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RUDOLF STEINER
Der Orient im Lichte des Okzidents
Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi
Ein Zyklus von neun Vorträgen
München vom 23. bis 31. August 1909
Inhalt
ERSTER VORTRAG, München, 23. August 1909
ZWEITER VORTRAG, München, 24. August 1909
DRITTER VORTRAG, München, 25. August 1909
VIERTER VORTRAG, München, 26. August 1909
FÜNFTER VORTRAG, München, 27. August 1909
SECHSTER VORTRAG, München, 28. August 1909
SIEBENTER VORTRAG, München, 29. August 1909
ACHTER VORTRAG, München, 30. August 1909
NEUNTER VORTRAG, München, 31. August 1909
ZUSATZVORTRAG ZUR GOETHE-FEIER
München, 28. August 1909
ERSTER VORTRAG
MÜNCHEN, 23. AUGUST 1909
Wer die Menschengeschichte ein wenig kennt, wird ja auch,
ohne dass man gerade viel Esoterik zu Hilfe nimmt, wissen, dass
das Wort und die Idee «Geschichte» vieles einschließt, insbe-
sondere dann, wenn man versucht, die Idee der Geschichte
nicht bloß als etwas zu nehmen, was betrachtet sein will, son-
dern was wie alle Dinge des geistigen Lebens eben erlebt sein
will. Das Leben aber fordert auf allen Gebieten Lernen; und das
Lernen wiederum fordert auf allen Gebieten Geduld, Man
könnte - und das mag sich insbesondere auf unser Beispiel be-
ziehen - das Wort Geduld durch ein anderes übersetzen; man
könnte es übersetzen durch das andere «Wartenkönnen». Es ist
nun versucht worden, die Lebensregel, die in den soeben ausge-
sprochenen Worten liegt, gerade auf das anzuwenden, was wir
gestern vollbringen durften. Wir treten mit unserer deutschen
geisteswissenschaftlichen Strömung in die Vollendung des sie-
benten Jahres unserer Arbeit. Vor sieben Jahren habe ich in
Berlin einen Vortrag vor einem Kreise von Menschen gehalten,
welche eine ganze Reihe anderer Vorträge von mir gehört hat-
ten. Er war gewissermaßen dazumal als eine Zugabe zu einem
anderen Vortragszyklus verabreicht worden. Das ist also jetzt
mehr, etwas wenig mehr als sieben Jahre her. Es handelte sich
dazumal darum, eine Überleitung der Empfindungen und geisti-
gen Interessen, die aus einem, wenn auch geisteswissenschaftli-
chen, doch anders genannten Wirken hervorgingen, eine Über-
leitung zu finden in die geisteswissenschaftliche Strömung hin-
ein. Und es gab dazumal die innere Möglichkeit, eine gute
Überleitung zu finden. Der Vortrag, von dem ich da spreche,
betitelte sich: «Die Kinder des Luzifer». Dazumal war ein Publi-
kum anwesend, das allgemein die Gesichtspunkte in literari-
scher Beziehung hinnahm; es war auch der Ausgangspunkt ge-
nommen worden von dem Werke, dessen Aufführung wir ges-
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tern erleben durften, von Schures Drama «Die Kinder des Luzi-
fer». Dazumal also fingen wir an, sozusagen zu reden über die
«Kinder des Luzifer», und im «Geheimen»* - und zwar in dem
Sinne ist das Wort «im Geheimen» hier gemeint, wie man vom
geheimen Wesen spricht in der Geisteswissenschaft - im Ge-
heimen war dazumal auch schon der Gedanke im Hintergrunde,
dass es einmal gelingen könne, gerade dieses Werk des moder-
nen Geisteslebens in bühnenmäßiger Form vor die Augen einer
Anzahl von Zuschauern treten zu lassen. Es lag der Gedanke zu-
grunde, dass das Geistesleben eine große Einheit und Harmonie
ist und dass es dem Menschen obliegt, innerhalb des Geistesle-
bens einer gegebenen Zeit die schönsten Blüten zu erkennen
und zu beachten. Es lag der Gedanke zugrunde, dass das moder-
ne Geistesleben in einer gewissen Beziehung ein Chaos sei. Aber
wie aus dem Chaos heraus im Grunde genommen doch die Welt
erwachsen ist, so wird auch eine Art Kosmos des Geisteslebens
für die Zukunft nur dadurch erblühen können, dass wir uns die
Mühe geben, aus dem Chaos des modernen Geisteslebens heraus
die besten Blüten zu nehmen. Es lag der Gedanke zugrunde,
dass es falsch wäre, etwas anderes als gerade ein modernes, aus
dem vollen Geistesleben der Gegenwart heraus geschöpftes
Kunstwerk von diesem Gesichtspunkte aus zu behandeln. Man
könnte natürlich im Laufe der Jahrhunderte oder sagen wir
selbst Jahrtausende manches andere Kunstwerk finden, moder-
nisieren und heute vor ein Publikum bringen; aber jede Zeiten-
seele hat ihre Eigentümlichkeit; und dasjenige, was die Zeiten-
seele selbst zu schaffen in der Lage ist, das muss, wenn es nur
das Rechte ist, auch mit der größten Wärme und mit der besten
Intimität wiederum zu dieser Zeitenseele sprechen. Wenn das
Geistesleben seine schönsten Blüten tragen soll, so wird es zu
seiner Mission gehören, den Menschen nicht nur Dogmen bei-
zubringen, nicht nur Lehren zu verkündigen, sondern in einer
gewissen Beziehung die Augen zu öffnen.
Die Anwendung des Wortes «geheim» hat der Anthroposophie
manchen Vorwurf zugezogen. Hier hat man einen der Fälle, wo
in ganz begreiflicher Art dies Wort gebraucht wird. Es geschieht
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auch in anderen. Niemals aber in dem Sinn einer solch unsinni-
gen «Geheimtuerei», wie manche Gegner den Leuten glauben
machen wollen. Es konnte ja sogar geschehen, dass, als ich ein
Buch «Geheimwissenschaft» betitelte, gesagt wurde: es könne
keine geheime Wissenschaft geben. Das ist natürlich ebenso
selbstverständlich, wie es keine natürliche, wohl aber eine Na-
turwissenschaft geben kann. Wenn ich eine «Geheimwissen-
schaft» veröffentliche, so werde ich doch nicht wollen, dass, was
sie sagt, geheim bleibe.
Es ist im allgemeinen nicht schwierig etwas anzuerkennen, was
durch Jahrhunderte oder auch vielleicht nur durch Jahrzehnte
bereits sich Geltung verschafft hat, aber das hier zur Geltung
gebrachte Geistesleben soll etwas sein, was die ursprünglichsten,
elementarsten Kräfte in der Menschenseele wachruft; und zu
den elementarsten Kräften in der Menschenseele gehört die An-
feuerung des offenen Blickes für alles dasjenige, was um uns
herum durch die Sonne des Geisteslebens erweckt wird an Blü-
ten und Früchten unserer gegenwärtigen Geisteskultur. Eine
Augenaufschließerin möchte unsere Bewegung sein.
Wenn man aber die Idee und den Begriff der Geschichte leben-
dig erfasst, so gehört, wie schon angedeutet, noch etwas anderes
dazu: Geduld oder sagen wir Wartenkönnen. Die Überstürzung,
die Ungeduld, sie hindert so manches, was als Frucht reifen soll
im Leben; und es wäre geradezu töricht gewesen, vor sieben
Jahren an mehr zu denken als an ein leises Hinweisen auf dasje-
nige, was sich später realisieren sollte. Was alles verhinderte,
dazumal etwa sogleich an die Ausführung des vorschwebenden
Planes einer bühnenmäßigen Verkörperung dieses Geisteswer-
kes zu gehen! Es ist nur nötig eine einzige Tatsache anzuführen
und Sie werden verstehen, was verhinderte dazumal an die Aus-
führung zu gehen. Derjenige, welcher ins Geistesleben hinein-
sieht, weiß, dass es darin gewisse große Gesetze gibt. Das war
auch einer derjenigen großen Sätze, die gestern im Drama selbst
Ihnen erklungen haben: Das Geistesleben hat seine Gesetze, die
nicht übertreten werden dürfen, die beachtet werden müssen. -
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Und eines der größten Gesetze des Geisteslebens, dessen
Nichtbeachtungen besonders bei einer solchen Bewegung, wie
die unsrige es ist, immer schwer sich rächen wird, ist dasjenige,
was uns vorgezeichnet wird da, wo uns die höheren geistigen
Wesenheiten im Naturwirken selbst die Art ihrer Arbeit veran-
schaulichen.
Sehen Sie sich einmal die Art dieses Naturwirkens an; beachten
Sie die Natur in ihrem Schaffen; und Sie werden sehen, in der
Natur ist immer die Möglichkeit vorhanden, dass aus dem Ge-
schaffenen unzählige Mißerfolge hervorgehen. Sehen Sie sich
das Meer an mit seinen unzähligen Keimen, die in dasselbe ver-
senkt werden, und beachten Sie, wie viele von diesen Keimen
als Lebewesen hervorsprießen. Fragen Sie sich, ob die schaffen-
den Wesenheiten der Natur sich jemals die Frage aufwerfen:
Sollen wir trauern über die Mißerfolge, die wir haben, wenn
wir soundsoviele Ansätze nehmen und sehen, dass die Früchte
des Schaffens unter der Hand ersterben? Einzig und allein durch
die Betrachtung dieses großen Gesetzes im Geistesleben gelingt
auch in diesem dasjenige, was gelingen soll, wie es in der Natur
gelingt, dass das Leben sprießt und sprosst, weil sich die Geister,
die der Natur zugrunde liegen, niemals betrüben über ihre Miß-
erfolge. Einzig und allein aus diesem Grunde gelingt das Werk,
das in der Natur, das heißt in dem Produkte des höheren Geis-
teslebens auszuführen ist. Der Erfolg als solcher ist kein Maß-
stab für das Rechte und Wahre. Das muss ein geisteswissen-
schaftliches Gesetz sein. Dieses Gesetz musste innerhalb unserer
Bewegung beachtet werden.
Es soll dies wahrhaftig nicht etwas anderes als eine Art Rück-
blick auf die Tatsachen sein, und zugleich dieser Rückblick in
Zusammenhang gebracht werden mit einigen innerlich mit un-
serem ganzen Vortragszyklus zusammenhängenden Ideen, Ge-
setzen und Tatsachen. Es sind seit dem Vortrage, den ich er-
wähnt habe, wie ich Ihnen gesagt habe, ungefähr sieben Jahre
verflossen, und wir konnten zu unserer größten Befriedigung
gestern sehen die Aufführung der «Kinder des Luzifer» vor ei-
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nem vollen Hause. Es sind über sechshundert Freunde versam-
melt gewesen, um sich gestern «Die Kinder des Luzifer» anzuhö-
ren. Wie viele waren unter diesen Zuhörern, die sich jenen Vor-
trag, den ersten Keim zur Arbeit, angehört haben? Eine einzige
Dame war darunter unter den gestrigen Zuhörern, die sich je-
nen Vortrag dazumal angehört hatte und die vorher noch nicht
in unseren Reihen war. Der Vortrag war für die damaligen Ver-
hältnisse auch nicht schlecht besucht. All die anderen Men-
schen haben sich unserer Bewegung nicht angeschlossen. Aber
das ist das große Gesetz des Wirkens in der geistigen Welt, dass
die verlorengegangenen Keime sich umwandeln und Auferste-
hungen erleben. Und an unserem Beispiele dürfen wir dieses
Gesetz bestätigt finden. Sie sehen, dass es nicht unrichtig ist, das
Wort und die Idee des Geschehens in Zusammenhang zu brin-
gen mit den Worten Geduld und Wartenkönnen. Warten kön-
nen, bis diejenigen Verhältnisse eintreten, welche es möglich
machen, aus dem Schöße der Zeit heraus dasjenige zu holen,
was wir haben reifen lassen. Alle menschliche Arbeit vermag
nichts, ohne dass gleichzeitig die Geduld und das
Wartenkönnen neben ihr einherschreiten, ohne dass Reifen,
Reifwerden eine gewisse Rolle spielen.
Es ist damit aber doch im kleinen ein Beweis gegeben, dass ge-
wisse Dinge notwendig sind, wenn im Kulturleben etwas reifen
soll. Es wäre natürlich eine vollständig verhängnisvolle Idee
gewesen, in irgendeiner gewöhnlichen Theateraufführung «Die
Kinder des Luzifer» zu bringen. Denn was gehört dazu, um das
Ganze zur Einheit zu machen? Die Hauptsache, das dürfen wir
nicht vergessen, sind nicht diejenigen, die darstellen, nicht die-
jenigen, die die Dinge machen; die Hauptsache ist auch nicht
die Arbeit, die getan wird, sind weder die Vorbereitungen noch
die Fertigstellungen. Wenn das Werk entsprungen ist aus des
Dichters Seele, dann ist die erste Tat getan. Was dann geschieht
als Vermittlerweg, das gehört zu demjenigen, wovon ich eben
jetzt sagte: die Darstellung und die Arbeit der Darstellung und
alles übrige, die sind nicht die Hauptsache; die sind völlig Ne-
bensache in einer gewissen Beziehung. Die Hauptsache sind die
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Zuhörer und Zuschauer. Und die Hauptsache ist, dass durch die
Seelen und durch die Herzen der Zuschauer ein gemeinschaftli-
ches Leben geht; ein Leben, das diese Herzen fähig macht, jene
geheimnisvollen Strömungen, die von dem Werke ausgehen,
nicht nur zu empfinden, sondern in Gemeinschaft, in innerer
Harmonie zu empfinden. Wir reden innerhalb unserer Bewe-
gung, als von unserem ersten Grundsatze, von der Begründung
eines Kernes von Menschheit, in dem Menschenliebe und Brü-
derlichkeit lebt. O diese Menschenliebe und Brüderlichkeit, sie
ist eine zarte, wenn auch sehr wichtige Pflanze. Und sie blüht
nur, wo Seelen in Harmonie miteinander zusammenklingen; das
heißt, wo gemeinschaftliches Geistesleben in gemeinsamer Art
durch die Seelen zittert. Das war gestern vorhanden. Unsere
Bewegung soll ein Instrument sein, unsere Seelen in dieser Wei-
se zu härten, zu befestigen und zugleich aufzuschließen, so dass
wir gemeinsam in Harmonie einströmen lassen können ein
Geistiges, das einströmen soll. Ein gemeinsamer Hauch soll
durch die Seelen gehen können. Dann wird die Frucht der Brü-
derlichkeit, die Frucht der geistigen Harmonie unter den Men-
schen reifen können.
Und nun vergleichen Sie mit demjenigen, was gestern vor Sie
hingetreten ist, eine andere Theateraufführung, und fragen Sie
sich, ob es möglich ist in dem Chaos unseres Geisteslebens, dass
eine gemeinsame Empfindung herunterströmt von der Bühne
und Widerhall, Echo findet in den Herzen der Menschen, Das
ist erst das eigentliche Kunstwerk, das sich in unseren Herzen
abspielt. Wenn das Kunstwerk entsprungen ist der Seele des
Dichters, dann geht es eben seinen Weg; und worauf es an-
kommt, ist erst voll erfüllt, wenn es widerklingt in
soundsovielen Herzen und Seelen; und da erst kommt dann die
zweite der Hauptsachen, um die es sich dabei handelt.
Nur aus dem Grunde, um ein wenig darauf hinzuweisen, wie
unsere Bewegung ein Instrument werden kann in der Mensch-
heitskultur, sind diese Worte gesagt worden. Die Menschen
werden sich in unserer Zeit niemals zusammenfinden zu einer
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Gesellschaft von Harmonie und Liebe und Eintracht, wenn
Harmonie und Liebe und Eintracht Worte bleiben. Es gibt nur
eines, was den Boden abgeben kann, in dem reifen muss unser
erster Grundsatz der allgemeinen Brüderlichkeit und der allge-
meinen Liebe: und das ist die gemeinschaftliche Arbeit. Das,
was damit gesagt wird, es kann ja immer nur realisiert werden
an einzelnen Beispielen. Wenn aber diese einzelnen Beispiele
weiterwirken, wenn sie beachtet werden, dann werden sie
hinausdringen nicht nur in unser Geistesleben, sondern in unser
ganzes gegenwärtiges Leben und werden es erfüllen. Es wird
wahrhaft menschlicher Geist einziehen in die menschliche Ar-
beit und damit in den menschlichen Fortschritt. Und Geistes-
wissenschaft wird erweisen, dass sie das Praktischste ist, was es
im Leben als ein Ferment geben kann. Sie kann, wenn man ihr
nur Gelegenheit dazu gibt, einen jeglichen Zweig unseres Le-
bens in der praktischsten Weise durchdringen und beleben. Un-
sere Gegenwart ist im allgemeinen dazu reif in dem Sinne, dass
sie auf jedem ihrer Gebiete die Notwendigkeit des geisteswis-
senschaftlichen Eingreifens erweist. Überall sehen wir, dass die
Gegenwart fordert von uns: Geistes-Erkenntnis soll einströmen
in unser Leben. Das Verständnis der Menschheit, das schleicht
aber erst langsam hinter dem menschlichen Bedürfnisse nach.
Unsere Arbeit mag daher noch lange eine Pionierarbeit sein,
eine Arbeit für die Zukunft. Aber sie kann warten, sie wird sich
nicht aufdrängen, sie hat viel Geduld. Sie wird da eingreifen, wo
man sie verlangt, wo man sie haben will. Sie muss freilich in
Geduld erst ihre Arbeit tun, damit man nicht später einmal et-
was verlangt in der Welt, was noch gar nicht da ist. Oh, es wer-
den in gar nicht ferner Zukunft viele Gebiete des menschlichen
Lebens sein, auf denen man lechzen wird nach dieser Arbeit.
Auch solche Gebiete des menschlichen Lebens wird es geben,
die heute diese Arbeit verachten als die wüsteste Träumerei, als
die schlimmste Phantastik. Man wird nach ihr verlangen, ver-
langen an Orten, von denen man es sich heute gar nicht ver-
sieht, an denen man sie heute wie ein Traumgebilde zur Tür
hinaus verweist. Aber sie wird vorläufig in Geduld ihre Arbeit
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tun. Sie ist auch nicht bis zu dem Grade unpraktisch, dass sie
missversteht unsere Gegenwart. Sie will praktisch sein, Praxis
üben da, wo es sich wirklich darum handelt, im einzelnen mit
jedem Finger zuzugreifen. Wer könnte nicht sehen, dass uns die
Welt des gegenwärtigen Geistes- und Kulturlebens noch viel-
fach die Tür verschließt, dass sie uns nicht haben will, dass sie
sagt, wenn wir mit unserer Praxis kommen: Bleibt, wo ihr seid,
ihr Träumer, ihr träumt von allerlei übersinnlichen Welten, von
einem Geiste, den es gar nicht gibt. Eure Praxis können wir
nicht brauchen! -Wer könnte befangen genug sein, das nicht
ganz klar zu sehen? Ist es da nicht natürlich, dass man zunächst
den Versuch macht, praktisch zu sein da, wo die Welt des
Scheines wirkt, auf dem Boden, der die Welt bloß bedeutet?
Wenn man sich nur klar darüber ist, dass man in der richtigen
Weise in der Welt des Scheines ein Bild gibt der wirklichen
Welt, so mag durch diese Welt des Scheines, des schönen Schei-
nes, des künstlerischen Scheines, jene Welt, durch welche Göt-
ter sicher zu uns sprechen, so mag durch diese Welt die erste
Anregung gegeben werden. Weil in der Kunst, wenn sie im ech-
ten Sinne aufgefasst wird, wahrhaftig Götter zu uns sprechen,
werden wir durch die Kunst am sichersten das Tor finden, um
mit unserer Praxis in die sogenannten praktischen Zweige des
Lebens allmählich hineinzudringen. Arbeit ist der Boden, auf
dem ersprießen kann unser erster Grundsatz: brüderliches Zu-
sammenleben, brüderliches Zusammenwirken. Wird im ange-
deuteten Sinne gearbeitet, so lässt sich ausprüfen im schönsten
Sinne des Wortes, ob es unter Menschen möglich ist, Eintracht,
Harmonie und Brüderlichkeit zu kultivieren. Dem, was dann
wie in einem Bilde vor das Auge tritt wie in der gestrigen Auf-
führung, geht mancherlei voran; und wenn es fertig ist, so
macht sich der Beschauer manchmal nicht das richtige Bild da-
von, was dem vorangeht. Dasjenige, was in unserem Falle vo-
rangegangen ist, darf mit Fug und Recht ein Arbeiten im Sinne
des ersten geisteswissenschaftlichen Grundsatzes der Eintracht
und Brüderlichkeit, ein Zusammenarbeiten und Zusammenwir-
ken genannt werden.
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Dasjenige, was uns bei der vorbereitenden Arbeit vorschwebte,
das war Freiheit der Menschenseele in der Einheit des Wirkens,
in der Harmonie des Wirkens. Vielleicht lässt sich nicht alles
gleich auf einen Schlag erreichen; aber dasjenige, was uns vor-
schwebte, das war, dass wir eine Einheit zustandebringen könn-
ten, ohne dass irgend jemand nötig hatte, sich in eine Maschine-
rie hineinzubegeben, innerhalb welcher das Kommandowort
ertönt und dann dieses und jenes gemacht wird und derglei-
chen. Wenigstens schwebte es uns als Idee vor, und es ist gewiss
in vielen Punkten erreicht worden, dass ein jeder der Mitarbei-
tenden das Gefühl hatte, dass er seine Sache vertritt. Und damit
bin ich an dem Punkte, wo, weil es doch sozusagen zum wahren
geistigen Leben gehört, ein paar besondere Worte ausgespro-
chen werden sollen. Nicht so sehr aus dem Grunde, um über
dieses eine Beispiel freier geistiger Arbeit zu sprechen, sondern
um eben darüber zu sprechen als ein Beispiel für das, was
Grundsatz, was Richtschnur und Idee eines geistigen Zusam-
menlebens sein können. Es hat sich für uns gezeigt, dass es mög-
lich ist, die Kräfte innerhalb der Menschenseelen zu entbinden,
die entbunden werden können, wenn eine spirituelle Idee
durch die Herzen, durch die Seelen geht, und wenn die Seelen
so weit reif sind, dass ein jeder der Mitwirkenden sich an sei-
nem Platze fühlt. Mit tiefster Befriedigung darf es gesagt wer-
den, dass diejenigen Mitglieder unserer Bewegung, welche zu-
sammengewirkt haben, um die gestrige Aufführung zustande zu
bringen, nicht nur mit Hingebung - ich sage es mit vollem Be-
wusstsein -, sondern vor allen Dingen mit innerstem Verständ-
nis für die Sache gearbeitet haben; und so konnte es denn kom-
men, nicht nur die Darsteller der einzelnen Gestalten des Dra-
mas zusammenzufügen zum Ganzen, das Ihnen gestern entge-
gengetreten ist, sondern auch imstande zu sein9 durch die nicht
nur hingebungsvolle, sondern verständnisvolle Arbeit unserer
malenden künstlerischen Mitglieder ein Ganzes zu schaffen. Es
wäre unmöglich, im einzelnen Ihnen alles anzuführen, was
notwendig war an Arbeit dieses oder jenes Mitgliedes. Wenn
aber von dem ersten bis zum letzten Kostüm etwas Ganzes wer-
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den soll, etwas werden soll, was nun nicht nur sozusagen immer
ausdrückt das einzelne, das durch den einzelnen Darsteller zur
Geltung kommt, sondern was ein Gesamtbild gibt, dann ist es
notwendig, dass auch diesen Teil der Arbeit eine gemeinsame
Idee beseelt, und ich darf mit Befriedigung sagen, dass dieses
unser verehrtes Mitglied, das die ungeheuer schwierige Arbeit
übernommen hat, im Sinne der Gesamtaufführung unsere Kos-
tüme herzustellen, dass dieses unser Mitglied gearbeitet hat mit
dem allertiefsten Verständnisse. Es war - und ich sage das mit
vollem Bewusstsein - darinnen eine außerordentliche Genialität
in der Art, wie das einzelne in die Gesamtheit hineingestellt
worden ist. So dass, wenn ich dabei ein persönliches Gefühl
ausdrücken darf, midi gestern im tiefsten Innern wirklich eine
weite Dankbarkeit beseelte gegenüber all denen, die in so ver-
ständnisvoller Arbeit, jeder an seinem Platze, mitgewirkt hat-
ten, eine Dankbarkeit, die sich gegenüber jedem einzelnen ger-
ne auch heute ausdrücken möchte, eine Dankbarkeit, die auch
noch eine andere Seite hat, jene Seite, die dieses Dankgefühl
wiederum hinaufströmen lässt zu dem allgemeinen Urquell un-
seres spirituellen Lebens, aus dem doch alles dasjenige, was wir
Menschen vermögen, in Wahrheit entspringt. Und nur, weil
dieses spirituelle Leben tätig war, konnten wir diesen schwa-
chen Versuch machen, ein solches Kunstwerk auf die Bühne zu
bringen.
Aber man konnte dabei auch Erfahrungen und Erlebnisse sam-
meln. Derjenige, der auf manchen Gebieten dabei gearbeitet
hat, der durfte sich erfreuen daran, wie das spirituelle Leben in
einer gewissen Beziehung eine sieghafte Kraft hat. Das gibt Ver-
trauen, das gibt festen Glauben an die Zukunft unserer Bewe-
gung. Wir dürfen vielleicht den Glauben für das Große, den
Glauben für das Umfassende unserer Bewegung aus dem Aperçu
über das einzelne schöpfen. Es war zum Beispiel im höchsten
Grade befriedigend zu sehen, wie in den letzten zehn Tagen die
spirituelle Kraft des Kunstwerkes, das wir aufführten, nicht nur
wirkte auf die Mitwirkenden, die dabei beteiligt waren, wie es
wirkte auf die Arbeiter, die im Theater mit Hammer und Zange
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arbeiteten, wie die gerne und willig mitarbeiteten bis zum letz-
ten Theaterarbeiter hinunter. Das ist etwas, was auch zum
Kunstwerke gehört, wenn der Blick sich erweitert von einem
eng umgrenzten Rahmen dahin, wo das Kunstwerk wiederum
wirken soll durch sein spirituelles Leben und seine spirituelle
Kraft wie eine Sonne auf das gesamte Kulturleben. Das gibt
Kraft und gibt Mut. Das gibt uns aber auch einen Hinblick und
einen Hinweis auf die soziale Sendung der Geisteswissenschaft.
Ja, diese hat eine soziale Sendung, sie hat eine Mission für die
gesamte Menschheitskultur und die gesamte Menschheitswohl-
fahrt. Oh, es sind viele Seelen in unserer Zeit, die den Glauben
haben, nur durch materielle Mittel und durch materielle Maß-
nahmen könnten Menschenwohlfahrt und Menschenheil in un-
ser zerklüftetes Leben wieder kommen, und die den Glauben
und das Vertrauen verloren haben zu der siegreichen Kraft der
Spiritualität. Die Praxis aber lehrt, dass der Geist die Kraft hat,
geheime Freuden, geheime hingebungsvolle Lust in der Men-
schenseele zu entbinden; sie lehrt uns, dass, wenn wir immer
mehr und mehr imstande sein werden, das Brot des geistigen
Lebens unserer Gegenwart zu reichen, die Menschenseelen da
sein werden, die sehnsuchtsvoll dieses Brot verzehren wollen.
Spiritualität hat eine sieghafte Kraft.
Ein solches Aperçu, das durch zehn Tage gemacht werden kann,
ein solches Aperçu kann doch schon lehrreich sein. Es kann uns
den Glauben geben zu dem, was wir wollen als Bekenner der
Geisteswissenschaft; und es kann uns den Mut geben, ohne Un-
terlass weiterzuarbeiten an dem Werke, das uns vorschwebt. Es
darf der Geisteswissenschaftler diesen offenen Blick für das Le-
ben haben, auf dass er von dem Leben lerne. Denn nur dadurch,
dass wir auf jeden Schritt unseres Lebens als Lernende zurück-
blicken, können wir Fortschritte machen. So wie wir sieben
Jahre warten konnten auf dieses Ideal, so werden wir auf ande-
res, auf vieles, was durch unsere Bewegung geschehen soll, war-
ten können bis es herangereift ist im Schöße der Zeit. Wir wer-
den im Glauben warten können. Denn wir haben, wenn wir
Geisteswissenschaft im Sinne der Gegenwart richtig verstehen,
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den Zentralpunkt dessen, was man den Glauben im höchsten
Sinne nennt; wir haben diesen Zentralpunkt immer vor unser
Antlitz hingestellt; wir haben den einen festen Punkt immer vor
unser Auge hingestellt, der uns gestern entgegengetreten ist
durch das Symbolum des Kreuzes.
Wir wissen, was das Kreuz für die menschliche Seele bedeutet.
Und wir haben uns im Laufe der Jahre bemüht, dasjenige was
uns zufließt, als eine Gabe aus den spirituellen Welten zu be-
trachten. Wir haben uns bemüht, diese geisteswissenschaftliche
Inhaltlichkeit zu einem Instrumente zu machen, um diesen Mit-
telpunkt des Menschheitsfortschrittes immer besser und besser
zu verstehen, um den Christus und das Kreuz zu begreifen.
Wenn wir erkennen die Wirklichkeit des Christus-Prinzipes,
dann verstehen wir, dass dieses Christus-Prinzip eine Kraft ist,
eine lebendige Kraft, die seit dem Beginn unserer Zeitrechnung
mit dem Menschenleben auf der Erde verbunden ist, als sich in
dem Leibe des Jesus von Nazareth dieses Christus-Prinzip mit
einem Menschen verbunden hat. Seitdem ist es bei uns Men-
schen, wirkt unter uns und wir können teilhaftig werden seines
Wirkens, wenn wir uns bemühen, alle diejenigen Mittel, die uns
zur Verfügung stehen, anzuwenden, um dieses Christus-Prinzip
zu begreifen; so zu begreifen, dass wir es zum Leben unserer ei-
genen Seele machen. Dann aber, wenn wir dieses Christus-
Prinzip so verstehen, dass wir wissen, es ist in der Menschheit,
es ist da, wir können hin zu ihm, wir können Lebenswasser aus
dieser Quelle schöpfen, dann haben wir jenen Glauben, der
warten kann, warten auf alles, was im Schöße der Zeit reifen
soll, was reifen wird, wenn wir Geduld haben. Reifen wird für
uns aus dem Schöße des Vergänglichen, wenn wir innerhalb
dieses Vergänglichen das Christus-Prinzip erfassen, das Unver-
gängliche, das Ewige, das Unsterbliche. Aus dem Zeitenschoße
wird das Überzeitliche für uns Menschen geboren. Wenn wir
auf diesem festen Stützpunkte stehen, dann haben wir ausge-
hend von ihm nicht einen blinden, dann haben wir einen von
Wahrheit und von Erkenntnis durchdrungenen Glauben und
sagen uns: Es wird, was werden soll; und nichts hindert uns, un-
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sere besten Kräfte einzusetzen für das, wovon wir glauben, dass
es werden soll. Der Glaube auf der einen Seite, er ist das, was die
echte Frucht des Kreuzes ist; er ist das, was uns immer zuruft:
Blicke auf deine Mißerfolge, sie sind scheinbarer Tod deines
Schaffens! Blicke von deinen Misserfolgen auf das Kreuz und
erinnere dich, dass am Kreuze war der Quell ewigen Lebens, der
den Zeitentod besiegt nicht nur für sich, sondern für alle Men-
schen. Und aus zwei Vorstellungen entsprießt uns größter Le-
bensmut. Wir müssen sie nur in der richtigen Weise fassen. Oh,
es ist zuweilen von gutmeinenden Menschen gegen die hier ge-
meinte Geisteswissenschaft eingewendet worden, dass mancher,
der zu ihr kommt, weil er dieses oder jenes aufnimmt scheinbar
auf bloße Autorität hin, sich schwach mache, dass er Kraft ver-
liere. Der aber, der eine solche Behauptung tut, verwechselt das
Scheinbare mit dem Wahren. Die hier gemeinte Geisteswissen-
schaft schwächt nicht die Menschen, sie ist eine Kraft, in der die
Stärke lebt. Was kann die Frische, das Sprießende und Spros-
sende einer freien großen Natur und Naturluft dazu, wenn ein
geschwächter Organismus in diese frische, frohe Luft kommt
und sie nicht vertragen kann? Wird er noch mehr geschwächt,
ist es Schuld der frischen, frohen Lebensluft? Soll sie anders sein
oder soll vielmehr der Mensch sich dazu reif machen, die fri-
sche, frohe Lebensluft zu vertragen? Geist-Erkenntnis will sein
eine gesunde Luft des Geistes. Kein Wunder, dass zuweilen aus
der krankhaften Luft unseres Geisteslebens, wie es in der Ge-
genwart ist, ein geschwächter Organismus sich kraftlos und
schwach fühlt im Beginne seiner geisteswissenschaftlichen
Laufbahn. Geduld und Mut, die uns aus dem wirklich verstan-
denen Christus-Prinzip sprießen, sie sind die echten wahren
Früchte des einen Teiles des hier gemeinten Geisteslebens. Aber
eines gehört noch dazu. Mut, Ausdauer, Glauben allein genügen
doch nicht; eines gehört dazu und wird immer mehr und mehr,
je weiter wir der Zukunft entgegenschreiten, dazu gehören.
Das ist: wir müssen die Möglichkeit haben, wenn wir eine Idee
als die richtige erkannt haben, durch nichts uns beirren lassen
an der Richtigkeit dieser Idee. Wir können uns tausendmal sa-
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gen, sie lässt sich jetzt nicht realisieren, wir müssen in Geduld
und Ausdauer warten, bis die Verwirklichung möglich ist.
Wenn wir glauben, dass es im Fortgange des Menschenlebens
die Christus-Kraft ist, die alles reifen lässt aus dem Schöße der
Zeiten im rechten Augenblicke, so müssen wir dessen ungeach-
tet ein Urteil über die Richtigkeit, über die unbezweifelbare
Richtigkeit unseres geistigen Inhaltes haben. Können wir auf
den Erfolg warten, so werden wir immer weniger genötigt sein,
bloß zu warten, wenn es sich darum handelt, das Richtige, das
Wahre, das Weise auch als Wahres, Weises, als Richtiges einzu-
sehen. Nur das Kreuz ist es, das dem richtigen Verständnis Le-
bensmut und Lebensglauben gibt; der Stern aber ist es, der
Stern, den einstmals Luzifer, der Lichtträger, innehatte, der aber
diesem verlorengegangen und an das Christus-Prinzip überge-
gangen ist, der Stern, der uns in jedem Augenblicke erleuchten
kann, wenn wir uns ihm hingeben, über die Richtigkeit, über
das Unbezweifelbare unseres geistigen Inhaltes. Das ist der an-
dere Kraftpunkt, auf dem wir fest stehen müssen. Wir müssen
uns eine Erkenntnis aneignen können, die in die Tiefen des Le-
bens geht, die hinter die äußeren, materiellen Erscheinungen
geht, die da hineinleuchtet, wo Licht ist, auch dann, wenn es für
das menschliche Auge, wenn es für den menschlichen Verstand,
wenn es für die äußere Wahrnehmung finster wird. Es war
notwendig für die menschliche Entwickelung, dass das Christus-
Ereignis eintrat im Laufe des Menschheitsfortschrittes, und wir
werden in den nächsten Tagen darauf hinzuweisen haben, wie
notwendig es war. Es war notwendig, was in so tiefsinniger
Weise im Johannes-Evangelium angedeutet ist, es war notwen-
dig, dass diese Finsternis eine Zeitlang über die Menschheit
kam. Hineingeleuchtet hat in diese Finsternis das, was wir das
Christus-Prinzip, den Christus nennen. Es ist in Wirklichkeit so,
wie es im Johannes-Evangelium beschrieben ist. Aber alles Le-
ben schreitet vor, alles Leben geht weiter. Eine wunderbare,
herrliche Sage der Menschheit spricht davon, dass dem Luzifer,
als er vom Himmel auf die Erde herunterstürzte, ein Edelstein
aus seiner Krone fiel. Aus diesem Edelstein - so sagt uns die Sage
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- wurde jenes Gefäß, in welchem der Christus Jesus mit seinen
Jüngern das Abendmahl genommen hat; jenes Gefäß, in dem
aufgefangen worden ist das Blut Christi, das vom Kreuze floss;
jenes Gefäß, das von Engeln in die westliche Welt gebracht
worden ist und in der westlichen Welt von denen aufgenom-
men wird, welche zum wahren Verständnis des Christus-
Prinzips vordringen wollen. Es wurde aus dem Stein, der entfiel
der Krone Luzifers, der heilige Gral.
Was ist der heilige Gral? Sie alle wissen, dass der Mensch, so wie
er heute ist, viergliedrig ist, den physischen, ätherischen, astrali-
schen Leib und das Ich hat, dass dieses Ich im Verlaufe des
menschlichen Fortschrittes entgegenschreiten muss einer im-
mer mehr und mehr es erfüllenden Vollkommenheit, dass es
immer höher und höher steigen muss. Luzifer, dem im Orient
herrschenden, gefallenen, ihm entfiel der Edelstein aus der
Krone; jener Edelstein ist in gewisser Beziehung nichts anderes
als die volle Kraft des menschlichen Ichs. Dieses menschliche
Ich muss erst in der Finsternis vorbereitet werden, um in einer
neuen würdigen Art den Stern Luzifers innerhalb des Christus-
Lichtes erglänzen zu sehen. Dieses Ich musste sich
hinauferziehen an dem Christus-Prinzipe, heranreifen zu dem
Edelstein, der nun nicht mehr dem Luzifer gehört, der seiner
Krone entfallen ist; das heißt, es musste heranreifen durch
Weisheit, um wieder die Fähigkeit zu haben, das Licht, das uns
nicht von außen zufließt, das uns dann scheint, wenn wir selbst
das Nötige dazu tun können, zu ertragen. So ist geisteswissen-
schaftliche Arbeit die Arbeit am menschlichen Ich, um es zum
Gefäß zu machen, das wiederum fähig ist, das Licht zu empfan-
gen, das da ist, wo heute für die äußeren Augen, für den äuße-
ren menschlichen Verstand Finsternis und Nacht ist. Eine alte
Sage sagt, dass die Nacht die ursprüngliche Herrscherin war.
Diese Nacht ist aber wieder da; sie ist in allem, was heute von
Finsternis erfüllt ist. Erfüllen wir uns aber selbst mit jenem
Lichte, das uns aufgehen kann, wenn wir begreifen den Stern,
den der Lichtträger, der andere Geist, Luzifer verloren hat; dann
wird uns jene Nacht zum Tage. Die Augen hören auf zu schau-
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en, wenn das äußere Licht die Gegenstände nicht beleuchtet;
der Verstand versagt, wenn es sich darum handelt, hinter die
äußere Natur der Dinge zu dringen; der Stern, der uns wird,
wenn die zugleich klare und gutgesinnte Forschung spricht, der
erleuchtet uns das, was nur scheinbar Nacht ist, macht es uns
zum Tage. Das aber ist es auch, was uns alle ertötenden und
lähmenden Zweifel nimmt. Dann kommt für uns der Augen-
blick, wo wir Lebensmut und Glaubenskraft haben, um in Ge-
duld zu warten; wo wir aber auch jene Sicherheit haben, die uns
wird, wenn durchleuchtet ist die Welt unseres Geistes von je-
nem Lichte, das uns sagt: Es gibt keine Berechtigung des Zwei-
fels im Absoluten. Können wir auf der einen Seite warten, ha-
ben wir die Kraft, unsere Intentionen reifen zu lassen, und ha-
ben wir auf der anderen Seite die absolute innere Sicherheit
vom Bestände des Ewigen, des Unvergänglichen, von dem Be-
stände des die Verstandesfinsternis durchleuchtenden Lichtes,
dann haben wir die beiden Kräfte, die uns vorwärtsbringen,
dann haben wir begriffen, dass es Mission ist für die Zukunft,
zwei Welten zu vereinen, dann verstehen wir, was es heißt: vor
unserer Seele und vor unserem Geiste stehen die Zeichen zweier
Welten, in Liebe sich vereinend. Dann begreifen wir Christi
Kreuz und den im Christus-Licht erglänzenden Stern Luzifers.
Das darf als etwas angeführt werden, was in einer gewissen Be-
ziehung die Mission des geisteswissenschaftlichen Lebens für
die Zukunft ist: auf der einen Seite uns zu geben Sicherheit und
Kraft, zu stehen auf einem festen Grunde spirituellen Lebens,
empfänglich zu werden für die neugeborene Leuchte des ehe-
maligen Lichtträgers, und auf der anderen Seite uns zu stützen
auf den anderen Stützpunkt des festen Glaubens und der festen
Zuversicht, dass das, was geschehen soll durch die Kräfte, die in
der Welt liegen, geschehen wird. Nur durch diese zwiefache
Sicherheit werden wir wirken können, was wir wirken sollen in
der Welt; nur durch diese zwiefache Sicherheit wird es uns ge-
lingen, Geist-Erkenntnis ins Leben überzuführen.
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Daher müssen wir uns klar darüber sein, dass wir nicht nur die
Aufgabe haben, den Stern zu begreifen wie er geleuchtet hat
durch das Menschenwerden, bis dem Luzifer aus der Krone ent-
fallen ist der Edelstein, sondern wir müssen begreifen, dass wir
das aufnehmen müssen, was aus diesem Edelsteine geworden ist,
den heiligen Gral, dass wir verstehen müssen das Kreuz im
Stern; dass wir verstehen müssen das, was als lichtvolle Weis-
heit geleuchtet hat in Urweltzeiten, was wir im tiefsten vereh-
ren als Weisheit der vorchristlichen Zeiten, zu denen wir
wahrhaftig in voller Hingebung aufblicken, und dass wir dem
hinzufügen müssen das, was die Welt hat werden können durch
die Mission des Kreuzes. Nicht das Geringste soll uns entfallen
von der vorchristlichen Weisheit, nicht das Geringste soll uns
entfallen von dem Lichte des Orients. Wir blicken zum
Phosphoros, zum Lichtträger; ja, wir erkennen diesen ehemali-
gen Lichtträger als die Wesenheit, die uns erst verständlich ma-
chen kann die ganze tiefe innere Bedeutung des Christus; aber
wir sehen neben Phosphoros Christophoros, den Christusträger,
und versuchen die geisteswissenschaftliche Mission zu verste-
hen, dass sie nur erfüllt werden kann, wenn wirklich die Zei-
chen dieser beiden Welten «in Liebe sich vereinen». Verstehen
wir diese Mission so, dann wird uns der Stern der Leiter sein zur
Sicherheit eines lichtvollen geistigen Lebens, dann wird uns der
Christus der Leiter sein zu der inneren Wärme unserer Seele im
Glauben und Vertrauen, dass da geschehen wird, was man nen-
nen kann: Geburt des Ewigen aus dem Zeitlichen. Erinnern wir
uns stets des Prinzipes: dass wenn, was wir wollen, das Rechte
ist, uns nichts beirren kann darinnen, zu warten, bis uns die
Früchte reifen. Stehen wir fest in dem Aufblicke zum Stern, den
Luzifer verloren hat, auf der einen Seite, zum Kreuze des Chris-
tus auf der anderen Seite, dann werden wir innerlich und le-
bendig die Mission der Geist-Erkenntnis durchdringen, dann
werden wir immer mehr und mehr in uns befestigen die Sicher-
heit, dass das Licht, das aus dieser Geist-Erkenntnis leuchtet, ein
wahres Sternenlicht ist. Dann aber auch werden wir immer
mehr und mehr den Glauben und das Vertrauen haben, dass rei-
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fen werden die Früchte dieser Erkenntnis; dann wird uns nichts
zaghaft machen; dann werden wir in Geduld und Ausdauer alle
Mißerfolge hinnehmen können. Wir werden, zurückblickend
auf ein Kleines, was wir zunächst erreicht haben, uns sagen:
Wir werden nach und nach einen kleinen Keim durch unsere
Bewegung in der Menschheit schaffen, so dass das Licht des
Orients sein Widerleuchten finden kann, sein mächtiges, ver-
ständnisvolles Widerleuchten in dem Christus-Prinzipe des
Abendlandes. Dann werden wir auch erkennen, dass es ein
Licht des Okzidents gibt, das scheint, um das, was aus dem Ori-
ent stammt, noch lichtvoller zu machen als es durch seine eige-
ne Kraft ist. Lichtvoll wird eine Sache durch die Lichtquelle,
von der sie beleuchtet wird. Daher sage niemand, dass irgendei-
ne Verfälschung orientalischer Weisheit eintritt, wenn das Licht
des Okzidents auf diese orientalische Weisheit scheint. Es wird
scheinen das, was schön, groß und erhaben ist. Es wird am
schönsten, größten und erhabensten scheinen, wenn es mit dem
edelsten Lichte erleuchtet wird. Wenn uns diese Idee, die wir
ahnend in unsere Seele aufnehmen, erfüllt, dann werden wir an
Kleinem gefühls- und empfindungsmäßig Größeres lernen kön-
nen; dann werden wir daran lernen, uns zu sagen: Wir stehen
fest in unseren Wahrheiten, und wir warten geduldig auf die
Realisierung dieser Wahrheiten; wir haben die Kraft, nicht zu
wanken in dem, was aus dem Lichte auf der einen Seite kommt;
wir haben aber auch die Kraft, zu warten, und wenn es noch so
lange dauern sollte, bis das, was wir als Keim legen wollen in
der Zeiten Schoß, die Früchte reifen lassen wird.
Wir konnten warten, bis wir an die uns so am Herzen liegende
Aufgabe herantreten konnten, «Die Kinder des Luzifer» verkör-
pert vor menschliche Augen hinzustellen. Die Geisteswissen-
schaft hat nach allen Richtungen, auf allen Gebieten des Lebens
ihre großen Aufgaben. Sind wir heute schon sicher durch jenes
Licht, das diese Aufgaben in sich schließt, wenn wir den einen
Stützpunkt fest unter uns haben, so sind wir auf der anderen
Seite auch sicher im Glauben und Vertrauen, dass die kleinsten
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und die größten Aufgaben, wenn wir uns ihnen hingeben, er-
füllt werden müssen.
Und so bauen wir auf das Licht, das von der Geist-Erkenntnis
ausgeht; und so bauen wir auf die Wärme, die von ihr ausgeht,
und die uns erfüllt, die uns mit Glauben und Zuversicht in unse-
rer Mission erfüllen kann. Und wirken im rechten Sinne und
wahrer Art weiter unter den beiden Zeichen des Sterns und des
Kreuzes, den «Zeichen zweier Welten in Liebe sich vereinend»,
wirken von Zeitpunkt zu Zeitpunkt, wirken in festem Glauben
daran, dass, wenn wir im Laufe der Zeiten unsere Aufgabe rich-
tig erfassen, wir wirken für das, wofür der Mensch wirken soll,
für die Ewigkeit. Denn für menschliches Wirken ist die Ewig-
keit die Geburt desjenigen, das in den Zeiten reift.
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ZWEITER VORTRAG
MÜNCHEN, 24. AUGUST 1909
Es wird sich in diesem Zyklus von Vorträgen besonders darum
handeln, die Weisheit der orientalischen Welt, das heißt die
uralten Weistümer der Menschheit überhaupt, so zu betrachten,
dass auf sie jenes Licht fällt, das angezündet werden kann an der
Erkenntnis des Christus-Impulses und an der Erkenntnis all des-
sen, was sich im Laufe der Jahrhunderte in der westlichen Welt
als Weisheit aus diesem Christus-Impulse heraus nach und nach
entwickelt hat. Wenn Geisteswissenschaft etwas Lebendiges
sein soll, so kann sie nicht darin bestehen, dass bereits in der
Menschheit vorhandene Anschauungen und Meinungen über
die höheren Welten aus der Geschichte genommen und dann
gelehrt werden; sondern es muss sich darum handeln, dass alles
dasjenige, was wir in der Gegenwart erfahren können über das
Wesen der höheren Welten, der Gegenstand unserer Betrach-
tung werde.1 Menschen, welche in der Lage sind, den Blick
hinaufzuwenden in die geistigen Welten und in diesen so zu
schauen, wie sonst der Mensch mit sinnlichen Augen in der äu-
ßeren Welt schaut, wie er mit seinem Verstande die äußere
Welt begreift, die hat es ja nicht nur in den alten Zeiten gege-
ben, die gibt es zu allen Zeiten der Menschheitsentwickelung,
die gibt es auch heute; und zu keiner Zeit ist die Menschheit
darauf angewiesen, bloß geschichtlich überlieferte Wahrheiten
zu lehren und zu betrachten; ebenso wenig ist die Menschheit
1 Man sieht, dass von mir die Geisteswissenschaft niemals als eine Entleh-
nung geschichtlich überlieferter Anschauungen genommen, sondern als eine
unmittelbar gegenwärtig zu erringende Erkenntnis dargestellt worden ist.
Dass die Terminologie älterer Zeiten zuweilen gebraucht wird, hat seinen
Grund darin, weil die neuere Zeit, der geisteswissenschaftliches Erkennen
fernliegt, eine solche Terminologie nicht hat und man noch immer leichter
durch die alte als durch eine frei erfundene verstanden wird.
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darauf angewiesen, diese Lehren über die höheren Welten von
irgendeinem besonderen physischen Orte her zu empfangen.
Überall in der Welt kann der Quell höherer Weisheit und höhe-
rer Erkenntnis fließen. Ebenso wenig als es vernünftig wäre,
wenn wir in unseren Schulen etwa heute eine Mathematik oder
eine Geographie lehren würden, die wir alten Schriften, welche
in der Vorzeit verfasst sind, entnehmen würden, ebenso wenig
ist es vernünftig, in Bezug auf die großen Weistümer der über-
sinnlichen Welten das bloß Geschichtliche, das bloß Histori-
sche, das Vorzeitliche zu betrachten. Es wird deshalb unsere
Aufgabe sein, in diesem Vortragszyklus an die Dinge der höhe-
ren Welten, an die Wesenheiten der übersinnlichen Reiche
selbst heranzutreten, Bekanntes und weniger Bekanntes und
ganz Unbekanntes vor unsere Seele treten zu lassen von demje-
nigen, wie es da aussieht in den höheren Welten und dann uns
zu fragen: Was haben die Menschen in älteren Zeiten, die Men-
schen der Vorzeit über diese Dinge zu sagen gehabt? Mit ande-
ren Worten: westliche Weisheit wollen wir vor unsere Seele
treten lassen und dann die Frage uns stellen: Wie stimmt dasje-
nige, was wir als westliche Weisheit erkennen können, mit
demjenigen zusammen, was uns als östliche Weisheit bekannt
werden kann? Dasjenige, um was es sich handelt, ist, dass Weis-
tümer der übersinnlichen Welten von jedem Menschen, wenn
sie ihm erzählt werden, durch die Vernunft eingesehen werden
können. Das ist von mir oft betont worden: zum Einsehen, zum
Begreifen der Tatsachen der höheren Welten gehört nur unbe-
fangene Vernünftigkeit. Wenn diese unbefangene Vernünftig-
keit auch in der Gegenwart eine sehr seltene Fähigkeit ist, sie ist
vorhanden; und derjenige, der sie üben will, kann alles das ein-
sehen, was erzählt wird über die Forschungsergebnisse der so-
genannten hellseherischen Wissenschaft. Gewonnen werden,
erforscht werden können allerdings diese Tatsachen der höhe-
ren Welten nur durch die sogenannte hellseherische Forschung,
nur durch das Hinaufsteigen in diese höheren Welten durch
Menschen, die sich dazu vorbereiten. Da in diesen höheren
Welten Wesenheiten wohnen, welche man im Verhältnis zu
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uns Menschen geistige nennen kann, so ist die Erforschung der
höheren Welten nach einer Richtung ein Umgang des Hellse-
henden oder des Eingeweihten mit diesen geistigen Wesenhei-
ten. Erforscht werden also kann dasjenige, was in den höheren
Welten ist, nur dann, wenn der hellseherische Mensch* die Stu-
fen hinaufsteigt, die ihn bis zum Verkehr mit einer geistigen
Welt bringen.
Mit «hellseherisch» ist hier, wie man sieht, nicht der gewöhn-
lich sogenannte traumhaft-pathologische Zustand gemeint, son-
dern eine in voller Besonnenheit zu Vieles über diese Dinge ist
ja für Sie alle in diesem oder jenem Vortragszyklus schon gesagt
worden; das Wesentliche wollen wir uns heute einmal vor die
Seele führen. Dasjenige, was zuerst notwendig ist für den hell-
seherisch werdenden Menschen, um hinaufzudringen in die
höheren Welten, das ist nichts Geringeres, als die Fähigkeit, zu
schauen, zu erkennen, zu erleben ohne die Hilfe der äußeren
Sinne, also ohne die Hilfe derjenigen Werkzeuge, welche in un-
serem Leib als Augen, als Ohren und so weiter hineingebaut
sind, aber auch ohne dasjenige Werkzeug, welches im besonde-
ren unserem Intellekt, unserem Verstande dient. Ebenso wenig
wie man die übersinnlichen Welten erschauen kann mit den
physischen Augen, wie man in ihnen hören kann mit den phy-
sischen Ohren, ebenso wenig kann man von ihnen etwas erken-
nen durch den Verstand, insofern er gebunden ist an das In-
strument des physischen Gehirns. Frei werden also muss der
Mensch von jener Tätigkeit, die er ausübt, während er sich be-
dient seiner physischen Sinne und seines physischen Gehirns.
Nun wissen Sie alle schon, dass es im normalen Menschenleben
einen Zustand gibt, in dem der Mensch außerhalb der Instru-
mente seines physischen Leibes ist; es ist der Zustand des Schla-
fens. Wir wissen da, dass von den vier Gliedern der Menschen-
natur, vom physischen Leib, Ätherleib, astralischen Leib und
dem Ich die zwei letzten Glieder, das Ich und der astralische
Leib, sich eine gewisse Selbständigkeit erringen*. Während des
Tagwachens sind innig miteinander verbunden: physischer
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Leib, Ätherleib, astralischer Leib und Ich. Während des Schla-
fens sind diese vier Glieder so getrennt, dass auf der einen Seite
im Bette liegengeblieben ist der physische Leib mit dem Äther-
leib, auf der anderen Seite aber frei in einer anderen Welt leben
der astralische Leib und das Ich. So ist also der Mensch im nor-
malen Verlaufe seines Lebens innerhalb vierundzwanzig Stun-
den jedesmal in einem Zustande, wo er die Instrumente, die in
seinen physischen Leib hineingebaut sind, nicht an sich hat;
aber er muss in einer gewissen Weise diese Befreiung vom phy-
sischen Leibe bezahlen mit der Bewusstseinsfinsternis; er sieht
während des Schlafzustandes nichts in der Welt um sich herum,
in welcher er dann ist.
Nun können diejenigen Organe, die der Mensch dann braucht,
wenn er in die geistige Welt schauen will, in welcher er wäh-
rend der Nacht mit seinem Ich und astralischen Leibe ist, natür-
lich nur in den astralischen Leib hineingebaut werden, bezie-
hungsweise in das Ich. Und es ist der Unterschied zwischen dem
sogenannten normalen Menschen von heute und dem hellsehe-
rischen Forscher kein anderer als der, dass abends, wenn das Ich
und der astralische Leib sich aus dem physischen Leib und
Ätherleib herausheben, beim normalen Menschen der astrale
Leib und das Ich in gewisser Beziehung ungegliedert sind, ohne
Organe zum Schauen; beim hellseherischen Forscher sind in
diesem astralischen Leib, beziehungsweise in dem Ich, ebensol-
che Organe wenn auch anderer Art ausgebildet, wie es für den
physischen Leib die Augen und Ohren sind. Es ist daher die ers-
te Aufgabe, die sich derjenige stellen muss, welcher hellseheri-
scher Forscher werden will, diese, dass er alles dasjenige tut, was
in seinen vorerst ungegliederten astralischen Leib, beziehungs-
weise in sein Ich, geistige Augen, geistige Ohren und so weiter
hineinbaut.
Das ist aber noch nicht das einzige, was notwendig ist. Nehmen
wir einmal an, jemand hätte es dahin gebracht, durch diejenigen
Mittel, die wir nachher auch kurz erwähnen wollen, seinen ast-
ralischen Leib und sein Ich mit geistigen Augen und geistigen
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Ohren und so weiter auszustatten, er würde dann einen anderen
astralischen Leib haben als der normale Mensch; er würde einen
gegliederten, einen organisierten Astralleib haben. Er würde
aber noch nichts sehen können in der geistigen Welt; wenigs-
tens würde er gewisse Stufen des Sehens nicht erreichen kön-
nen. Dazu ist noch etwas anderes notwendig. Wenn unter heu-
tigen Verhältnissen der Mensch zur Hellsichtigkeit, zur bewuss-
ten Hellsichtigkeit wirklich hinaufsteigen will, so ist es notwen-
dig, dass nicht nur die geistigen Augen und die geistigen Ohren
ausgebildet sind in seinem astralischen Leib, sondern dass auch
alles dasjenige, was also plastisch ausgebildet ist in diesem astra-
lischen Leib, sich abdrückt in dem ätherischen Leib, wie sich
ein Petschaft abdrückt im Siegellack. Die eigentliche bewusste
Hellsichtigkeit, sie beginnt dann, wenn die Organe, also die
geistigen Augen, die geistigen Ohren und so weiter, die im ast-
ralischen Leibe ausgebildet werden, sich eindrücken dem äthe-
rischen Leib.
So muss also der ätherische Leib dem astralischen Leibe und
dem Ich helfen, wenn Hellsichtigkeit entstehen soll, das heißt
es müssen zusammenarbeiten all die Glieder der Menschennatur
die man hat, das Ich, der astralische Leib, der Ätherleib, mit
einziger Ausnahme des physischen Leibes, dem aber trotzdem
nach Erleben der übersinnlichen Welt die Aufgabe obliegt, die-
se Erkenntnis in vollen Einklang zu bringen mit der durch ihn
erworbenen sinnlich-vernünftigen Erkenntnis.
Nun gibt es für den Ätherleib ein größeres Hindernis mitzuar-
beiten als für den astralischen Leib. Der astralische Leib und das
Ich sind ja im Laufe von vierundzwanzig Stunden beim Men-
schen immer einmal - man möchte sagen in der glücklichen La-
ge, frei zu sein von dem physischen Leib. Solange sie vom Mor-
gen, wo der Mensch aufwacht, bis zum Abend, wo der Mensch
einschläft, im physischen Leib stecken, so lange sind der astrali-
sche Leib und das Ich gebunden an die Kräfte dieses physischen
Leibes; und diese Kräfte hindern den astralischen Leib und das
Ich, ihre eigenen Organe auszubilden. Der astralische Leib und
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das Ich sind feine geistig-seelische Wesenheiten; sie folgen so-
zusagen durch ihre eigene Elastizität den Kräften des physi-
schen Leibes und nehmen seine Form an. Daher haben sie für
den normalen Menschen auch in der Nacht noch diese Kräfte
des physischen Leibes in sich als Nachwirkungen; und man
kann nur, wie wir hören werden, durch besondere Maßregeln
freimachen den astralischen Leib und das Ich von der Nachwir-
kung des physischen Leibes, so dass dieser astralische Leib seine
eigene Form, das heißt seine geistigen Augen, seine geistigen
Ohren und so weiter ausbilden kann. Aber man ist wenigstens
in der glücklichen Lage, im Laufe von vierundzwanzig Stunden
den astralischen Leib frei zu haben; man hat die Möglichkeit
also, ohne weiteres auf diesen astralischen Leib so zu wirken,
dass er dann nicht in der Nacht der Elastizität des physischen
Leibes weiter folgt, sondern dass er seiner eigenen Elastizität
folgt.
Die vorbereitenden Übungen, die der hellseherische Forscher
vornimmt, bestehen im wesentlichen darin, dass er während des
Tagwachens solche geistigen Verrichtungen macht, die so auf
seinen astralischen Leib und auf sein Ich wirken, dass sie dann,
wenn sie beim Einschlafen herausgehen aus dem physischen
Leib und dem Ätherleib, unter der Nachwirkung stehen dessen,
was der Mensch zur besonderen Vorbereitung für die hellsehe-
rische Forschung getan hat.
Nehmen wir also die zwei Fälle an: den gewöhnlichen Men-
schen wie er im normalen Leben steht, der vom Morgen bis zum
Abend sich den Eindrücken der Außenwelt hingibt, sich dem-
jenigen hingibt, was auf äußere Sinne und Verstand wirkt. Er
schläft am Abend ein, sein astralischer Leib geht heraus aus dem
physischen Leib. Dieser astralische Leib ist dann ganz hingege-
ben demjenigen, was während des Tages erlebt worden ist; er
folgt der Elastizität des physischen Leibes, nicht seiner eigenen.
Etwas anderes ist es aber, wenn der Mensch durch Meditation,
Konzentration und durch andere Übungen, welche zum Behuf e
der höheren Erkenntnis gemacht werden, während seines Ta-
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geslebens starke Wirkungen auf seine Seele, das heißt auf seinen
astralen Leib und Ich erlebt, wenn er also gewisse Zeiten hat,
die er sich aussondert vom gewöhnlichen Tagesleben, in denen
er etwas ganz anderes tut als im gewöhnlichen Tagesleben;
wenn er sich in besonderen Zeiten nicht hingibt demjenigen,
was ihm die äußere Welt für die Sinne, für den Verstand sagen
kann, sondern wenn er sich hingibt demjenigen, was eine Kun-
de und ein Ergebnis der geistigen Welten ist. Wenn er also in
Meditation, Konzentration und anderen Übungen einen, wenn
auch noch so kurzen Teil des tagwachen Lebens hinbringt, dann
wirkt das auf seine Seele so, dass der astralische Leib in der
Nacht, wenn er aus dem physischen Leibe heraustritt, die Wir-
kungen dieser Meditation, Konzentration und so weiter erfährt
und dadurch anderen Elastizitäten folgt als jenen des physischen
Leibes. Die Methoden zur Erlangung der hellseherischen For-
schung bestehen daher darin, dass die Lehrer dieser Forschung
all das Wissen anwenden, das ausprobiert worden ist seit Jahr-
tausenden des Menschenlebens an Übungen, an Meditationen
und Konzentrationen, die während des Tageslebens vorgenom-
men werden müssen, damit sie dann ihre Nachwirkungen im
Nachtleben haben so, dass der astralische Leib sich umorgani-
siert.
Das ist die große Verantwortung, die derjenige übernimmt, der
überhaupt solche Übungen seinen Mitmenschen verabreicht.
Solche Übungen sind nicht aus dem Blauen herausgeholt, solche
Übungen sind das Ergebnis exakter geistiger Arbeit. Dasjenige,
was diese Übungen vorschreiben, von dem weiß man, dass es
auf die Seele so wirkt, dass wenn diese Seele abends beim Ein-
schlafen heraustritt aus dem physischen Leib, sie in der richti-
gen Art sich ihre geistigen Augen, ihre geistigen Ohren, ihr
geistiges Denken ausbildet. Wenn etwas Falsches gemacht wird,
falsche Übungen gemacht werden, dann wirkt das natürlich
auch; dann bleiben nicht etwa die Wirkungen aus, aber dann
werden widersinnige - wenn wir einen Ausdruck der sinnlichen
Welt gebrauchen wollen -, widernatürliche Formen hineinge-
baut in den astralischen Leib. Was heißt das: widernatürliche
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Formen werden hineingebaut in den astralischen Leib? Es wer-
den Formen hineingebaut, die dem großen Weltenganzen wi-
dersprechen. Es wäre dann gerade so auf diesem Gebiete, wie
wenn in unseren physischen Leib Organe hineingebaut wären,
die nicht in der richtigen Weise die äußeren Töne hören, das
äußere Licht sehen können, die nicht stimmen würden zu der
äußeren Welt. Durch unrichtige Meditation und Konzentration
würde also der Mensch in Bezug auf seinen astralischen Leib
und in Bezug auf sein Ich in Widerspruch versetzt zur Welt,
und er müsste dann, statt dass er Organe erhält, durch welche
hineinleuchten kann allmählich diese geistige Welt, zerschellen
durch die Einflüsse der geistigen Welt, er müsste diese Einflüsse
der geistigen Welt nicht als etwas ihn Förderndes, als etwas ihn
Bereicherndes erleben, sondern als etwas sein Denken Hem-
mendes.
Ich bitte Sie, weil wir diesen Begriff in den nächsten Tagen sehr
notwendig haben werden, darauf zu achten, dass wir hier an
einem Punkte stehen, wo uns klar werden kann, dass etwas, das
in der Außenwelt draußen ist - und wir reden jetzt von der
geistigen Außenwelt -, im höchsten Maße fördernd sein kann
für den Menschen und wiederum im höchsten Maße hemmend
sein kann für ihn, je nachdem er seine eigene Wesenheit diesem
Äußeren entgegenbringt. Denken wir uns einmal, ein Mensch
mit einem nicht richtig ausgebildeten astralischen Leibe setzt
sich der geistigen Umwelt aus. Diese wirkt auf ihn. Während,
wenn er die richtigen Organe ausgebildet hätte, diese geistige
Umwelt in ihn einfließen würde, ihn bereichern würde mit den
Weltgeheimnissen, wird diese selbe Außenwelt ihn seelisch
verkümmern, wenn er seine Organe schlecht ausgebildet hat. Es
ist dieselbe Außenwelt, die einmal den Menschen in die höchs-
ten Höhen hinaufträgt, das andere Mal ihn hemmt, dieselbe
Außenwelt, von der der Mensch einmal sagen wird, sie ist eine
göttliche, förderliche Welt, wenn er selber in sich das Richtige
trägt; und von der er sagen wird, sie ist eine Welt der Hinder-
nisse, wenn er selbst in sich ein nicht richtig ausgebildetes Inne-
res hat. In diesen Worten liegt viel von dem Schlüssel zum Ver-
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ständnis des Guten, Fruchtbaren, und des Bösen, des Zerstören-
den in der Welt. Und Sie können daraus einsehen, dass die Wir-
kung, die irgendwelche Wesenheiten der Umwelt auf uns ha-
ben, nicht maßgebend ist für das Wesen dieser Welt selber. Wie
wir uns der Außenwelt gegenüberstellen, so wird das eine Mal
dieselbe Wesenheit förderlich oder hemmend sein, dieselbe
Wesenheit Gott oder Teufel sein können für unsere seelische
Organisation. Das bitte ich durchaus zu berücksichtigen; denn
wir werden es für mancherlei in den nächsten Tagen brauchen.
Wir haben uns damit vor die Seele gestellt, wie die Vorberei-
tung zur hellseherischen Forschung ist in Bezug auf den astrali-
schen Leib und das Ich. Und wir haben hervorheben müssen,
dass wir Menschen in einer gewissen Beziehung in einer glück-
lichen Lage sind, weil wir wenigstens zu einer gewissen Zeit
während vierundzwanzig Stunden den feinen astralischen Leib
und das Ich außer dem physischen Leib und dem Ätherleib ha-
ben. Den Ätherleib aber haben wir auch in der Nacht nicht au-
ßer dem physischen Leib; er bleibt da mit dem physischen Leib
verbunden. Wir wissen ja aus den mancherlei Vorträgen, die
nun seit Jahren hier gehalten werden, dass nur im Tode jener
Augenblick eintritt, wo der physische Menschenleib für sich
bleibt und der Ätherleib mit dem astralischen Leibe und dem
Ich sich aus dem physischen Leibe heraushebt. Wir brauchen
heute nicht zu erwähnen, welchen Weg diese drei Glieder der
Menschennatur nachher zwischen dem Tode und einer neuen
Geburt durchmachen; wir wollen uns nur klar vor die Seele
stellen, dass mit dem Tode der Augenblick gegeben ist, wo der
Mensch frei ist von dem physischen Leibe und von alledem, was
in diesen physischen Leib hineingebaut ist, frei ist also von den
physischen Sinnesorganen, frei ist von dem Gehirn, dem In-
strument des physisch wirkenden Verstandes. Da sind beisam-
men in der ihnen gemäßen Art Ich und astralischer Leib und
ätherischer Leib; da können sie zusammenwirken. Daher tritt
auch in Bezug auf das vorhergehende Leben von dem Moment
des Todes an, wenn auch zunächst nur für kurze Zeit ein wirkli-
ches Hellsehen ein. Es ist das öfter erwähnt worden in diesen
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Vorträgen. Zu einem solchen Zusammenwirken, wie das nur im
Momente des Todes normalerweise der Fall sein kann, zu einem
solchen Zusammenwirken muss die Möglichkeit dem Ich, dem
astralischen Leibe und dem Ätherleibe gegeben werden, um
vollständige Hellsichtigkeit herbeizuführen. Der Ätherleib muss
also aus jenem Zustand befreit werden können, in den er
hineingebannt ist während des normalen Lebens; er muss eben-
so in der Lage sein, seine Elastizität zu gebrauchen, unabhängig
zu werden von der Elastizität des physischen Leibes, wie das der
astralische Leib in der Nacht ist. Dazu sind in gewisser Bezie-
hung höhere, intensivere, anstrengendere Übungen notwendig.
Auf alles das kann ja in den nächsten Tagen mit einigem noch
hingedeutet werden in den entsprechenden Zusammenhängen;
heute aber wollen wir uns klarmachen, dass dies notwendig ist.
Es genügt noch nicht, wenn der Mensch jene vorbereitenden
Übungen gemacht hat, die nachwirken in seinen astralischen
Leib hinein, um die geistigen Augen und Ohren auszubilden,
sondern es sind auch Übungen notwendig, die dem Ätherleibe
Selbständigkeit und Freiheit geben von dem physischen Leibe.
Heute aber wollen wir uns in einer gewissen Beziehung das Re-
sultat vor Augen führen, das dann eintreten muss. Sie können
dies im Grunde genommen schon entnehmen aus demjenigen,
was gesagt worden ist.
Wir können sagen, normalerweise ist nur im Augenblick des
Todes die Möglichkeit gegeben, dass frei vom physischen Leib
Ich und astraler Leib und Ätherleib zusammenwirken. Für die
hellseherische Forschung muss also etwas eintreten, das sich
vergleichen lässt einzig und allein mit demjenigen, was sonst für
den Menschen im Augenblicke des Todes eintritt, das heißt der
Mensch muss, wenn er in bewusstem Sinne hellseherisch wer-
den will, zu einer Entwickelungsstufe in seinem Leben kom-
men, wo er von seinem physischen Leib und dem Gebrauche
der Glieder des physischen Leibes ebenso unabhängig ist, wie er
unabhängig von ihnen ist im Momente des Todes.
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Wir fragen uns: durch was kann denn - wir wollen die Frage
heute in abstracto beantworten, in den nächsten Tagen wird es
in concreto geschehen - der Mensch eine solche Unabhängigkeit
erlangen von dem physischen Leibe, durch was kann er sich in
einen Zustand versetzen, der dem Momente des physischen
Sterbens in Bezug auf die Erkenntnis ähnlich wird? Einzig und
allein dadurch kann er sich in einen solchen Zustand versetzen,
dass er gewisse Empfindungen und Empfindungsnuancen aus-
bildet, welche die Seele so ergreifen, dass in einer gewissen Be-
ziehung diese Empfindungen und Empfindungsnuancen durch
ihre Kraft den ätherischen Leib packen und ihn herausheben
aus dem physischen Leibe. Es müssen also so starke Empfin-
dungsimpulse, Gedankenimpulse und Willensimpulse in der
Seele wirken, dass eine innerliche Kraft da ist, welche den
Ätherleib frei macht vom physischen Leibe für gewisse Augen-
blicke. Nicht aber durch äußere physische Maßnahmen kann so
etwas in unserem Zeiträume der Menschheitsentwickelung her-
beigeführt werden. Derjenige, der glauben würde, dass man sol-
che Dinge durch physische Maßnahmen herbeiführen kann, der
würde sich eben einer gewaltigen Täuschung hingeben. Er wür-
de in die geistigen Welten hinein wollen und dennoch bei den
Hantierungen, bei den Tatsachen der physischen Welt bleiben
wollen, das heißt er wäre noch nicht gekommen bis zu einem
wirklichen Glauben an die Kraft der geistigen Welten. Es müs-
sen lediglich innere Vorgänge sein, Vorgänge des starken, des
energischen Seelenlebens, die diesen Zustand herbeiführen*.
Und wenn wir im Abstrakten bleiben, so können wir heute vor-
läufig sagen: das Wesentlichste zur Herbeiführung eines solchen
Zustandes besteht darin, dass der Mensch eine Umwandlung,
gleichsam eine Umstülpung seiner Interessensphäre erlebt. Für
das gewöhnliche Leben ist der Mensch ausgestattet mit gewissen
Interessen. Sie wissen, dass diese Interessen vom Morgen bis
zum Abend spielen. Der Mensch - und er hat damit ganz recht,
denn er muss in dieser Welt leben - interessiert sich für dasjeni-
ge, was auf seine Augen, seine Ohren, auf seinen physischen
Verstand, auf seine physischen Empfindungen und so weiter
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wirkt; er interessiert sich für dasjenige, was in der Außenwelt
ihm entgegentritt; er hat für das eine mehr, für das andere we-
niger Interesse; er widmet dem einen mehr, dem anderen weni-
ger Aufmerksamkeit; das ist so natürlich. Und in diesen auf- und
abwogenden Interessen, die ihn fesseln mit gewissen Anzie-
hungskräften an den Teppich der Außenwelt, lebt der Mensch,
lebt ja wahrhaftig ganz allein die weitaus größte Mehrzahl der
gegenwärtigen Menschen. Es gibt nur eine Möglichkeit, dass der
Mensch unbeschadet der Frische und Lebendigkeit dieser äuße-
ren Interessen doch Momente im Leben herbeiführt, in denen
diese äußeren Interessen gar nicht wirken; in denen ihm, wenn
man radikal die Sache ausdrücken will, die ganze äußere Sinnes
weit absolut gleichgültig wird; in denen er alle Interessenkräfte,
die ihn an dieses oder jenes in der sinnlichen Welt fesseln, abtö-
tet. Falsch wäre es, wenn der Mensch sich nicht aufsparen wür-
de diese Abtötung der Interessen für die Außenwelt für gewisse
Feiertagsaugenblicke des Lebens, sondern diese Abtötung auf
das ganze Leben ausdehnen würde. Ein solcher Mensch würde
unfähig werden, mitzuarbeiten an der Außenwelt; wir sind aber
berufen, in unserem Leben an der Außenwelt und an ihrer Ar-
beit mitzuwirken. Wir müssen es uns daher für Feiertagsaugen-
blicke aufbewahren und aufsparen, alle äußeren Interessen für
die Umwelt in uns ersterben zu lassen, und wir müssen uns so-
zusagen diese zwiefache Natur erobern, dass wir auf der einen
Seite in der Lage sind, lebendig und frisch an allem teilzuneh-
men, was da draußen an Freude und Schmerz, an Lust und Un-
lust, an blühendem, sprossendem und an ersterbendem Leben
sich abwickelt, und dass wir dazu die andern Interessen fügen.
Die Frische und Ursprünglichkeit des Interesses für die Außen-
welt müssen wir uns für unser Erdenleben wach erhalten; wir
dürfen nicht Fremdlinge werden auf der Erde, denn dadurch
würden wir nur aus dem Egoismus heraus handeln und würden
unsere Kräfte rauben dem Schauplatz, dem sie gewidmet sein
sollen innerhalb unserer gegenwärtigen Entwickelung. Aber wir
müssen auf der anderen Seite, damit wir hinaufsteigen können
in die höheren Welten, uns die andere Seite der Natur ausbil-
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den, die darin besteht, dass wir in Feiertagsaugenblicken des Le-
bens die Interessen für die Außenwelt ertöten, ersterben lassen.
Und wenn wir Geduld und Ausdauer, wenn wir Energie und
Kraft haben, solange als es unser Karma fördert, uns zu üben in
diesem Abtöten der Interessen für die Umwelt, wenn wir uns
genügend darin üben, so wird zuletzt durch diese Abtötung des
Interesses an der Außenwelt eine starke, energische Kraft in un-
serem Innern frei. Was wir auf solche Art in der Außenwelt er-
töten, lebt im höheren Maße in der Innenwelt auf. Wir erfah-
ren eine ganz neue Art des Lebens, wir machen jenen Moment
durch, wo wir uns sagen können: das ist ja nur ein Teil des ge-
samten Lebens, was wir sehen können durch die Augen und hö-
ren durch die Ohren. Es gibt ein völlig anderes Leben, ein Leben
in der geistigen Welt; eine Auferstehung in der geistigen Welt,
ein Hinausschreiten über dasjenige, was man sonst das Leben
nennt, ein Hinausschreiten, so dass nicht der Tod eintritt, son-
dern ein höheres Leben resultiert.
Wenn dann diese rein geistige Kraft in unserem Innern stark
genug geworden ist, dann können wir die Momente nach und
nach erleben, wo wir Hertscher und Herr werden über unseren
Ätherleib, wo dieser Ätherleib nicht diejenige Form annimmt,
die ihm die Spannkräfte von Lunge und Leber aufnötigen, son-
dern jene Form, die wir ihm aufnötigen von oben herunter
durch unseren astralischen Leib. Dann prägen wir unserem
Ätherleib die Form ein, die wir zuerst durch Meditation und
Konzentration und so weiter dem Astralleib eingeprägt haben;
dann drücken wir die plastische Form des astralischen Leibes im
Ätherleib ab, und wir steigen auf von der Vorbereitung zur Er-
leuchtung, zu der nächsten Stufe der hellseherischen Forschung.
Die erste Stufe, durch welche wir unseren astralen Leib um-
wandeln so, dass er Organe erhält, sie nennt man auch die Rei-
nigung oder Läuterung aus dem Grunde, weil dieser astralische
Leib gereinigt wird von den Kräften der Außenwelt, und inne-
ren Kräften sich fügt. Diejenige Stufe aber, auf welcher es die-
sem astralischen Leib gelingt, seine Form einzuprägen dem
Ätherleib, diese Stufe ist damit verknüpft, dass es um uns herum
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geistig hell wird, dass die geistige Welt um uns herum offenbar
wird, dass die Erleuchtung eintritt.
Dasjenige, was ich Ihnen eben beschrieben habe, ist verknüpft
mit gewissen Erfahrungen, die der Mensch durchmacht, und die
typisch sind, die bei jedem dieselben sind, und die jeder, der den
Weg durchmacht, erfährt in dem Momente, wo er dazu reif ist,
und wo er die nötige Aufmerksamkeit auf gewisse über dem
Sinnlichen hinausliegende Dinge und Vorgänge wendet. Die
erste Erfahrung, die eintritt durch die Organisation des astrali-
schen Leibes, die also eintritt als Wirkung von Meditation, Kon-
zentration und so weiter, könnte man ausdrücken als ein Ge-
fühls-, als ein Empfindungserlebnis, als ein Erlebnis, das man,
wenn man es beschreiben will, am besten benennen könnte wie
eine in sich verlaufende vollbewusste Spaltung unserer ganzen
Persönlichkeit.2 Man sagt sich in diesem Augenblicke, wo man
das erlebt: Jetzt bist du eigentlich etwas geworden wie zwei Per-
sönlichkeiten; du gleichst gleichsam einem Schwerte, das in sei-
ner Scheide steckt. Vorher hast du dich vergleichen können mit
einem Schwerte, das nicht in seiner Scheide steckt, sondern das
mit seiner Scheide in eins gearbeitet ist, aus einem Stück be-
steht; du hast dich gefühlt als eine Einheit mit deinem physi-
schen Leibe zusammen; jetzt aber ist es so, wie wenn du zwar in
deinem physischen Leib drinnensteckest wie das Schwert in der
Scheide, aber doch ein Wesen seiest, das sich als etwas fühlt au-
ßer der Scheide des physischen Leibes, in der es steckt. - Man
fühlt sich zwar in seinem physischen Leibe, aber nicht mit ihm
verwachsen, nicht aus einem Stück mit ihm bestehend. Dieses
2 Man muss, was hier als «Spaltung der Persönlichkeit» gekennzeichnet wird,
streng unterscheiden von dem, was von solchen Denkern, die damit Patholo-
gisches -oder Traumhaftes - im Auge haben, mit diesem Ausdrucke oder
auch mit «Doppel-Ich» gemeint ist. Die hier charakterisierte Spaltung wird in
voller Besonnenheit nur im Seelischen vollzogen, wird so völlig durchschaut,
dass ein klarbewusstes Drinnen-stehen in dem gewöhnlichen Ich in gar kei-
ner Weise beeinträchtigt wird. Dieses «Ich» verliert dabei nichts von seiner
inneren Festigkeit und Geschlossenheit.
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innerliche Freiwerden, dieses innerlich sich Fühlen als zweite
Persönlichkeit, die aus der ersten herausgeschritten ist, das ist
das große Erlebnis auf dem Wege zur hellseherischen Anschau-
ung der Welt. Es muss also betont werden, dass dieses erste Er-
lebnis ein Empfindungs-, ein Gefühlserlebnis ist. Man muss füh-
len dieses in seiner alten Persönlichkeit-Darinnenstecken und
doch wiederum frei und beweglich sich in ihr fühlen. Natürlich
ist das nur ein Vergleich, vom Schwerte und seiner Scheide.
Denn das Schwert fühlt sich doch nach allen Seiten beengt
durch die Wände seiner Scheide; der Mensch aber, der diese
Empfindung hat, hat ein hohes Gefühl innerlicher Beweglich-
keit, gleichsam wie wenn er an allen Punkten die Grenzen sei-
nes physischen Leibes durchbrechen könnte, heraus könnte,
Ausfälle machen könnte durch die Haut seines physischen Lei-
bes, geistige Fühlhörner ausstrecken könnte in eine Welt hin-
ein, die ihm zwar noch dunkel ist, die ihm aber fühlbar wird
und im Finstern - man möchte sagen - tastbar, erkennbar wird.
Das ist das erste große Erlebnis, das der Mensch hat.
Das zweite besteht darin, dass nun die zweite Persönlichkeit, die
in der ersten darinnen steckt, nach und nach die Fähigkeit er-
langt, wirklich aus dieser ersten Persönlichkeit seelisch-geistig
herauszutreten. Dieses Erlebnis, das drückt sich schon dadurch
aus, dass der Mensch nunmehr die Erfahrung, wenn auch zu-
weilen oft für kurze Zeit, macht, als ob er sich selbst sehen wür-
de, als ob er sich gleichsam wie seinen eigenen Doppelgänger
vor sich hätte. Diese zweite Erfahrung allerdings hat eine viel
größere Tragweite als die erste. Denn mit dieser zweiten Erfah-
rung ist etwas verknüpft, was - man möchte sagen - nur sehr
schwer zu ertragen ist für den Menschen. Man muss bedenken,
im normalen Leben steckt der Mensch in seinem physischen
Leibe darinnen. Dasjenige, was darinnen steckt, ist Astralleib
und Ich, und dasjenige, was so als Astralleib und als Ich im phy-
sischen Leib darinnen steckt, das passt sich den Kräften des phy-
sischen Leibes an; es schmiegt sich sozusagen hinein. Es nimmt
an die Form der Leber, die Form des Herzens, die Form des phy-
sischen Gehirns und so weiter. Und so ist es auch mit dem
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Ätherleib, solange er im physischen Leibe darinnen steckt. Er
nimmt an die Form des physischen Gehirns, die Form des Her-
zens und so weiter. Man bedenke, was mit den Ausdrücken Ge-
hirn, Herz und so weiter gesagt ist, was das für wunderbare, in
sich vollendete Werkzeuge und Organe sind, was für wunderba-
re, in sich vollendete Schöpfungen. Man frage sich einmal, was
alle menschliche Kunst, was alles menschliche Schaffen bedeu-
tet gegenüber jenem Schaffen, gegenüber jener Kunst und
Technik, die notwendig sind, um solch ein Wunderwerkzeug
wie das Herz, das Gehirn und so weiter aufzubauen. Was ver-
mag der Mensch auf dem gegenwärtigen Standpunkt seiner
Entwickelung an Kunst, an Technik gegenüber jener Götter-
kunst und Göttertechnik, die unseren physischen Leib auferbaut
haben, und die uns daher auch in Schutz nehmen, solange wir
drinnenstecken im physischen Leib. Wir sind also mit dem phy-
sischen Leibe im Tagesleben Götterschöpfung hingegeben. Un-
ser Ätherleib, unser Astralleib sind hineingepasst in Formen,
welche die Götter geschaffen haben. Werden wir nun frei und
selbständig, dann liegt die Sache anders. Dann machen wir uns
zu gleicher Zeit frei von dem Wunderwerkzeuge der Götter-
schöpfung. Wir verlassen also nicht etwa den physischen Leib
als etwas, worauf wir als auf ein Unvollkommenes herabschauen
dürfen, sondern als den Tempel, den die Götter für uns gebaut
haben, in dem wir sonst wohnen während unseres tagwachen
Lebens. Wie sind wir dann?
Nehmen wir einmal an, wir könnten diesen physischen Leib in
irgendeinem Momente ohne weitere Vorbereitung verlassen;
irgendein Zauberkünstler würde uns dazu verhelfen, diesen
physischen Leib zu verlassen, so dass er allein bleibt, dass der
Ätherleib mitgeht mit dem astralischen Leibe, dass wir also in
gewisser Beziehung durch ein Erlebnis hindurchgehen, das sich
vergleichen lässt dem Momente des Todes. Nehmen wir an, wir
könnten das ohne die Vorbereitung, von der wir gesprochen:
was sind wir dann, wenn wir da draußen sind, wenn wir uns
selbst gegenüberstehen? Da sind wir dasjenige, was wir im Laufe
der Weltenentwickelung von Leben zu Leben geworden sind.
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Solange wir vom Morgen bis zum Abend im physischen Leibe
stecken, korrigiert die göttliche Schöpfung des Tempels unseres
physischen Leibes dasjenige, was wir uns selbst anorganisiert
haben von Verkörperung zu Verkörperung im Laufe unseres
Erdenlebens; jetzt aber, wo wir heraustreten, haben unser astra-
lischer Leib und unser Ätherleib dasjenige, was sie sich erwor-
ben haben von Leben zu Leben ohne Korrektur; jetzt sehen sie
so aus, wie sie aussehen müssen nach dem, was sie selbst aus
sich gemacht haben. Wenn der Mensch in einem solch unvor-
bereiteten Zustand heraustritt aus seinem physischen Leibe,
dann ist er nicht etwa ein Wesen von einer höheren, edleren,
reineren Form als diejenige war, die er gehabt hat im physi-
schen Leib, sondern ein Wesen mit all den Unvollkommenhei-
ten, die er sich auf sein Karma geladen hat. Das alles bleibt un-
sichtbar, solange der Leibestempel unseren Ätherleib und astra-
lischen Leib und unser Ich aufnimmt. Es wird sichtbar in dem
Augenblick, wo wir mit den höheren Gliedern unserer Wesen-
heit heraustreten aus dem physischen Leibe. Da stehen, wenn
wir nun zu gleicher Zeit hellsichtig werden, vor unserem Auge
all die Neigungen und Leidenschaften, die wir noch haben aus
dem, was wir in früheren Erdenleben gewesen sind. Man nehme
einmal an, dass man im Laufe der künftigen Erdenzeit noch vie-
le durchmachen werde; da wird man dieses oder jenes tun, die-
ses oder jenes vollbringen. Zu mancherlei von demjenigen, was
man vollbringen wird, Hegen schon die Neigungen, die Triebe
und Leidenschaften jetzt vor; man hat sie herausgebildet durch
Verkörperungen in der früheren Zeit. Alles, was der Mensch
fähig ist, an diesen oder jenen Dingen in der Welt zu vollbrin-
gen, alles das, dessen er sich schuldig gemacht hat gegen diesen
oder jenen Menschen - was er gegen diesen oder jenen Men-
schen in der Zukunft abzutragen hat -, alles das ist in diesem
Astralleib und Ätherleib verkörpert, wenn er heraustritt aus
dem physischen Leib. Wir treten uns selber gleichsam seelisch-
geistig nackt entgegen, wenn wir beim Heraustreten zugleich
hellsichtig sind; das heißt wir stehen uns so vor dem geistigen
Auge, dass wir jetzt wissen, um wie viel wir schlechter sind, als
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das sein würde, wenn wir jene Vollkommenheit erreicht hätten,
welche die Götter hatten, damit sie schaffen konnten den Wun-
derbau unseres physischen Leibes. Wir sehen in diesem Augen-
blick, wie tief wir unter jener Vollkommenheit stehen, die uns
vorschweben muss als unser künftiges Entwickelungsideal. Wir
wissen in diesem Augenblick, wie tief wir unter die Welt der
Vollkommenheit heruntergestiegen sind.
Das ist das Erlebnis, das verbunden ist mit der Erleuchtung; das
ist das Erlebnis, das man die Begegnung mit dem Hüter der
Schwelle nennt. Dasjenige, was wirklich ist, das wird dadurch
nicht mehr und nicht weniger wirklich, dass wir es sehen oder
nicht sehen. Die Gestalt, die wir da sehen in diesem Augenblick,
der eben geschildert worden ist, ist sonst auch da, ist sonst
durchaus auch in uns steckend; aber weil wir noch nicht aus uns
herausgetreten sind, weil wir uns nicht gegenüberstehen, son-
dern weil wir drinnen stecken, sehen wir sie nicht. Im gewöhn-
lichen Leben ist dasjenige, was wir in dem Augenblicke, wo wir
hellseherisch aus uns heraustreten, sehen, der Hüter der
Schwelle. Er behütet uns vor jenem Erlebnis, das wir erst ertra-
gen lernen müssen. Wir müssen erst jene starke Kraft in uns ha-
ben, die uns befähigt, uns zu sagen: Es liegt eine Welt der Zu-
kunft vor uns, und wir sehen ohne Schrecken und Grauen auf
dasjenige, was wir geworden sind, denn wir wissen ganz gewiss,
dass wir alles das wiederum ausgleichen können. - Die Fähig-
keit, die wir haben müssen, um diesen Moment zu erleben, oh-
ne dass wir von ihm niedergedrückt werden, diese Fähigkeit
müssen wir uns während der Vorbereitung zur hellseherischen
Forschung aneignen. Diese Vorbereitung besteht darin - wiede-
rum sagen wir es heute im Abstrakten, wir werden auf das Kon-
krete noch einzugehen haben -, dass wir insbesondere die akti-
ven, die positiven Eigenschaften unserer Seele stark und ener-
gisch machen, dass wir unseren Mut, unser Freiheitsgefühl, un-
sere Liebe, unsere Energie des Denkens, unsere Energie des
klarsichtigen Intellekts so steigern, als wir sie nur steigern kön-
nen, so dass wir nicht als schwache, sondern als starke Men-
schen heraustreten aus unserem physischen Leibe. Wenn aber
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von demjenigen, was man im gewöhnlichen Leben als Angst
und Furcht kennt, zu viel im Menschen vorhanden ist, so wird
er nicht ohne Bedrückung dieses Erlebnis überstehen können.
So also sieht man, dass es gewisse Bedingungen gibt, um hinein-
zuschauen in die geistigen Welten, die in einer gewissen Bezie-
hung ja das Höchste, was zu denken ist für das Leben der ge-
genwärtigen Menschheitsentwickelung, in Aussicht stellen, und
die gleichzeitig notwendig machen, dass der Mensch eine voll-
ständige Umformung und Umstülpung seines Wesens für die
Feieraugenblicke sich erringt. Die größte Wohltat in unserer
heutigen Zeit wird demjenigen, welcher, bevor er zu diesem Er-
lebnis vorschreitet, sich beschreiben lässt, was diejenigen, die
erlebt haben in den höheren Welten, geschaut haben; was dann,
wenn es erzählt wird, zu begreifen, zu verstehen ist, ohne dass
man selbst in diese Welten hineinsieht. Geforscht werden kann
nur, wenn man selbst hineinsieht. Dadurch aber, dass man sich
immer mehr und mehr anstrengt mit dem Verstand das zu be-
greifen, was der hellseherische Forscher sagt, gelangt man im-
mer mehr und mehr dazu, sich zu sagen: Wenn ich alles das be-
trachte, was das Leben bringt, muss ich sagen, das Ergebnis
übersinnlicher Forschung ist doch ganz vernünftig. Wenn man
sich bemüht, in dieser Weise zuerst einen Überblick sich zu ver-
schaffen, wenn man zuerst Begreifender werden will und dann
Hellseher, dann hat man in Bezug auf die heutige Menschheits-
stufe das Richtige getan. Erst muss man Geisteswissenschaft
gründlich kennenlernen. Tut man das, dann geben die großen,
die umfassenden, die stärkenden und mutspornenden und erfri-
schenden Ideen und Gedanken dieser Wissenschaft der Seele
nicht nur etwa Theorie, sie geben der Seele Empfindungs-, Wil-
lens- und Denkeigenschaften, so dass sie sich stählt. Dann, wenn
die Seele solches durchgemacht hat, wird der Moment der Be-
gegnung mit dem Hüter der Schwelle zu etwas anderem, als was
er sonst geworden wäre. In ganz anderer Weise werden Angst
und Besorgniszustände überwunden, wenn man vorher durch
das Erfassen der Erzählungen der höheren Welten hindurchge-
gangen ist, als wenn dies nicht geschehen ist.
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Dann aber, wenn der Mensch dieses Erlebnis gehabt hat, dass er
sich selbst gegenübergetreten ist, dass er also dem Hüter der
Schwelle begegnet ist, dann beginnt für ihn die Welt eine ganz
andere zu werden; dann erfahren in einer gewissen Beziehung
alle Dinge der Welt eine neue Gestalt. Und es ist das Urteil be-
rechtigt, das etwa so sagt: Bisher habe ich gekannt, was Feuer
ist; aber das war nur eine Täuschung; denn was ich bisher Feuer
genannt habe, das verhält sich zu seiner Wirklichkeit, zu dem,
was ich jetzt als Feuer kenne, etwa so, wie wenn ich die Eindrü-
cke, welche die Räder eines Wagens machen auf der Straße, für
die einzige Wirklichkeit halten und nicht mir sagen wollte: da
muss ein Wagen darüber gefahren sein, in dem ein Mensch ge-
sessen hat. Von diesen Furchen sage ich aus, dass sie die Zei-
chen, der äußere Ausdruck sind für den Wagen, der darüber
gefahren ist und in dem ein Mensch gesessen hat. Wenn er
vorübergefahren ist, sehe ich nichts von ihm; er aber ist der
Grund der Furchen, er ist das Wesentliche. Und derjenige, der
da glauben würde, die Furchen, welche die Räder hinterlassen
haben, seien etwas in sich Abgeschlossenes, etwas Wesentliches,
der würde den äußeren Eindruck für die Sache selbst halten. -
So ist das, was wir im äußeren Leben als das aufleuchtende Feu-
er sehen, im Verhältnis zu seiner Wirklichkeit, zu der geistigen
Wesenheit, die dahintersteht, wie die Furchen in der Straße zu
dem Menschen, der im Wagen gesessen hat, welcher über die
Straße dahingefahren ist. In dem Feuer haben wir nur einen
äußeren Ausdruck. Hinter demjenigen, was das Auge als Feuer
sieht und was wir als Wärme empfinden, ist erst die wahre geis-
tige Wesenheit, die im äußeren Feuer nur den äußeren Aus-
druck hat. Hinter demjenigen, was wir als Luft einatmen, hinter
demjenigen, was als Licht ins Auge dringt, was als Ton in unse-
rem Ohre ist, hinter dem liegen die wirkenden göttlich-
geistigen Wesenheiten, welche nur gleichsam ihr äußeres Kleid
im Feuer, im Wasser, in demjenigen haben, was uns in den ver-
schiedenen Reichen der Welt umgibt. In der sogenannten Ge-
heimlehre, in der Mysterienlehre, nennt man dieses Erlebnis,
das man in dieser Art hat, das Durchgehen durch die elementa-
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ren Welten. Während man sich vorher dem Glauben hingege-
ben hat, dass dasjenige, was man als Feuer erkennt, eine Wirk-
lichkeit ist, erfährt man nun, dass hinter dem Feuer lebendige
Wesenheiten stehen. Man macht sozusagen Bekanntschaft,
mehr oder weniger intime Bekanntschaft mit dem Feuer als et-
was ganz anderem als dem, wie es sich in der Sinnenwelt dar-
stellt; man macht Bekanntschaft mit den Feuerwesen, mit dem-
jenigen, was als Seele hinter dem Feuer steht. Wie unsere Seele
hinter unserem Leibe steht, so steht hinter dem Feuer, das mit
den äußeren Sinnen wahrnehmbar ist, die Seele und der Geist
des Feuers. Man dringt in ein geistiges Reich ein, wenn man die
Seele und den Geist des Feuers erlebt; und dieses Erleben, das
sich sagt: das äußere Feuer ist keine Wahrheit, es ist bloßer
Schein, ist bloßes Kleid, ich bin jetzt unter den Feuergöttern,
wie ich vorher unter den Menschen in der physischen Welt war
- dieses Erleben heißt Leben im Element des Feuers, wenn man
im geheimwissenschaftlichen Sinne spricht. Ebenso ist es mit
dem, was wir einatmen. In dem Augenblicke, wo uns dasjenige,
was wir als äußere Luft einatmen, nur das Kleid wird für
dahinterliegende lebendige Wesenheiten, leben wir in dem
Elemente der Luft.
Und so kann der Mensch, wenn er die Begegnung mit dem Hü-
ter der Schwelle hinter sich hat, aufsteigen zu dem Erleben der
Wesenheiten in den sogenannten Elementen, im Element des
Feuers, des Wassers, der Luft, der Erde. Diese vier Arten von
Geistern, die in den Elementen leben, gibt es, und der Mensch,
der diese Stufe erreicht hat, die soeben beschrieben worden ist,
verkehrt mit den geistigen Wesenheiten der Elemente. Er lebt
in den Elementen, er durchlebt Erde, Wasser, Luft und Feuer.
Dasjenige also, was man im gewöhnlichen Leben mit diesen
Worten bezeichnet, das ist nur das äußere Kleid, der äußere
Ausdruck von dahinterstehenden geistigen Wesenheiten. Es le-
ben also gewisse göttlich-geistige Wesenheiten in demjenigen,
was uns entgegentritt als feste Materie oder Erde - im geistes-
wissenschaftlichen Sinne gesprochen -, als flüssige Materie oder
Wasser - im geisteswissenschaftlichen Sinne gesprochen -, als
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ausdehnbare Materie oder Luft und als warme, feurige Materie
oder Feuer. Das aber sind noch nicht die höchsten geistigen
Wesenheiten, sondern wenn wir uns durchgerungen haben
durch das Erleben der Elementenwelt, dann steigen wir auf zu
denjenigen Wesenheiten, welche die schaffenden Wesenheiten
für jene Geister sind, die in den Elementen leben. Und nun
nehme man folgendes: Wenn man seine Umgebung betrachtet,
die physische Umgebung, sieht man: sie besteht aus demjenigen,
was die vier äußeren Glieder sind der eigentlichen Elementar-
welt. Ob man Pflanzen oder Tiere oder Steine auf dem physi-
schen Plane sieht, man kann sagen: sie bestehen entweder aus
dem Festen, das heißt Erdigen - geheimwissenschaftlich gespro-
chen - oder aus dem Flüssigen, das heißt aus dem Wasser - ge-
heimwissenschaftlich gesprochen -, aus Gasartigem oder der
Luft und aus dem Feurigen, dem Wärmehaften. Daraus sind die
Dinge zusammengesetzt, die in der Steinwelt, Pflanzenwelt, in
der Tier- und Menschenwelt physisch vorhanden sind. Und als
schöpferische Kräfte, als befruchtende Kräfte stehen hinter
demjenigen, was physisch ist, diejenigen Kräfte, die uns von der
Sonne zum größten Teil zuströmen. Die Sonne, sie ruft ja aus
der Erde hervor das sprießende, sprossende Leben. Die Sonne
also sendet diejenigen Kräfte, im physischen Sinne zunächst, zur
Erde, die es möglich machen, dass auf der Erde gesehen wird
mit physischen Sinnen dasjenige, was im Feuer, in der Luft, im
Wasser und in der Erde lebt. Wir sehen physisch die Sonne,
weil sie physisch Licht verbreitet. Das physische Licht wird
durch die physische Materie aufgehalten. Der Mensch sieht die
Sonne vom Aufgange bis zum Niedergange, und er sieht die
Sonne nicht, wenn die physische Erdenmaterie sie zudeckt; vom
Untergange bis zum Aufgange sieht er sie nicht. Solche Finster-
nis, wie sie im physischen Leben herrscht vom Niedergange der
Sonne bis zum Aufgange derselben, solche Finsternis gibt es in
der geistigen Welt nicht. In dem Augenblicke, wo der Hellseher
dasjenige errungen hat was beschrieben worden ist, in dem Au-
genblicke, wo er hinter dem Feuer die Geister des Feuers, hinter
der Luft die Geister der Luft, hinter dem Wasser die Geister des
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Wassers und hinter der Erde die Geister der Erde erblickt, in
diesem Augenblick sieht er hinter diesen geistigen Wesenheiten
deren höheren Herrscher, deren höheren Lenker, dasjenige, was
sich verhält zu diesen Elementarwesenheiten, wie sich verhält
die erwärmende und beleuchtende, die wohltätige Sonne zu
dem sprießenden und sprossenden physischen Leben auf unse-
rer Erde. Das heißt, der Hellseher ringt sich durch von der Be-
trachtung der Elementarwesenheiten zu der Betrachtung der
höheren geistigen Wesenheiten, die im geistigen Reiche etwa
sind, was sich im physischen Reiche sinnbildlich vergleichen
lässt mit der Sonne im Verhältnis zur Erde. Der Mensch sieht
dann hinter den Elementenwesen eine hohe geistige Welt: die
geistige Sonne. Wenn für den Hellseher dasjenige, was sonst
Finsternis ist, Licht wird, wenn er die Erleuchtung erlangt,
dann, dann dringt er vor, wie das physische Auge zur Sonne
vordringt, zur geistigen Sonne, das heißt zu den geistigen We-
senheiten. Und wann dringt er vor zu diesen höheren geistigen
Wesenheiten? Dann dringt er vor, wenn gleichsam für die Men-
schen die geistige Finsternis am höchsten ist. Der Mensch lebt,
wenn er sonst frei ist in Bezug auf seinen Astralleib und auf sein
Ich, also vom Momente des Einschlafens bis zu dem des Aufwa-
chens, er lebt, indem ihn Finsternis umgibt, weil er die geistige
Welt, die ihn dann umgibt, nicht sieht. Diese Finsternis nimmt
allmählich zu, erreicht einen Höhepunkt und nimmt wiederum
ab bis zum Morgen, wo er aufwacht. Sie erlangt sozusagen einen
höchsten Grad. Man kann diesen höchsten Grad geistiger Ver-
finsterung vergleichen mit demjenigen im äußeren Leben, was
man die Mitternachtsstunde nennt. Wie in dieser normalerwei-
se die äußere physische Finsternis am stärksten ist, wie sie bis
dahin zunächst zunimmt und nachher abnimmt, so gibt es in
Bezug auf die geistige Finsternis einen höchsten Grad, eine Mit-
ternacht. Auf einer gewissen Stufe des Hellsehens ist es so, dass
man während der Zeit, während welcher für den ungeistig-
erkennenden Menschen die geistige Finsternis aufsteigt, die
Elementargeister sieht; wiederum so beim Abfluten der Finster-
nis. Hat man nur eine niedere Stufe des Hellsehens erreicht, so
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ist es so, dass man zuerst sozusagen gewisse Elementargeister
erlebt, dass aber gerade dann, wenn man den höchsten geistigen
Moment erleben will, die Mitternachtsstunde, dass dann noch
eine Verfinsterung eintritt, und erst dann wiederum eine Erhel-
lung eintritt. Wenn man aber eine bestimmte Stufe des Hellse-
hens erreicht hat, dann wird, was man Mitternachtsstunde nen-
nen kann, um so heller. In dieser Zeit3 erlebt man das Anschau-
en derjenigen geistigen Wesenheiten, die in Bezug auf die
Elementengeister sind wie die Sonne zur physischen Erde; man
erlebt die höheren, schöpferischen, die Sonnenwesenheiten, es
tritt jener Moment ein, den man technisch nennt das Schauen
der Sonne um Mitternacht.
So sind die Stufen, welche heute wie zu jeder Zeit von demjeni-
gen durchlebt werden müssen, der zur hellseherischen For-
schung sich hinaufschwingen will, der hinter den Schleier, wel-
cher in den irdischen Elementen die wahre Welt überzieht,
hindurchblicken will. Diese Stufen, die nun beschrieben wor-
den sind, das Sich-Freifühlen in Bezug auf seine zweite Persön-
lichkeit wie das Schwert in der Scheide, dieses sich außerhalb
des physischen Leibes Fühlen, wie wenn man das Schwert her-
ausgezogen habe aus der Scheide; das Begegnen mit dem Hüter
der Schwelle; das Erleben der Elementenwesenheiten, das heißt
das Erleben jenes großen Momentes, wo die Feuer-, Luft-, Was-
ser- und Erden-Wesenheiten werden zu Wesenheiten, unter
denen man wandelt, mit denen man nun verkehrt wie im ge-
wöhnlichen Leben mit den Menschen; und dann das Erleben
jenes Momentes, wo man das Urwesen dieser Elementarwesen-
heiten erlebt, das sind die Stufen, die zu jeder Zeit durchge-
macht werden konnten, die auch heute noch durchgemacht
werden können, das sind - in anderer Weise ist dies öfter schon
beschrieben worden, denn in mancherlei Art kann man sie be-
schreiben, und es bleibt immer nur eine unvollkommene Be-
3 Man muss sich darüber klar sein, dass mit dieser «Mitternachtsstunde» nicht
ein mit dem äußeren Zeitverlauf zusammenfallender Augenblick, sondern
ein innerer Zustand gemeint ist.
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schreibung! - die Stufen, die in die geistigen Welten hinauffüh-
ren. Wir mussten sie uns vor die Seele führen, um zu sehen, was
der Mensch zu jeder Zeit selber tun muss, um die geistigen We-
senheiten zu erkennen. Und wir werden nunmehr uns weiter
vor die Seele zu führen haben, was nun der Mensch in diesen
geistigen Welten erlebt; wir werden uns vor die Seele zu führen
haben einiges von den konkreten Verrichtungen, die der
Mensch vorzunehmen hat, um den Geistwesenheiten zu begeg-
nen. Und wenn wir die Sache uns vor die Seele geführt haben in
der Art, wie es durch die westliche Einweihung erreicht werden
kann, dann werden wir das, was wir also gewonnen haben aus
der Sache selbst heraus, vergleichen mit dem, was an orientali-
scher Überlieferung, an uralter Weisheit an die Menschheit
erging. Das ist dasjenige, was man verstehen kann als das Fallen-
lassen des Christus-Lichtes auf die Weisheit der vorchristlichen
Zeit.
DER ORIENT IM LICHT DES OKZIDENTS
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DRITTER VORTRAG
MÜNCHEN, 25. AUGUST 1909
Wir haben uns vor die Seele geführt, wohin derjenige dringt,
welcher die Methoden der menschlichen Entwickelung in die
übersinnlichen Welten hinein auf sich anwendet. Wir haben
dabei aufmerksam gemacht, dass es eine gewisse Stufe der Ent-
wickelung gibt, durch welche dem Menschen das, was sonst in
der äußeren Welt uns entgegentritt als Wärme, als Luft, als
Wasser und so weiter, anfängt zu leben und durchgeistigt zu
sein. Wir haben gesagt, dass man das nennen kann das
Sichhineinleben in die Welt der Elementengeister. Ich bitte die-
jenigen, die sich seit längerer Zeit mit Geisteswissenschaft befas-
sen, jedes Wort, das gesagt wird, recht auf die Waagschale zu
legen und zu berücksichtigen, dass die Worte gebraucht werden
nicht annähernd, sondern ganz genau. Ich sagte nicht Elemen-
targeister, sondern ich sagte Elementengeister; und es ist immer
nur die Rede von demjenigen, das gerade an der betreffenden
Stelle genannt wird.
Es wird nun heute unsere Aufgabe sein, uns mit einigen Eigen-
tümlichkeiten bekanntzumachen, die sich dem Betrachter der
höheren Welten bieten. Da ist vor allen Dingen darauf aufmerk-
sam zu machen, dass sich beim Aufstieg ins Übersinnliche zu
unserer gewöhnlichen Welt, die wir mit unseren Sinnesorganen
erleben, andere Welten, von denen zunächst zwei genannt sein
sollen, hinzugesellen, Welten, die hinter denen stehen, die man
mit den Sinnen wahrnehmen und mit dem Verstande begreifen
kann. Es sollen einige hervorragende Charaktereigentümlich-
keiten genannt werden, welche hinweisen können auf die Un-
terschiede unserer gewöhnlichen Welt und den beiden nächst-
höheren. Die nächste Welt, die sich hinter unserer Welt ver-
birgt, nennt man ja, wie Sie alle wissen, die astralische Welt,
und diejenige, die noch tiefer verborgen ist hinter dieser, be-
zeichnen wir gewöhnlich nach unserem Sprachgebrauch als die
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geistige Welt. Man könnte auch die astralische Welt das Seelen-
land oder die Seelenwelt und die andere als das Geisterland oder
die geistige Welt bezeichnen. Wollen wir einen der vielen Un-
terschiede angeben, der uns zunächst einmal wichtig sein wird
für unsere folgenden Betrachtungen, so können wir sagen: In
unserer physischen Welt herrscht als eines der umfassendsten
Gesetze dasjenige des Entstehens und Vergehens. Überall finden
wir in unserer physischen Welt den Wechsel von Geburt und
Tod, von Entstehen und Vergehen. Betrachten Sie, wo Sie wol-
len, unsere physische Welt, gerade bei ihren höchsten Wesen-
heiten finden Sie das Charakteristische, dass sie geboren werden
und sterben innerhalb der physischen Welt. Eine scheinbare
Dauer innerhalb der physischen Welt gaukelt dem Menschen
höchstens dasjenige vor, was den niedrigen Naturreichen ange-
hört: das tote Steinreich. Aber auch das ist nur scheinbar. Wür-
de man die Betrachtung der Gesteinswelt über lange Zeiten aus-
dehnen, so sähe man, dass sich auch da das Gesetz des Entste-
hens und Vergehens geltend macht.
Für den Betrachter nun der astralischen Welt drängt sich vor
allen Dingen das auf, dass - ebenso hervorragend wie für die
physische Welt das Entstehen und Vergehen - für diese astrali-
sche Welt die Verwandlungsfähigkeit ist, die Metamorphose.
Und hier verknüpft sich das, was jetzt zu sagen ist, mit einem
Hinweis, der schon gestern gegeben worden ist und der uns in
der mannigfaltigsten Weise immer konkreter beschäftigen wird.
In der astralischen Welt haben wir es zu tun mit beweglichen
Gebilden, mit Gebilden, die sich ineinander so umwandeln, dass
sie bald das eine, bald das andere sein können. Schon der uns ja
aus dem Astralischen zunächstliegende menschliche astralische
Leib, der wie eine Art von Aura - dem Hellseher sichtbar - wol-
kig umwallt und umwogt den physischen Leib, hat die Eigen-
tümlichkeit einer fortwährenden Verwandlungsfähigkeit. Fast
in jedem Augenblick ist das, was als eine astralisch-aurische
Wolke den Menschen einhüllt und durchdringt, anders, je
nachdem der Mensch in sich höhere oder niedrigere Triebe
entwickelt, wildere, stürmischere oder ruhigere Leidenschaften
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in sich erlebt, diese oder jene Gedanken hegt. Je nachdem er
diese oder jene Willensimpulse hat, zeigen sich in dieser
aurisch-astralischen Wolke die mannigfaltigsten Gebilde und
Einschlüsse; und da der Mensch in seinem Seelenleben fortwäh-
rend diese oder jene Gedanken aufsteigen und abwogen lässt, so
kann man diese Wolke in jedem Augenblick in Bezug auf Farbe
und Form als etwas anderes abbilden, wenn auch ein gewisser
Grundcharakter, sagen wir eine gewisse Grundfarbe in der ast-
ralischen Aura eines jeden Menschen erhalten bleibt, die seinem
mehr oder weniger dauernden Charakterzug entspricht. So ha-
ben wir schon in dem astralischen Leib des Menschen das sich
Verwandelnde darinnen. Gestern ist darauf aufmerksam ge-
macht worden, dass dieselben Wesenheiten, die dem Menschen
zunächst entgegentreten, wenn er das astralische Gebiet als ein
Erschaubares erlebt, dann, wenn er in die Erleuchtung vorrückt
und ihm das Astralische erkennbar wird, ihm entgegentreten
können, je nach seiner eigenen Vorbereitung, als gute und als
böse. So stark ist die Verwandlungsfähigkeit dessen, was für das
Schauen nicht heruntersteigt bis zum physischen Plan, sondern
bleibt in den Regionen der höheren Welten und nur bis zum
astralischen Plane heruntersteigt, sich verwandeln kann von
dem Guten in das Böse, von dem Lichten in das Finstere. Also
wir haben Metamorphose, Verwandlungsfähigkeit als Charakte-
ristikum in dieser Welt.
In der eigentlich geistigen Welt tritt uns eine, wenn auch nur
relative Dauer entgegen, ein Bleiben. Daher muss zum Beispiel
des Menschen innerste Wesenheit, wenn sie sich erhalten will,
wenn sie dauern will von einer Inkarnation zur anderen, durch-
gehen durch die geistige Welt, weil nur diese Welt die Eigen-
tümlichkeit der, wenn auch nicht ewigen, so doch in gewisser
Beziehung relativen Dauer hat.
Entstehen und Vergehen ist also hauptsächlichste Eigentüm-
lichkeit der physischen Welt; Verwandlung von einer Form in
die andere ist eine Eigentümlichkeit der astralischen Welt; Dau-
er ist eine Eigentümlichkeit der geistigen Welt. Zunächst müs-
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sen wir uns klar sein, dass die Materialien zum Aufbau des Men-
schen aus diesen Welten entnommen sind, dass der Mensch aus
diesen Welten herausgebaut ist. Die physische Welt liegt ihm
zunächst vor; in die anderen Welten arbeitet er sich durch die
sogenannte Einweihung oder Initiation, das heißt durch die
Vorbereitung und Entwickelung zum übersinnlichen Schauen
hinauf. Da lernt er erst das kennen, was sich ihm entzieht in der
gewöhnlichen Welt, was aber ebenso vorhanden ist wie diese
gewöhnliche Welt.
Nun müssen wir uns bekannt machen mit noch etwas anderem.
Wir haben gesagt, dass uns zum Beispiel im Element des Feuers
oder der Wärme auf einer gewissen Stufe der Entwickelung Le-
bendiges entgegentritt, etwas das Feuer Durchlebendes, oder in
Bezug auf die Luft etwas die Luft Durchlebendes. Für das ge-
wöhnliche Leben ist nun die Sache so, dass jedesmal, wenn eine
äußere Umhüllung, ein äußeres Kleid, ein Ausdruck auftritt für
irgendeine Wesenheit, diese selbst für den Menschen sich in
eine höhere Welt zurückzieht. Der Mensch lernt in der physi-
schen Welt das physische Feuer kennen. Weil er das physische
Feuer, den Ausdruck gewisser geistiger Wesenheiten, die im
Feuer walten, in der physischen Welt kennenlernt, so muss er,
um diese Wesenheiten selbst kennenzulernen, von der physi-
schen zu höheren Welten aufsteigen. Niemals findet man in
derselben Welt diejenigen Wesenheiten, bei denen der Ur-
sprung und Urquell einer Erscheinung für eine andere Welt ist.
Dasjenige, was Ursache und Urquell des Feuers zum Beispiel ist,
kann man erst finden, wenn man von der physischen Welt zur
nächsthöheren aufsteigt, weil die betreffenden Wesenheiten in
die niedere Welt hinuntersenden ihren Ausdruck und ihre We-
senheit selbst zurückbehalten in der höheren Welt. Das gilt nun
nicht nur für die Erscheinungen, die uns sozusagen auf dem äu-
ßeren Teppich der physischen Welt entgegentreten. Die Geister
des Feuers, die Geister der Luft, des Wassers, der Erde, sie ver-
hüllen sich für die physische Welt und sind in den höheren
Welten, weil sie ihre Ausdrücke in die physische
hinuntersenden. Das gilt aber nicht nur für dasjenige, was uns
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entgegentritt außer uns, sondern für alles dasjenige, was in uns
selber zunächst in der physischen Welt lebt. In dieser leben ja
für uns nicht nur die Erscheinungen der Außenwelt, nicht nur
die buntfarbige und tonreiche, die gerucherfüllte, geschmacker-
füllte Welt, sondern da leben zunächst für uns auch unsere Ge-
fühle, unsere Empfindungen und Gedanken. Alles, was der
Mensch hier in dieser Verkörperung, in der Inkarnation ist, lebt
in der physischen Welt, was es auch immer ist. Dessen müssen
wir uns klar sein. So dass also auch jedes Gefühl, das wir zwi-
schen der Geburt und dem Tode erleben, jeder Gedanke, den
wir fassen, jede Idee und so weiter eine Erscheinung der physi-
schen Welt ist. Und ebenso wie hinter den äußeren Erschei-
nungen, den Farben, Tönen, Gerüchen und so weiter, oder wie
wir sagen in der Geisteswissenschaft, dem Feuer, der Luft, dem
Wasser und so weiter göttlich-geistige Wesenheiten dahinter
stehen, ebenso leben göttlich-geistige Wesenheiten hinter unse-
ren Empfindungen, unseren Gefühlen, unserer ganzen Seelen-
welt. Unsere ganze Seelenwelt hat göttlich-geistige Wesenhei-
ten hinter sich. Und das, was wir gewöhnlich als unser Ich, als
unser Selbst erleben innerhalb der physischen Welt, das ist noch
nicht unser wahres Selbst, das ist noch nicht dasjenige, was wir
unser höheres Selbst nennen. Unser höheres Selbst steht in ei-
ner übersinnlichen Welt, es lebt hinter unseren Gefühlen und
Empfindungen. Daher wird im wahren Sinne dieses höhere
Selbst erst erlebt durch die Entwickelung in die übersinnlichen
Welten hinauf. Da zeigt es sich noch in ganz anderer Gestalt als
in der physischen Welt.
An einem besonderen Beispiele möchte ich Ihnen anführen, wie
sich dieses in der physischen Welt lebende Selbst des Menschen
verhält zu seinem höheren Selbst, und zwar möchte ich es Ih-
nen anführen für unsere heutigen Verhältnisse, denn derjenige,
der in die geistigen Welten hineinschaut, weiß, dass sich diese
Dinge im Laufe der Zeiten andern. Derjenige, der zum Beispiel
einem anderen Menschen ein Unrecht zugefügt hat, der kann in
sich selber das erleben, was man Gewissensbisse nennt. Man
kommt da auf jene eigentümlichen Seelenerlebnisse, die man
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gewöhnlich zusammenfasst unter dem Wort Gewissen. Sie wis-
sen alle, dass man im gewöhnlichen Leben mit diesem Worte
Gewissen bezeichnet eine Art innerer Stimme, welche den
Menschen treibt, von ihm begangenes Unrecht wieder gutzu-
machen. Die meisten Menschen werden in ihrem ganzen Leben
wenig dazu kommen, darüber nachzudenken, was das Wesen
dieses Gewissens ist; sie bleiben eben dabei stehen, sich zu sa-
gen: Gewissen ist etwas, das man fühlt. Ein inneres Gefühl hat
man, dass man begangenes Unrecht wieder gutmachen muss; es
quält einen in der Seele, wenn man solches Unrecht nicht gut-
gemacht hat. Das Gewissen ist zunächst für den Menschen in
der physischen Welt ein inneres Erlebnis, ein Seelenerlebnis.
Fragen Sie nun den Geistesforscher, wie es sich damit verhält,
dann muss dieser folgende Beobachtung anstellen: er muss den
Betreffenden, der ein Unrecht begangen hat, beobachten in Be-
zug auf sein Leben in der astralischen Welt. Derjenige nun, der
für sich selbst innerlich Gewissensbisse erlebt, der ist für den
Geistesforscher umringt von merkwürdigen astralen Gestalten,
die sonst nicht da sind, wenn nicht Gewissensbisse in der Seele
leben. Alles das, was sozusagen im Gewissen rumort und von
der Seele, die in der physischen Welt lebt, nur gefühlt wird, das
zeigt sich der geistigen Beobachtung wie gewisse Gestalten, die
den Menschen umschwirren, die in seiner Umwelt leben. Und
wenn wir uns fragen: Wie zeigt sich für die Geistesforschung
das Entstehen dieser Gestalten, dann bietet sich folgendes:
Nehmen wir an, jemand hat solch ein Unrecht begangen, dann
bilden sich aus den Gedanken, die das Unrecht herbeigeführt
haben, andere Gedankenformen, die Metamorphosen der ersten
sind. Alles das, was der Mensch denkt, empfindet und fühlt, lebt
ja in seiner astralischen Aura als eine Form, als eine Gedanken-
oder Empfindungs- oder Gefühlsform. Man kann einen Gedan-
ken, der - sagen wir klar ist, in einer scharf umrissenen Gedan-
kenform, wie umschwebend den Menschen, abbilden; ebenso
einen wilden, einen wüsten Gedanken, diese oder jene Leiden-
schaft durch verworrene Formen. Das sind alles Gestalten, die
den Menschen umgeben. Während nun der Mensch ein Un-
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recht begeht an einem anderen, denkt und empfindet er dies
oder jenes. Diese Gedanken- oder Empfindungsformen treten
dann aus ihm heraus, sind in der Umgebung; aber sie bleiben
nicht bloß Gedankenformen, das ist das Wesentliche und Wich-
tige. Sie bleiben nicht etwas, was sich vom Menschen abgeson-
dert hat, sondern sie finden Nahrung aus gewissen Welten. Es
brausen gleichsam, wie der Wind in einen Hohlraum, der sich
ihm darbietet, hineinbraust, in diese Gedankenformen, die aus-
geschieden werden durch die Gewissensbisse, gewisse Wesen-
heiten aus ganz bestimmten Welten - wir werden darüber noch
sprechen - hinein, und die eigenen Gedankenformen des Men-
schen sind dann ausgefüllt mit einer Wesenssubstanz aus diesen
Welten. Der Mensch hat Veranlassung gegeben durch seine Ge-
dankenformen dazu, dass in seiner Umgebung nun andere We-
senheiten leben. Diese Wesenheiten sind in Wahrheit das Quä-
lende der Gewissensbisse. Wären sie nicht da, so quälten die
Gewissensbisse nicht. Erst in dem Moment, wo der Mensch un-
bewusst diese Wesenheiten fühlt, beginnt das Nagende und
Zehrende des schlechten Gewissens.
Sie können nun an diesem Beispiele sehen, dass für die geistige
Beobachtung eine ganz andere Realität vorliegt als für die nicht
geistige. Für die letztere ist das Gewissen nur ein inneres Erleb-
nis; für die geistige Beobachtung ist das Gewissen eine Summe
von Wesenheiten, die den Menschen umgibt, eine geistig-
astralische Realität um ihn herum. Warum nun sieht der
Mensch diejenigen Wesenheiten, die ich Ihnen eben beschrie-
ben habe - die dadurch entstehen, dass sich gewisse geistige
Wesenheiten mit seinen eigenen Gedanken umhüllen wie mit
Häuten, wie mit Bälgen -, im gewöhnlichen Leben nicht? Gera-
de aus demselben Grunde, warum er zum Beispiel Geister des
Feuers nicht sieht. Er sieht in der physischen Welt das physi-
sche Feuer; hinter dem physischen Feuer verbirgt sich das, was
geistig ist im Feuer; und er muss erst durch das Feuer hin-
durchschauen in höhere Welten hinauf, wenn er das Geistige
im Feuer sehen will. Ebenso muss der Mensch geistig durch das
Gewissen durchschauen, wenn er Geister des Gewissens ken-
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nenlernen will, wenn er Bekanntschaft machen will mit den
quälenden, auf dem astralischen Plane zunächst lebenden We-
senheiten, die auf diejenige Weise entstanden sind, die ich Ih-
nen beschrieben habe.
Nun könnten diejenigen, welche Tatsachen, die in den ver-
schiedensten Vorträgen und Vortragszyklen erwähnt worden
sind, zusammenhalten, hier einen Schluss ziehen, den ich nun
gleich selber ziehen will. Sie wissen ja, dass das menschliche
Seelenleben sich im Laufe langer Zeiträume geändert hat. Alle
kennen Sie diese Tatsache aus meinen verschiedensten Vorträ-
gen. Sie wissen, dass wenn wir heute dasjenige, was wir
menschliches Bewusstsein nennen, beschreiben, etwas anderes
herauskommt als das Bewusstsein, sagen wir, zum Beispiel bei
den alten Indern in der ersten Kulturepoche der nachatlanti-
schen Zeit; dass anders war dieses Bewusstsein namentlich in
der atlantischen Zeit. Sie wissen alle, dass das menschliche Be-
wusstsein sich von einem dumpfen, ursprünglichen Hellsehen
hindurchentwickelt hat zum heutigen klaren, tagwachen Be-
wusstsein für die physische Welt. Je weiter wir zurückgehen in
der Entwickelung, desto mehr finden wir, dass die Menschen
ein ursprüngliches Hellsehen, ein gewisses primitives Hellsehen
hatten. Wir brauchen gar nicht weit zurückzugehen, verhält-
nismäßig nur wenige Jahrtausende, da finden wir noch zahlrei-
che Völker, welche nicht etwa bloß das physische Feuer sahen,
sondern imstande waren, durch dieses physische Feuer hin-
durch zu den Elementengeistern des Feuers zu schauen. Das hat
sich nach und nach entwickelt im menschlichen Bewusstsein,
dass gleichsam eine höhere Welt sich zurückgezogen hat vor
dem Menschen, und dieser beschränkt worden ist auf die physi-
sche Welt. Das gilt aber eben nicht bloß für die äußere Welt,
für den Teppich der Sinnenwelt, der um uns herum ausgebreitet
ist, sondern auch für das im Physischen sich offenbarende
menschliche Seelenleben. Nun können Sie den Schluss ziehen:
Wenn du uns eine solche Erscheinung nennst, wie das Gewissen
es ist, und behauptest, dass der heutige Geistesforscher für das,
was man das Gewissen nennt, um den Menschen herum astra-
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lisch-geistige Gestalten erlebt, so müssten ja die Vorfahren der
heutigen Menschen diese astralisch-geistigen Gestalten gesehen
haben; sie waren ja hellseherisch, müssten also auch das gesehen
haben, was heute der Geistesforscher erbildet. - Nun, ebenso
wie das Feuer die Geister des Feuers verdeckt, ebenso verdeckt
das menschliche Gewissen - diese innere Stimme, wie wir sie
nennen - zunächst die Welt, die ich eben beschrieben habe, die
Welt der quälenden und nagenden Gewissensgeister. Also müss-
te in der Vorzeit gesehen worden sein von den Menschen dasje-
nige, was ich eben beschrieben habe als eine astralische Er-
scheinung. Aber die Bedingung dazu wäre gewesen, dass die
Menschen dazumal noch nicht das innerliche Gewissen gehabt
hätten, dass das noch nicht entwickelt gewesen wäre, dass also
dasjenige, was wir heute die Seelenerscheinung des Gewissens
nennen, einmal bei unseren Vorfahren nicht da gewesen wäre,
dass dafür aber unsere Vorfahren gesehen hätten, was heute nur
der Geistesforscher in der astralischen Umhüllung erblickt,
während heute für die Menschen, da sie die innere Stimme des
Gewissens empfinden, durch diese innere Stimme verdeckt
werden die äußeren Geister - sagen wir des Gewissens.
Ich habe absichtlich dieses Beispiel angeführt, weil an ihm die
Bekräftigung der Sache wie mit Händen zu greifen ist. Man
kann ganz genau auf den Zeitpunkt hinweisen, äußerlich histo-
risch hinweisen, in dem der Übergang stattgefunden hat von
dem Schauen der äußeren Gewissensgeister durch die Men-
schen zu der Erweckung der inneren Stimme des Gewissens. Sie
brauchen nämlich nur einmal denkerisch sich zu betrachten die
Orestie des Äschylos und brauchen diese zu vergleichen mit
demselben Stoffe bei dem nur kurze Zeit danach lebenden grie-
chischen Tragiker Euripides. Da haben Sie bei einem Übergang
im Verlauf von wenigen Jahrzehnten von Äschylos bis Euripides
herauf die Erfüllung und Bestätigung dessen, was ich Ihnen er-
zählt habe. Sehen Sie sich den Orest des Äschylos an; führen Sie
sich vor die Seele, was da ungefähr geschieht! Agamemnon
kehrt heim nach dem Kriege. Er wird ermordet von seinem
ehebrecherischen Weibe. Der Sohn Orest, der abwesend ist,
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kommt heim und nimmt Rache an der Mutter. Er nimmt Rache
für den Tod des Vaters, weil sogar die Stimme eines der verehr-
ten Götter selbst ihn zu dieser Sache auffordert; er nimmt Rache
im Einklang sogar mit dem damaligen Volksgefühl. Das Volk
sagt eben, es ist richtig, dass er so gehandelt hat, er hat nur et-
was Gerechtes ausgeführt. Er aber, er sieht als eine Folge des
Muttermordes an sich herankommen die Erinnyen, die Rache-
göttinnen. Nichts anderes sind die Erinnyen, die Rachegöttin-
nen der Mythologie, als die bildliche Ausgestaltung dessen, was
ich Ihnen eben beschrieben habe als Tatsache der geistigen Be-
obachtung. Und versuchen Sie jetzt zu prüfen in diesem älteren
Drama, ob da irgend etwas vorkommt, was Sie bezeichnen kön-
nen mit dem modernen Wort Gewissen; nicht einmal ein Wort
ist in der älteren Zeit vorhanden für das, was wir mit dem Na-
men Gewissen bezeichnen, und zwar, wie die Forscher bewei-
sen können, in keiner Sprache des Altertums ist ein Wort dafür
vorhanden. Vergleichen Sie jetzt aber dieselbe Sache bei demje-
nigen Dichter, der denselben Stoff um einige Jahrzehnte später
behandelt hat, bei Euripides. Da haben Sie nichts mehr von den
Furien, von den Erinnyen; da haben Sie schon den Menschen,
der die innere Stimme des Gewissens vernimmt. In der Zwi-
schenzeit - das lässt sich mit Händen greifen - geschieht die
Entwickelung des Gewissens. Vorher war im wesentlichen im
Verlaufe der Menschheitsentwickelung die hellseherische Be-
obachtung so stark, dass die Menschen die Empfindung nach
einer begangenen schlechten Tat ganz anders hatten als später.
Was empfand ein Mensch der älteren Zeit, wenn er eine
schlechte Tat begangen hatte? Das hellseherische Auge war
noch geweckt; er sah das, was ich beschrieben habe, in seiner
Umgebung - in Griechenland nannte man es die Erinnyen. Und
was entstand jetzt in seinem Inneren für eine Empfindung, da er
dieses Gesicht der Erinnyen fortwährend vor sich hatte? Es ent-
stand eine Empfindung, die ganz entsprechend den Eigentüm-
lichkeiten der astralischen Welt war, die Empfindung: umzu-
wandeln, zu metamorphosieren die Gestalten, die er da um sich
herum hatte. In der astralischen Welt herrscht Verwandlungs-
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fähigkeit. Wenn der Mensch ausgelöscht hat die schlechte Tat,
sie in eine gute verwandelt hat, dann verwandeln sich die Erin-
nyen der Mythologie in die wohlwollenden Eumeniden. Hier
haben Sie Verwandlungsfähigkeit. Da war es also etwas, was der
Mensch so erlebte, dass er sich sagte: Ich habe eine schlechte
Tat begangen; furchtbar ist dasjenige, was sichtbar ist in der ast-
ralischen Welt; das muss umgewandelt werden; ich muss dasje-
nige tun, was die Metamorphose herbeiführt. Es war eine Kor-
respondenz des menschlichen Handelns mit demjenigen, was in
der Umgebung war. Von dem, was innere Stimme des Gewis-
sens ist, war noch nichts da.
Alles in der Welt, auch das innere Seelenleben, entwickelt sich.
So hat sich auch das entwickelt, was wir Gewissen nennen. Und
derjenige würde fehlgehen, der etwa Jahrtausende zurückgehen
würde und das, was heute in der Seele lebt als eine selbstver-
ständliche Erscheinung, auch in den älteren Zeiten suchen wür-
de. Und sogar das ist der Fall, dass sich auf dem betreffenden
Gebiete, wo das geschehen soll, die Dinge ziemlich rasch än-
dern. Wie die Pflanze von Blatt zu Blatt wächst und dann wie
im Sprunge zur Blüte übergeht, so ist es in der geistigen Entwi-
ckelung. Das törichte Wort, die Natur mache keine Sprünge, ist
Unwahrheit; die Natur macht fortwährend Sprünge. An den
entscheidenden Punkten geschehen fortwährend die Sprünge.
Wie vom grünen Laubblatt zur Blüte ein Sprung in der Pflanze
ist, so können wir im geistigen Leben auch solche Sprünge be-
obachten: durch Jahrhunderte, durch Jahrtausende hindurch
entwickeln sich die Dinge langsam und allmählich; dann aber
geht es so rasch wie es mit dem Gewissen gegangen ist hier in
der Zeit, die hineinfällt in das fünfte Jahrhundert vor Christus,
so dass ein früherer Tragiker noch nichts hineinmischt in sein
Drama vom Gewissen, während der einige Jahrzehnte nach ihm
kommende es hineinmischt zum ersten Male und dann auch ein
Wort hat für das, was wir heute als Gewissen bezeichnen. Damit
ist nun wiederum verknüpft, dass gerade die hellseherische Be-
obachtung der Gewissensgeister, der Erinnyen, für den Men-
schen verschwindet. Diese geistigen Wesenheiten sind solche,
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dass sich vor sie hinstellt unser inneres Erlebnis des Gewissens,
wie sich vor die Geister des Feuers der äußere Ausdruck des
Feuers hinstellt.
So sieht man, dass man sozusagen nach zwei Richtungen hin bis
an ein Ufer des Erlebens kommt in der physischen Welt. Die
eine der Richtungen ist die: wenn wir den Teppich der Sinnen-
welt betrachten um uns herum und die Erscheinungen der Far-
ben- und Formenwelt draußen, da kommen wir an die Grenze,
an welcher, wir können sagen, die äußeren Geisterwesen. Aber
auch, wenn wir in unser Inneres hineingehen, wenn wir die Er-
scheinungen des Gewissens, des Gedächtnisses, des Gefühls-
und Willens-, des Gedankenlebens betrachten, da müssen wir
auch in diesen Erscheinungen zunächst etwas ganz ähnliches
Innerliches betrachten, so wie wir Feuer, Luft, Wasser, Erde be-
trachten. Diese Dinge stellen sich hin und verdecken das, was
geistig hinter ihnen ist. Als das Gewissen sich geltend machte
wie eine Stimme in der menschlichen Seele, wie ein inneres Er-
lebnis in der physischen Welt, da stellte es sich vor die Welt der
Erinnyen, der Furien hin und verdeckte sie für die menschliche
Beobachtung. Erst dann, wenn man das geschichtliche Leben
der Menschheit von diesem innerlichen Gesichtspunkte aus be-
trachtet, wird es erklärlich. Nichts verstehen die Menschen von
demjenigen, was geschehen ist, wenn sie nicht an der Hand der
geistigen Tatsachen das Werden, die Entwickelung betrachten
können. Wir haben also geistige Wesenheiten sozusagen, die
hinter dem Rot und Blau, hinter dem Ton, hinter dem äußeren
Geruch und so weiter sind, die draußen in der Welt leben, die
uns umgeben, und die wie durch einen Schleier verhüllt werden
durch dasjenige, was wir sehen und hören und durch den Ver-
stand begreifen. Wir haben aber auch solche Wesenheiten, die
hinter dem liegen, was wir Seelen- und Gemütsleben nennen.
Da ist nun die Frage berechtigt: wie verhalten sich diese zwei
geistigen Reiche zueinander?
Wenn wir das verstehen wollen, müssen wir uns wiederum ei-
niges von dem vor die Seele führen, was Ihnen ja bekannt ist.
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Sie wissen alle, dass die Gliederung der menschlichen Natur in
vier Glieder, in den physischen Leib, Ätherleib, astralischen
Leib und das Ich zerfällt, und dass diese Viergliedrigkeit der
menschlichen Natur zurückzuführen ist auf die ganze Entste-
hung, auf das ganze Werden des Menschen. Wir wissen, dass
der Mensch, wenn wir ihn als Ganzes betrachten, seinen An-
fang nicht erst auf der Erde genommen hat, sondern dass dieser
Erde andere Verkörperungen vorangegangen sind. Wir blicken
zurück von der Erde auf eine vorhergehende Verkörperung der-
selben, die wir den alten Mond nennen; wir blicken weiter zu-
rück auf eine noch frühere Verkörperung der Erde, auf die alte
Sonne, und noch weiter zurück auf den alten Saturn. Wir sagen:
bevor unsere Erde entstanden ist, gab es in der Welt eine uralte
planetarische Gestaltung, die wir den alten Saturn nennen. Da-
zumal entstand auf diesem die allererste Anlage unseres heuti-
gen physischen Körpers; auf der alten Sonne kam hinzu der
Ätherleib und auf dem alten Monde der astralische Leib. Erst
auf der Erde gliederte sich dieser vorher dreigliederigen Men-
schennatur ein das Ich, so dass wir den Keim zu unserem physi-
schen Leib dem alten Saturn, den Keim zu unserem Äther leib
der alten Sonne, den Keim zu unserem astralischen Leibe dem
alten Monde und den Keim zu unserem Ich der Erde verdanken.
Nun wissen wir aber auch schon aus verschiedenen Vorträgen,
dass diese Entwickelung keineswegs so einfach vor sich gegan-
gen ist, dass etwa zuerst einfach der Saturn dagewesen wäre,
dieser sich dann verwandelt hätte in die Sonne, aus dieser der
Mond entstanden wäre und aus diesem die Erde, sondern wir
wissen, dass diese Entwickelung einen viel komplizierteren
Charakter trägt. Wenn wir uns zunächst sagen: es war der Sa-
turn da, der hat sich in die alte Sonne verwandelt und diese in
den Mond - wenn wir dabei zunächst bleiben, weil es annä-
hernd richtig ist für unsere Verhältnisse -, so dürfen wir nicht
dabei bleiben bei der Mondentwickelung selber, die unserer Er-
de unmittelbar vorangegangen ist. Sie sind darauf aufmerksam
gemacht worden von mir, dass zur Zeit der Mondentwickelung
eintrat eine Trennung zwischen der Erde und der Sonne - die
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Erde war damals Mond -, also mit anderen Worten zwischen
Mond und Sonne. Während wir reden von Saturn und Sonne als
ungeteilten Körpern, müssen wir von der Mondentwickelung
sagen: es tritt der eine Körper auseinander in zwei Körper, so
dass damals vorhanden war eine Zeitlang der alte Mond und
gleichzeitig die alte Sonne. Dann verbanden sich beide wieder,
gingen durch einen Zwischenzustand hindurch und traten als
Erdenentwickelung wiederum auf. Und während der frühesten
Erdenentwickelung, da waren vereint die Substanzen und We-
senheiten, die heute in der Sonne und im Monde sind, mit der
Erde selber; erst in einer späteren Zeit trennte sich das, was
heute in der Sonne lebt, von der Erde ab. Es blieb zuerst die Er-
de zurück mit dem heutigen Monde. In einer späteren Zeit spal-
tete sich der Mond von der Erde ab, und die Erde blieb zwi-
schen der Sonne und dem Monde zurück. Diese drei Körper also
waren zuerst eins; Sonne und Mond haben sich erst später aus
der Erde herausgebildet.
Nun fragen wir uns: Was ist der Sinn dieser Trennung im geisti-
gen Leben? Wir wollen absehen von der ersten Trennung in der
alten Mondenzeit und wollen nur jene Trennungen betrachten,
die während der eigentlichen Erdenentwickelung stattgefunden
haben. Gerade so wie auf unserer Erde gewisse Wesenheiten
ihre Entwickelung finden, gerade so finden auf der Sonne und
durch den Mond andere Wesenheiten ihre Entwickelung. We-
senheiten, welche ihr Fortkommen nicht auf der Erde hätten
finden können, weil sie eine andere Entwickelungsstufe hatten
als der Mensch, die trennten sich mit der Sonne von der Erde
ab; sie sind sozusagen nicht mit der Erdenentwickelung weiter-
gegangen, sondern mussten auf einem Schauplatz abseits von
der Erde, eben auf der Sonne ihre Entwickelung fortsetzen, so
dass wir also in dem Zeitpunkt der Sonnentrennung von der Er-
de die Tatsache vorliegen haben, dass der Mensch auf der Erde
zurückgelassen wird als ein Wesen, welches die Bedingungen
der Erdenentwickelung brauchte zu seiner eigenen Entwicke-
lung. Andere Wesenheiten aber, welche nicht auf der Erde sich
weiterentwickeln konnten, die trennten sich die Substanzen,
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die sie brauchten, ab und bildeten sich den Sonnenwohnplatz.
Sie wirkten dann von der Sonne aus auf die Erde ein. Denn wie
die physischen Sonnenstrahlen auf die Erde fallen und die Erde
erleuchten und erwärmen, so strahlen die Taten, die Wirkungen
der Geister der Sonne auf unsere Erde herab. Die physischen
Sonnenstrahlen sind nur der äußere körperhafte Ausdruck der
Taten der geistigen Sonnenwesen. Das war der Sinn der Son-
nentrennung.
Was war denn nun der Sinn der Mondentrennung? Wenn die
Sonne mit der Erde verbunden geblieben wäre, dann hätten die
Wesen, die später auf der Sonne wohnten, ihr gutes Fortkom-
men finden können, der Mensch aber nimmermehr. Der
Mensch hätte nicht Schritt halten können mit dem Entwicke-
lungstempo der Sonnenwesen; er hätte sich viel schneller ent-
wickeln müssen, wenn nicht die Sonnenwesen aus der Erde
hinausgegangen wären und von außen schwächer gewirkt hät-
ten. Dadurch also ist das Entwickelungstempo auf der Erde ver-
langsamt worden, dass die Sonne sich abgetrennt hat. Aber es
war noch nicht das dem Menschen wesen angemessene Entwi-
ckelungstempo; es war zu langsam. Der Mensch wäre verhärtet,
mumifiziert, wenn der Mond, der ja damals noch mit der Erde
verbunden war, mit ihr verbunden geblieben wäre. Es würde
sich der Mensch entwickelt haben nicht als eine Wesenheit wie
er heute ist, der aus dem äußeren physischen Leib und dem in-
neren Geist-Seelenleben besteht, sondern der Mensch würde
sich verhärtet, mumifiziert haben. Es lag dadurch, dass der
Mond mit der Erde verbunden war, in dieser die Tendenz, den
Menschen und die Erde sozusagen zu verhärten, zu vertrock-
nen, zu verholzen. Die Erde wäre nach und nach ein Welten-
körper geworden, aus dem heraus sich wie tote Mumien die Ge-
stalten des Menschen gebildet hätten. Es musste der Mond ge-
trennt werden von der Erde. Dadurch ist die Möglichkeit gege-
ben worden, gerade das richtige Tempo der Entwickelung ein-
zuhalten. Was zu langsam war, konnte beschleunigt werden. So
wurde der Mensch, was seinem Wesen entspricht; während er
zu einem äußeren Leben und zu einer äußeren Regsamkeit, die
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er nicht hätte vertragen können, angeregt worden wäre durch
das Verbleiben der Sonne bei der Erde. Wenn der Mond bei der
Erde verblieben wäre, so wäre der Mensch gar nicht angeregt
worden, er wäre vertrocknet, es wäre ihm genommen worden
die Möglichkeit sich zu beleben. Die Anregung, die der Mensch
durch das Sonnenleben erhalten hat, war eine äußere. Die Son-
ne hätte gewirkt anregend auf alles menschliche Leben, aller-
dings in einem zu schnellen Tempo. So wie die Sonne anregend
wirkt auf das Leben der Blumen des Feldes von außen, so wäre
der Mensch, wenn die Sonne verbunden geblieben wäre mit der
Erde, angeregt worden zu allem Fühlen, Denken und Wollen
von außen, aber in so schneller Weise, dass er sozusagen ver-
brannt wäre in dem physischen und geistigen Sonnenfeuer.
Aber die Anregerin, die von außen wirkt, war hinausgegangen,
war ferngerückt und daher in ihrer Wirkung abgeschwächt
worden. Sie war aber zunächst durch dasjenige, was die Erde in
sich selber an verhärtenden Tendenzen hatte, zu schwach, und
es musste ein Teil dieser verhärtenden Tendenzen in Form des
Mondes herausgeholt werden. Dadurch kam in die Erdenentwi-
ckelung und in den Menschen ein neues, belebendes Prinzip
hinein, und dieses wirkte in genau entgegengesetzter Weise an-
regend als die Sonne. Während die Sonnenanregung von außen
wirkt, wirkt das, was jetzt eintritt, von innen belebend. Alles
dasjenige, was Seelenleben in der physischen Welt ist, so wie es
auf der Erde erlebt wird, konnte nur dadurch sich entwickeln,
dass der Mensch vor dieser Verhärtung, vor dieser Mumifizie-
rung gerettet worden ist durch das Hinausgehen des Mondes.
Alles innere Leben, alle innere Regsamkeit, alles dasjenige, was
beschrieben werden kann als Gefühle, Empfindungen, als Ge-
wissen und Gedanken, alle diese Lebensquellen des Innern, sie
machten sich von innen heraus geltend durch die Abtrennung
des Mondes von der Erde; sie wären sonst versiegt in der
menschlichen Natur, sie wären untätig geblieben.
Fragen Sie also denjenigen, der mit geistigem Blick unseren
Kosmos durchmisst: Woher kommt die Fähigkeit, dass wir ir-
gend etwas Äußerliches wahrnehmen, irgend etwas schauen
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oder sehen, dass der Mensch zum Schauen angeregt wird? Sie
müssen sich sagen: Von dem, was physisch oder geistig in der
Sonne vorhanden ist. Fragen Sie aber: Woher kommen die
Gründe des inneren Erlebens, die Gründe des Denkens, die
Gründe des Fühlens, die Gründe zum Beispiel für das Gewissen
und so weiter? Dann müssen Sie dankbar hinaufblicken zum
Mond und sich sagen: Dank den Wesenheiten, die
hinweggenommen haben seine Substanzen aus der Erdensub-
stanz. Die Mondensubstanzen in der Erde hätten die innere
Regsamkeit des Seelenlebens verhindert.
Wir müssen aber nicht nur in dem Menschen allein für die
Weltentwickelung die Gründe suchen, sondern in gewisser
Weise auch bei den geistigen Wesenheiten, die den höheren
Welten angehören. Es war nicht bloß gut für den Menschen,
dass die Sonne und der Mond sich von ihm abgespalten haben,
sondern es war auch gut für diejenigen Wesenheiten, die dazu-
mal mit dem Menschen in ihrer Entwickelung verbunden wa-
ren. Geistige Wesenheiten trennten sich mit der Sonne von der
Erde und machten die Sonne zu ihrem Wohnplatz. Wie der
Mensch sich nicht hätte entwickeln können, wenn die Sonne
mit der Erde verbunden geblieben wäre, so wenig hatten sich
diese Wesenheiten auf der Erde entwickeln können, wenn sich
nicht die Trennung vollzogen hätte. Sie konnten sich nur ent-
wickeln dadurch, dass sie in die Sonne hinein die Substanzen
zogen, die vorher mit der Erde vereinigt waren. Da konnten sie
abseits von den verhärtenden Substanzen der Erde ihre Entwi-
ckelungsbedingungen finden. So blicken wir hinauf zu den We-
senheiten, die sich in der Sonne entwickeln und sagen: Da oben
wohnen diejenigen Wesenheiten, die geradeso ihre Sonne zur
Entwickelung brauchten wie wir die Erde zu der unsrigen. Sie
hätten sozusagen zugrunde gehen müssen, wenn sie mit der Er-
de verbunden geblieben wären. So aber, nachdem alles so einge-
treten ist, wie gesagt, konnten diese geistigen Wesenheiten die
Möglichkeit finden, ihre wohltätigen Wirkungen hinunterzu-
schicken auf die Erde, das heißt sich selbst dazu entwickeln, den
Wesen der Erde von außen in der entsprechenden Weise zu
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helfen. Die Sonnengeister waren keine Helfer der Erde, wenn
sie auf dieser geblieben wären. Erst nach der Trennung der Son-
ne von der Erde haben nach und nach die dort befindlichen
Wesenheiten die Stufen erlangt, auf denen sie Helfer der Erde
werden konnten. Wenn der Geistesforscher in seiner Beobach-
tung hinausblickt in das Licht und auf die Dinge der Außen-
welt, so kann er sich auf bestimmter Stufe seiner Entwickelung
sagen: Hinter dem, was mir da als Farbe oder Ton physisch
entgegentritt, sind die Wesenheiten, die wir als Sonnenwesen-
heiten betrachten können. So aber wie uns die Sonnenwesen-
heiten heute in der geistigen Betrachtung entgegentreten, so
sind sie erst einmal geworden. Nach diesem Werden erscheinen
sie uns als die hohen, als die oberen Geistwesen, als diejenigen,
die uns entgegentreten, wenn wir hinausblicken aus der Sin-
neswelt.
Und jetzt fragen wir uns: Wer hat denn bewirkt, dass die andere
Entwickelungsmöglichkeit eintrat, jene, die die Anregung von
innen gab, die dem Menschen das Verhärten vertrieb? Da muss-
ten Wesenheiten da sein, welche im geeigneten Zeitpunkt aus
der Erdensubstanz die Mondensubstanz heraushoben. Wenn
wir uns also, ich möchte sagen populär, vielleicht sogar trivial
ausdrücken wollen, so können wir sagen: Es mussten geistige
Wesenheiten da sein, die sich in einem gewissen Zeitpunkt der
Erdenentwickelung folgendes sagten: Wir haben jetzt verfolgt
die Entwickelung der Erde, die Erde, erst vorhanden als ein We-
sen im Weltraum, das da bestand aus Sonne, Mond und Erde.
Drei waren da vereinigt in einem. - Dann haben sie gesehen,
dass es andere Wesenheiten gibt, welche nicht ihr Fortkommen
finden konnten, wenn sie mit der Erde verbunden blieben. Sie
haben gesehen, wie die Sonnengeister die Sonne abtrennen, wie
sie hinausgehen aus der Erde und auf einem anderen Schauplatz
ihr Fortkommen finden. Dann haben sie gesehen, dass der
Mensch nun verhärten, verholzen würde, und dass doch nicht
das würde aus dem Menschen, was werden sollte aus ihm. Da-
her haben sie sich gesagt: Wir dürfen es nicht bei dem, was die
Sonnengeister getan haben, bewenden lassen, wir müssen noch
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etwas anderes tun, wir müssen jetzt die Erde vor der Verhärtung
schützen. -Jetzt griffen sie ein und trennten den Mond aus der
Erde heraus. Das war eine Tat von Wesenheiten, die in einer
gewissen Beziehung höher waren als die Sonnengeister. Letztere
mussten sich, als die Sonne noch mit der Erde eins war, sagen:
Wir finden keine Entwickelungsmöglichkeit mehr auf der Erde,
wir brauchen einen anderen Schauplatz. - Diese anderen We-
senheiten aber konnten sich sagen: Wir werden unser Fort-
kommen auch auf der Erde finden. - Sie ließen die Sonnengeis-
ter mit der Sonne herausgehen und blieben selbst mit der Erde
verbunden. Dadurch aber, dass sie mit der Erde verbunden blie-
ben, bot sich ihnen die Möglichkeit, in einem gewissen Zeit-
punkt dadurch Retter der Menschheitsentwickelung zu werden,
dass sie den Mond aus der Erde herauszogen. In einer gewissen
Weise waren das also höhere Wesenheiten als die Sonnengeis-
ter. Sie konnten ruhig sagen: Lassen wir die Verhärtung der Er-
de über uns kommen, gehen wir nicht mit den Sonnengeistern,
bewahren wir uns aber dafür auf, eine Tat zu tun, welche die
Sonnengeister nicht tun können, nämlich den Mond herauszu-
ziehen aus der Erde. - Es gab also Wesenheiten, welche eine Tat
begehen konnten, die zwar eine verhältnismäßig schlechtere
Substanz aus der Erde herausgesondert hat, während sich die
Sonnengeister die edlere Substanz genommen haben, welche
aber dadurch, dass sie Zügler und Beherrscher eines Schlechte-
ren wurden, ihre stärkere Macht bewiesen. Denn nicht der ist
der Stärkere, der die Guten beherrscht und vielleicht ein wenig
besser macht, sondern der ist der Stärkere, dem es gelingt die
Bösen in Gute umzuwandeln.
So sehen wir also, dass nach der Sonnentrennung geistige We-
senheiten in die Erdenentwickelung eingreifen, denen eine ho-
he, eine bedeutsame Tat aufgespart war. Diese Wesenheiten
stehen ebenso hinter den Erscheinungen unseres Seelenlebens,
wie die Geister der Sonne hinter den Erscheinungen unserer
äußeren Beobachtung stehen. Blicken Sie durch Ihre Augen,
hören Sie durch Ihre Ohren, begreifen Sie durch Ihren Verstand
die äußeren Dinge, da können Sie sagen: Hinter all dem, was ich
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sehe, höre, begreife mit dem Verstand, liegen jene Wesenheiten,
die ihre eigentliche Wohnstätte auf der Sonne haben, die in der
Sonne leben, die sich damals abgesondert haben, als die Sonne
sich trennte von der Erde. - Blickt man aber zurück in das eige-
ne Innere, lässt man den Blick fallen auf dasjenige, was man
Denken, Fühlen und Wollen, Empfinden, Gewissen nennt, so
sieht man das Innenleben, das möglich geworden ist dadurch,
dass gewisse geistige Wesenheiten sich aufgespart hatten und
dann den Mond von der Erde herausgetrennt haben. Sie haben
in ihrem Reich alles das, was hinter den Erscheinungen des See-
lenlebens liegt. Und ebenso wahr wie es ist, dass, wenn der
Geistesforscher hinter das physische Feuer sieht und dessen
Geister wahrnimmt, er da in Wahrheit einen Geist sieht, der auf
der Sonne seinen eigentlichen Schauplatz hat, so sieht er, wenn
er hinter das Gewissen schaut, die Gewissensgeister, die zu de-
nen gehören, welche die Mondsubstanz herausgeholt haben aus
der Erde. Von dorther kommen die geistigen Wesenheiten, wel-
che sich wie in eine Haut hineinbegeben in die Gedankenfor-
men, die an eine schlechte Tat sich knüpfen. Mögen sie sonst
viel oder wenig wert sein, die Geister, die den Menschen als
Gewissenswesenheiten umschweben, sie kommen aus dem
Mondenreich und sie gehören einem Geistgebiet an, das in ge-
wisser Beziehung ein mächtigeres ist, ein übergeordneteres ge-
genüber dem Sonnenreich.
Aus der ganzen Art der Darstellung, die ich Ihnen heute gege-
ben habe, können Sie ermessen, dass tatsächlich diese Wesen-
heiten, die hinter unseren seelischen Erscheinungen stehen, ei-
nem Reiche angehören, das übergeordnet ist dem geistigen Rei-
che, welches hinter der äußeren Maja steht. Eine zweifache Ma-
ja haben wir: die äußere Maja der Sinnen weit und die innere
Maja des Seelenlebens. Hinter der ersteren stehen diejenigen
geistigen Wesenheiten, die ihren Mittelpunkt in der Sonne ha-
ben, hinter der Maja unseres Innenlebens stehen die anderen,
die einem mächtigeren, einem umfassenderen Reich angehören.
Derjenige, welcher geistig diese Dinge übersieht, der kann wis-
sen, dass die geistigen Wesenheiten, die hinter der äußeren Sin-
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neswelt stehen, von einer ganz anderen Seite herkommen als
die geistigen Wesenheiten, die hinter den Gefühlen und Emp-
findungen, hinter dem Gewissen sind. Diese Wesenheiten, die
dem Gewissen zum Beispiel entsprechen, sie nennt die griechi-
sche Mythologie die Erinnyen. Und sehen Sie sich einmal diese
Mythologie an, wie wahr sie ist, wenn sie sagt: der Orestes hört
von den Göttern, die da herrschen, dass er eine gute Tat began-
gen habe, aber andere Wesenheiten, eben die Erinnyen, kom-
men an ihn heran, und die Mythologie hat die Empfindung: das
sind ältere Wesenheiten als diejenigen, die dem Zeusreiche an-
gehören; die machen sich geltend als die rächenden selbst da,
wo die äußeren Götter des Sonnenreiches, des Zeusreiches, die
Tat erlauben und gestatten. So treten dem Menschen gegenüber
Wesenheiten eines älteren Geistergeschlechtes, die gleichsam
korrigierend eingreifen in das, was er, geleitet und gelenkt von
den Wesenheiten, die sich mit der Sonne abgetrennt haben, un-
ternimmt. Hier sehen wir ein wunderbares Beispiel, wie uns die
Mythologie und die Weisheitsanschauungen der alten Völker
wiedergeben dasjenige, was die geistige Beobachtung heute in
anderer Art erkennen kann.
Nehmen Sie das alles zusammen, was ich Ihnen heute gesagt
habe -wir werden es in den nächsten Vorträgen noch weiter
ausführen -, und Sie werden mancherlei Fragen finden, die sich
Ihnen selber wie Gewissensfragen an die besprochene Sache
knüpfen. Manches wird Ihnen heute unaufgeklärt sein dadurch,
dass wir in einer gewissen Weise die Wesen, die da eingegriffen
haben bei der Mondentrennung, als mächtiger betrachtet haben
als die Wesenheiten des Sonnenreiches; das wird sich aufklären,
denn Sie werden sehen, wie relativ die Dinge in den höheren
Welten sind. Eines aber bitte ich Sie halb wie eine Frage heute
hinzunehmen. Wir haben gesehen, dass die Erde verhärtet, ver-
holzt wäre, wenn nicht die Mondentrennung stattgefunden hät-
te; dass das Seelenleben dadurch seine innere Regsamkeit erhal-
ten hat, dass gewisse mächtige Wesenheiten den Mond heraus-
geworfen haben aus der Erde.
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Solche Dinge der Entwickelung geschehen nicht auf einmal,
solche Dinge geschehen nach und nach. Auch die wohltätigen
Wirkungen, die von der Sonne ausgehen, sie machten sich nicht
etwa auf einmal geltend, sie waren nicht plötzlich da in ihrer
Fülle, sondern nach und nach machten sie sich geltend. Und
nun bitte ich Sie zu berücksichtigen, dass in einem Zeitpunkt
der Erdenentwickelung eine geistige Wesenheit, die vorher mit
der Sonne in Verbindung war, die wir als das Christus-Wesen
bezeichnen, in der Zeit des Lebens des Jesus von Nazareth von
der Sonne auf die Erde herabgestiegen ist und sich mit der Erde
vereinigt hat. Die Christus-Wesenheit dringt ein in den Leib des
Jesus von Nazareth. Hier haben wir eine ganz eigenartige Er-
scheinung vor uns. Diese Erscheinung dürfen Sie nicht - und
der nächste Vortrag wird das klar machen - in denselben Zu-
sammenhang stellen, in den wir alles andere gestellt haben, von
dem wir heute gesprochen haben. Wir haben gesagt: nach der
Abtrennung der Sonne von der Erde hätte sich die Erde verhär-
tet, wenn nicht der Mond aus ihr herausgeworfen worden wäre;
die Menschenwesen hätten sich mumifiziert. - Das gilt für eine
weite Summe des Erdenlebens, aber es gilt nicht für das gesamte
Erdenleben. Trotz aller Sonnen- und Mondentrennung wäre in
der Erde etwas dem Tode Verfallendes geblieben, wenn nicht
das Christus-Ereignis eingetreten wäre. War die Abtrennung
des Mondes die Ermöglichung des inneren Seelenlebens, so kam
die Anregung - die neuerliche Anregung dieses inneren Seelen-
lebens - jetzt wiederum von der Sonne durch den von dieser
herabsteigenden Christus. Was der Christus auf die Erde ge-
bracht hat, das wäre, wenn der Christus nicht gekommen wäre,
seelisch totes Produkt, geistige Mumie geblieben.
Was stellt sich dem Geistesforscher dar, wenn er auf die Zeit
blickt, die dem Christus-Ereignis vorangegangen ist? Etwas
höchst Eigentümliches stellt sich ihm dar. Wenn das Geistesau-
ge zurückblickt in alte Zeiten, dann verschwindet die äußere
Erdengestalt, wie sie sich den physischen Sinnen darbietet, die
ja nur Maja ist, und es stellt sich an Stelle dessen etwas dar, was
man vergleichen konnte mit der Form des Menschen, aber nur
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mit dieser, mit der Gestalt des Menschen. Für den geistigen
Blick verwandelt sich die Erde - ich sage ausdrücklich die Erde -
aus der äußeren Majagestalt in die Erdengestalt des Menschen,
der in Kreuzesform die Arme ausgebreitet hat, der allerdings in
dieser Gestalt dann männlich-weiblich ist. Der Geistesforscher
sieht die Erde der Zeit, bevor Christus herabgestiegen war, in
Kreuzesform, und zwar wie einen Menschen. Wir werden da an
das wunderbare Wort des Plato erinnert, der es aus den Myste-
rien heraus gebildet hat, dass die Weltenseele am Kreuze des
Weltenleibes gekreuzigt ist. Das ist nichts anderes als die Wie-
dergabe der Erscheinung, die sich dem geistigen Blick darbietet.
Der Christus am Kreuz starb; und dadurch ging die Erde von der
bloßen Form ins Leben über. Für die Zeit vor Christus stellt sich
dem geistigen Blick die Erde als bloße Form dar; für die nach-
christliche Zeit stellt sich die Erde dar als von dem Christus-
Prinzip neu belebt. Damals also, als das Christus-Prinzip in die
Erde eingetreten ist, ist etwas ähnliches geschehen wie bei der
Mondentrennung; es ist in etwas, was sonst Form geblieben wä-
re, Leben hineingetreten. Auf das Christus-Ereignis wiesen -
richtig betrachtet - alle alten Zeiten hin. Wie der heutige
Mensch zurückweist auf den Christus als auf ein Wesen, das in
einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten ist in die Mensch-
heitsentwickelung, so wiesen die Eingeweihten der vorchristli-
chen Zeit immer darauf hin, dass der Christus kommen werde;
und sie zeigten das, was auf den Christus hinwies, was gleich-
sam den Christus vorherverkündete. Nichts hat den Christus
mehr vorherverkündet als jene gewaltige Erscheinung, die sich
dem geistigen Blick unter gewissen Bedingungen darbot, für den
die Erde in ihrer physischen Form verschwand und das Geistes-
auge hinblickte auf die Weltenseele gekreuzigt am Weltenleibe.
In grauer indischer Vorzeit haben die Weisen erzählt, dass in
dem Augenblicke, wenn ihnen der hellseherische Blick aufging,
sie dann fanden tief, tief unter den Bergen der Erde, nahe dem
Mittelpunkte der Erde, ein Kreuz, darauf einen männlich-
weiblichen Menschen hängend, eingezeichnet auf der rechten
Seite das Symbolum der Sonne, auf der linken Seite das Symbo-
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lum des Mondes, auf dem übrigen Leib die Länder und einzel-
nen Meeres- und Landesgestaltungen der Erde. Das war eine
hellseherische Vision, welche die alten Weisen Indiens gehabt
haben von jener Gestalt, die da wartete auf unsere Erde, um be-
lebt zu werden von dem Christus-Prinzip. Und diese alten Wei-
sen Indiens haben damit, dass sie hingewiesen haben auf die
wichtigste prophetische Voranzeige des Christus-Ereignisses,
bewiesen, dass, wo sie tiefer schauten, sie sagen konnten: Der
Christus wird kommen, denn das, was auf ihn hinweist, ist da. -
Deshalb ist die älteste Weisheit da, wo sie in die höchsten Regi-
onen hinaufsteigt, Prophetie; sie blickt auf etwas, was da kom-
men wird in der Zukunft. Alles das, was in der Zukunft ist, ist
Wirkung der Gegenwart. Was aber als geistig Bedeutsames ge-
schieht in der Zukunft, kann so sein Dasein bereits für den geis-
tigen Blick in der Gegenwart andeuten. Das Christus-Ereignis
wurde nicht etwa in äußerlich abstrakter Weise, es wurde für
den geistigen Blick angedeutet dadurch, dass für das Leben des
Christus, das sich in einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Le-
ben der Erde verband, sich vorher die Form, die Gestalt der
Weltenseele am Kreuze des Weltenleibes darbot. Die Weisheit
aller Zeiten zeigt sich in innerer Harmonie, wenn man die Din-
ge bis zum Grund betrachtet. So werden wir, von dem Bespro-
chenen ausgehend, die Weisheiten der verschiedenen Zeiten
betrachten müssen und streben, das Licht auf sie fallen zu las-
sen, durch das sie in ihrer wahren Gestalt erscheinen können.
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VIERTER VORTRAG
MÜNCHEN, 26. AUGUST 1909
Es ist in den beiden vorhergehenden Vorträgen dieses Zyklus
betont worden, dass die übersinnliche Anschauung hinter den
Einzelheiten des Sinnenteppichs, der vor uns ausgebreitet ist,
die geistigen Wesenheiten zu schauen vermag, dass sich also
von einer bestimmten Stufe der geistigen Entwickelung an oder
sagen wir der Initiation, der Einweihung an dasjenige, was man
im gewöhnlichen Leben nennt feurige, luftförmige, flüssige
Körper und so weiter, verwandelt in Lebendiges, Regsames, in
Geistiges. Und gestern haben wir noch im besonderen erwähnt,
dass auch hinter den Erscheinungen und Tatsachen unseres ei-
genen Seelenlebens, insofern sich dieses in der physischen Welt
abspielt, geistige Wesenheiten verborgen sind. Sie können sich
nun die Frage vorlegen: Ist denn die Sache so, dass das übersinn-
liche Bewusstsein da, wo die gewöhnliche Sinnesanschauung,
sagen wir Warme, Farbe und dergleichen wahrnimmt, geistige
Wesenheiten sieht, so dass wir dann die Welt in zwei Formen
vor uns hätten, einmal als äußere Sinneswelt und ein anderes
Mal als geistige Welt? Und wiederum in Bezug auf das Innere:
Ist die Sache so, dass wir in unserem Seelenleben Empfindun-
gen, Gefühle, Gewissenstatsachen, Gedankentatsachen haben
und dahinter stehend geistige Wesenheiten? Oder ist es anders?
Das heißt: Deckt sich vielleicht nicht vollständig die geistige
Welt in ihrem äußeren Ausdruck mit der Sinneswelt? - Wir
könnten die Frage auch so stellen: Finden wir alle möglichen
geistigen Wesenheiten, wenn wir ausgehen von dem, was der
äußere Ausdruck in der physischen Welt ist, oder gibt es noch
andere geistige Wesenheiten, die gar keinen Ausdruck haben in
der physischen Welt? Diese Frage könnten wir aufwerfen, und
sie beantwortet sich nun in der folgenden Weise für das über-
sinnliche Bewusstsein: Zwar ist das so, dass für jede äußere
Wahrnehmung hinter ihr eine geistige Wesenheit oder auch
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geistige Tatsache steht, dass aber für das übersinnliche Bewusst-
sein bei seinem Aufsteigen in die höheren Welten es auch geis-
tige Wesenheiten und Tatsachen gibt, die keinen Ausdruck in
der physischen Welt haben. Also, es gibt noch andere Erfahrun-
gen für den Eingeweihten, als nur solche, die ihre Projektion,
ihr Schattenbild herunterwerfen in die physische Welt. Und
ebenso gibt es geistige Wesenheiten und Tatsachen, die nicht in
unser Seelenleben hinein ihren Schatten werfen, die also keinen
Ausdruck in Gewissenstatsachen, in Gedankentatsachen, in Ge-
fühlen und Empfindungen und so weiter finden. Wollen wir
das, was da gesagt worden ist, zusammenfassend ausdrücken, so
können wir sagen: Die geistige Welt stellt sich für das höhere
Bewusstsein als eine weit reichere Welt dar, als ihr äußerer
Ausdruck in der physischen Welt ist. - Das ist ja wahrscheinlich
für die meisten von Ihnen keine sonderlich verwunderliche Tat-
sache, aber sie muss doch einmal klar vor die Seele gerückt wer-
den. Es muss klar sein, dass es nicht nur verhüllte geistige Er-
scheinungen und Wesenheiten gibt, wie etwa das Feuer die da-
hinterstehenden Elementengeister des Feuers verhüllt, sondern
dass es auch verborgene geistige Wesenheiten und Tatsachen
gibt. Und zwischen denen müssen wir unterscheiden, wenn wir
jetzt fortfahren wollen in unserer Betrachtung und einiges noch
genauer vor unsere Seele rücken wollen, was schon gestern be-
rührt worden ist.
Wir haben gestern darauf hingewiesen, dass es allerdings geisti-
ge Wesenheiten gibt, die dem entsprechen, was man Gewissen
nennt. So gibt es für alle inneren Tatsachen geistige Wesenhei-
ten. Und am Schluss des gestrigen Vortrages konnte ich noch
bemerken, wie die griechische Mythe eine klare Einsicht darin
hatte, dass diejenigen geistigen Wesenheiten, die sich so offen-
baren, gleichsam als die Beleber und Erreger unseres inneren
Seelenlebens bildlich in den Erinnyen dargestellt werden, und
dass diese einem älteren Götter- oder Geistergeschlechte ange-
hören als diejenigen, die hinter den äußeren Sinneserscheinun-
gen uns entgegentreten. Daher sagten diejenigen, die von den
Erinnyen sprachen, dass sie einem älteren Göttergeschlecht an-
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gehören als die Volksgötter der Griechen, welche die Rache des
Orest für richtig befunden haben. Aus einer höheren Einsicht
gleichsam wurden die Erinnyen abgeschickt, um das zu korri-
gieren, was die Volksgötter, die nichts anderes waren als mythi-
sche Ausdrücke für Wesenheiten hinter der Sinneswelt, für
richtig befanden. Damit haben wir auf eine sehr wichtige Tatsa-
che der gesamten Menschheits- und Weltevolution hingewie-
sen, und diese Tatsache muss uns heute etwas intimer beschäfti-
gen.
Werfen Sie noch einmal einen Blick zurück auf all das, was der
Entwickelung unserer Erde vorangegangen ist. Sie wissen, unse-
re Erde war, bevor sie Erde geworden ist, alter Saturn, alte Son-
ne und alter Mond. Diejenigen von Ihnen, welche früher Aus-
einandersetzungen über diesen Gegenstand verfolgt haben,
werden sich sagen: Bei alledem, was im Verlauf unserer Erden-
entwickelung in den vier Reichen, im Menschenreich, im Tier-
reich, im Pflanzen- und Mineralreich geschieht, ist geradezu ein
Heer von geistigen Wesenheiten im Spiel, und diese stehen auf
den verschiedensten Stufen ihrer Entwickelung. Diejenigen
Wesenheiten, welche von der Sonne ihre wohltätigen Wirkun-
gen heruntersenden, stehen auf einer gewissen Stufe der Entwi-
ckelung, und hinter der Erdenentwickelung stehen andere We-
senheiten, die den Mond zur rechten Zeit herausgetrennt ha-
ben. Alle diese Wesenheiten greifen irgendwo ein ins Gefüge
der Erdenentwickelung, ins Gefüge der Reiche, die zur Erden-
entwickelung gehören, so dass das, was hinter den Erscheinun-
gen, die uns umgeben, steht, ein reich gegliedertes Geistiges ist.
Nun können Sie sich leicht denken, dass es ja ebenso reich ge-
gliederte geistige Reiche gegeben hat während der alten Saturn-,
während der Sonnen-, während der Mondenentwickelung. Alle
diese Reiche darf man nicht etwa in der Weise verstehen wol-
len, dass man Namen erfindet, die nun für die eine oder die an-
dere Wesenheit immer gelten sollen. Die Namen, die man ge-
brauchen kann, sind zumeist nicht Namen, die Individualitäten
bezeichnen, sondern Namen, die gleichsam Würden oder Ämter
bezeichnen. Wenn man also einen Namen nennt für eine We-
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senheit, die während der Sonnenzeit gewirkt hat, so kann man
denselben Namen nicht mehr gebrauchen, wenn man diese We-
senheit bezeichnen will in Bezug auf ihr Erdenwirken, denn da
ist sie weiter fortgeschritten. Sie sehen, dass man sehr genau
sprechen muss, wenn man die Wirklichkeit in den geistigen
Gebieten treffen will.
So gingen unserer Erdenentwickelung nicht nur voran drei
Verkörperungen dieser unserer Erdenkugel, sondern drei geisti-
ge Welten, drei mächtige Weltenreiche. Und diese drei mächti-
gen Weltenreiche unterscheiden sich sehr wesentlich vonei-
nander, wenn man sie mit übersinnlichem Bewusstsein unter-
sucht. Wenn man die alte Saturn-, die alte Sonnen- und die alte
Mondenentwickelung untersucht, so stellt sich etwas dar, was
sich eigentlich gar nicht vergleichen lässt mit alledem, was wir
imstande sind auf unserer Erde mit Namen zu belegen. Wir
können da nur vergleichsweise sprechen.
Sie erinnern sich, wie von mir gesagt worden ist, dass die alte
Saturnentwickelung im wesentlichen Wärmeentwickelung,
Feuerentwickelung war; dass auf der Sonne sich die Wärme zur
Luft verdichtet hat, auf dem alten Monde die Luft zum Wasser
und auf der Erde erst die «Erde» zum Vorschein kommt. Wenn
Sie aber das, was Sie heute mit dem Begriffe Feuer oder Wärme
verbinden, unmittelbar anwenden wollten auf die Wärme- oder
Feuerentwickelung des alten Saturn, so gäbe das nicht eine ganz
richtige Vorstellung, denn jenes Saturnfeuer unterscheidet sich
wesentlich von unserem Erdenfeuer. Sie können dieses Saturn-
feuer gar nicht vergleichen mit dem Feuer, das Sie erhalten,
wenn Sie Holz anzünden, oder mit jenem Feuer, das Sie gebrau-
chen, wenn Sie Metall schmelzen und dergleichen, sondern es
gibt nur ein einziges, womit sich einigermaßen das alte Saturn-
feuer heute vergleichen lässt, und das ist jenes Feuer, das als
Wärme Ihr eigenes Blut durchströmt. In diesem, man könnte
sagen lebendigen Feuer, in dieser Wärme, das zu gleicher Zeit
das Belebende in Ihnen ist, haben Sie etwas, was Sie vergleichen
können mit der Substanz, aus der der alte Saturn einzig und al-
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73
lein bestanden hat, während das, was heute physisches Feuer ist,
schon ein Abkömmling, ein spätes Produkt ist des alten
Saturnfeuers, und diese Form, wie Sie sie draußen in dem Räu-
me sehen mit physischen Augen, eigentlich erst auf der Erde
entstanden ist. Nur noch unsere Blutwärme erinnert uns phy-
sisch an das, was während der physischen Entwickelungszeit auf
dem alten Saturn vorhanden war. So also sehen Sie, dass es nur
weniges gibt, das sich innerhalb unserer heutigen Erfahrung
vergleichen lässt mit den Eigenschaften, die in diesen früheren
Entwickelungszuständen vorhanden gewesen sind, so dass wir
drei sehr von unserem heutigen Erdenzustand verschiedene
Vorfahrenzustände vorfinden: den alten Saturnzustand, den al-
ten Sonnenzustand, den alten Mondenzustand.
Nun müssen Sie sich aber klar darüber sein, dass im Grunde ge-
nommen in unserer Erdenentwickelung alles das wiederum in
einer gewissen Weise enthalten ist, was während des alten Sa-
turn-, des Sonnen- und des Mondenzustandes vorhanden war;
es hat sich nur verändert. Es steckt gewissermaßen dasjenige,
was im alten Saturn zuerst als Keim veranlagt war und sich
durch Sonne und Mond weiter entwickelt hat, in unserer Er-
denentwickelung drinnen, und wir sehen alles das, was durch
diese drei aufeinanderfolgenden Zustände sich entwickelt hat,
zwar verändert innerhalb unserer Erdenentwickelung, aber wir
können aus den veränderten Zuständen immer angeben, was
von den früheren Entwickelungszuständen zugrunde liegt. Es ist
gleichsam der alte Saturn, die alte Sonne, der alte Mond in unse-
re Erde hineingeheimnisst.
Nun wollen wir uns ein wenig genauer damit beschäftigen, wie
diese Dinge in unsere Erdenentwickelung hineingeheimnisst
sind. Wenn Sie sich das vor die Seele rücken, was in den vor-
hergehenden Vorträgen gesagt worden ist, so können Sie sich
sagen, dass die Erde mit Sonne und Mond zusammen einmal ein
Körper war. Damals war in dieser Erde darinnen alles an geisti-
gen Wesenheiten, an physischen Substanzen, was vorhanden
war während der alten Saturn-, der alten Sonnen- und der alten
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Mondenzeit, aber auch alles, was von geistigen Wesenheiten
tätig war während dieser Zeiten. Das wohnte im Beginne der
Erdenzeit in der Erde zusammen. So dass wir diesen Beginn der
Erdenzeit so kennzeichnen können: die Erde beginnt damit,
dass sie in sich aufgenommen hat drei vorhergehende Entwicke-
lungszustände mit all den Entwickelungsstufen der geistigen
Wesenheiten, die vorangegangen sind. Das alles lebte in unserer
Erde darinnen. Wenn Sie sich aber vorstellen, dass diese We-
senheiten verschiedene Entwickelungsstufen haben, so müssen
Sie sich sagen: Es muss also jemand, der diese Erde betrachtet,
unterscheiden können zwischen diesen drei verschiedenen geis-
tigen Wesenheiten und Substanzen; er muss sich für den Beginn
der Erdenentwickelung sagen können: Hier ist etwas, das konn-
te nur entstehen dadurch, dass einmal die Saturnentwickelung
unserer Erdenentwickelung voranging, hier ist etwas, das konn-
te nur entstehen dadurch, dass einmal die Sonnenentwickelung
voranging, und hier etwas, das konnte nur entstehen dadurch,
dass einmal die Mondenentwickelung unserer Erdenentwicke-
lung voranging. - So dass also unserer Erdenentwickelung drei
Zustände vorangingen, die sich im Beginne der Erdenentwicke-
lung in diesem Erdenkörper wiederfinden.
Die Tatsache, die ich Ihnen eben jetzt vor das geistige Auge ge-
rückt habe, die stand den Menschen, die in einem alten instink-
tiven Bewusstsein einen Zusammenhang hatten mit den Ge-
heimnissen der geistigen Welt, immer vor Augen. Und wenn
die Dreizahl als eine charakteristische Zahl für höhere Welten
besonders genannt wird, so stand denjenigen, die das Konkrete,
nicht das Abstrakte, die die Sache, nicht die Begriffe im Auge
haben, immer vor der Seele die Tatsache, dass unsere Erde in
sich enthielt wie in ihrem Schoß, was vom alten Saturn, von der
alten Sonne, von dem alten Monde herkam. Das ist die soge-
nannte höhere, die vorirdische Dreiheit. Zurückgeblickt haben
auf uralte Zeiten, wo alles Irdische noch geistig war, die alten
Eingeweihten, und haben gesagt: Demjenigen, was erst auf der
Erde fest geworden ist, gingen andere elementare Zustände vo-
ran. Als die Erde sich noch nicht als vierter hinzugesellt hatte
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den drei vorhergehenden Zuständen, da gingen voran diese drei
Zustände: das Vorirdische, dem alles Irdische sein Dasein ver-
dankt. Eine Dreiheit, die wir in den uns geläufigen Ausdrücken
mit Saturn, Sonne und Mond bezeichnen, geht unserer Erde vo-
ran. Und wie ist es jetzt mit unserer Erdenentwickelung? Diese
Dreiheit hat sich weiter entwickelt, eben zu unserer Erde selber.
Spricht man also von der sogenannten höheren Dreiheit, so
meint man im Konkreten die drei vorirdischen Zustände;
spricht man von der Vierheit, so meint man diese drei Zustände,
wie sie sich allmählich verändert haben so, dass sie die Erde
selbst noch aufnehmen konnten. Deshalb empfanden alle die
Menschen, die mit den Tatsachen der geistigen Welt durch ein
instinktives Bewusstsein in Verbindung standen, das Geheimnis
des Erdenwerdens in dem Verhältnis von der Drei zur Vier; sie
sagten sich: Unsere Erde ist die vierte Verkörperung unserer
Weltenentwickelung; sie hat, indem sie die vierte Verkörperung
ist, aufgenommen die drei früheren Verkörperungen, die sich
hinentwickelt haben bis zu ihrem Erdenzustand, aber drei da-
von mussten zu immer höheren Stufen schon in der vorirdi-
schen Zeit sich entwickeln. - So blickte man von dem, was die
Vier geworden ist, zur Drei hinauf mit heiliger Scheu und sagte:
Die Drei - Saturn, Sonne und Mond - liegen zugrunde der Vier,
die unsere Erdenentwickelung ausdrückt. Es ist selbstverständ-
lich, dass die Ausdrücke Saturn, Sonne und Mond meine heuti-
gen sind für andere des instinktiven Bewusstseins.
Wenn wir nun diese unsere Erdenentwickelung selbst verfol-
gen, dann können wir uns fragen: Wie beteiligen sich denn die
einzelnen geistigen Wesenheiten an deren weiterem Fortgang?
Dieser Fortgang besteht darin, dass sich die Sonne von der Erde
loslöste, und dann der Mond. Bei diesen Vorgängen sind geistige
Wesenheiten beteiligt; die leiten diese Vorgänge. Geistige We-
senheiten ziehen die Sonne von der Erde heraus, und ebensol-
che ziehen den Mond aus der Erde heraus. Wie beteiligen sich
denn die einzelnen geistigen Wesenheiten des alten Saturn, die
der alten Sonne, die des alten Mondenreiches an den verschie-
denen Vorgängen? Sie stehen ja auf verschiedenen Entwicke-
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lungsstufen; sie werden sich also in verschiedener Weise daran
beteiligen. Da haben wir zunächst eine Gruppe von geistigen
Wesenheiten - das sind diejenigen, die vorzugsweise während
der alten Sonnenentwickelung eine gewisse Entwickelung
durchgemacht haben, eine Entwickelung, die für sie so wichtig
war wie für den Menschen die Erdenentwickelung ist -, We-
senheiten also, welche eine solche Entwickelung durchgemacht
haben, dass geradezu die alte Sonne ausersehen war, ihnen den
Schauplatz zu bieten für sie, die gleichsam angepasst sind der
alten Sonne, die zusammengehören mit ihr. Das sind diejenigen
Wesenheiten, die auch während der Erdenentwickelung die
Sonne aus der Erde herausgeholt haben, weil sie schon während
der alten Sonne so weit waren, dass sie damals so mit dieser ver-
bunden waren wie die Menschheit jetzt mit der Erde verbunden
ist. Sie sind so weit, dass sie die Sonne brauchen zu ihrem weite-
ren Fortkommen. Mit der Abtrennung der Sonne gingen auch
die Sonnengeister von der Erde heraus, um von außen auf unse-
re Erde hereinzuwirken. Nun blieben bei der Erde noch, da die
Sonnengeister weggegangen waren, die Saturngeister und die
Mondengeister. Von diesen zwei Gruppen von geistigen We-
senheiten sind es nun die Saturngeister, welche so weit waren in
ihrer Entwickelung, dass sie leiten und lenken konnten das
Hinaustreten des Mondes aus unserer Erde. Diese Geister waren
dadurch reif für diese Tat, dass sie in einer gewissen Beziehung
vorangegangen waren in ihrer Reife den Sonnengeistern, dass
sie schon während der Saturnzeit durchgemacht haben das, was
die Sonnengeister während der Sonnenzeit durchgemacht ha-
ben. Daher waren sie fähig, den Mond herauszutreiben aus der
Erde und die innere Entwickelung des Menschen anzuregen,
den Menschen, der sonst verhärtet, mumifiziert wäre, von in-
nen heraus zu beleben. So kann man sagen: Es haben die Tat der
Sonnentrennung die Sonnengeister, die Tat der Mondentren-
nung die Saturngeister bewirkt. -Die Sonne ist kosmisches Sym-
bolum für die Tat der Sonnengeister, der Mond ist kosmisches
Symbolum für die Tat der Saturngeister. Was bleibt der Erde
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selber? Was eigentlich alte Mondengeister waren, die bleiben
der Erde selber.
Für die nächsten Tage wird es nützlich sein, einen ganz be-
stimmten Moment der Erdenentwickelung ins Auge zu fassen.
Ich meine den, wo eben gerade der Mond aus der Erde heraus-
gegangen war. Da war die Erde zurückgeblieben. Die Sonne war
schon früher fortgegangen. Die Erde ist jetzt in einem ganz be-
stimmten Zustand, sie ist dazumal noch nicht so wie heute. Wä-
re die Erde bei der Mondentrennung schon so gewesen wie sie
heute ist, dann wäre der ganze Geschichtsverlauf nicht notwen-
dig gewesen. Die Erde war also nicht so; sie war im Verhältnis
zu ihrem heutigen Zustand, wo sie bedeckt ist mit einem heuti-
gen mineralischen, mit einem heutigen pflanzlichen, mit einem
tierischen und physisch-menschlichen Reiche, in einem unvoll-
kommenen Zustand. Alles das war noch nicht klar hervorgetre-
ten. Es waren noch nicht die einzelnen Kontinente voneinander
geschieden. Alles war in einem, man könnte sagen, Wirrwarr.
Das spätere musste sich erst entwickeln. Sie würden vergebens
suchen, wenn Sie mit übersinnlichem Schauen den Entwicke-
lungsverlauf überblickten, beim damaligen Erdenzustand etwa
eine Pflanzendecke und Mineralien wie die heutigen; vergebens
würden Sie suchen solche tierische und menschliche Gestalten,
wie die heutigen sind. Wodurch hat sich denn das alles erst ge-
bildet? Dadurch, dass von außen Sonne und Mond gewirkt ha-
ben. Die waren ja dazu hinausgegangen, dass sie von auswärts
auf die Erde wirken konnten. Hervorgezaubert hat unsere Erde
dasjenige, was durch Hereinwirken von Sonne und Mond hat
entstehen können: alles das, was wir heute um uns herum auf
der Erde sehen. So müssen wir also eine unvollkommene, chao-
tische Erde uns vor die Seele rücken, wenn wir sprechen von
dem Zeitpunkte, wo der Mond hinausgegangen war, und müs-
sen sagen: Nach und nach bedeckte sich die Erde mit denjenigen
Gebilden, die wir heute um uns wahrnehmen, mit der Pflan-
zendecke, mit den verschiedenen Tiergruppen, den Menschen-
rassen im heutigen physischen Sinne. -Das alles sprießt und
sprosst durch die Einwirkung der Wesenheiten, die von der
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Sonne und dem Monde her wirken. Von denjenigen Wesenhei-
ten, die von der Sonne her wirken, sind namentlich die äußeren
Gestaltungen hervorgerufen, die Gestaltungen der Mineralien,
der Pflanzen, der Tiere und der physischen Menschen; von den
Wesenheiten, die vom Monde her wirken, wird insbesondere
das seelische Leben angeregt in den Tieren und Menschen. So
also schaffen von außen her diese Wesenheiten an unserer Er-
denentwickelung. Das, was ich Ihnen jetzt dargestellt habe, ist
ungefähr in ganz wenigen Worten das Bild, welches die Erden-
entwickelung charakterisiert von der sogenannten lemurischen
Zeit an bis in die atlantische hinein. Erst während der atlanti-
schen Zeit stellt sich ganz langsam und allmählich das Bild der
Erde so, wie wir es jetzt erblicken in unserer Umgebung. So
müssen wir unterscheiden sozusagen im Laufe der Erdenentwi-
ckelung seit der Mondentrennung zwischen einer chaotischen
und einer geordneten Erde, einer Erde, welche die Wirkungen
der geistigen Wesenheiten ihrer Umgebung bereits erfahren
hat.
Das alles, was ich gesagt habe, ist das Ergebnis, das man nicht zu
holen braucht aus dieser oder jener historisch überlieferten Leh-
re. Nehmen Sie an, durch irgendein Ereignis wäre alles das ver-
lorengegangen, was die Eingeweihten des, sagen wir alten, ehr-
würdigen Indiens geschaffen haben; es wären verlorengegangen
die Erkenntnisse der persischen Magier, die Erkenntnisse der
Chaldäer, der ägyptischen Eingeweihten, die Erkenntnisse der
Mysterien Griechenlands, nehmen Sie an, alles bis auf unsere
Tage wäre an äußeren Dokumenten verlorengegangen, wir hät-
ten kein Schriftstück, das uns mitteilte, was jemals gelehrt wor-
den ist über die geistigen Grundlagen unserer Erdenentwicke-
lung! Nicht verlorengegangen wäre uns die Möglichkeit, heute
selber das übersinnliche Bewusstsein zu entwickeln. So kann
alles, was jetzt erzählt worden ist, gefunden werden ohne ir-
gendein historisches Dokument durch übersinnliche Forschung.
Wir haben also damit etwas vor uns, was im heutigen Entwicke-
lungsmoment geradeso aus dem Ursprünglichen heraus gelernt
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werden kann, wie etwa die Mathematik aus dem Ursprüngli-
chen heraus gelernt werden kann.
Jetzt versuchen wir einmal, nachdem wir sozusagen ein kleines
Kapitel der umfassenden Geisteswissenschaft vor uns hingestellt
haben, irgendwo anzuknüpfen, um zu sehen, wie das, was wir
heute konstatieren können durch die übersinnliche Forschung,
gelebt hat in vergangenen Zeiten. Gewiss, es könnte auch eine
andere Methode eingeschlagen werden, aber für diesen Zyklus
ist einmal als Methode in Aussicht genommen, dass wir dasjeni-
ge, was wir ohne historische Urkunden finden können, verglei-
chen mit dem, was uns durch diese oder jene Urkunde überlie-
fert ist. Da wollen wir nicht einmal besonders weit zurückge-
hen, wir wollen zurückgehen zu einer historischen Persönlich-
keit, welche gelebt hat in verhältnismäßig alten Zeiten der grie-
chischen Geistesentwickelung, zu jener Persönlichkeit, von der
äußerlich-geschichtlich sehr wenig, nicht einmal die Jahreszahl
ihres Lebens so recht bekanntgeworden ist. Wir wollen zurück-
gehen zu jener Persönlichkeit, die den anderen griechischen
Weisen in gewisser Beziehung vorangegangen ist, zu
Pherekydes von Syros. Der hat gelebt in der Zeit der griechi-
schen Geistesentwickelung, die man die Zeit der sieben Weisen
nennt, die also vorangeht all dem, was sonst aus der griechi-
schen Philosophie geschichtlich mitgeteilt wird. Es wird nur
weniges äußerlich in der Geschichte von diesem Pherekydes
von Syros erzählt. Es ist aber genügend interessant, einmal an
das heranzutreten, was von ihm erzählt wird. Er wird unter an-
derem auch genannt als Lehrer des Pythagoras. Auf ihn sind zu-
rückzuführen viele der Lehren, die Sie bei Heraklit, bei Plato,
bei späteren Weisen finden. Er gehörte der älteren Zeit der grie-
chischen Entwickelung an, von der man sagt, dass sie sieben
Weise hatte, wie man sagt, dass die alten Inder sieben Rishis
hatten. Zur Zeit dieser sieben Weisen Griechenlands hat
Pherekydes von Syros gelebt. Von ihm wird nun erzählt, dass er
gelehrt habe, dass unserer ganzen Entwickelung drei Prinzipien
zugrunde liegen, und diese drei Prinzipien nennt er den Zeus,
den Chronos und die Chthon. Was sind das für drei Bezeich-
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nungen? Wenn man genauer prüft, was mit diesen drei Be-
zeichnungen gemeint ist, so ist es das folgende: Erstens werden
Sie ohne weiteres wissen, dass ja Chronos nur eine andere Be-
zeichnung für den alten Saturn ist; das ist ein und dasselbe. So
haben wir in dem einen Prinzip bei Pherekydes von Syros in
dem Chronos diejenige Summe von göttlich-geistigen Wesen-
heiten, die wir zum Reiche des Saturn rechnen. Alles dasjenige,
was wir zum Reiche des alten Saturn rechnen, alles, was dann
wieder in der Erdenentwickelung gewirkt hat als Wesen, die
imstande waren den Mond herauszutrennen, die haben wir in
Chronos-Saturn. Und weiter, Zeus! Zeus ist ein Wort, ein Name,
der schwankend ist, wenn er gebraucht wird in älteren Zeiten.
Man gebraucht ihn für geistige Individualitäten auf den ver-
schiedensten Stufen der Entwickelung. Diejenigen aber, die im
älteren Griechenland etwas gewusst haben von Einweihung, die
haben in Zeus gesehen den ihnen erkennbaren Anführer der
Sonnengeister. Zeus ist dasjenige, was lebt in den Wirkungen,
die von der Sonne auf die Erde ausgeübt werden. So haben wir
das zweite Reich, das Reich der Sonnengeister als das Zeusreich
von Pherekydes von Syros bezeichnet. Chthon, was ist das? Das
ist nun nichts anderes als eine Bezeichnung für jenen Zustand
unserer Erde, in dem diese war in dem Augenblicke, als sich der
Mond losgetrennt hatte, nämlich in einer Art chaotischem Zu-
stande, wo noch nicht die Pflanzen, noch nicht die Tier- und
Menschenrassengestalten die Erde bedeckten. Und nun finden
Sie ein merkwürdiges Wort bei Pherekydes von Syros; er sagte:
Es liegen also diese drei Prinzipien, Zeus, Chronos und Chthon
unserer Erdenentwickelung zugrunde. Das, was die Erde ge-
worden ist, ist sie erst geworden durch das Zusammenwirken
dieser drei Prinzipien, jener heiligen ursprünglichen Dreiheit,
die herübergekommen ist von vorirdischen Zuständen. -Die
kennt also auch dieser alte griechische Weise und das bezeich-
net er mit den ihm geläufigen drei Namen. Nun erzählt er, wie
das weitergegangen ist. Es war aber in alten Zeiten nicht üblich,
dass man solche Dinge mit solch trockenen, brutalen Begriffen
bezeichnete wie heute, sondern da gebrauchte man farbige Vor-
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stellungen für das, was man im Geiste erschaut und erkennt.
Und da sagte Pherekydes von Syros: Chthon wurde zur Gäa, zur
Erde, zu dem, was man heute Erde nennt, dadurch, dass ihr
Zeus das Ehrengeschenk überreicht hatte und sie dadurch mit
dem Gewände überzogen wurde. - Ein wunderschönes Wort für
diejenige Entwickelung, die ich Ihnen eben in wenigen Worten
zusammengefasst habe. Die Erde stand allein; draußen waren
Sonne und Mond, die geistigen Reiche des Zeus und des
Chronos. Da fing die ja zuerst hinausgegangene Sonne an, auf
die Erde zu wirken. Es war wie eine Befruchtung der Erde in
ihrem chaotischen Zustande; also, um mit dem alten griechi-
schen Weisen zu sprechen: es war wie eine Befruchtung der
Chthon durch den Zeus. Heruntergesendet wurden im Physi-
schen die Sonnenwärme und das Sonnenlicht, heruntergesendet
wurden in der Sonnenwärme und in dem Sonnenlicht die wohl-
tätigen Wirkungen des Zeusreichs, das alles befruchtete. Da
wurde der Erde gegeben das Ehrengeschenk. Die Erde bedeckte
sich mit dem Gewände, und das Gewand ist nun nichts anderes
als der Teppich von Pflanzen- und Tiergestalten und Gestalten
der physischen Menschen, mit denen sich jetzt die Erde um-
spannte. Die Chthon wurde zur Gaa dadurch, dass ihr Zeus das
Ehrengeschenk bescherte und sie sich dadurch mit dem Gewän-
de überzog.
So sehen wir in merkwürdigen bildlichen Ausdrücken, in einer
schönen Sprache wiederum dasjenige, was heute das übersinnli-
che Bewusstsein finden kann, in der Zeit, als die sieben Weisen
Griechenlands lebten, als Pherekydes von Syros wirkte, von
dem kaum viel mehr als das Äußerliche erhalten ist, das ich Ih-
nen jetzt erzählt habe. Derjenige aber, der diese Dinge, die bei
diesem Weisen vorkommen, mit jenem Lichte beleuchtet, das
uns heute die übersinnliche Forschung geben kann, der wird
sich sagen: Man könnte so etwas nicht so treffend ausdrücken,
dass es durch die heutige übersinnliche Forschung bestätigt
wird, wenn man nicht selber von allen diesen Dingen etwas ge-
wusst hätte. - Und wenn wir uns nun weiter fragen: Woher
rührte das Wissen des Pherekydes von Syros?-so kommen wir
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darauf, dass er sich erfreuen konnte einer sogenannten phönizi-
schen Einweihung. Wir sehen also in ihm einen Menschen,
welcher in den Tempeln des alten phönizischen Landes einge-
weiht worden ist, und welcher das, was er sagen durfte, aus die-
sen phönizischen Tempeln nach Griechenland herübergebracht
und da gelehrt hat. So ist aus dem Orient herübergeflossen man-
cherlei von dem, was dort im Einklang mit der übrigen orienta-
lischen Weisheit vorhanden war.
Ich wollte Ihnen damit nur ein Beispiel geben, und wir könnten
viele solche Beispiele anführen, wie wir das, was heute ohne alle
historische Tradition gefunden werden kann, wenn wir es rich-
tig zu lesen verstehen, bei den alten Weisen wiederfinden. Wir
sind hiermit nicht weit zurückgegangen in der Menschheitsge-
schichte. Man kann an vielem sehen, dass man die Lehren, die
heute als ursprüngliche gefunden werden können, in entspre-
chender Weise in alten Zeiten, wenn man nur die Ausdrücke zu
entziffern vermag, finden kann. Dennoch dürfen Sie nicht ver-
kennen, dass es ein ganz falsches Prinzip wäre, wenn wir eine
Beleuchtung der orientalischen Weisheit durch dasjenige, was
auch heute in der westlichen Welt gewonnen werden kann,
damit erschöpft glaubten, dass wir einfach sagten: Das oder je-
nes finden wir im Orient für die Weltenentwickelung als Mei-
nung; und so sprechen wir heute. -Das finden wir aber in der-
selben Weise auch bei Pherekydes von Syros meinetwegen, das
finden wir auch in der ägyptischen Zeit, in der chaldäischen
Magierzeit, in der altindischen Zeit. Man könnte dann, wenn
man dieses für das einzig Mögliche hielte, sagen: Also finden
wir heute eine Weisheit, die in den verschiedensten Formen
allüberall, wo die Menschen nach Weisheit gestrebt haben, vor-
handen war: Eine und dieselbe Weisheit allüberall! - Nicht das
geringste kann gegen diese Behauptung in ihrer abstrakten
Form eingewendet werden, denn die Tatsache steht einfach so;
aber das muss gesagt werden, dass dieses nur ein Teil der Wahr-
heit ist. So wie die Entwickelung der Pflanze nicht darin be-
steht, dass die Pflanze von ihrem untersten Wurzelpunkte aus
bis zur Frucht immer dieselben Organe hervorbringt, sondern
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hervorbringt die grünen Pflanzenblätter, die farbigen Blüten-
blätter, die Staubgefäße, den Stempel und so weiter, so wie die
Pflanze also verändert die Gestalt ihrer Hervorbringungen^ sie
zu immer Höherem und Höherem treibt, so ist es auch mit dem
Fortschritt des Menschenlebens auf der Erde. Wenn es ganz
richtig ist, dass sozusagen in den verschiedensten Formen die-
selben Weistümer immer wieder erscheinen, so gibt es doch ei-
ne Entwickelung dieser Weistümer; und es ist einfach nicht
richtig, dass etwa schon in der altindischen Zeit dasselbe dage-
wesen wäre, was heute da ist. Geradesowenig wäre das richtig,
wie das andere, dass an der Pflanze dasselbe ist, wenn die Blüte
aufgebaut ist, wie in dem - meinetwillen sagen wir - Wurzel-
punkt. Es ist sozusagen dieselbe Kraft darinnen; aber diese kann
man nur in ihrer Realität erkennen, wenn man die wirkliche
Entwickelung verfolgt, so dass man einen Fortschritt erkennt in
den Geheimnissen, welche der Menschheitsentwickelung zu-
grunde liegen. Dasjenige, was in der ersten Zeit nach der großen
atlantischen Katastrophe gelehrt worden ist auf der Erde, kann
heute noch gelehrt werden; was Pherekydes von Syros gelehrt
hat, kann heute noch gelehrt werden; aber die Erdenentwicke-
lung ist für den Menschen auch bereichert worden, sie hat neue
Einschläge bekommen.
Wir haben gestern auf den wichtigen Zeitpunkt des christlichen
Einschlags für die Menschheitsentwickelung hingewiesen. Da-
mit ist etwas gekommen, womit sich nichts Ähnliches verglei-
chen lässt, etwas, was ganz einzig dasteht in der Erdenentwicke-
lung. Es ist mir schon zu Ohren gekommen, dass jemand gesagt
hat: Ja, es wäre doch eine Ungerechtigkeit innerhalb der
Menschheitsentwickelung, wenn soundso-viele Jahrtausende
vor dem Erscheinen des Christus dem Menschen nicht die volle
Weisheit hätte mitgeteilt werden können. Wie kamen denn die
Menschen der vorchristlichen Zeit dazu, dass ihnen etwas vor-
enthalten werden konnte? Wir müssen aus der allgemeinen
Weltgerechtigkeit heraus annehmen - so sagen manche -, dass
sich zwar die Formen der Wahrheit ändern, dass aber nicht
neue Wahrheiten zu den alten hinzukommen, sonst müsste man
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behaupten, dass für die Menschen, die aufbewahrt geblieben
sind in ihrem Leben für die nachchristliche Zeit, etwas Höheres
zubereitet worden wäre als für die vorchristlichen Menschen. -
Wenn es nicht wirklich zuweilen ausgesprochen würde, so
brauchte das hier gar nicht erwähnt zu werden, denn man kann
verstehen, dass diese Sache ausgesprochen wird sonst irgendwo,
nur nicht unter geisteswissenschaftlich Strebenden. Warum
nicht? Nun, weil ja die Menschen, die in der nachchristlichen
Zeit verkörpert sind, dieselben sind wie diejenigen, die vorher
gelebt haben; weil die Menschen durch die wiederholten Ver-
körperungen durchgehen und dasjenige, was sie vor dem Er-
scheinen des Christus auf Erden noch nicht haben lernen kön-
nen, eben berufen sind, nachher zu lernen. Derjenige, der
glaubt, dass der Mensch sich immer und immer wieder verkör-
pert, damit ihm nur dasselbe aufgetischt werde, der glaubt nicht
im Ernste, nicht seinem Gefühle und dem ganzen Seelenleben
nach an die Wiederverkörperung; denn im Ernste an sie glau-
ben, heißt ihr Ziel, ihren Sinn einsehen, heißt einsehen, dass es
nicht vergeblich ist, immer wieder und wieder zu kommen,
sondern dass dies geschieht, damit man immer Neues erfahren
könne auf der Erde. Ist dies aber so, dann muss dieser Erde im-
mer neues und neues Leben zufließen; man muss auf der Erde
Neues sehen, wenn man wieder auf ihr ankommt. Es ist eine
Abstraktion zu sagen: Dieselben Weistümer kehren in den ver-
schiedenen Weltanschauungen immer wieder. - Es ist aber das
Konkrete, das Wahre, dass sich die Weistümer entwickeln, dass
sie immer höhere und höhere Gestaltungen annehmen, bis dann
das erscheinen wird auf der Erde, was reif ist, in einen anderen
Zustand überzugehen, wie Saturn-, Sonnen-, Mondzustand in
den Erdenzustand übergegangen sind. Keine bloße Wiederho-
lung, ein wirklicher Fortschritt! Das ist das, um was es sich han-
delt.
Und da liegt auch, was den Unterschied zwischen östlicher und
westlicher Denkungsweise ausmacht. Die westliche Denkungs-
weise kann sich der ganzen Aufgabe und Mission des Westens
nach niemals trennen von einer wirklich konkreten geschichtli-
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chen Auffassung unserer Erdenentwickelung. Und geschichtli-
che Auffassung ist nur diejenige, die Fortschritt sieht, nicht
Wiederholung des Gleichen. Der Begriff der Geschichte ist der,
der erst durch den Westen eingetreten ist in die Menschheits-
entwickelung. Man hat da erst gelernt, wirklich die Dinge ge-
schichtlich aufzufassen, nicht bloß eine Wiederholung des Glei-
chen zu sehen. Und wenn irgendwo unter uns irgend jemand
auftritt, der nicht ganz durchdrungen ist von dem Begriffe des
geschichtlichen Fortschrittes, und dann sich hingibt in einem
besonderen Maße orientalischer Denkungsweise, deren Wahr-
heit damit nicht im geringsten angezweifelt wird, von der alles
unterschrieben wird, trotzdem gesagt wird, dass die geschichtli-
che Auffassung hinzukommen muss, dann stellt sich leicht ein,
dass ihm der Begriff der Geschichte abhanden kommt und dass
für ihn eine merkwürdige Frage entstehen kann: Wozu eigent-
lich diese ewige Wiederholung des Gleichen? Das war zum Bei-
spiel die Frage, die Schopenhauer aufgestellt hat, dem der Be-
griff der Geschichte im eigentlichen Sinne gemangelt hat, und
der innerhalb unseres Geisteslebens einer derer war, die viel für
die äußere Exoterik aufgenommen haben aus dem orientali-
schen Leben. Dadurch, dass irgendeine höhere Wahrheit aufge-
stellt wird, wird die niedrigere Wahrheit in keinerlei Weise an-
getastet; es wird zu allem Ja gesagt, was von dem unhistorischen
Standpunkte aus behauptet wird; es wird nur eine niedere
Denkweise in ein höheres Reich heraufgehoben, das heißt, es
wird beleuchtet in unserem Falle die orientalische Denkungs-
weise mit dem Lichte des Westens*.
Dasjenige, was ich Ihnen jetzt in abstracto gesagt habe, das
möchte ich Ihnen durch ein Beispiel belegen. Sie haben aus dem
Gesagten schon herausfühlen können, dass wir die Ergebnisse
der übersinnlichen Forschung der Gegenwart in andrer Form in
alten Zeiten finden, wenn wir sie suchen. Licht werfen auf die
Vorzeit können wir nur dann, wenn wir dieses Licht eben aus
der Gegenwart nehmen. Wir knüpfen dabei nochmals an, sagen
wir, an eine ganz bestimmte geistige Persönlichkeit, geistige In-
dividualität. Später werden wir aus diesem Gebiete verschiedene
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Einzelheiten noch zu besprechen haben, heute soll nur noch
eines herausgehoben werden. Wenn Sie zurückgehen in die
Zeit, in der man in den Veden niedergelegt hat dasjenige, was in
einer gewissen Beziehung als Nachklang vorhanden war der
hohen, hehren Rishiweisheit, so finden Sie unter mancherlei
Benennungen für die göttlichen Wesenheiten die Benennung
des Indra. Wenn ich Ihnen vom Gesichtspunkte der übersinnli-
chen Forschung der Gegenwart aus auf die Frage antworten soll:
Was ist das für ein Wesen, zu dem man in der Vedenzeit Indra
gesagt hat? - so tue ich es am besten, indem ich Ihnen wiederum
charakterisiere, wie sich ein heutiger Mensch durch übersinnli-
che Forschung eine Anschauung von dieser Wesenheit, die
wirklich vorhanden ist, verschaffen kann.
Diese Darstellung, die an sich etwas weitschweifig erscheint,
rechtfertigt sich wohl dadurch, dass sie gegen die in mystischen
Weltanschauungen oft auftretende Behauptung gerichtet wer-
den muss, dass im Grunde die verschiedenen aufeinanderfol-
genden Religionen und so weiter nur die Umgestaltungen Einer
Urweisheit seien.
Wir haben ja hervorgehoben, dass hinter allem, was uns äußer-
lich in der Welt umgibt, hinter dem Feuer, der Luft, dem Was-
ser, der Erde geistige Wesenheiten sind. Wenn wir das, was
Feuer oder Luft ist, auf uns wirken lassen, zunächst auf unsere
Sinne, so haben wir den äußeren Ausdruck für geistige Wesen-
heiten, die hinter dem Feuer oder der Luft stehen. Wir können
für das, was wir im gewöhnlichen Leben physisch wahrnehmen,
dasjenige suchen, was dahintersteht, indem wir uns durch über-
sinnliches Schauen erheben von der physischen Welt zur seeli-
schen. Da finden wir für das, was sich äußerlich in der Luft aus-
drückt, viele Wesenheiten; das heißt, es arbeiten viele geistige
Wesenheiten zusammen in unserer geistigen Umgebung, um
dasjenige zustande zu bringen, was sich uns äußerlich in den
physischen Lufterscheinungen ausdrückt. Fragen wir uns: Wie
stellt sich das geistige Reich hinter der Luft dar, wenn wir es in
der seelischen Welt betrachten? Die Antwort ist: Wir kommen
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zu einer Anzahl von geistigen Wesenheiten, die nicht bis zur
physischen Welt heruntersteigen, die sich in dieser durch die
Luft ausdrücken und die uns in der Seelenwelt als Individualitä-
ten entgegentreten. Und die mächtigste dieser Wesenheiten ist
eine ganz bestimmte. Die finden wir noch heute; die ist diejeni-
ge, welche im alten Indien mit dem Worte Indra benannt wor-
den ist. Sie ist zu gleicher Zeit diejenige, die beteiligt ist an der
ganzen Einrichtung unseres Atmungsprozesses. Dass wir über-
haupt so atmende Wesenheiten geworden sind, wie wir es sind,
das verdanken wir der Tätigkeit dieser Wesenheit. Zu dieser
Wesenheit kann man beständig emporblicken und sagen: «Dir, o
Indra, verdanke ich die Möglichkeit, ein solches Atmungswerk-
zeug zu haben, wie wir es als Menschen haben.» - Aber die Tä-
tigkeiten wiederum solcher Wesenheiten beschränken sich
nicht nur auf eines, sie sind verzweigt. Dieser selben Wesenheit
verdankt der Mensch noch manches andere. Darum kann er sa-
gen: «Dir, Gott Indra, dem ich verdanke die Möglichkeit so zu
atmen, Dir kann ich auch verdanken die Kraft, die zum Beispiel
durch meine Muskeln strömen soll, wenn ich meine Feinde im
Kriege besiegen soll.» So kann er zu diesem Indra beten um
Kraft, seine Feinde zu besiegen; denn es ist sozusagen die Funk-
tion dieser selben Wesenheit übertragen. Dieser selben Wesen-
heit, für die wir gar keinen Namen brauchen, wenn wir nur
wissen, dass sie da ist, ist es auch zuzuschreiben, dass der Blitz
durch die Wolken zuckt, und der Donner rollt, und dass die
segnenden Wirkungen entstehen, welche die Gewittererschei-
nungen begleiten. Auch für diese Erscheinungen kann man so-
zusagen die Gebete hinaufschicken, wenn man überhaupt an
solches Beten zu den Göttern denkt.
So sehen wir, dass in der Seelen weit eine gewisse Wesenheit
vorhanden ist, die einfach in der alten vedischen Zeit mit dem
Namen Indra bezeichnet worden ist. Indra ist für uns ebenso da
wie für die damalige Zeit.
Und jetzt kommt das andere. Nehmen Sie diese Wesenheit des
Indra, nehmen Sie sie so, wie sie der alte indische Eingeweihte
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wirklich gesehen hat, wenn er das geistige Auge nach der See-
lenwelt hingerichtet hat, nehmen Sie das und fragen Sie jetzt:
Sieht der heutige Eingeweihte diesen Indra in derselben Weise?
- so müssen wir antworten: Er sieht alles dasjenige, was man
damals gesehen hat an diesem Indra, alles das, aber er sieht noch
etwas anderes an diesem Indra.-Wenn Sie einen Menschen an-
sehen in seinem vierzigsten Lebensjahre, der Fritz Müller heißt,
so können Sie sich sagen: Das ist derselbe Mensch, den ich vor
dreißig Jahren als Zehnjährigen gesehen habe, der schon damals
so geheißen hat; aber er ist in einer gewissen Weise etwas ande-
res geworden. -Und Sie werden eine schlechte Beschreibung
von diesem Fritz Müller geben in seinem vierzigsten Jahre,
wenn Sie jemandem sagen, wie er ausgesehen hat in seinem
zehnten Jahre. Sie sagen da ganz Richtiges über den Fritz Mül-
ler, was Sie in diesem Falle sagen, aber er hat während der drei-
ßig Jahre eine Entwickelung durchgemacht, und Sie müssen das
bedenken, wenn Sie über seinen jetzigen Zustand reden. Mei-
nen Sie nun, dass zwar die Menschen auf der Erde in ihren ein-
zelnen Leben und auch von Leben zu Leben sich fortwährend
entwickeln, und dass es just den Geisteswesen so gehen sollte,
dass sie heute noch auf demselben Standpunkt stehen wie da-
mals, als im alten Indien das schauende Bewusstsein zu ihnen
emporgerichtet worden ist? Sollen die Götter bloß diejenigen
sein, die durch Tausende von Jahren dasselbe sind? Das sind sie
eben nicht. Wir können füglich sagen, dass Indra sich entwi-
ckelt hat seit jener Zeit, wo hinaufgesehen haben zu ihm die
Hellseher des alten Indiens. Was ist denn nun mit ihm gesche-
hen? Wie stellt sich uns seine Entwickelung dar?
Wenn wir das schauende Bewusstsein zurückrichten auf die Ge-
stalt des alten Indra, wie stellt sich uns diese Gestalt dar? Da
zeigt sich folgendes: Es gibt einen gewissen Zeitpunkt in der
Entwickelung, da sieht man etwas Merkwürdiges in Bezug auf
diesen Indra. Um es recht anschaulich vor uns zu haben, wie-
derholen wir: wir richten also das schauende Bewusstsein in der
Seelen weit nachdem alten indischen Gotte Indra und verfolgen
ihn durch die Jahrtausende herauf. Da finden wir einen Zeit-
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punkt, wo es so erscheint, als wenn von einem ganz anderen
geistigen Wesen Lichtstrahlen hinfielen auf den Indra; und
durch dieses Licht, das auf den Indra fällt, wird dieser selbst be-
leuchtet; er wird dadurch zu einer höheren Stufe seiner Entwi-
ckelung emporgehoben. Es ist gerade so, wie wenn Sie in einem
bestimmten Lebensalter Ihrer Entwickelung etwas Wichtiges
lernen, wodurch Sie ein ganz anderer Mensch werden. So ge-
schah es eines Tages für den Indra: es fiel von einer anderen
geistigen Wesenheit das Geisteslicht auf diesen Indra, und seit
jener Zeit strahlt dasjenige von dem Indra auf uns, was auch
schon im alten Indra da war, aber bereichert noch durch das
Geisteslicht einer anderen Wesenheit. Auf den Moment in der
geschichtlichen Entwickelung der Menschheit, wo das gesche-
hen ist, was ich jetzt beschrieben habe, auf den können wir ge-
nau hinweisen. Der Gott Indra ist da in der Seelenwelt in der
Zeit, in der für die Erdenentwickelung noch nicht der Christus
wahrnehmbar ist, wo aber doch schon das Licht, das von dem
Christus ausgeht, auf den Indra fällt. Das Licht, das geistige
Licht, das von dem Christus ausgeht, fällt erst später auf den In-
dra. Und es kann jemand, der die Fähigkeit dazu hat, hinschau-
en zu dem Indra und er wird sagen: Dieser Indra offenbart mir
jetzt etwas anderes, als er früher geoffenbart hat, denn früher
strahlte nicht von ihm das Christus-Licht zurück. - Derjenige,
der dazu berufen ist, das der Menschheit zu verkündigen, der
sagt: Da gab es den alten Indra, uns interessiert das, was er frü-
her war; jetzt aber interessiert uns auch das, was er uns zurück-
strahlt, was von ihm jetzt zu uns herstrahlt. - So wie der Mond
das Sonnenlicht zurückwirft, so wirft seit jenem Zeitpunkt der
Indra nicht sein eigenes Licht in die geistige Erdenentwickelung
herein, sondern strahlt zurück das Christus-Licht. Dieses Licht,
das selbst noch nicht auf die Erde fällt, das erst von Indra zu-
rückgestrahlt wird, das also den Christus nicht direkt erkennen
lässt, sondern so, wie wir das Sonnenlicht, wenn es vom Mond
herstrahlt, erkennen, war dasjenige, was verkündete der Moses
seinem Volke; und er nannte das Christus-Licht, das so zurück-
gestrahlt ist wie das Sonnenlicht von dem Monde, Jahve oder
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Jehova. Und hier haben Sie das, was ich öfter in den Vorträgen
über das Johannes-Evangelium in einer anderen Form betont
habe: Der Christus verkündigt sich vor, und Jahve oder Jehova
ist der Name für das von einer alten Gottheit zunächst zurück-
gestrahlte, reflektierte Christus-Licht, der prophetisch vorher-
verkündete Christus.
So ist es, wie wenn im Laufe der Erdenentwickelung der alte
Indra aufgenommen worden wäre von dem Christus-Licht, und
nun dieses Christus-Licht von sich auf die Erde zurückstrahlte.
Damit, dass er berührt worden ist von diesem Christus-Licht,
hat der Gott Indra selber eine Entwickelung durchgemacht. Er
ist natürlich nicht zum Jehova geworden. Sie dürfen nicht sa-
gen: Jehova ist Indra. Aber Sie werden es begreiflich finden, dass
ebenso wie sich Indra in Blitz und Donner offenbarte, ebenso
Jahve oder Jehova sich darinnen offenbarte, weil zurückge-
strahlt werden kann nur nach Maßgabe der rückstrahlenden
Wesenheit. Daher offenbarte sich Jahve in Blitz und Donner.
Hier haben Sie ein Beispiel davon, dass sich sozusagen die geisti-
ge Entwickelung in ihrer Welt vollzieht wie die menschliche in
der ihrigen, und wie sich nicht derselbe Anblick darbietet,
wenn wir nach Jahrtausenden die geistigen Wesenheiten be-
trachten. Es geht etwas vor in der geistigen Welt, es ist Ge-
schichte darinnen; und dasjenige, was Erdengeschichte ist, ist
der äußere Ausdruck der Geschichte in der geistigen Welt.
Wahrhaftig, alles was hier auf der Erde geschieht, hat seine Ur-
sachen in Geschehnissen der geistigen Welt; und wir müssen im
einzelnen verstehen und begreifen lernen, was für Ereignisse
hinter unseren Erdenereignissen als ihre Grundlagen stehen.
Damit habe ich Ihnen an einem Beispiele gezeigt, was es heißt,
von dem heutigen Gesichtspunkte aus jene alten Welten zu be-
leuchten. Dazu ist notwendig, dass wir den Begriff der Ge-
schichte ganz im Ernste aufnehmen und uns fragen: Wenn wir
dieselbe Wesenheit, die vor Jahrtausenden da war, heute aufsu-
chen, wie stellt sie sich uns heute verändert dar, und was hat
diese Veränderung herbeigeführt? An einem besonderen Bei-
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spiele wollte ich Ihnen die Geschichte des geistigen Lebens er-
läutern. Wenn Sie festhalten daran, dass es Weisheiten gibt, die
wir heute finden und die wir wieder finden wenn wir zurück-
blicken, nur mit anderen Namen und Formen und anderem
Ausdruck, und zu gleicher Zeit festhalten, dass eine geschichtli-
che Entwickelung, ein Fortschritt ist im geistigen Leben, das
dem physischen zugrunde liegt, dann haben Sie auch die zwei
rechten Prinzipien, die aller Geisteswissenschaft, die in die
Menschenzukunft hineinwirken will, die fortschreiten will, zu-
grunde liegen müssen.
Von der Offenbarung des einen göttlichen Lebens in seinen ver-
schiedenen Formen, von der Erkenntnis des Fortschreitens des
göttlichen Lebens zu immer höheren und höheren Gestaltun-
gen, zum Heranreifen der eigentlichen Früchte des Weltenda-
seins, davon soll morgen gesprochen werden.
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FÜNFTER VORTRAG
MÜNCHEN, 27. AUGUST 1909
In den vorangehenden Vorträgen ist gezeigt worden, inwiefern
die Außenwelt als eine Illusion wirkt und hinter sich die geisti-
ge Welt verbirgt. Wenn also das schauende Bewusstsein durch
den Schleier der Illusion durchdringt, so dringt es ein in die
geistige Welt. Und derjenige, der dieses Erlebnis hat, kann dann
sagen, für ihn sei durchsichtig geworden der äußere Sinnen-
schleier, und er sehe durch ihn durch in die geistige Welt hin-
ein. Man könnte sagen, das sei der eine Weg zu der geistigen
Welt. Es ist aber auch gezeigt worden, wie vom eigenen inneren
Seelenleben alles dasjenige, was man Gedanken, Gefühle, Emp-
findungen nennt, ja wie auch die komplizierteren Erscheinun-
gen dieses Seelenlebens, das Gewissen und so weiter eine Art
Schleier ist, der eine geistige Welt verhüllt. Und wenn das
schauende Bewusstsein durch diesen Schleier hindurchdringt,
so kommt es wieder in eine geistige Welt. Diese zwei verschie-
denen Wege in die geistige Welt hinein hat man zu allen Zeiten
gekannt. Den Menschen, die die Einweihung gesucht haben,
war die Tatsache bekannt, dass man die Geisteswelt trifft, wenn
man einerseits den äußeren Schleier und andererseits den inne-
ren Schleier durchdringt. Deshalb finden wir bei den alten Völ-
kern der Erde die Unterscheidung zwischen oberen Göttern und
unteren Göttern; und in den Mysterien aller Zeiten wurde ge-
sagt, dass man auf einer bestimmten Stufe der Einweihung vor
die unteren und oberen Götter hintrete; aber es wurde auch
immer in einer ganz verschiedenen Weise behandelt die Welt
der oberen Götter und die Welt der unteren Götter. Man kann
begreifen, dass diese Annahme zweier Wege in die geistigen
Welten berechtigt ist, wenn man folgendes bedenkt: Auf die
Art, wie dem Menschen die Außenwelt entgegentritt, in dem
bunten Teppich von Farbeneindrücken, Wärmeeindrücken und
so weiter, also in dem bunten Teppich der Elemente des Feuers,
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der Luft, des Wassers und der Erde, da ist der Mensch zunächst
ohne Einfluss. Es geht morgens die Sonne auf; sie sendet ihre
Lichtstrahlen über die verschiedenen Dinge der Erde, und nach
den verschiedenen Verhältnissen, die sich da ausgestalten, stellt
sich die äußere Sinneswelt dar; und wenn der Mensch diese
Verhältnisse durchdringt, so dringt er in die geistige Welt ein.
Der Mensch ist also nicht imstande, weil er ohne Einfluss ist auf
die äußere Sinneswelt, durch seinen eigenen Inhalt diese Sin-
neswelt, die ihn umgibt, zu verderben; sie ist ihm gleichsam
hingestellt von den geistigen Wesenheiten, die sich in ihr of-
fenbaren, und er kann sie durch seine eigene Macht nicht ver-
schlechtern. So dass es sich also für den Menschen, wenn er ein-
geweiht wird, darum handeln kann, dass er den Schleier der
Sinneswelt durchdringt, aber er muss den Schleier der Sinnes-
welt so lassen, wie ihn geistige Wesenheiten ausgearbeitet ha-
ben.
In einer anderen Lage ist der Mensch seiner eigenen inneren
Welt gegenüber. Wie der Mensch empfindet und fühlt, wie er
will, wie er denkt, wie er seine Gewissensempfindungen ausbil-
det, das hängt davon ab, ob der Mensch mehr oder weniger
vollkommen ist, mehr oder weniger an seinem Seelenleben ge-
arbeitet hat. Der Mensch kann sozusagen nicht ein gutes und
ein schlechtes Rot oder Grün hervorrufen an der Morgenröte
oder an einer Pflanze; er kann aber dadurch, dass er sein eigenes
Seelenleben verdirbt, sinnwidrige Empfindungen, böse morali-
sche Urteile in sich erzeugen; der Mensch kann mehr oder we-
niger sich hingeben der Stimme seines Gewissens; er kann in
Bezug auf seine Vorstellungen sich Schönem und Hässlichem
hingeben, wahren und falschen Gedankengebilden. Den Schlei-
er also, welchen unsere Seele in ihrem Innenleben hinbreitet
über die geistige Welt, den verändert der Mensch durch sein
eigenes Verhalten. Und da zuletzt das, was wir hinter dem
Schleier unseres eigenen Seelenlebens sehen, davon abhängt, ob
dieser Schleier selbst richtig oder verdorben ist, so ist es leicht
einzusehen, dass bei einem verdorbenen, unvollkommenen,
wenig entwickelten Innern auch beim Aufsteigen in die geistige
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Welt oder beim Hinabsteigen zu den unteren geistigen Wesen-
heiten Zerrbilder geschaffen werden können, falsche, sinnwid-
rige, widernatürliche Vorstellungen und Kräfte.
Daher kam es, dass man durch alle Zeiten hindurch unterschied
zwischen dem Aufstieg zu den oberen Göttern und dem Hinab-
stieg zu den unteren Göttern, und dass man das Hinabsteigen als
etwas wesentlich Gefährlicheres ansah als das Hinaufsteigen zu
den oberen Göttern, dass man deswegen bei diesem Wege in die
geistige Welt ganz besonders hohe Anforderungen stellte an die
Zöglinge der Mysterien, der Geheimwissenschaft;.
Dies musste einmal erwähnt werden aus dem Grunde, weil diese
zwei Wege in die geistige Welt hinein in der Tat eine große
Rolle spielen in der Menschheitsentwickelung, und weil man
die Gegeneinanderstellung des Orients und des Okzidents nur
dadurch gut verstehen und das Verhältnis der «Kinder des Luzi-
fer» und der «Brüder Christi» auffassen kann, dass man sich die-
se zwei Wege vor Augen führt. In der Außenwelt, die dem
Menschen für den äußeren Blick sehr häufig erscheinen kann
wie ein buntes Gewirr der mannigfaltigsten Tatsachen, ist gar
nichts, was nicht in einer weisen Art gelenkt wäre, nichts, wo-
bei nicht geistige Wesenheiten, geistige Kräfte und geistige Tat-
sachen im Spiele wären; und man versteht alles, was da ge-
schieht, nur, wenn man einsehen lernt, wie sich die geistigen
Geschehnisse gruppiert haben unter der Lenkung jener Mächte,
die charakterisiert worden sind von den verschiedensten Seiten
her. Man muss, wenn man verstehen will, warum eine be-
stimmte Form von Weisheit gerade im Osten aufgeblüht ist, und
warum wiederum die Zukunft der Christlichkeit gerade von der
Ausbildung der westlichen Kräfte abhängt, auf den Ursprung,
auf den geschichtlichen Hergang der beiden Welten den Blick
richten.
Aus verschiedenen Vorträgen, die Sie von mir gehört haben,
wissen Sie, dass unser gesamtes jetziges Geistesleben herstammt
aus jenem Gebiete, das wir die alte Atlantis nennen; dass sich
entwickelt hat ein uraltes Geistesleben auf einem Gebiete im
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Westen zwischen dem heutigen Europa und Amerika und dass,
was wir an asiatischer, afrikanischer, amerikanischer Kultur an-
treffen, letzten Endes Abkömmlinge sind der alten atlantischen
Kultur. Dort haben wir den Vater- und Mutterboden alles unse-
res Kulturlebens zu suchen. Es waren vor jener gewaltigen Kata-
strophe, welche das Antlitz der Erde so verändert hat, dass die
gegenwärtige Gestalt derselben zustande gekommen ist, inner-
halb der alten Atlantis von den gegenwärtigen ganz verschiede-
ne Menschenarten vorhanden, geleitet von hohen Eingeweih-
ten, von Führern der Menschheit. Da entwickelte sich eine Kul-
tur, welche im wesentlichen unter dem Einflüsse eines alten
Hellsehens stand, so dass die Menschen jener Zeit die instinktar-
tige Fähigkeit hatten, sowohl durch den äußeren Schleier der
Sinneswelt zu der oberen Geistwelt hindurchzuschauen, wie
auch durch ihr eigenes Seelenleben hindurch zu den unteren
Göttern zu blicken. Das war damals natürlich. Wie es den heu-
tigen Menschen natürlich ist, mit ihren Augen zu sehen, mit
ihren Ohren zu hören und so weiter, so war es den damaligen
Menschen natürlich, nicht nur draußen in der Welt zu sehen
Farben, zu hören Töne und so weiter, sondern hinter den Far-
ben und Tönen und so weiter geistige Wesenheiten zu sehen.
Ebenso war es ihnen natürlich, nicht nur die Stimme des Gewis-
sens zu vernehmen, sondern zum Beispiel dasjenige, was die
Griechen Erinnyen genannt haben. Das haben sie als geistige
Wesenheiten wahrgenommen. So also waren die alten Atlantier
instinktartig bekannt mit einer geistigen Welt.
Es ist der Sinn der Menschheitsentwickelung, dass die Men-
schen allmählich sozusagen herausstiegen aus diesem alten ins-
tinktartigen, aber geistschauenden Bewusstsein und vorrückten
zu demjenigen, was unserer heutigen Zeit eigen ist. Durch diese
Stufe des Lebens auf dem physischen Plane mussten die Men-
schen hindurchgehen. Nun wäre es nicht möglich gewesen, die
ganze Entwickelung der Menschheit von der geistigen Welt aus
etwa einfach so zu leiten, dass man einen Strom von Menschheit
herübergeschickt hätte von der alten Atlantis über die Gegen-
den Europas, Afrikas, nach Asien hinein, und dass sich alles so-
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zusagen gradlinig entwickelt hätte. - Die Entwickelung besteht
niemals bloß darin, dass sich etwas aus einem Keim heraus ge-
staltet und dann in gerader Linie fortschreitet, sondern überall,
wo es Entwickelung gibt, da muss noch etwas anderes eintreten.
Sie können sich zunächst an einem sehr gewöhnlichen Beispiele
klar machen, dass die Entwickelung niemals das Fortschreiten
in gerader Linie ist, so dass etwa immer eine Sache die andere
hervortreibt, sondern dass noch etwas anderes zur Entwicke-
lung gehört. Betrachten Sie die Pflanze! Sie werfen das Samen-
korn in die Erde und Sie sehen, wie aus diesem Samenkorn
hervorsprießen die Organe der Pflanze, die Blätter, wie später
die Kelchblätter hervorkommen, Staubgefäße, Stempel und so
weiter entstehen. Nun ist ja im heutigen normalen Pflanzenle-
ben notwendig, wenn die Entwickelung vorwärtsschreiten soll,
etwas andres, etwas, was sozusagen nicht in der geraden Linie
des Fortschreitens liegt. Zur Fruchtbildung ist notwendig die
Befruchtung. Es müssen die Befruchtungssubstanzen von einer
Pflanze auf die andere hinüberfließen, damit die Blüte sich zur
Frucht entwickele, und es würde aus der Blüte heraus die
Frucht sich nicht in gerader Linie entwickeln können, sondern
es muss ein Strom von Einflüssen von außen hinzukommen,
damit durch diesen Einfluss, der von der Seite herkommt, die
Entwickelung vorwärts schreitet. Das, was Sie an der Pflanze
sehen können, das ist ein Bild für das gesamte Weltleben, und
das gibt Ihnen auch einen Hinweis darauf, wie es im geistigen
Leben ist. Es ist durchaus falsch zu glauben, dass man im geisti-
gen Leben zum Ziele kommt, wenn man annimmt, dass irgend-
wo eine Kulturströmung hervortrete und dass sie immer Neues
und Neues nur aus sich hervortreibe. Das kann eine Weile so
fortgehen, aber es würde nicht genügen, es würde ebenso wenig
das hervorbringen, was geschehen soll, wie die Blüte ohne Be-
fruchtung die Frucht hervorbringen könnte. Es muss immer an
einem bestimmten Punkte der Entwickelung ein seitlicher Ein-
fluss kommen, in der Menschheitsentwickelung gleichsam eine
geistige Befruchtung. Wenn sich eine Kulturströmung eine
Weile gradlinig fortgepflanzt hat, dann muss von der Seite her
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irgendein Einfluss kommen. So wie sich getrennt voneinander
entwickelt im Pflanzenleben das weibliche und das männliche
Element, so musste auch in der fortschreitenden Entwickelung
der Menschen seit der Atlantis nicht ein einfacher Strom sich
bilden, der von dem Westen nach dem Osten hinging, sondern
es mussten im wesentlichen zwei Hauptströmungen von der al-
ten Atlantis nach dem Osten hinüberziehen, die eine Weile ge-
trennt voneinander sich entwickeln und dann nach einer be-
stimmten Zeit zusammentreffen, sich gegenseitig befruchten
mussten, damit das Richtige eintreten konnte. Und diese zwei
Strömungen der Menschheitsentwickelung können wir verfol-
gen, wenn wir in der richtigen Weise die Urkunden der Geistes-
schau prüfen. Da haben wir einen Strom der Menschheitsentwi-
ckelung, der dadurch zustande kommt, dass sich gewisse Völker
herüberschieben von dem alten atlantischen Lande mehr in ei-
nem nördlichen Gebiete, so dass sie die Gegenden berühren, die
heute England, Nordfrankreich umfassen, dann nach dem heu-
tigen Skandinavien, Rußland bis nach Asien hinein, bis nach
Indien hinunterziehen. Da bewegt sich ein Strom von Völkern
der verschiedensten Art, der ein bestimmtes geistiges Leben
trägt. Ein anderer Strom der Menschheitsentwickelung geht ei-
nen anderen Weg; er geht mehr südlich, geht so, dass wir heute
seinen Weg etwa suchen müssten herein vom Atlantischen
Ozean durch Südspanien, durch Afrika bis hinüber nach Ägyp-
ten, dann nach Arabien. Zwei Ströme, große Völkerwanderun-
gen gleichsam ergießen sich aus der alten Atlantis nach Osten
hinüber. Jeder dieser Kulturströme macht zunächst seinen eige-
nen Weg durch, bis sie sich gegenseitig befruchten in einem
späteren Zeitpunkt. Worin nun besteht der Unterschied dieser
beiden Kulturströmungen? Darinnen, dass der Strom, der sich
mehr im Norden bewegte, solche Menschen in sich Schloss,
welche mehr geeignet waren, ihre äußeren Sinne und die äuße-
re Anschauung zu gebrauchen, welche mehr geneigt waren, den
Blick auf den Teppich oder Schleier der Umwelt zu richten. Es
hatten diese Menschen, die da mehr im Norden zogen, solche
Eingeweihte, die ihnen den Weg zeigten zu jenen geistigen
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Welten, die man nannte die oberen Götter, jene Götter, welche
man findet, wenn man den Schleier der äußeren Sinneswelt
durchdringt. Solcher Art sind diejenigen Wesenheiten, welche
als germanisch-nordische Götter verehrt werden. Odin, Thor
und so weiter sind Namen für solche göttlich-geistige Wesen-
heiten, die man findet, wenn man den äußeren Schleier der
Sinneswelt durchdringt. Eine andere Organisation hatten die
Menschen des anderen Völkerstromes. Diese Menschen, die in
einem südlichen Gebiete herüberzogen von der alten Atlantis
nach Asien hinein, die hatten mehr die Anlage, einzutauchen in
ihr Seelenleben, in ihr Inneres. Man möchte sagen - nehmen Sie
das Wort nicht mit abfälligem Beigeschmack - die nordischen
Völker hatten mehr das Talent, hinauszuschauen in die Welt,
die südlichen Völker aber hatten mehr das Talent,
hineinzubrüten in ihr eigenes Seelenleben und durch den
Schleier ihres eigenen Seelenlebens die geistige Welt zu suchen.
Daher wird es Sie nicht verwundern, dass die Nachkömmlinge
der südlichen Völker Götter hatten, die sozusagen zu den unter-
irdischen gehörten, die mehr das Seelenleben beherrschen. Sie
brauchen sich nur das Beispiel des ägyptischen Osiris vor Augen
zu stellen. Osiris ist jene Gottheit, welche der Mensch findet,
wenn er durch die Pforte des Todes durchgegangen ist. Er ist
der Gott, der in der äußeren Sinneswelt nicht leben kann. In
alten Zeiten nur hat er da gelebt; und als die neuen Zeiten her-
anrückten, da wurde er gleich überwunden von den Mächten
der Sinneswelt, von dem bösen Seth; und seither lebt er in der-
jenigen Welt, die der Mensch betritt nach dem Tode, also in ei-
ner Welt, die man nur finden kann, wenn man sich versenkt in
dasjenige, was am Menschen das Unsterbliche, das Dauernde ist,
das von Inkarnation zu Inkarnation geht; in das, was menschli-
ches Innenleben ist. Daher fühlten die Menschen auch vor-
zugsweise dieses Innenleben mit Osiris verbunden.
Das war der Unterschied in den Charakteranlagen der nördli-
chen und der südlichen Völker. Nur eine Volksgemeinschaft
gab es, die in einer gewissen Weise in der ersten Epoche der
nachatlantischen Zeit nach der großen atlantischen Katastrophe
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beide Anlagen in sich vereinigte. Dieses Volk war besonders da-
zu ausersehen, beide Wege, die in die geistige Welt hineinfüh-
ren, zu gehen und auf beiden Wegen ein Fruchtbares, ein Rich-
tiges für die damalige Zeit zu finden. Während die nordischen
Völker nämlich in die Welt des äußeren Sinnesteppichs bückten
und die südlichen hineinbrüteten in das eigene Innere ihres
Seelenlebens, war eine Volksgemeinschaft da, die sowohl die
Fähigkeit hatte, durchzudringen durch die äußere Sinnenwelt
und hinaufzusteigen in die geistigen Welten dahinter, wie auch
hinein sich zu leben in das eigene Innere, in die tiefsten Unter-
gründe der mystischen Versenkung, und durch den Schleier des
eigenen Seelenlebens die geistigen Welten zu finden. Das war
eine Fähigkeit, die allerdings in der alten atlantischen Zeit, we-
nigstens in deren ersten Epochen, bei allen Menschen vorhan-
den war. Diese Fähigkeit aber, nach außen und nach innen zu
finden, ist mit einem anderen Erlebnis verbunden, mit einem
Erlebnis, das ganz eigenartig dasteht im Menschenleben. Wer
nur die Fähigkeit hat, durch den äußeren Schleier der Sinnen-
welt zu dringen und da die geistige Welt, die oberen Götter, zu
finden, und dann hört, dass irgendwo anders auf der Erde es an-
dere Gottheiten gibt, der versteht die letzteren nicht recht. Wer
aber die beiden Fähigkeiten miteinander verbindet, wer durch
den Schleier der äußeren Sinnenwelt ebenso dringen kann wie
durch den Schleier des eigenen Seelenlebens, der macht zuletzt
eine eminent wichtige Entdeckung, nämlich diese, dass dasjeni-
ge, was wir finden, wenn wir durch den Schleier des Seelenle-
bens dringen, seinem Wesen nach dasselbe ist wie dasjenige,
was wir finden, wenn wir durch den Schleier der äußeren Sin-
nenwelt dringen. Denn es offenbart sich uns eine einheitliche
Geisteswelt, das eine Mal von außen, das andere Mal von innen.
Lernt man die geistige Welt auf beiden Wegen kennen, dann
erkennt man die Einheit derselben. Wer auf dem Wege innerer
Versenkung zu den geistigen Welten vordringt, der findet sie
hinter dem Schleier des Seelenlebens; und wenn er auch noch
die Fähigkeit hat, durch die Entwickelung der übersinnlichen
Kräfte auch durch den Schleier der äußeren Sinneswelt zu drin-
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gen, dann weiß er, dass dasjenige, was er im Inneren gefunden
hat, dasselbe ist wie dasjenige, was er nach außen gehend er-
schaut hat. In dieser Lage, jenes große Erlebnis zu haben von
der Einheit des Geisteslebens, war die alte indische Volksge-
meinschaft, Wenn der übersinnliche Blick des alten Inders sich
nach außen gerichtet hat, dann erblickte er da die die Welter-
scheinungen zusammenhaltenden und gestaltenden äußeren
geistigen Wesenheiten. Wenn er sich in sein Inneres versenkte,
dann fand er durch diese mystische Versenkung in sich selber
sein Brahman; und er wusste, dass dieses, was er hinter dem
Schleier des Seelenlebens fand, dasselbe ist, das mit dem großen
gewaltigen Flügelschlag, der durch den Kosmos ging, auch die
äußere Welt geschaffen und geordnet hat.
Das ist das Mächtige und Gewaltige, was aus diesen alten Zeiten
auf uns wirkt, dass hier etwas aufbewahrt ist, was als uralte Kul-
tur vorhanden war in der alten atlantischen Zeit und was sich
als Rest herein erhalten hat in die nachatlantische Zeit. Die
Entwickelung aber schreitet nicht dadurch vorwärts, dass das
Alte sich umgestaltet oder erhalten bleibt, sondern dass neue
Entwickelungsströme entstehen, die sich dann gegenseitig be-
fruchten. Wenn wir den nördlichen Entwickelungsstrom ver-
folgen, der von der alten Atlantis durch Europa bis nach Asien
hinübergegangen ist, finden wir im alten indischen Volke den
vorgeschobensten Posten, der nach seiner Vereinigung mit an-
deren Elementen die altindische Kultur gebildet hat. Wenn wir
aber etwas weiter nach Norden, wenn wir zum Gebiete der Per-
ser gehen, dann finden wir die urpersische Kultur, diejenige, die
uns in späterer geschichtlicher Zeit als Zarathustrakultur
entgegentritt. Diese Zarathustrakultur zeigt uns bereits, wenn
wir sie mit den Mitteln des übersinnlichen Schauens prüfen, je-
ne Eigentümlichkeit, dass die Menschen mehr nach der Au-
ßenwelt schauten und den Schleier der Außenwelt zu durch-
dringen suchten, um so zur oberen geistigen Welt vorzuschrei-
ten. Aus dieser Eigentümlichkeit des persischen Volkscharakters
werden Sie es begreifen, dass der Zarathustra, der Führer dieser
urpersischen Kultur, zunächst weniger Wert legte auf die innere
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mystische Versenkung, dass er sogar in einem gewissen Gegen-
satze stand zu dieser; dass er aber mehr den Blick lenkte in die
äußere Sinneswelt; zunächst zur Sinnessonne hinauf, um die
Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass hinter der Sin-
nessonne etwas steht wie eine geistige Sonnenwesenheit, dass
hinter ihr steht Ahura Mazdao. Da haben Sie bereits vollständig
ausgeprägt den Weg, den die Eingeweihten der nördlichen Völ-
ker machten. Und gerade in der altpersischen Kultur unter der
Führung des ältesten Zarathustra bildete sich die höchste Form
dieser Anschauung der geistigen Welt nach außen hin. Unvoll-
kommener wurde diese Form des äußeren Anschauens um so
mehr, je weiter die Völker sozusagen zurückgeblieben waren
hinter den alten Persern,4 die bis nach Vorderasien vorgedrun-
gen waren. Es waren hinter den Urpersern andere Völkerschaf-
ten in Asien und Europa zurückgeblieben. Alle diese Völker-
schaften hatten aber die Eigentümlichkeit, dass ihr Blick mehr
nach außen gerichtet war. Alle Eingeweihten dieser Völker-
schaften wählten den Weg, ihre Angehörigen auf die geistige
Welt, die hinter dem Schleier der Sinnenwelt liegt, zu weisen.
Innerhalb Europas haben wir noch, wenn wir mit den Mitteln
der geistigen Forschung prüfen, in jener wunderbaren Kultur,
die sozusagen auf dem Grunde aller anderen europäischen Kul-
turen lag, in der keltischen Kultur, die Überbleibsel alles dessen,
was durch das Zusammenwirken von Volksgemüt und
Eingeweihtenforschung entstanden ist; dasjenige, was zum gro-
ßen Teil heute verloren ist und nur noch für den, der die Wege
kennt, um zu suchen durch Geistesschau, aus der äußeren Sin-
neswelt noch einigermaßen zu enträtseln ist. Alles das, was wir
altkeltisches Element nennen können - wo es uns auch immer
herausleuchtet als der Grundboden der anderen europäischen
Kulturen -, alles das sind Nachklänge noch älterer Kulturen Eu-
ropas, die in einer gewissen Weise zurückgeblieben waren hin-
ter der großen, erhabenen Zarathustrakultur, die aber im Grun-
4 Es sind hier nicht die geschichtlichen Perser gemeint, sondern uralte vorge-
schichtliche Völkerschaften in dem Gebiet, das später das persisch wurde.
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de genommen denselben Weg gingen je nach dem Charakter
der Völker. Die Völker waren in gewisser Weise so verteilt
worden, dass sie je nach der äußeren Ausbreitung in verschie-
dener Weise den Weg zum Geistigen gehen konnten. Je nach
den verschiedenen Orten, auf denen diese Völker wohnten,
gingen sie diesen Weg in einer mehr oder weniger vollkomme-
nen Art. Nun müssen Sie sich klarmachen, dass der Verkehr,
den der Mensch pflegt mit der Außenwelt, sei sie die geistige,
sei sie die sinnliche Außenwelt, für ihn selber eine Wirkung
hat; dass die Erlebnisse nicht etwas sind, was sozusagen wie ein
Weltspiegel da ist, nur damit der Mensch etwas erfährt, son-
dern, was in solcher Art geschieht, ist dazu da, dass der Mensch
in einer ganz bestimmten Weise in seiner Entwickelung vor-
wärtskommt. Was ist denn eigentlich der Mensch einer gewis-
sen Zeit? Er ist dasjenige, wozu ihn die Weltenkräfte, die in sei-
ner Umgebung leben, organisieren. Wir sind ein Ergebnis des-
sen, was die Weltenkräfte aus uns geformt haben. Je nachdem
diese Weltenkräfte in uns eindringen, werden wir gebildet. Der-
jenige, welcher gesunde Luft einatmet, bildet nicht nur seine
Organe in der entsprechenden Welse aus, sondern auch derjeni-
ge, welcher diese oder jene Art des geistigen Lebens aufnimmt;
bildet seinen geistigen Organismus, und, weil der körperliche
Organismus nur die Wirkung des geistigen ist, auch den körper-
lichen in entsprechender Weise aus. Der Mensch entwickelt
sich fortwährend. Daher werden Sie es begreiflich finden, dass
bei all den Völkerschaften dieser nordischen Strömung, weil
vorzugsweise in sie die Kräfte der Außenwelt einströmten, vor-
zugsweise auch die äußeren körperlichen Eigenschaften zur
Entfaltung kamen, alles das, was den Menschen von außen bil-
den kann. Es wurde durch die äußeren Kräfte das entwickelt,
was man am Menschen auch äußerlich sehen und wirksam
empfinden konnte. Sie finden daher nicht nur die kriegerischen
Eigenschaften bei diesen Völkern ausgebildet, sondern auch ein
immer vollkommener und vollkommener werdendes Instru-
ment, um die Außenwelt zu durchdringen; das Gehirn selbst
wird immer vollkommener unter der Einwirkung der äußeren
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103
Kräfte. Daher sind in den Menschen dieses Völkerstromes die
Keime zum Begreifen der äußeren Welt vorhanden. Nur aus
diesem Völkerstrom konnte das hervorgehen im Geistesleben,
was endlich zur Beherrschung der äußeren Naturkräfte und Na-
turmächte führte. Man möchte sagen, diese Völkermassen leg-
ten den Hauptwert darauf, das äußere Instrument des Men-
schen, dasjenige, was man von ihm nach außen hin sehen kann,
immer vollkommener zu machen, nicht nur physisch, sondern
auch intellektuell, moralisch und ästhetisch. Immer mehr und
mehr wurde vom Geiste hineingegossen in die äußere Körper-
lichkeit. Die physische Körperlichkeit wurde vollkommener
und vollkommener gemacht, so dass die einzelne Seele, wenn
sie von einer Inkarnation zur anderen lebte, bei der nächstfol-
genden Verkörperung in der Regel eine bessere Körperlichkeit,
vor allen Dingen nicht nur im physischen Sinne, sondern auch
im moralischen Sinne finden konnte. Dasjenige also, was den
Menschen nach außen hin vergeistigt, was seinen physischen
Leib vergeistigt, das konnte unter solchen Einflüssen insbeson-
dere zur Entwickelung kommen.
Fragen wir uns jetzt, was insbesondere bei denjenigen Völkern,
welche den anderen Weg einschlugen, zur Entwickelung kom-
men musste, so werden Sie sich sagen: Bei ihnen musste die
Verfeinerung des Seelenlebens zur Entfaltung kommen. Versu-
chen Sie daher aufzusuchen den Begriff des Gewissens in alten
Zeiten bei jenen Völkermassen, die ich Ihnen eben charakteri-
siert habe, die sozusagen die äußere Leiblichkeit vergeistigten.
Sie finden bei ihnen den Begriff des Gewissens nicht. Er taucht
auf bei den Völkern, welche den südlichen Weg gegangen sind.
Bei ihnen tauchen die feineren Erlebnisse der Seele auf; da wird
das innere Seelenleben mit Begriffen und Ideen bereichert, so
dass es sich endlich zu jenem Reichtume entwickeln konnte, der
heute noch so angestaunt wird, zu der alten, geheimnisvollen
hermetischen Wissenschaft der alten Ägypter. Die von allen
Kennern dieser Dinge so sehr verehrte Weisheit der Ägypter
konnte sich nur entwickeln, weil innerhalb dieses Völkerstro-
mes das innere Seelenleben zur Entwickelung kam. All die
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Künste, die Weisheit, welche von innen heraus den Menschen
einentwickelt werden mussten, all die kamen bei dieser Strö-
mung der Menschheitsentwickelung zum Vorschein. So sehen
wir, dass innerhalb dieses Menschenstromes ein geringerer
Wert darauf gelegt wird, die äußere Körperlichkeit zu vergeisti-
gen, dagegen ein um so höherer Wert darauf, die inneren Kräfte
der Seele zu vergeistigen, immer feiner und feiner auszubilden.
Sehen Sie sich einmal die griechische Plastik an! Wenn sie dar-
stellen wollte den durchgeistigten, veredelten physischen Leib,
dann stellte sie den Angehörigen von Völkermassen der nördli-
chen Strömung dar. All die Gestalten des Zeus, der Aphrodite,
der Pallas Athene sind in ihrer äußeren Konfiguration der Ras-
sentypus der nördlichen Völkermassen. Da, wo hingewiesen
werden sollte auf die innere Entwickelung des Seelenlebens,
hatte man das Bedürfnis zu zeigen, dass die Kräfte, die sich ent-
wickeln, unsichtbar in der Seele sich entwickeln; da stellte man
eine solche Figur hin wie den Hermes, den Merkur. Er ist an-
ders gestaltet wie die anderen Götter; er ist so gestaltet wie die
afrikanischen Völker gestaltet sind. Ganz andere Ohren, ande-
ren Haarcharakter, geschlitzte Augen statt der nordischen Au-
gen. Dafür wusste man, dass in diesem Menschheitstypus der
Träger gegeben ist der Wissenschaftlichkeit, der Weisheit, alles
dessen, was auf die Seele des Menschen wirkt. Das verband man
mit dem Begriff des Boten zu der unteren Götterwelt, mit Her-
mes oder Merkur.
Man kann den Unterschied der beiden Völkerströmungen in der
Weise charakterisieren, dass man sagt: die nördliche Völker-
strömung arbeitet darauf hin, einen äußeren Menschen hinzu-
stellen, der in seiner äußeren Leiblichkeit den Geist wie im Ab-
bilde darlebt; der anderen Völkerströmung kam es darauf an, die
unsichtbar sich zeigende Seele, dasjenige also, was nur, wenn
man den Blick nach innen wendet, empfindbar wird, auszuge-
stalten. So schuf die nördliche Völkerströmung das Ebenbild der
Gottheit im Menschen, wie es äußerlich erscheint; es schuf die
südliche Völkerströmung das seelische Ebenbild der Gottheit,
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das unsichtbar im Inneren wirkende und webende Seeleneben-
bild der Gottheit. Getrennt zunächst, wie die männliche und
weibliche Befruchtungssubstanz der Pflanze, entwickeln sich
diese beiden Völkerströmungen; der eine Völkerstrom, soweit
er gehen konnte zur Verinnerlichung, der andere, so weit er ge-
hen konnte zum Ausdruck des Geistigen im Äußeren. Und
dann, als der richtige Zeitpunkt gekommen war, mussten sich
diese beiden Völkerströmungen gegenseitig befruchten. Wir
mögen den einen oder den anderen Völkerstrom in Betracht
ziehen, wir werden überall auch in dem, was uns äußerlich, ge-
schichtlich entgegentritt, dasjenige bestätigt finden, was eben
gesagt worden ist.
So blieben die Götter der südlichen Völkerschaften mehr oder
weniger unsichtbare Götter, denen man sich im eigenen Innern
verband, Götter, vor denen man in gewisser Beziehung Furcht
und Schrecken haben konnte, vor denen man in anderer Bezie-
hung aber wiederum so dastehen konnte, dass man mit einer
gewissen menschlichen Zuversicht zu ihnen emporblickte. Es ist
ja angedeutet worden, dass man diese Götter der Innenwelt
sieht, wie man selbst ist. Ist man selbst moralisch gestaltet,
bringt man moralische Seelenqualitäten der inneren Götterwelt
entgegen, dann zeigen sich diese Götter in einem wahren Bilde;
es fließt ihr Wesen in den Menschen ein; er fühlt sich von ih-
nen innerlich erleuchtet, innerlich verklärt. Ist man selbst un-
moralisch, ist man mit schlechten, unwahren, hässlichen Vor-
stellungen begabt, dann verzerrt sich das Bild dieser Götterwelt,
dann erscheint sie in furchtbaren, dämonischen Gestalten, so
wie das schönste Gesicht verzerrt und karikaturenhaft aussehen
kann, wenn man es in einem Spiegel betrachtet, der wie eine
Gartenkugel ist. Es konnten, wenn sie den im Innern erschauten
Göttern gegenübertraten, die Menschen die Empfindung haben:
Oh, das sind unsere guten Freunde, unsere intimsten geistigen
Genossen, das sind diejenigen, zu denen wir aufblicken, und die
uns die Kräfte hineingießen in das intimste Innere unseres See-
lenlebens; das ist etwas, was im Innersten zu uns gehört. - Und
erleuchtet und gestärkt und verklärt konnte sich der Mensch
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fühlen durch diese göttlichen Wesenheiten. Er konnte aber
auch, wenn er durch seine eigenen Qualitäten hindurch in
Zerrbildern sie erschaute, mit Schaudern und Schrecken auf sie
blicken; sie konnten ihn quälen, verfolgen, in die wüstesten
Ausschreitungen des Lebens hineinjagen, weil sie sich eben im
Zerrbild seiner niederen Leidenschaften zeigten. Daraus können
Sie ermessen, wie man darauf gesehen hat, dass kein Mensch in
unvorbereitetem Zustande gerade diesen Göttern gegenübertrat,
sondern man stellte da, wo man dem Menschen den Zugang zur
geistigen Welt eröffnete, im strengsten Sinne die Anforderung
einer erst vor sich gehenden seelisch-moralischen Vervoll-
kommnung, einer außerordentlich guten Vorbereitung; und
man wurde nicht müde, zu warnen davor, in dem Zustande ei-
ner schwachen Seele den Göttern gegenüberzutreten.
Wenn wir nun diese geistige Welt, die wir auf diesem Wege zu-
nächst bei den Völkern des südlichen Völkerstromes gefunden
sehen, überblicken, wenn wir sie ihrem ganzen Charakter, sozu-
sagen nach ihren Herrschern charakterisieren wollen, dann
nennen wir sie, weil sie diejenige göttlich-geistige Welt ist, wel-
che den Menschen innerlich erleuchtet mit jenem Lichte, das
äußerlich nicht sichtbar werden kann, mit jenem Lichte, das er
sich durch eigene Vervollkommnung erkämpfen muss, die Welt
des Luzifer, die Welt des Lichtträgers. Dieser südliche Völker-
strom fand die Welt des Luzifer auf diesem Wege.
Der andere Völkerstrom, der führte dazu, den äußeren Men-
schen, den Menschen, der da lebt zwischen Geburt und Tod in
sinnlicher Verkörperung, dahin zu bringen, ein möglichst treues
Abbild der Gottheit zu sein in Bezug auf die äußere Gestalt.
Was konnte auf diesem Gebiete das Ideal nur sein der Volks-
entwickelung? Dieses Ideal konnte nur sein, eben ein Höchstes
in dieser Art zu schaffen, konnte nur sein, alles dasjenige zu tun,
was wenigstens einmal auf der Erde einen so vollkommenen,
einen so durchgeistigten äußeren Leib hervorbrachte, dass er
imstande war nicht nur ein Ebenbild der Gottheit zu werden,
sondern dass er aufnehmen konnte diese Gottheit selber. Mit
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anderen Worten: Es musste das Ideal in diesem anderen Völker-
strom dieses sein, eine Menschenindividualität zu veranlassen,
sich so weit zu vervollkommnen, zu vergeistigen, zu veredeln in
Bezug auf alles das, was der Mensch zwischen Geburt und Tod
hat, dass dieser äußere Leib ein edles Gefäß sei zur Aufnahme
des höchsten Geistigen. Und demjenigen, der in der vollkom-
mensten Art hingewiesen hat auf die geistige Welt, die hinter
dem Schleier des Sinnenteppichs steht, Zarathustra,5 dem ging
auch zunächst der große Gedanke auf: Es muss eine äußerliche
Körperlichkeit geschaffen werden durch eine solche moralische,
intellektuelle und spirituelle Kraft, dass diese Körperlichkeit so
vergeistigt ist, wie sie nur vergeistigt sein kann. Weil dem Zara-
thustra dieser Gedanke zuerst aufgegangen ist, deshalb sorgte er
dafür, sich so zu vervollkommnen von Inkarnation zu Inkarna-
tion, dass mit jeder Inkarnation er in einem edleren, moralische-
ren, ästhetischeren, intellektuelleren Leibe wohnte. So sehen
wir die Individualität, die als Zarathustra zuerst auftritt im alten
Persien, an sich so arbeiten, dass sie in immer edleren physi-
schen Leiblichkeiten erscheint, bis sie so weit ist, dass sie diese
Veredlung der physischen Leiblichkeit so weit gebracht hat,
dass in dem Leibe das edle Gefäß gegeben war, das nicht nur
war ein Abbild der göttlich-geistigen Welt, sondern in das sich
hineinsenkte die Gottheit, die man sonst nur hinter dem Schlei-
er der äußeren Sinnenwelt gesehen hat. Dasjenige, worauf der
alte Zarathustra gewiesen hat als die Welt der Sonnengeister,
die hinter der physischen Sonne stehen, worauf er hingewiesen
hat als auf den verborgenen Geist des Guten, den Ahura Maz-
dao, das sollte eine Stätte finden, indem es sich immer mehr und
mehr näherte der Erde, in der es als in einer vollkommenen,
vergeistigten Leiblichkeit wohnen konnte. So erschien der Zara-
thustra in einer seiner Verkörperungen im Leibe des Jesus von 5 Mit «Zarathustra» ist hier natürlich nicht die bekannte geschichtliche Ge-
stalt, sondern ein alter vorgeschichtlicher Vorfahr gemeint. Es „wird dabei
der Gedanke zugrunde gelegt, dass sich die Nachfahren einer großen Indivi-
dualität durch lange Zeiten deren Namen beilegten. So war es nämlich Sitte
in alten Zeiten.
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Nazareth; und der Leib des Jesus von Nazareth war so weit
durchgeistigt, so weit veredelt, dass er in seine äußere Leiblich-
keit hinein diejenige Geistigkeit nehmen konnte, die man sonst
hinter dem Schleier der Sinnenwelt fand. Diese Geistigkeit
konnte sich in diesen Leib hineinergießen.6 Den Menschenleib,
den man gerade in der nördlichen Völkerströmung immer ge-
pflegt hat durch die Richtung des Blickes hinaus in die geistige
Welt, hatte man dazu präpariert, selber zum Träger zu werden
derjenigen Geistigkeit, die sich hinter der äußeren Sinneswelt
verbirgt. So hatte man das große, gewaltige Ereignis vorbereitet,
die geistige Welt, die hinter dem Schleier der Sinneswelt ver-
borgen ist, die man nirgends sehen kann mit dem gewöhnlichen
Auge, die man nur sehen kann mit dem geistigen Auge, diese
Geistigkeit in einem Leibe, in dem Leibe des Jesus von Nazareth
durch drei Jahre auf der Erde zu haben. So bildete sich durch
drei Jahre jene Geistigkeit als das Christus-Prinzip aus in dem
zubereiteten Leib des Jesus von Nazareth.
So war in der nördlichen Völkerströmung nicht nur allein ge-
schaut worden, was hinter der äußeren Sinneswelt stand, son-
dern es war vorbereitet worden die Möglichkeit, dieses Geistige
auch hereinströmen zu lassen in die Erdenwelt, auf dass das, was
man vorher nur hinter der Sonne sah, auch wandeln konnte
durch drei Jahre innerhalb unserer Erdenmenschheit. So war
der Luzifer sozusagen eingezogen in der südlichen Völkerströ-
mung in die Menschheit, so war der Christus eingezogen in der
nördlichen Völkerströmung, beide in Gemäßheit des Charakters
dieser Völkerströmungen. Und wir leben in der Zeit, in welcher
sich diese beiden Völkerströmungen miteinander verbinden
müssen, wie die männlichen und weiblichen Befruchtungssub-
stanzen sich gegenseitig durchdringen müssen. Wir leben in der
Zeit, wo der Christus, der von außen hereingezogen ist als eine
6 Man wird hieraus ersehen, wie es eine törichte Entstellung ist, wenn gesagt
wird, der Sprecher des obigen Vortrags habe jemals den Christus mit dem
Zarathustra identifiziert. Er hat dies ebenso wenig getan, wie er ihn mit Bud-
dha für eins erklärt hat.
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objektive Wesenheit in den veredelten Körper des Jesus von Na-
zareth, verstanden werden muss dadurch, dass die Seele in sich
selbst sich immer mehr und mehr versenkt und sich vereinigt
mit der Welt des Geistigen, die im Innern gefunden werden
kann, mit der Welt, die aus Luzifers Reich stammt. So wird die
Befruchtung dieser beiden Völkerströmungen nach und nach
geschehen. Sie hat bereits begonnen; sie hat begonnen in dem-
jenigen Augenblicke, der uns dadurch angedeutet wird, dass uns
gesagt wird, wie das Opferblut des Christus, das vom Kreuze
floss, aufgesammelt wurde in der heiligen Schale des Gral; wie
diese heilige Schale des Gral herübergebracht wurde nach dem
Westen, vom Osten her, wo man sich vorbereitet hatte zu ver-
stehen die Christus-Tat dadurch, dass man in einer ganz be-
stimmten Weise das Licht des Luzifer gepflegt hat. Und so wird
immer mehr und mehr fortschreitend die Vereinigung dieser
beiden Strömungen, die in der Menschheit selbst gegeben sind,
vor sich gehen. Was auch die Menschen der Gegenwart machen
wollen, es wird sich in der Zukunft zum Heile der Menschheit
erfüllen, dass innerhalb der Kultur, in der zusammenfließen die
eine und die andere Strömung, das große, die Welt- und
Menschheitsentwickelung lenkende Christus-Wesen verstanden
werden wird durch das Licht, das die Seele von innen empfängt
aus dem Reiche des Luzifer*. Christus wird die Substanz, Luzifer
wird die Form geben. Und aus dem, was die beiden miteinander
werden, werden die Einschläge kommen, die sich in die
Menschheits-Geistesentwickelung hineinsenken und alles das
herbeiführen werden, was zum Heil und zum Segen der
Menschheit die Zukunft bringen wird.
Man wird - nach bisherigen Erfahrungen kann dies gesagt wer-
den - aus der obigen Stelle das Mißurteil prägen: ich sehe in der
menschlichen Seele eine Verbindung des Christus mit Luzifer.
Wenn man dabei unterschieben wird, was man sich selbst unter
Luzifer vorstellt, so wird dieses Mißurteil eine Verlogenheit
darstellen. Nur, wenn man auf die Luziferkraft, die im Sinne
dieser Vorträge von mir selbst gemeint ist, sich bezieht, wird
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man das Richtige treffen, damit aber auch keinen Anlass zur
Verdächtigung haben.
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SECHSTER VORTRAG
MÜNCHEN, 28. AUGUST 1909
Von zwei Geistesströmungen, getragen von verschiedenen Völ-
kern, die sich von der alten Atlantis nach dem Osten bewegt
haben, ist gestern gesprochen worden. Wie sie sich in verschie-
denartiger Weise entwickelt und dadurch sich vorbereitet ha-
ben, das hervorzubringen, was dann in späteren Zeiten gesche-
hen sollte; wie insbesondere bei dem südlichen Völkerzuge die
Vertiefung stattfand nach jener geistigen Welt, die hinter der
Seelenwelt des Menschen liegt; wie bei der anderen Geistes-
strömung der Blick hinausgerichtet wurde in die Umgebung des
Menschen auf der Erde, um die hinter dem Teppich der Sin-
nenwelt verborgene geistige Welt zu erkennen. Es ist davon ge-
sprochen worden, wie sich bei dem südlichen Völkerzuge gera-
de jene Eigenschaften ausgebildet haben, die hinaufführten zu
jenen geistigen Wesenheiten, die dem luziferischen Prinzipe
angehören; wie dann von der anderen Seite, man könnte sagen
die königliche, regierende geistige Wesenheit, die hinter der
Sonnenwelt stand, sich immer mehr und mehr der Erde näher-
te, um endlich in einem physischen Leibe verkörpert aufzutre-
ten als eine Individualität, die durch Inkarnationen hindurch
diesen physischen Leib so vergeistigt hatte, dass das Göttliche
nicht nur darinnen ein Ebenbild hatte, sondern sich selbst darin
verkörpern konnte. Das war das große Ereignis, das man nen-
nen kann die Verkörperung des Christus, des Sonnengeistes, in
dem Leibe des Jesus von Nazareth, der sich entwickelt hat in der
charakterisierten nördlichen Völkerströmung. Aufmerksam ist
ferner darauf gemacht worden, dass, während diese zwei Völ-
kerströmungen sich förmlich gegeneinander bewegten, um sich
dann aber gegenseitig zu befruchten, in der ersten Zeit nach der
großen atlantischen Katastrophe im Süden von Asien das indi-
sche Volk erstand, welches in gewisser Weise darstellt die Men-
schenseele, die sowohl hinausblicken kann in die äußere sinnli-
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che Welt, wie auch hineinschauen in sich selbst, um das Geisti-
ge zu finden, die von vornherein die Einheit empfand des Geis-
tes draußen in der Welt und des Geistes drinnen im Menschen.
Will man noch genauer charakterisieren, wie sich diese ver-
schiedenen Anschauungen und Empfindungen zueinander ver-
hielten, sowohl der Völker wie der Eingeweihten, so kann man
das durch folgendes tun.
Man kann sich vergegenwärtigen, wie die uralt-indische Seele
empfand, wenn sie hinausblickte in die Sinnen weit der Erde, in
das, was auf der Erde ist an Bergen, an Wäldern, an Pflanzen-
teppich, an Tier- und Menschenwelt und so weiter. Blickte da
die Seele des alten Inders hinaus, sie, die in so hohem Grade
noch geistig schauend war, so blickte sie durch alles das durch
auf eine geistige Welt, deren Wesenheiten ihr erschienen wie
Äthergestalten, die nicht bis zur Verdichtung des physischen
Lebens herunterstiegen. Draußen, wo man die Berge, die Bäu-
me, die Sterne sah, da waren nicht nur die dichten Elemente,
sondern auch das feinere Ätherische, und man sah das alles ge-
staltet zu der äußeren Götterwelt. Man soll sich natürlich nicht
vorstellen, dass diese Geister etwa nur aus Äther bestanden,
sondern wie der Mensch seinen physischen Leib hat und darin-
nen das Äther-, das Astral- und das Ich-Prinzip, so hatten diese
Geister nach unten nicht den physischen Leib als den dichtes-
ten, sondern sie hatten den Ätherleib als unterstes Glied und die
anderen höheren Prinzipien nach den höheren Welten hinauf.
In diese Welt hinein schaute also die indische Seele. Wie emp-
fand sie, wenn sie so hineinschaute? Wie lud sich auf die Seele
ab die Grundempfindung gegenüber all dieser Welt? Diese Emp-
findung kann man in der folgenden Art charakterisieren. Der
Inder empfand: Ich stehe hier auf der Erde; ich als Mensch habe
mich entwickelt durch lange, lange Zeiträume hindurch von
dem ersten menschlichen Wesenskeim des alten Saturn bis her-
ein zur Erdenzeit. Ich musste in die dichte physische Materie
heruntersteigen, um innerhalb dieser mir das Selbstbewusstsein
zu erobern. Indem ich zu mir selber spreche, spreche ich von
mir als einer Ich-Wesenheit. Ich war ein Genosse all der geisti-
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gen Wesenheiten, die da um mich herum sichtbar sind für den
schauenden Blick von der ätherischen Welt aufwärts. Aus de-
nen bin ich herausgewachsen nach unten und habe mich ent-
sprechend verdichtet. Es finden sich alle, alle Vollkommenhei-
ten der Menschen in diesen Welten, in die ich dahineinblicke;
und nicht nur die, welche die Menschen haben; es finden sich
dort auch Vollkommenheiten und Eigenschaften, welche die
Menschen sich erst erringen müssen. Aber eines kann keine
Wesenheit sich erringen, die nicht heruntersteigt zum physi-
schen Plan. Es gibt ja noch andere hohe Vollkommenheiten im
Weltenall, als die Erinnerung gerade eines menschlichen Be-
wusstseins; es gibt andere Arten des Bewusstseins. Um aber jene
Eigenartigkeit des Bewusstseins zu entwickeln, die der Mensch
auf der Erde entwickelt, dazu muss ein Wesen auf diese Erde
heruntersteigen und durch eine Anzahl von Inkarnationen in
dichter Materie verkörpert werden. Mögen daher, so sagte sich
das indische Bewusstsein, diese geistigen Wesenheiten, in deren
Welt ich hineinschaue, unendlich höhere Vollkommenheiten
haben als die Menschen, die auf der Erde stehen: eines haben sie
nicht in ihrer Welt, denn dazu war die Erdenwelt da, um es ei-
ner Wesensart, dem Menschen, zu geben; eines haben sie nicht:
das menschliche Ich-Bewusstsein. So zu sich «Ich» zu sagen, wie
es der Mensch tut, das ist nicht heimisch in diesen Welten, in
die ich da hineinsehe. Ich bin selbst aus dieser Welt heraus; es
lebt alles, was in dieser geistigen Welt da draußen lebt, auch in
mir, nur summiert es sich in mir zu meinem menschlichen Ich-
Bewusstsein. Daher hat es keinen Sinn, zu sagen: Da draußen in
der geistigen Welt sei ein menschliches Ich-Bewusstsein. Das
Wort Ich im menschlichen Sinne anzuwenden auf das, was da
in diesen Welten ist, das hat keine Bedeutung, keinen Inhalt. Es
kann nur ein Wort, welches ausschließt dieses Ich, angewendet
werden auf all das, was sich geistig ausbreitet in der Umwelt, ein
Wort, das von diesem Ich nicht berührt wird, welches man so
gebraucht, dass man sagen kann: In dieser Welt ist alles, was in
mir ist, aber ich darf das, was da draußen ist, nicht mit meinem
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Ich bezeichnen; ich muss es mit einem Wort bezeichnen, wel-
ches das Ich ausschließt.
Und das indische Bewusstsein nannte das, was da draußen sich
ausbreitet, das «Tat», das «Das», im Gegensatz zum «Ich». Und
um auszudrücken, dass der Mensch von derselben Wesensart ist,
wie dieses «Tat», wie dieses «Jenes», wie dieses «Es» - dass er nur
durch sein Heruntersteigen auf die Erde sich bis zum Ich entwi-
ckelt hat -, sprach er dieses Urteil aus: Ich bin dieses «Tat» - Du
bist es [Tat twam asi]. Das da draußen, das bist du selbst. - So
hat der Mensch seine Beziehung zur geistigen Umwelt, zu dieser
schauenden Durchdringung unserer Welt im höchsten Sinne
zusammengefasst in die Worte: Es ist, aber das da draußen, das
bist du selbst.
Aber es wusste diese alte indische Seele zu gleicher Zeit, dass
dieselbe „Wesenheit, die sich draußen ausbreitet, und die sie als
«Tat» bezeichnete, auffindbar ist, wenn man in das eigene Inne-
re hineinschaut, dass sie nur das eine Mal von außen, das andere
Mal durch das Innere erscheint. Steige ich also in meine Seele
hinunter, so finde ich dieselbe ursprungsgeistige Wesenheit, die
ich draußen als «Tat» bezeichne. Dann aber stelle ich mich zu
dem, was da drinnen in mir lebt als mein Urgrund, der ver-
schleiert wird durch das physische Seelenleben, in richtige Be-
ziehung, wenn ich das Urteil jetzt anders ausspreche, wenn ich
sage statt: Das bist du selbst - Ich bin Brahman, Ich bin das All
[Aham brahma asmi]. - Und die beiden Urteile: Das Es bin Ich
und Ich bin das All, sagten im Grunde genommen, wenn man.
sie zusammenstellte: Schaue ich hinaus in die Welt des «Tat», so
finde ich eine geistige Welt; tauche ich unter in mein eigenes
Seelenerlebnis, so finde ich eine geistige Welt; und die beiden
sind eins. - Das war die Grundempfindung in der ersten Epoche
der nachatlantischen Geisteskultur. Ganz einheitlich empfand
man die beiden Geisteswelten.
Dieses ist das eine; das andere aber entwickelte sich an einem
anderen Orte. Im alten Indien bildeten sich auf der einen Seite
die Empfindungen von der Einheitlichkeit des Äußeren und des
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Inneren in der Grundstimmung der Seele; und man muss ver-
muten, dass das andere Extrem darin bestehen wird, dass sich
der Blick nach außen wendet, dass er durchblickt durch den
Teppich der Sinnenwelt, hinblickt auf das, was als geistige Welt
dahinter verborgen liegt. Und so ist es wirklich bei dem Men-
schen eines anderen Volkes. Der sieht die äußere geistige Welt;
er ist aber so veranlagt, dass er nicht von vornherein feststellen
kann, dass diese äußere geistige Welt dieselbe ist wie die innere.
Daher wird es nicht verwunderlich sein, wenn religiöse An-
schauungen, philosophische Gedanken auftauchen, welche sich
inbrünstig hinaufwenden zu den Göttern und Geistern jenseits
der Sinnenwelt; wenn dem Volke mythische oder andere Be-
zeichnungen gegeben werden für solche göttlich-geistigen We-
senheiten, die da draußen sind hinter dem Teppich der Sinnen-
welt; wenn dann in den entsprechenden Mysterien die Zöglinge
hineingeführt werden in jene geistige Welt selbst, die hinter der
Sinnenwelt ist. Und verwunderlich wird es auch nicht sein,
wenn neben solchen Mysterien und solchen Volksgöttern etwas
anderes noch da ist, wenn zu gleicher Zeit Mysterien da sind,
welche die Menschen den Weg führen durch das innere Seelen-
leben, den Weg zu den Untergründen dieses inneren Seelenle-
bens. Und man findet in der Tat ein Kulturgebiet in der nachat-
lantischen Zeit, wo diese zwei Arten von Mysterien nebenei-
nander bestehen, wo auf der einen Seite der sogenannte apolli-
nische Glaubenskreis und die apollinischen Mysterien und auf
der anderen Seite der dionysische Glaubenskreis und die diony-
sischen Mysterien ausgebildet werden. Man findet diese Zwei-
teilung im alten Griechenland.
Da ist auf der einen Seite der Weg, der gewiesen wird, sowohl
dem Volke wie den Eingeweihten, hinaus in die geistige Welt,
zu dem, was hinter den Sinnen steht, zu dem, was zusammenge-
fasst wird zur geistigen Welt, die hinter der Sonne steht. So weit
sie der Grieche erkennen kann, soweit bezeichnet er sie mit
dem Namen der apollinischen Wesenheiten. Apollo, der Son-
nengott, war der Repräsentant dieser göttlich-geistigen Wesen-
heiten, die hinter dem Teppich der Sinnenwelt stehen. Dann
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gab es eine Art von Mysterien, die den Weg wiesen durch das
Seelenleben hindurch in die geistigen Grundtiefen dieses See-
lenlebens, von denen gestern schon gesagt worden ist, dass sie
der Mensch nur betreten soll bei sorgfältiger Vorbereitung und
Reife. Daher war diese zweite Mysterienart mehr geschützt ge-
gen Unreife als die apollinische. Und für die weiteren Volks-
kreise hatte man den apollinischen Götterkreis, während man
die geistigen Wesenheiten, die auffindbar waren auf dem Wege
durch das Innere, geradezu vorbehielt für diejenigen, die sich
erst reif machten durch besondere intellektuelle und moralische
Schulung ihres inneren Lebens. Diese zweite Art von Glaubens-
kreis und Mysterien fasste man zusammen unter dem Namen
der dionysischen Mysterien, und die Wesenheit, die in der Mit-
te steht von alledem, ist Dionysos. Kein Wunder daher, dass
man in Dionysos, dem in der Mitte dieses inneren Götterkreises
stehenden Geiste, eine Wesenheit fand, welche der menschli-
chen Seele nahestand, die sozusagen etwas wie ein Mensch war,
aber als ein Mensch empfunden wurde, der nicht heraufsteigt
bis zur physischen Welt, sondern den man fand, wenn man von
der physischen Welt nach abwärts stieg zu den Grundlagen des
Seelenlebens. Hier hat man die eigentlichen tieferen Ursachen
für die Zweiteilung des griechischen Geisteslebens in ein apolli-
nisches und ein dionysisches. In der neueren Zeit trat an man-
cherlei Stellen die Ahnung davon auf, dass es so etwas in Grie-
chenland gegeben hat. In den Kreisen um Richard Wagner ahn-
te man, dass es so etwas gegeben hat, wenn auch kein deutliches
Bewusstsein davon da war, wo die geistigen Untergründe der
Sache sind. Und Friedrich Nietzsche hat dann aus dem Kreise
Wagners heraus sein erstes merkwürdiges, geniales Werk «Die
Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik» geradezu be-
gründet auf dieser Zweiteilung des griechischen Geisteslebens
in ein apollinisches und in ein dionysisches. Das alles waren
Ahnungen von dem, was immer mehr und mehr erkannt wer-
den kann durch geistige Vertiefung. Es ist an vielen Stellen heu-
te wie das Lechzen des modernen Geistes nach solcher Vertie-
fung. Man hat überall die Ahnung: diese Vertiefung wird allein
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die Antwort geben auf das, wonach die Menschen so sehr lech-
zen. So sehen wir also, wie im alten Griechenland diese zwei
sozusagen göttlich-geistigen Welten nebeneinander stehen. Da
traten sie also in ihrem Nebeneinander auf. Im alten Indien tra-
ten sie in ihrem Miteinander, in ihrem gegenseitigen
Durchdrungensein auf.
Und nunmehr blicken wir auf die Entwickelung selber. Wir sag-
ten schon gestern, dass nur aus dem vorgeschobensten Posten
der nördlichen Völkerströmung, aus der uraltpersischen
Zarathustrakultur das Ideal hervorgehen konnte, einen Leib zu
schaffen, in welchem sich die Wesenheit, die sich von außen
herein der Menschheit und der Erde näherte, verkörpern konn-
te. Und der Zarathustra sorgt selbst dafür, dass er durch Inkar-
nation und Inkarnation durchging, um wiedergeboren zu wer-
den in einem Leibe, der so durchgeistigt ist, dass er später den
hohen Sonnengott in der vollen Form, in der Christus-Form in
sich aufnehmen konnte. Zarathustra wurde ja als Jesus von Na-
zareth wiedergeboren, und er machte sich durch seine verschie-
denen Inkarnationen reif, durch drei Jahre der Träger des Son-
nengeistes zu sein. Wie also verhält sich nun etwa Apollo zu
dem Christus? Diese Frage muss Ihnen ja sozusagen auf der See-
le liegen. Wenn der Grieche den Namen Apollo aussprach, so
wies er allerdings hin auf das Reich des Geistigen, das hinter der
Sonne steht. Aber man macht einen gewissen Unterschied in
der Auffassung einer Wesenheit oder Sache, je nachdem man
dazu befähigt ist. Derjenige, der sich ein reicheres Leben in der
Seele anerzogen hat, der ist auch fähig, die Dinge, die der andere
auch sieht, in einer wahreren Gestalt zu sehen, so dass wir zu
sagen haben, dass, wenn der Grieche das Wort Apollo aus-
sprach, er zwar hinwies auf das Wesen, das sich später als Chris-
tus offenbaren sollte, dass er aber deshalb dieses Wesen doch
nur in einer Art verschleierter Gestalt als Apollo empfunden
hat. Es ist wie ein Kleid des Christus, das in seinen Formen ähn-
lich ist dem Wesen, das darinnensteckt, wenn wir Apollo und
Christus sagen. Es musste gleichsam erst Hülle um Hülle fallen
von der Gestalt, die man sich als Apollo vor die Seele stellte, um
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den Christus für die Menschen begreiflich und anschaulich zu
machen. So ist der Apollo zwar eine Hindeutung auf den Chris-
tus, aber er ist nicht der Christus selbst.
Was ist denn nun in einer gewissen Beziehung die eigentliche
grundwesentlichste Eigenschaft des Christus für unseren Entwi-
ckelungszyklus? Wenn wir uns all die göttlich-geistigen We-
senheiten, die geistigen Entitäten anschauen, zu denen hinauf-
geblickt haben als zu den oberen Göttern, die hinter dem Tep-
pich der Sinnenwelt sind, die alten Menschen, die sie gesehen
haben als die Herrscher und Gebieter der Weltengebiete und
Weltenverrichtungen, so müssen wir von allen diesen Wesen-
heiten sagen: Es ist ihre Eigentümlichkeit, dass sie nicht herein-
dringen in Wahrheit bis zur physischen Welt; sie werden erst
sichtbar dem schauenden Bewusstsein, das über die physische
Welt hinausgeht, bis zum Sehen des Ätherischen. Dann wurde
der Zeus, der Apollo, der Mars, alle diese Wesenheiten, die ja
Wirklichkeiten sind, Wodan, Odin und Thor und so weiter
sichtbar. Wir könnten aber auch sagen: Diese geistigen Wesen-
heiten, sie hatten nicht die Eigentümlichkeit herunterzusteigen
bis zur physischen Welt, höchstens dass sie sich vorübergehend
in irgendeiner physischen Verkörperung zeigten, was geistvoll
in den Mythen angedeutet ist von augenblicklichen Vermensch-
lichungen oder sonstigen Gestalten des Zeus oder anderer, die
herunterstiegen zu den Menschen, um dieses oder jenes zu ver-
richten.
Von einer dauernden physischen Verkörperung dieser geistigen
Wesenheiten, die hinter der Sinneswelt stehen, dürfen wir aber
nicht sprechen. Wir können also sagen: Apollo ist eine solche
Gestalt, die nicht fähig ist, bis zur physischen Verkörperung
herunterzusteigen. Dazu gehört mehr Macht, als sie Apollo hat-
te, dazu gehörte eben die Christus-Kraft. Der Christus hatte die
Eigenschaften all der anderen Wesenheiten in der Welt drau-
ßen, alle die Eigenschaften, die sichtbar waren für das schauen-
de Bewusstsein, und er hatte dazu noch die eine, zu durchbre-
chen jene Grenze, welche die Götterwelt von der Menschen-
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welt trennt, und hereinzusteigen in einen menschlichen Leib,
Mensch zu werden in einem physischen Menschenleib, der da-
zu auf der Erde vorbereitet worden war. Diese Gabe hatte in der
göttlich-geistigen Welt nur der Christus. Damit also war eine
Wesenheit, wohlgemerkt eine Wesenheit der göttlich-geistigen
Welt heruntergestiegen bis dahin, wo Wohnung genommen
wird in einem menschlichen Leib innerhalb der Sinneswelt, wo
als Mensch gelebt wird unter anderen Menschen. Das ist das
große, gewaltige Christus-Ereignis. So müssen wir es auffassen.
Während also alle Götter und Geister nur für das schauende
Bewusstsein gefunden werden können über der physischen
Welt, wird der Christus gefunden innerhalb dieser physischen
Welt, trotzdem er von gleicher Art und Wesenheit ist wie die
göttlich-geistigen Wesenheiten. Im Äußeren sind also nur auf-
findbar die anderen Götter; er ist der Eine, der zugleich im
menschlichen Innern auflebt, der sozusagen die äußeren Göt-
terwelten verlässt und einkehrt in das menschliche Innere. Da-
mit war etwas sehr Bedeutsames geschehen in der Welt- und
Menschheitsentwickelung. Hatte man einen Gott im Innern ge-
sucht, da hatte man früher heruntersteigen müssen zu den un-
terirdischen Göttern, die hinter dem Schleier der Seelenerleb-
nisse verborgen sind; in dem Christus hat man einen solchen
Gott, der im Äußeren gefunden werden kann und im Innern.
Das ist das Wesentliche, was im vierten Zeitraum der nachatlan-
tischen Zeit nach dem indischen, nach dem persischen und dem
ägyptischen Zeitraum eingetreten ist. Was mehr im Abstrakten
im alten Indien gedacht, geschaut worden ist, dass die göttlich-
geistige Welt eine einheitliche ist, dass das «Tat» und Brahman,
die von zwei Seiten der Seele ausströmen, eine Einheit sind, das
wurde lebendiges Leben durch das Christus-Ereignis. Vorher
konnte man sich sagen: Das Göttliche, das man auf dem Wege
nach außen findet, und das Göttliche, das man auf dem Wege
nach innen findet, sind eines. Jetzt konnte man sich sagen: Man
steige nur herunter in das menschliche Innere. Wenn man an
Christus teilhaftig ist, so findet man ein Wesen, das Apollo und
Dionysos in einer Wesenheit ist.
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Nun entsteht aber eine andere Frage. Wir haben gesehen, dass
die geistigen Wesenheiten, die in der Außenwelt sind als gött-
lich-geistige, gleichsam vertreten werden für den Menschen
durch die mächtigste ihrer Wesenheiten, durch den Christus,
der als äußeres Wesen zugleich ein inneres Wesen wird. Wie ist
es denn mit den anderen Wesenheiten, die wir gestern in einer
gewissen Beziehung als luziferische Wesenheiten bezeichnet
haben? Könnte man etwa auch sagen, dass die Wesenheiten, die
also unter der Führung des Dionysos standen, sich ebenso in das
menschliche Seelenleben hinein entwickeln, und etwa von der
anderen Seite her sich irgendein Dionysos, eine luziferische
Wesenheit, als Mensch verkörpert hat? Kann man dasselbe sa-
gen? Nein, das kann man nicht sagen. Das ist eben die Erfahrung
der geistigen Entwickelung, dass man von dieser Welt nicht das-
selbe sagen kann. Und hier kommen wir an etwas, was ganz
kernhaft und wesentlich mit aller Menschheits- und Welten-
entwickelung zusammenhängt. Gingen wir in sehr, sehr alte
Zeiten der Menschheits- und Weltenentwickelung zurück,
dann fänden wir, dass die Seele nach außen blickt und dass sie
die göttlich-geistige Welt draußen sieht; dass sie nach innen
blickt und die göttlich-geistige Welt drinnen sieht; dass die See-
le die apollinische Welt draußen, die dionysische Welt im eige-
nen Innern findet, mit griechischen Ausdrücken gesagt. Wenn
man dann vorschreitet in der Menschheits- und Weltenentwi-
ckelung, dann sieht man ein anderes Resultat. Für die allerältes-
ten Zeiten, wo der weitaus überwiegende Teil der Menschen
schauend war, war die Sache so, wie ich es eben dargestellt ha-
be. Draußen sah man die oberen, drinnen die unteren Götter;
und man hatte diese zwei Wege hinein in die geistige Welt.
Wenn wir spätere Zeiten in Frage ziehen, dann haben wir eine
Menschheit vor uns, die in Bezug auf die schauenden Fähigkei-
ten schwächer geworden ist. Die Menschen haben immer mehr
und mehr das ursprüngliche, alte, dumpfe, dämmerhafte Schau-
en verloren. Aber nehmen wir eine Zeit, in welcher wenig
Menschen noch ein natürliches Schauen hatten. Diese Men-
schen - wir brauchen da gar nicht weit zurückgehen, wir finden
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in der chaldäisch-ägyptischen Welt auch solche Menschen - sa-
hen, wenn sie durch den Teppich der Sinnenwelt durchdran-
gen, die oberen Götter, und wenn sie in ihr eigenes Inneres
hinabstiegen, die unteren Götter. Deutlicher und gewaltiger
hatten diese Eindrücke diejenigen, die in einem gewissen Grad
eingeweiht waren. Zu erwähnen ist, dass es zu allen Zeiten auch
solche Eingeweihte gab, welche voll die Einheit der beiden
Welten erkannten. Das sind aber die Spitzen der Menschheit.
Es gab also, sagen wir Jahrhunderte vor der Erscheinung des
Christus auf der Erde Menschen, die noch das alte Schauen sich
bewahrt hatten, und Eingeweihte, die auf dem einen Weg ge-
hen und die oberen Götter finden konnten, und andere, die auf
dem anderen Weg gehen und so die unteren Götter finden
konnten. Dann aber kam eine Zeit, in welcher die Welt, die wir
die der unteren Götter nennen konnten, immer mehr und mehr
sich von dem Menschenleben zurückzog, in der sie selbst für
einen im geringen Grade Eingeweihten schwer zu erreichen
war - eine Zeit, in welcher aber verhältnismäßig leicht zu errei-
chen war bei geringem Grade von Einweihung dasjenige, was
man die oberen, die hinter der äußeren Sinnenwelt liegenden
Götter nennt. Nehmen Sie zum Beispiel einen in der alten jü-
disch-hebräischen Welt Eingeweihten. Gerade in dieser Welt
Eingeweihte, die konnten, wenn sie nicht in besonders hohem
Grade eingeweiht waren, die Erfahrung machen, dass sie bei ih-
rem geringen Schauen hineinsahen in die Welt, in der ihnen
Jahve nicht bloß ein Begriff, eine Vorstellung war, sondern eine
ätherische Wirklichkeit, eine Wesenheit, die wie ein Mensch zu
ihnen sprach für den schauenden Blick. Während also für das
Volk Jahve eine Verkündigung war, etwas, wovon man nur sag-
te, dass es da ist, war er für den Eingeweihten eine Wirklichkeit.
Dagegen wäre es für einen solchen in der alten hebräischen
Welt Eingeweihten schwieriger geworden, dann etwas zu fin-
den, wenn er in das eigene Seelenleben hinuntergetaucht wäre,
wenn er das Gebiet der unteren Götter gesucht hätte. Da hätte
er sich sagen müssen: Ja, da dringe ich nicht auf Grund; da finde
ich überall mein seelisches Leben, ich kann nicht durch die
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dichte Kruste meines Seelenlebens zu den unteren Göttern hin-
durch. So also hatten sich die unteren Götter in ein gewisses
unbekanntes Dunkel zurückgezogen. Es war die Zeit des Herab-
kommens des Christus auf die Erde, in welcher sich die luziferi-
schen Geister bis zu einem gewissen Grad in die Dunkelheit zu-
rückgezogen hatten. Und in der äußeren Menschheit konnte
man in diesen Zeiten nur mehr hören: Es gibt Mysterien; dieje-
nigen, welche in die Mysterien eingeweiht werden, die erlangen
die Fähigkeit, durch die Kräfte des Seelenlebens durchzudringen
in die dionysische Welt hinein. - Dunkel ahnte man etwas, was
in den tiefen Geheimnissen der Mysterien von den Menschen
erforscht werden kann. Aber es war eben nur etwas, wovon
man andeutend sprach, wovon die wenigsten in der Zeit der
Erwartung des Christus eine deutliche Vorstellung hatten. Viel
deutlichere Vorstellungen hatten sie von den äußeren Göttern.
Es gab viele Menschen, die noch ein lebendiges Erlebnis von
diesen äußeren Göttern hatten. Nun schreitet aber die Mensch-
heit vorwärts in der Entwickelung. Und welches ist das Ergebnis
dieses Vorwärtsschreitens?
Es wird eine Geschichte geben für die äußere Menschheit, und
es wird in die Zukunft hinein auch eine Geschichte geben für
die Mysterien. Die äußere Menschheit wird ihre Geisteskultur
verwandeln, immer mehr und mehr wird sich der Christus ein-
leben in die äußere Menschheit. Aber auch in den Mysterien
wird man die Natur und Wesenheit des Christus, den man heute
kaum angefangen hat zu verstehen, erkennen. Der Gott also, der
erblickt werden konnte zur Zarathustrazeit, wenn sich der Blick
zur Sonne wendete und schauend wurde, und der herunterstieg
auf die Erde, dieser Gott wird immer intimer und intimer ergrif-
fen werden von der menschlichen Seele. Der Gott, der der Re-
gent der äußeren Welt war, wird immer innerlicher werden.
Der Christus schreitet so durch die Welt, dass er von einem
kosmischen Gotte, der heruntergestiegen ist auf die Erde, ein
mystischer Gott immer mehr und mehr wird, der von den Men-
schen in dem Inneren des Seelenlebens wird erlebt werden
können. Daher konnte man zur Zeit, als Christus herunterstieg,
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das verwirklichen, was dann seine Jünger beschrieben, indem
sie sagten: Wir haben unsere Hände in seine Wunden gelegt,
haben selber sein Wort auf dem Berge gehört.- Man konnte sich
auf etwas Äußeres berufen. Das war das Wesentliche, dass der
Christus äußerlich da war. Man hätte ihn dazumal innerlich
mystisch nicht erleben können; seine Dionysosnatur hätte man
nicht erfassen können; man musste ihn als äußerlichen histori-
schen Christus zunächst erleben. Das aber ist der Fortschritt in
dem Christus-Bewusstsein der Menschheit, dass er immer tiefer
in die Seele hineinsteigt, dass die Menschen immer mehr nach
innen werden sehen können, dass sie immer mehr ihre eigenen
Seelenerlebnisse im Innern mystisch durchleben werden und
immer mehr zu dem äußerlichen Christus den Christus in der
eigenen Seele, den mystischen Christus erleben werden. Man
sehe, wie in dem sogenannten Mystizismus, der auftritt in der
ersten Zeit der christlichen Entwickelung durch Dionysios den
Areopagiten, der ein Freund und Schüler des Paulus war, wie da
der Christus zunächst durch äußere okkulte Fähigkeiten er-
kannt wird. Und alle Beschreibungen dieser ersten christlichen
okkulten Schule sind so gehalten, dass der Christus im wesentli-
chen nach jenen Eigenschaften beschrieben wird, die er entfal-
tet in den äußeren Welten, die durch den nach außen gerichte-
ten instinktiv schauenden Blick erfahren werden konnten. Und
man steige herauf einige Jahrhunderte in der Menschheitsent-
wickelung und sehe, was geworden ist. Man frage bei der mit-
telalterlichen mystischen Entwickelung an, bei jenem tief inne-
ren Erleben eines Meister Eckart, eines Johannes Tauler und so
weiter bis herauf zu unseren neueren Mystikern-da sind Men-
schen, die in ihr eigenes Innere hinunterblicken. Wie man in
alten Zeiten in das Innere hineinblickte, um durch dieses Innere
durchzuschauen und zum Dionysos zu dringen, so dringen die
Neueren hinein, können wie der Meister Eckart sagen: Zwar ist
der historische Christus eine Tatsache, zwar hat er sich entwi-
ckelt in der Geschichte, aber es gibt die Möglichkeit, in das ei-
gene Innere zu steigen und da den inneren mystischen Christus
zu finden. So entwickelt sich die menschliche Seele dazu, nicht
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nur in der Außenwelt, sondern im Innern die dionysische Natur
des Christus zu finden, den mystischen Christus. Zuerst war der
historische Christus da, dann haben durch das Werk des histori-
schen Christus sich solche Wirkungen auf die menschliche Seele
herausgebildet, dass ein mystischer Christus innerhalb der
Menschheit möglich geworden ist. So können wir für die neuere
Zeit auch sprechen von einem innerlichen mystischen Christus-
Erleben; aber man muss die Sache so fassen, dass der Christus
ein kosmischer war vor seinem Eintritt in die Erde. Hat man
sich damals in das innere Seelenleben versenkt, dann hat man
nicht den Christus gefunden, sondern den Dionysos. Heute fin-
det man, wenn man in der entsprechenden Weise sich entwi-
ckelt hat, eine innere Christus-Wesenheit. Der Christus ist von
einer außerseelischen Göttlichkeit zu einer innerseelischen
Göttlichkeit geworden, die immer mehr die Menschenseele er-
greifen wird, je mehr diese mit ihren Seelenerlebnissen diesem
Christus sich nähern wird.
Hier haben Sie ein Beispiel, wie ein Umschwung geschieht mit
dem, was als Prinzipien durch die Welt sich entwickelt. Wenn
der heutige Mensch spricht, dass es einen mystischen Christus
in seinem Innern gibt, dann sollte er nicht vergessen, dass alles
in der Welt sich entwickelt hat und dass das mystische Bewusst-
sein kein solches ist, das gleich ist in allen Zeiten, sondern dass
auch das geworden ist. Wenn die alten heiligen Rishis hinaufge-
schaut haben in die geistigen Welten, dann haben sie von Kar-
man gesprochen und haben dabei dieselbe Wesenheit, wie die
späteren, als kosmische im Auge gehabt, die auch Zarathustra
gemeint hat, als er von Ahura Mazdao sprach. Es war die Chris-
tus-Wesenheit. Heute ist sie als mystischer Christus auch im In-
nern zu finden. Dass er es ist, das ist die Tat des Christus selbst
auf der Erde. So verhält sich der kosmische, der astronomische
Christus zum mystischen Christus in Wahrheit. So also wurde
der äußere Gott allmählich ein innerer.
Weil aber alles das, was in der äußeren physischen Welt ge-
schieht, eine Wirkung ist des Geistigen, so stellt sich auch eine
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Wirkung dieser Verchristlichung der Seele für das andere Leben
heraus. Zuerst wird sich diese Wirkung zeigen in den Mysterien
und hat sich zum Teil schon gezeigt seit der Begründung der
abendländischen Mysterienschülen des Rosenkreuzes. Wenn
man durch die Schulung der alten Mysterien in die Seele hinein
sich vertieft hatte und zu den unteren Göttern gestiegen ist, so
hat man Dionysos gefunden, was nur ein anderer Name ist für
die weite Welt der luziferischen Gottheiten. Aber auch das
schauende Bewusstsein, wenn es nicht bis zu den höchsten Gra-
den gestiegen ist, verschwand ins Dunkle, während der Christus
in seiner Glorie der Erde sich näherte; es verschwand das luzife-
rische Wesen. Nur den höchsten Eingeweihten war es noch
möglich, hinunterzusteigen zu den luziferischen Göttern. Den
anderen Menschen musste man sagen: Wenn ihr ungereinigt
und unreif hinuntersteigt, dann erscheinen euch diese luziferi-
schen Wesenheiten nur als wilde Dämonen in ihren Zerrbil-
dern, die euch in euren verwandelten Eigenschaften zu allem
Schlimmen verleiten. Daher alle die schrecklichen Beschrei-
bungen, die von diesem unterirdischen Reiche gegeben werden,
daher die Furcht schon vor dem Namen des Luzifer in einer ge-
wissen Zeit. Und weil sich alles vererbt für die Menschen, die
nicht mit der Entwickelung fortschreiten, lebt diese Furcht
noch heute bei denjenigen, die diese Empfindungen ererbt ha-
ben, die Furcht vor dem Namen Luzifer. Aber die Sache ist so,
dass zuerst für den schauenden Menschen wieder die luziferi-
sche Welt auftaucht, nachdem eine Zeitlang das Christus-
Prinzip die Seele durchchristet hat. Hat der Christus eine Weile
in der Seele gewirkt, dann wird diese Seele dadurch, dass sie von
der Christus-Substanz durchdrungen wird, durch ihre Christia-
nisierung reif, wiederum hineinzudringen in das Reich der luzi-
ferischen Wesenheiten. Zuerst konnten das die Eingeweihten
des Rosenkreuzes. Sie haben sich bemüht, den Christus in sol-
cher Gestalt zu begreifen und zu schauen, dass er als mystischer
Christus auch in ihre Seele eingedrungen ist, dass er in ihnen
lebt, dass sie sozusagen stark sind durch diese Christus-Substanz
in ihrem eigenen Innern, und dass Wehr und Waffe gegen alle
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Anfechtungen diese Christus-Substanz in ihnen ist. So wird die-
se Christus-Substanz in ihnen zu einem neuen Licht, das sie
jetzt innerlich durchleuchtet, zu einem innerlichen astralischen
Licht. Historisches Erleben des Christus in seiner Wahrheit
durchleuchtet unsere Seelenerlebnisse so, dass wir fähig wer-
den, nunmehr wiederum hineinzudringen in das luziferische
Reich. Zuerst konnten das die Eingeweihten des Rosenkreuzes,
und nach und nach werden diese Eingeweihten des Rosenkreu-
zes heraustragen das, was sie erleben können über das luziferi-
sche Prinzip, und werden jene große geistige Ehe über die Welt
ausgießen, die darin besteht, dass der Christus, der sich als Sub-
stanz hineinergossen hat in die menschliche Seele, nunmehr be-
griffen wird mit denjenigen geistigen Fähigkeiten, die heranrei-
fen durch das Einströmen des luziferischen Prinzips in einer
neuen Weise in den Geist der einzelnen Menschen.
Betrachten wir zunächst einen Eingeweihten des Rosenkreuzes.
Ein solcher Eingeweihter, der bereitet sich zunächst dadurch
vor, dass er in seiner Seele Gefühle, Empfindungen, Gedanken
hinlenkt zu der großen Zentralgestalt des Christus, dass er zu-
nächst zum Beispiel das Johannes-Evangelium auf sich wirken
lässt; jene monumentale, ungeheuer bedeutsame Gestalt, die uns
von dem Christus im Johannes-Evangelium geschildert wird, auf
seine Seele wirken lässt und sich dadurch veredelt und läutert.
Denn es wird wirklich alles anders in unserer Seele, wenn diese
hinblickt mit aller Verehrung auf die Gestalt, die das Johannes-
Evangelium schildert. Wenn wir das in uns aufnehmen, was
ausströmt von der Gestalt, die dieses Johannes-Evangelium
schildert, dann wird unsere Seele durchchristet, dann lebt in
uns der mystische Christus auf. Und wenn wir das durch andere
Dokumente der christlichen Erziehung weiter beleben, so wird
immer mehr und mehr unsere Seele durchströmt von der geisti-
gen Substanz des Christus, läutert sich und reinigt sich in der
Verchristianisierung hinauf in höhere Welten. Dadurch wird
vorzugsweise unser Gemüt geläutert und gereinigt. Man lernt
entweder in einer so universellen Weise empfinden den Chris-
tus, wie der Meister Eckart und Tauler es getan haben, oder man
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lernt ihn in einer so zarten Weise erleben wie Suso oder andere;
man fühlt sich eins mit dem, was hereingeströmt ist aus den
großen Himmelswelten durch das Christus-Ereignis auf unsere
Erde. Dann macht man sich dadurch reif, als Eingeweihter des
Rosenkreuzes schauend eingeführt zu werden in jene Welten,
die in den alten Zeiten die dionysischen, die jetzt die luziferi-
schen Welten genannt werden konnten. Was haben diese Ein-
führungen in die luziferischen Welten für den heutigen Einge-
weihten des Rosenkreuzes für eine Wirkung? Wird das Gemüt
warm und von Enthusiasmus erfüllt für das Göttliche, wenn es
verchristet wird, so werden auf der anderen Seite unsere ande-
ren geistigen Fähigkeiten, durch welche wir die Welt verstehen
und begreifen, erfassen und einsehen, durchleuchtet, durch-
strömt und durchkraftet von dem luziferischen Prinzip. So steigt
der Eingeweihte des Rosenkreuzes zu dem luziferischen Prinzi-
pe aufwärts. Indem er das tut, werden durch die Einweihung
seine geistigen Fähigkeiten geschärft, ausgearbeitet, so dass er
den Christus nicht nur mystisch in seiner Seele fühlen kann,
sondern dass er ihn beschreiben kann, dass er erzählen kann,
wie er ist, dass er ihn in Gedankenbilder, in geistige Bilder fas-
sen kann, dass er in ihm nicht nur dunkel gefühlt und erlebt
wird, sondern wie eine Gestalt der äußeren Welt, der äußeren
Sinneswelt in konkreten Konturen vor ihm steht. Den Christus
zu erleben als Seelensubstanz ist möglich dadurch, dass der
Mensch den Blick hinlenkt auf die Christus-Gestalt, wie sie ihm
aus den Evangelien entgegentritt. Den Christus beschreiben,
verstehen, so wie man die anderen Erscheinungen und Erlebnis-
se der Welt versteht, und dadurch erst seine Größe, seine Be-
deutung für die Welt, seine Ursächlichkeit für das Weltgesche-
hen einzusehen, ist nur möglich, wenn der christlich-mystische
Eingeweihte weiter aufsteigt zur Erkenntnis der luziferischen
Reiche. Luzifer gibt uns also innerhalb des Rosenkreuzes die
Fähigkeit den Christus erst zu schildern, zu verstehen.7 Was
7 Man kann sich denken, wie böser Wille oder Unverständnis nach dem ge-
wöhnlichen Gebrauch des Wortes Luzifer (Lichtträger) das Dargestellte ver-
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Jahrhunderte haben tun können, das war, dass sie die Evangeli-
en fortgepflanzt haben, dass sie das Wort, das aus den Evangeli-
en strömt, wiedergegeben haben, dass sie die Herzen sich haben
erwärmen lassen an diesen Evangelien, dass sie die Seelen
durchglüht haben mit Wärme und Enthusiasmus, die von den
Evangelien ausströmen. Heute stehen wir vor einer Mensch-
heitsentwickelung, der es nimmermehr genügen kann, bloß die
Evangelien in der alten Weise überliefert zu erhalten; heute
verlangen die Menschen etwas anderes. Diejenigen, die dieses
andere nicht wollen, die werden das Karma zu tragen haben des
Sichsträubens gegen die Einführung des luziferischen Prinzips
in die Evangelieninterpretation. Möge es noch zahlreiche Men-
schen geben unter uns, die sagen: Ach was, wir wollen die
Evangelien als Christen hinnehmen, wir fühlen uns befriedigt
von ihnen; aus den Evangelien spricht der Christus, aus den
Evangelien spricht er auch dann, wenn wir sie so überliefert er-
halten, wie es durch die Jahrhunderte herauf in der traditionel-
len Religion geschehen ist. Solche Menschen mögen glauben,
dass sie Christen sind, sie mögen in ihrer Art immer wieder und
wieder wiederholen: Bleibt uns mit eurer Geistes-Erkenntnis
fern, wir haben den Christus in den Evangelien, wir wollen
nichts wissen von eurer Arbeit, die ihr auf die Evangelien wen-
det. - Mögen sie es wiederholen, diese Menschen, mögen sie
wähnen, dass sie gute Christen sind; sie sind in Wahrheit Feinde
des Christus, sie sind diejenigen, die aus eigenem Egoismus her-
aus, weil sie sich noch befriedigt erklären können durch alles
das, was in der traditionellen Evangelieninterpretation geboten
wird, hinwegwischen das, was das volle Christentum zur Glorie
in der Zukunft erst bringen wird. Diejenigen, die heute oft
glauben, die besten Christen zu sein, sind die stärksten Ausrot-
ter des wirklichen Christentums. Diejenigen verstehen heute
die Entwickelung des Christentums, welche in ganz anderer
Weise denken, welche aussprechen: Wir wollen nicht Egoisten
leumdet; das kann nicht abhalten von dieser Darstellung. Wer unter Luzifer
versteht, was hier gemeint ist, muss anders sehen.
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sein und wollen sagen: es genügen uns die Evangelien, wir wol-
len nichts wissen von eurem Abstrakten! Es ist gar kein solches
Abstraktes, wie es die Geisteswissenschaft bietet.-Diejenigen
sind die wahren Christen, die da wissen, dass die Menschheit
heute etwas anderes braucht als das Christentum der Egoisten,
die da sagen: Wir wissen, dass die Welt nicht mehr bestehen
kann mit der alten Überlieferung der Evangelien, wir wissen,
dass in der Welt notwendig ist, dass das Licht aus Luzifers Ge-
biet falle auf die Evangelien. - Diese Menschen hören die Leh-
ren, die herausdringen aus den Einweihungsstätten des Rosen-
kreuzes, wo man die geistigen Fähigkeiten geschärft hat durch
das luziferische Prinzip, um immer tiefer in die Evangelien
hineinzudringen. Und für diese Eingeweihten hat sich heraus-
gestellt: In der Tat, die Evangelien haben eine so unendliche
Tiefe, dass man durchaus nicht glauben darf, sie ausschöpfen zu
können mit diesem oder jenem. - Aber heute ist schon die Zeit
gekommen, wo die Rosenkreuzer ihre Lehre hinausströmen las-
sen müssen in die Welt, wo die Mysterien des Rosenkreuzes be-
rufen sind, das, was sie an Schärfung ihrer Geisteskräfte gewon-
nen haben aus der luziferischen Welt heraus, fallen zu lassen
auf die Evangelien. Das ist abendländische Geistes-Erkenntnis,
dass das Licht, welches hinausdringt, gewonnen werden kann
aus Luzifers Gebiet, fallen gelassen werden kann auf die Evange-
lien. Geisteswissenschaft muss ein Instrument werden zur In-
terpretation der Evangelien; und das Große, das Gewaltige und
Substantielle der Evangelien wird sichtbar werden, wenn das
Licht aus Luzifers Reich auf dem Umwege, wie es gewonnen
worden ist durch die Mysterien des Rosenkreuzes, auf diese
Evangelien fällt. So gehört es zur geisteswissenschaftlichen Ar-
beit, einzuführen in die frohen Botschaften von der christlichen
Wesenssubstanz, die durch die Welt geht; das Licht, das gewon-
nen wird aus Luzifers Gebiet auf dem Wege der Einweihung
durch das Rosenkreuz, fallen zu lassen auf die Evangelien. So
sehen wir, dass der Christus, der von einem Gott, der in der
Außenwelt gelebt hat, zum mystischen Christus geworden ist,
durch seine Veredlung der menschlichen Seele diese wieder
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hineingebracht hat in jenes Gebiet, das für eine Weile ver-
schlossen bleiben musste, das man genannt hat das dionysische
in alten Zeiten, und welches wieder erobert wird in den Zeiten,
denen die Menschheit in der Zukunft entgegengeht. Die Erklä-
rung des Christus durch die an Luzifer gesteigerten und erleuch-
teten Geistesfähigkeiten, das ist das Innere, der Wesenskern der
Geistesströmung, die im Abendlande erfließen muss. Und was
ich gesagt habe, ist gegenüber der Zukunft die Sendung des Ro-
senkreuzes.
Was also geschieht eigentlich in unserer Menschheitsentwicke-
lung? Da geschah und geschieht dieses, dass Christus und Luzi-
fer, der eine als kosmischer, der andere als innermenschlicher
Gott, nebeneinander gingen in alten Zeiten, dass man den einen
sozusagen in den oberen Regionen, den anderen in den unteren
Regionen fand, dass dann die Welt weiterschritt und für eine
Zeit ferne von der Erde den Dionysos, den Luzifer wusste; dass
man dafür aber das Erlebnis hatte, dass der kosmische Christus
immer mehr hineindringt in die Erde, immer mehr durchsetzt
die Seele, dass jetzt aber Luzifer wiederum sichtbar, wiederum
erkennbar wird. Die Wege, die diese beiden göttlich-geistigen
Wesenheiten gegangen, sind so: Sie nähern sich von zwei ver-
schiedenen Seiten der Erde; der Luzifer wird unsichtbar, indem
er sich mit dem Christus kreuzt; er wird gleichsam als das ande-
re Licht überstrahlt von dem Christus-Licht. Früher fand man
Christus als kosmische Wesenheit, den Luzifer als innermensch-
liche Wesenheit. Sie durchkreuzten ihren Weg. Der Christus
zieht in die menschliche Seele ein, er wird zum planetarischen
Erdengeiste, er wird immer mehr der mystische Christus in den
Menschenseelen, er wird durch die inneren Erlebnisse vertieft
und erkannt. Die Seele wird dadurch immer fähiger, wiederum
zu schauen die andere Wesenheit, die den umgekehrten Weg
gemacht hat, von dem Inneren in das Äußere hin. Der Luzifer
wird aus einer innermenschlichen Wesenheit, einer rein irdi-
schen Wesenheit, wo er gesucht worden ist in den Mysterien,
die in das Unterreich führten, ein kosmischer Gott. Immer mehr
wird er aufleuchten draußen in der Welt, die wir erblicken,
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wenn wir hindurchsehen durch den Teppich der Sinneswelt.
Umgekehrt wird das Anschauen der Menschen. Hat man Luzi-
fer gesehen hinter dem Schleier der inneren Seelenwelt, hat
man den Christus gesehen, wie der Zarathustra, hinter der äu-
ßeren sinnlichen Welt, so wird man in der Zukunft den Chris-
tus immer mehr und mehr durch Versenkung und Verinnerli-
chung in das eigene Wesen erkennen können. Den Luzifer wird
man finden, wenn man den Blick nach außen richtet in die
kosmische Region.
So haben wir eine völlige Umkehr der menschlichen Erkennt-
nisverhältnisse im Laufe der menschlichen Entwickelung zu
verzeichnen: der Christus ist geworden von einem kosmischen
Gotte zu einem irdischen Gott, der die Seele der Erde ist in der
Zukunft. Der Luzifer ist geworden von einem irdischen Gotte
zu einem kosmischen Gott. Und will der Mensch in der Zukunft
wiederum aufsteigen zu der äußeren geistigen Welt, die hinter
dem Schleier der Sinneswelt verborgen ist, will er nicht bei dem
stehenbleiben, was äußerlich, nur grobstofflich ist, dann muss
er durch die Dinge der Sinneswelt hindurchdringen in die geis-
tige Welt; er muss sich in das Licht tragen lassen durch den
«Licht-Träger». Und keine Fähigkeiten, da einzudringen, wer-
den dem Menschen erstehen, wenn er diese Fähigkeiten nicht
schafft aus den Kräften, die uns zufließen von Luzifers Reich.
Die Menschheit würde in Materialismus versinken, immerfort
in dem Glauben verharren, dass alles nur äußere materielle
Welt ist, wenn sie nicht aufstiege zur Inspiration durch das luzi-
ferische Prinzip. Ist das Christus-Prinzip dazu berufen, unser
Inneres stärker und stärker zu machen, so ist das luziferische
Prinzip dazu berufen, unsere Fähigkeiten, die eindringen sollten
in die Welt in vollem Umfange, zu schärfen, auszubilden. Im-
mer stärker und stärker für das Begreifen und Erkennen der
Welt wird uns Luzifer machen, immer stärker und stärker im
Innern wird uns Christus machen.
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SIEBENTER VORTRAG
MÜNCHEN, 29. AUGUST 1909
Aus dem, was in den beiden letzten Vorträgen hier gesagt wor-
den ist, werden Sie entnehmen, dass es gewisse Tatsachen in der
Entwickelung der Menschheit gibt, die im äußeren Leben kaum
beachtet werden, durch deren Nichtbeachtung aber vieles miss-
verstanden wird, was in den geistigen Grundlagen dieser Entwi-
ckelung sich vollzieht. Sie können ja aus dem Schlüsse des gest-
rigen Vortrages sehen, dass das, was man das mystische Chris-
tus-Erlebnis nennen kann, das Erlebnis, das der Mensch haben
kann, wenn er durch Versenkung in sein Inneres seine Seelen-
erlebnisse durchdringt mit dem, was wir die Christus-Substanz
genannt haben, nicht immer da war, sondern dass es sich entwi-
ckelt hat im Laufe der Zeit. Ja, man kann sehen, dass das histori-
sche Ereignis des Abstieges des Christus notwendig war als eine
Voraussetzung für die Anwesenheit des mystischen Christus in
der Seele, so dass man also nicht sagen darf, dass das mystische
Christus-Erlebnis auch in der vorchristlichen Zeit für menschli-
che Seelen immer möglich gewesen wäre; ein Meister Eckart
oder ähnliche Persönlichkeiten mit ihren inneren mystischen
Erlebnissen sind nur in der christlichen Zeitrechnung möglich,
vorher nicht. Ein abstraktes Denken wird von vornherein das
gar nicht einsehen, nur ein konkretes, geistig-realistisches Den-
ken, das auf die Tatsachen geht. Auch das, was über die Bezie-
hungen der luziferischen Wesenheiten und der Christus-
Wesenheit gesagt worden ist, ist nur verständlich, wenn man
voraussetzt, dass eine zwar für die äußeren Sinne und den äuße-
ren Verstand unwahrnehmbare, aber deshalb nicht minder ra-
dikale Veränderung der ganzen menschlichen Organisation sich
vollzogen hat durch die Jahrtausende vor der Erscheinung des
Christus und durch die Jahrhunderte nach dieser. Die Menschen
haben sich seit der atlantischen Katastrophe wesentlich gewan-
delt. Und wenn im gegenwärtigen Menschheitszyklus alles für
die äußere Lebenserfahrung darauf ankommt, dass der Mensch,
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wenn er in seine Inkarnation eintritt, durch die Instrumente,
die ihm zur Verfügung stehen in den drei Hüllen, im physi-
schen, ätherischen und astralischen Leib, die Welt wahrnimmt,
so hängt es von den Veränderungen ab, welche die Organisation
dieser Hüllen durchmacht, wie er die Welt in den aufeinander-
folgenden Zeitepochen wahrnimmt. Eine absolut wahre An-
schauung für alle Zeiten gibt es nicht. Die Menschen können
die Welt nur anschauen, wie es ihrer Organisation entsprechend
ist.
Nun wollen wir uns einmal die radikalste Veränderung in der
Menschennatur vor die Seele rücken, die sich zugetragen hat
seit der atlantischen Katastrophe, durch die erste große
Menschheitskultur in der nachatlantischen Zeit, durch das alte
Indertum, und durch das Urpersertum hindurch, durch die
chaldäisch-ägyptische, durch die griechisch-lateinische Kultur-
epoche bis in unsere Zeit herein. Sie wissen, dass vor der atlanti-
schen Katastrophe der ganze Zusammenhang der einzelnen
Glieder der Menschennatur ein anderer war als später. Das Zu-
sammenwirken des Ätherleibes und des physischen Leibes war
nicht so vor der großen atlantischen Katastrophe wie nachher.
Der Ätherleib des Kopfes zum Beispiel war gegenüber dem phy-
sischen Kopfe mächtiger ausgebildet und loser mit diesem ver-
bunden. Gerade darin drückt sich die Fortentwickelung aus,
dass der Zusammenhang zwischen dem ätherischen Leib und
dem physischen Leib immer intensiver wird und dass beide ei-
nander immer ähnlicher werden. Nun liegen alle Kräfte zur Or-
ganisation des physischen Leibes, zur Zusammenfügung und
Harmonisierung der Glieder des physischen Leibes im Äther-
leib. Man kann also sagen: In der atlantischen Menschheit war
die Sache so, dass von einem Ätherleib, der ja außerhalb des
physischen Leibes namentlich in Bezug auf den Kopf gelegen
hat, wie von außen hereinwirkten die Kräfte, die den physi-
schen Leib konstruierten. Dann zogen sich diese Kräfte in den
Raum des physischen Leibes hinein und wirken heute mehr im
Innern belebend und erregend. Das aber hat sich erst herausge-
bildet. Ein langsames Hineinschlüpfen des Ätherleibes in den
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physischen Leib hat stattgefunden. - Und will man die alte indi-
sche Kultur verstehen, so muss man sich klar darüber sein, dass
damals die Sache noch anders lag als während der chaldäisch-
ägyptischen Zeit. In den Menschen aber der griechisch-
lateinischen Zeit war schon eine vollständige Durchdringung
des Ätherleibes und physischen Leibes erreicht, so dass für das
schauende Bewusstsein auf keiner Stelle der menschlichen Or-
ganisation der Ätherleib weit hinausgereicht hätte über den
physischen Leib.
Bei den Indern war das noch nicht der Fall. Da würde sich dem
schauenden Blick überall gezeigt haben, wie noch der Ätherleib,
namentlich in Bezug auf den Kopf, herausragte über den physi-
schen Leib. Daher kam es, dass der Angehörige des alten indi-
schen Volkes die Welt anders sah als der Angehörige des ägypti-
schen. Der Angehörige des griechisch-lateinischen Volkes hat
im wesentlichen schon so gesehen wie wir heute, er sah eben
die Welt ausgebreitet als den Sinnenteppich der Farben, Töne,
Formen und so weiter. Fein durchsetzt aber war diese ganze
Welt, die da ausgebreitet ist in den heutigen sinnlichen Wahr-
nehmungen, für den indischen Geist der ältesten Zeit noch von
dem, was man nennen könnte Nebelwolken ätherischer Natur,
die sich aus allen Dingen heraus erheben, wie wenn alle Dinge
brennen würden und ein feiner Nebelrauch aus jeder Form
hervorströmte. Man schaute ein ätherisches Element, das über
alle Dinge gelegt war wie feiner Tau oder Reif. Diese eigentüm-
liche Art des Anschauens war damals die natürliche. Sie kann
sich heute die Menschenseele nur erwerben durch geisteswis-
senschaftliche Übungen. Das ist der Sinn der Fortentwickelung
der Menschheit durch die verschiedenen Kulturepochen, dass
der ätherische Leib immer tiefer und tiefer hineinsteigt in den
physischen Leib. Damit ändert sich das menschliche Anschauen,
da dieses abhängt von der Art, wie der Ätherleib organisiert ist.
Und dies wieder hängt damit zusammen, dass die luziferischen
Wesenheiten von solcher Art, die sich innerirdisch und inner-
seelisch offenbart, aufsteigen zu kosmischen Daseinsstufen, und
dass die Christus-Wesenheit, die vorher eine kosmische ist und
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heruntersteigt bis zur Inkarnation im Menschenleibe, nun eine
solche wird, die sich innerirdisch und innerseelisch offenbart.
Diese Durchdringung des apollinischen mit dem dionysischen
Prinzipe, dieses gleichsam übereinander Hinwegschreiten der
luziferischen und der Christus-Wesenheit war nur möglich ge-
worden dadurch, dass die menschliche Organisation sich in die-
ser Weise geändert hat. Aber sie hat sich nicht nur geändert für
die Beurteilung der Vergangenheit, sondern auch für die Vorbe-
reitung der Zukunft. Wir leben jetzt in der Tat in dem Zeitalter,
in dem die innigste Durchdringung zwischen dem Ätherleib
und dem physischen Leib schon hinter uns liegt; wir leben jetzt
schon wiederum in der umgekehrten Entwickelungsrichtung,
Wir leben in einer Zeit, in der der Ätherleib langsam heraus-
rückt aus dem physischen Leib. Das ist normale Menschheits-
entwickelung in die Zukunft hinein, dass der Ätherleib nach
und nach wiederum den physischen Leib verlässt; und Zeiten
werden kommen, in denen sich die menschliche Organisation
wiederum so anschauen wird, wie sie sich angesehen hat in
grauer Vorzeit, so dass wir wiederum empfinden werden, wie
der Ätherleib hervorragt über den physischen. Wir sind mitten
drinnen in diesem Vorgange, und mancherlei von den feineren
Krankheitserscheinungen der Gegenwart würde man verstehen,
wenn man das wüsste. Das alles aber entspricht großen kosmi-
schen Gesetzen. Der Mensch könnte nicht sein Entwickelungs-
ziel erreichen, wenn er nicht in dieser Weise gleichsam eine
Kreuzung seiner Organisationsglieder durchmachte. Aber alles
das, was in uns ist, das ist durchdrungen von unserer ganzen
Umgebung; das ist durchdrungen von den göttlich-geistigen
Wesenheiten, die in der geistigen Welt sind und die ihre Ströme
in uns senden, so wie die physischen Elemente der Erde in un-
seren physischen Organismus ihre Ströme senden. Damals, als
der Ätherleib außer dem physischen war, da strömten in diesen
Ätherleib fortwährend Strömungen hinein, die der Mensch be-
wusst empfand und die er als kosmische Offenbarungen erlebte.
Der Mensch fühlte das wie etwas, was seiner Innerlichkeit sich
offenbarte. Was da an Strömungen aus der geistigen Welt sich
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in seinen Ätherleib hineinsenkte, das war es auch, was an der
Ausbildung des physischen Leibes arbeitete.
Wenn man das, was in den letzten Tagen hier gesagt worden ist,
jetzt charakterisiert von der äußeren Seite, so kann man sagen:
Das, was sich in den Ätherleib des Menschen hineingesenkt hat-
te und was der Mensch als innerstes Element erlebt hatte, das
waren die Einflüsse der luziferischen Welt. Es hatte sich der
Mensch seit den alten Zeiten der voratlantischen Entwickelung
ein Erbstück mitgebracht: die luziferischen Einflüsse, die in sei-
nen Ätherleib hineinströmten. Dass diese luziferischen Einflüsse
sich verdunkelten, dass der Mensch gerade in der Zeit, da Chris-
tus erscheint, nichts von ihnen vernimmt, wenn er nicht in ho-
hem Grade eingeweiht ist, das erklärt sich daraus, dass der
Ätherleib immer mehr und mehr in den physischen Leib
hineinrückt, eins mit ihm wird, und er immer mehr und mehr
sich bedienen lernt der physischen Organe. Daher war es für
ihn notwendig, dass die göttliche Wesenheit, die auf der Erde
erscheinen sollte, in einer physisch wahrnehmbaren Gestalt er-
schien, physisch verkörpert wie andere physische Wesenheiten
auf der Erde war. Es konnte die damalige Menschheit nur Ver-
ständnis haben für einen im Leibe erscheinenden Gott, weil sie
gewohnt worden war, das Wahre dasjenige zu nennen, was man
durch die Instrumente des physischen Leibes sieht. Es musste in
der Menschheit dies so sein, damit diejenigen, die um den
Christus waren, sprechen konnten zur Bekräftigung dessen, was
geschehen war: Wir haben unsere Hände in seine Wunden ge-
legt und unsere Finger in seine Nägelmale. - Diese sinnliche
Gewissheit, die musste wie ein Gefühl in den Menschen leben,
wie ein Gefühl, das, wenn es vorhanden ist, zur Bewahrheitung
der Sache beiträgt. Darauf hätte ein Mensch in der alten indi-
schen Zeit nichts gegeben, er hätte gesagt: Das Geistige, sinnlich
wahrgenommen, sagt mir nicht viel; wenn du das Geistige
wahrnehmen willst, so musst du zu irgendeinem Grade von
schauender Erkenntnis aufsteigen. Das Verständnis also für
Christus musste sich erst entwickeln, wie alles in der Welt.
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Das aber, was der Mensch als den luziferischen Einschlag hatte
in seinem Ätherleib, was er sich mitbrachte aus uralten Zeiten,
wo sein Ätherleib noch nicht ganz im physischen Leibe lebte,
wo er noch draußen war und mit den äußeren Teilen die Ein-
flüsse Luzifers empfing, das verschwand, das wurde allmählich
aufgebraucht. Damit, dass der Ätherleib in den physischen Leib
hineinschlüpfte, verlor der Mensch die Fähigkeit, mit seinen
ätherischen Organen die höheren Welten wahrzunehmen. So
kann man von einer gewissen Zeit, in die man zurückblickt, von
den menschlichen Vorfahren sagen: Die haben noch in die hö-
heren Welten hineingesehen; was sie gesehen haben, ist in den
Schriftwerken aufbewahrt. - Wie auf eine uralte Weisheit kann
man hinweisen. Die aber war später nicht mehr unmittelbar
ergreifbar, weil in demselben Maße, in dem der Ätherleib in
den physischen Leib hineinrückt, der Mensch sich nur seiner
physischen Sinne und seines physischen Verstandes bedienen
kann, und die schauende Kraft gelähmt wird. Die Möglichkeit
des Hineinschauens in die geistige Welt, die ist dann nur mög-
lich beim Eingeweihten, der durch systematische Schulung zu
den übersinnlichen Welten hinaufsteigt.
Nun sagte ich Ihnen: Der umgekehrte Prozess vollzieht sich
jetzt. Die Menschheit tritt in ein Stadium ein, wo der Ätherleib
in gewisser Weise wiederum sich aus dem physischen heraus-
bildet; aber Sie dürfen nicht glauben, dass er das nun alles von
selbst erhält, was er als ein altes Erbstück sich von früher mitge-
bracht hatte. Der Ätherleib des Menschen würde, wenn nichts
geschehen würde, als dass er herausrückt aus dem physischen
Leibe, eben herausrücken. Er würde nichts von den Kräften in
sich enthalten, die er einmal gehabt hat. Er wird ja in Zukunft
herausgeboren aus dem menschlichen physischen Leibe. Gibt
ihm der menschliche physische Leib nichts mit, dann ist er leer,
dann ist er öde. Das wird die Zukunft der Menschheitsentwi-
ckelung sein, dass die Menschen sozusagen aus ihrer physischen
Leiblichkeit ihren Ätherleib entlassen und ihn eventuell leer
hinaussenden können. Was würde das bedeuten? Der Äther leib
ist der Kraftträger, der Erreger alles dessen, was im physischen
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Leibe vorgeht. Er muss nicht nur dann, wenn er ganz in dem
physischen Leibe steckt, den physischen Leib mit Kräften ver-
sehen, er muss ihn jederzeit versehen; er wird ihn auch verse-
hen müssen, wenn er wieder einmal teilweise außerhalb des
physischen Leibes ist. Lassen Sie ihn leer, den Ätherleib, geben
Sie ihm nichts mit, dann kann er nicht auf den physischen Leib
zurückwirken, denn dann hat er nicht die Kraft, wodurch er zu-
rückwirken kann. Der Ätherleib muss, nachdem er durch den
physischen Leib durchgegangen ist, innerhalb des physischen
Leibes seine Kräfte gewinnen. Von da aus müssen sie ihm mit-
gegeben werden, damit er, wenn er draußen ist, auf den physi-
schen Leib zurückwirken kann. Es ist die Aufgabe der gegen-
wärtigen Menschheit, das aufzunehmen in sich, was nur aufge-
nommen werden kann innerhalb des Wirkens im physischen
Leib. Was da erarbeitet wird innerhalb des physischen Leibes,
das geht mit der Entwickelung mit, und wenn der Mensch in
künftigen Inkarnationen in solchen Organisationen leben wird,
wo der Ätherleib entlassen ist bis zu einem gewissen Grad aus
dem physischen Leib, dann wird es im Bewusstsein gewisser-
maßen als Erinnerung durch den teilweise frei gewordenen
Ätherleib leben.
Nun kann man fragen: Was ist denn das, was den physischen
Leib befähigt, etwas als Erbstück mitzugeben dem Ätherleib?
Was befähigt den Menschen, Kräfte hineinzusenden in seinen
Ätherleib, so dass er einstmals imstande sein wird, einen sol-
chen Ätherleib zu tragen, der nun von außen herein wiederum
gewisse Kräfte sendet? Wenn der Mensch nur so gelebt hätte,
sagen wir, vom Jahre dreitausend vor Christus bis zu dessen Zeit
und wiederum drei Jahrtausende nach Christus, dass nichts ein-
getreten wäre für ihn, als was ohne das Christus-Ereignis dage-
wesen ist, dann würde der Mensch im physischen Körper nichts
erlebt haben, was mitgehen kann als Kraft für den Ätherleib,
wenn dieser sich vom physischen loslöst. Das, was der Mensch
mitgeben kann, das ist, was er durch das Christus-Erlebnis in-
nerhalb der physischen Welt gewinnen kann. Aller Zusammen-
hang mit dem Christus-Prinzip, mit den Erlebnissen, die man
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haben kann an der Christus-Erscheinung, das senkt sich so in
die Erlebnisse der Seele innerhalb der physischen Welt, dass
diese Seele und damit auch alles Leibliche so vorbereitet wird,
dass es in den Ätherleib das hineingießen kann, was dieser in
der Zukunft braucht. So musste das Christus-Erlebnis kommen,
so musste es die Menschenseele durchdringen, damit die Men-
schen für die Zukunft verstehen können ihre Entwickelung.
Was heute im physischen Leibe ist, das sendet die Kräfte hinaus
in den Äther leib; und dieser wird, wenn er gleichsam gespeist
wird von dem, was der physische Leib an der Erscheinung des
Christus erlebt, die Kräfte empfangen, um wiederum hellstrah-
lend zu werden und Lebenskraft zu haben, um den physischen
Leib zu erhalten in der Zukunft. Was die Menschen also am
Christus erlebten durch jene Umkehrung der Prinzipien, das hat
seinen guten Sinn für die Zukunft der Menschheitsentwicke-
lung.
Aber dieses Ereignis würde allein nicht genügen. Denn denken
Sie doch daran, dass Sie, dadurch dass Sie das Christus-Erlebnis
in der eigenen Seele durchmachen, dadurch dass der Christus
Ihnen immer vertrauter wird, immer mehr und mehr zusam-
menwächst mit den eigenen Erlebnissen der Seele, allerdings
den Ätherleib beeinflussen, Kraftströmungen in Ihren Ätherleib
hineingießen. Wenn dieser Ätherleib nun aber hinausrückt und
in ein falsches Element hineinkommt, wenn er draußen nicht
die Kräfte trifft, die auch wiederum unterhaltend und belebend
wirken können auf das, was als Christus-Prinzip in ihn hinein-
gezogen ist, dann wird der Ätherleib, wenn er teilweise frei
wird, zwar die Christus-Kraft haben, aber in ein Element drin-
gen, wo er nicht leben kann. Er würde durch die äußeren Kräfte
zerstört werden. Er würde, weil er durchchristet ist, in einem
ihm ungeeigneten Elemente seiner Zerstörung entgegengehen
und zerstörend zurückwirken auf den physischen Leib. Was ist
das Zweite, was notwendig ist? Das ist, dass dieser Ätherleib
sich geeignet macht, wiederum zu empfangen das Licht aus Lu-
zifers Reich. So muss der Mensch, während er früher den Luzi-
fer als ein inneres Erlebnis auftauchen sah durch den Schleier
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seines Seelenlebens, sich nun so vorbereiten, dass er den Luzifer
als kosmische Wesenheit in seiner Umgebung erleben kann.
Von einer unterirdischen Gottheit zu einer kosmischen wird
Luzifer; und der Mensch muss sich vorbereiten, um seinen
Ätherleib mit solchen Kräften auszustatten, dass der Luzifer ein
befruchtendes, ein förderndes Element sein kann und kein zer-
störendes. Es muss der Mensch durch das Christus-Erlebnis
durchgehen, aber so, dass er empfänglich wird, in dieser Welt
zu sehen die geistigen Grundlagen, die Grundlagen der geistigen
Geschehnisse, aus denen die Welt entsprungen ist. Also der
Mensch geht durch das Christus-Erlebnis durch, und es ist be-
rechtigt in der ganzen Natur der Entwickelung, dass die geis-
teswissenschaftliche Schulung die Menschen vorbereitet, wiede-
rum zu verstehen das Licht aus Luzifers Reich, weil der mensch-
liche Ätherleib nur dadurch seine entsprechenden Lebenskräfte
erhalten kann. Der Mensch ist auch schon von Christus beein-
flusst gewesen, ehe dieser erschienen ist auf der Erde. Schon als
Zarathustra hinaufgewiesen hat zu Ahura Mazdao, strahlte die
Kraft des Christus herunter. Und von der anderen Seite strahlte
ein die Kraft des Luzifer. Das kehrt sich um. In der Zukunft
wird von außen einstrahlen die Kraft des Luzifer, im Innern
wird der Christus leben. Die menschliche Organisation muss
wieder von zwei Seiten beeinflusst werden. Der alte Inder emp-
fand auf der einen Seite: Das bist du - und auf der anderen Seite:
Ich bin das All; er empfand, dass das, was er nach außen sah,
dieselbe Welt war wie die nach innen. Das empfand man in Alt-
indien als eine abstrakte Wahrheit; das wird man als ein kon-
kretes Erlebnis dann auf der Erde seelisch haben, wenn die Zei-
ten dazu erfüllt sein werden, wenn in neuer Gestalt durch die
entsprechenden Vorbereitungen das wiederum auflebt, was, wie
vorher verkündend, sich gezeigt hat in Altindien. So ist der
Gang der Menschheitsentwickelung in der nachatlantischen
Zeit.
Nunmehr sieht man daraus, dass die Entwickelung der Mensch-
heit keine geradlinige ist, dass sie ähnlich verläuft wie alles in
der Natur. Ich habe Ihnen das Beispiel gegeben an der Pflanze,
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die heranwächst, aber nicht die Frucht entfalten könnte, wenn
die Entwickelung nicht einen neuen Einschlag bekäme. Hier
haben Sie ein Bild, das Ihnen zeigt, dass andere Einflüsse von
der Seite kommen müssen. Eine geradlinige Entwickelung gibt
es nicht. So mussten sozusagen übereinandertreten das luziferi-
sche und das Christus-Prinzip. Wer nur die Entwickelung in
gerader Linie sucht, der kann die wirkliche Weltenentwicke-
lung niemals begreifen; nur wer die getrennten Strömungen er-
fasst und dann sieht, wie sich die Ströme gegenseitig befruchten,
nur der kann wirklich das sich Entwickelnde verstehen. In der
Zeit, in welcher während der altindischen Kultur die Menschen
in einer gewissen Weise noch anders organisiert waren als spä-
ter, war dies menschliche Anschauen anders. Wie dieses
menschliche Anschauen damals war, davon kann eine bestimm-
te Erfahrung nur derjenige heute haben, der sie sich durch die
Methoden der geisteswissenschaftlichen Forschung, die den
heutigen Zeiten angemessen sind, erwirbt. Man kann dies heute
nur künstlich erwerben, einstmals war das eine natürliche Fä-
higkeit. Sogar für einen gut vorbereiteten Bekenner der Geis-
teswissenschaft ist es schwer verständlich, wie die Seelenerleb-
nisse anders waren in der altindischen Zeit als später, und man
kann nur versuchen in annähernder Weise in Worte zu kleiden,
wie sie anders waren.
Wenn heute der Mensch in die Welt hinausschaut, so nimmt er
die Welt wahr durch seine verschiedenartigen Sinne. Wir kön-
nen heute nicht eingehen auf alles, was im Sinne der modernen
Wissenschaft über die Sinnesempfindungen zu sagen ist. Das
braucht uns auch heute nicht zu interessieren; wir können bei
den gewöhnlichen Vorstellungen stehenbleiben, dass der
Mensch durch seine verschiedenen Sinne die äußere Welt
wahrnimmt und die verschiedenen Eindrücke zusammenfasst
mit dem Geistesvermögen, das an das physische Gehirn gebun-
den ist. Sie werden, wenn Sie darüber nachdenken, allerdings
sich klar darüber sein können, dass innerhalb der Sinnesemp-
findungen in Bezug auf deren ganze Wesenheit doch ein gewal-
tiger Unterschied ist. Vergleichen Sie zum Beispiel das Gehör,
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die Empfindung des Gehörs, mit der Sinnesempfindung des Ge-
sichtes. Nicht wahr, für das Gehör ist es ziemlich einleuchtend,
dass in der Außenwelt, wenn wir suchen nach den entspre-
chenden Tatsachen, für das, wie wir hören, eine Bewegungs-
form der Materie existiert, regelmäßig bewegte Luft. Das finden
wir draußen; wenn wir das Instrument unseres Gehörs dieser
regelmäßig bewegten Luft entgegenhalten, so haben wir das er-
lebt, was wir die Gehörsempfindung nennen. Doch sind zwei
ganz verschiedene Dinge das innere Gehörerlebnis und das, was
man außen als bewegte Luft hat. Wenn Sie den Gesichtssinn
nehmen, so werden Sie einsehen können, dass die Sache so ein-
fach nicht Hegt wie beim Gehör. Die moderne Physik hat es
sich einfach gemacht. Sie hat analog sich gedacht: Nehmen wir
einen feineren Stoff an, der sich ebenso bewegt wie die Luft
draußen. - Der große Unterschied ist für den realistischen Den-
ker der, dass man sich sehr leicht überzeugen kann von dem,
was draußen schwingt, in Bezug auf das Ohr. Man kann leicht
darauf kommen, dass draußen sich wirklich etwas bewegt - wo
es sich um den Gehörvorgang handelt -, wenn man auf einer
Saite Papierreiterchen setzt und die Saite anstreicht. Was aber
im Äther schwingt, von dessen Dasein kann sich kein Mensch
überzeugen; das ist Hypothese, das ist nur für die physikalische
Theorie vorhanden. Für das realistische Denken ist das nicht
vorhanden. Die Sinnesempfindung des Gesichtes ist etwas we-
sentlich anderes als die des Gehörs. Wenn wir sprechen von der
Lichtempfindung, so liegt für uns sozusagen das, was wir wahr-
nehmen, viel objektiver da als das, was wir wahrnehmen durch
den Gehörsinn. Wir nehmen das Licht als Farbe wahr, nehmen
es ausgebreitet im Räume wahr, aber wir können nicht in der-
selben Weise in die äußere Welt hinausgehen und objektive
Vorgänge suchen, wie beim Schall. Solche Unterschiede sind es,
über die der moderne Mensch so leicht hinweggeht. Mit seinem
feineren Bewusstsein von der ganzen Außenwelt konnte der
alte Inder über so etwas nicht hinwegsehen. Der nahm alle diese
feinen äußeren Unterschiede wahr.
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Ich wollte nur hinweisen darauf, dass es zwischen den einzel-
nen Sinnesgebieten ihrer Wesenheit nach charakteristische Un-
terschiede gibt. Wenn Sie die deutsche Sprache beobachten, so
kann Ihnen da auffallen, dass man bezeichnet mit demselben
Worte ein inneres Seelenerlebnis und - ich gebe ja zu, es ge-
schieht das bei ungenauem Sprechen-auch einen Eindruck, der
in einer gewissen Weise von außen kommt. Das ist das Wort
Gefühl. Sie wissen, wenn man von den fünf Sinnen spricht,
zählt man auf Gesichts-, Gehör-, Geruch-, Geschmacks- und
Gefühlssinn; im trivialen Sinne Gefühlssinn; man meint damit
den Tastsinn, spricht aber von Gefühl und zählt das, was dieser
Sinn erlebt, zu den äußeren Sinneserlebnissen - nennt es Ge-
fühl. Man bezeichnet aber auch, und zwar in einer viel, viel
geistvolleren Weise, als man gewöhnlich denkt, aus dem
Sprachgenius heraus ein innerliches Seelenerlebnis als Gefühl.
Wenn Sie Freude haben, Schmerz empfinden, bezeichnen Sie
das als Gefühl. Dieses Gefühl, von dem jetzt die Rede ist, ist ein
intimes Seelenerlebnis; bei dem anderen, das durch den Tastsinn
vermittelt wird, ist immer ein äußerer Gegenstand vorhanden,
der die Veranlassung ist. Das andere Gefühl knüpft sich viel-
leicht an den äußeren Gegenstand, aber schon daraus können
Sie sehen, dass der nicht die einzige Veranlassung ist, weil es bei
dem einen Menschen anders auftreten kann als bei dem ande-
ren. Der Sprachgenius, sagte ich, wirkt hier wirklich genial. Wir
haben zwei Erlebnisse; eines als etwas, was an den äußeren Sinn
gebunden ist, und eines, was an das Innere gebunden ist. Die
zwei stehen sich scheinbar recht entfernt für das heutige Erle-
ben. Das war nun nicht immer so. Und hier kommen wir zu ei-
ner anderen Ansicht dessen, was wir vorhin von außen charak-
terisiert haben. Wir haben das Hineinschlüpfen des Ätherleibes
charakterisiert und das Herausgehen. Das ist verknüpft damit,
dass auch im Inneren des Menschen etwas vor sich geht. Heute
sind diese beiden Erlebnisse, das Gefühlserlebnis im Innern und
das Gefühlserlebnis, das wir eben auch mit dem Worte Gefühl
bezeichnen, und das durch den äußeren Gegenstand mit Hilfe
des Tastsinnes veranlasst ist, zwei Dinge, die voneinander ablie-
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gen. Je weiter wir in der Entwickelung der Menschheit zurück-
gehen, das heißt, je weiter der Ätherleib aus dem physischen
Leibe draußen ist, desto näher rücken sich diese beiden Erleb-
nisse. Heute nur sind sie für den Menschen weit auseinander
liegend. In der indischen Zeit noch war dieser Unterschied
nicht in derselben Weise berechtigt wie heute. Da standen sich
das innere Gefühlserlebnis und das äußere noch unendlich viel
näher. Ja, wie das?
Wenn Sie heute einem Menschen entgegentreten, und er hegt
gegen Sie einen schlimmen Gedanken, sagen wir, Sie seien ihm
unsympathisch, und er bringt Ihnen demgemäß seine Empfin-
dungen entgegen, ja, Sie werden, wenn Sie zunächst nur ausge-
rüstet sind mit äußeren Sinnen und dem physischen Gehirne, in
der Regel nicht viel merken von seinen Gefühlen, Sympathien
und Antipathien. Wenn er Sie schlägt, dann werden Sie es mer-
ken, dann merkt es Ihr Gefühlssinn. Das war eben in der altin-
dischen Zeit noch anders. Da war der Mensch noch so organi-
siert, dass er nicht nur das, was für den heutigen groben Tast-
sinn wirkt, empfand, sondern auch das, was heute sich schon in
das Innere zurückgezogen hat; dass er das noch empfinden
konnte, was ihm ein anderer innerlich entgegenbrachte. In sei-
ner Seele entstand ebenso ein Erlebnis, wie Sie es heute durch
den Tastsinn haben, durch das, was an Sympathie im anderen
lebte. Er fühlte, was physisch-seelisch vorging. Dafür war aber
auch in jenen Zeiten noch nicht in einer solch inneren Weise
ausgebildet, was wir unser inneres Gefühlsleben nennen; das
war auch noch mehr mit der Außenwelt verbunden. Noch nicht
zog sich der Mensch so in sein Inneres zurück wie heute. Er
hatte Schmerzen und Freuden, die in vieler Beziehung mehr
den Geschehnissen der Außenwelt entsprachen als unsere heu-
tigen; er konnte sich gar nicht so zurückziehen in sein Inneres
wie wir heute. Heute ist das innere Seelenerlebnis viel mehr
herausgerissen aus der ganzen Umgebung als ehedem. Heute
kann der Mensch sogar dahin kommen, dass er außen umgeben
ist von Umständen, die gar nicht besser sein könnten; weil aber
sein inneres Seelenleben herausgerissen ist aus der Umgebung,
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fühlt er vielleicht innerlich Schmerz durch die Art, wie er sich
zur Welt stellt, ohne dass er recht Veranlassung dazu hat. Un-
möglich wäre das gewesen zur Zeit der altindischen Kulturepo-
che. Da war das, was im Innern vorging, so, dass es ein viel treu-
eres Spiegelbild dessen war, was sich in der äußeren Umgebung
abspielte. Der Mensch lebte viel mehr mit seinem Gefühle in
der Umgebung. Wodurch kam das? Dadurch, dass der Mensch
in jenen alten Zeiten in einem ganz anderen Verhältnisse zum
Beispiel zum Lichte stand durch seine Organisation. Das Licht,
das uns umflutet, hat nicht nur seine physische Außenseite,
sondern alles, was physisch ist, hat auch Seelisches und Geistiges
in sich. Nun ging die menschliche Entwickelung dahin, dass das
Seelische und Geistige der Außenwelt sich immer mehr und
mehr von dem Menschen in diesen Erlebnissen zurückzog, es
wurde immer mehr und mehr nur das Physische wahrnehmbar.
Der Mensch nahm nun das Licht wahr in seiner Wirkung auf
das Auge. Er nahm es wahr in älteren Zeiten, wie wenn es von
allen Seiten in seine Organisation wie ein Fluidum sich einsenk-
te, und in das ihn durchströmende Licht fühlte er die Seele hin-
ein. Heute macht die Seele des Lichtes Halt vor der menschli-
chen Haut. Durchflutet von dem, was als Seele im Lichte lebt,
war noch die indische Organisation; und der Mensch nahm
wahr, was als Lichtseele das Licht durchflutete. Das war der
Träger dessen, was man wahrnehmen konnte als Sympathien
und Antipathien in anderen Wesen, die sich heute mit der Seele
des Lichtes von dem Menschen zurückziehen. Das war mit an-
deren Erlebnissen verbunden. Heute atmen Sie Ihren Atem aus
und ein. Sie lernen Ihren Atem höchstens an seinen mechani-
schen Wirkungen kennen. Wenn er irgend so wirkt, dass er sich
abkühlt, da sehen Sie ihn an dem Wässerigwerden. Das ist eine
mechanische Art, den Atem zu sehen. So unwahrscheinlich es
für den heutigen Menschen klingt, so ist es doch Wahrheit, dass
man zum Beispiel bei den meisten Menschen des alten Indiens
durch die geisteswissenschaftliche Forschung heute konstatieren
kann, dass sie ihren Atem noch ganz anders wahrgenommen
haben. Es hatte sich noch nicht aus dem, was um die damaligen
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Menschen vorging, die Seele des Lichtes zurückgezogen; so
nahmen sie wahr die ein- und ausgeatmete Luft in verschieden
hellen und dunkeln Farbennuancen. Sie sahen wie in Feuer-
strahlen einströmen die Luft und wiederum hinausgehen. So
können Sie also sagen: Im Grunde genommen ist auch die Luft
sogar durch das, was sich alles geändert hat für die menschliche
Anschauung etwas ganz anderes geworden. - Die Luft ist heute
etwas, was der Mensch im Grunde genommen wahrnimmt nur
mechanisch durch den Widerstand, den sie ihm bietet, weil er
die Seele des Lichtes, die die Luft durchdringt, nicht unmittel-
bar wahrnimmt. Auch aus diesem letzten Rest des instinktiven
Schauens ist der Mensch herausgegangen. Der alte Inder würde
daher nicht einfach Luft genannt haben, was aus- und eingeat-
met wird, sondern Feuerluft, weil er es in verschiedenen Graden
des feurigen Erstrahlens wahrgenommen hat. Damit aber haben
Sie zugleich die Möglichkeit gegeben, zu begreifen, dass über-
haupt die ganze Umgebung des Luftkreises für den alten Inder
etwas anderes war als für den heutigen Menschen. Der heutige
Mensch sieht die Luft durchsichtig, sieht nicht die umgebende
Inhaltlichkeit der Luft. Wenn ein Luftzug durch den Raum
geht, so nimmt er ihn nur wahr am Widerstand, den er ihm bie-
tet. Das altindische Bewusstsein sah feurige Massen durch die
Luft dahinziehen.
Da haben Sie wiederum ein Beispiel, wie selbst in den äußeren
Erlebnissen sich die Umwandlung der menschlichen Organisa-
tion im Entwicklungslaufe zeigt. Das sind die intimen Vorgänge
der Menschheitsentwickelung, und wir können niemals das be-
greifen, was in den Veden steht, wenn wir nicht wissen, wie die
Worte gebraucht werden. Wenn wir die Worte da lesen und
wissen nicht, dass die Worte das bezeichnet haben, was man
damals gesehen hat, so verlieren die Worte allen Sinn, und wir
interpretieren ganz falsch. Man muss immer die Realitäten in
Betracht ziehen, wenn man an alte Urkunden herangeht.
Es ändert sich eben das, was in der Menschenseele lebt, im Lau-
fe der Zeiten. Und jetzt werden Sie eine Tatsache verstehen, die,
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wenn man diese Voraussetzungen nicht hat, welche ganz unab-
hängig sind von den durch die physische Forschung festzustel-
lenden Belegen, Sie auf der bloßen Grundlage dieser Belege
nicht verstehen können. Sehen Sie sich um in den morgenländi-
schen Schriften, wie da die Elemente aufgezählt werden. Es
wird aufgezählt: Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther. Erst von der
griechischen Zeit an finden wir die andere Aufzählung, die uns
heute selbstverständlich ist und die wir zugrunde legen müssen
allem Begreifen, nämlich: Erde, Wasser, Luft, Feuer und die an-
deren Ätherarten. Warum ist das so? Das altindische Bewusst-
sein sah geradeso wie der heutige Mensch draußen die Dinge,
die sich manifestieren durch das Feste, was man das Erdige
nennt, sah durch das Flüssige, was man geistig gesprochen das
Wasser nennt. Was wir aber heute Luft nennen, das war ihm
schon Feuer, denn da sah man schon das Feuer in der Luft, und
bezeichnete das, was man sah, als Feuer. Wir sehen dies Feuer
nicht mehr, wir fühlen es als Wärme. Und erst, wenn sie etwas
höher hinaufrückten in der Elementenreihe, rückten die Inder
in ein Element ein, wo sich für die Menschheit, weil sich alles
gewandelt hat seit dem vierten Zeitraum der nachatlantischen
Zeit, das herausstellte, was wir heute die vom Lichte durch-
drungene, aber nicht das Licht zeigende Luft nennen. In Feuer
und Luft hat sich die ganze Anschauung der Menschen umge-
dreht. Das, was wir für Christus und Luzifer gesagt haben, dass
sie übereinandergeschritten sind, dass Christus von einer kosmi-
schen zu einer innermenschlichen Wesenheit, Luzifer von einer
innermenschlichen zu einer kosmischen Wesenheit geworden
ist, das hat sich vollzogen für alle Gebiete des Lebens, so dass
das, was noch in der ersten nachatlantischen Zeit das war, was
wir Feuer nennen, von uns heute als Luft wahrgenommen wird,
und dass das, was von uns als Feuer wahrgenommen wird, da-
mals als Luft wahrgenommen wurde. Nicht nur im großen, son-
dern auch im kleinen drückt sich aus, was der Menschheitsent-
wickelung zugrunde liegt. Man darf diese Dinge nicht auf Zufäl-
ligkeiten zurückführen. Sie sehen, wie tief man hineinschauen
kann in das, was geschieht im Laufe der Menschheitsentwicke-
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lung, wenn man die Dinge betrachtet vom einzig realen Ge-
sichtspunkte, vom geisteswissenschaftlichen aus. Ein solches
Bewusstsein, wie es der alte Inder hatte, das ist also ein Bewusst-
sein, welches etwas, was im Innern der Seele liegt und was au-
ßerhalb der Seele liegt, noch mehr wie eine Einheit empfand;
daher lebte der Inder noch mehr in seiner ganzen Umgebung.
Letzte Nachklänge davon, von seinem noch vorhanden gewese-
nen, gewissermaßen instinktiv schauenden Zustande, sind vor-
handen im rudimentären heutigen Hellsehen derjenigen Men-
schen, die das haben, was wir namentlich als zweites Gesicht
bezeichnen. Wenn Sie irgendwo auf der Straße gehen, und es
taucht Ihnen der Gedanke an einen Menschen auf, den Sie phy-
sisch in diesem Augenblick nicht sehen können, und Sie gehen
weiter und nach einiger Zeit tritt er Ihnen entgegen; warum
haben Sie im Bewusstsein den Gedanken an ihn, bevor Sie ihn
gesehen haben? Weil eben die Wirkung von ihm in Ihr Unter-
bewusstsein eingetreten ist, dann ins Bewusstsein gestiegen als
fertiger Gedanke. Heute hat der Mensch nur noch so etwas Ru-
dimentäres von einem früheren Bedeutsameren. Früher war ei-
ne intimere Verbindung des inneren und des äußeren Gefühls
vorhanden. Das sind nur weitere Ausführungen dessen, was
oftmals vor Sie hingestellt worden ist so, dass gesagt werden
konnte: Die Menschheit hat sich vom alten, dumpfen Hellsehen
zum heutigen Sinnesbewusstsein entwickelt und wird hinein-
wachsen in einen vollbewussten schauenden Zustand. Dieser
wird erreicht werden so, dass der Mensch bewusst ihn erleben
wird, so dass er weiß, sein Ätherleib geht heraus, und er kann
sich der Organe des Ätherleibes so bedienen wie der physi-
schen.
Die Menschen haben aber in den früheren, noch spirituelleren
Zeiten, in denen sie weiser waren als die heutige abstrakt mate-
rialistische Wissenschaft ist, immer ein Bewusstsein davon ge-
habt, dass ein altes Schauen, ein Durchschauen der Welt vor-
handen war, dass die Menschen herausgetreten sind aus diesem
alten Schauen und in die gegenwärtigen Zustände hineingetre-
ten sind. Die Menschen haben früher nicht in abstrakten For-
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meln und Theorien das ausgedrückt, was sie gewusst haben,
sondern durch mächtige farbenreiche Bilder; und die Mythen
sind ja nicht ausgedachte Dinge, ausgeklügelte, phantastische
Bilder, wie eine phantastische Gelehrsamkeit vom grünen Tisch
heute meint, sondern Ausdrücke tiefer, ursprünglicher, durch
geistige Anschauung erworbener Weisheit. Es war das Bewusst-
sein vorhanden in alten Zeiten und hat sich in Mythen zum
Ausdruck gebracht, dass die Menschen einstmals die Welt um-
fänglicher durchfühlt haben. Das Hellfühlen der alten Inder war
ein letzter Rest eines ursprünglichen, dämmerhaften Hellse-
hens. Das hat man ehemals gewusst; man hat aber auch gewusst,
dass dieses Hellsehen - nennen wir es summarisch so -immer
mehr und mehr zurückgeht, immer mehr und mehr dem äuße-
ren Leben, das auf die Sinneswelt beschränkt ist, Platz machen
muss. Gerade diese Tatsache brachte man in den maßgebenden
Mythen zum Ausdruck. Man wusste zum Beispiel folgendes: Es
gibt Mysterien-Stätten - wir haben gestern davon gesprodien -,
in denen der Weg zu den unterirdischen Geistern führte, und es
gab andere Mysterien, in denen der Weg hinaufführte zu den
kosmischen Geistern. Das alles war sdiarf voneinander unter-
schieden worden. Davon wusste nidits derjenige, der nidit ein-
geweiht war, wie heute der nidits ahnt, dass es eine Mysterien-
weisheit gibt, der nidit die rediten Wege dazu sudit. Aber es war
sozusagen mehr oder weniger Kunde davon in die äußere Welt
hinausgedrungen. Audi von den Mysterien ist zu sagen, dass ih-
re Glanzzeit um so bedeutungsvoller uns entgegentritt, je weiter
wir in die alte Zeit zurückgehen. Die griediischen Mysterien
sind sdion nidit mehr die glanzvollsten. Audi das Mysterienwe-
sen war einem Verfall unterworfen. Dennodi aber wussten die
Leute, dass das, was von den Orten kommt, wo sdiauendes Be-
wusstsein nodi wirkt, zusammenhängt mit der geistigen Sub-
stanz, die die Welt durdiflutet und durdilebt; und sie wussten,
dass man da, wo sdiauendes Bewusstsein waltet, nodi etwas er-
fahren kann über Weltzusammenhänge, von denen man sonst
nidits wissen kann. Und wenn audi sdion in der Verfallsperiode,
so waren dodi die Orakelstätten soldie Orte, in denen
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sdiauendes Bewusstsein gepflegt, und für die Menschen das ver-
kündet wurde, was man durdi gewöhnlidie Sinnesansdiauung
und durdi die mensdilidie Ansdiauung, die an die Sinne gebun-
den ist, nidit erfahren kann. Aber man wusste da audi, dass der
Mensch sich entwickelt, dass das, was man durch das alte
Schauen hat erlangen können, nur etwas taugt und anwendbar
ist für alte Urzeiten, nicht aber für die neuen Zeiten.
So hat man bei den Griechen ein tiefes Bewusstsein davon, dass
das, was von den Orakeln kommt, zwar die Neugierde der Men-
schen anregt, dass die Menschen gerne etwas wissen möchten
über geheimnisvolle Zusammenhänge der Welt, dass man aber
auch schon herausgewachsen war aus der richtigen Handha-
bung solcher hellseherischer Ergebnisse; dass man jetzt in einer
anderen Weise dar innensteht in der Welt wie früher und daher
nicht das Richtige anfangen kann, wenn man sich an die Ergeb-
nisse des alten Hellsehens hält. Für die alten Menschen hat es
gepaßt, für die neueren passt es nicht mehr. Das wollte man sa-
gen, und man sagte es in grandiosen Bildern. Ein Bild ist zum
Beispiel das, welches uns gegeben wird in der Ödipus-Sage. Es
wird durch ein Orakel, das heißt von einer Stätte her, wo man
geheimnisvolle Zusammenhänge hellseherisch erschaut, die sich
dem menschlichen Blicke schon entziehen, dem Vater gesagt,
dass, wenn er einen Sohn bekommt, dieser Sohn Unheil bringen
werde; er werde den Vater morden und die Mutter heiraten. Er
bekommt diesen Sohn. Er versucht sogar das zu tun, was dazu
führen könnte, dass das, was hellseherisch erschaut ist, sich
nicht vollziehen solle. Der Sohn wird ausgesetzt, in eine ganz
andere Gegend gebracht. Der Sohn erfährt das Orakel, das
heißt, in seine Seele zieht etwas ein, was nur durch hellseheri-
sches Schauen erkundet werden kann. Das griechische Bewusst-
sein wollte sagen: Zwar ragt so etwas aus alten Zeiten herein,
aber die menschliche Organisation ist schon so weit gekommen,
dass sie nicht mehr taugt für diese Art des Hellsehens, dass diese
ihr nichts mehr nutzt, Ödipus legt das Orakel wegen des ge-
wandelten Bewusstseins so aus, dass es sich erst recht erfüllt, das
heißt der Mensch kann nicht mehr das, was das hellseherische
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Bewusstsein ist, in der richtigen Weise handhaben; es hat sich
eben die geistige, spirituelle Welt von ihm zurückgezogen; es
nutzt ihm das alte Hellsehen nichts mehr. Aber auch davon ist
immer ein Bewusstsein vorhanden gewesen, dass diese Dinge
sich wieder umkehren werden, dass wieder das, was aus solchen
Welten kommt, etwas werden wird für die Menschheit, dass
nur für eine Weile sozusagen eine Schicht des Erlebens hinüber
sich breiten soll über das, was aus solchen Welten kommt. Auch
davon war ein Bewusstsein vorhanden, auch das haben die
mythebildenden Kräfte der Menschheitsentwickelung zum
Ausdruck gebracht. Die Christus-Tatsache war in der Mensch-
heitsentwickelung das Maßgebende dafür, dass die beiden Kräf-
te, das Luzifer-Prinzip und das Christus-Prinzip, übereinander-
getreten sind. Da war also der entscheidende Wendepunkt, wo
von einer anderen Seite, dem Kosmos her, das, was aus den geis-
tigen Quellen kommt, wie ein Ferment sich hineinergießen
sollte in die Menschheitsentwickelung. Verlorengegangen war
es, aber es soll wiederum wie ein Ferment hineingegossen wer-
den. Was der Menschheit schädlich geworden war, was ihr
selbst zu einem Bösen ausgeschlagen hat, soll wie ein Ferment
hineingegossen und umgewandelt werden in das Gute. Das Böse
soll hineinfallen in die fruchtbringende geistige Kraft der
Menschheitsentwickelung und mitwirken am Guten. Audi das
ist in der Mythologie zum Ausdruck gekommen.
Es gibt eine andere Sage, die etwa folgendermaßen lautet: Es
wurde einem Elternpaar von einem Orakel geweissagt, dass es
einen Sohn bekommen werde, dass der Sohn werde Unheil
bringen über sein ganzes Volk. Dieser Sohn wird seinen Vater
ermorden und seine Mutter heiraten. Die Mutter bekam diesen
Sohn. Da dieser Spruch vorlag, setzte man auch diesen Sohn aus,
man setzte ihn auf die Insel Kariot, und es fand ihn die Königin
der Insel Kariot. Und weil dieses Elternpaar keinen Sohn hatte,
nahmen sie ihn auf. Später aber bekamen sie einen Sohn. Da
glaubte sich der Findling schlecht behandelt und tötete den
wirklichen Sohn. Da musste er fliehen von der Insel Kariot. Er
floh und kam an den Hof des Pilatus in Palästina, wo er ein Amt
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bekam als Aufseher im Hauswesen des Pilatus. Er bekam Streit
mit seinem Nadibar, von dem er nichts weiter wusste, als dass es
eben sein Nachbar war. Im Streite erschlug er ihn und heiratete
später dessen Gattin. Dann erst erfuhr er, dass das sein wirkli-
cher Vater war, den er erschlagen hatte, und dass er also seine
Mutter geheiratet hatte. Die Sage sagt uns, dass es dem, der jetzt
alles das hat über sich hereinbrechen sehen, nidit ähnlich erging
wie dem Ödipus, sondern dass ihn Reue überkam, und dass er
hinging zu dem Christus, und der Christus nahm ihn auf; denn
das war der Judas aus Kariot. Und das, was hier in dem Judas
lebte, dieses Böse, das verleibt sich ein wie ein Ferment der gan-
zen Menschheitsentwickelung. Denn die Tat von Palästina hat
etwas zu tun mit dem Verrate des Judas; er gehört zum Ganzen,
er gehört zu den Zwölfen, die sind gar nicht ohne ihn zu den-
ken. Hier zeigte sich, dass der Orakelspruch sich zwar erfüllte,
und dass sein Inhalt sich einverleibt der Menschheitsentwicke-
lung wie das Böse, das umgewandelt wird und weiter lebt im
guten Sinne. In bedeutungsvoller Weise weist die Sage, die
wahrhaftig weiser ist als die äußere Wissenschaft, darauf hin,
dass es eine solche Umwandlung in der Menschennatur im Lau-
fe der Zeit gibt, dass man selbst über das gleiche Ding in ver-
schiedenen Zeiten in der verschiedensten Weise denken muss.
Wie sich ein Orakelspruch erfüllt, darf man nicht in derselben
Weise erzählen, wenn man von der Ödipus-Zeit spricht und
von der Christus-Zeit. Dieselbe Tatsache wird einmal zur Ödi-
pus-Sage, das andere Mal in der christlichen Zeit zur Judas-Sage.
Erst dann, wenn man die geistigen, der Welt- und Menschheits-
entwickelung zugrunde liegenden Tatsachen kennt, versteht
man das, was sich als eine Folge davon dem äußeren Auge, der
äußeren geschichtlichen Anschauung zeigt. Was in der Sinnes-
welt da ist, äußere Sinneseindrücke oder Hervorbringungen der
menschlichen Seele, alles das verstehen wir, wenn wir die geis-
tigen Grundlagen, die darunter liegen, verstehen. Das, was der
Erforscher der geistigen Welten findet, das übergibt er gerne als
Anregung denen, die es von ihm entgegennehmen, und die un-
tersuchen die äußeren bestätigenden Tatsachen. Ich habe auf
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diesen Zusammenhang geistiger und materieller Forschung oft
hingewiesen. Wenn das, was in der geistigen Welt gefunden
wird, wahr ist, dann bestätigt es sich in der physischen Welt.
Das aber wird Ihnen jeder wahre Erforscher des Geisteslebens
sagen: er gibt hin das, was er weiß aus der höheren Welt, und er
fordert dann auf, alle äußeren Tatsachen zu prüfen an der Hand
dieser Angaben. Man versuche, was von mir über die Wieder-
verkörperung des Zarathustra zum Beispiel gesagt worden ist,
mit der äußeren Geschichte zu vergleichen. Man wird sehen,
dass das über diese Tatsachen Gesagte jede Probe aushält, wenn
man nur genau genug nach Vorgängen in der äußeren Ge-
schichte sucht. Das Äußere wird nur verständlich dadurch, dass
man das Innere, das Geistige kennt.
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ACHTER VORTRAG
MÜNCHEN, 30. AUGUST 1909
Wir haben bisher bei der Besprechung derjenigen Wesenheiten,
die wir zu dem Reich des Christus oder zu dem Reich des Luzif
er zählen, vorzugsweise Rücksicht darauf genommen, wie der
Mensch im Verlauf seiner Entwickelung durch seine eigene See-
le an diese Wesenheiten herandringt, wie er sie erlebt. Wir ha-
ben also zum Beispiel hervorgehoben, wie der Weg des Men-
schen zu jenen kosmischen Wesenheiten, in deren Mitte der
Christus in der vorchristlichen Zeit war, von dem Menschen aus
erkennend nach außen ging, wie aber der Weg in Luzif ers
Reich nach der anderen Seite in die Seele hineinging, um den
Schleier, der die eigene Seele verhüllt, selbst zu durchdringen.
Und wir haben hervorgehoben, wie sich das durch die Erschei-
nung des Christus auf der Erde so geändert hat, dass die beiden
Reiche übereinander getreten sind und die Menschheit einer
Zeit zueilt, in der der Christus im Innern, Luzifer außen zu su-
chen sein wird. Wir müssen heute, um mit mancherlei von
demjenigen, was ja die meisten von Ihnen schon gehört haben
über die luziferischen Wesenheiten, einen Einklang zu schaffen,
noch einmal mit ein paar Worten auf das Wesen des luziferi-
schen Prinzips zurückkommen. Die Dinge der Welt sind ja
kompliziert, und man kann alles von den verschiedensten Ge-
sichtspunkten aus betrachten. Dadurch wird es manchmal
scheinen, weil man eine Sache einmal von der einen, das andere
Mal von der anderen Seite beleuchten muss, dass die Dinge
nicht ganz im Einklang stehen. Sie stehen aber doch miteinan-
der im Einklang. Wie derjenige ein Blatt richtig beschreibt, der
es einmal von der vorderen und einmal von der hinteren Seite
beschreibt, und es ist doch ganz dasselbe Blatt, so beschreibt
derjenige das luziferische Prinzip richtig, der, wie wir es in den
verflossenen Stunden getan haben, es beschreibt, indem er die
Wege verfolgt, welche die Seele einzuschlagen hat zu diesem
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luziferischen Prinzip. Aber man kann natürlich auch sozusagen
mehr von einem außerirdischen Standpunkt aus die Entwicke-
lung unserer Erde und der Welt überhaupt betrachten und dann
die Stellung der luziferischen Wesenheiten im Weltfortgang
von einem anderen Gesichtspunkt aus charakterisieren. Das
wollen wir mit ein paar Worten tun.
Wenn Sie sich noch einmal erinnern, dass unsere Erde mit Son-
ne und Mond einstmals eine Wesenheit war, dass die Sonne sich
aus der Erde herausgetrennt hat, um eine Wohnstätte zu sein
für höher entwickelte Wesenheiten, die dann von außen auf
unsere Erde hereinwirken sollten, und dass noch höhere We-
senheiten nach der Sonnentrennung mit der Erde vereinigt ge-
blieben sind, um den Mond herauszuführen, und wenn Sie da-
ran denken, dass diese Wesenheiten, die den Mond herausge-
trennt haben, dieselben waren, welche von innen heraus ein
neues Leben, ein seelisches Leben in dem Menschen nun ange-
regt und ihn bewahrt haben vor der Mumifizierung, dann wer-
den Sie bald einen Einklang finden können zwischen dem, was
Sie da und dort in den Vorträgen und dem, was Sie in den ver-
flossenen Stunden gehört haben. Sie werden sich dann sagen:
Von denjenigen Wesenheiten, welche sich mit der Sonne von
der Erde getrennt haben, ist es natürlich, dass der Mensch sie
auch bei seiner weiteren Entwickelung zunächst finden musste,
indem er den Blick dahin richtete, wo diese Wesenheiten mit
der Sonne hingegangen sind. Die Sonnenwesen in ihrer Tätig-
keit und in ihrem Reich mit all ihren Unterwesenheiten wird
also der Mensch zu suchen gehabt haben auf dem Wege von
sich aus hinaus in die Welt hinter dem Teppich der Sinnenwelt.
Diejenigen Wesenheiten aber, welche in einer gewissen Bezie-
hung höhere Wohltäter der Menschheit noch waren, die durch
die Mondentrennung sein inneres Seelenleben angeregt haben,
die wird er zu suchen gehabt haben, indem er zunächst in sein
eigenes Inneres hineinstieg, indem er sich vertiefte in eine un-
terirdische Seelenregion, um dasjenige zu finden, was sich vor
dem äußeren Blick verborgen hat, die unterirdischen Götter, die
diejenigen sind, welche den Mond von der Erde getrennt und
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das Seelenleben angeregt haben. Innerhalb des Seelenlebens wa-
ren die Wege zu suchen zu denjenigen Göttern, die mit diesem
wohltätigen Vorgang der Mondentrennung verknüpft waren.
Wenn wir zunächst bloß auf diese zwei Reiche sehen, sozusa-
gen auf die Reiche der Sonnengötter und Mondengötter, so ha-
ben wir einen Unterschied, den wir bezeichnen können als:
draußen in den Himmeln befindliche Götter und unterhalb der
Seele befindliche Götter; und wir bezeichnen den Weg hinaus
als den Sonnenweg und den Weg hinein in die Seele - zunächst
um einen Namen zu haben - als den luziferischen Weg. Und
Luzifers Wesenheiten sind uns dann diejenigen, welche nicht
mitgemacht haben die Sonnentrennung von der Erde dazumal,
als die Sonne sich von der Erde trennte. Und gewisse andere
Wesenheiten, die höchste Wohltäter der Menschheit sind, aber
zunächst verborgen bleiben mussten und diese Sonnentrennung
nicht mitgemacht haben, gehörten zu keinem dieser Reiche so
recht hinzu. Das waren jene Wesenheiten, welche während der
alten Mondenentwickelung zurückgeblieben waren und nicht
diejenige Stufe erreicht hatten, die sie als geistige Wesenheiten,
die damals viel höher standen als die Menschen auf dem Monde,
hätten erreichen können. Was haben diese Wesenheiten damals
versäumt? Sie haben die Möglichkeit versäumt, während der
folgenden Erdenentwickelung die Sonnentrennung mitzuma-
chen. Sie wären in gewisser Weise berufen gewesen, wie die
Sonnengeister von der Erde hinauszugehen und von der Sonne
herunterzuwirken. Das haben sie versäumt. Das kam für diese
Wesenheiten so, dass sie wohl in einer gewissen Weise den Ver-
such machten, mit der Sonne sich zu trennen von der Erde, aber
dann die Entwicke-lungsbedingungen der Sonne nicht aushal-
ten konnten und auf die Erde wieder zurückfielen. Diese We-
senheiten waren also solche, welche nicht von Anfang an zu-
rückgeblieben waren mit der Erde zusammen, als die Sonne sich
getrennt hat, welche dann aber nicht mitkommen konnten mit
der Sonnenentwickelung und zurückgefallen waren; sie waren
nun mit der Erdenentwickelung weiterhin verbunden. Was ta-
ten nun diese Wesenheiten weiter im Laufe der Erdenentwicke-
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lung? Sie, die also in einer ganz besonderen Lage waren, ver-
suchten nun, mit Hilfe der Menschheitsentwickelung auf der
Erde ihre eigene Entwickelung fortzusetzen. Sie konnten an das
menschliche Ich nicht heran; dazu hatten sie sich nicht aufge-
schwungen während der alten Mondenentwickelung. An das
menschliche Ich konnten diejenigen Wesenheiten heran, die
aus der Erde herausgezogen waren mit der Sonne. Und es konn-
ten auch diejenigen Wesenheiten heran, welche den Mond ab-
getrennt hatten, von innen her. Die Wesenheiten, die von der
Sonne zurückgefallen waren, die waren es, welche an die
mensdiliche Seele herantraten, als diese noch nicht reif war, die
Offenbarung jener höheren Wohltäter zu empfangen, welche
den Mond herausgetrennt hatten. Zu früh traten diese Wesen-
heiten an die menschliche Seele heran. Hätte sozusagen der
Mensch völlig abgewartet die wohltätige Wirkung derjenigen
geistigen Wesenheiten, die vom Monde, das heißt in das Innere
seiner Seele hereinwirkten, so würde später eingetreten sein,
was so früher eingetreten ist. Diese Mondengötter hätten die
Seele des Menschen langsam herangereift, bis eine entsprechen-
de Ich-Entwickelung möglich geworden wäre. So aber traten
die anderen Wesenheiten an den Menschen heran und ergossen
ihre Wirkungen, statt in das Ich, in den menschlichen Astral-
leib, von innen hinein, gerade so wie es die Mondengötter ma-
chen, so dass diese Wesenheiten denselben Weg suchten durch
das Innere der Seele, auf dem die eigentlichen Mondengötter
später auch wirkten; das heißt, diese Wesenheiten gesellten sich
hinein in das luziferische Reich. Und sie sind es, die in der bibli-
schen Urkunde durch die Schlange symbolisiert werden. Es sind
diejenigen Wesen, welche an den menschlichen Astralleib zu
früh herangetreten sind, und die ganz so wirkten wie alle ande-
ren Wesenheiten, die von innen wirken. Und wenn wir die von
innen wirkenden Wesenheiten als luziferische Wesenheiten
bezeichnen, müssen wir auch diese so zurückgebliebenen We-
senheiten so bezeichnen. Sie sind aber diejenigen, die an den
Menschen herangetreten sind, als er noch unreif für solche Ein-
flüsse war, diejenigen, die seine Verführer wurden auf der einen
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Seite, allerdings ihm aber auch die Freiheit verschafften, die
Möglichkeit, im astralischen Leibe unabhängig zu werden von
jenen göttlichen Wesenheiten, die seine Ichheit in ihren Schutz
genommen hätten, die von vornherein in ihn hineingegossen
hätten, was von göttlichen Sphären in die Ichheit hineingegos-
sen werden kann. So aber machten sich diese luziferischen We-
senheiten heran an den astralischen Leib des Menschen, durch-
setzten diesen mit alledem, was ihn für alles Höhere, Spirituelle
enthusiasmieren kann, wirkten also auf seine Seele und wurden
als höherstehende Wesenheiten in gewisser Weise des Men-
schen Verführer. Und wir müssen diese Art der luziferischen
Wesenheiten als des Menschen Verführer ansprechen, müssen
also sagen: Dasjenige, was im Laufe der Erdenentwickelung an
den Menschen herangetreten ist und ihm auf der einen Seite die
Freiheit gebracht hat, auf der anderen Seite die Möglichkeit des
Bösen, das kam von innen heraus, das kam aus Luzif ers Reich.
Denn diese Wesenheiten konnten sich nicht von außen ankün-
digen, sie mussten sich ins Innere der Seele hereinschleichen;
von außen kann an den Menschen herankommen, was an sein
Ich herankommt, nicht bloß an seinen astralischen Leib. So se-
hen Sie, dass es im weiten Reiche der Lichtträger, der luziferi-
schen Wesenheiten, Untergattungen gibt, von denen wir sehr
wohl verstehen können, dass sie die Verführer des Menschen
werden konnten. Wir können aber auch sehr wohl verstehen,
dass gerade wegen dieser Wesenheiten strenge Maßregeln er-
griffen wurden da, wo die Menschen eingeführt werden konn-
ten in die Reiche jenseits des Schleiers der Seelenwelt; denn die-
jenigen Menschen, die diesen Weg geführt wurden in das Inne-
re der Seele, trafen dort nicht nur die guten luziferischen We-
senheiten, die von innen heraus den Menschen erleuchtet ha-
ben, sondern sie trafen zunächst diese luziferischen Wesenhei-
ten, die dann als seine Verführer wirkten, die namentlich den
Hochmut, den Ehrgeiz, die Eitelkeit in der Seele aufstachelten.
Ja, wir müssen uns durchaus bekannt machen damit, dass wir
niemals versuchen sollen, die Welten, die hinter der sinnlichen
Welt und hinter der Seelenwelt liegen, umspannen zu können
DER ORIENT IM LICHT DES OKZIDENTS
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mit den durch unsere heutige Kultur zubereiteten Verstandes-
begriffen.
Wenn wir von luziferischen Wesenheiten sprechen, so müssten
wir den ganzen Umfang des Reiches dieser Wesenheiten ken-
nenlernen, alle ihre Gattungen, Sorten und Arten. Dann wür-
den wir sehen, dass nicht überall da, wo von der Gefährlichkeit
einer gewissen Art von luziferischen Wesenheiten gesprochen
wird, ein Bewusstsein vorhanden ist von dem ganzen Umfang
des entsprechenden Reiches; dass man recht haben kann, wenn
man von gewissen Gattungen des luziferischen Reiches so
spricht, wie diese oder jene Urkunde spricht; dass man aber zu-
gleich in Betracht ziehen muss, dass die Realität weiter ist, un-
endlich viel weiter, als die Menschen gewöhnlich wissen kön-
nen. In einer Zeit, in welcher der Blick nach außen und der
Blick nach innen für die Angehörigen einer gewissen Kultur-
epoche noch sehr scharf war, empfand der Mensch dann, wenn
er den Weg nach außen ging zu dem: Das bist du, und nach in-
nen zu dem: Ich bin das All, dass der Weg nach außen und der
Weg nach innen zu demselben, zu dem einheitlichen Ich führ-
ten. In dieser ersten Kulturepoche der nachatlantischen Zeit hat
man allerdings über dasjenige vielfach anders denken, anders
fühlen können, was den geistigen Reichen zugrunde lag, als spä-
ter. Daher ist es ungeheuer schwierig für das gewöhnliche Be-
wusstsein, in jene wunderbare erste nachatlantische Kulturepo-
che sich hineinzuversetzen und sich zu identifizieren mit einer
Seele, die dazumal lebte.
Wir haben gestern gesehen, wie das Gefühl dazumal ganz an-
ders geartet war, wie die Menschen die Seele des Lichtes wie
durch ihre Haut von allen Seiten einströmen gefühlt haben, und
damit haben Erfahrung sammeln können aus der Umgebung, die
heute dem Menschen verschlossen ist. Aber mit alledem ist
noch etwas anderes verknüpft gewesen.
Es ist aus meiner «Geheimwissenschaft» bekannt, dass in dem
Gang der Menschheitsentwickelung in der nachatlantischen
Zeit die folgenden Epochen unterschieden werden können: die
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160
altindische Kultur, die urpersische Kultur, die chaldäisch-
ägyptische Kultur, die griechisch-lateinische Kultur, in welche
das Christus-Ereignis hineinfiel; dann unsere Kultur. Auf sie
wird eine weitere und auf diese wird dann die letzte folgen, und
dann wird die Erde wiederum von einer solchen Umwandlung
getroffen werden, wie sie getroffen wurde zur Zeit der atlanti-
schen Katastrophe. So haben wir also sieben Kulturepochen. In
diesen sieben Kulturepochen haben wir eine mittlere Kultur-
epoche, die steht für sich, die griechisch-lateinische mit dem
Christus-Ereignis. Die anderen Kulturepochen stehen aber in
einem gewissen Verhältnisse zueinander. Die chaldäisch-
ägyptische Kulturepoche wiederholt sich in gewissen Erschei-
nungen der fünften Epoche, das heißt in unserer eigenen, so
dass in unserer Zeit gewisse Erscheinungen, gewisse Tatsachen,
gewisse Anschauungen wiederum aufleben müssen, die in der
alten chaldäisch-ägyptischen Kultur gelebt haben. Nur leben sie
auf in einer anderen Form, nämlich so, dass sie durchtränkt sind
von demjenigen, was geschehen ist durch den Christus-Impuls.
Nicht etwa eine einfache Wiederholung der chaldäisch-
ägyptischen Kultur haben wir, sondern wir haben in unserer
Zeit eine solche Wiederholung dieser Kulturepoche, dass alles
getaucht ist in das, was der Christus auf die Erde gebracht hat.
Das ist eine “Wiederholung und doch wieder nicht eine solche.
Diejenigen Menschen, welche sich tiefer eingefühlt haben in
den Gang der Menschheitsentwickelung und teilgenommen ha-
ben an diesem mit ihrer Seele, die haben immer so etwas ge-
fühlt. Bei solchen Menschen ist, wenn sie auch noch nicht zu
einem okkulten Wissen vorgerückt waren, doch etwas aufge-
taucht wie eine Erinnerung an alte ägyptische Erlebnisse. Das-
jenige, was die ägyptischen Weisen in ihrer wunderbaren Er-
kenntnis der Himmelsvorgänge auf ihre Art in ihrer Hermes-
Wissenschaft durchdrungen haben, das lebt in unserer fünften
Kulturepoche, in unserer eigenen Zeit in einer materialistische-
ren Form wieder auf. So gefühlt haben das Aufleben dieser Er-
scheinungen besonders diejenigen, die an ihm beteiligt waren.
Nur ein Beispiel sei angeführt.
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Als diejenige Individualität im fünften Zeitraum wieder er-
schien, die einstmals in den Geheimstätten Ägyptens den See-
lenblick hinauf -geriditet hatte zu den Sternen und ihre Ge-
heimnisse im Weltenraume in der damaligen Art zu ergründen
suchte unter der Herrschaft der ägyptischen Weisen, und dann
Kepler wurde, da trat dasjenige, was in der ägyptischen Seele in
anderer Form da war, wiederum in einer neuen, in den großen
Keplerschen Gesetzen auf, die heute ein so wichtiger Bestandteil
unserer Astrophysik sind. So kam es auch, dass in der Seele die-
ser Individualität auftauchte etwas, was aus ihr dann heraus-
preßte die Worte - Sie können sie in den Keplerschen Schriften
lesen -: Ich bin hingegangen und habe die heiligen Gefäße aus
den heiligen Stätten Ägyptens geholt und sie hereingestellt in
die Gegenwart, damit die Leute jetzt etwas verstehen können,
was noch in ferne Zukünfte hinein wirken kann. - Das ist ein
Beispiel; wir könnten viele von solchen Beispielen anführen, an
denen es Ihnen klar werden könnte, wie in einer neuen Form
wieder auflebt, was da war in der chaldäisch-ägyptischen Kul-
turepoche.
Wir sind in der fünften Kulturperiode der nachatlantischen
Zeit. Sie wird abgelöst werden von der sechsten, die eine wich-
tige sein wird. Diese sechste Kulturperiode wird eine Wiederho-
lung sein und zu gleicher Zeit eine Erhöhung der urpersischen
Zarathustrakultur. Zarathustra hat hinaufgeschaut zur Sonne,
um hinter dem physischen Sonnenlichte den Christus-Geist,
den er Ahura Mazdao genannt hat, zu sehen und die Menschen
aufmerksam zu machen auf ihn. Dieser Christus ist mittlerweile
auf die Erde niedergestiegen; dieser Christus muss in denjenigen
Seelen, die sich dafür reif machen im Laufe der sechsten Kultur-
epoche, so weit in das Innere eindringen, dass dann durch den
Blick in das eigene Innere der Seele einer Anzahl von Menschen
jene gewaltigen Empfindungen entstehen können,
dieZarathustra erregen konnte, als er auf den Ahura Mazdao
hinwies. Denn in der sechsten Periode soll bei einer großen An-
zahl von Menschen durch den Blick in das eigene Innere, durch
die Wiedererkennung der Sonnenweisheit, dessen, was im Ur-
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162
persischen sich offenbarte, etwas wie eine Wiederholung auf
viel höherer, verinnerlichter, vergeistigter Stufe entstehen. Ich
habe Ihnen schon erwähnt, dass die Griechen, wenn sie in ihrer
Art und in ihrem Sinne von dem Ahura Mazdao gesprochen ha-
ben, ihn Apollo genannt haben. In ihren Mysterien haben sie
den Menschen erkennen lassen die tiefere Wesenheit dieses
Apollo. Vor allen Dingen haben sie in Apollo denjenigen Geist
gesehen, welcher nicht nur die physischen Sonnenkräfte diri-
gierte, sondern auch die geistigen Sonnenkräfle lenkte und sie
auf die Erde leitete. Und wenn die Lehrer in den apollinischen
Mysterien ihren Schülern haben reden wollen von den geistig-
moralischen Einflüssen Apollons, dann haben sie davon gespro-
chen, dass Apoilon die ganze Erde durchklingt mit der heiligen
Sphärenmusik, das heißt aus der geistigen Welt herunter die
Strahlen schickt. Und eine Wesenheit haben sie in Apollon ge-
sehen, die begleitet ist von den Musen, von seinen Helferinnen.
Eine wunderbar tiefe Weisheit liegt in diesem Apollon, der be-
gleitet ist von den neun Musen. Wenn Sie sich daran erinnern,
dass der Mensch aus verschiedenen Gliedern seiner Wesenheit
besteht, aus physischem Leib, Ätherleib, Empfindungsleib,
Empfindungsseele, Verstandesseele, Bewusstseinsseele und so
weiter, so können Sie sagen: Der Mensch ist ein Ich-
Mittelpunkt und dieser vereinigt um sich sieben oder neun
Glieder, die seine Wesensteile sind. Steigen wir von der
menschlichen Wesenheit zu einer göttlichen Wesenheit hinauf,
dann müssen wir uns dasjenige, was das Ich ist, als diese geistige
Wesenheit denken, und was die Glieder sind, ist für die göttli-
che Wesenheit das, was ihre Helfer sind: einzelne Individualitä-
ten. Wie den Menschen seine einzelnen Glieder, der physische
Leib, der Ätherleib, der astralische Leib und so weiter zusam-
mensetzen, sich um sein Ich gruppieren, so gruppierten die Mu-
sen sich um Apollo. Und auch dasjenige, was im Zusammenhan-
ge mit einer solchen Sache den Einzuweihenden des apollini-
schen Mysterienkreises gesagt wurde, das ist von einer tiefen
Bedeutung. Ihnen wurde ein Geheimnis anvertraut, wie man
sagt, dass der Gott wiederum auf eine besondere Weise im
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sechsten Zeiträume zu den Menschen sprechen soll, der im
zweiten Zeiträume zu Zarathustra in so besonderer Weise ge-
sprochen hat. Das suchte man zum Verständnis zu bringen, in-
dem man sagte: Im sechsten Zeiträume wird Apollos Lied auf
der Erde an seinem Ziele angekommen sein. - In diesem Satze,
der gang und gäbe war bei den apollinischen Mysterienschülern,
dass im sechsten Zeiträume Apollons Lied an seinem Ziele an-
gekommen sein werde, war ausgedrückt die Wiederholung des
zweiten Zeitraumes der Erdenentwickelung im sechsten auf ei-
ner höheren Stufe.
Der erste Zeitraum wird auf einer höheren Stufe wiedererschei-
nen im siebenten.
Das durchchristete Erkennen des ersten nachatlantischen Zeit-
raumes, das steht den gegenwärtigen Menschen als ein hohes
Ideal vor; zu einer solchen Empfindungsweise, zu einer solchen
Anschauungsweise wieder zu kommen, wie sie vorhanden war
auf einer niedrigeren Stufe in der ersten nachatlantischen Zeit.
Wiederum soll am Schlüsse unserer nachatlantischen Zeit in
einer gewissen Weise der Mensch, wenn er den Weg hinausgeht
in die äußere Sinnenwelt und das Geoffenbarte hineinarbeitet
in die eigene Seelenwelt, erkennen, dass ihn diese beiden Wege
zu einer Einheit führen. Deshalb ist es gut, wenn man sich ein
wenig hineinversetzt in dieses für heutige - wir stehen ja in der
Zwischenepoche - Gefühle ziemlich fernliegende altindische
Fühlen und Denken. Selbst wenn man nur einige Züge heraus-
greift, so merkt man etwas von dem ganz anders gearteten Füh-
len und Denken, von der ganz andersartigen Stellung zur Weis-
heit und zum Leben, die dazumal bei einem nicht so zum Ich-
Bewusstsein geweckten Menschenwesen vorhanden waren.
Dasjenige, was dann in den Veden niedergeschrieben worden
ist, das ist die Lehre der ersten großen Lehrer des alten Indien,
der heiligen Rishis. Es muss hier auf die Tatsache hingewiesen
werden, dass die heiligen Rishis ihre Anregung empfingen von
jener hohen Individualität, welche die Völker der alten Atlantis
hinübergeführt hat durch das heutige Europa nach Asien hin-
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164
ein. In gewisser Beziehung waren die heiligen Rishis die Schüler
dieser hohen Individualität, des Manu. Und was hat ihnen der
Manu vermittelt? Vermittelt hat er ihnen die Art und Weise,
wie sie dazumal zu der ersten nachatlantischen Weisheit und
Erkenntnis gekommen sind. Zur Erkenntnis kommen, wie das
heute der Fall ist, dadurch, dass man die äußere Natur beobach-
tet, dass man sich in das Innere seiner Seele versenkt, wie sie
heute erst möglich geworden ist, das alles hätte dazumal keinen
Sinn gehabt.
In der ersten Kulturepoche der nachatlantischen Zeit, im altin-
dischen Volk, war der Ätherleib noch weit mehr außerhalb des
physischen Leibes als heute. Der alte Inder konnte sich dieses
Ätherleibes und der damaligen Organe dieses Ätherleibes noch
bedienen, wenn er nicht aufging im Leben des physischen Lei-
bes, sondern sich hingab dem Ätherleib, wenn er sozusagen ver-
gaß, dass er im physischen Leibe steckte. Wenn er dies tat, dann
spürte er, wie wenn er herausgehoben wäre aus sich selbst; wie
wenn er sozusagen wie das Schwert aus der Scheide herausge-
hoben wäre. Indem er das verspürte, empfand er auch etwas von
dem, was man so schildern kann: man sieht nicht durch Augen,
man hört nicht durch Ohren, man denkt nicht durch den physi-
schen Verstandesapparat, man bedient sich der Organe des
Ätherieibes, Das tat er. Dann aber trat vor ihm die lebendige
Weisheit auf; nicht Gedanken, die Menschen denken können
oder gedacht haben, sondern die Gedanken, nach denen die
Götter draußen die Welt geformt haben. Dasjenige, was wir
heute Gedanken nennen, was wir fabrizieren mit dem Instru-
ment des Gehirns als Gedanken, das kannte überhaupt der wirk-
lich im geistigen Leben stehende Inder nicht. Spintisiert, ausge-
dacht, verstandesmäßig überlegt hat der eben gar nicht, sondern
bei ihm war es so, dass er herausstieg aus dem physischen Leib
und in dem Ätherleib schaute. Um ihn herum war, wie eine
momentane Gabe der göttlichen Welt, die ganze kosmische
Summe der Gottesgedanken, aus denen hervorgesprossen ist die
Welt. Wie die Götter gedacht haben in den Musterbildern für
alle Dinge, das stand vor seinem Äthersinnesorgan, das schaute
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er. Er brauchte nicht logisch zu denken. Warum müssen wir lo-
gisch denken? Wir müssen das aus dem Grunde, weil wir durch
das logische Denken die Wahrheit erst finden sollen, weil wir
uns irren können, wenn wir unsere Gedanken in Verbindung
bringen. Wären wir so organisiert, dass sich der richtige Gedan-
ke an den richtigen Gedanken im unmittelbaren Erfühlen reih-
te, dann brauchten wir keine Logik. Der alte Inder brauchte
keine Logik, er schaute die Gedanken der Götter, und die waren
schon von selbst richtig. So hatte er um sich gewoben ein äthe-
risch-kosmisches Netz, gewoben aus den Gedanken der Götter.
Er schaute zu gleicher Zeit in diesem Gedankengewebe, das ihm
wie ein die Welt durchwebendes Seelenlicht schien, die
urewige Weisheit. So, in dieser höchsten Vollendung, wie ich es
Ihnen eben geschildert habe, konnten es allerdings nur die hei-
ligen Rishis, und sie konnten aus diesem Schauen heraus ver-
künden die großen Weltenwesenheiten. Was hatten sie dann
also für eine Empfindung? Sie hatten die Empfindung, dass mit
diesem Weltengewebe von Weisheit, in dem alles eingeschrie-
ben war in lebendigen Vorbildern, das Ganze durchwoben und
durchströmt von der Seele des Lichtes, in sie einströmte die
Wahrheit, die Erkenntnis. So wie der spätere Mensch das Ge-
fühl hat, dass etwas in ihn einströmt, wenn er die Atemluft ein-
saugt, so hatte der alte Inder das Gefühl, dass ihm die Götter
entgegenschickten die Weisheit, und er sie einsaugt, so wie uns
die Atemluft entgegengeschickt wird, die wir dann einsaugen.
Seelenlicht, und dieses Seelenlicht durchgeistigt von Weisheit,
sogen die alten heiligen Rishis ein, und sie konnten das, was sie
so einsogen, lehren denjenigen, die ihre Bekenner wurden. Da-
für konnten sie aber auch sagen: alles dasjenige, was sie verkün-
den, ist ausgehaucht von Brahman selber. Das ist sogar der tiefe,
wörtlich richtige Ausdruck: «Ausgehaucht ist es von Brahman
und eingeatmet von den Menschen.» Dies war die Stellung der
heiligen Rishis zu der Weisheit der Welt, zu dem, was sie ver-
kündeten, was dann in den verschiedenen Partien der Veden,
man könnte sagen, nur in schwachen Bildern niedergeschrieben
ist. Denn dasjenige, was die heiligen Rishis lehrten, ist eben nur
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in schwachen Nachbildern in den Veden niedergeschrieben.
Und wenn die Veden heute gelesen werden, so sollten sich die
Menschen bewusst sein, dass das schwache Nachbilder sind der
ursprünglichen heiligen Weisheit der Rishis. Dennoch aber
müssen wir in den Veden etwas anderes sehen, als was wir sonst
in Schriftwerken finden. Wir können in der Welt die mannig-
faltigsten Schriftwerke finden, wir können auf diesem oder je-
nem Standpunkte stehen, wir können sagen: Ein inneres, seeli-
sches, durchchristetes Leben tritt uns zum Beispiel im Johannes-
Evangelium entgegen; wenn wir aber den Ausdruck nehmen,
der uns darinnen gegeben ist, den äußeren Ausdruck des Johan-
nes-Evangeliums, so steht er seinem Inhalte ferner als das, was
in den Veden steht, zu seinem Inhalte. Es ist ein innigerer Zu-
sammenhang zwischen dem Ausdrucke und dem Inhalte der
Veden, weil unmittelbar sozusagen eingeflossen und wiederge-
geben worden ist im Vedenworte das, was eingeatmet worden
ist; während der Schreiber des Johannes-Evangeliums die tiefen
Weistümer so geschrieben hat, dass er sie empfangen und sie
hinterher niedergeschrieben hat, und der Ausdruck weiter ab-
steht von dem, was der Inhalt ist.
Diese Dinge müssen uns klar sein, wenn wir die Weltenentwi-
ckelung wirklich verstehen wollen. Daher müssen wir empfin-
den, dass es ein natürliches Gefühl ist, wenn der Christ sagt:
«Ich schätze das Johannes-Evangelium über alles», wenn der
Christ aber auch das Bedürfnis hat, nicht bei dem Worte dieses
Evangeliums stehenzubleiben, sondern durchzudringen, wie es
die Geist-Erkenntnis tut, zu dem spirituellen Gehalt dieses Jo-
hannes-Evangeliums, wenn er sagt: «Mir wird es erst dadurch,
was es sein soll, dass ich durchdringe zu demjenigen, was da im
äußeren Ausdrucke gegeben ist.» Derjenige aber, der sich in der
richtigen Weise zu den Veden stellen will, der muss sich wie
der alte Inder dazu stellen, das heißt er muss sagen: «Dasjenige,
was in den Veden selbst steht, hat kein Mensch hinterher bloß
nachgeschrieben als Ausdruck der göttlichen Weisheit, sondern
das ist unmittelbar eine Nachbildung dessen, was eingeatmete
Weisheit ist.» Daher ist das Vedawort, daher sind die Teile der
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Veden, namentlich der Rig-Veda, nicht nur Urkunden über
Heiliges, sondern selbst ein Heiliges für diejenigen, die empfan-
den, wie der Zusammenhang ist. Und dadurch die unendliche
Verehrung des Veda selber wie eines göttlichen Wesens in alten
Zeiten. Das müssen wir nur verstehen. Und wir müssen es ver-
stehen aus der Seele des alten Inders heraus. Und wir müssen
mancherlei lernen, weil wir ja einem Ideale entgegengehen,
dem Ideale, die erste Kulturepoche in Erhöhung wiederzufin-
den, das heißt wieder zu begründen. Wir müssen etwas von
dem lernen, was zum Beispiel gesagt wird in Bezug auf das
Vedawort, dass Baravadscha durch drei Jahrhunderte hindurch
den Veda studiert hat. Der heutige Mensch wird glauben, wenn
er drei Jahrhunderte den Veda studierte, dass er ungeheuer vie-
les wüsste; er wird verhältnismäßig schon, wenn er viel kürzere
Zeit ihn studiert hat, glauben, dass er vieles weiß. Da kam, so
wird uns erzählt, eines Tages zu Baravadscha der Gott Indra und
sagte zu ihm: «Du hast jetzt durch drei Jahrhunderte den Veda
studiert; siehe einmal, drei hohe Berge sind da, mächtig hohe
Berge! Der eine bedeutet den ersten Teil des Veda, den Rig-
Veda, der zweite Berg bedeutet den zweiten Teil des Veda, den
Sama-Veda, und der dritte Berg bedeutet den dritten Teil des
Veda, den Yagur-Veda. Du hast sie studiert, diese drei
Vedenteile, durch drei Jahrhunderte.» Dann nahm der Indra
drei kleine Klumpen von Erde, gerade so viel als man in einer
Hand halten kann, aus diesen Bergen heraus und sagte: «Sieh dir
diese Klumpen an! Soviel weißt du jetzt von den Veden, wie
sich diese Klumpen verhalten zu den großen, mächtigen Ber-
gen.» Verwandeln Sie einmal dies, was da ausgesprochen wurde,
in ein Gefühl, dann heißt es: treten Sie an die höchste Weisheit
heran, sei es in dieser oder jener Form, auch in der Form, wie
sie uns heute entgegentritt, wo wir berufen sind, nicht aus Bü-
chern, sondern aus dem, was in der Welt steht, durch die Bot-
schaft des Rosenkreuzes wiederum die Weisheit zu suchen, und
wenden Sie das an auf dasjenige, was uns als Geistes-Erkenntnis
gegeben wird, und fühlen Sie so und stellen Sie sich in der rich-
tigen Weise dazu, so werden Sie kaum sagen können von sich,
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dass Sie soviel von Geist-Erkenntnis gehört haben wie
Baravadscha damals von den Veden; aber es sollte sich dieses
Gleichnis von Baravadscha ein jeder gesagt sein lassen, dann
wird er gefühlsmäßig in das richtige Verhältnis sich setzen zur
umfassenden Weisheit der Welt. Und von solcher Art wird die-
ses Gefühl sein, dass ein Unendliches empfunden wird, von dem
wir immer nur einen kleinen Klumpen haben können. Dadurch
bekommen wir auch die richtige Sehnsucht, in der richtigen
Weise vorzuschreiten und Geduld zu haben, bis sich wieder ein
kleines Klümpchen ansetzt. Die Ahnung gehört zu den
allerwohltatigsten Gefühlen der Menschenseele. Vieles kann
gelernt werden aus der uralten Weisheit des Orients; zu dem
Wertvollsten, was gelernt werden kann aus diesem Lichte, ge-
hören solche Dinge, die sich auf unser Gefühl und unsere Emp-
findung beziehen; und das ist etwas von demjenigen, was der
Gott Indra dem Baravadscha als eine Art von Anleitung gab,
sich in der richtigen Weise zu den Veden zu stellen. Solche Ge-
fühle von heiliger Scheu, von Ehrfurcht müssen wir uns wieder
erringen, wenn wir entgegengehen wollen einem Zeiträume,
wo wir hineinschauen dürfen in das, was die Verkündigung der
neueren Mysterien ist, wo wir wiederum hineinschauen in je-
nen Weisheitsteppich, der aus den göttlichen Gedanken gewo-
ben ist und nicht aus den Menschengedanken. Das ist auch das
allerbeste, was wir an Gefühlen lernen. Aber wir wollen nicht
glauben, dass wir diese Gefühle im gewöhnlichen Bewusstsein
schon haben, sondern wir müssen uns klar sein, dass zu den
höchsten Gefühlen der Weg eben durch das Wissen geht. Und
wenn man den Gedanken umgehen will, wenn man zu bequem
ist, so durch die Ätherhöhe der Gedanken die Gefühle zu su-
chen, so wird man bei den gewöhnlichen trivialen Gefühlen
bleiben und sie nur verwechseln mit dem, was innere Versen-
kung der Seele in die Göttlichkeit ist. Solche Gefühle, wie sie im
alten Indien zu finden waren, gehörten als ein Grundzug der
ganzen Weisheit im ersten nachatlantischen Zeiträume dazu,
um in der richtigen Weise sich damals zur Welt zu stellen und
eine Einheit zu empfinden in den geistigen Welten, die man
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findet, wenn man den Weg nach auswärts oder einwärts sucht.
Bei allen folgenden Kulturen muss sich ein anderes zeigen.
Während in dem alten Indien eine Vereinigung ist der beiden
Wege, gehen die folgenden Zeiträume, der urpersische Zeit-
raum, der chal-däisch-ägyptische Zeitraum, der griechisch-
lateinische Zeitraum in Bezug auf die beiden Offenbarungen
von innen und außen die Wege, die wir als eine Gabelung be-
zeichnen können. Auf der einen Seite haben wir die Offenba-
rung von außen, auf der anderen Seite die Offenbarung von in-
nen. So ist es schon in dem zweiten Zeitraum der nachatlanti-
schen Kulturen. Da haben wir auf der einen Seite nicht nur den
Weg des Volkes, sondern auch den Weg der Mysterien, sowohl
nach außen in das Reich des Ahura Mazdao, als nach innen.
Was man innerhalb der altindischen Denkweise noch lebendig
erschaut hat, das einheitlich hinter den beiden Geisteswelten
Dahinterstehende, das war für den zweiten nachatlantischen
Zeitraum etwas, was gleichsam schon dem Blicke entschwunden
war, was schon in einem undurchdringlichen Untergrunde des
Daseins war, wovon man noch eine Ahnung hatte, was aber
nicht mehr in der Seele leben konnte. Der alte Inder fühlte: «Da
gehe ich hinaus, auf der anderen Seite gehe ich hinein und
komme zur Einheit.» Der Perser ging den Weg nach außen und
sagte, wenn er sich an die Lehre des Zarathustra hielt: «Ich
komme zu Ormuzd!» und wenn er den Weg nach innen ging:
«Ich komme zu der Wesenheit des Mithras!» Aber es schlössen
sich ihm diese zwei Wege nicht mehr zusammen. Er ahnte nur
noch, dass sie sich zusammenfinden müssen irgendwo. Daher
sprach er von dem Wesen als dem Unbekannten im Dunkel, das
man nur ahnen kann, dem unbekannten Urgotte. Das war nur
noch ein urgeistiges Wesen, von dem man wusste, dass es dasein
muss, das man aber nicht mehr finden konnte. Zaruana akarana,
das war der Name für diesen im Dunkel wesenden, aber nicht
mehr auf den beiden Wegen erreichbaren persischen Gott. Was
man erreichen konnte, war das, was hinter dem Teppich der
äußeren Sinneswelt lag. Da war zunächst dasjenige, auf was Za-
rathustra hinwies. Also etwas, was schon ein Abkömmling war
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170
des Zaruana akarana. Es war der Gott Ahura Mazdao, der Herr-
scher im Reiche der Sonnengeister, in dem Reiche, aus dem die
wohltätigen Wirkungen herunterkamen, die im Gegensatz zu
den physischen Sonnenwirkungen als die geistigen zu bezeich-
nen sind, der Geist, von dem zum Beispiel der alte Perser das
ableitete, was an Sittenregeln und an Gesetzen vorhanden war,
was der Eingeweihte - der war es, der sich durch die Einwei-
hung zu den Sittenregeln und Gesetzen hinaufschwang - herun-
terholte als Sittengesetze, als Gesetze des menschlichen Han-
delns, der menschlichen Verrichtungen und so weiter. Das also
war der eine Weg; und man sah sozusagen in höchster Region
diesen Geist, der der Geist der Sonne ist, walten; da sah man
seine Diener, die Amshaspands, diejenigen, die sich gleichsam
um seinen Thron herumstellten, die seine Boten waren. Wäh-
rend er das gesamte Reich regierte, lenkten diese die einzelnen
Teile. Untergeordnetere Wesenheiten, welche wiederum unter
den Amshaspands stehen, sind diejenigen, die man gewöhnlich
dielzets oderlzarats nennt. So dass der alte Perser hinausblickte
in das Reich hinter den Teppich der Sinnenwelt, und eine
höchste geistige Wesenheit sah: Ahura Mazdao und unter ihm
ein Korps von Amshaspands; dann wiederum untergeordnetere
Wesenheiten, die Izets oder Izarats; und es gab noch Wesenhei-
ten, von denen wir sagen können, dass sie dasjenige sind in der
geistigen Welt, was die Gedanken der Menschen in der Seele
sind. Diese Gedanken in der menschlichen Seele sind ja nur
Schattenbilder ihrer Wirklichkeiten; draußen in der spirituellen
Welt entsprechen unseren Gedanken gewisse geistige Wesen-
heiten. Für die altpersische Auffassung waren diese Wesenhei-
ten, die man Fravashis nannte, diejenigen, die sozusagen unmit-
telbar über dem Menschen standen. So also dachte man sich in-
nerhalb der persischen Entwickelung das Reich hinter dem
Teppich der Sinnenwelt mit einer Stufenfolge von geistigen
Wesenheiten bis hinauf zu Ormuzd. In dem Augenblick aber,
wo man nicht den völligen Einklang sieht zwischen dem geisti-
gen Reiche, das man findet auf dem Wege nach außen, und dem
geistigen Reiche, das man findet auf dem Wege nach innen, da
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hängt es schon im hohen Grade von dem Menschen ab, wie er
namentlich das Reich im Innern sieht. Nun war aber auch die
ganze Natur den persischen Menschen eine andere geworden,
als es die Natur den altindischen war. Diese Eigentümlichkeit,
den Ätherleib noch so weit draußen zu haben, die hatte der An-
gehörige der altpersischen Menschheit nicht mehr; da war
schon der Ätherleib viel weiter in den physischen Leib hinein-
geschlüpft. Daher konnten sich die Angehörigen des altpersi-
schen Volkes nicht mehr der Organe des Ätherleibes bedienen,
wie die Angehörigen des altindischen Volkes das konnten. Die
Organe, deren sich die Angehörigen des altpersischen Volkes
bedienten, waren diejenigen Organe, die ursprünglich dem
Menschen eingegliedert waren in dasjenige, was wir heute den
Empfindungsleib nennen. Sie wissen ja, dass wir am vollständi-
gen Menschen zu unterscheiden haben den physischen Leib,
den Ätherleib, den Empfindungsleib, die Empfindungsseele, die
Verstandesseele, die Bewusstseinsseele, dann dasjenige, was man
Geistselbst nennt, dann den Lebensgeist, und schließlich den
eigentlichen Geistmenschen.
Geistmensch
Lebensgeist
Geistselbst
Bewusstseinsseele
Verstandesseele
Empfindungsseele
Empfindungsleib
Ätherleib
Physischer Leib
Der altindische Mensch bediente sich also sozusagen in der
Weise, wie sie charakterisiert worden ist, seines Ätherleibes,
wenn er sich zu den höchsten Erkenntnissen emporschwingen
wollte. Der Perser konnte das nicht mehr; er konnte sich aber
des Empfindungsleibes bedienen. Er also erhob sich zu seinen
höchsten Erkenntnissen durch den Empfindungsleib. Weil er
nicht mehr mit dem Ätherleib schauen konnte, so verhüllte sich
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die höchste Einheit vor ihm. Mit dem Empfindungsleib konnte
er noch hinausblicken und in gewisser Weise astralisch sehen.
Das war bei vielen Mitgliedern des persischen Volkes noch der
Fall: astralisch zu sehen den Ahura Mazdao und seine Diener,
weil man sich des Empfindungsleibes noch bedienen konnte.
Nun wissen Sie aus der Darstellung in meiner «Theosophie»,
dass der Empfindungsleib gebunden ist an die Empfindungssee-
le. In dem Augenblick, wo also der Angehörige des altpersischen
Volkes sich des Empfindungsleibes bediente, war sozusagen die
Empfindungsseele dabei; aber er war noch nicht dahin gelangt,
sich dieser zu bedienen, denn sie war noch nicht ausgebildet, sie
musste erst ausgebildet werden. Daher war der Angehörige des
altpersischen Volkes in einer ganz besonderen Lage. Er bediente
sich seines Empfindungsleibes. Da spielt immer die Empfin-
dungsseele hinein. Die musste er aber erst hinnehmen so, wie
sie damals war. Daher musste er empfinden: Wenn der Empfin-
dungsleib, der jetzt schon ausgebildet ist, sich erhebt zu Ahura
Mazdao, dann ist die Empfindungsseele dabei. Die ist aber in
einer gewissen Gefahr, und sie wird, wenn sie ihre Empfindun-
gen offenbart, sie geradeso in den Empfindungsleib hineinschi-
cken; sie wird dasjenige, was von alten luziferischen Verführun-
gen da ist, zwar nicht als solche äußern, denn dazu hat sie noch
keine Fähigkeiten, aber sie wird ihre Wirkungen in den Emp-
findungsleib hineinschicken. - So nahm man im alten Persien
Hereinwirkungen der Empfindungsseele auf den Empfindungs-
leib wahr, die gleichsam ein von der Außenwelt
hereinleuchtendes Spiegelbild dessen darstellten, was in der
Empfindungsseele von alten Zeiten her wirkte. Das ist, von in-
nen gesehen dasjenige, was man die Wirkungen Ahrimans, die
Wirkungen des Mephistopheles nennt. Daher fühlte man, man
steht zwei Mächten gegenüber. Blickt man auf dasjenige, was
der Mensch erlangen kann, wenn er den Blick nach außen rich-
tet, so schaut man zu den Mysterien des Ahura Mazdao, lässt
man den Blick in das Innere fallen, dann steht man mit Hilfe des
Empfindungsleibes durch dasjenige, was Luzifer bewirkt hatte,
vor dem Gegner des Ahura Mazdao, vor Ahriman. Es gab nur
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eines, welches schützte vor den Anfechtungen der
Ahrimangestalt, und das trat zu Tage: wenn man durch die
Einweihung der Menschheit voraneilte, wenn man die Empfin-
dungsseele ausbildete. Wenn man diese ausbildete und reinigte,
und so der Menschheit vorausschritt, dann ging man den Weg
nach innen, einen Weg, der zu etwas anderem führte als zu
Ahura Mazdao; dann ging man den Weg zu den lichtvollen
Luziferreichen. Und dasjenige, was da die Menschenseele
durchdrang auf dem Wege nach innen, das nannte man später
den Gott Mithras. Daher sind die persischen Mysterien, die das
Innenleben pflegten, die Mithrasmysterien. So haben wir auf
der einen Seite den Gott Mithras, wenn der Mensch den Weg
nach innen ging; und dasjenige, was er auf dem Wege nach au-
ßen traf, waren die Reiche des Ahura Mazdao.
Und jetzt schreiten wir heraus in die nächste nachatlantische
Kulturepoche, in die chaldäisch-ägyptische Zeit. Da haben wir
eine merkwürdige Erscheinung in dieser chaldäisch-ägyptischen
Zeit. Nicht umsonst benennen wir sie mit zwei Namen. Wir ha-
ben nämlich auf der einen Seite während dieser Kulturepoche
drüben in Asien Angehörige der nördlichen Völkerströmung,
das ist das chaldäische Element; und der anderen Strömung ge-
hört das ägyptische Element an, der Völkerströmung, die auf
dem südlichen Wege gezogen ist. Da haben wir eine Epoche, wo
zwei Völkerströmungen zusammenstoßen. Und wenn Sie sich
erinnern, dass die nördliche Strömung vorzugsweise den Blick
nach außen entwickelte, das Suchen nach jenen Wesenheiten,
die hinter dem Teppich der Sinnenwelt standen, und dass das
ägyptische Volk diejenigen Geister suchte, die man auf dem
Weg nach innen findet, so werden Sie begreifen, wie hier zwei
Strömungen zusammenwirkten. Also da stoßen der Weg nach
außen bei den Chaldäern und der Weg nach innen bei den
Ägyptern zusammen. Das empfanden die Griechen auch in ei-
ner ganz richtigen Weise, wenn sie die chaldäischen Götter ver-
glichen mit ihrem apollinischen Reiche. Sie suchten dasjenige,
was ihnen von den Chaldäern zukam, in ihren apollinischen
Mysterien auf ihre Art. Wenn sie aber von Osiris sprachen und
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von demjenigen, was dazu gehörte, dann suchten sie das in ent-
sprechender Weise bei sich in ihren dionysischen Mysterien.
Man hatte dazumal ein ahnendes Bewusstsein davon, wie die
geistigen Zusammenhänge wirklich sind.
Nun schreitet die Menschheit aber vor in der Zeit; sie kommt
immer weiter, bildet neue Glieder aus. In der altindischen Peri-
ode hat man den Ätherleib und seine Organe ausgebildet; in der
urpersischen Periode bediente man sich des Empfindungsleibes
und bildete diesen aus, und in der chaldäisch-ägyptischen Peri-
ode bildete man nun die Empfindungsseele, das heißt ein vor-
zugsweise inneres Glied aus. Während der Empfindungsleib
noch nach außen gerichtet ist, ist die Empfindungsseele schon
nach innen gerichtet. Man entfernt sich also von demjenigen
noch mehr als früher, was göttlich-geistige Welten sind. Man
lebt ein inneres Leben in der Seele und muss dies Leben gegen-
über dem, was nicht im Menschen ist, beschränken auf das, was
die Sinne wahrnehmen. So ist auf der einen Seite immer mehr
und mehr das Reich der Sinnenwelt dagewesen, und auf der an-
deren Seite hat sich das Seelenleben immer mehr und mehr ver-
selbständigt. Die Kultur der Empfindungsseele ist die Kultur des
dritten Zeitraums. Dasjenige aber, was die Empfindungsseele
ausbildet, das sind jetzt nicht mehr geschaute Weisheiten, die
wie aus einem Teppich der Umwelt abgelesen werden. Das äh-
nelt schon dem, was der heutige Mensch ausdenkt, obwohl es,
weil der heutige Mensch schon bis zur Bewusstseinsseele vorge-
drungen ist, damals noch viel lebendiger ist. Es sind sozusagen
die Gedanken noch vollsaftiger; sie sind lebendigere Gedanken
als heute, Gedanken, die so lebendig sind, wie heute für uns die
Empfindung «rot» ist. Der Mensch empfindet heute seine Ge-
danken nicht mehr mit derselben Intensität, wie er einen Ge-
schmack oder Geruch empfindet. Damals, als in der ägyptischen
Zeit die Empfindungsseele vorzugsweise ausgebildet wurde, wa-
ren die Gedanken so, dass sie so lebendig in der Seele lebten wie
heute die Empfindung der roten Farbe, eines Geruchs oder eines
Geschmacks. Heute sind die Gedanken abgeblaßt, abstrakt ge-
worden. Konkret waren sie damals. Sie waren noch mehr ge-
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schaute Gedanken, wenn auch nicht solche Gedanken, die man
draußen ausgespannt erblickte in der physischen Welt, so doch
Gedanken, von denen man fühlte: man hat sie nicht ausgeklü-
gelt, sondern es sind Gedanken, die aufsteigen in der Seele wie
Eingebungen, die auffluteten und da waren. Man sagte nicht
mehr: man atmet die Weisheit ein - aber man ist von den Ge-
danken lebendig durchdrungen, sie sprießen herauf in der See-
le, sie sind von der spirituellen Welt in unsere Seele herauf ge-
trieben. So ändert sich im Laufe der Zeit alles. Daher hatte der
Angehörige der chaldäisch-ägyptischen Epoche nicht mehr das
Bewusstsein von der Weisheit der Welt als wie einer ausgebrei-
teten Lichtwelt, die er einatmet, sondern er hatte das Bewusst-
sein, dass er Gedanken hatte, allerdings solche Gedanken, die als
Inspiration aufstiegen. Und der Inhalt einer solchen in ihm auf-
steigenden Wissenschaft, das ist die chaldäische Astrotheologie
und das ist die ägyptische hermetische Weisheit. Auf diesem
Wege sind sie zustandegekommen. Dasjenige, was in den Ster-
nen lebte und sie bewegte, was in den Dingen pulste, das konnte
der Mensch nicht mehr ablesen, aber es kündigte sich in seinem
Innern als die alte Weisheit der chaldäisch-ägyptischen Periode
an. Dabei ist es bei den Chaldäern so, dass die Menschen das
Bewusstsein hatten: Dasjenige, was wir da wissen, ist nicht bloß
unser Inneres; das ist ein Spiegelbild dessen, was draußen vor-
geht. Bei den Ägyptern war es so, dass sie das Bewusstsein hat-
ten: Was da aufsteigt, ist ein Spiegelbild der verborgenen Götter,
die der Mensch trifft nicht zwischen Geburt und Tod, sondern
zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. - So waren die
Ägypter und Chaldäer voneinander unterschieden, dass in ihrer
Weisheit die einen wahrnehmen dasjenige, was hinter der Welt
ist, in der wir leben zwischen Geburt und Tod, und die anderen,
die Ägypter, in ihrer inspirierten Weisheit dasjenige, was lebt
zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Notwendigerweise
waren aber, wie Sie aus dem ganzen Sinne dieser Entwickelung
sehen können, diese Eingebungen des Innern, diese aufsteigen-
den inspirierten Gedankenmassen fern dem eigentlichen Urwe-
sen in seiner Einheit. Man drang sozusagen nicht mehr so weit,
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als man noch im Empfindungsleib hat dringen können in der
urpersischen Zeit. Es war schon alles mehr abgeblaßt, es war
nicht mehr so viel von der Außenwelt darinnen; die hatte sich
schon mehr zurückgezogen. Man hatte also eine Weisheit der
Außenwelt in sich erlebt, nicht mehr die Weisheit in der Au-
ßenwelt selber. Dennoch hatten diejenigen, die sie kennenlern-
ten mit den rechten Gefühlen, vor den Weisheiten der urpersi-
schen Periode den denkbar größten Respekt. Wenn man in ei-
nem Wort die paradigmatischen Weisheiten ausdrücken will,
welche die Chaldäer geschaut haben über die der physischen
Welt zugrunde liegende geistige Welt, so kann man sagen: das
sind die chaldäischen Wahrsprüche; und die Sammlung der
chaldäischen Wahrsprüche, sie hat einen hochgeachteten Weis-
heitsschatz gebildet in den alten Zeiten. Unendlich Wichtiges
von den Geheimnissen der Welt steckt in diesen Wahrsprü-
chen. Man schätzte sie ebenso, wie man die Offenbarungen, die
man erlebte zwischen dem Tode und einer neuen Geburt
schätzte; als ägyptische Weisheitsquellen schätzte man diese.
Aber noch dunkler und schattenhafter war dasjenige Wesen
geworden, das noch in voller Gegenwart des Erkennens in der
altindischen Kulturepoche war und sich nun seiner tieferen
Wesenheit nach zurückgezogen hatte vor dem Blicke. Noch
schattenhafter als Zaruana akarana ist dieses höchste einheitli-
che Wesen der chaldäisch-ägyptischen Weisheit. Die Chaldäer
nennen es Anu, und es bezeichnet etwas, was die Einheit ist der
beiden Welten, was aber weit, weit über demjenigen, was man
erkennen kann, erhaben liegt. Und auch in diejenigen Regio-
nen, in die noch der Zarathustramensch hinauf geschaut hat,
wagen die Chaldäer nicht mehr hinaufzuschauen, sondern sie
schauen hinauf in diejenigen Regionen, die schon sehr nahe
stehen dem menschlichen Gedanken. Da, sagen sie, findet sich
zwar alles, denn das Höchste findet sich im Niedrigsten auch,
aber da finden sie etwas, was sie als ein Wesen bezeichnen, das
eine Abschattierung ist von dem Höchsten. Sie nannten das
Apason. Dann sahen sie etwas, was ihnen erschien wie eine Ab-
schattung dessen, was wir etwa heute substantiell unter dem
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Geistesmenschen stehend denken würden, was wir aus dem Le-
bensgeist geformt denken würden. Das nannten sie etwa so, dass
wir ihr Wort nachbilden können, wenn wir sprechen Tauthe.
Dann hatten sie ein Wesen, das nannten sie Moymis. Moymis
war ungefähr dasjenige, was die Geist-Erkenntnis heute ge-
wohnt ist einen Weltgeist zu nennen, was ein Wesen ist, bei
dem das unterste Glied das Geistselbst ist. So erblickten sie eine
Dreiheit, die über ihnen stand. Sie waren sich aber bewusst, dass
diese Dreiheit nur in Bezug auf ihre untersten Glieder ihnen
ihre wahre Gestalt zeigte, dass die höheren Glieder Abschattun-
gen des Höheren sind, das sich zurückgezogen hatte vor ihnen.
Und wie ein Abkömmling dieser Wesenheit, die etwa Moymis
zu nennen ist, in der Region der Ichheit oder des Feuerwesens,
muss dann Bei, derjenige Gott, der als der Weltenbildner auch
der Volksgott war, angesehen werden.
So sehen wir, wie auch in der Benennung der Götter sich aus-
drückt das, was sich herangebildet hat im ganzen Volkswesen.
Wenn der Angehörige dieser chaldäischen Welt dann den Weg
nach innen antrat, so sagte er, er komme durch den Schleier des
Seelenlebens in eine Welt untermenschlicher oder unterirdi-
scher Götter. Adonis ist etwa ein späterer Name für diejenigen
Wesenheiten, die sie gefunden haben auf dem Wege nach in-
nen. Nur für die Eingeweihten war dieser Weg der gangbare,
denn mit großen Gefahren war er verbunden für die Uneinge-
weihten. Aber der Eingeweihte erlebte dafür auch, wenn er die-
sen Weg ging, wenn er sich so entwickelte, dass er hinausge-
langte in die Welt, die unter dem Schleier des Seelenlebens liegt
- er erkannte etwas, was sich vergleichen lässt mit Erlebnissen
der Einweihung von heute. Denn wir nähern uns schon den Ei-
gentümlichkeiten, die immer mehr und mehr zu den Eigentüm-
lichkeiten unserer Zeit sich herausbilden. Derjenige, der im al-
ten Chaldäertume eingeweiht wurde, der machte zwei Erlebnis-
se durch, und man sorgte dafür, dass er diese zwei Erlebnisse
möglichst so machte, dass sie zusammenfielen, dass er also den
Weg betrat nach außen in die geistige Welt hinein und nach
innen in die geistige Welt hinein, so dass er wenigstens ein Ge-
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fühl erhielt von einem gemeinschaftlichen Weben und Leben
des Geistigen draußen und drinnen. Und dann erlebte er auf
dem Wege nach innen die Begegnung mit jenem geistigen We-
sen, das man innerhalb des Chaldäertums Istar nannte und von
dem man wusste, dass es zu den wohltätigen Mondgottheiten
gehörte. Istar stand da an der Schwelle, die sonst den Menschen
verschließt, was hinter dem Seelenleben an Geistigkeit steht.
Und auf der anderen Seite, wo man das Tor findet in die geistige
Welt durch den Teppich der äußeren Sinneswelt, da stand der
andere Hüter: Merodach oder Marduk. Merodach, er stand mit
Istar da. Merodach, den wir mit dem Hüter der Schwelle, mit
dem Michael vergleichen können, Merodach und Istar waren es,
welche das Innere der Seele hellsehend machten und den Men-
schen nach den beiden Seiten hin in die geistige Welt einführ-
ten. Daher erlebte der Mensch durch diese Begegnung das, was
man symbolisch auch heute noch so empfindet: Es wird dem
Menschen der leuchtende Kelch gereicht, das heißt der Mensch
lernt den allerersten Gebrauch seiner Lotusblumen noch tastend
kennen. - Dann schreitet er allmählich weiter. So sehen Sie, wie
schon das Überschreiten einer gewissen Schwelle in dieser Epo-
che notwendig ist. In Ägypten ist es etwas anders, aber doch
ähnlich.
So schritt die Menschheit weiter auf ihrem Wege zur Entwicke-
lung in unsere Zeit hinein. Dann aber rückte der Zeitpunkt her-
an, der vorbereiten sollte das Herabkommen des kosmischen
Sonnengeistes auf die Erde. Der Geist, der vorher äußerlich war,
sollte nun hineintreten in die menschliche Seele, dass er im In-
nern zu finden ist; wie früher die luziferischen Gottheiten zu
finden waren, wie Osiris im Innern zu finden war. Die beiden
Wege, die sich deutlich im Gegensatze bei den Chaldäern und
Ägyptern zeigten, sollten sich gegenseitig befruchten. Das muss-
te geschehen. Wie konnte das geschehen? Es konnte dadurch
geschehen, dass ein Bindeglied geschaffen wurde. Dieses Binde-
glied geht aus von Ur in Chaldäa, wie richtig die Bibel vom heb-
räischen Volk erzählt. Da nimmt es jene Offenbarungen mit, die
von außen kommen.
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Dann geht es nach Ägypten, nimmt auf, was von innen kommt,
und vereinigt beides, so dass zum erstenmal in Jahve eine We-
senheit voranleuchtend auftritt für Christus, welche die beiden
Wege vereinigt. Was frühere Götter waren, das wird jetzt von
zwei Seiten her dem Menschen kund. Wie später der Christus
innerlich beleuchtet wird, so wird wenigstens von außen be-
leuchtet dasjenige, was früher als gewisse Götter in der Dunkel-
heit erscheint. So sehen wir, dass in Jahve oder Jehova eine
Gottheit auftritt, die auf dem Wege nach innen gefunden wird,
aber noch nicht durch sich selbst sichtbar wird, die nur sichtbar
wird, wenn sie von außen beleuchtet wird. Das zurückgeworfe-
ne Christus-Licht ist bei Jehova. Da sehen wir deutlich nebenei-
nandertreten und sich gegenseitig befruchten diese beiden Rich-
tungen, die uns jetzt so viel beschäftigt haben. Damit aber be-
ginnt überhaupt etwas ganz besonders Neues im Entwicke-
lungsgange der Menschheit. Jetzt beginnt, dass sich Äußeres
und Inneres befruchten; jetzt beginnt das, wo das Innere zum
Äußeren wird, wo in den Raum hinausdringt, um nebeneinan-
der zu sein, dasjenige, was früher nur innerlich in der Zeit ge-
lebt hat. Durchsuchen Sie Ihr Seelenleben einmal. Dieses ist
nicht im Räume ausgebreitet, das verläuft in der Zeit. Die ein-
zelnen Gedanken und Empfindungen sind hintereinander. Was
draußen ist, das ist im Räume ausgebreitet, das ist nebeneinan-
der. Daher muss jetzt das eintreten, was man nennt: das Hinaus-
fließen von etwas, was bisher nur in der Zeit gelebt hat, in den
Raum zum Nebeneinander. Das geschieht auch, dass etwas, was
nur in der Zeit gelebt hat, im Räume nunmehr nebeneinander-
lebt. Damit geschieht ein Wichtiges, und dieses drückt sich in
ganz besonders tiefer Weise aus.
Alles dasjenige, was früher menschliche Geistesentwickelung
war, was hinausführte über die äußere Raumeswelt, führte auch
äußerlich in die Zeit hinein. Nun - alles, was zeitlich angeord-
net ist, das ist nach dem Maße und nach der Natur der Sieben-
zahl angeordnet. Wir beherrschen den Weltenwerdegang, wenn
wir die Zahl Sieben zugrunde legen, indem wir sagen: Saturn,
Sonne, Mond, Erde-Mars, Merkur-Jupiter, Venus und Vulkan,
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indem wir zum Beispiel hier sieben Zeiträume haben. In allem,
was der Zeit unterliegt, finden wir uns zurecht, wenn wir die
Zahl Sieben anwenden. Daher werden wir überall da, wo wir in
die Zeit hineingeführt werden, zur Siebenzahl geführt werden.
Alle die Kollegien und Logen, welche aus dem Räume hinaus in
das Zeitliche hineinführen, wenn sie zum Oberweltlichen füh-
ren, unterliegen eben der Siebenzahl. Der Siebenzahl unterlie-
gen die heiligen Rishis, der Siebenzahl unterliegen die anderen
heiligen Lehrer der Völker bis herein zu den sieben Weisen
Griechenlands. Die Grundzahl des Raumes ist die Zwölf. Und
indem die Zeit herausfließt in den Raum, wird sie zur Offenba-
rung durch Zwölf. Daher herrscht die Zwölf da, wo die Zeit aus-
fließt in den Raum. Zwölf Stämme haben wir in Israel, zwölf
Apostel in dem Augenblick, wo der Christus, der sich vorher in
der Zeit geoffenbart hatte, herausfließt in den Raum. Was in der
Zeit ist, ist hintereinander. Was daher von dem Räume in die
Zeit hinführt zu den Göttern des luziferischen Reiches, führt in
die Siebenzahl hinein. Wollen wir etwas charakterisieren seiner
Wesenheit nach in diesem Reiche, so finden wir diese Wesen-
heit, wenn wir das zu Erforschende auf seine Vaterschaft zu-
rückführen. Wir erkennen dasjenige, was in der Zeit sich ent-
wickelt, wenn wir von dem Späteren zu dem Früheren wie vom
Kind zum Vater aufsteigen. Indem wir in die Zeitenwelt, die
von der Siebenzahl beherrscht ist, hineingehen, sprechen wir
von den Kindern und ihrem Ursprünge, von den Kindern der
geistigen Wesenheiten, von den Kindern des Luzifer. Wenn wir
die Zeit herausführen in den Raum, sprechen wir von denjeni-
gen Wesenheiten, die nebeneinanderstehen, bei denen das Ste-
hen nebeneinander und damit auch das Fließen der Seelenim-
pulse von dem einen zum anderen im Räume in Betracht
kommt. Wo die Siebenzahl sich dadurch, dass die Zeit in den
Raum herausfließt, in die Zwölf verwandelt, hört auf der Begriff
des Kindes denselben übersinnlichen Sinn zu haben; da tritt der
Begriff der Bruderschaft auf; die nebeneinander leben, das sind
Brüder. So steigen wir auf in der Menschheitsentwickelung, in-
dem wir den wichtigen Begriff der Göttersöhne verwandeln in
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den Begriff der Brüder, die nebeneinander leben. Brüder, Ge-
schwister leben nebeneinander. Was voneinander abstammt,
lebt nacheinander. Wir sehen hier in einem wichtigen Zeit-
punkt den Übergang von den Söhnen oder Kindern des luziferi-
schen Reiches und seiner Wesenheit zu den Brüdern Christi,
einen Übergang, von dem wir morgen noch weiter sprechen
werden.
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NEUNTER VORTRAG
MÜNCHEN, 31. AUGUST 1909
Die Tatsache, mit der wir gestern unsere Betrachtungen ge-
schlossen haben, muss notwendigerweise, wenn sie zum ers-
tenmal an den Menschen herantritt, etwas unverständlich blei-
ben. Sie gehört zu den Geheimnissen der Zahl. Und die Ge-
heimnisse der Zahl sind diejenigen, zu denen verhältnismäßig
am schwierigsten hin zu gelangen ist.
Es ist gesagt worden, dass zwischen den Zahlen Sieben und
Zwölf ein gewisses Verhältnis besteht, und dass dieses Verhält-
nis etwas zu tun hat mit Zeit und Raum. Nun ist es zwar mög-
lich, dass das Geheimnis, das damit ausgesprochen ist, nach und
nach von allen Menschen verstanden werden kann, aber im
Sinne der gegenwärtig allein anerkannten Erkenntnis ist die Sa-
che eine bloße Behauptung. Sie soll zunächst erläutert werden.
Man findet sich im Weltengetriebe, darauf konnte schon hin-
gewiesen werden, zurecht, wenn man unterscheidet zwischen
denjenigen Verhältnissen, die vorzugsweise räumlich sind, und
denjenigen die vorzugsweise zeitlich sind. Man begreift die
Welt, wie sie uns umgibt, zunächst in Raum und Zeit. Wenn
man sich aber nicht darauf beschränkt, abstrakt von Raum und
Zeit zu sprechen, sondern verstehen will, wie sich die Verhält-
nisse in der Zeit ordnen, und wie sich die einzelnen Wesenhei-
ten im Raum zueinander stellen, dann gibt es einen Faden, der
hindurchführt auf der einen Seite durch die Verhältnisse der
Zeit und auf der anderen Seite durch die Verhältnisse des Rau-
mes. Wir betrachten geisteswissenschaftlich zunächst den Wer-
degang der Welterscheinungen. Wir blicken zurück auf frühere
Verkörperungen des Menschen, auf frühere Verkörperungen
der Rassen, der Kulturen, auf frühere Verkörperungen der Erde
selbst. Wir verschaffen uns eine Ahnung von demjenigen, was
in der Zukunft, also auch zeitlich geschehen soll. Aber wir fin-
den uns immer zurecht, wenn wir uns sagen: Wir werden die
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zeitliche Entwickelung von einem Gerüste aus beurteilen, das
wir uns bauen durch die Zahl Sieben. - Man darf da nicht kon-
struieren oder spekulieren und mit der Zahl Sieben allerlei Deu-
tungen vornehmen, sondern man soll zunächst einmal die Tat-
sachen unter dem Gesichtspunkt der Siebenzahl verfolgen. Es ist
dies zunächst nur eine Erleichterung des Betrachtens. Nehmen
Sie zum Beispiel den Menschen an, dessen Geistesauge geöffnet
ist, so weit, dass er die Tatsachen der Akasha-Chronik in der
Vergangenheit prüfen kann, so wird ihn die Siebenzahl dadurch
leiten können, dass er sich sagt: Was in der Zeit verläuft, baut
sich nach dem Gerüste der Siebenzahl auf; was sich wiederholt
in verschiedenen Formen, das betrachtet man gut dadurch, dass
man die Sieben zugrunde legt und die entsprechenden Gestal-
tungen dann aufsucht. - So ist es gut, sich zu sagen: Weil die Er-
de verschiedene Verkörperungen durchmacht, suchen wir ihre
sieben Verkörperungen: Saturn, Sonne, Mond, Erde, Jupiter,
Venus und Vulkan. Weil die menschlichen Kulturen sieben
Verkörperungen durchmachen, suchen wir ihren Zusammen-
hang, indem wir wiederum die Siebenzahl zugrunde legen. -
Wir gehen zum Beispiel zur ersten Kultur in der nachatlanti-
schen Zeit. Die altindische Kulturperiode ist die erste, die zwei-
te ist die urpersische, die dritte die chaldäisch-ägyptische, die
vierte die griechisch-lateinische, die fünfte unsere eigene, und
wir erwarten die zwei folgenden, welche als die sechste und sie-
bente die unsere ablösen werden. Da haben wir wiederum die
Siebenzahl in aufeinanderfolgenden Kulturverkörperungen zu-
grunde gelegt. Wir können aber auch in dem Karma eines Men-
schen uns zurecht finden, wenn wir zurückzublicken suchen
auf seine drei vorhergehenden Inkarnationen. Wenn man die
Inkarnation eines Menschen der Gegenwart nimmt und über-
blickt von dieser Gegenwart ausgehend die drei vorhergehen-
den Inkarnationen, dann ist es möglich, gewisse Schlüsse zu
ziehen für die drei nächstfolgenden Inkarnationen. Die drei
vorhergehenden Inkarnationen und die jetzige mit den drei fol-
genden geben wiederum sieben. So ist die Siebenzahl ein Leitfa-
den für alles zeitliche Geschehen.
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Dagegen ist die Zahl Zwölf ein Leitfaden für alles, was im Räu-
me nebeneinander besteht. Das hat eine Wissenschaft, die zu
gleicher Zeit Weisheit war, immer gefühlt. Daher hat sie bei
Welterscheinungen, die unserer Erde angehören, gesagt: Wir
finden uns zurecht, wenn wir die räumlichen Beziehungen von
irgend etwas, was auf der Erde geschieht, auf zwölf Dauerpunk-
te, die im Räume verteilt sind, beziehen. - Diese zwölf Dauer-
punkte sind durch die zwölf Tierkreis-Zeichen im Weltenraum
angegeben. Das sollten zwölf Grundpunkte sein, auf die alles im
Räume bezogen wird. Das Hegt aber nicht bloß in einer Willkür
der menschlichen Denkweise, sondern diese hat an der Wirk-
lichkeit gelernt und sich dieses Verhältnis, dass man im Raum
sich am besten zurechtfindet, wenn man sich auf zwölf Glieder
bezieht, als orientierend ausgebildet. Wo es sich um Verände-
rungen handelt, das heißt um Zeitliches, da werden die sieben
Planeten von einer älteren Wissenschaft zugrunde gelegt. Da ist
die Siebenzahl der Leitfaden.
Nun fragen wir uns: Wie wendet sich das auf dieses menschli-
che Leben in seiner Entwickelung an? - Wir haben gesagt, dass
bis zu dem Zeitpunkt in der Menschheitsentwickelung, der
durch den Eintritt des Christus-Prinzipes bezeichnet wird, es
sich darum handelt, dass der Mensch, wenn er in sein Inneres
hineinblickte, den Weg zu der Götterwelt durch den Schleier
seines Inneren suchte, in die luziferische Welt hineinkam. Und
wir haben alles dasjenige, was da der Mensch findet, mit einem
Sammelnamen als die luziferische Welt bezeichnen können. Das
war auch in diesen älteren Zeiten der Weg, auf dem der Mensch
seine Weisheit gesucht hat, auf dem er eine höhere Erkenntnis
über die Welt gesucht hat, als man hinter dem Teppich der äu-
ßeren Sinneswelt finden kann. Der Mensch hat gesucht, indem
er sich in seine innere Welt versenkt hat; aus dieser heraus
mussten weitere Intuitionen und Inspirationen des moralischen
und ethischen Lebens geradeso aufsteigen, wie die Intuitionen
des Gewissens aus dieser inneren Welt aufgestiegen sind. Es sind
auch alle anderen Intuitionen und Inspirationen, die sich auf das
Moralische, auf das Seelische überhaupt bezogen, selbstver-
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ständlich aus dem Seelischen aufgestiegen. Daher mussten sich
diejenigen hohen Individualitäten, welche Führer waren der
Menschheit in diesen alten Zeiten, zunächst, wenn sie über das
Höchste die Menschen aufklären wollten, an das menschliche
Innere wenden. An das menschliche Seelenleben, an das
menschliche Innere mussten sich wenden die heiligen Rishis,
mussten sich wenden bei allen älteren Kulturen die großen Leh-
rer der Menschheit. Das menschliche Innere aber ist kein
Räumliches, es ist ein Zeitliches. Das Seelenleben verläuft in der
Zeit. Dasjenige, was uns außen umgibt, gruppiert sich im Raum;
was innerlich verläuft, gruppiert sich in der Zeit. Daher wird
alles dasjenige, was zum menschlichen Innern sprechen will,
geprüft an dem Leitfaden der Zahl Sieben. Wie kann man daher
ein Wesen am besten verstehen, das zum menschlichen Innern
sprechen will? Wie könnte man jene Wesen in ihren Grundei-
gentümlichkeiten am besten verstehen, die wir zum Beispiel die
heiligen Rishis nennen? Dann könnte man sie am besten verste-
hen, wenn man sie erfasst in demjenigen Verhältnis, das ver-
wandt ist mit dem zeitlichen Seelenleben. Daher erstand in die-
sen älteren Zeiten, wo die großen Weisen gesprochen haben,
vor allen Dingen diese Frage: Woher stammen sie? - wie wir
fragen bei einem Sohne: Wer ist Vater und Mutter? Nach dem
Zeitlichen, nach dem Abstammungsverhältnis frug man. Wenn
man einen Weisen vor sich hatte, da interessierte man sich vor
allen Dingen für die Frage: Woher kommt er? Welches war die
Wesenheit, die früher da war? Woher stammt er? Wessen Sohn
ist er? Indem man also über die luziferische Welt spricht, muss
man die Siebenzahl zugrunde legen und muss sich interessieren,
wessen Kind der ist, der da spricht zu der menschlichen Seele.
Von den Kindern des Luzifer sprechen wir in diesem Sinne,
wenn wir von den älteren Verkündigern der spirituellen Welt
sprechen, die hinter dem Schleier des Seelenlebens, die hinter
dem Zeitlichen verborgen liegt.
Anders aber liegt die Frage bei dem Christus. Der Christus ist
nicht zur Erde heruntergekommen auf einem zeitlichen Wege,
der Christus ist, indem er zeitlich erschienen ist, auch dem
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Räume nach, von außen in die irdische Welt gekommen. Der
Zarathustra hat ihn gesehen, indem er den Blick nach der Sonne
hinaus gerichtet hat, und hat ihn angesprochen als Ahura Maz-
dao. Immer mehr und mehr hat sich für das menschliche Schau-
en im Raum dieser Ahura Mazdao genähert, bis er herunterge-
stiegen und Mensch geworden ist. Da interessiert also auch das
räumliche Herankommen, nicht nur die zeitliche Folge. Das
räumliche Herankommen, dieses Herankommen des Christus
aus der Unendlichkeit des Raumes auf unsere Erde zu, das hat
einen Ewigkeitswert, nicht bloß einen zeitlichen Wert. Damit
hängt es dann auch zusammen, dass der Christus nicht auf der
Erde so zu wirken hat, wie es dem Zeitenverhältnis allein ent-
spricht, dass der Christus nicht auf die Erde so etwas bringt, wie
es dem Verhältnis von Vater und Kind, von Mutter und Kind
entspricht, was in der Zeit sich abspielt, sondern er bringt etwas
in die Welt, was im Nebeneinander sich abspielt. Nebeneinan-
der leben Brüder. Vater und Mutter und Enkel leben nachei-
nander in der Zeit, und das zeitliche Verhältnis drückt ihr ei-
gentliches Verhältnis aus. Der Christus bringt aber als der Geist
des Raumes etwas Räumliches auch in die Erdenkultur hinein.
Was er hineinbringt, ist die Nebeneinanderstellung der Men-
schen im Raum, und das Verhältnis, das nun von einer Seele zur
anderen immer mehr und mehr hinüberziehen soll im Nebenei-
nanderleben, gleichgültig wie sich das zeitliche Verhältnis re-
gelt. Unsere Erde ist der Planet in unserem kosmischen System,
der die Mission hat, in die Welt die Liebe einzuführen. Es war
in alten Zeiten die Aufgabe der Erde, die Liebe einzuführen mit
Hilfe der Zeit. Indem sich durch die Abstammungsverhältnisse
das Blut von Generation zu Generation, vom Vater auf Kind und
Enkel herunter ergoss, war dasjenige, was durch die Zeit ver-
wandt war, zugleich dasjenige, was sich liebte. Der Familienzu-
sammenhang, der Blutzusammenhang, das Herabströmen des
Blutes durch die in der Zeit aufeinanderfolgenden Generatio-
nen, das war dasjenige, was die Liebe begründete in den älteren
Zeiten. Und auch da, wo die Liebe einen mehr moralischen
Charakter annahm, da begründete sie sich auf ein zeitliches
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Verhältnis. Man liebte die Ahnherren, diejenigen, die in der
Zeit vorangegangen sind. Durch Christus kam die Liebe von
Seele zu Seele, so dass dasjenige, was räumlich nebeneinander
steht, in ein Verhältnis kommt, wie es die gleichzeitig nebenei-
nander stehenden Geschwister zunächst vorgebildet haben als
die Bruderliebe, die die Menschen im Räume von Seele zu Seele
einander entgegenbringen sollen. Hier beginnt das räumliche
Nebeneinanderleben seine besondere Bedeutung zu gewinnen.
Daher redet man in älteren Zeiten, wenn es sich um die großen
Angelegenheiten der Menschheit handelt, von demjenigen, was
nach der Regel der Siebenzahl zusammenhängt: Sieben Rishis,
sieben Weise! Daher ist der Christus umgeben von zwölf Apos-
teln als den Vorbildern der im Räume nebeneinander lebenden
Menschen. Und diese Liebe, die alles dasjenige, was im Räume
nebeneinander ist, unabhängig von der Zeitenfolge umspannen
wird, soll durch das Christus-Prinzip in das soziale Leben der
Erde hineinkommen. Derjenige ist ein Nachfolger des Christus,
der das, was um ihn herum ist, liebt in Brüderlichkeit. Sprechen
wir daher in älteren Zeiten von den Kindern des Luzifer, so ist
das Christus-Prinzip die Veranlassung, dass wir sagen: Christus
ist der Erstgeborene unter vielen Brüdern« - Und das
Bruderschaftsverhältnis zu dem Christus, das Sich-hingezogen-
Fühlen nicht wie zu einem Vater, sondern wie zu einem Bruder,
den man als den ersten der Brüder, aber doch als einen Bruder
Hebt, das ist das Grundverhältnis zu Christus.
Das sind wiederum natürlich nur Anführungen, welche bele-
gen, nicht beweisen, aber belegen und verdeutlichen dasjenige,
was das Verhältnis der Zahlen Sieben und Zwölf ausmacht. Je
mehr also das Christus-Verhältnis in die Welt herunterleuchtet,
desto mehr spricht man von Gruppierungen im Sinne der zwölf
Stämme Israels, der zwölf Apostel und so weiter. Die Zwölfzahl
gewinnt also von da aus ihre mystische, geheimnisvolle Bedeu-
tung für die Erdenentwickelung.
Damit ist sozusagen der äußere Aspekt, der äußere Anblick die-
ser großen Veränderung angedeutet, die sich durch das Chris-
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tus-Prinzip in Bezug auf die Erdenentwickelung abgespielt hat.
Wir könnten nun lange reden über das Verhältnis der Zahl Sie-
ben zu der Zahl Zwölf und würden mancherlei noch unver-
ständlich lassen müssen in diesem tiefen Geheimnis unseres
Weltendaseins. Wenn Sie sich das Gesagte wie eine Verdeutli-
chung der Zahl Sieben und der Zahl Zwölf als Leitfaden für
Zeit- und Raumverhältnisse gesagt sein lassen, so können Sie
tiefer hineindringen in die Geheimnisse des Universums. Für
uns soll aber zunächst dieses Verhältnis der Zahlen Sieben und
Zwölf dasjenige sein, welches zu allem anderen dazu uns noch
darauf hinweist, wie tief einschneidend das Christus-Ereignis
für die Welt war, wie man selbst sozusagen einen anderen Zah-
lenleitfaden suchen muss, wenn man sich da zurechtfinden will.
Aber es ist auch ein inneres Verhältnis in Bezug auf Raum und
Zeit; dieses kann ich Ihnen nur ganz skizzenhaft andeuten. Und
das will ich so machen, wie man es in der Regel in den Mysteri-
en gemacht hat, um anzudeuten das Kosmische in dem Verhält-
nis von Zwölf und Sieben. Man hat gesagt: Wenn man den Wel-
tenraum nicht betrachtet als etwas Abstraktes, sondern so, dass
man die irdischen Verhältnisse wirklich auf diesen Weltenraum
bezieht, so muss man diese Verhältnisse auf jenen Umkreis be-
ziehen, indem man sich die zwölf Grundpunkte des Tierkreises
denkt als Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waa-
ge, Skorpion, Schütze, Steinbock, Wassermann, Fische. Diese
zwölf Grundpunkte des Tierkreises, sie waren zu gleicher Zeit
das wirkliche, reale Weltensymbolum für die urältesten gött-
lich-geistigen Wesenheiten, in dem man sich in einer gewissen
Weise die Wirklichkeit entsprechend gedacht hat. Schon als die
Erde verkörpert war im alten Saturn, wirkten diejenigen Kräfte,
die aus diesen zwölf Richtungen herkommen, auf diesen alten
Saturn ein; sie wirkten wiederum ein während der alten Son-
nenzeit, während der alten Mondenzeit und werden weiter
wirken. Sie sind also gewissermaßen ein Dauerndes und sind
über dasjenige weit erhaben, was innerhalb unseres Erdenwer-
dens entsteht und vergeht. Erhaben ist dasjenige, was symboli-
siert wird durch die zwölf Zeichen des Tierkreises, über dasjeni-
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ge, was übergeht im Laufe des Werdens unseres Planeten vom
alten Saturn auf die Sonne, von der alten Sonne zum alten Mond
und so weiter. Während dasjenige, was da vorgeht, entsteht und
vergeht, hat das vom Tierkreis Bedingte die Planetengescheh-
nisse überdauert, also überdauert die Verhältnisse auf dem alten
Saturn, auf der alten Sonne, auf dem alten Mond. Es ist auch
dasjenige, was durch die Grundpunkte des Tierkreises symboli-
siert wird, erhaben über dasjenige, was sich auf unserer Erde
abspielt als der Gegensatz von Gut und Böse. Erinnern Sie sich,
dass ich in der ersten Stunde dieses Zyklus aufmerksam gemacht
habe darauf, wie, wenn man in das astralische Gebiet eindringt,
man es zu tun hat mit einer Welt der Verwandlung, wie das,
was von einem Gesichtspunkt aus als ein Gutes wirken kann,
von dem anderen als böse erscheinen kann. Diese Unterschiede
zwischen Gut und Böse, sie haben ihre Bedeutung innerhalb des
Werdens. Und für diese Bedeutung ist die Siebenzahl ein orien-
tierender Leitfaden. Dasjenige, was an Göttern symbolisiert
wird in den zwölf Raumpunkten, in den zwölf Dauerpunkten,
das ist erhaben über Gut und Böse. Und daher haben wir im
Umkreis innerhalb der zwölf Dauerpunkte das über Gutes und
Böses Erhabene. Da draußen haben wir gleichsam die Symbole
für jene göttlich-geistigen Wesenheiten zu suchen, die, wenn
sie an sich betrachtet werden, ohne dass sie hereingreifen in un-
sere irdische Sphäre, erhaben sind über die Unterschiede von
Gut und Böse.
Nun aber beginnt sich einmal in der Zeit zu regen dasjenige, das
zu unserer Erde wird. Das kann nur dadurch geschehen, dass
gleichsam eine Zweiteilung innerhalb dieser
Dauergöttlichkeiten eintritt und dasjenige, was vorgeht, in ein
verschiedenes Verhältnis tritt zu diesen Dauergöttern, dass sich
diese in zwei Sphären gliedern, in eine Sphäre des Guten und in
eine Sphäre des Bösen. An sich ist weder das eine noch das an-
dere gut oder böse, aber indem es wirkt auf die Erde in ihrem
Werden, wirkt es einmal als gut, einmal als böse, so dass also
alles dasjenige, was an dem einen teilnimmt, als die Sphäre des
Guten, und was am anderen teilnimmt, als die Sphäre des Bösen
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bezeichnet werden darf. Nur liegt die Vorstellung zugrunde,
dass dasjenige, was nur ein wenig teilnimmt an der Sphäre des
Guten, auch gut genannt werden muss. Sobald dasjenige, was in
der geistigen Welt, wie ich gesagt habe, Dauer hat, was mit der
Zeit nichts zu tun hat, sobald das in die Zeit eingreift, gliedert es
sich in ein Gutes und in ein Böses. Für das Gute bleiben von den
zwölf Dauerpunkten übrig die fünf rein in der Sphäre des Guten
befindlichen und die zwei an der Grenze; das sind sieben. Daher
sprechen wir von demjenigen, was als Sieben übrig bleibt von
den Zwölf. Wenn wir das Gute, das Vortreffliche, das Führende
in der Zeit suchen wollen, müssen wir sprechen von sieben
Weisen, von sieben Rishis; und dem entspricht dann auch die
Wirklichkeit. Daher auch die Vorstellung, dass der lichten
Welt, der oberen Welt sieben Zeichen des Tierkreises angehö-
ren; dass die unteren fünf, vom Skorpion angefangen, der finste-
ren Welt angehören.
Das soll nur ein skizzenhafter Hinweis sein darauf, dass der
Raum, wenn er sozusagen seine Sphäre der Ewigkeit verlässt
und Schöpfungen in sich aufnimmt, die in der Zeit verlaufen,
sich gliedert in ein Gutes und ein Böses und dass, indem man
das Gute heraushebt, die Sieben heraushebt aus der Zwölf, die
Sieben die gute Zahl für die Zeitverhältnisse ist. Wollen wir die
Wahrheiten der Zeit suchen, so müssen wir die Siebenzahl als
Leitfaden betrachten; denn was als Fünf zahl übrigbleibt, würde
uns in den Irrtum führen. Da haben Sie die innere Bedeutung
dieser Sache.
Sagen Sie sich nicht in diesem Augenblick, dass dies schwer ver-
ständlich ist, sondern sagen Sie sich: Die Welt ist tief, und es
muss auch Dinge geben, die schwierig zu verstehen sind.
Der Christus aber ist in die Welt gekommen, um auch zu sitzen
mit den Zöllnern und Sündern. Er ist gekommen, um auch auf-
zunehmen dasjenige, was sonst aus dem Weltgange ausgeschie-
den werden müsste. In Ödipus musste dasselbe ausgeschieden
werden, was in das Christusleben aufgenommen worden ist wie
ein Ferment; das wurde Ihnen erhärtet durch die Judas-Sage.
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Wie das neue Brot einen kleinen Teil des alten als ein Ferment
aufnehmen muss, um weiter zu gedeihen, so musste die neue
Welt, um zu gedeihen, um recht gut zu werden, etwas aufneh-
men als ein Ferment, das aus dem Bösen heraus ist. Daher konn-
te Judas, der überall ausgeschlossen war, der sich auch am Hofe
des Pilatus unmöglich gemacht hatte, aufgenommen werden da,
wo der Christus wirkte, der gekommen ist, die Welt wiederum
so zu heilen, dass die Sieben in die Zwölf umgewandelt werden
kann, dass dasjenige, was unter der Siebenzahl begriffen worden
ist, nunmehr unter dem Symbolum der Zwölfzahl begriffen
werden kann. Zunächst ist uns die Zwölfzahl repräsentiert
durch die zwölf Brüder des Christus, durch die zwölf Apostel.
Das alles, wie gesagt, sollte nur besprochen werden als ein Hin-
weis darauf, wie tief die Veränderung war, die damit für unser
ganzes Erdenwerden eintrat. Diese Bedeutung des Christus-
Prinzipes und seines Einschlages in das Erdenwerden kann man
von vielen Gesichtspunkten aus erläutern und der, den wir da-
mit berührt haben, ist einer davon.
Nunmehr wollen wir das noch einmal so recht vor unsere Seele
stellen, was uns aus alledem hervorging. Dass mit dem Christus
etwas ganz Besonderes eingeschlagen hat in die Erdenentwicke-
lung, das ist etwas, was in der Geisteswissenschaft da, wo sie ih-
re wahren Pflegestätten hat, gefühlt und erkannt wird. Gefühlt
und erkannt wird in den Stätten wahrer Geisteswissenschaft,
dass es eines gibt, was zunächst geht durch alle Kulturen der
nachatlantischen Zeit; was schon gegangen ist durch die uralt-
indische, die urpersische^ die chaldäisch-ägyptische Kultur und
so weiter, was gehen wird auch durch diejenigen Kulturen, die
auf diese folgen bis zur nächsten großen Katastrophe und darü-
ber hinaus. Wenn wir uns fragen: Wo können wir eine wahrere
Gestalt dessen finden, was durch die ganze Menschheitsentwi-
ckelung durchgeht, als wir sie finden können durch die Sinnes-
anschauung oder den menschlichen Verstand? - so müssen wir
bei der Geisteswissenschaft anfragen und sagen: Wie nennt man
das, was in der spirituellen Welt zu entdecken ist, und was sich
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gewissermaßen wie eine fortlaufende Geistesströmung durch
alle diese sieben Kulturen durchbewegt? - Man hat gerade in der
orientalischen Weisheit ein Wort geprägt für dasjenige, was sich
durch alle diese Kulturen durchzieht; es ist, wenn man es in
Wirklichkeit betrachtet, nicht etwas Abstraktes, sondern etwas
Konkretes, ein Wesen. Und will man dieses Wesen näher be-
zeichnen, von dem im Grunde genommen alle anderen Wesen,
seien es die sieben heiligen Rishis oder selbst höhere Wesenhei-
ten, die gar nicht heruntersteigen bis zur physischen Verkörpe-
rung, Sendboten sind, so können wir es bezeichnen mit einem
Namen, den der Orient richtig geprägt hat. Alle Verkündigung,
jegliche Weisheit in der Welt führt zunächst auf diese eine
Quelle zurück, auf die Quelle der Urweisheit, welche ein Wesen
besitzt, das durch alle Kulturen der nachatlantischen Zeit sich
hindurchentwickelt, das in jeder Epoche in dieser oder jener
Form erscheint, das aber immer ein Wesen ist, ein Grundträger
der Weisheit, die in den verschiedensten Gestalten erschienen
ist. Wenn ich Ihnen gestern beschrieben habe, wie - gleichsam
einatmend - die heiligen Rishis diese Weisheit konkret erfasst
haben, so war dasjenige, was da draußen wie die Seele des Lich-
tes ausgebreitet war und als Lichtweisheit eingeatmet wurde
von den heiligen Rishis, der Ausfluss jener erhabenen Wesen-
heit, von der hier die Rede ist. Und für die anderen Zeitalter ist
dasjenige, was wir gestern erwähnen konnten als ihre Weisheit
- zum Beispiel in jener ganz anderen Anschauung, wie sie in der
urpersischen Kulturepoche zum Ausdruck kam -, wiederum
herabgeströmt von dieser einen Wesenheit, die der große Leh-
rer aller Kulturen ist. Jene Wesenheit, die der Lehrer der heili-
gen Rishis, die der Lehrer des Zarathustra, der Lehrer des Her-
mes war, die man als den großen Lehrer bezeichnen kann und
die in den verschiedensten Epochen in der verschiedensten
Weise sich manifestierte, die natürlich für den äußeren Blick
zunächst tief verborgen bleibt, bezeichnet man mit einem aus
dem Orientalischen heraus geprägten Ausdrucke als Gesamtheit
der Bodhisattvas. Die christliche Anschauung würde sie als Hei-
ligen Geist bezeichnen. Wenn man vom Bodhisattva spricht,
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spricht man von einer über alle Kulturen hin sich ziehenden
Wesenheit, die sich auf die eine oder andere Weise kundgeben
und manifestieren kann für die Menschen. Das ist der Geist der
Bodhisattvas. Zu den Bodhisattvas haben sie alle aufgeblickt,
haben die heiligen Rishis, hat der Zarathustra, der Hermes, der
Moses aufgeblickt, gleichgültig wie sie die betreffende Wesen-
heit empfunden und genannt haben. Man kann sie mit diesem
einen Namen belegen, sie ist «der große Lehrer», und zu ihm
blicken auf diejenigen, die die Lehren der nachatlantischen Zeit
empfangen wollen und können. Dieser Bodhisattva-Geist unse-
rer nachatlantischen Zeit hat mehrmals Menschengestalt ange-
nommen, eine derselben interessiert uns aber vor allen Dingen.
Ein Bodhisattva hat die weithin leuchtende Menschengestalt
angenommen, gleichgültig wie er sich sonst manifestiert hat, in
jener Wesenheit, die man als Gautama Buddha bezeichnet. Und
es war ein Fortschritt des entsprechenden Bodhisattva, als er
nicht mehr bloß zu bleiben brauchte in den oberen geistigen
Regionen, sondern es so weit gebracht hatte durch seine Ausbil-
dung innerhalb der geistigen Regionen, dass er die physische
Leiblichkeit so weit bezwingen konnte, um in Buddha Mensch
zu werden. So also haben wir in dem Buddha eine der Mensch-
werdungen eines Bodhisattva zu sehen, eine der Menschwer-
dungen der allumfassenden Weisheitsgestalten, wie sie dem Er-
denwerden zugrunde liegen. In dem Buddha haben wir sozusa-
gen die Verkörperung jenes großen Lehrers, der einfach die we-
senhafte Weisheit selber genannt werden kann. So sehen wir
den Buddha in der richtigen Weise an: Er ist die Erdenwerdung
des Bodhisattva. Und es braucht dann nicht geglaubt zu werden,
dass ein Bodhisattva nur in dem Buddha sich verkörpert hat,
sondern es hat sich ganz oder teilweise ein solcher auch in ande-
ren menschlichen Persönlichkeiten verkörpert. Aber solche
Verkörperungen müssen wir nicht alle nach der Schablone auf-
fassen, sondern wir müssen uns klar sein darüber, dass so, wie
ein Bodhisattva lebte im Ätherleib des Gautama Buddha, ein
solcher auch in Leibesgliedern anderer menschlicher Individuen
lebte. Und weil die Wesenheit desjenigen Bodhisattva, welcher
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den Astralleib des Zarathustra geerbt hatte, einströmte in die
Glieder anderer Individualitäten, zum Beispiel des Hermes, so
kann man - aber nur wenn man die Sache so versteht-auch an-
dere Individualitäten, die wiederum große Lehrer sind, eine
Verkörperung eines Bodhisattva nennen. Man kann von einer
immer und immer wiederkehrenden Verkörperung des Bodhi-
sattva sprechen, muss aber wissen, dass der Bodhisattva hinter
all den Menschen, in denen er sich verkörpert, gestanden hat als
Teil derjenigen Wesenheit, die selber die personifizierte All-
weisheit unserer Welt ist.
So also blicken wir auf das Weisheitselement, das in älteren Zei-
ten aus den luziferischen Welten heraus der Menschheit sich
mitteilte. Wenn wir auf dieses schauen, schauen wir auf die
Bodhisattvas. Nun gibt es aber in Bezug auf die nachatlantische
Entwickelung eine Wesenheit, die grundverschieden ist von
den Bodhisattvas, die etwas prinzipiell anderes ist als ein Bodhi-
sattva, und die man nicht mit dem Bodhisattva verwechseln
darf, deshalb, weil sie einmal in einer menschlichen Individuali-
tät verkörpert war, die auch zu gleicher Zeit die Einströmungen
des Bodhisattva als Buddha hatte. Weil einmal ein Mensch leb-
te, in dem der Christus sich verkörperte und zu gleicher Zeit in
diese Menschenindividualität die Strahlen des Bodhisattva hin-
eingingen, darf man es bei dieser Verkörperung nicht als Haupt-
sache betrachten, dass der Bodhisattva sich bei jener Persön-
lichkeit verkörpert hat. Das ist Jesus von Nazareth. Da über-
wiegt gerade während der drei letzten Jahre das grundsätzlich
vom Bodhisattva verschiedene Christus-Prinzip. Wodurch kön-
nen wir den Unterschied nun angeben von Christus-Prinzip
und Bodhisattva-Prinzip? Das ist außerordentlich wichtig, dass
man weiß, wodurch der Christus, der einmal in einem mensch-
lichen Leib verkörpert war, nur einmal, nicht vorher und nicht
nachher als Christus in einem Menschenleib verkörpert sein
kann. Er ist seit jener Zeit zu erreichen auf dem Wege in das
Innere der menschlichen Seele; er war vorher zu erreichen,
wenn der Blick hinausgerichtet wurde in die Welt, wie ihn Za-
rathustra hinausgerichtet hat. Wodurch unterscheidet sich der
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Christus, dieses Prinzip, dieses Wesen, dem wir eine solche Mit-
telpunktstellung zuschreiben müssen, von einem Bodhisattva?
Der grundsätzliche Unterschied des Christus von dem Bodhi-
sattva ist der, dass wir den Bodhisattva nennen müssen den gro-
ßen Lehrer, die Verkörperung der Weisheit, die durch alle Kul-
turen durchgeht, die in der verschiedensten Weise sich verkör-
pert. Der Christus aber ist nicht bloß Lehrer, das ist das Wesent-
liche! Der Christus lehrt nicht bloß die Menschen, der Christus
ist eine Wesenheit, die wir am besten verstehen, wenn wir sie
aufsuchen da, wo wir in schwindelnder Geisteshöhe sie finden
können als ein Objekt der Initiation, und wo wir sie vergleichen
können mit anderen geistigen Wesenheiten.
Wir können sie am besten in folgender Weise charakterisieren:
Es gibt Regionen des Geisteslebens, wo man sozusagen, entledigt
alles Erdenstaubes, diese hohe Wesenheit, den Bodhisattva, in
seiner spirituellen Eigentümlichkeit finden kann, und wo man
finden kann den Christus, entkleidet von alledem, was er ge-
worden ist auf der Erde und in deren Nähe. Da findet man dann
das Folgende: Man findet sozusagen die Grundlage der Mensch-
heit, dasjenige, wovon alles Leben ausgeht: den spirituellen Ur-
quell. Man findet nicht nur einen Bodhisattva, sondern eine
Reihe von Bodhisattvas. Wie wir hingewiesen haben auf denje-
nigen Bodhisattva, der unseren aufeinanderfolgenden sieben
Kulturen zugrunde liegt, so gibt es einen Bodhisattva, der den
atlantischen Kulturen zugrunde liegt und so weiter. Sie finden
in spirituellen Höhen eine Reihe von Bodhisattvas, die für ihre
Zeiten die großen Lehrer, die Unterweiser sind nicht nur der
Menschen, sondern die Unterweiser auch derjenigen Wesenhei-
ten, die nicht heruntersteigen in die Region des physischen Le-
bens. Sie finden wir da alle sitzen, wenn wir vergleichsweise
sprechen dürfen, als die großen Lehrer; sie sammeln sich dasje-
nige, was sie lehren sollen, und in ihrer Mitte finden wir eine
Wesenheit, die nicht nur dadurch etwas ist, dass sie lehrt: und
das ist der Christus, Er ist nicht nur dadurch etwas, dass er lehrt,
sondern er ist in der Mitte der Bodhisattvas als eine Wesenheit,
die auf die umgebenden Bodhisattvas dadurch wirkt, dass diese
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ihren Anblick haben; angeschaut wird sie von den Bodhisattvas,
denen sie ihre eigene Herrlichkeit offenbart. Sind die anderen
dasjenige, was sie sind, dadurch, dass sie große Lehrer sind, so
ist der Christus dasjenige, was er der Welt ist, durch das, was er
in sich selbst ist, durch sein Wesen. Ihn braucht man nur anzu-
schauen; und die Offenbarung seines eigenen Wesens, die ist
etwas, was sich bloß zu spiegeln braucht in seiner Umgebung;
dann entsteht daraus die Lehre. Er ist nicht bloß Lehrer, er ist
Leben, ein Leben, das sich eingießt in die anderen Wesenheiten,
die dann die Lehrer werden. So sind die Bodhisattvas diejenigen,
die ihre Lehre davon herhaben, dass sie die Seligkeit genießen,
die Anschauung des Christus zu haben in ihrer spirituellen
Höhe. Und finden wir im Verlaufe unserer Erdenentwickelung
Verkörperungen der Bodhisattvas, so nennen wir solche, weil in
ihnen der Bodhisattva das Wesentliche ist, große Lehrer der
Menschheit. Der Christus lehrt nicht bloß. Über den Christus
lernt man, um ihn zu verstehen, um das zu erkennen, was in
ihm ist. Der Christus ist mehr Objekt als Subjekt des Lernens. Er
ist daher eine Wesenheit von ganz grundsätzlich anderer Be-
deutung als die Bodhisattvas, die durch die Welt gehen. Das ist
der Unterschied des Christus von den Bodhisattvas, dass er das-
jenige ist, was er der Welt ist, dadurch, dass die Welt seinen
Anblick genießt. Die Bodhisattvas sind dasjenige, was sie der
Welt sind, dadurch, dass sie die großen Lehrer sind.
Wollen wir daher zu der lebendigen Wesenheit, zu dem Le-
bensquell auf unserer Erde hinblicken, so müssen wir zu derje-
nigen Verkörperung hinblicken, wo nicht bloß ein Bodhisattva
sich verkörpert hat, so dass dies das Wesentliche ist, sondern wo
dasjenige sich verkörpert hat, was selber kein Schriftwerk zu
hinterlassen brauchte, was nicht selber eine Lehre von sich hin-
terlassen hat, sondern um sich diejenigen gesammelt hat, die
über es Botschaften und Lehren in die Welt verbreitet haben.
Das ist wesentlich, dass von dem Christus selber nicht ein
Schriftstück vorhanden ist, sondern dass die Lehrer um ihn her-
um sind und über ihn reden, so dass er das Objekt der Lehre ist,
nicht nur das Subjekt. Das drückt sich aus in dem eigentümli-
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chen Umstände, der hier eine Notwendigkeit bedeutet bei dem
Christus-Ereignis, dass von ihm selber nichts erhalten ist, son-
dern dass die anderen seine Wesenheit aufgeschrieben haben. Es
ist daher gar kein Wunder, wenn gesagt wird, dass wir alles, was
wir als Lehren des Christus finden, auch in anderen Bekenntnis-
sen finden können, weil Christus gar nicht bloß Lehrer ist, weil
er eine Wesenheit ist, die als Wesenheit begriffen werden will,
weil er nicht bloß durch seine Lehren in uns etwas hineinver-
senken will, sondern durch sein Leben. Daher können wir aber
auch alle Lehren der Welt, die uns zugänglich sind, zusammen-
bringen, und wir werden noch nicht alles haben, was den Chris-
tus begreifen kann. Wenn die gegenwärtige Menschheit sich
nicht direkt hinaufwenden kann zu den Bodhisattvas, um mit
den geistigen Augen der Bodhisattvas den Christus anzuschau-
en, so muss die Menschheit eben noch bei diesen Bodhisattvas
in die Schule gehen, um dasjenige zu lernen, was dann den
Christus zuletzt begreiflich machen kann. Wollen wir also nicht
nur des Christus teilhaftig werden, sondern wollen wir den
Christus verstehen, dann müssen wir nicht nur bequem hinbli-
cken darauf, was der Christus für uns getan hat, sondern dann
müssen wir bei allen Lehrern des Westens und des Ostens in die
Schule gehen, und es muss uns ein Heiliges sein, die Lehren des
ganzen Blickkreises uns anzueignen; und das andere Heilige
muss uns sein, diese Lehren so zu verwenden, dass wir durch die
höchsten Lehren den Christus vollständig begreifen.
Das aber, was die Menschen tun sollen, das wird in den Myste-
rien entsprechend vorbereitet. Eine jede Zeit hat ihre besondere
Aufgabe; einer jeden Zeit obliegt es, die Wahrheit gerade in der-
jenigen Gestalt zu empfangen, die diese Wahrheit für die betref-
fende Menschheitsepoche annehmen muss. Dem alten Inder
konnte man nicht eine solche Wahrheitsform geben, wie sie
heute gegeben wird, ebenso wenig dem alten Perser. Man muss-
te ihm die Wahrheit in der Gestalt geben, in welcher sie für sei-
ne Empfindungsfähigkeiten geeignet war. Daher musste in der
Zeit, die durch ihre sonstige Eigentümlichkeit geeignet war, den
Christus auf der Erde zu empfangen - das ist im vierten Zeit-
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räume, im griechisch-lateinischen -, die Wahrheit über den
Christus und über die mit dem Christus zusammenhängende
Welt auch in derjenigen Form an die Menschheit gebracht wer-
den, wie es der damaligen Menschheit angemessen war. Zu
glauben, dass in der Zeit, die unmittelbar auf die Christus-
Offenbarung folgte, die ganze Wahrheit schon vorhanden war
über den Christus, das heißt: überhaupt nichts wissen von dem
Fortschritte des Menschengeschlechtes. Wer nur die Lehren der
ersten Jahrhunderte nach dem Christus-Ereignis bewahren will,
wer nur das, was da geschrieben und aufbewahrt ist, ansehen
wollte als echte christliche Lehre, der weiß nichts von mensch-
lichem Fortschritt, der weiß nicht, dass der höchste Lehrer der
ersten christlichen Jahrhunderte den Menschen über den Chris-
tus nichts anderes hätte sagen können als dasjenige, was sie auf-
nehmen konnten. Weil aber die Menschen der ersten christli-
chen Jahrhunderte vor allem diejenigen waren, die sozusagen
am tiefsten heruntergestiegen sind in die physische Welt, so
konnten sie auch mit ihrem Verständnis verhältnismäßig sehr
wenig aufnehmen an höheren Lehren über den Christus. Ver-
hältnismäßig wenig konnte begriffen werden von der großen
breiten Masse der Christen über die Christus-Wesenheit.
Wir haben gesehen, dass im alten Indien ein hohes hellseheri-
sches Anschauen vorhanden war durch die damalige Stellung
des Ätherleibes zu den anderen Gliedern des Menschen, aber es
war für dieses Anschauen noch nicht die Zeit gekommen, den
Christus als etwas anderes zu sehen als einen in fernen Regio-
nen jenseits der Sinnenwelt liegenden Geist, ihn als den
Vishvakarman zu begreifen. In der Zeit der urpersischen Kultur
war erst die Möglichkeit, den Christus zu ahnen hinter der phy-
sischen Sonne. Und so ging es weiter. Bei Moses war es möglich,
den Christus zu schauen als Jehova in Blitz und Donner, das
heißt schon ganz nahe der Erde. Und im Jesus von Nazareth sah
man den Christus als Menschen verkörpert. Die Menschheit ist
so fortgeschritten, dass im alten Indien noch die Weisheit auf-
genommen worden ist durch den Ätherleib, in der urpersischen
Periode durch den Empfindungsleib, in der chaldäisch-
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ägyptischen Periode durch die Empfindungsseele, in der grie-
chisch-lateinischen Periode durch dasjenige, was wir Verstan-
desseele nennen. Und die Verstandesseele ist schon mit ihrem
Verständnisse an die Sinneswelt gebunden. Ihr ging daher ver-
loren der Blick über dasjenige, was über die Sinneswelt hinaus-
geht. Daher erblickte man in den ersten nachchristlichen Jahr-
hunderten kaum mehr als dasjenige, was zwischen Geburt und
Tod liegt und was sich unmittelbar nachher als das nächste
Geistgebiet anreiht. Man wusste nichts von demjenigen, was
durch viele Inkarnationen hindurchgeht. Das lag am menschli-
chen Verständnis. Man konnte nur das eine Stück des gesamten
Lebens des Menschen begreiflich machen: sein Erdenleben und
das sich anschließende Stück Geistesleben. Das finden Sie daher
für die breiten Massen beschrieben. Das durfte aber nicht kon-
serviert werden. Es musste vorgesorgt werden, dass der Blick
der Menschen sich hinaus erweitern könne über dieses Stück
des Verständnisses; es musste vorgesorgt werden, dass die um-
fassende Weisheit, die man damals hat haben können in der
Hermeszeit, in der Moseszeit, in der Zeit des Zarathustra, in der
Zeit der alten indischen Rishis, nach und nach wieder aufleben
kann, dass wieder die Möglichkeit geboten werde, den Christus
in immer breiterem Verständnisse zu begreifen.
So war der Christus zwar in die Welt gekommen, aber die Mit-
tel des Verständnisses waren gerade zu seiner Zeit die einge-
schränktesten. Es musste vorgesorgt werden für die folgenden
Zeiten; es mussten wiederum alle alten Weisheiten aufleben,
damit diese Weisheiten nach und nach in den Dienst des Chris-
tus-Verständnisses gestellt werden konnten. Das konnte nur ge-
schehen auf folgende Weise. Es musste eine Mysterien -
Weisheit geschaffen werden. Es hatten sich große Weistümer
mitgebracht die Menschen, die aus der alten Atlantis herüber-
gezogen sind nach Europa und weiter. In der alten Atlantis wa-
ren die meisten Menschen instinktiv hellseherisch, sie konnten
hineinsehen in die Gebiete des Geistigen. Diese Hellsichtigkeit
konnte sich nicht fortentwickeln, sie musste sich zurückziehen
zu einzelnen Persönlichkeiten des Westens. Sie wurde da gelei-
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tet von einem Wesen, das in tiefer Verborgenheit lebte einst-
weilen, zurückgezogen selbst hinter denen, die auch schon zu-
rückgezogen und Schüler waren eines großen Eingeweihten,
das sozusagen zurückgeblieben war, bewahrend dasjenige, was
aus der alten Atlantis herübergebracht werden konnte, bewah-
rend es für spätere Zeiten. Diesen hohen Initiierten, diesen Be-
wahrer der uralten atlantischen Weisheit, die tief hineinging
sogar in alles dasjenige, was die Geheimnisse des physischen
Leibes sind, kann man Skythianos nennen, wie es im frühen
Mittelalter üblich war. Und es blickt derjenige, der das europäi-
sche Mysterienwesen kennt, zu einem der höchsten Eingeweih-
ten der Erde hinauf, wenn der Name Skythianos genannt wird.
Dann lebte aber auch innerhalb dieser Welt lange Zeit dieselbe
Wesenheit, die man, wenn man sie von ihrem spirituellen As-
pekte betrachtet, als den Bodhisattva bezeichnen kann. Dieser
Bodhisattva war dieselbe Wesenheit, die, nachdem sie im Wes-
ten ihre Aufgabe vollendet hatte, sechshundert Jahre ungefähr
vor unserer Zeitrechnung in dem Gautama Buddha verkörpert
worden ist. Also diejenige Wesenheit, die dann als Lehrer wei-
ter nach dem Osten gezogen ist, war sozusagen schon auf einem
vorgeschritteneren Posten. Er war ein zweiter großer Lehrer,
ein zweiter großer Siegelbewahrer der Weisheit der Menschheit
und wurde der Gautama Buddha.
Dann aber war eine dritte Individualität, die zu Großem vo-
rausbestimmt war.8 Und diese dritte Individualität kennen wir
aus verschiedensten Vorträgen. Das ist derjenige, der der Lehrer
des alten Persiens war, der große Zarathustra. Wir sprechen
drei wichtige geistige Wesenheiten und Individualitäten an,
wenn wir die Namen Zarathustra, Gautama Buddha und
Skythianos aussprechen. Wir sprechen von Verkörperungen
von Bodhisattvas, wenn wir die Namen Skythianos, Zarathustra
8 Es wird hier von diesen Wesen so gesprochen, wie sie im Geiste älterer-
Weltanschauungen aufgefasst -worden sind, und wie es, in gewissem Sinne,
vom geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte auch heute berechtigt ist.
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201
und Buddha nennen. Dasjenige, was in ihnen lebte, war nicht
der Christus.
Nun musste der Menschheit Zeit gelassen werden, die Ankunft
des Christus zu erleben, der sich vorher verkündigt hatte dem
Moses auf dem Sinai, denn das ist dieselbe Wesenheit: Jahve
und Christus, nur in anderer Form. Nun musste Zeit gelassen
werden der Menschheit, den Christus zu empfangen. Das ge-
schah in der Zeit, als das Verständnis für solche Dinge das
denkbar geringste war. Aber vorgesorgt werden musste dafür,
dass das Verständnis, dass die Weisheit immer größer und grö-
ßer wieder wurde; und dafür hat auch der Christus auf der Erde
vorgesorgt.
Es wird nun eine vierte Individualität in der Geschichte ge-
nannt, hinter der sich für viele etwas verbirgt, das noch höher,
noch gewaltiger ist als die drei genannten Wesenheiten, als
Skythianos, als Buddha und als Zarathustra. Es ist Manes, der
wie ein hoher Sendbote des Christus genannt wird von vielen,
die mehr im Manichäismus sehen, als gewöhnlich gesehen wird.
Manes, so sagen viele, versammelte nun wenige Jahrhunderte,
nachdem Christus auf der Erde gelebt hatte, in einer der größ-
ten Versammlungen, die in der zur Erde gehörigen spirituellen
Welt überhaupt stattgefunden haben, drei wichtige Persönlich-
keiten des vierten Jahrhunderts der nachchristlichen Zeit um
sich. In dieser bildhaften Schilderung soll eine wichtige spiritu-
elle Kulturtatsache ausgedrückt werden. Manes versammelte
diese Persönlichkeiten aus dem Grunde, um mit ihnen zu bera-
ten, wie allmählich jene Weisheit, die gelebt hat durch die
Zeitwende in der nachatlantischen Zeit, wiederum aufleben
kann in die Zukunft hinein immer weiter und weiter, immer
glorreicher und glorreicher. Welche Persönlichkeiten versam-
melte Manes in jener denkwürdigen Versammlung, die nur zu
erreichen ist durch spirituelles Schauen? Die eine ist jene Per-
sönlichkeit, in welcher in der damaligen Zeit Skythianos lebte,
der wiederverkörperte Skythianos der Maneszeit. Die zweite
Persönlichkeit ist ein physischer Abglanz des damals wiederer-
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202
schienenen Buddha, und die dritte ist der damals wiederverkör-
perte Zarathustra. So haben wir ein Kollegium um Manes her-
um, Manes in der Mitte, um ihn herum Skythianos, Buddha und
Zarathustra. Damals wurde in diesem Kollegium festgestellt der
Plan, wie alle Weisheit der Bodhisattvas der nachatlantischen
Zeit immer stärker und stärker hineinfließen kann in die Zu-
kunft der Menschheit. Und was damals als der Plan zukünftiger
Erdenkulturentwickelung beschlossen worden ist, das wurde
bewahrt und dann herübergetragen in jene europäischen Myste-
rien, welche die Mysterien des Rosenkreuzes sind. In den Mys-
terien des Rosenkreuzes verkehrten immer die Individualitäten
des Skythianos, des Buddha, des Zarathustra. Sie waren in den
Schulen des Rosenkreuzes die Lehrer; Lehrer, die ihre Weisheit
deshalb der Erde als Gaben schickten, weil durch diese Weisheit
der Christus in seiner Wesenheit begriffen werden sollte. Daher
ist es in aller Geistesschulung des Rosenkreuzes so, dass man
hinaufblickt mit tiefster Verehrung zu jenen alten Eingeweih-
ten, die die uralte Weisheit der Atlantis bewahrten: zu dem
wieder verkörperten Skythianos, in ihm sah man den großen
verehrten Bodhisattva des Westens; zu dem jeweilig verkörper-
ten Abglanz des Buddha, den man ebenfalls verehrte als einen
der Bodhisattvas, und endlich zu Zarathas, dem wiederverkör-
perten Zarathustra. Zu ihnen blickte man hinauf als zu den gro-
ßen Lehrern der europäischen Eingeweihten. Es dürfen solche
Darstellungen nicht wie äußerlich geschichtliche genommen
werden, trotzdem sie den geschichtlichen Verlauf als Tatbestand
treffender charakterisieren als eine äußerliche Darstellung das
könnte.
Um nur eines zu erwähnen, muss gesagt werden, dass Sie kaum
finden irgendein Landgebiet im Mittelalter, wo nicht eine be-
stimmte Legende überall verbreitet ist. Als in Europa niemand
etwas wusste von dem Gautama Buddha, als die Tradition von
dem Gautama Buddha vollständig verschollen war, erzählte man
folgendes. Sie finden das in vielen Büchern des Mittelalters; es
gehört zu den verbreitetsten Erzählungen des Mittelalters. Es
war in Indien einstmals einem König ein Sohn geboren mit Na-
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203
men Josaphat. Von diesem Josaphat wurde bei seiner Geburt
Wichtiges geweissagt. Daher wurde er besonders behütet von
seinem Vater; er sollte nur das Allerkostbarste kennenlernen,
sollte in voller Seligkeit schwelgen, sollte nicht die Schmerzen
und Leiden und das Unglück des Lebens kennenlernen. Bewahrt
wurde Josaphat von alledem. Da aber findet es sich doch, dass
Josaphat eines Tages hinausging aus dem Palaste, und er fand
einen Kranken, einen Aussätzigen, er fand einen gealterten
Menschen und einen Leichnam; das erzählte man von Josaphat!
Da ging er tief erschüttert in den Königspalast zurück, und es
fand sich ein Mann, der ergriffen war im tiefsten Herzen von
den Geheimnissen des Christentums, Barlaam, der gewann den
Josaphat für das Christentum. Und es wurde Josaphat, der dies
erlebt hatte, ein Christ. So erzählte die Legende des Mittelalters.
Und nun brauchen Sie nicht einmal die Akasha-Chronik zu Hil-
fe zu nehmen, sondern der gewöhnliche Philologe genügt da
schon, um den Namen Josaphat zu untersuchen. Josaphat geht
zurück auf ein altes Wort Joasaph; Joasaph geht wieder zurück
auf Jodasaph; Jodasaph auf Yudasaf, was identisch ist mit
Budasaf - beide letzten Formen sind arabisch-und Budasaf das
ist derselbe Name wie Bodhisattva. So kennt die europäische
Geheimlehre nicht nur den «Bodhisattva», sondern sie kennt,
wenn sie den Namen Josaphat entziffern kann, auch den Begriff
dieses Wortes. Diese legendenhafte Ausbildung der Geheimleh-
re im Westen weiß, dass es eine Zeit gegeben hat, wo dieselbe
Wesenheit, die im Gautama Buddha gelebt hat, ein Christ ge-
worden ist. Das kann man entweder wissen oder man kann es
nicht wissen; wahr bleibt es doch! Gerade so wie Traditionen
hinter der Zeit zurückbleiben können, wie die Menschen heute
das glauben können, was man vor Jahrtausenden geglaubt hat
und was sich in Traditionen fortpflanzen kann, so kann man
auch glauben, dass es den höheren Welten entspricht, dass der
Gautama Buddha dasselbe geblieben ist, was er sechshundert
Jahre vor unserer Zeitrechnung war. Doch ist es nicht so. Er ist
aufgestiegen, er hat sich entwickelt. Und in den wahren Lehren
des Rosenkreuzes ist aufbewahrt dasjenige, was sich davon le-
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204
gendenhaft zum Ausdruck gebracht hat, wie ich Ihnen das eben
erzählt habe. Man darf nur nicht mit diesen wahren Lehren des
Rosenkreuzes verwechseln all das Törichte, das durch eine be-
denkliche Literatur fließt.
So finden wir innerhalb des Geisteslebens Europas denjenigen,
der der Träger des Christus war, Zaratas oder Nazarathos, den
Zarathustra, von Zeit zu Zeit wieder; so finden wir Skythianos
wieder; so finden wir auch den dritten großen Schüler des Ma-
nes, auch Buddha wieder, wie er war, nachdem er die späteren
Zeiten miterlebt hat.
So blickte der europäische Kenner der Initiation immer hinein
in der Zeiten Wende, zu den wahren Gestalten der großen Leh-
rer aufschauend. Von Zaratas, von Buddha, von Skythianos, von
ihnen wusste er, dass durch sie einströmte in die Kultur der Zu-
kunft diejenige Weisheit, die immerdar von den Bodhisattvas
gekommen ist und die verwendet werden soll, um zu begreifen
das würdigste Objekt alles Verstehens, den Christus, der ein von
den Bodhisattvas grundverschiedenes Wesen ist, den man nur
verstehen kann, wenn man alle Weisheit der Bodhisattvas zu-
sammennimmt. Daher ist in den Geistesweisheiten der Europäer
außer allem andern auch ein synthetischer Zusammenschluss
aller Lehren enthalten, die der Welt gegeben worden sind durch
die drei großen Schüler des Manes und den Manes selbst. Wenn
man auch nicht verstanden hat den Manes, es wird eine Zeit
kommen, wo die europäische Kultur sich so gestalten wird, dass
man wieder einen Sinn verbinden wird mit den Namen
Skythianos, Buddha und Zarathustra. Sie werden den Menschen
das Lehrmaterial geben, um den Christus zu verstehen. Immer
besser und besser werden die Menschen durch sie den Christus
verstehen. Angefangen hat das Mittelalter allerdings mit einer
sonderbaren Verehrung und Anbetung gegenüber dem
Skythianos, gegenüber dem Buddha und gegenüber dem Zara-
thustra, als ihre Namen ein wenig durchgesickert waren; ange-
fangen hat es damit, dass derjenige, der sich in gewissen christli-
chen Religionsgemeinschaften als ein echter Christ bekennen
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wollte, die Formel sprechen musste: «Ich verfluche Skythianos,
ich verfluche Buddha, ich verfluche Zaratas!» Das war eine über
viele Gebiete des christlichen Zeitalters verbreitete Formel,
durch die man sich als rechter Christ bekannte. Was man aber
damals glaubte verfluchen zu müssen, das wird das Kollegium
der Lehrer sein, die der Menschheit den Christus am allerbesten
verständlich machen werden, zu denen die Menschheit empor-
blicken wird als zu den großen Bodhisattvas, durch die der
Christus wird begriffen werden.
Heute kann kaum die Menschheit als das wenigste zweierlei
entgegenbringen diesen großen Lehrern des Rosenkreuzes,
zweierlei, was nur einen Anfang bedeuten kann von dem, was
in der Zukunft groß und mächtig als Verständnis des Christen-
tums dastehen soll. Das soll gemacht werden durch die heutige
Geisteswissenschaft; sie soll beginnen, die Lehren des
Skythianos, des Zarathustra und des Gautama Buddha in die
Welt zu bringen, nicht in ihrer alten, sondern in einer durchaus
neuen, heute aus sich selbst erforschbaren Form. Wir beginnen
damit, dass wir zunächst das Elementare, welches wir von ihnen
lernen können, der Kultur einverleiben. Von dem Buddha hat
das Christentum hinzuzulernen die Lehre von der Wiederver-
körperung und dem Karma, wenn auch nicht in einer alten,
heute nicht mehr zeitgemäßen Art. Warum fließen heute in das
Christentum die Lehren von der Wiederverkörperung und dem
Karma? Sie fließen ein, weil sie die Eingeweihten
verstehenlernen können im Sinne unserer Zeit, wie sie Buddha,
der große Lehrer der Wiederverkörperung in seiner Art ver-
standen hat. So wird man auch anfangen den Skythianos zu ver-
stehen, der nicht nur die Wiederverkörperung des Menschen zu
lehren hat, sondern der das zu lehren hat, was von Ewigkeit zu
Ewigkeit waltet. So wird immer mehr und mehr das Wesen der
Welt, immer mehr und mehr das Wesen des Zentrums unserer
Erdenwelt, das Wesen des Christus begriffen werden. So fließen
immer mehr und mehr die Lehren der Initiierten in die
Menschheit hinein. Heute kann der angehende Geistesforscher
nur zweierlei als Elementaranfang zu demjenigen bringen, was
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die beiden Elemente sein müssen der zukünftigen Geistesentwi-
ckelung der Menschheit. Was sich ins Innere hineinsenkt als
das Christus-Leben, wird das erste Element sein; was in umfas-
sender Weise als die geistige Kosmologie Verständnis bringen
wird für den Christus, das wird das zweite sein. Christus-Leben
im Innern des Herzens, Weltverständnis, das zu Christus-
Verständnis führt, das werden die beiden Elemente sein. Heute,
wo wir am Anfang stehen, können wir beginnen damit, dass wir
die richtige Gesinnung haben im Innern. Daher versammeln wir
uns, um die richtige Gesinnung gegenüber der geistigen Welt
und all dessen, was daraus geboren ist, gegenüber dem Men-
schen zu pflegen. Damit, dass wir die richtige Gesinnung pfle-
gen, machen wir unsere Geisteskräfte allmählich geeignet, den
Christus im Innern aufzunehmen, denn je hoher und edler sich
die Gesinnung ausprägt, desto edler wird sich Christus ausleben
können. Und wir machen den Anfang damit, dass wir die ele-
mentaren Zusammenhänge unserer Erdenentwickelung lehren,
dass wir erneut suchen dasjenige, was von Skythianos, Zara-
thustra und Buddha stammt, dass wir es nehmen so, wie sie es
lehren können in unserer Zeit, so wie diese Lehrer selbst es wis-
sen, nachdem sie sich entwickelt haben bis in unser* Zeit her-
ein. Wir sind so weit, dass wir anfangen, die elementaren Leh-
ren der Einweihung zu verbreiten.
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ZUSATZVORTRAG ZUR GOETHE-FEIER
MÜNCHEN, 28. AUGUST 1909
Für denjenigen, der sich innerhalb des neuzeitlichen Geistesle-
bens gerne einmal in Erinnerungen erhebt zu den führenden
Persönlichkeiten der letzten Zeiten, ist die Nacht vom 27. zum
28. August eine wichtige Erinnerungsnacht. Der 27. August ist
ja der Geburtstag des größten Denkers der neueren Zeit, und
der 28. August ist der Geburtstag des universellsten, umfas-
sendsten Geistes. Und so können sich in unseren Gedanken in
dieser Nacht berühren die Erinnerungen an den großen Philo-
sophen Hegel, der am 27. August seinen Geburtstag hat, und an
Goethe> den universellen Geist, der ihn am 28. August hat. Und
dann, wenn unsere Gedanken also erinnernd sich zurückwen-
den zu diesen beiden Individualitäten, kommt so mancherlei,
was sich an diese Gedanken anschließt, dann tritt vor die Seele
die Eigentümlichkeit dieser beiden großen Individualitäten der
neueren Zeit, und wir schauen dann wohl auch gerne zurück,
vergleichend mit dem, was wir sonst aus dem Geistesleben wis-
sen, auf diese beiden Repräsentanten der Menschheit, Hegel
und Goethe. Und mancherlei von dem, was in unserem gestri-
gen Vortrag gesagt werden konnte, mag sich anknüpfen an diese
beiden Namen.
Hegel erscheint als derjenige unter den modernen Geistern,
welcher das Erfahren des Innern zur höchsten Blüte gebracht
hat. Er erscheint als derjenige, welcher in die Ätherhöhen, in
die lichthellen Regionen des Denkens den Menschen heute füh-
ren kann, und für denjenigen, der sich befruchten lassen kann
von Hegels kristallhellen und in Ätherhöhen schwebenden Ge-
dankengängen, wird auch eine andere geistige Strömung, wel-
che in der Menschheit gewaltet hat, verständlich. Denn Hegel
lässt sich nur vergleichen, wenn wir durch die Wende der Zei-
ten mit unseren Empfindungen schweifen, mit jener morgen-
ländischen Geistesblüte, die durch den reinen Gedanken am
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tiefsten hineingeführt hat in menschliches Geistesleben: mit der
Vedanta-Philosophie. In gewisser Beziehung ist er derjenige, der
innerhalb unseres Abendlandes das Luziferische von Indien aus-
gehend erneuert hat und doch wiederum in einer anderen
Form. Wer sich vertiefen kann in das Vedanta-Werk des Ori-
ents, der wird in ihm verehren die höchste Blüte jenes Denkens,
das bei unsäglicher Hingebung und mit feinster Ausziselierung
jedes einzelnen Gedankens, den der Mensch fassen kann, ein
Welt-Gedanken-System zusammensetzt. Ein synthetisches, ein
zusammensetzendes Denken in seiner höchsten Blüte erblicken
wir in der Vedanta- Philosophie. Und Hegel erneuert diesen
reinen Gedanken, dieses absolut sinnlichkeitsfreie Denken so,
dass bei ihm das Denken selbst zu einem Organismus wird, wo
ein Gedanke aus dem anderen herauswächst. Deshalb ist es so
schwierig, unvorbereitet auch nur das Geringste von den
Ätherhöhen des Hegeischen Denkens zu verstehen. Diejenigen,
die sich in Hegel vertiefen, verspüren auf der einen Seite die
Hohe, in die er sie trägt, wo eine frische Luft des Denkens weht,
und auf der anderen Seite die Reinheit, die alle diese Gedanken
durchzieht. So haben wir gleichsam das luziferische Prinzip in
Hegel ausgedrückt.
Auf der anderen Seite haben wir in Goethe den universellen
Geist, dessen Blick über den großen Teppich der äußeren Welt
ausgebreitet ist, überall aber hineinschaut in die tieferen geisti-
gen Grundlagen, so dass aus jeder Pflanze, aus jedem Tier und
allen menschlichen und künstlerischen Erscheinungen für Goe-
the herausweht der Geist, der hinter den Erscheinungen waltet,
so dass er imstande ist, von der Seite der äußeren Welt her den
Geist in dem neuzeitlichen Geistesleben zu erwecken, rege zu
machen. So steht Goethe uns gegenüber wie die Geistessubstanz
und Hegel wie die Geistesform, und wir finden uns am besten
hinein in dieses moderne Geistesleben, wenn wir versuchen,
durch das Instrument Hegels den großen Geist und die große
Seele Goethes zu umfassen. Solche Gedanken werden rege,
wenn man mit den richtigen Erinnerungen die Nacht vom 27.
zum 28. August, dem Geburtstag Hegels zum Geburtstag Goe-
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thes, an seiner Seele vorbeiziehen lässt. Deshalb haben wir Sie
heute einladen wollen, dieser beiden großen Geister des neu-
zeitlichen Geisteslebens zu gedenken, und wir werden ihrer ge-
denken, indem wir Goethes in gewisse Höhen des Geisteslebens
führende kleine kosmische Dichtungen zuerst hier zum Vortrag
bringen und dann eine größere Dichtung Goethes, welche zeigt,
wie er den Weg gesucht hat und in einer gewissen Weise hat
finden können hinein in das Geistesleben. Daran wird sich dann
schließen eine Betrachtung über das Wesen des Goethe-Geistes
von einer gewissen Seite her, mit der wir unsere heutige Feier
beschließen werden.
Es folgt die Rezitation folgender Gedichte durch Marie von Si-
vers:
«Eins und Alles», «Vermächtnis» «Grenzen der Menschheit»,
«Das Göttliche» «Gesang der Geister über den Wassern»,
«Mahomets Gesang»
Es sollen nunmehr folgen jene Goetheschen Strophen, welche
dem höchsten Geistesquell entsprungen sind, als Goethe unge-
fähr im fünfunddreißigsten Jahre seines Lebens stand. Diejeni-
gen von Ihnen, welche öfter Vorträge von mir gehört haben,
werden die geistige Bedeutung des fünfunddreißigsten Jahres im
normalen Menschenleben anfangen zu begreifen. Es ist von mir
öfter hingewiesen worden darauf, welche große Bedeutung das
fünfunddreißigste Lebensjahr für Dante gehabt hat in Bezug auf
die Konzeption seiner großen Weltendichtung. Das, was Goethe
in seinen Strophen, die er «Die Geheimnisse» überschrieben hat,
ausdrücken wollte, war in seiner Seele reif geworden in diesem
wichtigen Lebensabschnitt. Wenn wir uns vor die Seele führen
wollen, was es war, was dazumal durch Goethes Herz zog, als er
die Strophen «Die Geheimnisse» hingeschrieben hat, so können
wir es nicht besser bezeichnen, als dass Goethe damals im fün-
funddreißigsten Jahre seines Lebens das Symbolum der geistes-
wissenschaftlichen Weltanschauung hingestellt hat. Denn es
gibt heute kein besseres Programm der geisteswissenschaftli-
chen Weltanschauung als das Gedicht «Die Geheimnisse» von
DER ORIENT IM LICHT DES OKZIDENTS
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210
Goethe. Und später, im Jahre i$i6, wurde Goethe gefragt, was
die verschiedenen Bilder in seinem Gedicht «Die Geheimnisse»
bedeuten. Er hat eine freilich nicht sehr ausführliche Erklärung
nach so vielen Jahren auf eine äußere Aufforderung hin gege-
ben, aber auch in dieser Erklärung finden wir wiederum etwas
wie ein Programm unserer Weltanschauung. Wir dürfen sagen:
Damals, als Goethe inspiriert war zu dem Gedichte «Die Ge-
heimnisse», da lebte warm auf in seiner Seele das, was wir heute
Anthroposophie nennen. Und es wird in dieser Dichtung so
groß, so gewaltig und aus so tiefen Gründen heraus der geistes-
wissenschaftliche Ruf in die Welt geschickt, dass selbst für ei-
nen so großen Geist, für eine so große Seele wie sie Goethes
Leib barg, diese Dichtung Fragment bleiben musste. Es war so-
zusagen die Seele, die darin lebte, zu groß, um ihr einen dichte-
rischen Leib zu geben. So haben wir denn in den «Geheimnis-
sen» ein Fragment vor uns. Mit einer gewissen inneren Beseli-
gung vertiefen wir uns in dieses Fragment, in ihm ein neuzeitli-
ches Geistesleben ahnend. Wir wollen jetzt die Strophen an uns
vorüberziehen lassen und dann einiges anschließen über die Ei-
gentümlichkeit des Goetheschen Geistes und der Goetheschen
Seele, so dass wir durch die Schlussbetrachtung den Weg finden
können, um uns dem Lichte, das in der bedeutungsvollen Erzäh-
lung leuchtet, die uns Goethe in seinem Fragment «Geheimnis-
se» im fünfunddreißigsten Jahre seines Lebens gegeben hat, ei-
nigermaßen zu nähern.
Es folgt die Rezitation des Gedichtes: «Die Geheimnisse» durch
Marie von Sivers.
Wer diese Goethesche Dichtung auf sich wirken lässt, der kann
wohl nicht verkennen, dass in sie eingeflossen sind Inspiratio-
nen aus höheren Welten. Und derjenige, der nur ein wenig da-
von ahnt, wie sich in bedeutsamen Symbolen zu allen Zeiten
das Leben der höheren Welten für die Menschen ausgesprochen
hat, der erkennt wieder an den Symbolen, die uns hier vorge-
führt werden, die ewigen Wahrzeichen der großen geistigen
Verkündigungen und Offenbarungen, die der Menschheit ge-
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macht werden von Epoche zu Epoche. Und dann ahnt wohl
auch die Seele, die durch Goethes Geist sich durchringen will,
eine wichtige Offenbarung für unsere neueren Entwickelungs-
zustände,
Wenn eine bedeutende Individualität durch eine ihrer Inkarna-
tionen ins Dasein strebt, dann kündigt sich durch mancherlei
das ganze Wesen und der ganze Typus dieser Individualität an.
Wir dürfen nicht vergessen, dass das Geistige das Schöpferische
des äußeren Physischen, des äußeren Leibes ist, und dass die
Seele, die aus früheren Inkarnationen mit einem bestimmten
Reifezustand hereintritt in irgendeine gegenwärtige Inkarnati-
on, durch das und jenes sich zubereitet die äußere Leiblichkeit,
damit diese ein geeignetes Instrument wird für ihre Sendung der
Individualität, die aus anderer Inkarnation heraufgekommen ist.
Und so werden bei einzelnen Individualitäten die äußeren Le-
bensschicksale von frühester Kindheit an etwas wie Symbole für
das, was sich aus der Individualität herausringt zur Gestaltung
des äußeren leiblichen Lebens und des äußeren Lebens über-
haupt, damit es Instrument wird für die bedeutsame geistige In-
dividualität. Deshalb darf da, wo das Wesen von Goethes Seele
berührt werden soll, immer wieder erinnert werden an das vor
den meisten von Ihnen schon oft erwähnte Kindheitsereignis,
das sich abgespielt hat in seinem siebenten Jahre. Der Knabe
war schon als Siebenjähriger in vieler Beziehung unbefriedigt
von dem, was ihm die Leute sagen konnten über das Wesen des
Geistig- Göttlichen. Der siebenjährige Knabe schon hatte einen
anderen Zusammenhang als seine ganze Umgebung mit der
göttlich-geistigen Welt, und er brauchte auch einen anderen
Ausdruck für diese seine Seele, die sich aus früherer Inkarnation
heraufentwickelt hatte. Eines Tages nahm er ein Notenpult von
seinem Vater, legte darauf Mineralien und Pflanzen und sah in
ihnen mit kindlich ahnender Seele Symbole für den äußeren
Sinnenteppich und zwar solche Symbole, hinter denen er die
geistige Welt ahnte. Und hinter alledem wollte er mit seiner er-
ahnenden Seele schon erfassen das Weben und Walten des Spi-
rituellen hinter dem Teppich des Sinnlichen. So stellte er, der
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junge, siebenjährige Knabe, oben aufs Pult hinauf ein Räucher-
kerzchen, wartete ab die aufgehende Morgensonne, nahm ein
Brennglas, sammelte die Strahlen der aufgehenden Morgenson-
ne, und die gesammelten Strahlen fielen auf das Räucher-
kerzchen, so dass dieses entzündet wurde durch das Feuer der
Strahlen der aufgehenden Sonne. Und als der Greis dieses kind-
liche Erlebnis erzählte, da konnte er es nicht mit anderen Wor-
ten beschreiben, als dass er sagte, er habe sich damals als sieben-
jähriges Kind ein Feuer entzünden wollen an den Quellen der
Natur selber, der schöpferischen Natur, um dem großen Gott,
der hinter dem Sinnenteppich spirituell waltet, ein Opfer dar-
zubringen. Das war Goethes Gottesdienst, da er ein siebenjähri-
ges Kind war. Das, was sich da hereinrankte in die Leiblichkeit,
das wuchs nun heran, wollte immer weiter und weiter und
wollte immer mehr und mehr hinein in die Geistigkeit, die hin-
ter dem äußeren Sinnenteppich sich verhüllt. Und so sehen wir
denn, wie Goethe nach seiner Ankunft in Weimar jene bedeu-
tungsvollen Worte hinsprach, die uns in seinem «Prosa-Hymnus
an die Natur» erhalten sind und die mit einer so heiligen In-
brunst zu erfassen suchen das, was als spirituelles Leben durch
den äußeren Sinnesteppich sich hindurchzieht und womit die
Seele sich vereinigen kann, wenn sie vorbereitet ist zu solchem
Gottesdienst, wie ihn geübt hatte der siebenjährige Knabe: «Na-
tur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen... Sie hat mich
hereingestellt, sie wird mich auch herausführen... Sie wird ihr
Werk nicht hassen... Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Ver-
dienst!»
Große, gewaltige Worte werden Sie finden in diesem Prosa-
Hymnus an die Natur, Worte, die zeigen, wie dieselbe Seele
herangewachsen ist, immer reifer und reifer geworden ist. Für
eine solche Individualität aber wird nicht nur das, was sie zu-
nächst im siebenten Jahre ihres Lebens wie die großen Symbole
der Natur auf den Altar gestellt hat, Symbolum, sondern alles,
was sie erfährt im Leben von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde.
So sehen wir denn, wenn wir Goethes Leben aufmerksam ver-
folgen, wie er als junger Leipziger Student sich hineinvertieft in
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die Wissenschaft der Natur, damals schon hinter allem suchend
das geistige Schaffen. Damals war es aber auch, wo an seiner
Seele vorbeiging etwas, was im höchsten Sinne des Wortes ge-
eignet war, diese Seele, die so vorbereitet war, allüberallhin ins
Weite zu schweifen, um den Gott zu finden, zugleich anzure-
gen, den Gott in seinen Tiefen zu ahnen. Es ging an Goethe vor-
bei am Ende seiner Leipziger Studienzeit der Tod. Er war durch
schwere Krankheit dem Tode nahe, und eine unendliche Vertie-
fung seines Wesens bedeutete dieses Erlebnis damals. Und dann
kam er wiederum an seinen Heimatort, nach Frankfurt. Da se-
hen wir ihn denn beschäftigt mit den Schriften der mittelalterli-
chen Esoterik, jener mittelalterlichen Esoterik, welche von dem
heutigen Geistesleben als wahnsinnig aufgefasst wird, aus der
aber Goethe entgegenleuchtete tieferes Geistesleben, so dass er
sich selber angeregt fühlte auch zu praktischen esoterischen
Übungen. Damals wurde der erste Strahl von dem, was man in
Wahrheit Inspiration nennen kann, in Goethes Seele gelegt.
Es gibt solche Inspirationen, die so wirken, dass die Seele das
Ergebnis der Inspiration sogleich im Spiegelbilde dem Inspirator
entgegenstrahlt. Es gibt aber auch solche Inspirationen, die so
wirken, dass der Betreffende, der inspiriert ist, selber es kaum
weiß, dass der Keim der Inspiration sich in seine Seele gesenkt
hat. Denn dieser Keim muss da drinnen ruhen, unbewusst, Jah-
re, Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte weilen und harren,
bis er die Früchte heraustreiben kann, die dann das Instrument
des physischen Leibes soweit überwinden und soweit gebrau-
chen können, dass aus einer solchen Persönlichkeit dann Kund-
gebung und Offenbarung höheren Lebens erstrahlen kann. Et-
was von dieser Art hatte die Inspiration, die Goethe von ge-
heimnisvoller Seite her in Frankfurt gekommen war. Aber wir
sehen sogleich, wie diese Inspiration waltet in Goethes Geist,
wie er allem so entgegentritt, dass ein geheimes Licht in seine
Seele hineinleuchtet aus allen Ereignissen des Lebens. Da wirk-
ten dann unzählige Erlebnisse auf Goethe tief ein, und es würde
viele Stunden dauern, wenn ich Ihnen erzählen wollte, was alles
bei dem folgenden Straßburger Aufenthalt auf Goethes eigentli-
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ches Innere gewirkt hat. Ebenso stark wie das, was ich in der
kurzen Zeit nennen kann, hat manches andere gewirkt, was die
Zeit nicht gestattet, heute hervorzuheben. Nur ein Ereignis, das
auf Goethe in Straßburg wirkte und sich hineinsenkte in den
verborgenen Keim der Inspiration, sei erzählt: es ist die Zusam-
menkunft mit einer anderen damaligen Persönlichkeit, die in
tiefster Sehnsucht rang nach dem, was man anthroposophische
Denkungsweise heute nennt. Diese Persönlichkeit war Herder,
den Goethe in Straßburg traf. Herder war derjenige, welcher
sich in den Gang der Menschheitsentwickelung hinein vertieft
hat, welcher die verschiedenen Strahlen, in die sich die Sonne
des Geisteslebens gliedert, indem sie in die Menschheit ihr Licht
hineinsendet, hatte kennenlernen wollen. Durch morgenländi-
sche und abendländische religiöse Systeme war Herders Geist
durchgedrungen, und vor ihm stand die Idee, dass ein gemein-
schaftlich Göttliches sich durch alle diese religiösen Denkungs-
weisen und Philosophien der Menschheit ziehen muss. Aus sol-
chen Ideen entsprang bei Herder das, was er in seinem Buch
«Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit» verar-
beitet hat, wo er das Geistesleben der Menschheit an seinem
Blick vorbeiziehen lässt, um zu zeigen, wie Religionen sich
entwickeln und wie ein Geistig-Göttliches in allem lebt, sich
vom Unvollkommenen zu Vollkommenem immer weiter und
weiter entwickelt. Dann aber wollte Herder auch herausschälen
aus dem, was so sein Geist betrachtete, dasjenige, was sich an
Empfindungen, an inneren Erlebnissen für die Seele ergibt. So
schrieb denn Herder wie eine Gefühlswirkung seiner Betrach-
tungen später, zu gleicher Zeit aber einen Ruf an die Mensch-
heit: «So sollt Ihr werden, wenn Ihr jene Gesinnung in Euch
tragt, die sich ergibt, wenn Ihr in Frieden vereinigt seht die
Geister, die in den Religionen der Menschheit leben.» So schrieb
er seine «Briefe zur Beförderung der Humanität». Oh, das Wort
«Humanität» war dazumal in dem Kreise, der sich um Goethe-
Herder bildete, ein Wort, das nicht jenen abstrakten Sinn hatte,
den es dann im neunzehnten Jahrhundert erhalten hat. Das
Wort «Humanität» Schloss ein Vollinhaltliches, ein tiefes Leben
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in sich, und sprach man das Wort «Humanität», humanitas, aus,
so war die Seele bewegt von den höchsten und schönsten Zu-
kunftshoffnungen der Menschheit.
Das aber alles wirkte auf Goethes Seele, die den Keim der Inspi-
ration in sich trug, in ganz besonderer Weise. Denn Goethe
stand durch das, was er war, in der Tat allen seinen Zeitgenos-
sen, ja seiner ganzen Zeit, in einer ganz besonderen Weise ge-
genüber. In ihm war noch etwas, was in allen anderen nicht
sein konnte. Das zeigt sich insbesondere später, als erblühte der
einzigartige, wunderbare Freundschaftsbund zwischen Schiller
und Goethe; das war in der Zeit, als Schiller in etwas anderer
Art ebenso hinaufgetragen wurde zu den höchsten Höhen
menschlicher Gefühle, wie damals Herder in Goethes Straßbur-
ger Zeit. Wir brauchen uns aber nur skizzenhaft zu vertiefen in
das Sinnen und Denken Schillers, um uns dann zu fragen: Wie
wirkt dasselbe, was wir bei Schiller finden, in Goethes Geist?
Dann dringen wir allmählich dahin, etwas zu ahnen von der Ei-
genheit der Goetheschen Seele. Schiller rang gerade in der Zeit,
in der sich der Freundschaftsbund mit Goethe entwickelte, mit
jener Frage, die man etwa so formulieren kann: Wie gelangt der
Mensch zur höchsten Entfaltung der Freiheit? Wie ist es dem
Menschen möglich, seine inneren Seelenkräfte harmonisch zu
entwickeln, so dass er aus seinem Innersten heraus sich über
sich selbst erheben kann, ein höheres Selbst, einen höheren
Menschen-wie Schiller sagt - in dem gewöhnlichen Menschen
zu entwickeln vermag? Schiller beantwortete sich diese Frage,
wenn wir kurz das ausgezeichnete Werk: «Briefe über die ästhe-
tische Erziehung des Menschen» vor unsere Seele führen, so,
dass er sagte: Wenn der Mensch denkt, sich vernünftig und ver-
standesgemäß hineinstellt in seine Umgebung, dann herrscht in
seinem Innenleben ein Zwang, der Zwang der Logik. Von Ge-
danken zu Gedanken wird der Mensch geführt; er ist ein Sklave
der logischen Regeln; er ist nicht frei. Wenn aber der Mensch
den Blick hinausrichtet in die Sinnenwelt, dann wirken die Sin-
nenereignisse als Reizströme auf ihn ein; er vermag über sie
nichts, er ist nicht frei; er ist ein Sklave der Sinnenwelt. So ist
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der Mensch hineingestellt zwischen zwei Welten. Er kann nicht
frei sein. Wenn der Mensch immer mehr und mehr sich ver-
webt in die Sinnenwelt mit seinen Leidenschaften, seinen Trie-
ben und Begierden, dann steigt er herunter, und das Geistige
zieht sich vor ihm zurück. Wenn der Mensch sich verliert an
die logische Notwendigkeit, dann steigt er in die Abstraktheit
hinein, und das Geistige zieht sich ebenso von ihm zurück. Er
wird dann vielleicht ein Pflichtmensch, der sich sklavisch einem
kategorischen Imperativ fügt; aber er wird eben der Sklave die-
ses kategorischen Imperativs. Eines gibt es aber, sagt Schiller,
das ist, wenn die Seele des Menschen selber sich so entfaltet,
wie wir den Geist walten sehen in dem Werke der Schönheit, in
dem Werke der Kunst. Wenn wir ein Kunstwerk vor uns haben,
haben wir ein Sinnliches vor uns, sagt Schiller, aber durch die-
ses strahlt und leuchtet der Geist, der sich eine Form geschaffen
hat, und wir haben dann ein Sinnliches und zugleich ein Geisti-
ges; wir verfallen nicht dem Sinnlichen, denn es wird geläutert
und geadelt durch den durchleuchtenden Geist. Wir verfallen
nicht dem abstrakten Geist der Logik. Da tritt uns das Geistige
so entgegen, dass es heruntersteigt. Der Mensch, der seine Seele
so entwickelt, gelangt dazu, das, was er soll, nicht deshalb zu
tun, weil es ihm als eine Pflicht befohlen ist, sondern weil er
liebt, was seine Pflicht ist. Und der Geist, der sich so entwickelt,
braucht nicht zu fliehen vor der Sinnlichkeit, er braucht nicht
zu sagen: Weggestoßen werden Leidenschaften und Triebe.
Denn sie sind geläutert, gereinigt, sind der Ausdruck des Geis-
tes. Das ist die schöne Seele, wie sie Schiller vorschwebte, die
Freiheit erringt, weil sie den Geist herunterführt in die Sinn-
lichkeit, das Sinnliche durchgeistigt, welche von der Sinnlich-
keit aufsteigt zum Geiste, den Geist durchsinnlicht. Oh, es war
eine bedeutungsvolle Zeit, als sich die Seele des europäischen
Geisteslebens also in die großen Ideale der Menschheit vertiefte.
Das war das, was in Schillers Seele lebte, als er neben Goethe
einherging, in inniger Freundschaft mit ihm verbunden.
Wie wirkte solches denn auf Goethe? Das ist das Charakteristi-
sche für Goethes Seele: Im höchsten Grade zog Goethe dieser
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Schillersche Gedanke an; ganz erfüllt war er von ihm. Aber vor
seiner Seele stand ein anderes. Er sagte sich: Das ist bloß der
Gedanke, das ist Gedanken-Ideal. Das Leben ist unendlich rei-
cher, insbesondere, wenn man es im Geistigen betrachtet. - Als
ein solcher in einer geraden Linie geführter Gedanke, so war
ihm der Gedanke richtig, ein höchstes Ideal; so war er ihm aber
zu arm, um das ganze Reich der menschlichen Seele auszudrü-
cken, die hinaufsteigt zu den Hohen spirituellen Lebens, zu
wirklicher Befreiung. Was wurde der Gedanke in Goethes See-
le? Er wurde das, was uns entgegentritt, nachdem der ursprüng-
liche Keim der Inspiration in Goethe weiter gereift war. In An-
lehnung an die eben genannten Schillerschen Gedanken schrieb
Goethe sein «Märchen von der grünen Schlange und der schö-
nen Lilie», in dem wir ahnen können geheime Offenbarung des-
sen, was die Goethesche Seele erstrebte. Da haben wir nicht nur
zwei oder drei Namen für die Seelenkräfte, da haben wir ein
großes, mächtiges Tableau von zwanzig symbolischen realen
Gestalten, voran die vier Könige: den goldenen, silbernen, eher-
nen und gemischten König; da haben wir die schöne Lilie, den
Strom und so weiter. Dann können Sie in diesem «Märchen von
der schönen Lilie und der grünen Schlange» finden eine ganz
esoterisch gehaltene Beschreibung, wie die Seelenkräfte, die
ausgedrückt sind durch diese Figuren, in der sich entwickelnden
Seele zueinander stehen müssen, wie sie wie in Sphärenharmo-
nien zusammenwirken müssen, um zur Blüte der menschlichen
Seele kommen zu können. Das ist das Geheimnis in diesem
Märchen, dass wir verstehen, wie alles, was uns da geschildert
wird über das Verhältnis der Personen, ausdrückt das Verhältnis
der sich harmonisierenden Seelenkräfte, die den Menschen hin-
aufführen zur Blüte des spirituellen Lebens. Unendlich reich
war gespiegelt aus Goethes Seele das, was auch Schiller als Prob-
lem empfand.
Daher dürfen wir uns nicht wundern, dass in der Mitte der
achtziger Jahre, als Goethe ungefähr fünfunddreißig Jahre alt
war, sich auch das mehr philosophische Streben Herders, das auf
ihn einen großen Eindruck gemacht hatte, nicht in Abstraktio-
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nen entfaltete, sondern in einem reichen Seelentableau. Schon
früher, bevor das «Märchen von der grünen Schlange und der
schönen Lilie» entstanden war, hatte eben Goethe in den «Ge-
heimnissen» den Weg der Seele gezeigt, der sie führen muss, um
zu den spirituellen Höhen hinaufzukommen, und er hat ihn ge-
zeigt so, wie er sich ergab aus der Anregung jener Inspirationen,
die er von geheimnisvoller Seite in Frankfurt erhalten hatte.
Daher nennt er die geheimnisvolle Persönlichkeit, die als Drei-
zehnter der Führer der Zwölf ist, Humanus. Aber zu gleicher
Zeit war ihm dieser Humanus etwas viel Tieferes als das, was
sich der heutige Abstraktling bei diesem Worte denkt. Humanus
ist ihm ein Name für den Urmenschen, für die große umfängli-
che Menschennatur, die allseitig die Kräfte verbindend zu den
Höhen des Seelenlebens strebt. Oh, Goethe wusste, dass das See-
lenleben etwas Reiches ist. Heute konnten Sie hören zwei Sätze,
die Goethe ausgesprochen hat, und die sich tief diejenigen in die
Seele schreiben sollten, welche überall nach abstrakten Gleich-
klängen suchen. Das eine der Gedichte, das eben gesprochen
worden ist, endet, indem von dem inneren Wesen der Dinge
gesprochen wurde, mit den Worten:
Nur scheinbar stehts Momente still. Das Ewige regt sich fort in
allen; Denn alles muss in Nichts zerfallen, Wenn es im Sein be-
harren will.
Ein Ausdruck für ein Weltengeheimnis, ein Ausdruck, wie ihn
sich der menschliche Verstand vor die Seele führt! Das nächste
Gedicht beginnt, nachdem die letzte Zeile war des vorherge-
henden Gedichtes: Denn alles muss in Nichts zerfallen, wenn es
im Sein beharren will:
Kein Wesen kann zu nichts zerfallen! Das Ewige regt sich fort in
allen, Am Sein erhalte dich beglückt.
Der, welcher alles nach dem eben charakterisierten Standpunkt
beurteilen will, da oder dort sei ein Widerspruch, der sollte sich
vor allen Dingen in die Seele schreiben, wie Goethe da, wo er
sich zu den höchsten Höhen kosmischen Geschehens hinaufer-
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heben wollte, zwei Sätze hinstellen musste, die genau das Ge-
genteil voneinander besagen. Warum? Weil das Leben, das hin-
ter den Erscheinungen steht, groß und umfangreich ist, und
weil äußeres Ausdrucksvermögen begrenzt ist, und weil wir,
wenn wir das reiche Leben umfassen wollen, es einmal von der
einen Seite, einmal von der anderen Seite schildern und be-
trachten müssen. Wir müssen sorgfältig hineinblicken, wie das
sich auflösen muss, was im Sein beharren will. Wir müssen auf
der anderen Seite auch daneben hinstellen können, dass es in-
nerhalb des spirituellen Lebens etwas gibt, von dem wir sagen
müssen: es kann sich am Sein und Beharren beglückt erhalten. -
Die Welt ist unendlich viel tiefer, reicher, als die Menschen ge-
wöhnlich glauben. Deshalb kam über Goethe, wo er das Bedürf-
nis hatte, nicht bloß in abstrakten Worten zu schildern, dann in
der Mitte seines Lebens, im fünfunddreißigsten Jahre seiner
damaligen Inkarnation, der Gedanke: Jawohl, über die Welt
sind ausgebreitet die verschiedensten Religionen; sie leben da
und dort, sie sind dazu berufen, in sich Blüten des geistigen Da-
seins hervorzubringen. - Goethe ließ durch seine Seele ziehen
den Gedanken: Wenn wir den Blick hinrichten auf die eine
oder die andere der Religionen, dann gibt es in jeder einen
Punkt, wo sie sich über sich selbst erhebt und zu einem hinter
allen Religionen verborgenen Punkt führt. - Goethe lässt reprä-
sentiert sein die verschiedenen Religionen in den zwölf Persön-
lichkeiten, die sich versammeln im geheimnisvollen Kloster, auf
dem das Rosenkreuz zu sehen ist, hindeutend, was das Rosen-
kreuz für eine Aufgabe hat, nämlich die, zu vereinigen die ver-
schiedenen Religionen, nachdem sie - über sich selbst sich erhe-
bend - auf die große Einheit des spirituellen Lebens hinweisen,
die repräsentiert wird durch den Dreizehnten, der der Führer ist
und zu solcher Vollkommenheit emporgestiegen ist, dass er mit
den schönsten Worten geschildert wird, dass er uns von vorne-
herein im Moment geschildert wird, wo er vom Tode berührt
wird. Das Gedicht schildert den Moment, wo der Dreizehnte
eben den Tod erwartet, wo er hingehen soll in die geistige, die
spirituelle Welt, andeutend, dass über diesen Zwölfen wirklich
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das waltet, was ausstrahlt aus den in Liebe vereinten Weltan-
schauungen, die über den Erdkreis hingehen. Das war der Ge-
danke, der vor Goethes Seele stand. Er wollte diesen Gedanken
in entsprechender Weise zum Ausdruck bringen. Er sagte sich:
Es muss das geschehen in einer Erzählung, die um den Karfrei-
tag herum sich abspielt, um jenen Tag, der das ewige Symbolum
sein muss für die große spirituelle Wahrheit, dass das geistige
Leben überall den Tod überwindet. Ein Karfreitagsgedicht wä-
ren «Die Geheimnisse» geworden, wenn Goethe den Leib hätte
finden können für das, was dazumal so glänzend vor seiner See-
le stand. Und wenn wir etwas von der Notwendigkeit dieser
Gedanken ahnen wollen, so dürfen wir wohl bei dieser Gele-
genheit daran erinnern, dass einem andern viel später an einem
Karfreitag der Gedanke gekommen ist, hinausblickend vom Zü-
richsee in die eben aufkeimende Natur, der Gedanke, was sich
an den Karfreitag anknüpfen lässt. Denn an einem Karfreitag
war es, 6a,Richard Wagner in sich aufgehen spürte den Gedan-
ken zu seinem «Parsifal».
Wenn wir solche Dinge auf unsere Seele wirken lassen, dann
verspüren wir etwas von der Notwendigkeit, die in allem waltet,
was uns in der äußeren Sinnenwelt entgegentritt. Solch eine
Dichtung wollte Goethe schaffen. Nicht immer ist der, der sie
nur bis zum Fragment bringen kann, daran schuld. Zuweilen ist
auch die Zeit daran schuld, die noch nicht die Mittel hergibt,
um dies oder jenes in ihr auszuwirken. Aber jetzt begreifen wir,
warum uns Goethe in seinem Bruder Markus einen Menschen
vorführt, der in sich eine solche Stimmung ausgebildet hat, die
geläutert war von alledem, was von der äußeren Erdenwelt an
Verunreinigendem in unsere Seele ziehen kann. Deshalb nennt
Goethe den, der so weit gekommen war, um die Seele gereinigt
zu haben von alledem, was sie von der Erde her verunreinigen
kann, eine Seele, die aussah wie von einer anderen Erde. So
wandelt denn der Bruder Markus dahin, um Dinge zu erleben,
von denen Goethe selber in den beiden ersten Strophen sagt:
Das, was gesagt werden muss, wird vielfach aussehen, als wenn
dieser oder jener Seitengang eingeschlagen werde. Man soll
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nicht denken, dass das ein Irrtum sei. - Das Gedicht enthält so
Großes, dass man lieber überall denken soll, man wird erst her-
anreifen, um die unendlichen Tiefen zu begreifen, die darin
enthalten sind, statt Kritik zu üben. Zugleich werden wir aber
hingewiesen darauf, dass das, um was es sich handelt, nicht Er-
lebnisse sind, mit den Sinnen zu erfassen, sondern die nur mit
der über sich selbst hinausgeschrittenen spirituellen Seele voll-
ständig zu erfassen sind. So wird denn unser Bruder Markus,
diese gereinigte Seele, hingeführt vor den Tempel, der sein We-
sen dadurch ausdrückt, dass das von Rosen umschlungene Kreuz
sein Symbol ist, jenes Symbolum, zu dem hingeschaut haben
immer diejenigen, die aus der spirituellen Substanz des Abend-
landes heraus jene Gesinnung in sich entwickelten, die zu Liebe
und Frieden die verschiedenen Religionen der Welt und zur Er-
höhung der menschlichen Seele führen will. Das schönste und
größte Programm unserer Weltanschauung lebt daher in diesem
Gedicht.
Nun würde es viel, viel Zeit in Anspruch nehmen, wollte ich
mich über die Einzelheiten ergehen; aber schon wenn ich ein-
zelne Andeutungen mache, werden Sie erkennen, wie diese
Dichtung herausgeschaffen ist aus der ganzen rosenkreuzerisch-
spirituellen, geistigen Substanz des Abendlandes. Da wird uns
erzählt von jenem Dreizehnten, der die andern führt, der in sei-
ner Seele also jene Tendenz haben kann, die die einzelnen
Weltanschauungen über sich hinaus zur großen Einheit führt.
Es wird uns erzählt, was uns auch erzählt wird von den großen
Menschheitsführern, und was nichts anderes ist als Ausdruck
der großen Wahrheiten. Nicht bloß Symbolum, sondern den
Ausdruck großer Wahrheiten, großer Wirklichkeiten haben
wir darin zu sehen. Ein Stern verkündet das Hereintreten der
Seele jenes Dreizehnten, wie ein Stern das Hereintreten einer
andern Wesenheit in das physische Dasein immer verkündet.
Erinnern Sie sich an die Erzählungen über des Buddha, über des
Jesus Geburt, und begreifen Sie daraus, welche hohe Natur im
Geheimnisvollen des europäischen Mysterien-Waltens uns Goe-
the andeuten wollte mit seinem Dreizehnten. Noch anderes
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wird gesagt: Dass dieser Dreizehnte eine Persönlichkeit war, die
in frühester Jugend die Otter überwand, die sich um die
Schwester wand. Die Otter ist immer das reale Symbolum für
jenes astralische Leben gewesen, das den Menschen herunter-
zieht, das ihn verhindert, zu den höchsten Höhen hinaufzu-
kommen. Von der Paradiesesschlange an zu allen Schlangen-
symbolen finden Sie immer unter den mancherlei guten Schlan-
gensymbolen auch diejenigen, die überwunden werden müssen.
So sehen Sie den Sieger über die niedere Menschennatur, die
abgestreift werden muss, in unserem Dreizehnten. Er wendet
sich schon als Knabe zu der Schwester, der Schwester des Geis-
tes in uns, denn der Geist in uns hat in der Seele seine Schwes-
ter - zur Seele wendet er sich und tötet die Otter der eigenen
Seele. So reift er heran zu dem höheren Leben, zu dem er beru-
fen ist; er reift heran so, dass das Außenleben für ihn ein Leben
von Kämpfen wird, wie sie geschildert werden; er reift heran
dazu, dass er dieses Außenleben wie ein Kreuz auf sich nimmt.
Dann wird uns gesagt: Dieser Dreizehnte führe eine Schar von
Zwölfen an, diese Schar sitze mit ihm bei den Liebesmahlen und
Geistesfesten um einen Tisch herum. Über jedem Stuhl sehen
wir ein Symbolum. Über dem Stuhl des Dreizehnten sehen wir
das Grundsymbol alles europäischen Geisteslebens, das Rosen-
kreuz, nochmals. Über jedem der anderen Stühle sehen wir an-
dere Symbole, welche uns das in verschiedenen Strahlen geteilte
Geistesleben zeigen.
Und jetzt will ich Sie nur kurz erinnern an das, was gestern ge-
sagt worden ist, an die zwei Völkerströmungen. Die südliche
geht auf die Pflege des Innenlebens, von wo aus man in der
nachatlantischen Zeit die geistige Welt gesucht hat. Diese Strö-
mung, sie hat insbesondere zu kämpfen mit den Gegnern in der
eigenen Seele, mit den widerwärtigen feindlichen astralischen
Mächten. Diese Mächte, welche die Seele in sich selber besiegen
muss, wenn sie das Reich des Geistigen finden will, das verdeckt
ist durch den Flor der Seelenwelt, dieses Reich wurde symbo-
lisch durch den feurigen Drachen, durch den Drachen im Feuer
ausgedrückt. Und eine ganze Anzahl von Weltanschauungen
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ging daraus hervor, dass die Seele hinaufgelangt in die höhere
Welt nach der Besiegung des Drachen, nach der Besiegung der
in sich selber flammenden und wütenden Wesenheiten in und
um den Menschen. Bei den nördlichen Völkern finden wir das
Hindurchdringen durch den Schleier des äußeren Sinnestep-
pichs. Da wirkt das, was in die äußere sinnliche Welt sich hin-
einbohrt. Da sehen wir ein anderes Symbolum auftreten. Wenn
der Mensch durchdringen will durch das, was sich von der äu-
ßeren Sinnenwelt ihm entgegenstellt, da muss er stark dieser
Sinnenwelt entgegentreten. Die Art, wie der Mensch sieghaft
gegen die äußere Sinneswelt auftreten muss, wenn er durch sie
hindurch in das Spirituelle dringen will, das sehen Sie in ergrei-
fender Weise dargestellt in dem Bilde des alten Gottes, der seine
Hand und seinen Arm in den Rachen des Wolfes steckt und ihn
verliert, so dass der alte europäische Kriegsgott Ziu einhändig
ist. Dieses Bild, das uns darstellen soll den Sieg über die äußere
Welt, es tritt in der mannigfaltigsten Weise auf, insbesondere
so, dass der esoterisch siegende Held seine Hand steckt in eines
Bären Rachen, und dass herausquillt das Blut als das überschüs-
sige Ich. Das Blut ist der Ausdruck des Ich, hier also das Bild der
überschüssigen Egoität. Der Drache ist das Symbolum für die
südliche Völkeranschauung; die Hand, die in des Baren Rachen
gesteckt wird, das Symbolum für die nördliche Völkeranschau-
ung. Sechs auf der einen Seite saßen sie, die Repräsentanten der
südlichen, und sechs auf der andern Seite als Repräsentanten der
nördlichen Weltanschauung. Auf der einen Seite neben dem
Dreizehnten war über dem Stuhl das Symbolum des im Feuer
erglühenden Drachen, auf der anderen Seite neben dem Drei-
zehnten war über dem Stuhl das Symbolum dessen, der die äu-
ßere Welt besiegt, der die Hand in des Bären Rachen steckt, so
dass Blut herausquillt. Jeden der Stühle hat Goethe so zeigen
wollen. Eine große heroische Aufgabe war es, zu zeigen, wie die
Seele auf der einen Seite durch den Flor des Seelenlebens
hindurchdringen soll in die Reiche hinter dem eigenen Seelen-
leben, wie die Seele auf der anderen Seite durch den Teppich
der Sinnenwelt hinausdringen soll zu dem spirituellen Leben
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draußen in der Welt. Deshalb finden Sie selbst diese Bilder vom
Teppich und vom Flor angewendet hier. Und so könnten wir
Zeile für Zeile durchgehen und die Etappen finden, welche die
menschliche Seele durchmachen muss bis zu jenem Punkt, wo
man sprechen kann von dem Menschen, der dadurch Sieger ge-
worden ist, dass er sich über sich selbst erhoben hat. In diese
Gemeinschaft hinein wird die gereinigte Seele des Bruders Mar-
kus geführt; hinein wird er geführt in dem Moment, wo sich
geistig und physisch in der Todesstunde des Dreizehnten mitei-
nander verbinden die Zwölf. Er selber in seiner Einfachheit hät-
te der Führer werden sollen - das wollte Goethe schildern - die-
ser zwölf Richtungen. Selber ein Eingeweihter, der zur Einheit
des religiösen Lebens hinaufschreitet, diesen Weg zu schildern,
hatte sich Goethe vorgenommen.
Diese Schilderung aber konnte nur gedeihen bis zum Vorhof.
Da, nachdem der Bruder Markus die bedeutungsvollen Eindrü-
cke hat auf seine Seele wirken lassen, wo er in leisem Schlaf, der
ein hellseherischer Schlaf ist, sich hineinfindet in die Welt, die
in ihm entbunden ist durch die bedeutungsvollen Symbole, da
erwacht er aus diesem hellseherischen Schlaf. Er hört im Erwa-
chen merkwürdige Tone erklingen, wie wenn die Sphärenhar-
monien leise erklingen wollten. Wie die Sphärenharmonien im
Reigentanz die Körper bewegen, wird uns angedeutet darin,
dass die symbolisierten Weltenkräfte wie im Reigentanz sich
bewegen nach der merkwürdigen Musik. Da dämmert auf die
große Vision von der Menschheitszukunft. Drei sind der Glie-
der in der Menschennatur; wir nennen sie Geistselbst, Lebens-
geist und Geistesmensch, oder wir nennen sie Manas, Budhi,
Atma. Das sind die Keime, die in unserer Natur schlummern,
das sind die Jugendblüten der Menschenseele. Blicken wir hin
auf sie, so können wir sagen: Sie sind heute in der Keimanlage
vorhanden, sie werden durch die folgenden Erdenzustände in
jeder Individualität zur Entfaltung kommen. - Wir sehen sie
heute wie leichte Schatten, wie die «Jünglinge» in unserer Seele,
die dann auftauchen, wenn wir hinaufsehen können dahin, wo
der Blick die Menschenzukunft zu schauen vermag. Diese Men-
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schenzukunft steht dem Bruder Markus vor Augen. Hinein
schaut er in die Zukunft, in der sich entwickeln werden die See-
lenkräfte, die heute die drei Jünglinge sind: Manas, Budhi, At-
ma. Sie huschen vorbei, aber sie lassen in der Seele jene bedeu-
tungsvolle Empfindung zurück, die der Keim ist zu dem Leben
des spirituellen Fortschrittes. Denn das ist die Eigenheit aller
spirituellen Schöpfungen der Menschheit, dass sie in der Seele
Empfindungen zurücklassen, und der Grundimpuls, der darstellt
den Keim, ist der: Ich will teilnehmen an der spirituellen
Menschheitsentwickelung, damit der Geist immer mehr und
mehr einströmen kann in alle äußerlichen Leiber, damit er her-
absteigen kann durch das Instrument des Menschen und immer
tiefer und tiefer das Materielle zuerst beseelen, dann vergeisti-
gen und, soweit es brauchbar ist, erlösen kann. -Ein solches Er-
lösungsgedicht, das die Auferweckung schildert, wollte auch
Goethe aus seinem Karfreitagsgedicht machen.
Versuchen wir, die Betrachtung dieses Gedichtes in uns einen
Keim werden zu lassen, durch den die höchsten Worte in unse-
rer Seele weiter sprechen können! Werden Sie als Anthroposo-
phen solche Seelen, die dieses Programm aufnehmen! Dichten
Sie, ein jeder, das weiter, was Goethe keimhaft hingestellt, hin-
eingeworfen hat in die Menschheitsentwickelung, dann wird
das Gedicht, das Goethe liegen lassen wollte und musste, in der
Menschheit vollendet werden! Und darauf kommt es an, nicht
wer dieses oder jenes vollendet, sondern dass in der Menschheit
die Früchte reifen, welche den Menschen in die geistige Welt
hineinführen.
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