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Unbeobachtbare Welt Über Kunst und Architektur Niklas Luhmann Frederick D. Bunsen DirkBaecker Verlag Cordula Haux L' lL_

Dirk Baecker: Die Dekonstruktion Der Schachtel (1990)

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Die Dekonstruktion Der Schachtel

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UnbeobachtbareWelt berKunstundArchitektur Niklas Luhmann Frederick D. Bunsen DirkBaecker Verlag Cordula Haux L'lL_ CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Luhrnann, Niklas: Unbeobachtbare Welt:ber Kunst und Architektur I Nildas Luhmann; Frederick D. Bunsen, Dirk Baecker.-Bielefeld: Haux, I990 ISBN 3-925471-07-3 Fr die freundliche berlassung der Dias dankt der Verlag der Galerie Tendenz, Sindelfingen, die Frederick D. Bunsen stndig vertritt. fr die Farbphotos by Galerie Tendenz. Farbphotos von Uli Beck und Nandel Guckes. Fr die freundliche Genehmigung, die Schwarzweiphotos zu verwenden, bedankt sich der Verlag bei Karin Mueller, Leonberg. 1990 Verlag Cordula Haux Typographie und Einband Heinz Beier unter Verwendung eines Details aus ohne Titel1988, Seite 6 5 von Frederick D. Bunsen Lithographien Thomas &Kurzberg, Bielefeld Satz, Druck und Bindung Clansen &Bosse, Leck ISBN 3-925471-07-3 7Weltkunst Niklas Luhmann 46Beobachtetwerden Frederick D. Bunsen SIDas Kabelkalb. Ein Gesprch ber Kunst Luhmann, Bunsen, Baecker 67Die Dekonstruktion der Schachtel: Innen und Auen in der Architektur Dirk Baecker und da andererseitsdieFormulierung von Herrn Luhmannja auchzu stimmen scheint, da letztlich auerordentlich wenig geht. Der Kunstbe-trieb schluckt ganz und gar nicht alles.Wenn man das vergleicht, diesen ReichtumdesProzesseseinerseitsund diegeringeAkzeptanzbreitedes-sen, was dann tatschlich geht, andererseits, und das mglicherweise auf den Formbegriff zubringen versucht,um sichbeidesvorstellenzukn-nen: es geht nur wenig, aber was geht, verdankt sich einem unglaublichen Proze der Gelegenheiten; wenn man das vergleicht und auf den Formbe-griff bringt, dann, scheint mir,kommt man ein gutes Stckweiter als ein Begriff, der im Moment in der Kunsttheorie verhandelt wird, der Begriff des Erhabenen- bei Lyotard etwa. Dieser Begriff wird offensichtlich aus einem ganz anders gearteten Gefhl heraus formuliert und aufgegriffen, nmlich aus dem Gefhl heraus, da zuviel geht und wir irgend etwas zu schaffen versuchen mssen, was in sich uns mitteilt: dies ist ein Werk, ein Werk, das nicht mehr bertroffen werden kann und nach dem man auch keine anderen Werke mehr zu schaffen braucht. Wie geht das zusammen, warumluft eineBeobachtung desknstlerischenSchaffenssosehran. den von uns beschriebenen Formbildungsprozessen vorbei, da sie einem Begriff des Erhabenen aufsitzt? Und wie erklrt sich dieses Verlangen, zu einem erhabenen Gegenstand zukommen, der ein Ende setzt,und zwar ein Ende,das weder vondemKnstler noch vondemBetrachter selbst .gesetzt werden kann, sondern sich ereignen mu als Divination, als divi-natorisches Ereignis? Haben Sie eine Erklrung dafr, Herr Luhmann? Luhmann:Eigentlichnicht.IchbinnatrlichmitHerrnBunsender Meinung,da man schondieFhigkeit habenmu,zuentscheiden,ob etwas fertig ist oder nicht fertig ist, ob es gelungen ist oder nicht gelungen ist, ob man es so lassen kann oder ob man noch etwas tun mu. Nur finde ich die Etikettierung dieses Resultats mit irgendwelchen Begriffen proble-matisch,dienicht auf den Produktionsproze selbst Bezug nehmen,die alsonichtauf dieSequenzvonGelegenheitenunddadurchveranlate neue Aktivitten Bezug nehmen, die also nicht viel mehr sagen wollen als nur: es ist jetzt genug, esist jetzt zu Ende. Wenn man eine Zusatzbemer-kung, einen Zusatzbegriff braucht, dann ist der in der ideologischen Dis-kussion der heutigen Zeit sofort kritikfhig. Kann man denn in einer Ga-lerieherumgehen und sagen:dieses Bild ist erhaben und diesesist nicht erhaben? Es lenkt vielleicht auch zu sehr ab von der Selbstkompositions-leistungdesKunstwerkes,wennmansolcheBegriffeindieDiskussion einbringt. Es sind Abwehrbegriffe fr Beliebigkeit, aber wenn man Kunst-werke anschaut, sind sie alles andere als beliebig. Selbst wenn sie das Be-liebenetwa einesAction-painting vorfhren,selbst wenn sie vorfhren, da alles anders sein knnte und man eseben mal so gemacht hat, selbst dannistesallesanderealsbeliebig,sondern eineFormordnung,die, glaube ich, gar keine weitere Etikettierung braucht. 66 DieDekonstruktionder Schachtel InnenundAueninder Architektur DirkBaecker I. DieArchitektur,soscheintes,isteinWissenundeinHandwerkohne einen zentralen Leitgedanken. Vieles wird durch die Architektur organi-siert, vom Schutz vor Wind und Wetter ber das Fernhalten von Blicken und Zugriffenbishinzum Wohnen,Arbeitenund Sich-Begegnen,aber kein Grundgedanke organisiert die Architektur. Weder der Bau noch der EntwurfalssolchefolgenerkennbarenPrinzipien,allererstenRegeln, einem Kanon der Formen, Mastbe und Proportionen. So sehr jeder ein-zelneBauundjedereinzelneEntwurf nochinseinenRtseln,nochin seinenInkonsequenzenundnochinseinemVerfehlenlesbarundver-stndlich sind, so wenig ist es die Architektur insgesamt, die, nach einem Wort von Paul Valery,immer mit einem berflu an Erklrungen,My-then und imaginren Grnden aufwartet.1 Darum.kannmanesverstehen,dasichdieArchitektenmeistmit einem mglichst breiten Wissenber die Welt und einer mglichst raffi-nierten Kunstfertigkeit im Umgang mit Orten, Formen, Materialien und Techniken begngt haben, wenn esdarum ging, sich in ihr Metier einzu-ben. Erst spt erhebt sich die Forderung nach einem reflexiven Umgang derArchitektenauchmit der Architektur,und zwarinteressanterweise erst in dem Moment, als neben die Vitruv'sche Forderung, da der Archi-tekt im schriftlichen Ausdruck gewandt sein, des Zeichenstiftes kundig, inderGeometrieausgebildet sein,mancherleigeschichtlicheEreignisse kennen,fleiigPhilosophengehrt haben,etwasvonMusik verstehen, nicht unbewandert in der Heilkunde sein, juristische Entscheidungen ken-nen,KenntnisseinderSternkunde und vomgesetzmigenAblauf der Himmelserscheinungen besitzen>Programm von bertragungen, Transformationen oder Permutatio-nen, deren uere Normen nicht mehr das letzte Wort behalten.68 Das ist noch keineAntwortauf die Frage, ob eine Architektur des Ereig-nissesmglichist,geschweigedennauf dieFrage,obdieReferenzauf Ereignisse als Leitgedanke der Architektur fungieren knne. Denn unklar bleibt ja, was denn dort bertragen, transformiert und permutiert werden mu, damit Architektur als Architektur zu ihrem Recht kommt. Was ist es denn, was es der Architektur ermglicht, die ueren Normen in Distanz zu setzen und mit ihnen nach eigenem Entwurf umzugehen? Die Frage, die es zu beantworten gilt; hat Derrida selbst treffend formuliert:>>Es handelt sich gerade um das, was dem Sinn zustt: nicht im Sinne dessen, was uns erlaubte,endlichzumSinn vorzustoen,sondern dessen,was ihm,dem Sinn zustt,demSinndesSinns.>re-entryvon Anfang an>Angriff auf die EckenorganischenArchitekturEineniegekannteDurchdringungvonInnen- undAuenraum>flieendenRaurnkontinuums>flieendeRaumkontinuum>VorgabenElementargeschehenderArchitekturzuschlieen.Docheinsolcher Durchgriff berspringt die wesentliche Stufe der Abschirmung als Diffe-renz zwischen Schlieung und ffnung und berspringt damit diejenigen Formbildungen im Medium der Rumlichkeit, die allererst die Grundele-mente der Formbildungen der Architektur darstellen. Erst in der Fassung derAbschirmungimSinneeinerSchlieung,diedann,im negierenden Rckschlu, auch die ffnung greifbar macht, ist der Architektur Rum-lichkeit zugnglich und verfgbar. Mit dieser Distanzierung desRaumes zuin Medium desMediums der ArchitekturisteineFreisetzungdermglichenAbschirmungen,Schlle-ungenundffnungenvon eigenerRumlichkeit gewonnen.Auchein 94 Schatten, auch eine gedachte Linie, auch ein unbestimmtes oder bestimm-tes Gefhl der Beengung oder eine Korrespondenz zwischen zwei Punkten im Raum kann bereits als eine Abschirmung fungieren,der architektoni-scher Wert zukommt. Und ebenso kann bereits ein wandernder Sonnen-strahl, eine die gedachte Linie berkreuzende Diagonale, ein unbestimm-tesoder bestimmtesGefhl der Ausweitung oder der Verzicht auf einen korrespondierendenPunkt alsffnung gelten,dieArchitektur erlebbar macht. Und auch ein Durchgang, eine Brcke, ein Winkel in einer Mauer erhlt architektonischen Wert, sobald nur ein Innen vor einem Auen ab-geschirmt wird, das als erreichbare Auenseite der Innenseite prsent ge-halten wird. Jetzt kann man auch die schon mehrfach gestellte Frage nach der Form der Architektur beantworten. Die Antwort kann nur mit der Unterschei-dung zwischen Form und Medium selber arbeiten: Architektur ist Form-bildung im Medium der Abschirmungen, wobei die Abschirmung immer zweifach zu denken ist: als Schlieung und als ffnung. Die Abschirmung istnichtnurvorgestellteBedingungderMglichkeitvonArchitektur, nicht nur regulative Idee, sondern ein wie immer ausgeprgtes reales Ele-ment, das die Ausgrenzung eines Innen in einem Auen leistet. Grundbe-dingungen der Statik mssen ebensobercksichtigt sein wie eine Asym-metrisierungderUnterscheidungvonInnenundAuenzugunstendes Innen.DementsprechendsindnichtschondieBaumaterialiendasMe-dium der Architektur, sondern erst Konstruktionselemente, die als Schlie-ung oder ffnung im Kontext einer Abschirmung Verwendung finden knnen.Dieseinihrer Verweisungsstrukturbereitsbezeichneten,wenn auch noch nicht auf bestimmte Verweisungen festgelegten Konstruktions-elementesindinderArchitekturdas,wasimMediumder Sprachedie Worte oder im Medium des Geldes die Zahlungen sind. Aus der Mannig-faltigkeitmglicherSchlieungenund ffnungen greift dieArchitektur bestimmte heraus, die sie im Entwurf und Gebude zu einer Form verdich-tet. Die Unterscheidung zwischen Schlieung und ffnung setzen wir an die Stelle der Differenz von Innen und Auen. Erstere bezeichnet Entwurf und Konstruktion der Architektur, letztere die Mglichkeiten der Darstel-lung von und Kommunikation ber Architektur. In der Form der Abschir-mung kommen Entwurf und Konstruktion,Darstellung und Kommuni-kation zur Einheit. Interessant an dieser Rekonstruktion von Architektur mit Hilfe der Dif-ferenzvon Form und Medium ist unter anderem,da man sehen kann, da die Architektur durch jede neue Form an Mglichkeiten nicht verliert, sonderngewinnt.DieForm verbraucht dasMediumnicht,sondern sie reproduziert es.Denn jede Form kann alsfesteKopplung von Abschir-mungensofort wieder in die Menge der Abschirmungenin loser Kopp-lung aufgelst werden,soda man an einer FormdasMedium ablesen kann,indem siegebildet ist,und sojede Form mit der Flle mglicher andererFormenkonfrontieren kann.Das gilt natrlichweniger fr die Konstruktion der Architektur, die mit der Widerstndigkeit des Materials rechnen mu, wenn sie die eine Form zugunsten einer anderen Form auf-lsen will. Aber dasgilt fr die Kommunikation ber und die Kritik von 95 :ros. Siehe dazu die BedeutungderPltzebei CamilloSitte, Der Stdte-Baunachsei-nen knstlerischen Grundstzen, 3. Aufl.,Wien:r90I.:ro6. Siehevor allemdieBedeuru.ngdes In-nenraums bei Wright selbst (z. B. SchriftenundBauten, a. a. 0., S. 2.2.8) unddie Bedeu-ru.ng einer Architektur derDimension alsReflexionsformel des Stdtebaus beiSchweizer, ber die Grundlagen des archi-tektonischenSchaffens, a. a. 0., S. iv. Untereiner Architekru.rder Dimension istmehrund anderes zu verstehen als eine axialeoder rasterfrmige Gestalrung des Stadt-grundrisses, die immer noch inBegriffeneines wennauchstdtischen Innenraumsgedacht sind. Die Architektur der Dimen-siongreift indie Landschaft hinein(Schweizer, Die architektonische Gro-form, a. a. 0., S. :r:r), beziehungsweise, all-gemeiner undparadoxer, sie greift in dasOffene hinein und bezieht daraus ihreForm. Mandenke an die Erweiterungs-plne vonRio deJaneiro,Algier undZlinvonLeCorbusier,andenEntwurfderBroad-acre City von Frank LloydWright undandas Brasilia von Lucio Costa (vgl. fr einenersten Eindruck Frampton, Die Architekturder Modeme,a. a. O.,S.:rs6f., :r64f. undS.u8f.). xoy. Ichdenke an Filme wie Blade Run-ner (:r982.) oder "JackRain (:r989) vonRidleyScott.Architektur,derjedeFormalsauchandersmglichgilt.Vorallemder Blick des Architekten ist wohl ein Blick, der sich im Gegensatz zu dem des Normalbrgers sofort nicht auf die Form, sondern auf das Medium rich-tet und dort nach anderen Mglichkeiten forscht, die jedoch, auch das ist zuunterstreichen, nur anhand einesVergleichesmit bestimmten, bereits entworfenen oder realisierten Formen Unterscheidbarkeit und Prgnanz gewinnen. XIII. Architektur berfhrt in festeKopplungen, was im Medium der Abschir-mungen zunchst in loser Kopplung vorliegt. Wie ist dieser bergang von loser zu fester Kopplung mglich? Was tut der Architekt, wenn er Formen bildet? Er entwirft und konstruiert, das heit er whlt aus. Er entscheidet sich fr bestimmte Formen und verwirft andere. Der Formbildungsproze ist also ein Selektionsproze. Die wichtigste Voraussetzung fr diesen Se-lektionsprozeistdasHin- undHerwechselnknnenzwischenSchlie-ung und ffnung. InteressanterweiseknnenArchitektenundStdteplanerhierunter-schiedlichgewichten,indemsiedieDifferenzzwischenSchlieungund ffnung gegenlufigasymmetrisieren.Whrend derArchitektdieff-nung alsNegation derSchlieung denkt,denkt der Stdteplaner umge-kehrt die Schlieung alsNegation der ffnung. Dem Architekten geht es um die Geschlossenheit eines Gebudes, dem Stdteplaner um die Offen-heit des Stadtgrundrisses. Dem Architekten wird daher der Bezug des Ge-budesauf seineUmwelt,alsodieffnung,zumgestalterischenRefle-xionsmittel seiner Architektur, whrend der Stdteplaner die Herstellung vonInnenrumeninder Offenheit derStadt alsdasNon-plus-ultra der Gestaltung ansieht. '05 Erst nach der Dekonstruktion der Schachtel, also erstnachdemReflexionsaktderArchitektur,knnenArchitektenund auch Stdteplaner zwischen Position und Negation der Bedingungen ihrer Formbildungbewut hin- undherwechseln,alsodieArchitektenauch den Innenraum und die Stdteplaner auch den Auenraum als Ziel ihrer Gestaltungsabsichten anerkennen. roG Aber in dem Mae, in dem Architekten wie Stdteplaner zwischen den Mglichkeiten der ffnung und der Schlieung bewut gestalterisch hin-undherwechseln,verliertauchdiegegenlufigeAsymmetrisierungder Differenz zwischenffnung und Schlieung an Strukturwert. Architek-tur wird zum Stdtebau und Stdtebau zur Architektur. Erreicht wird da-durch ein noch hheres Auflsungsvermgen im Umgang mit den Mg-lichkeiten der Abschirmung, die das Medium der Architektur ihren Form-bildungen zu bieten hat; Ob es sich bei Buckminster Fullers >>geodtischen Domenkunst-volles, korrektes und groartiges Spiel der unter dem Licht versammelten Baukrper