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8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
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8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
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DER EIGENE
s t r e b t e i ne n ge i s t i ge n T umme l p l a t z K uns t und E i ge na r t s c hä t z e n
de n M e n sc he n z u b i e t e n . S c h önh e i t und L i e be , Wi s se ns c ha f t ,
F r e i he i t und V a t e r l a nd s i nd d i e G ü t e r , um d i e e r kä mpf t . —
E i n Ba hn br e c h e r „ ne u he l l e n i s c he r " K u l t u r - I de e n , w ill e r d i e
L e be nsa uf f a s sun g de r G e d a nke n l os i gke i t mi t i h r e r E l e nds - und
M i t l e i dsm or a l , s a m t de n K ne c h t s - I do l e n i h r e r G l e i c hhe i t s fl e ge l e i,
du r c h e i ne s e l bs t be w uss t e , z uku nf t she r r l i c he ve r d r ä n ge n he l f e n ,
i n de r da s o f fi zi el l G e a i c h t e , da s H e r de nm ä ss i ge , de n e i nsa m e n
E i g e nc h a r a k t e r n i c h t e r d r üc k t . — E r f o r de r t d i e fr e i e , du r c h
ke i ne A u t o r i t ä t ge he mmt e Be t hä t i gung de s I nd i v i duums , w e i l s i e
d i e s i c he r s t e G a r a n t i e f ü r de n soz i a l e n F or t s c h r i t t b i e t e t , f ü r d i e
e n t w i c ke l ung smä s s i ge , ge w a l t l o se N e uo r dnun g de r D i nge , . di e
j e de n i n de n S t a nd s e t z t , a u f s e i ne e i ge ne We i se g l üc k l ic h z u
se i n . S e i n Z i e l i s t so : d i e g r ös s t mö g l i e hs t e W ohl f a h r t A l l e r
* * * * * J a h r e s - A b o n n e m e n t s * * * * *
f ür 4 , 50 M k. ne hme n a us se r A do l f B r a n d ' s V e r l a g , Be r li n -
Neurah nsdor f , a l le Buch hand lungen des Ju- und Auslandes an,
eben so a l le Ze i t l ingshändler — auf die Son der -A usga be zu 10 Mk.
auch a l le Posta usta l ten . Postze i tung sl i s te M 22 42. 4 4- 4. 4 4
E s komme n j ä h rl i c h 24 N um me r n he r a us . Z w a ng l ose s E r sc he ine n
d e r H ef te v o rb e ha l ten . 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
* * * * * * A u f W u n s c h * * * * * *
er folgt b r ie f l iche Zuste l lu ng u nd b esondere Kuver t ie r ung be i ent
s pr e ch en de r P or to -E rh öh un g. 4 4 4 4 . 4 4 4 4 4 4 4 4
* * * * * * P r o b e n u m m e rn * * * * * *
s t e he n j e de r z e i t z u r We r bun g ne ue r A bonne n t e n g r a t i s z u r V e r
fügu ng. Um solche di rek t an Inte ressenten versenden zu könn en,
is t jed och auch die An ga be neu er Adressen s te ts e rwünsch t .
-Hs-
-;£- •*- -M.- U ns er e F re u n d e -*- -#- -#- -*-
w e r de n d r i nge nd g e be t e n , übe r a l l , w o s ic h G e le ge nhe i t da z u
bie te t , für die Verb re i tu ng des Pla t tes beso rgt zu se in und in
Re s t a u r a n t s , Ca f e s , K ond i t o r e i e n , Buc hha nd l unge n un d be i de n
Z e i t ungshä nd l e r n i mme r w i e de r de n E i ge ne n z u ve r l a nge n . 4 4
N A C H D E M G E W I T T E R .
Violenbleiche Lichter f lirr 'n durch Schill und Bied.
Nachtwolken f la t te rn — und der Nachen z ieht
' Hel lge lbe furc hen durch das schwarze Moni .
Mat ts i lbr ig schwimmt in weissem Nebel l lor
Die ö de I le ide —
l ' i id Abend sonnet ise id e ,
( Johl - und rubinrot ,
Wie E lfenschmuck an Busch und Binsen loht .
Pr s teht im Kahn . Se in schöner Le ib e rglüht ,
Wi e M a r mor be be nd , P ur pur übe r gös se n ,
Vor knabenhaf te r Scheu. — Sein dunkles Auge sprüht
Unm ut und L iebe , Trau r igk e i t umf lossen —
Und macht das Leben mir so weh
w\d
w u n d
l''-r Kip^ne.
AMtvi-Ui-ri I'' "'.
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3/24
— Er kämpft und ringt mit Scham und wacher Brunst,
Wie Koboldspuk im glühen N ebeldunst.
—
iEr
will versagen
—
doch
die
Kraft entflieht,
W ie er mir tief und stumm ins Ant litz sieht.
Die Lenden zittern und es zuckt sein Mund —
Verzeihung schmeichelt seine weiche Hand
—
Die roten Lippen pressen sich auf meine —
Ich küsse seinen Nacken still und weine
— Und traumverloren rudern wir ans Land.
jfcdolf Brand
r
Eigene .
7 —
Augustheft 1899.
SONJA
Die kleine Fürstin Sonja feierte ihre Hochzeit.
—
Das ganze Palais war hell erleuchtet, und im grossen Saal
fing man eben erst an zu tanze n. Sonja stand aber schon oben an
der Treppe und nahm Abschied von ihrer Mutter, die sie umarmt
hielt und mit feierlicher Miene über ihrer Stirn ein Kreuz schlug
und Segensworte dazu sprach.
— Die
ganze Dienerschaft stand
im
Hintergründe, weinte und wünschte Glück und Segen, und Marussja,
die alte Amme, die sie in ihrer Kindheit gewartet hatte, küsste ihr
weinend die Hände und machte ebenfalls das Zeichen des Kreuzes
über sie.
Dann ergriff
ihr
Gatte ihren
Ann
führte
sie die
Treppe hin-
unter zum Schlitteu, der unten stand, und hob sie hinein. — Die
Pferde griffen aus und der Schlitten flog davon. —
Sonja sass ganz still in ihrem Pelz und den vielen Decken
da. — Manchmal sah sie den Mann, der da neben ihr sass, scheu
von der Seite an. Er hatte den Pelzkragen in die Höhe geschlagen
und sprach ebenfalls nichts; es war aber auch so kalt, dass der
Hauch am Munde gefror, und in den vielen Umhüllungen konnte
man sich fast gar nicht rühren. Zu Zärtlichkeiten war also jetzt
durchaus nicht der rechte Moment.
"Sonja schloss die Augen und vergrub das Naschen in den
weichen Pelz. Der Schnee knirschte unter den Schlittenkufen, die
Glöckchen klingelten lustig, und manchmal flog ihr ein wenig Schnee
ins Gesicht. — Das w ar alles so angenehm und so seltsam dabei
so ganz anders, wie eine gewöhnliche Schlittenfah rt.
— Und während der Schlitten dahinsauste, träumte die kleine
Sonja.
Sie träumte von der Liebe, jenem grossen R ätsel, dessen
Lösung sie nur dunkel ahnte. Ihr bangte vor dieser Lösung und
doch sehnte sie sie herbei. Es musste etwas Wunderbares sein,
Der Eigene .
_ 71 —
A ugus the f t
1899.
8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
4/24
etwa s Grosses, Hohes und dabei doch unendlich Süsses. Sie ahnte
etwas davon . . . ja, sie wusste schon . . .
Diese kleine Sonja hatte ein Geheimnis, ein grosses Geheimnis.
Und es war so gross, dass sie nicht einmal ihren besten Freundinnen
etwas davon erzählt hatte.
Vor bald einem Jahre war es gewesen — gerade zu Ostern,
und sie war eben aus dem Institute nach Hause gekommen. — Ihre
Mutter sah sie selten, denn die Fürstin war wenig zu Hause und
Sonja durfte sie noch nirgendhin begleiten; sie wurde immer auf
den nächsten Win ter vertröste t. Nur in die Isaaksk irche sollte sie
mitgehen, in der Oster nacht. Darauf freute sie sich kindisch; denn
der Kaiser würde auch da sein und der ganze Hof und sie war
noch niemals in der Osternacht in der Kirche gewesen
Gerade am Ostersonnabend fühlte sich die Fürs tin aber so
leidend, dass sie zu Bett liegen bleiben musste. — Sonja musste
also natürlich auch zu Hause bleiben.
Mit verweinten Augen sass sie in ihrem Zimmer und fühlte
sich sehr unglücklich. Die Lampe hatte sie ausgelöscht; im Finstern
konnte sie besser auf die Strasse sehen und das musste sie doch
wenigstens thun
Es war sehr hell da unten, und die Menschen strömten nur
so vorbei. Alle gingen sie zur Kirche, und nur sie musste zu
Hause bleiben. —
Da kam ihr plötzlich ein toller Gedanke.
Wie, wenn sie auch hinging — heimlich — — allein
Die Isaak skirche war ja ganz nahe. — Alle Dienstboten waren
fort, ausser dem Mädchen, das bei der Mutter war die Mu tter
selbst schlief — niemand würde sie also jetzt suchen. Wenn sie
sich ganz dicht verhüllte und die Schlüssel von der Hinterpforte
nahm . . . . Sie wusste ja , wo sie hingen, und der Portier war
auch in de r Kirche . . . .
Unschlüssig starrte sie auf die Strasse.
Niemand würde etwas merken niemand — Es war zu
verlockend
Und Sonja schlüpfte in ihre Pelzstiefelchen, band ein dunkles
Tuch um das lichte Haar, nahm einen langen Mantel um und
dann stand sie auf der Strasse, zum erstenmale allein.
Wie war das herrlich
r E ige n e . — 72 — A ugus the f t 1899.
Sie liess sich von dem Menschenstrom in die Kirche schieben,
wo die Messe schon begonnen hat te, und drückte sich dort möglichst
in eine Ecke. — Es w ar schön in der Kirche, so feierlich. Die
Popen beteten mit singender Stimme, die Chorknaben sangen und
der Weihrauch wallte in Wolken auf und stieg zur Decke empor.
Ob der Kaiser auch da w ar, konnte sie nicht sehen, denn wie sie
sich auch reckte und sich auf die Zehen hob: sie konnte nicht
über die vielen Köpfe fortsehen.
Allmählich wurde ihr aber unbehaglich zu Mute. Diese sich
bekreuzigende Menge mit den Wachskerzen in den Händen, die
nach Schweiss und Schmierstiefeln roch, der monotone Gesang, der
Weihrauchduft — — alles das betäubte sie förmlich. —
Dann kam der grosse Rundgang um die Kirche. — Voran
schritten die Popen, und das Yolk drängte nach. Sonja wurde m it-
gerissen. Ängstlich versuchte sie aus dem Gedränge herauszukommen,
aber sie konnte es nicht mehr. Und so kam sie mit den anderen
auch wieder zurück zum Eingange.
Das Volk stürzte rücksichtslos herein; wer schwächer war,
wurde bei Seite gestossen, und Sonja ge riet in Gefahr, n ieder-
geworfen zu werden. Sie schrie laut auf vor Angst.
Da legte sich ein Arm um sie und sie wurde emporgehoben
auf den Vorsprung ein er der mächtigen Säulen, die den gewaltigen
Bau stützen. Halb ohnmächtig lehnte sie sich an ihren Beschützer.
— Sie hatte ihm nicht ins Gesicht gesehen; sie sah nur etwas
wie einen dunklen Bart. Das Gesicht war von einer Militärmütze
halb verdeckt und die Hand, die ihren Arm stützte, schlank
und kräftig.
Unten drängte und stiess die Menge, schimpfend und fluchend —
Die Glocken der Kathedrale fingen mit einem Male dumpf-
dröhnend zu läuten an und die Glocken der anderen Kirchen ant-
worteten ihnen. Ein M eer von Tönen wogte plötzlich über Pet ers-
burg hin.
Der Priester hatte soeben verkündet:
„Christus ist auferstanden "
Und die ungezählte Menschenmenge in der Kirche und auf der
Strasse jauchzte:
„Er ist w ahrhaftig auferstanden " Und alles fiel sich gegen-
seitig in die Arme und küsste sich. —•
Der Eigene.
— 7 —
Augustheft 1809.
8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
5/24
Zwei dunkle leuchtende Augen sah Sonja plötzlich in nächster
Nähe vor sich und
ein
bärtig er Mund drückte sich
auf den
ihren. —
Dann wurde sie wieder freigegeben. —
Wie im Traume sah sie die Stufen vor sich, die auf die Strasse
führten,
und wie
im Traume flog
sie
sie hinab und eilte nach Hause.
Dort war alles ruhig. Niemand hatt e ihr Fortgehen bemerkt.
Fiebernd entkleidete sie sich und legte sich schnell zu Bett. Sie
fühlte immer noch den weichen Druck der fremden Lippen, und ihr
Herz klopfte heftig und ihre Wangen brannten. —
Seit dieser Osternacht träumte die kleine Sonja von den Küssen
des Mannes und von der Liebe.
Im Sommer ging
die
Fürstin
mit
ihrer Tochter
in ein
fashionables Bad und im Anfang der Winter saison wurde Sonjas
Verlobung mit dem Grafen Nikolai Ossipowitsch Eristow bekannt
gemacht.
— Sie
hatten sich
im
Bade kennen gelernt,
d. h. die
Fürstin stellte den Grafen ihrer Tochter vor, und als er bald darauf
um Sonjas Hand anhielt, wurde dieser gesagt, dass sie ihn zu
heiraten habe. Die Fürstin
war es
müde, eine erwachsene Tochter
zu behüten;
der
Graf
war
eine passende Partie
—
also unisste
sie
ihn heiraten. —
Und Graf Eristow kam dann jeden Tag, brachte Sonja ein
Boukett, küsste ihr die Hand und unterhielt sich mit ihr eine halbe
Stunde in Gegenwart der Mutter. — Dann ging er wieder fort.
Und die arme kleine Sonja war immer so schüchtern und ver- .
legen, wenn
er da war. Er war so
viel älter
wie sie —
schon
35 Jahre und immer so ernst; sie wagte ihn kaum anzusehen. —
Manchmal wurde sie sehr traurig, wenn sie daran dachte, dass sie
ihu heiraten müsse,
und
weinte. Einmal fragte
sie
ihre Mutter:
„Sag' mal, Mamuschka, muss man seinen Mann nicht lieben ?
Ich weiss nicht, ob ich Nikolai Ossipowitsch liebe. Ich fürchte
mich fast
vor ihm "
Die Fürstin antwortete: „Wenn
er
erst dein Mann sein wird,
wirst du ihn schon lieben."
Darauf wurde Sonja wieder ganz vergnügt. — Ja, ganz gewiss,
wenn er ihr Mann war und sie küssen durfte, würde sie ihn sicher
auch lieben
und
sich nicht mehr fürchten.
Und jetzt sass sie an seiner Seite und fuhr mit ihm fort —
zu ihm.
Der Eigene
— 74 —
Augustheft
1899
Der K utscher schnalzte mit der Zunge, knallte mit der Peitsche,
und lustig klingelten die Glocken. —
Es
war am
andern Morgen.
Sonja erwachte nach einem kurzen unruhigen Halbschlummer
an der Seite ihres Gatten. —
Mit einem beklemmenden Gefühl
von
Angst richtete
sie
sich
auf. Wie fremd alles um sie her war: dieses prächtige Zimmer,
das von der kleinen Lampe vor dem H eiligenbilde schw ach erleu chtet
wurde. —
- Sie
fühlte jemand plötzlich neben sich
und
hätte fast
aufgeschrieen vor Schreck. Dann erinnerte sie sich, dass sie ja
verheiratet war. —
Sie beugte sich
vor und sah dem
Manne neben sich
ins
Gesicht. —
Er schlief fest. — Der Kopf war ihr zugewandt und ein
widerlicher Weingeruch
kam aus
seinem Munde.
Er
hatte viel
ge
trunken am Abend vorher. — Das Hemd war aufgerissen und die
Brust lag nackt da. Eine eingefallene Brust — die Haut gelb,
wie ledern
und mit
Finnen bedeckt.
Sonja starrte ihn an — entsetzt, mit weitgeöffneteu Augen .
Sie fand ihn abscheulich. Wie konnte man nur diesem fremden,
hässlichen Manne erlauben, sich neben
sie zu
legen?
Das also war die Liebe, von der sie so sehnend geträumt
Schauder des Ekels schüttelten sie. — Ihr Kopf und ihr
ganzer Körper thaten
ihr weh. — In
ihrem weissen Nachtkleide
stand sie auf. Ihre Arme hingen müde herab, wie die gebrochenen
Schwingen eines armen kleinen Vogels.
Vor
dem
Heiligenbilde glit t
sie
nieder,
mit der
Stirne
den
Teppich berührend.
Und über
die
Dächer kroch langsa m
der
graue Wintermorgen
Petersburgs
. . . .
budmilla von F^ehren
Der Eigene — 75 — Augustheft 1899
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L I E B E S L I E D
Ein se l t sam Lied vo l l süsser Klage
Sa n g m i r m e i n F r e u n d z u r H a r f e Sp i e l ,
A l s^ t r ä u m e n d v o m e n t sc h w u n d 'n e n T a g e ,
D i e B l u m e
schlief
der Tau schon fiel.
Wir sassen in der Gar ten laube
Bei e iner Am pel ros 'gem S chein ,
Es rank te r ings d ie wi lde Traube
Mit b lassen Winden im Vere in .
M e i n F r e u n d sc h l u g w u n d e r b a r d i e Sa i t e n
U n d sa n g , d a s L i e d u n n e n n b a r w e i c h —
Ich füh l te meine Brust s ich wei ten
Und wähnte mich den Göt tern g le ich .
D i e Sa i t e n r a u sc h t e n i n Ak k o r d e n ,
Melod isch f lu te te der Sang ,
Un d mit den t ie fempfund 'nen W or te n
V e r sc h m o l z s i c h sü s s d e r H a r f e K l a n g . —
Be i m l e t z t e n T o n sc h l a n g i c h d i e Ar m e
U m m e i n e n he i s sg e l ie b t e n F r e u n d ,
U n d p r e s s t e i h n a n s H e r z , d a s w a r m e ,
D e n sc h ö n e n Sä n g e r , m e i n e n F r e u n d
Ich küsste ihm den Mund , d ie Augen ,
E r schmieg te s ich an meine B rust ;
Au s se inen Bl icken dür f t ' ich saugen '
D e r h e i l ' g e r i L i e b e r e i n e L u s t
— D i e H a r f e s c h w i e g — i m g r ü n e n L a u b e
D i e Am p e l l o sc h — r i n g s w a r d e s N a c h t
D i e Wi n d e sc h l a n g s i c h u m d i e T r a u b e
I n e i n e r w a r m e n So m m e r n a c h t .
b o u i a f r a n c h e .
Der Eigene.
— 7 —
Augusthaft 1890.
K L A S S I S C H E N A C H T .
Wa n n u m A la b a s t e r l e ib e r
Spie l t e in we iches Wcihrauchschvvingen
l>n d a u s b l a u e n N ä c h te u e i t e n
S in k t e in m ä re l i c n s c h u e re s K l in g e n . .
Ferdinand Max Kur th
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L I E BE
A u s : „ B r i e f e a n L i l i . V .
Meine l iebe Lil i ,
er inners t du dich, dass du mich einmal aus lachtes t , a ls ich
dich bat , deine Füsse küssen zu dürfen? Da sagtes t du m ir :
„G eh ' , Han ns , du muss t auch immer was Besonde res ha ben "
Nun hab ' ich wieder mal was Beson deres ge hab t — und
das wil l ich dir erzählen.
Im Somm er, weisst du, war ich in Wie sbad en. Dor t lernte
ich Palo mita kenn en; au ch du kenns t s ie ja aus meinen Lied ern.
S ie war das Kin d deu tscher Elt ern aus Buenos Ayre s , war
nach D eu t s ch land gekomm en , ih r e V er w a nd ten zu bes uchen . I h r
Ve tte r war Lan dr ich ter in Wie sbade n, dor t traf ich s ie . Acht-
zehn Jahr war s ie und war schlank und blond — so blond, wie
du bist, Lili.
E ines Tag es t r ug i ch B lumen zu de r F r au Land r ich te r .
P a lom i ta w ar do r t ; s ie t r ug e in he l l e s, l angs ch leppendes M or gen -
kleid , mit bunten Blumen gemuste r t . Fra u Kla ra Hess Sekt br ingen ,
und w i r t r anken und f u t t e r ten Er d bee r en und r auch ten C iga r e t t en .
F r au K la r a s chw atz te und l ach te , s i e hus ch te he r um, s as s am
Flü gel , b l ickte durch s Fens t er — o so geschä f t ig und lebhaf t
Ab er Palom ita rühr te s ich nicht , sprach kaum ein Wo rt . S ie
ha t te d ie Füsschen auf d ie Chaiselon gue heraufge zogen, da sass
s ie ,
s t ippte ' e in Cake in das spi tze Glas und sah mich gross an
mit den blauen Aug en. Als Fra u Kl ar a hinausging auf einen
A ugen b l i ck , g ing i ch zu P a lomi ta , nahm ih r e H än de und küs s te
s ie .
— Sie l iess mich ruhig gewähren.
Ich weiss n icht mehr , wann es uns zum Bewüss tsein kam ,
das s w i r zw e i uns l i eb ha t t en . — J eden N a chm i t t ag gegen 4 U hr
gin g ich zu ihr . Dann war der La ndr i cht er weg, aufs Ger icht ,
von da g ing e r s t e t s zum A bends chopp en . S o w ar en w i r unges tö r t
b i s gegen A ch t . — Er s t t r anken w i r Th ee zu d r e ien ; dann g ing
Frau Klara aus , l iess uns al lein .
Der Eigene.
— 78 —
Augustheft 1899.
U nd immer d ie s e lbe P h r as e : „En t s chu ld ig t mich — a ber
ich muss wirkl ich zur Schn eider in " — „Verzeiht , Kin der , h eut '
muss ich die Prob ebild er vom Pho togr aph en holen" ich
weiss n icht , was s ie al les holen muss te — ein leichtes Lächeln ,
dann war s ie zur Thüre hinaus .
Meis t s tanden wir am Fens ter und nickten ihr noch einmal zu.
„Seid ar t ig , Kin der ," r ief s ie , „ Ma ma kommt gleich wieder "
Aber s ie kam nie vor acht Uhr .
— Wir sprachen so wenig, Palo mita und ich. S ie war so
faul und langsam in jede r Bewegu ng, d iese deutsche Süd länder in ,
abe r ihre Faulhei t ha t te etwa s Gött l ich es , Souverän es . Of t kniete
s ie vor m ir , s tü tzte d ie Ellen boge n auf meine Kniee , s tar r te mich
an ; dan n s treichel te ich ihre W an gen oder las ihr meine Lie der vor .
Od er s ie sass am Klavie r und spiel te . Ein weiches , duf tendes ,
zi t tern des Spielen. — D ann k aue r te ich an ihrer Sei te . — Nah m
auch wohl ihren Fuss , zog Schuh aus und Strumpf und bedec kte
den süssen, weissen Fuss mit g lühenden Küssen.
Sie fand das ganz natür l ich ,
fand gar n ichts (Besonderes '
dar in , wie du, Li l i
— W ir beiden l iebten uns ja , Palom ita und ich Und ihre
jun ge , entzü ckend e, ers te Liebe schläfer te mich ein , l iess mich
al les da draussen vergessen , in d iesem roten Para dies , dessen
schw ere türkische Vo rhän ge ka um einen kleinen Sonnens trahl
einliessen.
Das war das Glück, das mich wieder lachend in seine Arm e
schloss . Ich schr ieb dir n ichts dav on, Li l i? — Ha b ' ich dir
jemals geschr ieben, wenn ich glücklich war? —
Ab er meinem Spezi erzäh l te ich davon, weiss t du, dem
hübsc hen, k leinen Char les . Eine m muss te ich ' s sage n Ich nahm
ihn auch einmal mit in d ie Schlosss trasse. Da s t iessen wir v ier
an , F r au K la r a , Char l e s und w ir be ide — auf uns e r e L ieb e U nd
P a lomi ta l eg te ih r en A r m um meinen H a l s :
„ O m ein Hann s , wie ich dich l ieb ha be "
— — Nu r zwei Monat e — da nn m uss te s ie zurück üb ers
Wa sser . Und so bew og s ie ihre Kou s ine, dass s ie n ichts ,mit-
zuma chen ' b r auch te , ke ine Tenn i s p a r t i e , ke in Wet t r ennen , w ede r
K onz er t e noch Thea t e r . S ie b l i eb zu H aus e , — a ll e in — —
Der Eige ne. — 7a — Augustheft 1899.
8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
9/24
Der Landr ich ter wunder te s ich ; mein te sch l iess l ich , s ie habe
wohl e ine ung lück l iche Liebe .
Aber s ie ha t te e ine g lück l iche .
— So g ing ich wieder e inmal hinauf am-18 . Jun i war es .
Fra u Klar a war schon for t und Palomita lag , wie gewöhnl ich ,
lang gest reck t au f dem Sopha. W ir sag ten uns gu ten Ta g ,
küss ten uns. Plötz lich, wie meine Ha nd über ihre Schläfen fuhr,
seufzte si e; sie schien einzuschlafen. Ich str ich ihr noch ein
paarmal über d ie St i rne — wirk l ich s ie schlief. Seit meh r als
zwei Jahren ha t te ich n ich t mehr hypno t is ie rt , se i t München n ich t .
Du er inners t d ich , L i l i , dor t war es ja unser täg l iches Sp ie l
P a l o m i t a schlief. Leise löste ich ih re Ha are , g rub meinen
Kopf e in in d ie weichen Locken meiner b londen Her r in — .
Dan n schel l te es . Frau Klara kam zurück , s ie b l ieb heu te
bei uns. Und nun hypnot is ie r te ich Palom ita wiede r und wieder ;
sie wa r ein prach tvolle s Med ium. Jed en Befehl führte sie sofort
.•ins, dek lam ier te , s ang , sp ie l te — wir hä t ten so auf d ie Bühne
gehen können . Fra u Klara war begeis te r t — —
Den fo lgenden Ta g kam ich wieder ; und a ls wir a l lein
waren — ein le ich ter Druck der Han d — „Sch lafe , L iebch en " ,
und s ie lehn te s ich zurück , sch lummer te . Es war mir e in unbe
kan nte s, unbe schreib lich süsses Gefühl, sie so schlafend in meinen
Armen zu wissen .
Atem los, unbewegl ich lag s ie da . I ch küsste ih re Lock en ,
ih re Au gen , den Mund , d ie Hände . Un d dann — o ich wusste
kaum, was ich tha t — r iss ich ih r Kle id auf und bedeck te mi t
Küssen ih re weissen Brüste .
Un d jeden T a g nun Hess ich sie einschlafe n; wenn wir eben
al le in waren , jeden Tag .
Am 24 . Jun i g lüh te d ie Sonne am Himm el , o s ie g lüh te .
Und an dem Tage jag te und pu ls te mein Blu t , wie es n ie ge than .
Ich kam zu Palomita . Frau K lara g ing , und s ie sch l ie f in meinen
Arm en . Da geschah es . I ch zog s ie aus , Rö cke und He md ,
a l les nahm ich ih r weg . Sie rühr te s ich n ich t . Un d dann nahm
ich ihre süsse Unschuld —
Sie wehr te s ich n ich t , ih re Augen b l ieben gesch lossen . Nu r
e in k le iner Schre i d ra ng aus ih ren Lippen . E in Schre i , wie ihn
das Reh ausst iess , das meine Kug el e inst t r a f im Kot tenfo rs te .
Der Eigene
Augusthelt 1899
Sei tdem habe ich Palom ita kaum mehr wac hend ge sehe n ;
war ich be i ih r , sch läfer te ich s ie e in . E in paar Tag e spä t er
befahl ich ihr:
„Hörst du mich , L iebc hen? Ich wi l l , dass du heu t ' Na ch t
mich zu dir lässt. Du sollst trac hten , den Hausschlü ssel zu be
komme n, ehe du auf de in Zim mer gehst . Hörs t du? — Heu te
Na ch t um 12 Uhr n immst du de n Sch lüsse l , b indest ihn an e ine
lange Schnur , d ie läss t du zum Fen ster h inaushängen . Du w irs t
de ine Th üre n ich t versch l iessen . Du wirs t L ich t b rennen lassen ,
damit ich sehe , dass du mich erwar test . Hörst d u , was ich d i r
befeh le? — D u wirs t — d as — al les — th un "
Palom ita z i t te r te , ih r nack ter Leib beb te in meinen Armen .
„Hast du mich gehör t? — Wirst du das thun?"
Ihr „Ja " k lang widerwi l l ig , ge zwunge n .
Aber ich ach te te n ich t darauf. — U m 12 Uh r eilte ich die
Sch lossst rasse hinauf. Ich sah nach oben — ih re Fenster waren
er leuch te t . I ch k le t te r te über das Gi t te r , sp ran g durch den Vor
gar ten . Von ihrem Zim mer hinab hing der Schlüs sel. Ich r iss
d ie Leine herun ter , ö f fnete d ie I lausth ür , e i l te d ie Tre ppe n h inauf
b is zum zwei ten Stock . Ih re Thü re war n ich t versch lossen ; s ie
sass ha lb angek le ide t au f dem B et te .
Ih r Bl ick war se l t sam, er schreck t und ung läub ig . Sie sch ien
zu g lauben , dass s ie t räume mit o f fenen Augen .
Und wohl um den Traum festzuhal ten , sch loss s ie d ie Augen .
Ras ch sp rang ich auf s ie zu , e in Wor t , e in Ha uch : s ie
schlief.
Ich aber h ie l t s ie in meinen Arm en , d ie ganz e her r l iche
N a c h t ü b e r .
Un d d ie nächste Na ch t und d ie übernäc hste — el f wunder
b a r e , m ä r c h e n sc h ö n e N ä c h t e
. Am 10. Aug ust sollte sie abrei sen. Sie sollte in Bade n-B aden
Onkel und Ta n te t re ffen , d ie auch zurückfuhren . Dann nach
Genua und von dor t in d ie Heimat mi t der „Alster" . — Sie wol l te *
n ich t , dass ich mi tfuhr nach Bade n-B ade n , w o s ie noch zwei
T ag e bleiben sollte. S o bat ich sie , f lehte sie an, von dort noch
einmal zurückzukom men, auf e inen T a g nur , auf e in paa r Stun den .
Schliesslich befah l ich es ihr in der Hy pno se. Sie verspr ach es.
— O, ich fü rch te te mich so vor ih rer Abre ise . Dann w ar
ich a l le in , mi t mir se lbst , mi t meinen — en tse tz l ichen Ged anke n
Der Eigene
— 81 —
Augustheft 1899
8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
10/24
Bis s ieben Uhr mor gens wa r ich bei ihr . Dan n ei l te ich
nach H a us e , bade te , k l e ide te mich um. U m neun U hr f uh r s i e ,
i ch b r ach te ih r B lumen zum Bahnhof.
„Au f "Wiederseh 'n mo rgen abe nd " r ief s ie .
D an n w ar s i e f o r t. I ch ve r abs ch iede te mich von dem L and
r ichter und seiner Frau, schlender te durch die S trassen.
U nd nun gleich f ing es an. Es klet te r te mir d ie Brus t
hinauf
sch nür te mir d ie Ke hle zu. Es kram pfte s ich mit g lühenden
Fin ge rn in meinem Hirn und l iess mir d ie Aug en in den I löhlen
b r enne n . Es quä l t e , mar te r t e mich ung laub li ch .
„M ein G o t t me in G o t t "
Ich versuchte mich zu beruhig en. — „Pa h — du — und
G e w i s s e n "
Ab er es g ing nicht .
Ich muss te jemand haben, der mich vor mir selbs t in Schutz
nah m. I ch s p r ang in d ie nächs te D r os chke , f uhr zu Char l e s .
D e r S pez i w ar zu H aus e , G o t t s e i D an k — Er l ag noch
im Uett ; ich setzte mich auf d ie Kante.
„N un, Jun ge," r ief er mich an, „du s iehs t ja g ot ts jäm merl ich
aus W as i s t denn lo s ?"
„W er d ' d i r 's s chon s agen , S pez i , l a s s mich nu r — D u
weiss t doch, dass ich s ie l iebe?"
„ W e n d e n n ? "
„S chaf s kop f — P a lom i ta "
„H m — ja , — es scheint so "
„Und du weiss t auch, dass s ie mich l iebt?"
„H m — ja — s chon m ög l i ch "
Un d nun erzähl te ich ihm al les , a l les , keinen kleinen Um
s tan d ve r s chw ieg i ch ihm. S ag te , w ie i ch s ie hypno t i s i e r t e ; w ie
ich s ie im Schlafe verführ t e; wie ich Na cht für Na ch t bei ihr
g e w e s e n .
Als ich zu En de war , s t ier te ich ihn an. Es war mir , a ls
müs s te mi r von ihm mein U r te i l s s p r uch kommen .
E r r äus pe r t e s i ch . D an n— langs am — : „D ar au f s t eh t —
Z u c h t h a u s "
„P a h — Zuch thaus — das s che r t mich den Teu f e l A ber
eins has t du vergessen , Spezi , ich t l ia t das al les , und ich —
l iebe s i e U nd des ha lb s t eh t
darauf—
für mich — W ahns in n "
Der Eige ne. 82 August holt 1899.
— Dann sprang ich auf, aus dem Zimmer , nach Ha use
Und nun ver lebte ich ein pa ar S tund en, o Lil i , so fürchter l ich ,
so entsetzl ich weiss t du, Li l i , ich lernte da kenne n,
wie dem Mörder zu Mute is t , wenn ihm zum Bewuss tsein kom mt,
w as e r ge than —
Um zwei Uhr kam Char le s . Ich bem erkt e ihn ers t , a ls er
mir d ie Hände auf d ie Schultern legte.
„Komm' mit ," sagte er , „wir wollen ausfahren."
Er s ch lepp te mich f ö r ml ich h inaus . D en N ach mi t t a g na hm
er mich au fs Land , den A bend i r gendw o in s T inge l t a nge l , dann
in die Kneipe.
Kein Wort sprach er ,davon ' .
Er brachte mich nach Hause, b l ieb , b is ich zu Bette g ing-
Dann gab er mir ein s tarkes Schlafpulver . Ging e rs t , a ls ich
schon eingeschlafen.
Als ich aufwachte, sass er auf meinem Bett .
„End lich " r ief er , „ ich war te schon eine gesch lagen e S tun de,
ob du aufwachen w il ls t Hö re," fuhr er for t , „ ich ha b ' mir d ie
Gesch ichte über legt , für d ich gieb t ' s nur ein Mit t el He ute abe nd
kommt s ie zurück, sags t du? — Also gehe hin und sage ihr al les "
Ich bebte zurück vor d iesem Gedank en, Ab er ich fühl te ,
dass er recht hat te .
„Wills t du es thun?" f ragte er .
Ich versprach es ihm.
— Um sechs Uhr w ar ich in der Schlosss trasse; s ie war
schon zurück und empfing mich mit heissen, g lühenden Küssen;
kaum konn te i ch mich lo s machen aus ih r en U mar mungen .
„-Palomita, lass mich, ich muss dir wa s sa ge n "
. „So sp r ich "
Aber es g ing nicht . Ich lief wie verrü ckt im Zim mer h erum ,
ich konnte es n icht sagen, konnte nicht . Meine Hä nd e zi t ter te n ,
wühlten in den Ta sch en herum. Auf dem Schreib t isch lag ein
Brief
ich nahm ihn, r is s ihn in viele Fetze n, s teck te s ie in d ie
Tas ch e . N ah m Ble i st i ft e , F ede r ha l t e r — b r ach a l l e s in k le ine
S tücke .
P a lomi ta t r a t zu mi r :
„M ein l i ebe r J un ge "
Der Eigene.
— 83
Augustheft 1899.
8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
11/24
Die Thrä nen s tü rz ten mir aus den A u g e n , sie küsste sie
vo n der W a n g e weg, e inze ln , Thräne für T h r ä n e . Als sie auch
meinen M un d küssen wol l te , s tiess ich sie weg.
„Lass mich ,
du
weisst nicht,
wen du
k ü ss t
- —
Lass mich
—
ich will dir 's sage n alle s "
U n d ich erzäh l te ihr, was ich g e t h a n , mit zusammen
geb issenen Lippen , die A u g e n auf dem Boden .
Ic h
war
fer t ig , ab er
ich
w a g t e n i c h t ,
sie
anzusehen .
Schliesslich
hob ich
doch
den
Blick
—
U n d
da sah ich auf
i h re n L i p p e n
ein
L ä c h e l n ,
so
seltsam,
so wunder l ich
— — oh, ein
L ä c h e l n
— so
teuflisch
— so
kokot tenhaf t
—
Keine Sekunde b l ieb
ich im
Z i m m e r .
Sie
rief
mir
nach :
„ H a n n s L i e b s t e r H a n n s " , a b e r
ich
a c h t e t e
es
kaum.
Zu Hause erwar te te mich Char les .
„ N u n ? " f rag te
er.
„Ich that alles,
wie du
gewol l t , sa g te
ihr
alles, alles
Als
ic h
zu
E n d e
war — — —
lächel te
sie "
„Un d — ?"
„Sie lächel te ,
sag' ich dir — Und in
d iesem Lächeln sag te
si e
mir,
dass
sie
a lles gewusst , dass
sie
m i c h b e t r o g e n ,
so
infam
belogen
und
be t rogen , wie
nie
e in W eib e inen Mann be t rogen ha t "
Ich ballte
die
F ä u s t e
in den
T a s c h e n
. . . — Da zog ich
einen Pap ier fe tzen hera us;
las
darauf ih re Schr i f t .
— Ich
se tz te
mich
hin und
leg te so rgsam
die
Fe t z e n z u sa m m e n , K o u v e r t
und
Bogen .
E s
war ein
Br ief Pa lom itas
an
F r a u K l a r a ,
den sie von
Baden-Baden gestern abend geschr ieben .
„Du sollst mitlesen, Spezi."
Wir lasen :
Liebes Klärchen ,
ich muss dir rasc h eine fre udige
Mit te i lung machen . Es ist end l ich da Als ich heu te morgen
T a n t e und Onkel eben beg rüsst ha t te und so r a sc h d i e T r e p p e n
hinauflief, fühlte ich p lö tz l ich e inen hef t igen Sc hmerz . Auf
m e i n e m Z i m m e r b e m e r k t e ich, d a s s ich gan z voll Blut war.
So sind die Befürch tungen der l e t z t e n a c h t T a g e g o t t l o b
unnütz gewesen — Hoffentlich wird heute morgen dein Mann
Der Eigeno. 84
Augustheft
1809.
nich ts gem erk t habe n ; Hanns g ing er s t um sieben Uhr fort
und dabei knar r te die e ine Treppe nstu fe noch so g r ä s s l i c h
W e n n ich j e tz t w e g g e h e , K l ä r c h e n , so behal te m ich n ich t
in zu sch lech tem Andenken . Du hast mir ja so t reu geho lfen ,
wenn du mich auch oft genug aussch impftest , Klä rche n Sieh ' ,
ic h war ja boden los le ich ts inn ig und h a b e m e in M ä d c h e n t u m
und meine Juge nd verschenk t für das kurze Glück weniger
W o c h e n A b e r ich liebte ihn doch so g renzen los , so u n a u s
sprech l ich — Sei n ich t a l lzu böse , liebes K lärc hen
Bis morgen A bend
D e i n e Pa l o m i t a .
p . s. W e n n du Hanns s iehst , so küsse se ine l ieben A ug en
„Sie hat d ich sehr ge l ieb t " sag te der Spezi .
Ich weiss nicht, was ich sag te .
—
— — — Leb '
wohl , L i l i
Hanns Heinz Ewers.
Der Eigene.
85
Aujustheft 1899.
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12/24
N O N N E N M E S S E .
Ev a n g e l i u m a m 2 7 . So n n t a g n a c h Tr i n i t a t i s .
G l o c k e n g e l ä u t e . . .
J e t z t g e h e n s i e b e t e n .
V e r s c h l a f e n t r e t e n
d i e t h ö r i c h t e n B r ä u t e
D u r c h s h o h e P o r t a l ,
U m G n a d e z u b e t t e l n .
v o r G o t t e s T h ü r e n - — .
Gab e r euch Kraf t ,
s i e z u v e r z e t t e l n
I n t r o t z i g e n S c h w ü r e n ? —
W a h r l i c h ic h s a g e e u c h :
Der Got t , de r euch e rschaf f t ,
i s t L i e b e
D e r s e l b e G o t t , d e r e u c h b e t h ö r t
z u L i e b e
D e r s e l b e G o t t , d e r e u c h z e r s t ö r t
i n L i e b e
L i e b e t
so hab t ih r Go t t .
L i e b e t
s o h a t e u c h G o t t .
L i e b t d i e s en G o t t
d o c h b e t t e l t n i c h t :
E r g a b e u c h a l l e s
W u c h e r t m i t s e i n e m S c h a t z —
. . Ih r so l l t ihn n ich t ve rs t ec ke n
I n s c h w e r e n K u t t e n u n d i n e n g e n R ö c k e n .
So l l s ich fü r euch de r Got t noch regen ,
S o g e h t m i t v o l l e n L a m p e n i h m e n t g e g e n
T heodor E t ze l .
Der Eigene. — 86 — Anguatheft 1899.
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8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
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R E I G E N DE R T O T E N T A N Z E
JL O D Ein Wo r t , kurz und knap p, schar f und gew al t ig , wie e in
furchtbarer auf schre iender Donner nach e inem gie ren Bl i t z , der gezündet ha t .
Tod. Da s ewige ragende Frageze ichen des Wesen s , Lebens , Se ins . Zule t z t —
ü b e r a l l e m : T o d . Ke i n Ga u k e ls p i e l e i n e r e i nz e ln e n b a u e n d e n P h a n t a s ie . —
Ein Dase in . Aber wesenlo s . J edem fühlbar — ke inem s i chtbar . Meh r a l s
g e a h n t e Üb e r k ra f t , we n i g e r a ls b e wu s s t e k n e c h t e n d e A l l ma c h t . . .
Die Menschen l eb ten . Lebten lus t ig — t raur ig . Sie b i lde ten in Gruppe n
Kre i se , di e durch Fami l i en- , Verw nndt sch af t s - und Freunde sbez iehungen ge
schlossen wurden. Da kam in d ie und j ene d ieser Gemeinschaf t en Einer .
Einer — der ke iner war . ü a wa r e r . — Ein ge l ieb te r Mensch wurde ge wal t sam
aus e inem Zi rke l herau sger i s sen . Rück s icht s los . Unba rmherz ig . — Kr s t a rb .
Jeder fühl t e : da war Einer gewesen , h a t t e mi t f r echer Hand d ie Ket t e ihres
f reudigen Lebens durchschlag en. De r Vers torb ene machte of t schreckl i che
Wan dlungen des Ausse ren durch . Die Ges icht s fa rb e verb lass t e ins Gelb l i ch-
wei sse , d i e Augen sanken t i e f in d i e Höhlen zurüc k. Spi t z t r a t en Kinn,
Backenk nochen und Schläfen hervor . Etw as Gr insendes , Höhni sches l eg te s ich
in d ie Züge . Die Hau t schla ff t e s i ch übe r dem Brus tkorb , den Hand- und
Beinknochen, l eg te s i ch an Rippen und Gl i eder schla f f an , da d ie Fe t t schicht
geschw unden war . Schau r ig sahen d ie Leben den den fürchte r l i chen Ver fa ll
ihres to t en Genossen . Das , was da ausg es t reck t auf der Bahre l ag , ha t t e
n icht s Lebendiges mehr in s i ch , n i cht s von Lebendem mehr an s i ch , war to t —
wa r i hn e n d e r T o d .
So kamen Küns t l e r und Bi ldner
darauf
d e n T o d a l s a b g e ma g e r t e n
zer fa l lenen Menschen darzus te l l en . Ab er den Uran fang, d i e dumpfe Gewa l t
des Todes s innl i ch und b i ld l i ch zu verkörpern , bedeute t das n i cht .
Wi r bewahren aus dem Al te r tum Vas en auf , d eren Umschm uck — be
f lüge l tes Weib — unzw ei fe lhaf t d as grosse Ende — den To d symbol i s i e ren .
Die Lemu ren der Röm er , der German en Walkü ren , d i e Er innyen, H arpyien ,
Si renen, d i e Nem es i s , der Hade s — f rüher pe r sönl i ch , sp ä te r ör t l i ch auf-
gefass t — das Tote n- oder Höl l enpferd , welch es s i ch zuwei l en in e inen Adler
oder Delphin verwan del t , bed euten imm er im l e t z t en Sinn e ine Al l egor i e der
furchtbaren u nbekan nten Macht , d i e schl i ess li ch a l l es zerm ürbt . Auch d ie Vor
s t e l lung der Schicksa l s f rauen Holda , Behr t a , Abundia gehö r t h i e rzu . Den T od
a l s S k e l e t t a u f g e fa s s t, s u c h e n w i r z u j e n e r Z e i t v e r g e b l i c h . Z wa r e r z ä h l t
Der Eigene. - 88 — Jlugustheft 1899.
Herod ot (Buch II cap . / 8) , dass in Ägy pten be i der Tafe l d i e F igur e ines
s k e l e t t a rt i g e n M e n s c h e n h e r u mg e r e i c h t wu r d e . Da s b e d e u t e t e a b e r : „ I s s , t r i n k '
und unterha l t ' d i ch , denn wenn du s t i rbs t , so b i s t du d iesem Abbi ld äh nl i ch ."
Echt d i e Auf fassung e ines Sinnesepiku reer s . Ni rgend wei sen d ie e r s t en zwöl f
Jahrh unde r t e nach Chr i s t i den Tod a l s Knoch enma nn auf . A uch d ie ana tom isch e
Unkenntni s des innern Baues des Menschen b i s dahin ha t wohl dazu be ige t ragen.
Ers t d i e Gnos t ike r , j ene e igentüml iche n Sekten , d i e s i ch das Re cht nah men ,
in a l l e r le i Säche lche n Dinge h ine inzudeuten , d i e andere un mög l i ch au s ihnen
herausf inden konnten , gaben e ine ske le t t förmige Dars t e l lu ng des To des . Ab er
ihre Ausd ehnun g und ihr Ein l luss war doch zu ger ing , a l s dass s i e d i eser
Auf-
f assung des Tod es hä t t en Gel tun g ver schaffen können. Da s „Popular i s i e re n
1
'
— wenn m an so wi l l — bl i eb e r s t e inem Orden vorb eha l t en , der s i ch u m das
dre izehnte Jahrh unde r t b i lde te und s i ch d ie „Hei l igen Pau lus -Er em i ten " oder
„ B r ü d e r d es T o d e s " n a n n t e . S e i n e M ö n c h e t r u g e n au f ih r e n G e wä n d e r n
Ab b i l d u n g e n v o n T o t e n k ö p f en u n d Ge b e i n en , u n d d i e g e me i n s a me n T a f e l n
schm ückten Mens chensc häde l , welche an d ie b l i t za r t ige Ver gäng l i chk e i t a l l es
I r d i s c h en g e ma h n e n s o l l te n . D e r Or d e n wu r d e i m s i e b z e h n t e n J a h r h u n d e r t
von Urban VI I I . aufgehoben.
A n f a n g de s v i e rz e h n te n J a h r h u n d e r ts e n ts t an d d er T r i u m p h d e s T o d e s .
J e n e s W e r k , we l c h e s m a n l a n g e Z e i t d e m f l o re n t in i s ch e n M e i s t e r A n d r e a
C i o n e — n a c h s e i n e m T o d e g e wö h n l i c h O r c a g n a g e n a n n t — z u g e s c h r i e b e n
hat t e . Das Bi ld , welches in se iner e twa s zer r i s senen Kom pos i t ion verw i r ren d
wi rkt , ha t e inen hohen s i t t l i chen Gehal t . — Ein Fürs t mag g em ord e t se in .
Se in f rüheres Weib h a t den e l enden Ver r ä t e r j enes Man nes gehe i ra t e t . Um
den Sche in im Volke zu wahren , en t schl i ess t man s i ch , mi t gro ssem Gefolge
die Gräb er des Ent schla fen en und se iner Vor fahren zu besuchen. Eine Le iche
i s t schon b i s auf s Ger ipp e ausgef ressen worden. Schlang en winden s i ch aus
den Toten t ruhe n heraus . Ent se t z t r i ch tet der Fe ig l ing d ie s t a r ren Aug en auf
dies Werk der Zers tö rung — auf den Tr ium ph des Todes . . . Abse i t s s t eh t
e in Ere mi t ; e r hä l t dem Kai ser d i e Beicht t a fe ln h in und fo rder t auf , Busse
zu thun. Den ober en l inken Tei l des Gemäldes n imm t e ine Eins i ede le i m i t
s t i l lem Winkel f r i eden e in . Verschla fen t r äum t e ine k le ine Kapel l e , f romm es
Get i e r be lebt d i e Gege nd. Hier wi rd der Tod e in l i eber Gas t se in . Au ch d en
Lahm en, Bl inden, Krüp peln , Gre i sen wi rd se ine Einkehr Er lösu ng bede uten .
Nich t so in dem Kre i se junger , anm ut iger , l i ebre i zender , l ebens lus t iger Frau en,
d ie s i ch durch Lautensp ie l zu e rgötzen t r achten . Da schw ebt das a l t e , häss -
l i che , bef lüge l te Weib , w elches w i r oben bere i t s kennen l e rn ten , hera n und
schw ingt d i e Sense . Der nächs te Auge nbl i ck wi rd in d i e f röhl i che Rund e
bi t t e ren Schmerz br ingen. Den Himm els raum des Bi ldes bevölkern v ie l e Höl l en
ge i s t e r , Teufe lchen m i t l üs t e rnen Tige r - und Geier f ra tzen , l angen Pike n mi t
Widerhaken und Fledermausf iüge ln , Fr i edensges ta l t en , Engel mi t wei ssen Tauben
f i t t ichen und Stang en, an deren Enden s i ch Kreuze bef inden. Hier z wän gen
Teufe l nackte Menschle in in of fene Flamm engräb er , da s t r e i t en Engel und Gei s t
um die Her r scha f t übe r e in See lchen. Lus t ig t r ag en Bediente Bee lzebubs an
d e n F ü s s e n z u s a mm e n g e s c h n ü r t e Kö r p e r i n Hä n d e n u n d a n g e r e i h t a u f i h r e n
Spiessen zur Höl l e . Auf e inem Haufen geschic hte t l i egen wie ruhend Kö nig
Der Eigene.
89 -
Augustheft 1899.
8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
14/24
Bischof
Ar z t , H i r t , No n n e z u m Z e i c h e n , d a s s d e r T o d e s s c h l a f al le S t a n d e s
u n t e r s c h i e d e a u s g l e i c h t . Da s W e r k , in s e i n e r Ge s a m t h e i t b e t r a c h t e t , i s t wo h l
a n g e t h a n , d e m n a i v e n Vo l k s s i n n d e n T r i u mp h d e s T o d e s z u v e r d e u t l i c h e n .
Die Neigun g, s i ch durch Bi lder des Tod es , na ch e iner Se i t e , auf das
s c h n e l l e Ve r g e h e n u n d Ve r b l ü h e n d e s L e b e n s a u f me r k s a m z u ma c h e n , n a c h
der andern Se i t e , s i ch zu vergege nwä r t igen , dass man d ie Genü sse des kurzen
S e i n s v o ll a u s k o s t e n mü s s e , h a t t e we i t e r e u n d we i t e r e Ve r b r e i t u n g g e f u n d e n .
S o w e i t e , d a s s m a n b ei f e ie r li c he n G e l e g en h e i t en s o g e n a n n te „ T o t e n t ä n z e
v e r a n s t a l t e t e , d . h . S c h a u s p i e l e , in we l c h e n d e n Z u s c h a u e r n e i n e D i c h t u n g v o r
g e f ü h r t w u r d e mi t v i e le n Hu n d e r t M i t w i r k e n d e r , d e r e n E i n e r a ls Ac t e u r d e n
T o d v o r s t e l l t e . — E i n F e s t d i e s e r Ar t , v o n we l c h e m wi r Na c h r i c h t h a b e n , h a t
1453 in Besa ncon s t a t tg efund en. Au ch in Brüg ge ha t das Jah r 1449 e inen
s o l c h e n T a n z ( Da n s e M a c a b r e ) g e s e h e n . — E s s c h e i n t n a t ü r l i c h , d a s s Kü n s t l e r
Gefa l l en an so lchen Spie l en fanden un d s i e b i ld li ch fes t zuha l t en ver su chten .
S o e n t s t a n d d e r e r s t e T o t e n t a n z i m M i n o r i t e n k l o s t e r a u x I n n o c e n t s . E s i s t
d i ese Bi lder re ih e d ie ä l t es t e ihre r Ar t , welche wi r kenne n. Zw ar g laubten
wi r b i sher , dass in Kle inbase l das Jahr 1312 schon e inen so lchen Cvklus her
v o r g e b ra c h t h ä t t e . D a s h a t j e do c h B u r c k h a r t - B i e d e r m a n n a ls f al sc h b e
wie sen , i nde m man i r r tüm l ich d ie Jahre szah l 1512 für 1812 ge lesen ha t t e .
E s k a n n i m e n g e n R a h me n d i e s e s B ü c h e l c h e n s , d a s n ic h t l e h r e n , n u r
anre gen wi l l , na tür l i ch n icht meine Aufg abe se in , d ie geschich t l i che Ent -
w i c k e h mg d e s T o t e n t a n z e s i n a l le n b e k a n n t e n P u n k t e n f e s t z u l e g e n. I c h mu s s
mi c h v i e l me h r b e s c h r ä n k e n , d i e Ha u p t g r u n d z ü g e z u s k i z z ie r e n . W e r e i n e
F o r s c h e r a r b e i t ü b e r d a s T h e m a l e se n w i ll , d e m e m p f eh l e i c h : „ A l e xa n d e r
Go e t t e ; H o l b e i n s T o t e n t a n z u n d s e in e Vo r b i l d e r ; i n S t r a s s b u r g b e i K . J . T r ü b n e r ,
1897 . Et wa s engherz ig i s t der Ver fasser gew esen, wenn er be i der Bet rach
t u n g , d a s s e r s t Ho l b e i n s T o t e n t a n z i n s e i n e r L o s l ö s u n g v o m T e x t l i c h e n d e n
W e r t d e s s e l b s t ä n d i g e n Ku n s t w e r k s e r s t r e b e , s c h r i e b : „ Di e s e s d u r c h Ho l b e i n
e r r e i c h t e Z i e l i s t d e r Hö h e p u n k t u n d e i g e n t l ic h e Ab s c h l u s s i n d e r E n t wi c k e l u n g
d e s T o t e n t a n z e s ; e s f o lg e n n u r n o ch N a c h a h m u n g e n m i t si ch s t et i g a b
s c h w ä c h e n d e m E r f o l g ; u n d w e n n u n s e r J a h r h u n d e r t m i t n e u e m I n te r e s s e di e s e n
Ge gen s tan d ver fo lg t , so geschieh t es nur noch in kul tur - und kuns th i s tor i sch cr
R i c h t u n g . A l s l e b e n d i g e s Z e u g n i s d e r Z e i t g e h ö r t d e r T o t e n t a n z h a u p t s ä c h l i c h
d e m M i t t e l a l t e r a n . Nu n , i c h we r d e s p ä t e r k l a r z u l eg e n v e r su c h e n , d a s s g e r a d e
in den l e t z t en fünfz ig Jah ren Küns t l e r wie Geniessende „den Geg ens tan d a l s
Zeu gni s der Ze i t mi t neue r Liebe und neuen Gedanken zu pf l egen und zu
f ö r d e r n t r a c h t e t e n .
An d ieser Ste l l e wü rde es s i ch — bei f lüchtiger B et rac htun g — vie l
l e i c h t n i c h t ü b e l u n d u n g e l e h r t a u s n e h me n , e i n e C h r o n i k a l l er T o t e n t ä n z e i n
Ki r c h e n , K l ö s t e r n , a u f F r i e d h o f ma u e r n , G l o c k e n , S k u l p t u r e n , A l t a r d e c k e n ,
T e p p i c h e n , v o n d e n e n w i r Ku n d e h a b e n , e in z u f ü g e n . I c h k ö n n t e d i e c ir c a
s e c h z i g Da r s t e l l u n g e n d i e s e r Ar t , we l c h e b i s j e t z t b e k a n n t g e wo r d e n s i n d , i n
t r o c k e n e r R e i h e n f o l g e mi t An g a b e n d e s E n t s t e h u n g s - , W i e d e r a u f fi n d u n g s - u n d
Z e r s t ö r u n g s j a h r e s u . m . h i e r h e r s e t z e n .
E r s t e n s wä r e e i n e s o l c h e M a s s n a h me g e g e n Z we c k u n d C h a r a k t e r d i e s e s
W e r k c h e n s g e r i c h t e t — z we i t e n s wü r d e s i e d e m L e s e r i n t e r e s s e l o s u n d e r mü d e n d
Der Eigene. — 60 — Augustheft 1890.
s c h e i n e n — u n d d r i tt e n s i s t ü b e r d ie s e n Ge g e n s t a n d — a l s F o r s c h u n g s
g e b i e t — e i n e u n g e h e u r e e i n g e h e n d e L i t t e r a t u r g e s ch a f fe n w o r d e n ; i c h e r i n n e r e
n u r a n d i e b e k a n n t e s t e n B ü c h e r v o n M a s s n i a n n , W a c k e r n a g e l u n d S e e l m a n n .
Um e inen Begr i f f d i eser gema l t en Totentän ze in Ki rch en und Klö s te rn
zu geben, wi l l i ch mich mi t e inem Hau ptve r t r e t e r d i eser Ga t tu ng beschä f t igen ,
d e r u n s b e s o n d e r s i n t e r e s s ie r e n w i r d : i c h me i n e d en in d e r B e r l i n e r M a r i e n
k i r c h e . Um s o me h r , a l s d ie s e s Ku n s t w e r k l a n g e Z e i t h i n d u r c h u n s e r n B li c k e n
d u r c h T ü n c h e e n t z o g e n wa r , d i e we n i g s t e n s d a s Gu t e i m Ge f o l g e g e h a b t h a t , d a s s
die Bi lder vor schlechten und ver schlechte rnden Res taura toren ver schont gebl i eben
s ind und uns so fas t noch in ihren Or ig ina l fassungen über l i e fe r t worden s ind ,
was s i ch von ähnl i chen We rken in ande ren Städten n icht gera de behaup ten l äss t .
I m J a h r 1 86 0 g e l a n g e s d e m Ob e r b a u r a t S t ü l e r , d a s Ge mä l d e a n d e r
W a n d d e s T u r m e s d e r M a r i e n k i r c h e z u e n t d e c k e n . Na c h j a h r h u n d e r t e l a n g e r
Ve r s u n k e n h e i t u n t e r d e r a ll e s v e r s c h l i n g e n d e n k a l t e n T ü n c h e , wu s s t e e r d e n
Cyklus wieder an das Lich t zu fördern . Wesh alb und durch we n das Bi ld
den Bl i cken der Men ge entzo gen wo rden , i s t n i cht mi t Siche rhe i t f es t zus te l l en
g e we s e n . An z u n e h m e n i s t j e d o c h , d a s s d a s s i e b z e h n te J a h r h u n d e r t d i e Ha n d
z u r Z e r s t ö r u n g g a n z e r Ku n s t we r k e u n d z u Ve r s c h l e i e r u n g e n d e r s e l b e n g e b o t e n
ha t , v i e l l e i cht in a l l zu fana t i schem Ei fe r , Neuem , Kom me ndem die We ge zu
bahne n. Über den Erschaf fe r des We rkes f ehl t , wie be i so v ie l en Schöpfung en,
j e d e r An h a l t . S o g a r ü b e r d e n B a u p u n k t d e r K i r c h e s e l b s t s c h we b t e i n i g e s
Dunk el . Er s t das Jah r 1294 h in te r l äss t uns e ine Urkun de , aus deren Inha l t
wi r auf das Vorhand ense in de r Mar ienki rc he schl i essen können. Sie war zu j ene r
Zei t völ l ig anders e ing er i ch te t a l s heute und ha t v i e l e Verä nder unge n, Ver
besserun gen ü ber s i ch e rge hen l assen müsse n . In unserer Geschic hte i s t s i e
h in längl i ch dad urch b ekan nt gew orde n, dass 1327 der Pro ps t Nicolaus von
Bernau aus dem Schi f f von e iner b l ind e r regten Menge h inausge t r i eben wurde
u n d i n d e r Nä h e d e s Ha u p t e i n g a n g e s j ä h l i n g s e r s c h l a g e n wu r d e . No c h j e t z t
e r i n n e r t d a s Kr e u z li n k s v o m P o r t a l a n je n e M o r d t h a t . D i e Ge me i n d e w u r d e
mi t ihre r Ki rche in Acht und Bann ge t han und e r s t end gül t ig im Jahr 1347
daraus bef re i t . Vom gross en Brande der Stad t Ber l in (1380) wu rde das Got t es
haus n icht ver sc hont , so ndern vol l s t ändig e ingeäsch er t . 1405 schen kte e in
Bischof
J o h a n n v o n L e b u s , d e r K i r c h e me h r e r e R e l i q u i e n , wo r a u s z u e r s e h e n
i s t , dass s i e schon in den Hauptzüg en wieder aufgeführ t se in mus s te . Mi t t e
d e s f ün f z eh n te n J a h r h u n d e r t s wu r d e d a n n wo h l d e r T u r m g e b a u t , s o d a s s d e r
Au s f ü h r u n g d e s B i l d we r k e s n i c h t s me h r i m W e g e s t a n d . M a n v e r ä n d e r t e
spä te r Ein iges an der Vorh a l l e und zer s tö r t e dadurch l e ider t e i lwei se e t l i che
F i g u r e n d e s T o t e n t a n z e s . I n d i e s e r T u r m h a l l e , we l c h e , d i e n ö r d l i c h e S e i t e d e s
Hause s e innimmt , e r s t r eck t s i ch , an der l inken Innense i t e des Haup tpor t a l s
beginne nd, s i ch b i s zum Anfa ng des Schi f fes, welches von un serm Rau m durch
e ine Ma uer ge t re nnt i s t , h inz ieh end, d er ungefä hr 23 Met er l ange und gege n
2 M e t e r h o h e T o t e n t a n z . Z i em l i ch h ü b s c h v o m D ü s s e ld o r fe r F i s c h b a c h auf-
gef r i scht , h a t heut das Gem älde auf den Besch auer e ine t r e f f l i che , e rns t e
W i r k u n g . E s g e h t e i n l e i s e r Z u g k ü n s t l e r i s c h e n F o r me n g e f ü h l s d u r c h d i e
R e i h e , d a s b e m ü h t i s t , j e d e r e i n z e l ne n Ge s t a l t i h r e P r ä g u n g z u g e b e n , I m
Gege nsa tz zur sons t übl i chen pupp enhaf t e n und hölzernen Scha bioni s i e rung der
Der Eigene. - 91 -
Augustheft 189».
8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
15/24
Figu ren . Da s g iebt uns d ie Berec ht igun g, den Zei tpunkt der Ent s t ehun g d ieses
Tan zes nach 1450 anzu nehm en, in welch er Epoch e si ch d ie Kuns t bem ühte ,
vom Typi schen zum Indiv idue l l en , vom blu t losen fes t s t ehenden zum kraf tvol l
aufbau enden und s i ch zer s töre nden Leben zu ge langen. Die Bi lder re ihe s t e l l t
s i ch wen iger a l s Tan z , denn meh r a l s Reigen dar . Und zwar d ie l ebhaf t e re
Bewegung sehen wi r be i den Todesges ta l t en — halb ske le t t - , ha lb menschen
ar t igen Wes en. Die Per so nen a l l e r Stände , welche mi t den Tod esges ta l t en
— banal , aber imm erhin chara kte r i s i e re nd g esag t — bunte Reihe b i lden , geh en
nur ungern , widerwi l l ig in den aufgezwungenen Reigentakt e in .
Die Reihe zer fä l lt i n zwei Te i l e . S ie wi rd durch e ine Jesusg ruppe mi t
Mar ia und Johan nes ha lb ie r t . Zur Linken d ie ge i s t l i chen Körpersc haf t en , zur
Rec hten d ie Ver t re t e r des wel t l i chen Reiches . Jene Abte i lun g bes t eht a us
vie rzehn Personen, und auch d iese würde s i ch wohl aus ebenso v ie l en zusammen
se tzen , wenn n icht , wie bere i t s oben gesagt wurde , durch Umbau Bi lder zer
s tör t worden wären . Die ge i s t l i che Häl f t e wi rd durch e inen von der Kanze l
h e r a b ü b e r d a s Ve r g ä n g l i c h e p r e d i g e n d e n F r a n z i s k a n e r e i n g el e i t et . Am F u s s e
des Verk ündu ngss tu hles k auer n zwei Fra t zen mi t Kra l l enpfoten , dere n e in er
sündige Weisen auf e inem Dudel sack b läs t , und welche den Teufe l und se ine
Ver füh rungskü ns te symb ol i s i e ren so ll en . De r Küs te r mi t se inem Schlüsse lbund
eröf fnet d i e Ket t e , i hm schl i ess t s i ch der Kapel l an an . Es fo lg t der g e i s t l i che
Richter , dessen Wü rde durch se in ro tes Gew and hervorgehoben wi rd . Na ch
e i n a n d e r k o mme n Au g u s t i n e r , P r e d i g e r , K i r c h h e r r , d e r Ka l t h ä u s e r mi t d e r
Kapuze üb er dem Kopf und de r Dok tor , welch er mi t zu d iesem Stan de ge
rechn et wi rd und bed enkl i ch se in Gla s prüf t , das Aufschluss über da s Bef inden
e ines zu unte r su chend en kranken Menschen g eben so l l . A hnung s los wi rd der
Ar z t s e l b s t z u m R e i g e n d e s T o d e s a b b e r u f e n . M ö n c h , Do mh e r r , Ab t ,
Bischof
Kardina l se t zen d ie Reihe for t , welche mi t dem höchs ten Würdent räger , dem
Paps t , abschl i ess t , den der Tod höhni sch angre i f t , we lcher h i e r a l s e inz ige Aus
n a h me o h n e Gr a b t u c h e r s c h e i n t . Du r c h d a s C h r i s t u sb i l d vo n j e n e m g e t r e n n t ,
beginnt der Reihen der Wel t l i chen , welcher durch den Kai ser e inge le i t e t wi rd
und s i ch in der Kai ser in , dem Kö nig , dem völ l ig geharni sc hten Herz og, dem
R i t t e r , d e m W u c h e r e r mi t d e r Ge l d t a s c h e a m Gü r t e l , B ü r g e r me i s t e r we i t e r
sp innt . Es fo lgen Junke r , Kau fma nn, Ha ndw erke r und endl i ch e in mi t p lum pen
Holzsc huhen an ge tha nener Bauer . De n Beschluss b i lde t der Nar r , dessen Füs se
d e r R e s t a u r a t o r u n g l ü c k l i c h e r we i s e i n d i e P a u k e , s t a t t h i n t e r d i e s e l b e g e s e t z t
h a t t e . De m Ar c h i t e k t e n T h e o d o r P r ü f e r i s t es z u d a n k e n , d as s i n e i n e r
spä te ren Ausb esserun g d ieser I r r tum se ine Ber i cht ig ung fand. Zwisc hen den
Versen des Bauern und Nar ren ha ben d ie der Schan kwi r t in Pla t z gefun den
welch e Prüfer f ä l schl i ch dem Bet rüger zusch r i eb . An v ie l en Ste l l en i s t der
Tex t vol l s t ändig unentz i f fe rbar gew orden . Er i s t so angeordne t , dass unt e r
dem Franz i skan er a l s Ein le i tung v ie rzehn Zei len , unte r j eder anderen P erson
zwöl f Ze i l en s t ehen, von denen immer j e sechs der Mensch und j e sechs der
To d spreche n. Um auch h ie r e ine Prob e zu geben, se t ze i ch den Ver s des
Doktors im Ur text mi t ger ingen Ergänzungen, d i ese lben s ind durch [ | kennt l i ch
g e ma c h t , u n d in d e r L e s a r t v o n W . S e e l n i a n n ( J a h r b u c h d e s Ve r e i n s f ü r
n i e d e r d e u t s c h e S p r a c h f o r s c h u n g , 1 8 9 5, XXI ) h i e r h e r .
Der Eigene.
- 93 — Augastheft 1899.
O r i g i n a l f a s s u n g .
Hob }Um «flrjt.
Ijer boctor, meyfler in ber arfljebye,
3f tiebbe jn> rebe gbeefdjrt tuol bryge,
Hod; meyue 9Y l*Y&*
r
lenger to leueii
Dube willen ja) iiidjt tbti gäbe guten.
£egge(
wea bat
glaß mibe fdjeybet barixiii
Dnbe feet, um wol if ia> uorbantjen Fanl
©d ; almedjtige gob, gef bit my HU ralb,,
lUente bat watet is utermateu quatl
2> t
folbe a>ol iip bij abbeteFen gba it,
[lUente ifj fie ben bot barbe cor Hin (tan;
[Dar jegen] tpnffet Feyn frut in ben ga tben .
[Ejer 3
t
*]f"> niolbeftu ninner war beit l
W o r t g e t r e u e Ü b e r s e t z u n g .
Tod zum Arz t .
Her r Doktor , Mei s t e r in der Arzene i ,
I ch habe euch bere i t s geforder t wohl dre i (Mal ) .
Noch meine t ihr l e ider l änger zu l eben
Und wol l t euch n icht zu Got t begeben.
Leget weg das Glas und sche ide t davon
Und seht , wie wohl i ch euch vor t anzen kannl
Arzt
Acht a l lmächt iger Got t , g i eb du mi r nun Rat ,
Denn das Wass er is t ausser Maas sen sch lech t
Ich so l l t e wohl auf d i e Apotheke geh 'n ,
Denn i ch seh ' den Tod har t vor mi r s t eh 'n ;
Dagegen wächs t ke in Kraut in dem Gar ten .
Her r Jesul w ol l t es t du meiner war t en
Als Szener i e is t für unsern Totentanz e in Wiese nplan a ngeno mm en, der
s i ch rm Hinte rgrunde in bewalde ten Höhenzügen ver l i e r t . —
Häuf ig f inde t man im Anschluss an Tote ntanz bi lder oder a l s e inze lne
D a r s te l lu n g : „ D i e F a b e l v o n d e n d r e i T o t e n u n d d e n d r e i L e b e n d e n . "
Imm er dre i Mensch en, mei s t aus wohlhab endem Stand e (Ri t t e r , vorn ehme junge
Männer ) , werden von dre i Gespens te rn Abgeschiedener angeha l t en und e in
dr ingl i ch auf ihr ausge lassenes f r ivoles Leben aufme rksam ge mach t . Es so l l
i n d i e s en L e g e n d e n n ic h t d i e e i n g r e i f e n d e M a c h t d e s T o d e s , a ls v i e l me h r
e i n G e m a h n e n a n d a s J e n s e i t s v e r s in n b i ld l i ch t we r d e n . —
War en zu Holbe ins Lebze i t en (149/ —1543) Tot entä nze n ic ht s Unb ekanntes
und Frem des meh r , so war e r doch der Ers t e , welcher s i ch ans Werk m achte ,
e inen Tan z in e i nz e l ne n Zeichnungen Tür den Holzsc hni t t zu l i e fe rn . Zw ar
wissen wi r , dass bere i t s 1485 be i Guy Marchan t in Par i s e ine Bucha usgabe
Der Eigeno. — 93 — Aoguotheft 1899.
8/9/2019 Der Eigene : 1899-03
16/24
mi t f ün f z eh n Ho l z s c h n i t t e n e r s c h i e n , d i e j e d o c h e i n e n T o t e n t a n z i n R e i g e n
f o r m z u m I n h a l t h a t t e . De r P a r i s e r Ve r l e g e r An t h o i n e Ve r a r d g a b s p ä t e r
e i n e ä h n l i c h e h e r a u s . M e i s t e n s h a n d e l t e s s i c h u m Ko p i e e n n a c h v o r h a n d e n e n
Ge mä l d e n , d o c h s o ll n a c h W . L . S c h r e i b e r a u c h d a s u mg e k e h r t e Ve r f a h r e n
s t a t t g e f u n d e n h a b e n . — M a t t h i a s B i e n e n v a t e r ( Ap i a r i u s ), d u r c h we l c h e n a l s
Ers t en s i ch d ie Segn unge n der Buc hdru cke rkun s t in Bern ent fa l t e t en , so l l bere i t s
i m J a h r e 1 5 2 5 d e s N i k o l a u s M a n u e l T o t e n t a n z a n d e r Ga r t e n ma u e r d e s B e r n e r
Do mi n i k a n e r k l o s t e r s — g e d r u c k t h a b e n . —
V i e ll e ic h t h a t d e r H o l z s c h n e id e r H a n s L ü t z e l b u r g e r — F r e u n d H o l
be ins — e inen Einf iuss auf d i e Fer t igu ng der Bi ldchen aus geüb t , denn wi r
• w i s s e n , d a s s d e r T o t e n t a n z w ä h r e n d d e s g e me i n s a m e n Au f e n t h a l t e s d e r F r e u n d e
i n B a s e l ( 1 5 2 2 — 1 5 26 ) e n t s t a n d e n i s t . Au s v i e r z i g w i n z i g e n B l ä t t c h e n v o n
d e r Ha n d Ho l b e i n s , i n Ho l z g e s c h n i t t e n i n c o n g e n i a l e r W e i s e v o n L ü t z e l b u r g e r ,
s e t z t e s i c h u r s p r ü n g l i c h d e r T a n z z u s a mme n . — I n s p ä t e r e n Au s g a b e n f i n d e n
wi r b i s achtund fünfz ig Bi ldc hen; da s e rk lä r t s i ch daher , dass Lütz e lburg er
V o r Z e i c h n u n g e n H o l b e i n s a l s u n f e r t i g e Ho l z s c h n i t t e h i n t e r l a s s e n h a t , d i e v o n
f r e md e n Hä n d e n v o l l e n d e t wo r d e n s i n d . S o l c h e Na c h b i l d u n g e n s t e h e n we i t
h i n t e r d e n Or ig i n a l e n z u r ü c k . — I n wa h r h a f t mo n u m e n t a l e r Ar t w i r d h i e r
d a s u n e r w a r t e t e u n a b w e n d b a r e E i n g r e i f e n d e s T o d e s i n a ll e Ve r h ä l t n i s s e d e s
Leb ens geschi ld er t . Ab er mehr . In ga l l iger Bi t t e rn i s tr e f fen d ie Bi lder g l e i ch
p r a s s e l n d e n Gc i s s c l h i e b e n d i e Ku l t u r d e r M i t z e i t e i n e s l o lbc in . Was in d i esen
k l e i n e n Z e i c h n u n g e n a n I ro n i e , S a t i r e , Ho h n , Ve r a b s c h e u u n g a u f g e s p e i c h e rt i s t ,
d a s k o n n t e n u r d e r g e n i a l e Ge i s t e i n e s S c h ö p f e r s z u s a mm e n t r a g e n . N i c h t s
wi r d v e r s c h o n t . Vo n a l l e m wi r d d e r Vo r h a n g f o r t g e r i s s e n : k i r c h l i c h , s o zi a l
u n d p o l i t i s c h . D i e b e s t e n Dr u c k e , d i e w i r v o m Ho l b e i n s c h e n T o t e n t a n z
b e s i t ze n , s in d d ie s o g e n a n n te n „ P r o b e d r u c k e , d e r e n ei n en d a s K u p f e r st i ch
k a b i n e t t z u B e r l i n a u f b e w a h r t . S i e s i n d wa h r s c h e i n l i c h v o n L ü t z e l b u r g e r
s e l b s t a b g e z o g e n w o r d e n u n d t r a g e n i n Ku r s i v s c h r i ft ü b e r j e d e m B i ld e d e s s e n
' E r k l ä r u n g .
I c h v e r z i c h t e
darauf
e ine Beschre ibung der e inze lnen Bi lder d i eses Tanzes
z u g e b e n , d a s e l b i g e r d e r A l l g e me i n h e i t h i n r e i c h e n d b e k a n n t i s t — d e m Un
k u n d i g e n a b e r Ge l e g e n h e i t g e b o t e n i s t , in j e d e r g r ö s s e re n S t a d t i n Ku p f e r s t i c h -
s a mml u n g e n , ö f f e n t l i c h e n B i b l i o t h e k e n d a s W e r k k o s t e n l o s e i n z u s e h e n .
D i e B e z e i c h n u n g e n s i n d :
1. Die schöfffung aller Ding. 13 . Der Münch.
2. Adam Eua im ParadyJS. 14 . Der Artzet.
3 . VJJiribung Ade Eue. 15 . Der KeyJ~er.
4. Adam baivgt die erden.
16 .
Der Künig.
5. Gcbeyn aller menschen.
17 .
Der Herzog.
6.
Der Bapst.
18 .
Der Groß.
7 Der Cardinal.
19 .
Der Ritter.
8.
De r Bischoff
20 .
Der Edelmann.
9. Der Thümhcrr. 2 1 . Der Ratszlicrr.
10. Der Aft. 22. Der Richter.
11 .
Der P harrherr. 2 3 . Der Eürs/räch.
12 . Der Predicant.
24 .
Der Rych mann.
Der Eigen e. — 94 — Augustheft 1899.
2s. Der Kaufmann.
33 .
Die Greßnn.
26 . Der Krämer. 34 . Die Edelfra ui.
11 . Der Schiffmann.
35 .
Die Azttszinn.
2S .
Der Ackermann. 36 . Die IVitnne.
29 . Der Alt mann.
3 / .
Dasz Alt iveyb.
30 .
Die Keyferinn.
38 .
Dasz Jung hint.
31 .
Die Küniginn.
39 .
Dasz Jüngß gericht.
32 . Die Uerlzoginn.
40 .
Die tuafen desz Thotsz.
1526 s t a r b Lütz e lbur ger , und d ie Holzsc hni t t e , welch e ma n in se inem
N a c h l a ss e v o rf a n d, e r h i e lt d e r B u c h d r u c ke r M e l c h i o r T r e c h s e l i n L y o n , d e r
i m J a h r e 1 5 3 8 i n Ge me i n s c h a f t mi t se i n e m B r u d e r C a s p a r d i e e r s t e He r a u s
g a b e d e s Ho l b e i n s c h e n T o t e n t a n z e s i n B u c h fo r m v e r a n s t a l t e t e . S i e g a b e n d e m
Bande e inen f ranzös i schen Text be i , der aus Bibe l s t e l l en und Versen , d i e s i ch
a u f d e n T o d b e z i e h e n , u n d fr o mme n B e t r a c h t u n g e n b e s t a n d . D i e s e r Au s g a b e
s ind v ie l e , v i e l e — über hun der t — gefolg t . Erw ähn en w i l l i ch d ie Na ch
b i l d u n g d e s Dr u c k e s i m B e r l i n e r Ku p f e r s t i c h k a b i n e t t ; h e r a u s g e g e b e n v o n
F r i e d r i c h L i p p m a n n ; b e i E r n s t W a s mu t h , B e r li n 1 8 / 8 / 7 9 , u n d d i e F a k s i mi l e -
R e p r o d u k t i o n d e r o b e n g e n a n n t e n e r s t e n Au s g a b e ; b e i Ge o r g H i r t h ; M ü n c h e n ,
1884.
Au s s e r d e m g r o s s e n T o t e n t a n z h a t Ho l b e i n e i n T o t e n t a n z a l p h a b e t , u n d
e inen Entw ur f für e ine Dolch sche ide geze ichn e t , denen dasse lbe Mot iv von
der Al lgewal t des Todes zu (»runde l i eg t .
Wenn Holbe in in se inen Werken v ie l e Ar ten und Si tua t ionen, in denen
der Tod se in e inz iges grau sam es „Au s l brü l l t , vere wigt h a t , so is t e r doch an
d e r S c h i l d e r u n g e i n e s B i l d es v o r ü b e r g e g a n g e n : — d i e P e s t . I m J a h r e 1 5 4 3
schl i ch d iese Buhler in m i t dem Tode sodem an se in ä rml iches e l endes La ger
und vergi f t e t e m i t i hren f i eberhe i ssen Küssen den verg ängl i c hen Körper des
u n s t e r b l i c h e n M e i s t e r s u n d M a l e r s — Ho l b e i n .
S e in Z e i tg e n o s s e A l b r e c h t D ü r e r , w e l c h e r d e r K u l t u r e p o c h e u m 1 50 0
den unaus löschl i ch en Stemp el se ines genia l i schen Gei s t es an d ie St i rn ge prä gt
ha t , gre i ft n i cht sehr gern in se inen Blä t t e rn das düs te re Th em a auf . Bem erken s
wer t i s t j edoch, d ass e iner se iner f rühes ten Kup fer s t i che — wen n n icht der
f rühes te , j edenfa l l s sch on vor 1497 ent s t and en — in se inem Ged ank eninh a l t
j e n e m S t o ff g eb i et e n tn o m m e n w u r d e : D e r T o d m i t d e m W e i b e . A u f d e r
Hö h e s e i n e s Kö n n e n s , i m B e s i tz e e i n e r bi s z u m ä u s s e r s t e n Gr a d e v e r f e i n e r t e n
TechniR,- se t z t e r se inen Gr i ffe l 1513 auf d i e Pla t t e , um no ch e inm al mi t d en
M ä c h t e n j e n e r Üb e r w e l t i n s e el i s c h e Ve r b i n d u n g z u t r e t e n . S o e n t s t e h t s e in
s p ä t e r w e i t u n d b r e i t b e r ü h m t g e w o r d e n e r S t i c h : R i t t e r m i t T o d u n d
T e u f e l . E i n h e r r l i c h g e s c h i r r t e r E d l e r re i t e t , d i e L a n z e a u f d e r S c h u l t e r , i n
die Schla cht . Se in Begle i t e r , ebenfa l l s zu Ross , i s t der T o d ; e r hä l t j enem
die San duh r vor und mahn t , dass des Ri t t e r s Ze i t ba ld abge laufe n se i . De r
bocks be in ige Teufe l mi t dem St i e r schä de l und der Pike fo lg t , um e ine so
k o s t b a r e S e e l e s o f o r t n a c h d e r Ka t a s t r o p h e f ü r s i c h z u e r b e u t e n . — De r T o d
i s t auf d i esem Bla t t a l s a l t e r Mann mi t e iner Schla ngen kron e im Ha ar dar
g e s te l lt , w ä h r e n d d i e se b e i d e m T o d e in de n a p o k a l y p t i s c h e n R e i t e r n
Dü r e r s f e h l t . S c h o n b e i s e i n e m S c h ü l e r B a r t h e i B e h a m f in d en w i r d e n T o d ,
s t a t t a l s G r e i s , a l s S k e l e t t d a r g es t e ll t , w i e u n s d a s s e in B l a t t A d a m u n d
Der Eigene. _ 95 — Augustheft 1899.
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E v a ze ig t . Hier is t das Ger ippe a l s Baum der Versuchun g angenomm en, um
den si ch d ie Schlan ge , welche Eva den Apfe l dar re i cht , winde t . Es i s t i n
dem St i ch e in ausgeze ich ne te r t i e fe r Sinn entha l t en , den d ieser Mei s t e r der
Kle inkuns t i n grossm ei s t e r l i cher Weise zum Ausdru ck gebra cht ha t . —
. . . Da n n k a me n L e u t e , d i e a u c h T o t e n t ä n z e b e z w. B i l d e r d e s T o d e s
ze ichne ten , a u c h , wie jener Gröss t e auf d i esem Gebie te , für den I lo l zs tock ,
a u c h a l s P e r s if l a g e v o n ' Z e i t g e n ö s s i s c h e m . Ab e r a ll e n f e h l te — U r s p r ü n g
l i chke i t . . . . D as w aren m ei s t ens g la t t e und l eere Nach ahm unge n des Einen —
des Grossen . Ging doch d ie Naiv i t ä t d i eser Küns t l e r so wei t , dass e in Her r
J . R . S c h e l l e n b u r g i m J a h r e 1 /8 5 z u W i n t e r t h u r e i n en T o t e n t a n z u n t e r d e m
T i t e l h e r a u s b r a c h t e : „ F r e u n d He i n s E r s c h e i n u n g e n ; i n H o l b e i n s e h e r M a n i e r ? *
A b e r a u c h d e r b e d e u te n d e D a n i e l C h o d o w i c k i e n t w a r f fü r d e n L ü n e b u r g e r
Kalender vom Jahr e 1792 zwöl f Bla t t Tot enta nz , d i e doch n icht im s t ände
waren , a l lgemein zu in t e ress i e ren . Das b l i eb e r s t wieder e inem vie l spä te ren
Cyklus vorbeha l t en , der von e inem ge i s t r e i chen Schöpfer au s e iner s türm ischen
Epoche h erausg eboren %vurde . — Es sche in t a l so , dass Ze i t en , deren S tagna t ion
d u r c h e i n en g e wa l t s a me n Ums c h w u n g g e l ö s t we r d e n m u s s , d a s e r f o lg r e i c h e
Hervorbr inge n so lcher Werk e bevorzugen . Und wenn in unsern Tag en s i ch in
dieser Bez ieh ung wieder Ersche inungen vom H intergrun de deut l i ch abheben,
so haben wi r d i e Erklä ru ng, dass das Schaf fen j ed es Einze lnen von uns e in
P a r t i ke l c h e n d e r g e i s t i g e n Umwä l z u n g b e d e u t e t , d ie d a s E n d e d e s n e u n
zehnten Jahrhunder t s in den Anfang des zwanzigs t en h inüber l e i t e t .
Der ze i tl i chen Hergehör igk e i t we gen w i l l i ch das Gem älde P. v . Co r
n e l i u s ' „ D i e a p o k a l y p t i s c h e n R e i t e r " e r w ä h n en , d as j e do c h i n d e r
Kompo s i t ion .Düre r s g l e i chnam iger Arbe i t nahe ve rwan dt e r sche in t , und
G; v . R o s e n s „ M a l e r s T o d " , i n we l c h e m d e r Kü n s t le r , d e r s o e b e n ei n B il d
vom Leben schaf fen w ol l t e , an se iner Sta f fe le i vom S ensenm ann abberufen wi rd .*)
- • ;• F e r d i n a n d M a x K u r t h .
*) Im näch s ten Hef t fo lg t e ine wei t e re Veröf fent l i chung.
D H
Der Eigen» . — 98 — Aug ustheft 181)9.
J O S E P H S A T T L E R
D E R W U R M S T I C H
Z U K B R D . M A X K U R T H : R E I G E N D E R T O T E N T Ä N Z E .
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Vo n d e r Z u k u n f t u n s e r e s E r k e n n t n i s s t r e b e n s
M ot to : Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerdar am schalen Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt
Und froh ist, nenn er Regenwürmer findet
Faust
H
aben wir eine Wissen schaft? — Ich bringe es nicht fertig die
Frage mit einem unbedingten Ja zu beantworten, so sehr ich
auch dadurch Gefahr laufe, tausend Köpfen vor die Stirn zu
stossen und mit dem onsensus omnium in einen heiklen Konflikt
zu geraten. Also: Ja und Nein
Wir sehen heute die volle Blüte dessen, was mir als die
Vorstufe derjenigen geistigen Bestrebung erscheint, die für nach
kommende Ge schlechter Wissensch aft heissen w ird, aber diese Vor
stufe ist für mich noch nicht die H öhe selbs t Das, was heute
allgemein Wissenschaft genannt wird, hat für mich und andere, denn
ich glaube damit nicht durchaus allein zu stehen, keineswegs die
hohe Bedeutung dessen, was man in zwei- bis dreihundert Jahren
vielleicht so nennen wird. —
Wir leben in einer Art Vorbereitungszeit, wo man anfängt,
die verfügbaren Kräfte zu überschau en, von allen Seiten Rohm aterial
herbei zu schleppen und die Werkzeuge zu prüfen. Leider ist man
abe r noch in dem Wahn befangen, all dies Vo rbereitende sei schon
die Arbe it selbst. Man nimmt für Wissenschaft und Kultur das
Chaos", aus dem Wissenschaft und Kult ur erst w erden sollen
Was ich da ausspreche, sind kühne Behauptungen, geboren
aus einem Impulse, einem instinktiven Sich-Auflehnen gegen den
Kollektivgeist, der, mit einem Bilde aus der Chemie, vor lauter
Freud e über die nützlichen Nebenprodukte die Beobachtung und
Leitung der Vorgänge ausser acht lässt, die das vielleicht praktisch
unnütze, wissenschaftlich aber hochinteressante und wertvolle H aupt
produkt liefern sollen.
Stellen wir nun die Frag e, was soll uns die Wissenschaft,
warum betreiben wir sie, was ist der Sinn dieses Strebens, so liegt
Der Eigene. — 99 — Aagustheft 1899.
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die Antw ort auf der Hand : „Sicherlich nicht das Streben selbs t "
Denn das Hantieren mit Büchern und Instrumenten, der äusserliche
Apparat, befriedigt wohl den Knaben und den Jüngling, von dem
sich der M a n n dadurch unterscheidet, dass er sich Ziele setzt, die
er aus klaren Augen anschaut und auf die er mit starken Schritten
losgeht. Ihm ist der Appa rat nur Mittel zum Zweck. —
Und nun frage ich, sind sie Männer oder kleine Jungen, jene
Philologen, die mit textkritiscken Balgereien um Interpunktions
zeichen ihr Leben hinbringen? Sind sie in Wah rheit Männer der
Wissenschaft, jene traurigen Scharen von Spezialisten, die, auf eine
bestimmte Materie eingeschossen, in ihrem eugen Göpelwerke zwar
die zierlichsten Sprünge, die geistreichsten Kapriolen zu machen
verstehen, aber nie, nie in ihrem ganzen langen Leben auch nur
ahnen, wozu sie eigentlich im Kreise herumlaufen, was die Mühle
mahlt, die sie betreiben helfen.
„Aber ich bitte Sie," antwortet mir der wissenschaftliche Klein
krämer, „verkennen Sie doch nicht unser ehrliches Bestreben Bau
meister können doch nicht alle sein, und damit ein Haus zustande-
komme, bedarf es der Maurer und der Mörteljungen. Es ist die
Aufgabe des P hi lo so ph en , die Einzel-Resultate, die unsere Arbeit
zu Tage wühlt, herzunehmen und daraus ein Gesamt-Eesultat zu
schweissen, ein System "
„Ganz richtig — Des Philosophen Aber bitte schön,
^ zeigt mir ihn, dass ich ihn sehe von Ang esicht zu Angesicht, vor
ihm niederfalle und ihn anbete Die ser?? ? — B itte, das ist ein
P s y c h o l o g , einer euresgleichen, ein Spezialist, ein Detailmensch,
ein Pontius Pilatus, der sich die Hände in der Milch seiner lauteren
Denk art wäscht und spricht: „Es giebt kein ,Ding an sich' und
die Seele hat man sich nicht etwa als Atom einer immateriellen
Subs tanz zu denken, sond ern sie ist aufzufassen als die Gesamtheit
der psychischen Vorgänge, welche wir erstens " Herr —
, Was habe ich d av o n Was hilft es mir, wenn ich Ihr Buch aus
der Hand lege, Iliren Hörsaal verlasse und mir nicht sagen kann:
„So, nun w ei ss t du, nun bist du befriedigt, e rl ö s t, weil du
e r k a n n t h a s t " "
Mein Mitunterredner, der Spezialist, lächelt herablassend: „Ah,
junger Mann, nun weiss ich, was Ihnen fehlt Sie sind noch auf
jener Entwickelungsstufe , wo man me tap hy sis ch e Be dü rfn isse
Der Eigene — 100 — Auguatheft 1899
ha t Je nun, das werden Sie sich schon noch abgewöhnen We rden
Sie nur mal älter Aber einstweilen, hier —"
Und er langt eine neue Puppe.
„Der da? — Nu, stellen Sie man Ihren aschgrauen Katheder-
Metaphysikus ruhig wieder in den Schran k Wissen Sie, was
Heinrich Heine zu dem Fall meinte?
„Zu fragmentarisch ist Wel t und Leben,
Ich. will mich zum deuts chen Profes sor b egeben.
Der weiss das Leben zusammenzusetzen,
Und er macht e in verständl ich System daraus,
Mit seinen Nachtmützen und Schlafrockfetzen
Stopft er die Lücken des Wel ten baus "
Seien Sie überzeugt, die H i n t e r w ei t ist noch lange nicht die
Ü b e r w e l t " —
Nun wird der Spezialist wild und fängt an zu schimpfen:
„Ei Sie unwissenschaftlicher Kopf Sie So gehen Sie doch zum
Teufel — Pardon, ich wollte sagen zum Pfaffen oder zum Kü nstler,
lassen Sie sich ein
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