, wobei auch die oben formulierte Annahme zu überprüfen wäre, dass ungedruckte Texte

einen stärkeren Selbstzeugnischarakter haben und damit für die Erforschung von Personkon-

zepten ergiebiger sind.

Welcher Stellenwert und welche Bedeutung kommen innerchristlichen Konversionen, den

Konversionsberichten und der Diskussion dieser Konversionserzählungen vom 17. bis zum

19. Jahrhundert zu? Wir konnten zeigen, dass Konversionsberichte als Selbstzeugnisse gele-

sen werden können und Schlüsse über das Personkonzept von Konvertiten zulassen. Sie er-

möglichen textimmanent darüber hinaus auch Rückschlüsse auf die Erfahrungen und die

Weltsicht, die politischen Einstellungen und die gesellschaftliche Verortung der Konvertiten.

Religiöse Konversionen konnten bis zum Ersten Weltkrieg noch zu hitzigen öffentlichen Dis-

kussionen führen und haben deshalb in Publikationen viele Spuren hinterlassen, die zum gro-

ßen Teil noch auf ihre Entdeckung warten. Wenn diese Debatten auch nur ansatzweise einen

Rückschluss erlauben, in welchem Maße und von welchen gesellschaftlichen Gruppen die

Konversionserzählungen gelesen, weitergegeben und diskutiert wurden, so lassen sich daran

doch der hohe Stellenwert von religiösen Fragen und die normative Bedeutung von Kirchen-

zugehörigkeit, die auch im 19. Jahrhundert als selbstverständlich galt, erkennen. Die Untersu-

chung von Konversionsberichten und deren Diskussion sowie des Umgangs mit Konvertiten

eignen sich unserer Meinung nach besonders für die Moderne hervorragend, um die Wech-

selwirkungen zwischen Religion und Gesellschaft weiter auszuloten.